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Anja Rauter

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Beschreibung

Mysteriöser Todesfall einer Operndiva: Tragischer Unfall oder doch Gewaltverbrechen? Eigentlich war Privatermittlerin Samantha Sauer in der Wiener Staatsoper, um einem untreuen Ehemann auf die Schliche zu kommen – schließlich ist das ihr Spezialgebiet. Doch dann belauscht sie zufällig einen Streit zwischen der Star-Sopranistin Francesca Cuttolini und einem Unbekannten. Als die Diva tot am Fuße der Feststiege aufgefunden wird, glauben weder die Privatdetektivin noch ihre neugierige Mutter an einen Unfall. Die Autorin Anja Rauter blickt von ihrem Arbeitsplatz in der Wiener Walfischgasse täglich auf die Staatsoper. Kein Wunder also, dass sie sie zum Schauplatz ihres ersten Wien-Krimis gemacht hat! - Ein humorvoller Krimi über die dunklen Seiten der schillernden Opernwelt' - Mitten in der Hauptstadt: Krimi mit viel Ortskenntnis und Wiener Charme - Ein österreichischer Krimi von der Autorin von "Wir zwei auf Wolke sieben" - Mitreißende Urlaubslektüre für den nächsten Städtetrip - Tatort Wiener Staatsoper: Wer wollte die berühmte Sopranistin loswerden? Ein spannender Fall aus der Hauptstadt: Krimi mit ungewöhnlichem Ermittlerteam Das ungewöhnliche Ermittlertrio aus Privatdetektin Samantha Sauer, ihrer pensionierten Mutter und einer befreundeten Gräfin heftet sich an die Fersen des Mörders der Opernsängerin. Mit viel Witz, Charme und Einfallsreichtum machen sie sich an die Aufklärung des mysteriösen Todesfalls und stoßen dabei auf einige dunkle Geheimnisse in der Opernwelt. Ein spannender Regionalkrimi aus Österreichs Hauptstadt, der zu einem Spaziergang durch die Wiener Innenstadt einlädt – Seite an Seite mit der gewitzten Privatermittlerin!

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Seitenzahl: 316

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Ähnliche


Anja Rauter

AUSGETRÄLLERT

Ein Wiener Opern-Krimi

Diese Geschichte ist frei erfunden. Tatsächlich existierende Personen und Firmen wurden verändert und/oder von der Autorin ausgedacht, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet. Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2023

Copyright dieser Ausgabe © 2023 Servus Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Dieses Werk wurde vermittelt durch Agentur Brauer.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Bauer Bodoni, Courier, Black Jack, Linotype Decoration, WIP

Umschlaggestaltung: www.b3k-design.de, Andrea Schneider, diceindustries

Umschlagmotive: © Harald Jahn / picturedesk.com; © Vectorry / shutterstock.com

Printed by CPI books GmbH, Germany

ISBN: 978-3-7104-0324-8

eISBN: 978-3-7104-5070-9

Inhalt

1:»Ich habe über tausend Kleider! Kein einziges davon passt nach Wien!«

2:»Die Oper ist erst zu Ende, wenn die dicke Frau zu singen aufhört.«

3:»Lügner haben krumme Beine.«

4:»Es ist noch keine Leiche vom Himmel gefallen.«

5:»Männer kommen und gehen. Kater bleiben!«

6:»Wer zweimal liebt, dem glaubt man nicht.«

7:»Wenn du bei Nacht den Himmel anschauust, wird es dir sein, als leuchten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne.«

8:»Ungeduld ist eine Tugend.«

9:»Wir waren, was ihr seid. Ihr werdet, was wir sind.«

10:»In der Nacht Sind aile Kater blau.«

11:»Die gute Laune stirbt zuletzt!«

12:»Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt, leg ein Schnitzel darunter!«

13:»Wer nicht fragt zur rechten Zeit, hört nicht, was der Kuckuck schreit!«

14:»Die Wahrheit ist stärker als alle Lügen!«

15:»Wenn du tanzt und dich drehst und auf Wolke Sieben schwebst!«

16:»Guten Freunden gibt man eine Umarmung und ein Stück Marmorgugelhupf!«.

17:»Manchmal glaube ich, Männer wurden schon mit einem Untreue-Gen geboren.«

18:»Von nichts kommt nichts!«

19:»Das Leben will in vollen Zügen gelebt werden! An guten wie an schlechten Tagen!«

20:»Die richtige Zeit ist immer jetzt!«

21:»Lieber um rwei Ecken denken als um rwei laufen!«

22:»Wer braucht schon Brokkoli? Wenn ich dürfte, würde ich jeden Tag Pizza essen!«

23:#meinlebenistperfekt

24:»Hüte dich vor Finanzbeamten, Zahnärzten und stets lachelnden Männern!«

25:»Wenn ich beim Yoga die Kerze nicht schaffe, dahin zünde ich einfach eine Dufllampe an.«

26:»When nothing goes right. Go left.«

27:»Am Anfang ist alles schwer. Zwischendurch auch, aber am Ende wird alles gut!«

28:»Mein Leben ist ein Wunschkonzert!«

29:»Es ist nie zu spät für große Träume!«

30:»Warum zu Fuß gehen? Ich habe rwei gesunde Autos.«

31:»Geduld ist was für Menschen mit ru viel Tagesfreizeit!«

32:»Vertrauen ist gut. Überwachung ist besser.«

33:»Der mit der Waffe in der Hand hat immer recht!«

34:»Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.«

35:»Wenn ich wüsste, dass es mein letzter Tag ist, würde ich feiern, dass ich hier war, und nicht weinen, weil ich gehen muss!«

36:»Genieße die schönen Momente, ehe sie ru Erinnerungen werden.«

1

»Ich habe über tausend Kleider! Kein einziges davon passt nach Wien!«

Gräfin Cosima Caecilia von Waldenstein

Wie eine moppelige Meerjungfrau kämpfe ich mich schwitzend die marmorne Feststiege der Wiener Staatsoper hinauf. Verdammt, ich muss in fünf Minuten in Loge 11 im ersten Rang sein, sonst passiert ein Unglück.

Meine unpraktische Kleiderwahl verfluchend, schiebe ich mich eine weitere Stufe nach oben. Was habe ich mir nur dabei gedacht, ausgerechnet heute, bei meinem Spezialeinsatz, das Kleid einer Frau zu tragen, die zehn Kilogramm leichter und einen Kopf größer ist als ich?

Seufzend setze ich meinen mühsamen Weg fort.

Wahrscheinlich habe ich mich von der Aussicht, ein einziges Mal in meinem Leben ein Designerkleid für lau tragen zu können, blenden lassen. Aber es ist ja nicht so, als hätte Gräfin Cosima Caecilia von Waldenstein mich nicht ausdrücklich gewarnt, dass mir das Kleid, das auf ihre Modelmaße geschneidert wurde, unmöglich passen kann.

Die dezente goldene Armbanduhr mit dem kreisrunden, pfenniggroßen Ziffernblatt, ebenfalls eine gräfliche Leihgabe, zeigt, dass es bereits 18:55 Uhr ist.

Ich habe also noch exakt fünf Minuten Zeit, um zu Loge Nr. 11 im ersten Rang links zu gelangen. Denn wenn die Türen erst einmal geschlossen sind, bleiben sie das meistens auch, um den Kunstgenuss nicht zu stören. Natürlich nicht bis zum Ende von Madame Butterfly, aber mindestens bis zum Ende des ersten Aktes. Und das sind, laut meinem Programmheft, satte fünfzig Minuten.

18:58 Uhr – geschafft! Ich bin im ersten Rang angekommen.

Als ich um die Ecke watschle, liegt der Gang mit dem schweren grünen Teppich leer vor mir, nur gelegentlich huscht eine Dame rasch in ihre jeweilige Loge.

Kurz checke ich mein Aussehen im goldumrahmten, bodentiefen Spiegel und erschaudere: kein Kleidungsstück hat in den letzten einundvierzig Jahren meine Problemzonen unvorteilhafter betont. Das Kleid klebt zu eng an meinen Hüften, das schwingende Rockteil wickelt sich eng um meine Waden, und zu allem Übel beißt sich auch noch das fröhliche Himbeerrot des Kleides mit den hektischen Flecken auf meinen Wangen.

Traurig betrachte ich meine blonden Locken, die sich aus dem vormals lässigen Dutt gelöst haben und nun schlapp auf meinen Schultern liegen.

Kein schöner Anblick.

Doch das wird mein Date, Hermann Schmidt, Bankdirektor, dreiundfünfzig, Skorpion, seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet, bestimmt nicht weiter stören. Denn wenn ich alles richtig gemacht habe, wird er die leicht aufgelöste, schwitzende Frau, die gleich last minute auf den Platz hinter ihm klettert, gar nicht bemerken. So, wie er die letzten vierzehn Tage nicht bemerkt hat, dass ich sein heimlicher Schatten war.

Ich tupfe meine Stirn mit einem Taschentuch trocken, stecke meine Haare notdürftig hoch, raffe das Kleid bei den Knien und nehme, so schnell es mein Trippel-Watschel-Gang zulässt, finalen Kurs auf die Loge, während ich in Gedanken eine Bestandsaufnahme mache und in meiner praktischen Umhängetasche nach dem technischen Equipment taste.

Meine neue Spezialkamera mit Superzoom und extrastarkem Blitz in unauffälligem Operngucker-Design, das neue hochsensible Aufnahmegerät, das für das Laienauge wie ein stinknormales Handy aussieht, mein Notizblock, mein Notfall-Schokoriegel – alles da.

Ich atme erleichtert durch.

Meine Auftraggeberin erwartet nämlich noch heute Nacht von mir einen fotografischen Beweis, dass ihre Ehe nach fünfundzwanzig Jahren an Herrn Schmidts etwas zu persönlichem Kontakt zu seiner Privatassistentin Monika gescheitert ist.

Vor mir liegt die Loge, und die Tür ist noch weit offen, was für ein Glück. Ich straffe meine Schultern und stelle mein Handy auf lautlos, als ich plötzlich aufgebrachte Stimmen von der Feststiege höre.

Es klingt nach einem Streit.

Einem von der schlimmen Sorte.

In meinem Bauch kribbelt es reflexartig. Man kann ja viel über mich sagen, aber eine große Portion Neugier beziehungsweise »Entdeckergeist«, wie es mein Vater liebevoll nannte, gehört einfach zu mir.

Die Stimmen werden immer lauter und ich immer neugieriger, wer da solchen Lärm macht.

Aber es ist schon nach 19 Uhr. Eigentlich sollte ich genau jetzt in die Loge huschen. Doch die streitenden Personen – zwei Frauen und ein Mann – klingen wirklich aufgebracht, und ich wüsste zu gerne, warum.

Während ich noch mit mir kämpfe, beginnt ein hagerer Opernangestellter in rascher Reihenfolge die Türen zu schließen. Klapp, klapp, klapp. Eine Logentür nach der anderen wird in flottem Tempo sorgsam geschlossen.

Was mache ich nur?

»Bitte warten Sie noch einen Moment, ich schwöre, ich bin in einer Minute wieder da«, flöte ich in die Richtung des schmallippigen Mannes, schleiche näher an die Streithähne heran und schalte aus einem Reflex heraus mein Aufnahmegerät ein. Wenn ich jetzt nur um die Ecke schauen könnte …

»Das wirst du noch bereuen!«, höre ich eine klare, geschliffen modulierte Frauenstimme, die mir vage bekannt vorkommt, in eisigem Tonfall sagen. »Ich weiß Dinge von dir, die dich deine Karriere kosten können!«

»Pass besser DU auf, Principessa!«, erwidert eine Männerstimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Mit dem würde ich mich an ihrer Stelle besser nicht anlegen. Auch diese Stimme glaube ich von irgendwoher zu kennen.

»Ich bitte dich … nicht hier …«, die zweite Frauenstimme klingt jung, mit einem russischen, rollenden »r«.

Ich will mich gerade näher heranpirschen, um doch kurz um die Ecke zu linsen, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippt.

»Gnädigste, ich will Sie nur ungern stören, aber wollten Sie vorhin nicht in Loge 11 gehen? Das Drama, für das Sie Eintritt bezahlt haben, findet auf der Bühne statt, nicht hier am Gang!«, meint der hagere Opernbedienstete von vorhin mit süffisantem Lächeln.

Da bin ich zwar anderer Meinung, folge ihm aber artig und stecke ihm fünf Euro Trinkgeld zu, während er mir mit einer kurz angedeuteten Verbeugung galant die Tür zur Loge aufhält.

»Wünsche noch einen schönen Abend, gnäʼ Frau!«

Ich atme tief durch, um meinen Puls zu beruhigen, und schlüpfe mit einem kurzen »Grüß Gott« auf den reservierten Sitz hinter meinem Observierungs-Objekt im dunkelblauen Nadelstreifenanzug.

Wie erwartet schenkt man mir keinerlei Beachtung. Der Herr ist wohl gerade etwas abgelenkt, denn seine Hand mit dem blitzenden Ehering wandert direkt auf die pralle Hinterbacke des Scheidungsgrundes.

2

»Die Oper ist erst zu Ende, wenn die dicke Frau zu singen aufhört.«

Ernst Sauer, pensionierter Polizeibeamter

»Mama, Mama, schläfst du etwa immer noch? Solltest du nicht längst im Büro sein? Es ist schon voll spät!«

Vorsichtig öffne ich meine mit Wimperntusche verklebten Augen.

»Da, lies das mal!« Vor mir steht meine Teenagertochter Lisa mit einer dampfenden Kaffeetasse in der einen und der druckfrischen Ausgabe der Täglich Neues in der anderen Hand.

»Und du? Was machst du noch zu Hause? Fällt die Schule heute etwa aus?«, knurre ich morgenmuffelig und greife nach dem Becher und dem Schundblatt, das vorgibt, eine anspruchsvolle Tageszeitung zu sein, und das wir nur deshalb für zwei Monate beziehen, weil meine Mutter spitz auf das Abo-Geschenk war, einen knallgrünen Toaster.

»Quatsch, in der ersten Stunde ist doch nur Religion. Da schauen wir eh immer nur öde Tierdokus. Außerdem zählt Herr Himmelblau nie durch. Das heißt, du musst mir nicht mal eine Entschuldigung schreiben, gut was?«, grinst mich Lisa breit an.

Nachdenklich mustere ich meine Tochter.

Seit die leidige Zahnspange weg ist, strahlt Lisa noch mehr. Ich spüre einen kurzen schmerzhaften Ruck im Herzen, während ich das kleine freche Ding im übergroßen Sweatshirt betrachte. Ihr neues Lächeln lässt schon die hübsche Frau erahnen, die sie einmal werden wird. Wann ist sie so groß geworden?

»Da, schau mal auf der Titelseite, Mama. Warst du nicht gestern erst in der Oper in Madame Butterfliege?«, schwafelt mein Kind weiter auf mich ein.

»Ja, war ich!«, gähne ich und strecke mich.

Mein Blick fällt auf die rote Leuchtanzeige meines altmodischen Radioweckers.

Ich blinzle erschrocken. Mist, schon 8:30 Uhr.

Allmählich sollte ich in die Gänge kommen. Wenn ich heute wieder zu spät in der Arbeit bin, gibt es garantiert Ärger. Da nützt es mir auch nichts, dass ich in puncto spontaner Ausreden mittlerweile ähnlich kreativ bin wie meine Tochter. Davon abgesehen habe ich von Ausfall der U-Bahn bis Zahnarzt dieses Jahr leider schon alles durch.

Alles, bis auf die Wahrheit. Dass ich mir nämlich in meinem Nebenjob als Privatdetektivin mit Spezialgebiet »Observierung untreuer Ehemänner« in letzter Zeit zu viele Nächte um die Ohren schlage und deshalb oft das morgendliche Weckerklingeln überhöre.

»Opa hat doch immer gesagt, die Oper ist erst aus, wenn die dicke Frau aufhört zu singen. Und die Alte da singt garantiert nicht mehr!«

»Man sagt nicht Alte und auch nicht dicke Frau. Was ist das für eine sexistische Gangstersprache? So haben wir dich nicht erzogen«, rüge ich meine Tochter, was ihr aber nur ein halbherziges, entschuldigendes Grinsen entlockt.

Mit einem Sprung hechtet sie zu mir ins Bett, kuschelt sich an mich und deutet mit ihrem quietschpinken Fingernagel auf den Leitartikel.

»Lies doch endlich, Mama!« Ich kneife die Augen zusammen und starre auf die Titelseite der Schundzeitung. Vor Schreck rutscht mir fast der Kaffeebecher aus der Hand.

Unter der Überschrift Ausgeträllert – Die tote Diva prangt das vollflächige Foto der Opernsängerin Francesca Cuttolini in edler bodenlanger Robe.

»Alle Infos zum Unglück finden Sie auf Seite 6«, liest meine Tochter mit bedeutungsschwangerer Stimme.

Hektisch blättere ich durch die Zeitung und habe dabei noch immer das Duett, das Francesca Cuttolini am Ende des ersten Aktes mit dem schönen brünetten Tenor gesungen hat, im Ohr: »Wollt Ihr mich nun lieben, ein ganz klein wenig lieben …«

Wie wehmütig-schön Francesca es gestern Abend interpretiert hat.

Was ist nur passiert?

Mit zusammengekniffenen Augen betrachte ich das kleine Schwarz-Weiß-Foto der Feststiege. Liegt da etwas am Boden? Leider sehe ich ohne meine Kontaktlinsen nur einen verschwommenen Fleck, und die Bildunterschrift kann ich auch nicht lesen. Mit unwilligem Knurren angle ich auf dem Nachttisch nach meiner Brille.

Der unscharfe Fleck entpuppt sich als die Leiche von Francesca Cuttolini, die man diskret mit einem schwarzen Tuch bedeckt hat.

»Die Polizei geht von einem tragischen Unfall aus«, lese ich, und dass auf dem obersten Absatz der Feststiege Francescas linker Schuh gefunden wurde.

»Wahrscheinlich ist sie an einer Teppichfalte hängen geblieben und kopfüber hinuntergestürzt. Kann halt nicht jede auf hohen Schuhen laufen, sogar Models haben da ihre Probleme«, meint meine Tochter flapsig.

»Die Arme! Erinnert mich ein bisschen an Aschenputtel. Nur, dass das gute Aschenputtel am Ende einen Prinzen und keinen gebrochenen Hals hatte!«, schaltet sich nun auch meine Mutter in die Unterhaltung ein, die in buntes Lycra gehüllt in mein Schlafzimmer kommt. Geschmeidig lässt sie sich auf den Läufer vor meinem Bett sinken und beginnt, angefeuert von Lisa, ihre morgendlichen Sit-ups zu machen.

Seit dem Tod meines Vaters vor zwei Jahren und ihrer Pensionierung ist sie für meinen Geschmack etwas zu hyperaktiv.

Seufzend versuche ich mich zu konzentrieren. Sosehr es mich freut, dass sie etwas für ihre Fitness tut, so sehr stört mich der Lärm, denn ich muss dringend nachdenken. Mein Hirn beginnt trotz der frühen Stunde zu rattern, irgendetwas wurmt mich und drängt an die Oberfläche.

»Achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig! Geschafft Oma!« Lisa klatscht begeistert in die Hände.

Meine Mutter springt wie ein junges Reh auf und tätschelt ihren flachen Bauch. Sie ist wahrscheinlich die einzige Siebenundsechzigjährige, die wirklich bikinifit ist.

»Ich hoffe, sie geben ihr ein schönes Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof. Wäre sie mal besser vor zwei Jahren gestorben, als ich noch im Verein zur Gräberpflege war, dann hätte ich ihr ein gutes Plätzchen zuschanzen können!«, meint meine Mutter bedauernd.

Meine Hände hinterlassen feuchte Fingerspuren auf der Tageszeitung, so sehr schwitze ich plötzlich. Passiert ist der Unfall lange nach der Vorstellung. Wahrscheinlich gegen Mitternacht, wird der Gerichtsmediziner zitiert.

»Gib mir mal meine Handtasche, Mäuschen«, flüstere ich in Richtung Lisa. Mir kommt gerade ein böser Verdacht.

Da klingelt es an der Tür.

»Ich mach auf«, kräht meine Tochter.

Gleich wird unser Frauen-Quartett komplett sein.

Wie erwartet taucht Lisa wenig später mit der Gräfin im Schlepptau auf, die sich zu ihrem Missfallen laut österreichischem Adelsaufhebungsgesetz nur »Cosima Caecilia Waldenstein« nennen darf. Das »von« darf sie offiziell nicht mehr verwenden.

Wie ein ungeduldiges Rennpferd trippelt die schlanke, hochgewachsene Frau in Sporthose und Tanktop vor meinem Bett auf und ab. Und wie immer, wenn ich sie sehe, bin ich froh, dass meine Mutter sich vor zwei Jahren beim Yoga mit ihr angefreundet hat. Denn Cosima ist eine unverwechselbare Mischung aus weltoffener Kosmopolitin, männerumgarnendem Vamp und Mädchen von nebenan. Dabei immer ein klein wenig versnobt, doch mit dem Herz am rechten Fleck.

»Bereit fürs Yoga, Theresa?«, fragt sie in Richtung meiner Mutter. »Ich parke im Halteverbot! Bitte beeil dich!«

Die Gräfin hasst es zu warten. Fahrig streicht sie sich eine blonde Strähne zurück, die sich aus ihrem akkuraten Zopf gelöst hat. Ihre Wangen sind sanft gerötet, und ihre Haut ist auch ohne Make-up makellos. Wenn ich sie nicht so mögen würde, wäre ich auf ihre mühelose Schönheit, die ihr gar nicht bewusst zu sein scheint, eifersüchtig. Ihr wirkliches Alter verrät sie niemandem, aber ich vermute, dass sie in etwa so alt ist wie ich.

Ihre blauen Augen richten sich nun wie zwei helle Suchscheinwerfer auf mich. »Samantha, du bist noch im Bett? Um diese Zeit, hast du heute frei? Ah, ich sehe, ihr habt es schon gelesen. Furchtbar, eine Katastrophe, die arme Francesca! Und dumm für mich, ich habe Karten für Madame Butterfly übermorgen. Die Zweitbesetzung soll sehr ambitioniert, aber natürlich weit nicht so gut sein!«

»Ich verstehe das nicht. Wie kann die Oper einfach business as usual machen? Ich hätte doch angenommen, dass sie die nächste Aufführung aus Pietätsgründen ausfallen lassen!« Meine Mutter ist ehrlich empört, und hektische rote Flecken breiten sich auf ihren Wangen aus, eine Familienkrankheit.

Ich hebe den Finger an die Lippen, um ihren Redefluss zu unterbrechen. Hastig greife ich nach der Handtasche, die mir meine Tochter hinhält, und krame darin nach dem Aufnahmegerät. Dann spule ich an den Anfang zurück und drücke mit zitternden Fingern auf Play.

Wie konnte ich gestern nur so dumm sein?

Wie konnte ich ihre einzigartige Stimme nicht sofort erkennen? Ich habe doch neulich erst ein ausführliches Radiointerview mit ihr gehört.

»Ich weiß Dinge von dir, die dich deine Karriere kosten können«, schallt die Stimme von Francesca Cuttolini kraftvoll, klar und äußerst lebendig durch mein Schlafzimmer.

3

»Lügner haben krumme Beine.«

Lisa Sauer, Teenager

»Und Frau Sauer, hat der böse Mann gebohrt?«

»Wie bitte?« Was für eine indiskrete Frage! Sehr wahrscheinlich schon, aber bei meinen nächtlichen Observierungen ist immer spätestens vor der Hoteltür Schluss. Ich bin zwar sehr neugierig – aber alles muss ich wirklich nicht sehen.

»Erde an Frau Sauer. Hat er gebo-ohrt?«

Die Zornesader auf der Stirn von Engelbert Mayer tritt mit jeder Sekunde, die ich etwas ratlos vor mich hin schweige, stärker und blauer hervor. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis bei mir endlich der Groschen fällt.

Reflexartig schiebe ich die Topfengolatsche, in die ich gerade hungrig beißen wollte, unter einen Papierstapel. Beinahe hätte ich vergessen, dass ich heute früh offiziell beim Zahnarzt war.

Ein Notfall, mal wieder.

Ich nicke hastig und fahre mit der anderen Hand zu meiner rechten Backe und lisple: »Unten lechts, neue Lüllung«, und versuche mich an einem leidvollen Blick.

Ich muss wirklich besser aufpassen. Meine nächtlichen, kräfteraubenden Aktivitäten wirken sich mittlerweile negativ auf meine Konzentrationsfähigkeit aus – heute ganz besonders.

Eiseskälte kriecht über meinen Rücken, schließlich wird man nicht jeden Tag unsichtbarer Zeuge eines Pre-Mortem-Dialogs. Ich muss in der Mittagspause unbedingt zur Polizei gehen und meine Aussage zu Protokoll geben.

»Sie wirken in letzter Zeit oft etwas abwesend, und Ihre Fehlstunden häufen sich, Frau Sauer. Bekommen Sie das besser mal rasch in den Griff! Sonst müssen wir uns leider von Ihnen trennen«, schnarrt mein Boss Herr Mayer unheilvoll, der in dritter Generation das Maklerbüro in der Wiener Innenstadt führt und gerne im Pluralis Majestatis von sich spricht.

Seine dicken Hamsterbacken scheinen von innen zu glühen, und er beginnt vor meinem Schreibtisch mit seinen kleinen Lackschuhfüßchen hektisch auf und ab zu wippen.

Das mit dem Wippen macht er nur, wenn er extrem aufgebracht ist, also in letzter Zeit fast täglich. Auf seiner hohen Stirn glänzen Schweißtropfen. Er langt in die Brusttasche seines Tweedblazers und zieht ein leicht zerknittertes Stofftaschentuch heraus, schnäuzt sich lautstark und tupft dann gedankenverloren auf seiner Stirn herum.

Fassungslos starre ich ihn an. Ob ich etwas sagen soll?

Ich räuspere mich.

»Herr Mayer, Sie haben da etwas …«, setze ich an, doch er fällt mir harsch ins Wort.

»Wir haben ab heute zwei neue Wohnungen im Repertoire: eine etwa siebzig Quadratmeter große Wohnung mit Balkon im wunderschönen Hietzing, ganz in der Nähe des Schönbrunner Tierparks. Und eine große Wohnung mit Dachterrasse gleich hier um die Ecke, in der Riemer Gasse. Eine echte Traumwohnung! Beste Innenstadtlage.« Er lächelt verklärt, Immobilien sind seine ganz große Leidenschaft.

»Die beiden Exposés müssen bis heute Nachmittag fertig sein. Den Grundriss, den Energieausweis und ein paar Fotos erhalten Sie noch am Vormittag von mir. Und bitte vergessen Sie nicht wieder, die beiden Objekte auch auf unsere Webseite zu stellen. Ach ja, und wenn Sie schon dabei sind, einen Newsletter an unsere Interessentenliste könnten Sie auch gleich versenden. Und jetzt ran an die Arbeit! Wir wollen doch keine Zeit verlieren!«, bellt Herr Mayer und verlässt mit Schmodderspuren auf der Stirn energisch mein Büro.

Seufzend reibe ich meine brennenden Augenlider und fahre meinen Laptop hoch.

Engelbert Mayer hat natürlich guten Grund, wütend zu sein, denn in letzter Zeit verbringe ich mehr Zeit in Restaurants, Hotellobbys und Bars als in meinem Bett.

Aber was soll ich tun? Meine Buchungslage als Privatdetektivin mit Spezialgebiet fremdgehende Ehemänner wächst dank meiner hohen Wiederempfehlungsquote einfach rasant an.

Scheidungswillige Frauen reichen meine Visitenkarte im Sportstudio diskret mit den Worten weiter: »Wenn du deinen Mann erwischen willst, engagiere Samantha, den weiblichen Bluthund!«

So behauptet das zumindest meine Mutter, die ich manchmal im Verdacht habe, mit meinen Visitenkarten Kaltakquise in ihrer Yoga-Gruppe zu betreiben. Zumal sie mich in letzter Zeit immer wieder fragt, ob sich ein stilisierter Hund mit spitzen Zähnen nicht toll als mein Firmenlogo machen würde.

Ich schreibe meiner Mutter eine Nachricht, dass ich sie um 12 Uhr vor dem Landeskriminalamt treffe, und wende mich seufzend dem ersten Exposé zu.

Eine Hundertfünfzig-Quadratmeter-Wohnung in der Innenstadt mit vierzig Quadratmetern Dachterrasse, Concierge-Service und Whirlpool wird für mich als alleinerziehende Mutter mit zahlungsfaulem Ex-Mann wohl immer ein Traum bleiben. So viele untreue Männer gibt es in ganz Wien nicht!

Aber ich will nicht undankbar sein, denn eigentlich funktioniert unser Drei-Generationen-Frauenhaushalt ganz gut, und dank meiner Mutter habe ich immer eine kostenlose, liebevolle Aufpasserin für Lisa, wenn ich nachts mal wieder on tour bin. Mein Magen grummelt laut. Rasch beiße ich nun doch in die Topfengolatsche und schiele dabei angstvoll zur Tür.

Hoffentlich taucht Herr Mayer nicht plötzlich wieder auf.

Ich richte meine Augen auf den Bildschirm und versuche mich zu konzentrieren, aber die Buchstaben vor meinen Augen verschwimmen. Der gestrige Abend sitzt mir einfach noch in den Knochen, meine Gedanken schweifen immer wieder ab.

Ich öffne das leicht quietschende weiße Holzrahmenfenster, atme tief durch und schließe für einen Moment die Augen, während die beruhigende Geräuschkulisse aus schnatternden asiatischen Touristen, hupenden Autos und Pferdehufklappern von den vorbeifahrenden Fiakern zu mir in den vierten Stock schwebt.

Das Beste an meinem Job ist die Top-Lage des Maklerbüros direkt im Herzen von Wien in der Walfischgasse, einer Quergasse zur Kärntner Straße, der noblen Flaniermeile und Beginn der Fußgängerzone.

Nur wenige Meter von meinem Büro entfernt ist mein Lieblingsgasthaus, das Plachutta bei der Oper, das das beste Wiener Schnitzel und den besten Erdäpfelsalat serviert und einen fantastischen Tafelspitz kocht. Und einen Apfelstrudel, der fast so gut schmeckt wie der von meiner seligen Oma. Mein Magen grummelt immer noch. Die Topfengolatsche war einfach zu klein.

Ich lehne mich weit aus dem Fenster und habe nun gute Sicht auf eines der schönsten Gebäude der Stadt.

Die Wiener Staatsoper.

Nachdenklich blicke ich auf das vor über hundertzwanzig Jahren eröffnete Wiener Kulturdenkmal mit dem einprägsamen grünen Dach. Im Renaissancestil erbaut, wurde es nach einem Brand während des Zweiten Weltkriegs renoviert.

Ich schlucke.

Neben den Männern mit den weißen Zopfperücken und den roten Mozartkostümen, die wie jeden Tag versuchen, Konzerttickets an die vorbeiströmenden Wien-Besucher aus aller Welt zu verkaufen, parkt gerade ein TV-Übertragungswagen ein.

Bestimmt eine Meute internationaler Journalisten, die auf die Pressekonferenz oder eine offizielle Erklärung seitens der Oper warten.

Ein kalter Schauder läuft mir über den Rücken.

Francesca ist noch keine zehn Stunden tot, aber die Geier kreisen bereits sensationslüstern um die Oper.

Andererseits, wer kann es ihnen verdenken?

Es stirbt ja nicht jeden Tag eine weltbekannte Diva.

Mit lautem Knall schließe ich das Fenster und widme mich endlich meiner Arbeit.

4

»Es ist noch keine Leiche vom Himmel gefallen.«

Theresa Sauer, pensionierte Polizeibeamtin und ehemaliges Mitglied des Vereins zur Gräberpflege des Zentralfriedhofs

Aufgeregt marschiere ich vor dem Landeskriminalamt auf und ab und blicke immer wieder auf mein Handy.

Es ist schon 12:17 Uhr!

Meine Mutter und ich waren für Punkt 12 Uhr hier verabredet, aber wie immer nimmt sie es mit der Pünktlichkeit nicht ganz so genau.

Nervös kaue ich an meiner Unterlippe, das wird knapp.

Ich habe nur eine Stunde Mittagspause, keinesfalls darf ich heute noch mal zu spät kommen und mir den Unwillen von Engelbert Mayer zuziehen.

Doch da sehe ich sie schon auf schicken blauen Turnschuhen um die Ecke flitzen. Und wie immer bin ich stolz, dass die attraktive Frau mit dem strahlenden Lächeln meine Mutter ist.

»Sorry Kindchen, Cosima wollte nach dem Yoga noch auf einen Kaffee gehen. Außerdem musste ich noch kurz rumtelefonieren, wer den Cuttolini-Fall gerade bearbeitet«, ruft sie mir laut entgegen. Meine Mutter hat als pensionierte Polizeibeamtin im Innendienst und als Witwe eines angesehenen Kriminalisten noch immer gute Kontakte zur Wiener Polizei.

»Wer ist es denn?«, will ich wissen und habe Mühe, ihr zu folgen, da sie ihr Tempo von null auf hundert wie ein Rennwagen beschleunigen kann. »Ein ehemaliger Kollege von Vati?«

»Nein, ein Neuer. Er kommt aus Salzburg, Stephan Müller. Ich habe ihn gegoogelt, sieht nett aus!« Sie stoppt und mustert mich kritisch von Kopf bis Fuß.

»Sehr nett sogar. Dunkel, sportlich, Bart. Und das Beste: Auf dem Bild trägt er keinen Ehering!«

Ich sehe förmlich, wie ihr Hirn die Puzzlesteine Mann – attraktiv – ledig – Tochter – attraktiv – ledig verarbeitet. Während sie mich kritisch scannt, tritt ein breites Lächeln auf ihre Lippen.

»Zieh mal rasch deine Jacke aus, Schatz, ist dir nicht heiß?«

»Nein, alles genau richtig!« Es ist ein milder Frühlingstag mit vielleicht 19 Grad.

»Ach was!« Sie zupft energisch an den Ärmeln meines bequemen weiten Blazers, bis ich leicht knurrend nachgebe und hinausschlüpfe. Mit zufriedenem Lächeln streicht sie mein T-Shirt zurecht.

»Sehr schön. Und jetzt noch etwas frische Farbe.«

Sie fingert in ihrer Handtasche herum und zückt schließlich breit grinsend einen rosa Lipgloss.

»Ernsthaft, Mama?« Seufzend tupfe ich mir nachlässig etwas von dem klebrigen Zeug auf die Lippen. Protest ist bei meiner Mutter ohnehin sinnlos.

»Die Farbe steht dir wirklich gut! Du siehst so frisch aus. Solltest du ruhig öfter tragen.«

Meine Mutter ist äußerst willensstark und hat es sich wie jede Mutter ins Stammbuch geschrieben, mich in jeder Lebenslage zu unterstützen. Gerne auch gegen meinen Willen.

»Husch, mein Hase. Der Herr Inspektor wartet!«

Innerlich mit den Zähnen knirschend folge ich ihr. Sie kann es einfach nicht lassen und mag nicht verstehen, dass ich keinen neuen Mann will. Ebenso wenig wie ihre Verkuppelungsversuche, die ohnehin immer im völligen Desaster enden. Woran ich ihrer Meinung nach nicht ganz unschuldig bin, weil ich mich bei Dates angeblich absichtlich immer von meiner schlechtesten Seite zeige.

Aber für eine lange Diskussion fehlt mir heute die Zeit und die Energie.

Zum Glück sind die Verkuppelungsversuche in letzter Zeit ohnehin etwas weniger geworden. Was wohl daran liegt, dass mir nach einem besonders miesen Date ordentlich der Kragen platzte.

Ferdinand, der unverheiratete Sohn einer Freundin der Gräfin, entpuppte sich live und in Farbe aus gutem Grund als unvermittelbar. Im Nachhinein betrachtet weiß ich nicht, was schlimmer war, die langweiligen Endlos-Monologe des blassen Mannes mit den wässrigen Glupschaugen oder sein notgeiler Rauhaardackel Theobald, der in regelmäßigen Abständen versuchte, meine Wade zu rammeln.

Eigentlich dachte ich, meine Mutter hätte endlich verstanden, dass ich seit meiner Scheidung mit Männern nichts mehr am Hut habe, aber dieser Stephan Müller scheint einen akuten Rückfall bei ihr auszulösen.

»Du weißt, dass ich keinen Mann will, bis Lisa aus dem Gröbsten heraus ist«, knurre ich sie an.

»Und wann ist das, Schatz? In fünf Jahren bei ihrer Matura? Oder besser erst in zehn nach dem Studium?«

Ich zucke die Schultern.

Das mit mir und einem neuen Mann eilt nicht wirklich.

Ich genieße es, Lisa für mich zu haben, die nur sporadisch von ihrem Erzeuger zu Ausflügen abgeholt wird und stets heilfroh ist, dann wieder in unsere vergleichsweise ruhige Wohnung zurückzukommen, wo sie Horrorgeschichten von ihrem laut plärrenden, einjährigen Halbbrüderchen erzählt.

Schadenfroh kichere ich bei dem Gedanken, wie mein Ex-Mann nachts aus seinem kostenbaren Schönheitsschlaf gerissen wird, in mich hinein. Hätte er sich halt keine jüngere Frau genommen, die noch Kinder will.

Ich versuche, mit meiner Mutter Schritt zu halten, die, nachdem wir die Sicherheitskontrolle am Eingang passiert haben und bei Stephan Müller telefonisch angekündigt wurden, wie von der Tarantel gestochen den langen Gang entlang sprintet.

Ich folge ihr wesentlich bedächtiger, während die vielen Erinnerungen an früher wie Regentropfen auf mich einprasseln.

Wie oft bin ich hier als Kind die Gänge mit meinem quietschenden Dreirad auf und ab gefahren, was natürlich – rein theoretisch – streng verboten war.

Aber mein Papa schleuste mich immer ein, wenn er an einem besonders komplizierten Fall auch am Samstag arbeiten musste. Und mir war es egal, wo ich spielte. Hauptsache, ich war in seiner Nähe.

Ich wische ärgerlich eine dicke Träne von meiner Wange.

Gott, wie sehr vermisse ich meinen Papa. Sein lautes tiefes Lachen, seinen schwarzen Humor und seine bärige, beruhigende Umarmung, die mir immer das Gefühl gab, das mir nichts wirklich Schlimmes im Leben passieren kann, weil er da war, um mich zu beschützen.

Was für ein Kontrast zu meiner hektischen Mutter.

»Komm schon, Kindchen, schleich nicht so lahm herum! Ha, da ist es!« Abrupt bremst sie vor Zimmer Nr. 22 ab.

Und dann macht sie etwas, was mich schon als Kind in den Wahnsinn getrieben hat.

Mit spitzen Knöcheln klopft sie stakkatoartig dreimal an die Tür, um, ohne eine Antwort abzuwarten, im selben Moment die Tür aufzureißen.

Mit Schaudern denke ich an die kompromittierenden Szenen meiner frühen Teenagerzeit. Und die entsetzten Augen meines jeweiligen Freundes, wenn meine Mutter plötzlich ohne Vorwarnung mitten im Kinderzimmer stand und uns beim Küssen oder ersten zaghaften körperlichen Annäherungen erwischte.

Selbstsicher betritt sie nun das Büro von Stephan Müller, das nur aus deckenhohen, dunklen Holzschränken und einem riesigen, in die Jahre gekommenen Tisch zu bestehen scheint.

Und aus Akten. Bergen von Akten, die scheinbar wahllos verstreut im ganzen Raum herumliegen. Auf dem Fensterbrett, auf zwei Sesseln, auf dem Boden, auf dem Schreibtisch – überall stapeln sich Unterlagen. Manche mit, manche ohne Staubschicht. Das papierlose Büro ist hier wohl nicht zu finden.

Ich lasse meinen Blick neugierig herumschweifen, ob sich der von meiner Mutter angepriesene Stephan Müller hinter einem der Aktenstapel vor uns versteckt, denn entdecken kann ich ihn in all dem Chaos nicht.

Ich befreie einen Stuhl von einem staubigen Aktenstapel und schichte ihn vorsichtig auf einen freien Platz auf dem ebenfalls nicht sehr sauberen Parkettboden. Dann suche ich mein Aufnahmegerät heraus, um bereit zu sein, und dann sehe ich es: An der Pinnwand hinter dem Schreibtisch hängen Fotos von Francesca Cuttolini, mal mit einer Decke zugedeckt, wie in der Zeitung abgebildet, mal ohne.

O mein Gott. Ihr Hals ist völlig verdreht, ein Fuß in ungesundem Winkel abgeknickt. Beim Sturz muss sie sich eine üble Platzwunde am Hinterkopf zugezogen haben.

Schlagartig wird mir etwas schummerig, und ich bin froh, dass ich bereits sitze, denn ich kann kreislauftechnisch leider kein Blut sehen, manchmal wird mir sogar richtig übel. Was auch der Grund war, warum ich meine Ausbildung zur Polizeibeamtin vorzeitig abbrechen musste. Denn wer braucht schon eine Beamtin, die jedes Mal ohnmächtig neben der Leiche zu Boden sinkt, nachdem sie den Tatort zuvor reichlich mit ihrer DNA verunreinigt hat?

Wie damals in der Anatomie des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Angeblich erzählt Prof. Dr. Sägebrecht, der Leiter des Pathologischen Instituts, seinen Studenten immer noch gerne die Geschichte der Polizeianwärterin Samantha Sauer, die während einer Obduktion mitten auf die Leiche kotzte.

Ich atme tief in den Bauch und versuche, meine Atmung zu beruhigen, wie ich es in einem YouTube-Entspannungsseminar gelernt habe, als ich Schritte hinter mir höre.

»Ist Ihnen nicht gut? Hier, trinken Sie erst mal einen Schluck!«

Vor meinen Augen taucht ein gebräunter, muskulöser Männerunterarm mit einem Glas Wasser auf. Dankbar nehme ich einen großen Schluck.

»Schon besser. Ich kann leider einfach keine Leichen, Blut oder Ähnliches sehen! Ich muss mich schon beim Tatort beinahe übergeben! Ich meine, mir wird schlecht … egal.«

Ich richte meinen Blick verlegen gen Boden.

Gott, was bin ich manchmal ungefragt mitteilungsbedürftig. Ist doch egal, warum mir gerade schlecht ist.

»Na, an den Anblick von Blut und Leichen gewöhnt man sich wirklich nur schwer. Ich bin jetzt über zwanzig Jahre bei der Polizei, und sogar mir dreht sich manchmal noch der Magen um!«

Ich will gar nicht erst zu meiner Mutter hinsehen, die bestimmt gerade zufrieden grinst. Ich kann ihre Gedanken förmlich in meinem Kopf hören: Volltreffer! Gut aussehend und nett!

Ich straffe meine Schultern, blicke nun doch neugierig auf und muss ihr recht geben. Was ich sehe, ist ein dunkelhaariger Mann in seinen Vierzigern in einem engen weißen T-Shirt, das er gut tragen kann, weil er anscheinend wie meine Mutter viel Sport macht.

Er hat einen gepflegten Vollbart und keinen Ehering am Finger. Das tut hier zwar nichts zur Sache, dient aber der Momentaufnahme aller Fakten.

Mit blitzblauen Augen mustert er stirnrunzelnd, aber nicht unfreundlich, die kalkweiße Frau in seinem Büro.

Nun gut, gestehe ich mir stumm ein, dann ist er eben attraktiv. Aber so umwerfend, wie der verklärte Gesichtsausdruck meiner Mutter zeigt, ist er nun auch wieder nicht.

»Mein Name ist Samantha Sauer, und das ist meine Mutter Theresa Sauer. Wir sind hier, um wichtige Beweise im Mordfall Francesca Cuttolini vorzubringen!«, presse ich mit leicht krächzender Stimme hervor.

Das Foto der Leiche von Francesca Cuttolini und ihr verdrehter, gebrochener Hals bereiten mir immer noch Übelkeit.

»Das ist ein Missverständnis. Wir ermitteln nicht in einem Mordfall, sondern müssen erst alle Fakten checken!«, kommt es knapp und etwas schroff vom Inspektor zurück, der nun nicht mehr ganz so zuvorkommend wirkt.

Die Temperatur im Raum scheint schlagartig zu sinken.

»Wir gehen aktuell von einem Unfall aus, wie es heute auch schon in der Presse stand. Was wollen Sie also hier?«, schnappt er. Er dreht uns den Rücken zu und betrachtet eingehend die Fotos der Operndiva. Rasch wende ich den Kopf ab.

»Warum hängen dann in Ihrem Büro die Fotos von Francesca Cuttolini?«, gibt meine Mutter zurück. »Und warum beschäftigt sich das Landeskriminalamt damit, wenn es nur ein Unfall war? Ist das jetzt neuerdings so üblich?« Meine Mutter natürlich.

Noch ehe sie aus ihrem langjährigen Berufsalltag anfängt oder wie toll mein Vater als Ermittler war, schalte ich mich rasch ein.

»Wir möchten Ihre kostbare Zeit nicht zu lange in Anspruch nehmen, Herr Müller«, sage ich in versöhnlichem Tonfall. »Ich bin gestern kurz vor dem …«, ich schlucke das Wort Mord, auf das er so seltsam allergisch reagiert hat, hinunter, »… dem tragischen Ereignis Zeugin einer heftigen Auseinandersetzung in der Oper geworden. Und zufällig habe ich diesen Streit mit einem Aufnahmegerät aufgezeichnet!«

»So, so, wie spannend!« Der Inspektor lässt sich in seinen Bürosessel fallen und lehnt sich mit verschränkten Armen zurück.

»Wollen Sie es sich nicht wenigstens kurz anhören, es könnte für den Fall wichtig sein!« Meine Stimme klingt fast flehend.

»Es gibt keinen Fall! Nur einen Unfall, sind Sie schwerhörig? Und überhaupt, bespitzeln Sie regelmäßig unschuldige Menschen, ist das Ihr Hobby?« Seine Faust saust auf den Tisch. Kleine Staubwölkchen wirbeln auf und kitzeln in meiner Nase.

Seine Augen funkeln wütend und sind eine ganze Nuance dunkler geworden.

»Ja, ich mache das regelmäßig. Und lassen Sie sich eines gesagt sein: Die Menschen sind meist nicht unschuldig«, entgegne ich spitz.

»Meine Tochter ist nämlich Privatdetektivin!«, wirft meine Mutter mit stolzgeschwellter Brust ein. »Spezialgebiet untreue Ehemänner! Sie kriegt echt jeden dran!«

»Das tut jetzt nichts zur Sache, Mama!«, unterbreche ich sie mit brennenden Wangen.

»Ich habe hier auf dem Tonband einen möglichen Beweis, dass es kein Unfall war!«, betone ich energisch.

Stephan Müller zeigt endlich so etwas wie minimales Interesse und hebt fragend eine Augenbraue. Ich straffe meine Schultern, taste nach dem Aufnahmegerät und drücke auf Play.

Die Aufnahmequalität ist glasklar.

Zufrieden schaue ich ihn an, doch leider zeigt sein Gesicht keinerlei Regung. Zur Sicherheit spiele ich das Tonband noch mal ab. Und noch mal.

»Sie erkennen die Stimme doch …?«

Der Polizeiinspektor verzieht keine Miene.

»Was soll das beweisen?«, knurrt er schließlich schulterzuckend nach einer gefühlten Ewigkeit.

Hat der Mann Tomaten auf den Ohren?

»Aber das ist doch Francesca Cuttolini, die mit einem Mann streitet. Und ihm mit dem Ende seiner Karriere droht!«, werfe ich ein.

»Ob das Francesca Cuttolinis Stimme ist, kann ich so nicht sicher sagen. Das müssten wir erst in der Kriminaltechnik analysieren. Was wir jedoch nicht tun werden, weil es ein Unfall war.«

Seine Stimme ist laut geworden.

»Und überhaupt, was soll das beweisen, streiten Sie nie mit Ihrem Mann?«

Ich sehe, wie meiner Mutter der Mund aufklappt, um ihn darüber zu informieren, dass ich Single bin, und ergreife rasch wieder das Wort.

»Das ist doch was völlig anderes. Der Mann wird von ihr eindeutig bedroht. Seine Karriere steht auf dem Spiel. Sein Ruf, seine Zukunft …« Ich schnappe nach Luft, wenn das mal kein Grund ist auszurasten, also rein theoretisch.

»Ich weiß nicht, wie oft ich es noch sagen soll: Es war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Unfall. Francesca Cuttolini hat, wie Sie sicher der Presse entnommen haben, nach der erfolgreichen Vorstellung mit Kollegen in der Garderobe noch etwas getrunken, was sie gerne tut. Wie viel Alkohol sie im Blut hatte, wissen wir noch nicht, die Leiche wird gerade erst gerichtsmedizinisch untersucht. Was wir aber wissen, ist, dass sie vermutlich gegen Mitternacht, als alle schon längst die Oper verlassen hatten, leicht unsicher auf den Beinen, mit einem Stöckelschuh am Teppichabsatz hängen geblieben und kopfüber die Treppe hinabgestürzt ist. Ein Sturz über zwanzig Treppenstufen – ein gebrochenes Genick. Dumm gelaufen für die Diva. Aber das ist alles.«

»Ruckedigu – Blut ist im Schuh! Armes Aschenputtel!«, seufzt meine Mutter.

»War es das?« Seine Stimme klingt kalt.

Er klappt seinen Laptop auf und beginnt flott zu tippen.

Ich bin enttäuscht. Will er meine Aussage gar nicht zu Protokoll nehmen? Oder zumindest eine Kopie von der Aufnahme machen?

»Ja, das war es!«, schnappe ich.