Auslegung des Johannes-Evangeliums - Johannes Calvin - E-Book

Auslegung des Johannes-Evangeliums E-Book

Johannes Calvin

0,0
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Johannes Calvin (10. Juli 1509 - 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden "Unterweisung in der christlichen Religion" schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. Das vorliegende Werk umfasst seine umfassende Auslegung des Evangeliums nach Johannes.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1041

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Auslegung des Johannes-Evangeliums

 

JOHANNES CALVIN

 

 

 

 

 

 

 

Auslegung des Johannes-Evangeliums, J. Calvin

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663261

 

Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.

 

27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 88 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA. https://www.europeana.eu/de/item/2058612/PMRMaeyaert_16fead07e8996dcbd60da88cca95ccf87548caf4

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Einleitung. 1

Kapitel 1.3

Kapitel 2.43

Kapitel 3.58

Kapitel 4.87

Kapitel 5.116

Kapitel 6.144

Kapitel 7.181

Kapitel 8.206

Kapitel 9.236

Kapitel 10.258

Kapitel 11.279

Kapitel 12.301

Kapitel 13.331

Kapitel 14.350

Kapitel 15.370

Kapitel 16.389

Kapitel 17.411

Kapitel 18.430

Kapitel 19.448

Kapitel 20.467

Kapitel 21.490

 

Einleitung

 

Das griechische Wort „Evangelium“ bedeutet „frohe Botschaft“. In der Bibel hat es den engeren Sinn der bestimmten frohen Botschaft, dass uns in Christo die Gnade Gottes geschenkt werden soll, - uns ein Antrieb, die Welt mit ihren vergänglichen Gütern und Genüssen zu verachten und statt dessen mit herzlichem Verlangen dies unvergleichliche Gut zu begehren und zuzugreifen, wenn es uns angeboten wird. Weltlich gesinnte Leute geben sich bei den eitlen Vergnügungen der Welt zügelloser Freude hin, haben jedoch gar kein oder nur ganz wenig Gefühl für geistliche Güter. Ja, wohl bei uns allen ist das angeborene Art. Diese Übel will Gott entgegentreten. Deshalb bezeichnet er gerade die Verkündigung Christi mit dem Namen „Evangelium“. Dadurch will er uns darauf aufmerksam machen, dass nirgend anderswo wahre und dauernde Freude zu haben ist; bietet er uns doch ins seinem Sohne alles, was zu einem glückseligen Leben gehört. Einige dehnen die Bezeichnung „Evangelium“ aus auf sämtliche hie und da im Gesetz und in prophetischen Büchern vorkommende Gnadenanerbietungen Gottes. Unbestreitbar bietet Gott jedes Mal, wenn er ihnen die Sünden vergibt, eben damit den Heiland an, dessen Eigenart es ist, allenthalben, wo er sich zeigt, das Licht der Freude um sich her zu verbreiten. Insofern haben sicherlich schon die Frommen des alten Bundes das Evangelium gehabt. Aber da der Geist Gottes in der heiligen Schrift die Verkündigung des Evangeliums erst von dem Auftreten Christi an datiert, so bleiben auch wir bei dieser Ausdrucksweise und gehen von unserer obigen Erklärung nicht ab: Evangelium ist die feierliche Verkündigung der in Christo geoffenbarten Gnade.

Deshalb heißt das Evangelium (Röm. 1, 16 f.) eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, weil Gott darin seine Gerechtigkeit offenbart, oder auch (2. Kor. 5, 19 f.) eine Botschaft, durch welche er die Menschen mit sich versöhnt. Christus, das Unterpfand der göttlichen Barmherzigkeit und der Liebe des Vaters zu uns, - das ist der Inhalt des Evangeliums. So haben dann in besonderem Sinne den Namen „Evangelium“ die Geschichten erhalten, welche uns erzählen, wie Christus im Fleische erschienen ist, wie er gestorben, vom Tode auferweckt und endlich wieder in den Himmel aufgenommen worden ist. Man hat auch wohl das ganze neue Testament als das Evangelium bezeichnet, in der Regel jedoch nur den oben genannten Teil desselben. Weil übrigens die nackte Geschichtserzählung nicht genügen würde, ja ohne Heilsbedeutung für uns wäre, so erzählen die Evangelisten nicht bloß, dass Christus geboren ward, starb und den Tod überwand, sondern auch, wozu das alles geschah, und welchen Wert es für uns hat. Ein Unterschied zwischen den Evangelien besteht darin, dass die ersten drei ausführlicher über Jesu Leben und Sterben berichten, während unser Evangelist mehr bei der Lehre verweilt, die uns Christi Amt sowie die Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung darlegt. Matthäus, Markus und Lukas übergehen zwar nicht mit Schweigen, dass Christus gekommen ist, um der Welt das Heil zu bringen, um mit dem Opfer auf Golgatha die Sünden der Welt zu sühnen, überhaupt um nach jeder Seite hin das Amt des Mittlers durchzuführen; ebenso hält sich auch Johannes ab und zu bei der Geschichtsdarstellung auf. Bei ihm tritt jedoch die Lehre, welche uns Kraft und Frucht des Kommens Christi darlegt, weit klarer hervor als bei den anderen. Alle vier haben die Absicht, Christum zu zeigen; man darf wohl sagen: die ersten drei bringen den Leib, Johannes aber die Seele. Unser Evangelium ist der Schlüssel für die drei anderen. Wer den starken Heiland, wie er in diesem Buche uns vor die Seele gemalt wird, ergriffen hat, der wird erst mit Nutzen lesen, was die anderen von ihm berichten. Man glaubt, dass Johannes durch damals verbreitete, wider die Gottheit Christi gerichtete Irrlehren sich zum Schreiben bewogen gefühlt habe, wie das die frühesten Kirchengeschichtsschreiber schon erzählen. Welchen Grund er immer dazu gehabt haben mag, unzweifelhaft hat Gottes Vorsehung mit weitschauendem Blicke dabei über der christlichen Kirche gewaltet. Gott hat den Evangelisten in die Feder gegeben, was sie schreiben sollten, um ein einheitlich geschlossenes Ganzes zustande zu bringen, wozu jeder von ihnen seinen Beitrag lieferte. Unsere Aufgabe besteht darin, die vier wechselweise so untereinander zu vereinigen, dass wir uns von ihnen allen zusammen sozusagen aus einem Munde belehren lassen. Wenn man dem Johannes die vierte Stelle gegeben hat, so hat man dafür die Abfassungszeit in Rechnung gezogen. Beim Lesen hält man besser eine andere Reihenfolge inne. Um nachträglich bei Matthäus und den anderen nachzulesen, dass Christus vom Vater uns gegeben worden ist, lernt man zuerst von Johannes, zu welchem Zwecke er uns geoffenbart wurde.

 

Kapitel 1.

 

V. 1. Im Anfang war das Wort. Mit diesen einleitenden Sätzen predigt Johannes die ewige Gottheit Christi; wir sollen wissen, dass der, welcher sich im Fleisch offenbart hat, ewiger Gott ist. Der Evangelist will uns einprägen, dass die Erneuerung der Menschheit durch den Sohn Gottes geschehen musste. Durch seine Kraft ist alles geschaffen worden; er allein hat allen Geschöpfen durch seinen Hauch das Leben und die Fähigkeit, fortzubestehen, verliehen. Er hat zumal im Menschen selbst einen einzigartigen Beweis seiner Macht und Huld gegeben. Ja, selbst nach dem tiefen Falle Adams ist er noch immer der unermüdliche Freund und Wohltäter auch gegen dessen Nachkommen geblieben. Das Verständnis der hier enthaltenen Lehre ist dringend notwendig. Außerhalb der Gemeinschaft mit Gott gibt es sicherlich weder Leben noch Heil. Wie sollte dann aber unser Glaube sich auf Christum stützen können, wenn das nicht vollkommen fest begründet wäre, was hier gelehrt wird? Der Evangelist bezeugt also in diesen Worten, dass wir uns keineswegs von dem einen ewigen Gott trennen, wenn wir an Christum glauben: vielmehr wird jetzt durch ein und denselben, der schon vor dem Sündenfall Quell und Urheber des Lebens war, den Erstorbenen das Leben wiedergeschenkt. Der Grund, dass er den Sohn Gottes „das Wort“ nennt, scheint mir einfach darin zu liegen, dass zuerst Gottes ewiger allweiser Wille und dann die ausgeprägte Darstellung seines Rates existiert. Denn wie bei Menschen das Wort der Ausdruck der Gesinnung ist, so überträgt man das mit gutem Grunde auch auf Gott und sagt: durch sein Wort macht er sich für uns verständlich. Freilich kann der entsprechende griechische Ausdruck („Logos“) nicht bloß das Wort, sondern auch die Vernunft und dergl. bezeichnen. Wollten wir aber hierauf weiter eingehen, würden wir uns in Spekulationen verlieren, die den Umkreis des schlichten Glaubens weit überschreiten. Auch Gottes Geist ist offenbar dergleichen spitzfindigen Erörterungen durchaus abgeneigt; er redet mit uns in der Schrift eine gar kindliche Sprache und ruft, ohne dazu überflüssige Worte zu machen, uns zu: Nur so nüchtern wie möglich über diese großen Geheimnisse denken!

Wenn Gott nun bei der Erschaffung der Welt sich durchs Wort kundgetan hat, so war dies Wort selbstverständlich zuvor bei ihm verborgen. Es steht in einer zweifachen Beziehung:

erstens auf Gott, zweitens auf die Menschen. Servede[1], der stolze Spanier, ein unklarer Kopf, behauptet, dies ewige Wort sei damals, als es sich bei der Weltschöpfung zeigte, überhaupt erst entstanden. Als sei es undenkbar, dass es existierte, ehe sich durch seine Wirksamkeit sein Vorhandensein nach außen hin zu erkennen gab! Etwas ganz anderes lehrt hier der Evangelist. Er bestimmt dem Worte keinen zeitlichen Anfang, sondern schreitet weit über alle Jahrhunderte hinweg, indem er sagt, es sei von Anfang an gewesen. Worauf die angeführte falsche Auslegung, die man übrigens schon bei den Anhängern des Arius[2] findet, sich beruft, weiß ich recht gut: Gott habe doch im Anfang Himmel und Erde gemacht, und diese seien gewiss nicht ewig, - das Wort „Anfang“ werde mehr in Rücksicht auf die Reihenfolge, als zur Bezeichnung der Ewigkeit angewendet. Diesem Einwand ist indes der Evangelist von vornherein begegnet, indem er sagt, das Wort sei „bei Gott“ gewesen. Wenn das Wort erst von einem bestimmten Zeitpunkt an existiert haben soll, dann muss man in Gott selbst eine zeitliche Aufeinanderfolge finden. Sicherlich hat durch das letztgenannte Satzglied Johannes das Wort geflissentlich von allen geschaffenen Dingen unterscheiden wollen. Es waren nämlich vielerlei Fragen möglich: Wo befand sich denn dies Wort? Wie zeigte es sein Vorhandensein? Wie war es beschaffen? Woran war es zu erkennen? Deshalb betont er, man dürfe nicht an der Welt und den Bestandteilen der Schöpfung haften: es sei vor dem Dasein der Welt stets mit Gott vereinigt gewesen. Stellen denn die, welche „Anfang“ auf den Ursprung von Himmel und Erde beziehen, nicht Christum auf eine Stufe mit der Welt, von der er hier gerade so fein ausgenommen wird? Sie tun nicht allein dem Gottessohn, sondern auch seinem ewigen Vater damit großes Unrecht, indem sie diesen seiner Weisheit berauben. Sich Gott geschieden von seiner Weisheit vorzustellen wäre frevelhaft; also muss man auch bekennen, dass der Ursprung des Wortes nirgend anderswo, als in Gottes ewiger Weisheit zu suchen ist.

Was „bei Gott“ war, muss ewig sein: es existierte längst, ehe es äußerlich hervortrat. Einige Ausleger wollen dies schon aus dem Gebrauch der Vergangenheitsform erschließen: „es war“ (im Unterschied von „es ist gewesen“) soll auf einen bleibenden Zustand deuten. Aber wo so viel auf dem Spiel steht, gilt es zuverlässigere Gründe heranzuziehen. Uns muss genug sein, was ich angeführt habe, nämlich, dass der Evangelist uns in das ewige Heiligtum Gottes, das nie ein Fuß betrat, hineinführt, damit wir es wissen sollen: dort ist das Wort gleichsam verborgen gewesen, bevor es sich durch die Herstellung der Welt kundgab. Richtig bemerkt daher Augustin, der hier erwähnte Anfang habe keinen Anfang. Ist auch in unserem Denken erst der Vater zu setzen und dann seine Weisheit, so würde man ihn doch seiner Ehre berauben, wollte man sich irgendeinen Zeitpunkt vorstellen, in welchem er noch ohne Weisheit gewesen. Das ist eben die ewige Zeugung, welche, wenn man die Worte gebrauchen darf, unermesslich lange in Gott verborgen blieb, um danach lange Jahre hindurch den Vätern unter dem Gesetz dunkel angedeutet und endlich leibhaftig im Fleische dargestellt zu werden.

Und das Wort war bei Gott. So bekommt, wie schon gesagt, der Sohn Gottes seinen Platz angewiesen über der Welt und allen Geschöpfen und vor allen Jahrhunderten. Aber zugleich wird ihm mit dieser Redewendung eine vom Vater unterschiedene Seinsweise zuerteilt. Es würde von dem Evangelisten recht verkehrt sein, zu sagen, der Sohn sei immer „mit“ oder „bei“ Gott gewesen, wenn er nicht irgendwie eine eigene Existenz in Gott hätte. Es hat also diese Stelle Beweiskraft gegen die Irrlehre, nach welcher Vater und Sohn ganz dasselbe sein sollen, da sie zeigt, dass ein Unterschied zwischen Vater und Sohn ist. Ich habe schon oben die Mahnung einfließen lassen, bei so großen Geheimnissen nüchtern zu denken und bescheiden zu reden. Jedoch müssen wir die alten Schriftsteller der christlichen Kirche gegen den Vorwurf unbescheidenen Vorwitzes in Schutz nehmen; wo es ihnen unmöglich war, in anderer Weise die rechte und reine Lehre gegen die aalglatten Beweisführungen sich auszudenken, die nicht genau so in der Bibel zu finden sind. Aussagen wollten sie damit ja nichts anderes, als was nur in anderer Form in der heiligen Schrift selbst vorkommt. So haben sie gesagt: In dem einen und einfachen Wesen Gottes sind drei Hypostasen oder Personen. So haben sie die unterscheidbaren Eigentümlichkeiten in Gott genannt, welche sich unserem Nachdenken zur Betrachtung anbieten. Wie Gregor von Nazianz[3] sagt, es sei ihm unmöglich an den Einen zu denken, ohne dass alsbald Drei in dem einen und um den einen Gott aufstrahlten.

Und das Wort war Gott. Damit niemand über Christi Gottheit in Ungewissheit bleibe, sagt Johannes klar heraus, er sei Gott. Da nun Gott der Einige ist, so ergibt sich, dass Christus eines Wesens mit dem Vater und doch in irgendeinem Punkte von ihm verschieden ist. Was nun die Einheit des Wesens anbetrifft, so war es von Arius ein starkes Stück, wenn er, um nicht zum Bekenntnis der ewigen Gottheit Christi gezwungen zu sein, vorbrachte, dieser sei nur so eine Art Gott. Wir haben, wenn wir hören, das Wort sei Gott gewesen, keinerlei Anlass, des Weiteren hier über sein ewiges Wesen Streitverhandlungen zu führen.

V. 2. Dasselbige war im Anfang bei Gott. Um uns das Vorhergesagte fester einzuprägen, fasst der Evangelist noch einmal die beiden Gedanken kurz zusammen: das Wort ist immer gewesen, und zwar bei Gott. Es soll uns dadurch einleuchten, dass der Anfang, von dem er spricht, aller Zeit vorhergeht.

V. 3. Alle Dinge sind durch dasselbige gemacht. Nachdem Johannes erklärt hat, das Wort sei Gott, und sein ewiges Wesen gepredigt hat, tut er nun an den Werken seine Gottheit dar. Damit führt er einen praktischen Beweis, der unserem Verständnis am besten entspricht. Es würde uns frostig berühren, wollte man ohne weiteres Christo den Namen „Gott“ beilegen, ohne dass unser Glaube an greifbarer Wirklichkeit merken könnte, dass er das tatsächlich ist. Darum wählt der Apostel überaus passend den vorliegenden Ausdruck, welcher die dem Sohne Gottes eigentümliche Tätigkeit beschreibt. Bisweilen freilich sagt Paulus schlichtweg: alles ist durch Gott (Römer 11, 36). Aber sobald es auf einen Vergleich des Sohnes mit dem Vater ankommt, pflegt er genau so zu unterscheiden wie Johannes hier tut (Kol. 1, 16). Es ist also gebräuchlich zu sagen: der Vater hat alles durch den Sohn gemacht, und: von Gott ist alles durch denselben, den Sohn. Darauf aber zielt, wie gesagt, der Evangelist ab, dass alsbald bei der Weltschöpfung das Wort oder der Sohn Gottes in äußere Wirksamkeit hervorgegangen ist. Während er früher in seinem Wesen unerfasslich war, ist damals seine Kraft durch eine Wirkung öffentlich bekannt geworden. Auch einige Philosophen beschreiben Gott als den Baumeister der Welt; sie gesellen ihm bei Ausführung dieses Werkes die Vernunft zu. Das ist zwar richtig, denn es stimmt mit der Schrift überein. Aber wir brauchen ihre Zeugnisse nicht besonders zu begehren, denn neben solchen Lichtblicken finden sich bei ihnen viele eitle Gedankengespinste. Vielmehr wollen wir uns gegenwärtig halten, dass wir uns mit diesem Spruch, der ja vom Himmel herrührt, begnügen dürfen, - ist doch auch viel mehr darin gesagt, als unser Verstand zu fassen vermag.

Und ohne dasselbige ist nichts gemacht, was gemacht ist. Es gibt für diese Stelle verschiedene Lesarten. Ich lese, ohne darüber mit einem, der anderer Meinung ist, zu streiten, in ununterbrochenem Zusammenhange so: Nichts ist gemacht worden, was gemacht worden ist. In diese Lesart vereinigen sich fast sämtliche griechische Handschriften, wenigstens die maßgebenden. Außerdem fordert sie der Gedankengang. Die Schriftforscher, welche das Satzglied „was gemacht worden ist“ vom Vorhergehenden durch einen Punkt trennen, um es zum Folgenden zu ziehen, bringen einen gezwungenen Sinn heraus: Was gemacht worden ist, in dem war Leben, d. h.: es lebte oder blieb am Leben. Ja, wenn sich nur ein Beispiel dafür beibringen ließe, dass irgendwo anders in der Bibel so von den Geschöpfen geredet würde! Bei der Verbindung mit dem vorigen entsteht auch keineswegs eine unnütze Häufung der Worte. Auf jedem Wege sucht Satan Christo etwas zu entreißen; da hat denn der Evangelist es ausdrücklich betonen wollen, dass unter den Dingen, die gemacht worden sind, durchaus keines eine Ausnahme bildet.

V. 4. In ihm war das Leben. Bis hierher ist gelehrt worden: durch das Wort Gottes wurde alles geschaffen. Jetzt erteilt ihm Johannes in gleicher Weise auch die Erhaltung aller Dinge zu. Er will sagen: die Kraft des Wortes war nicht bloß augenblicklich, um bald wieder zu verschwinden, bei der Weltschöpfung wirksam; sie ist noch heute daran zu erkennen, dass es eine beständige, feste Naturordnung gibt, - wie es Hebr. 1, 3 heißt: Er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort (oder Befehl). Übrigens kann man je nachdem dies Leben ausdehnen auf die unbeseelte Schöpfung, welche ja auch eine Art Leben, obgleich ohne Empfindung, besitzt, oder auch allein auf die beseelte beschränken. Es kommt wenig darauf an, wofür man sich entscheidet. Der einfache Sinn ist der: das Wort Gottes war nicht nur der Quell des Lebens für alle Geschöpfe, so dass das, was noch nicht war, zu sein anfing, - mehr noch: durch seine lebenspendende Kraft kommt es dahin, dass sie dauernden Bestand haben. Wenn nämlich sein Hauch nicht fortwährend die Welt belebte, würde notwendigerweise sofort alles Lebendige zusammensinken oder vernichtet werden. Was Paulus (Apg. 17, 28) Gott zuschreibt: „In ihm leben, weben und sind wir“, – das verdanken wir, wie Johannes bezeugt, dem Wort. Natürlich ist es Gott, der uns das Leben spendet, aber: durch sein ewiges Wort.

Das Leben war das Licht der Menschen. Damit wendet sich der Evangelist zu einer Erscheinung des Lebens, durch welche die Menschen sich vor den übrigen lebenden Wesen auszeichnen. Er meint: den Menschen ist nicht nur das gewöhnliche Leben gegeben worden, sondern unmittelbar damit verbunden das Licht des Verstandes. Aus der Zahl der Mitgeschöpfe hebt sich also der Mensch heraus. Wir schauen die Kraft des lebendigen Gottes nicht nur aus der Ferne, sondern verspüren sie in uns selbst. So erinnert Paulus (Apg. 17, 27): wir brauchen Gott nicht in der Ferne zu suchen, er offenbart sich ja inwendig in uns. Nachdem also der Evangelist eine allgemeine Betrachtung des gnädigen Wirkens Christi vorausgeschickt hat, zeigt er, um uns Menschen zu desto größerer Wertschätzung desselben zu bewegen, was uns in besonderer Weise gegeben worden ist. Die Menschen sind nicht den Tieren gleich geschaffen worden, sondern nehmen als vernunftbegabte Geschöpfe einen höheren Rang ein. Da nun Gott nicht umsonst sein Licht in ihrem Verstande angezündet hat, so folgt daraus: sie sind geschaffen zu dem einen Zwecke, den Urheber dieser besonderen Wohltat kennen zu lernen. Und da Gott den Quell des Lichtes aus dem Brunnen des Wortes zu uns hingeleitet hat, so hat dies Licht, die menschliche Vernunft, die Aufgabe, als Spiegel zu dienen, worin wir die Kraft des Wortes deutlich schauen sollen.

V. 5. Und das Licht scheint in der Finsternis. Man könnte einwenden: die Menschen werden an so vielen Stellen der Schrift blind genannt; auch ist die Blindheit, die ihnen vorgeworfen wird, mehr als zur Genüge bekannt. Elendiglich sind sie mit ihrer Vernunft in Eitelkeit geraten. Woher sollen denn sonst all die Schlangenwege von Irrtümern in der Welt kommen, als davon, dass die Menschen durch ihren Verstand sich immerzu in Torheit und Lüge stürzen? Wenn in den Menschen keinerlei Licht erscheint, so ist das Zeugnis von der Gottheit Christi gelöscht, an das eben hier der Evangelist erinnert. Das war ja, wie gesagt, die dritte Stufe: es ist in dem Leben, das die Menschen haben, etwas weit Vorzüglicheres, als nur Bewegung und Odem. Diesen Punkt behandelt der Evangelist hier weiter und erinnert zuerst daran, dass man das Licht, mit dem anfänglich die Menschen beschenkt worden waren, nicht nach ihrem gegenwärtigen Zustand beurteilen dürfe, da ja in dieser von Sünde befleckten, entarteten Natur das Licht in Finsternis verkehrt worden ist. Dabei gibt er jedoch nicht zu, dass das Licht der Einsicht ganz und gar erloschen sei. Es schimmert in der tiefen Verfinsterung der menschlichen Vernunft noch einige Fünkchen des alten Glanzes.

Jetzt versteht der Leser die zwei Teile unseres Spruches. Der Evangelist sagt, dass die jetzigen Menschen sich in einem großen Abstand von jener unversehrten anfänglichen Naturbegabung befinden; ihr Geist nämlich, der durch und durch hell und licht sein sollte, ist in Finsternis versunken, elendiglich erblindet, und so ist Christi Herrlichkeit in dieser verderbten Natur wie von Dunkelheit überdeckt. Hingegen behauptet Johannes aber auch: Es sind mitten in der Finsternis immer noch etliche Lichtreste, welche einigermaßen noch Christi göttliche Kraft zeigen. Er gesteht die völlige Blindheit des Menschengeistes zu, der nach Verdienst von der Finsternis überwältigt worden ist. Er hätte vielleicht einen milderen Ausdruck brauchen können, etwa: das Licht hat sich verdunkelt oder verfinstert. Er wollte aber eine deutlichere Bezeichnung dafür brauchen, wie unglückselig unsere Lage nach dem Fall des ersten Menschen ist. Wenn er also sagt: „Das Licht scheint in der Finsternis“, so will er damit in der verderbten Natur durchaus nichts Lobenswertes finden, sondern vielmehr jeden Vorwand für unsere Unwissenheit beseitigen.

Und die Finsternis hat es nicht begriffen. Obgleich der Sohn Gottes vermöge des geringen Lichts, das uns noch verblieb, immerdar die Menschen zu sich eingeladen hat, muss der Evangelist dennoch sagen, dass es ohne jeden Erfolg geschehen ist, da sie sehend doch nichts sahen. Denn seit der Entfremdung des Menschen von Gott hält Unwissenheit dermaßen seinen Sinn überwältigt, dass der darin enthaltene Lichtrest kraftlos und erloschen daliegt. Das bestätigt auch die tägliche Erfahrung. Alle vom Geiste Gottes nicht wiedergeborenen Menschen, wenn sie überhaupt Vernunft besitzen, sind ein untrüglicher Beleg dafür, dass der Mensch nicht bloß, um zu leben, sondern um zu erkennen geschaffen ist. Übrigens gelangen sie durch die Leitung ihrer Vernunft nicht bis zu Gott hin, ja nicht einmal nur bis in seine Nähe; so zeigt es sich: ihre ganze Einsicht ist lauter Eitelkeit. Es würde folglich um das Heil der Menschen geschehen sein, wenn Gott nicht von neuem Hilfe brächte. Wenngleich der Sohn Gottes sein Licht auf sie ausgießt, sind sie doch so stumpfen Sinnes, dass sie nicht begreifen, woher dies Licht stammt, - im Gegenteil: sie fallen in einen Abgrund von Wahngedanken und Verkehrtheiten hinein. An dem Licht, das noch heute in der verderbten Natur verblieben ist, unterscheiden wir zwei hervorragende Bestandteile. Allen Menschen sind gewisse Keime der Religiosität angeboren, sodann ist in ihr Gewissen der Unterschied zwischen Gut und Böse eingegraben. Aber was für Früchte gehen daraus hervor? Die Religion entartet in tausenderlei scheußlichen Ausgeburten des Aberglaubens; das irrende Gewissen verwirrt jedes klare Urteil, sodass es die Begriffe von Laster und Tugend verwechselt. Alles in allem genommen: niemals wird es die natürliche Vernunft fertig bringen, den Menschen zu Christus zu führen. Weiter: wenn die Menschen allerlei Weisheitsregeln für eine ordentliche Lebensführung besitzen, wenn sie von Geburt zur Ausübung ausgezeichneter Künste und Wissenschaften veranlagt sind, so bleibt auch das eitel und ganz ohne Frucht. Freilich ist zu beachten: der Evangelist redet nur von den natürlichen Gaben, die der Mensch besitzt, und berührt noch nicht die Gnade der Wiedergeburt. Der Sohn Gottes übt nämlich zwei verschiedene Wirkungsweisen: die erste, welche sich bei dem Bau der Welt und der Ordnung der Natur kund tut, die zweite aber, durch die er die in Trümmern daliegende Natur aufs Neue zum Leben erweckt. Als das ewige Wort Gottes ist er der Mittler der Weltschöpfung. Alles, was einmal durch seine Kraft Leben empfangen hat, behält dasselbe auch. Der Mensch ist bevorzugt und mit der Gabe des Verstandes geschmückt worden. Und obwohl er durch seinen Abfall das Licht des Verstandes eingebüßt hat, vermag er doch noch zu sehen und zu erkennen, dass das, was er von Natur von der Gnade des Sohnes Gottes hat, nicht völlig ausgetilgt ist. Aber da er das ihm noch verbliebene Licht durch seine Gleichgültigkeit und Bosheit verdunkelt, so bleibt kein anderer Ausweg, als dass der Sohn Gottes ein neues Amt übernimmt, nämlich das des Vermittlers, der den verlorenen Menschen durch den Geist der Wiedergeburt erneuert. Nach alledem kann ich es nicht billigen, wenn man das Licht, von welchem hier die Rede ist, auf das Evangelium und die Heilslehre bezieht.

V. 6. Es ward ein Mensch. Jetzt beginnt der Evangelist auseinanderzusetzen, wie das Wort Gottes sich im Fleisch offenbart hat. Und damit niemand in Zweifel ziehe, dass Christus der ewige Sohn Gottes ist, erzählt er aus sicherer Erinnerung, wie der Heroldsruf Johannes des Täufers ihn gefeiert hat. Denn Christus hat nicht nur den Menschen sich selber zu genauer Betrachtung dargeboten, er wollte auch durch Zeugnis und Lehre des Johannes bekannt werden. Ja, Gott der Vater war es, der diesen Zeugen vor seinem Gesalbten her sandte; es umso leichter alle das von ihm gebrachte Heil annehmen. Auf den ersten Blick könnte es jedoch sinnlos erscheinen, dass von anderer Seite für Christus ein Zeugnis abgelegt wird, als bedürfte er das. Dass das nicht der Fall ist, spricht er selbst offen aus (Joh. 5, 34): „Ich suche kein Zeugnis von einem Menschen.“ Wie bekannt, löst sich diese Schwierigkeit leicht: nicht Christi, sondern unsertwegen ist dieser Zeuge aufgestellt worden. Wenn jemand dem entgegenhielte: Menschliches Zeugnis ist zu schwach, um zu beweisen, dass Christus Gottes Sohn ist, - so ist auch da die Lösung nicht weit zu suchen: der Täufer wird nicht als ein Zeuge, wie jeder beliebige, aufgeführt, sondern es steht da, ausgerüstet mit göttlicher Vollmacht, mehr wie ein Engel, als wie ein Mensch. Deshalb ist nicht das sein Schmuck, dass man allerlei Tugenden an ihm loben kann, sondern nur das Eine, dass er ein Gesandter Gottes war. Auch das steht nicht im Wege, dass Christo die Predigt des Evangeliums anvertraut worden ist, damit er sein eigener Zeuge sei. Denn der Heroldsruf des Johannes wollte nur erreichen, dass man auf Christi Lehre und Wunder aufmerksam wurde.

Von Gott gesandt. Die Berufung des Johannes wird nicht ausführlich erzählt. Da der Evangelist alsbald genauer darauf eingehen will, so berührt er jetzt nur den entscheidenden Punkt: und dieser Mann war von Gott gesandt. Denn wenn viele, die doch in ihrem eigenen Namen kommen, sich göttlicher Sendung rühmen, so genügt eben solches Selbstzeugnis nicht. Übrigens muss nicht bloß Johannes, sondern jeder Lehrer der Kirche sich auf einen göttlichen Beruf gründen können: kein anderer Grund ist stark genug, die Autorität seiner Lehre zu tragen. –

Den Namen Johannes setzt der Evangelist ausdrücklich bei, nicht bloß, um diesen bestimmten Menschen zu bezeichnen, sondern weil dieser Name in einem beabsichtigten Zusammenhange mit der Aufgabe des Mannes stand. Denn ohne Zweifel hat der Herr mit Rücksicht auf das künftige Amt des Johannes durch den Engel befohlen, ihn so zu nennen; jedermann sollte schon daran in ihm den Herold der göttlichen Gnade erkennen. Der Name bedeutet nämlich: Gott ist gnädig.

V. 7 u. 8. Derselbige kam zum Zeugnis. Kurz wird der Zweck seiner Berufung berührt, der darin bestand, die Gemeinde für Christum zuzubereiten. Indem er alle zu Christo einlud, hat er hinreichend gezeigt, dass er nicht um seiner selbst willen kam. Eine übertriebene Hervorhebung aber gebührte dem Johannes nicht. Daran hat der Evangelist gedacht, wenn er sagt (V. 8): er war nicht selber das Licht, - es möchte sonst sein übermäßiger Glanz die Herrlichkeit Christi in Schatten stellen. Hingen ihm doch einige so fest an, dass sie Christum darüber vernachlässigten. Es war, als wollte man, hingerissen von der Schönheit des Morgenrotes sagen: die Sonne selber anzusehen, ist nicht der Mühe wert. –

Wir untersuchen nun, in welchem Sinne der Evangelist hier die Bezeichnung „Licht“ gebraucht. Nach Eph. 5, 8 sind alle Frommen Lichter in dem Herrn, als Menschen, die von seinem Geiste erleuchtet sind und nicht nur für sich selbst sorgen, sondern auch andere durch ihr Beispiel auf den Weg des Heils führen. Auch die Apostel insbesondere werden Licht genannt (Mt. 5, 14), da sie die Fackel des Evangeliums vor sich hertragen, um die Finsternis der Welt zu vertreiben. Aber hier spricht der Evangelist, wie schon die nächsten Worte klar ergeben, von dem einzigen und ewigen Quell aller Erleuchtung.

V. 9. Das war das wahrhaftige Licht. So wird Christus nicht im Gegensatz zu einem falschen Licht genannt, sondern nur im Unterschiede von allen anderen: er ist nicht bloß ein Licht, wie alle Engel und Menschen dies auch sein können, sondern das allein wahrhaftige Licht. Der Unterschied beruht darin, dass alles Leuchtende im Himmel und auf der Erde seinen Glanz anderswo entlehnt, Christus aber das aus und durch sich selbst erstrahlende Licht ist, das dann die ganze Welt mit seinem Glanze bestrahlt, sodass es nirgends einen zweiten Ursprung oder Anlass des Lichtglanzes gibt.

Welches alle Menschen erleuchtet. Hauptsächlich daran ist dem Evangelisten gelegen, seine Aussage, dass Christus das Licht sei, an einer Wirkung nachzuweisen, die jeder von uns an sich spürt. Er hätte die Erörterung in höherem Tone führen können: der Glanz, den Christus in seiner Eigenschaft als ewiges Licht besitzt, ist ihm angeboren, nicht anderswoher geholt; aber von diesem entlegenen Gebiete ruft er uns lieber ab auf das uns allen zugängliche Gebiet der Erfahrung. Da Christus uns alle seines Glanzes teilhaftig macht, so muss man zugestehen: ihm gebührt eigentlich ganz allein die Ehre, das Licht zu heißen. Übrigens lässt sich das „alle“ auf zweifache Weise auslegen. Einige nämlich beschränken die ganz allgemein gehaltene Aussage auf die, welche durch Gottes Geist wiedergeboren, des lebendig machenden Lichtes teilhaftig werden. Augustin führt das Beispiel von einem Schulmeister an, der in einer Stadt die einzige Schule hat, und von dem man sagt: alle (nämlich die überhaupt hineingehen) gehen zu ihm in die Schule. Ganz in diesem Sinne hieße es auch hier, dass Christus alle Menschen erleuchtet, nämlich alle, die überhaupt erleuchtet werden. Und so kann man sich ausdrücken, weil niemand ein Licht aufweisen kann, das anderswoher als von Christi Gnade stammte.

Der Evangelist redet aber umfassend von allen, die in diese Welt kommen. Darum sagt mir die andere Fassung besser zu: Über die ganze Menschheit hin sind, von diesem Licht ausgehend, Strahlen ausgegossen, wie schon oben gesagt ist. Wir wissen ja, dass die Menschen diesen Vorzug vor allen lebenden Wesen haben, dass sie mit Vernunft und Einsicht begabt sind und dass sie in ihrem Gewissen den Unterschied zwischen Recht und Unrecht eingeprägt tragen. Es gibt daher niemanden, zu dem nicht irgendwelche Empfindung des ewigen Lichtes gelangt wäre. Aber weil voreingenommene Leute diese Stelle aus dem Zusammenhang reißen und solange auf die Folterbank legen, bis sie aussagt: allen Menschen wird in ganz gleicher Weise die Erleuchtungsgnade dargeboten, - so erinnern wir daran: hier handelt es sich ausschließlich um das allgemeine natürliche Licht des Verstandes, eine Gabe, die tief unter dem Glauben steht. Wenn ein Mensch alle seine Geisteskräfte, alle seine Verstandesschärfe anstrengte, so würde er dadurch niemals in Gottes Reich eindringen; einzig der Geist Christi öffnet den Auserwählten die Himmelspforte. Ferner erinnern wir daran, dass das Licht des Verstandes, welches Gott einstmals dem Menschen verlieh, durch Sünde dermaßen verdunkelt worden ist, dass in der tiefen Finsternis, - darunter ist die schreckliche Unwissenheit und der Abgrund aller möglichen Irrtümer zu verstehen, - nur noch schwache Lichtfünkchen schimmern, welche noch dazu immer mehr verglimmen.

V. 10. Es war in der Welt. Mit diesem Wort wird die Anklage wegen Undankbarkeit gegen die Menschen erhoben; sie sind mit eigenem Willen so blind geworden, dass ihnen der Ursprung des Lichtes, welches sie hatten, unbekannt war. Das gilt offenbar für alle Zeiten der Welt, da ja vor seiner Offenbarung im Fleische Christus allenthalben seine Tätigkeit ausübte. Folglich war das der Zweck seiner täglichen Wirksamkeit: die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit herauszubringen. Gibt es etwas Verkehrteres als das: aus einem Bache Wasser schöpfen und gar nicht an die Quelle denken, aus welcher der Bach hervorsprudelt? Wenn also die Welt Christum vor seiner Offenbarung im Fleisch nicht kannte, so gibt es dafür keine begründete Entschuldigung. Der Grund für solche Unwissenheit liegt in der Trägheit und in der mit bösem Willen verbundenen Gefühllosigkeit der Menschen, die ihn seiner Kraft und Wirkung nach immer gegenwärtig hatten. Wir fassen alles zusammen und müssen sagen: niemals hat sich Christus so sehr von der Welt entfernt, dass die Menschen sich nicht hätten durch die von ihm ausgehenden Lichtstrahlen wecken lassen müssen, um nun auf ihn selber ihre Augen zu richten. Es folgt daraus, dass jene Verschuldung wirklich anzurechnen ist.

V. 11. Er kam in sein Eigentum. Hier wird erst ganz die Schlechtigkeit und böse Gesinnung der Menschen enthüllt, hier kommt an den Tag ihre mehr als verbrecherische Gottlosigkeit, die darin besteht, dass der Sohn Gottes, als er sich im Fleisch sichtbar darstellte, und zwar den Juden, die sich Gott vor den anderen Völkern als besonderes Eigentum auserkor, dennoch nicht anerkannt und aufgenommen ward, so dass es heißen muss: die Seinen nahmen ihn nicht auf. Auch für diese Stelle gibt es allerlei Auslegungen.

Einige sind der Meinung, der Evangelist rede hier von der ganzen Erde, und sicherlich gibt es nirgends in der Welt einen Platz, den der Sohn Gottes nicht als sein rechtmäßiges Eigentum ansähe. Hiernach wäre der Sinn: als Christus auf die Erde herniederkam, hat er nicht fremdes Gebiet betreten, war doch die ganze Menschheit zu seinem Erbe gehörig.

Richtiger ist meiner Meinung nach die Auslegung derer, die unsere Stelle nur auf die Juden beziehen. Diese waren Christi „Eigentum“ noch in einem ganz anderen Sinne, als die übrige Menschheit. Auf welche Undankbarkeit lässt es also schließen, wenn er hier keine Aufnahme findet! Gottes Sohn hatte sich in einem bestimmten Volksstamme seinen Wohnsitz ausgesucht; als er aber dort erschien, ward er verworfen. Daran ist deutlich zu sehen, wie boshaft die Menschen in ihrer Blindheit sind. Gerade das aber musste gesagt werden, denn es galt, das Ärgernis zu beseitigen, das damals vielen der Unglaube der Juden bieten konnte. Denn nachdem Christus von dem Volke verachtet und verschmäht worden war, dem er namentlich verheißen, - wer hätte ihn da für den Erlöser der ganzen Welt ansehen können? Wir sehen ja, wie dem Apostel Paulus dieser Einwand auf seinem Arbeitsfelde so viel zu schaffen machte (Röm. 9 – 11). Übrigens haben beide, Zeitwort und Hauptwort, in unserem Sätzchen besonderen Nachdruck. Eben dorthin, wo der Sohn Gottes vorher war, „kam“ er noch in besonderer Weise, wie der Evangelist sagt. Er bezeichnet damit eine neue, außerordentliche Art der Gegenwart, durch welche der Sohn Gottes sich so geoffenbart hat, dass ihn die Menschen vermittelst persönlicher Anschauung zu sehen bekommen. In dieser persönlichen Erscheinung bot er sich zuerst seinem Eigentumsvolke an. Aber die Aufnahme war dementsprechend, wie schon Jesaja sagt (1, 3): „Ein Ochse kennt seinen Besitzer, ein Esel die Krippe seines Herrn, Israel aber kennt mich nicht.“ Obwohl er also der Herrscher der ganzen Welt ist, hat er sich doch noch in besonderer Weise zum Herrn des Volkes Israel gemacht, das er wie eine geheiligte Herde in einen besonderen Stall zusammengebracht hatte.

V. 12. Wie viele ihn aber aufnahmen usw. Damit niemandem der Umstand, dass die Juden Christum missachtet und verspeit haben, ein Glaubenshindernis werde, erhebt der Evangelist die Frommen, die doch an ihn glauben, bis über den Himmel empor. Er sagt nämlich, sie hätten durch den Glauben die Ehre erlangt, Gottes Kinder zu heißen. Dem zusammenfassenden „so viele“ liegt ein Gegensatz zugrunde. Mit leerer Prahlerei rühmten sich die Juden, als wäre Gott ganz allein ihnen verpflichtet. Dem gegenüber betont der Evangelist: Jetzt liegt die Sache umgekehrt: die Juden sind aus ihrer Erstlings- und Kindesstellung verstoßen, und an ihre Stelle treten die Heidenvölker. Dasselbe hat Paulus im Auge, wenn er (Röm. 11, 12) sagt: der Untergang des einen Volkes ist Leben für die ganze Welt gewesen, - da ja das von ihnen zurückgewiesene und verfolgte Evangelium sich nach allen Richtungen hin über die Welt auszubreiten begann. So sind die Juden des Vorrechtes, das sie auszeichnete, verlustig gegangen. Für Christus aber erwuchs aus ihrer Gottlosigkeit kein Nachteil: er errichtete nun auch anderwärts den Thron seiner Herrschaft und rief ohne Unterschied zur Hoffnung des Heils alle die Völker, welche früher von Gott verworfen schienen.

Denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Nach dem Grundtexte bedeutet „Macht“ so viel als Würde oder Ehrenstellung. Wenn man in dieser Weise geradezu übersetzen würde, könnten die Papisten unsere Stelle nicht mehr derartig verdrehen, wie sie es tun. Sie berufen sich nämlich darauf, dass wir „Macht“, d. h. freie Entscheidung empfangen hätten, die Wohltat der Gotteskindschaft aufzunehmen oder nicht. So bringen sie aus diesem Spruch den freien Willen heraus, der doch so wenig darin steckt, wie Feuer im Wasser. Aber der Zusammenhang der Stelle macht diese Wortklauberei, die von völlig mangelndem Verständnis zeugt, zunichte. Unmittelbar danach finden wir die nötige Ergänzung: keiner wird durch eigenen Fleischeswillen ein Gotteskind; das geschieht allein durch eine Geburt aus Gott. Wenn der Glaube uns das neue Leben der Gotteskindschaft zuführt, und wenn Gott vom Himmel uns den Glauben ins Herz gibt, so ist es offenkundig: Christus bietet uns nicht nur von weitem die Gnade der Kindschaft mit der Frage an, ob wir sie mögen oder nicht mögen, sondern er legt sie uns als sein Geschenk in die Hand hinein. Das griechische Grundwort kommt verschiedentlich in der oben vorgeschlagenen Bedeutung (Rang, Würde) vor, die hier am schönsten passt. Wozu aber die Umschreibung, die der Evangelist hier gebraucht hat? Ihr Wert besteht darin, dass sie weit besser die hohe Gnade Christi rühmen wird, als wenn kurzweg gesagt würde: alle, die an ihn glauben, werden durch ihn Kinder Gottes. Es ist ja die Rede von Unreinen und Verworfenen, welche, zu ewiger Schmach verdammt, im Dunkel des Todes lagen. Eine wundervolle Probe seiner Huld liefert der Herr damit, dass er solche Menschen der Ehre gewürdigt hat, dass sie mit einem Male begannen, Kinder Gottes zu sein. Die Größe dieser Wohltat erhebt der Evangelist nach Gebühr, ganz in dem Sinne wie Paulus sagt (Eph. 2, 4 f.): durch seine große Liebe, damit Gott uns geliebt hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht. Unter „Macht“ ist also nicht eine bloße Fähigkeit zu verstehen, die etwa auch ungenützt bleiben könnte, sondern die durch Christi Wunderwirken geschaffene Tauglichkeit für die Gotteskindschaft, wie auch Paulus (Kol. 1, 12) dem Herrn Dank sagt, dass er die Christen „tüchtig gemacht“ hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht.

Die an seinen Namen glauben. Dieser Satz beschreibt in Kürze, wie man Christum aufnehmen soll, nämlich dadurch, dass man an ihn glaubt. Durch Glauben in Christum eingewurzelt, erlangen wir das Recht der Kindschaft, Gottes Söhne zu sein. Diese Ehre aber kommt uns nicht im geringsten Maße zu, - da er der einzige Sohn Gottes ist, - außer, soweit wir Glieder an ihm sind. Übrigens spricht auch unser Satz gegen die Missdeutung des Wortes „Macht“, die wir schon zurückwiesen. Diese Macht wird ja nach der ausdrücklichen Erklärung des Evangelisten denen gegeben, die bereits glauben. Und es ist doch sicher, dass sie durch den Glauben bereits Kinder Gottes sind und nicht bloß eine unbestimmte Möglichkeit, sondern den wirklichen Besitz des Heils erreichen. Noch deutlicher weisen die nächsten Worte, dass diese Leute bereits aus Gott geboren sind, in dieselbe Richtung. „Name“ kommt im Hebräischen oft vor in der Bedeutung von „Kraft“; hier bezieht sich jedoch „Name“ auf die Lehre des Evangeliums. Denn wir glauben erst dann an Christum, wenn er uns gepredigt ist. Ich rede von dem gewöhnlichen Weg, auf dem der Herr uns zum Glauben führt. Derselbe ist ohne klare Erkenntnis gar nicht zu denken. Also: durchs Evangelium bietet sich Christus uns an; wir aber nehmen ihn auf durch den Glauben.

V. 13. Welche nicht von dem Geblüt usw. Wenn einige hier einen Seitenhieb auf das verkehrte Selbstvertrauen der Juden finden, so trete ich gern dieser Ansicht bei. Jene führten immer die Würde ihrer Abstammung auf der Zunge, als wären sie wegen ihrer Geburt aus heiligem Geschlecht von Natur lauter Heilige. Sie hätten sich mit gutem Grund ihrer Abstammung von Abraham rühmen können, wenn sie nicht aus der Art geschlagen, sondern seine rechten Söhne gewesen wären; doch das Rühmen, welches dem Glauben eigen ist, setzt alles Gute, das er hat, einzig auf Rechnung des gnädigen Gottes, nicht fleischlicher Abstammung. Johannes will also sagen: Wer aus den zuvor unreinen Heiden an Christus glaubt, kommt nicht von Mutterleibe als ein Kind Gottes, sondern wird, um ein solches zu sein, neu gebildet. Zur festeren Einprägung wird mit anderen Worten noch einmal derselbe Gedanke wiederholt: noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes. Obwohl nun der Evangelist zunächst an die Juden mit ihrem fleischlichen Stolze denkt, lässt sich doch aus dieser Stelle eine allgemeine Lehre ziehen: wenn wir Gottes Kinder heißen, so ist das uns nicht von Natur eigen, kommt auch nicht aus uns selbst, sondern davon, dass der Herr nach seinem Willen, d. h. aus erbarmender Liebe uns erzeugt hat.

Daraus folgt erstens, dass der Glaube nicht aus uns hervorkommt, sondern die Frucht der geistlichen Wiedergeburt ist. Die Möglichkeit, dass irgendjemand glaube, ohne aus Gott erzeugt zu sein, verneint der Evangelist: der Glaube ist eine Himmelsgabe.

Zweitens ist der Glaube nicht ein kaltes, bloßes Wissen, da ja nur der zu glauben vermag, der vom Geiste Gottes neu gestaltet ist.

Auffällig scheint hier freilich die Reihenfolge, nach welcher die Wiedergeburt dem Glauben vorangeht, während sie doch vielmehr eine Wirkung des Glaubens ist und deshalb an die zweite Stelle zu gehören scheint. Ich antworte: Beides stimmt aufs Beste miteinander.

Einerseits empfangen wir durch den Glauben den unvergänglichen Samen, durch den wir in das neue, göttliche Leben wiedergeboren werden. Und doch ist schon der Glaube selbst ein Werk des heiligen Geistes, welcher nur in Kindern Gottes wohnt. Also ist nach verschiedener Hinsicht der Glaube ein Teil unserer Wiedergeburt und der Eintritt ins Reich Gottes, sodass er uns zu seinen Kindern zählt.

Denn wenn der Geist unseren Sinn erleuchtet, so gehört das schon zu unserer Erneuerung. Auf diese Art entspringt der Glaube aus der Wiedergeburt als aus seiner Quelle. Aber da wir durch eben diesen Glauben Christus aufnehmen, der uns durch seinen Geist heiligt, so wird der Glaube der Anfang unserer Kindschaft genannt.

Doch es lässt sich ein zweiter Gedankengang beibringen, der klarer und leichter ist. Wenn der Herr uns den Glauben einhaucht, erzeugt er uns auf verborgene, geheime, uns unbekannte Weise von neuem. Sobald wir aber mit dem Glauben begabt sind, erfassen wir mit lebendigem, bewusstem Empfinden nicht nur die Gnade der Kindschaft, sondern auch das neue Leben und die anderen Gaben des heiligen Geistes. Denn während, wie gesagt, der Glaube Christum aufnimmt, bringt er uns gewissermaßen in den Besitz aller seiner Güter. Stellen wir uns also auf den Standpunkt des persönlichen Erlebens, so fangen wir erst nach dem Glauben an, Kinder Gottes zu sein. Wenn aber die Frucht der Kindschaft im Ererben des ewigen Lebens besteht, dann schreibt anderseits der Evangelist offensichtlich allein der Gnade Christi unser ganzes Heil zu. Und sicherlich würden die Menschen, wenn sie auch die verborgensten Winkel ihrer Seele durchstöbern wollten, doch nichts finden, was eines Gotteskindes würdig wäre, als das, was ihnen Christus gegeben hat.

V. 14. Und das Wort ward Fleisch. Da lehrt Johannes wie das Kommen Christi, dessen er gedacht hatte, sich zugetragen hat: mit unserem Fleisch angetan, hat er sich offen der Welt gezeigt. Obgleich aber der Evangelist das unaussprechliche Geheimnis, dass Gottes Sohn die menschliche Natur angenommen hat, nur kurz berührt, ist doch seine Kürze von einer wunderbaren Durchsichtigkeit. Einige unsinnige Leute treiben hier ihr Spiel und bringen mit verständnislosen Spitzfindigkeiten verkehrter Weise vor, es heiße: das Wort ward Fleisch, weil Gott seinen Sohn, wie er ihn in Gedanken hatte, als Menschen in die Welt gesandt habe. – als sei dies Wort nur eine Art von schattenhafter Idee gewesen. Doch wir haben gezeigt, dass mit diesem Worte eine wirkliche Person oder Hypostase in dem Wesen Gottes bezeichnet wird. –

Auch das Wort „Fleisch“ ist weit geeigneter um den Gedanken auszudrücken, als wenn gesagt wäre: er ist Mensch geworden. Der Evangelist wollte zeigen, in was für eine geringe, verachtete Stellung der Sohn Gottes unseretwegen aus seiner Erhabenheit und himmlischen Herrlichkeit herabgestiegen ist. Wenn die Schrift in geringschätziger Weise vom Menschen redet, nennt sie ihn Fleisch. Mag die Kluft zwischen der geistigen Herrlichkeit des Wortes Gottes und dem beschämenden Lose unseres Fleisches noch so groß sein, der Sohn Gottes hat sich dennoch so weit heruntergelassen, dass er dies so mannigfachem Elend ausgesetzte Fleisch annahm. Selbstverständlich hat hier „Fleisch“ nicht, wie so oft bei Paulus, die Bedeutung der verderbten Natur, sondern nur die des sterblichen Menschen. Freilich bezeichnet es in verächtlichem Tone seine gebrechliche, fast ganz entkräftete Natur, wie Ps. 78, 39: „Er denkt daran, dass wir Fleisch sind“; Jes. 40, 6: „Alles Fleisch ist wie Heu“, und an anderen Stellen. Doch ist dabei zu beachten, dass wir es mit einer Redeweise zu tun haben, bei der der Teil das Ganze, nämlich der minderwertige Bestandteil des Menschen ihn ganz bezeichnen soll. Folglich war es töricht, wenn man sich unter unberechtigter Berufung auf diese Stelle einen Christus zusammendichtete, der nur mit Menschenleib bekleidet, aber ohne menschliche Seele gewesen sei. Aus unzähligen Belegstellen ist leicht zu erschließen, dass er nicht weniger mit Seele, als mit Leib begabt gewesen ist. Und wo die Schrift die Menschen „Fleisch“ nennt, spricht sie ihnen damit auch nicht die Seele ab. Der klare Sinn ist also: das vor aller Zeit aus Gott gezeugte Wort, welches stets beim Vater wohnte, ist Mensch geworden. Bei diesem Hauptstück des Glaubens ist vor allem zweierlei festzuhalten.

Erstens: die beiden Naturen in Christo sind dergestalt mit einander verwachsen, dass ein und derselbe Christus wahrer Gott und Mensch ist.

Zweitens: die Einheit verhindert nicht, dass es unterschiedene Naturen bleiben, sodass die Gottheit das ihr Eigentümliche beibehält, und auch die Menschheit für sich alles das hat, was ihr gebührt. Daher hat Satan, wenn er durch seine Werkzeuge, die Irrlehrer, mit mancherlei unsinnigen Aufstellungen die heilsame Lehre umzustürzen suchte, immer einen von den beiden möglichen Irrtümern vorgebracht: entweder soll Christus in so verworrener Weise Gottes- und Menschensohn sein, dass weder die Gottheit bei ihm unversehrt bleibt, noch auch eine wirkliche Menschennatur ihn bekleidet; oder aber: er soll sich so in die Hülle des Fleisches begeben haben, dass er sozusagen doppelt ist und aus zwei getrennten Personen besteht.

Dagegen zeigt uns der Ausdruck des Evangelisten deutlich zwei Naturen in vollkommener Einheit der Person. Indem er sagt: „Das Wort ward Fleisch“, ergibt sich daraus die klare Schlussfolgerung auf die Einheit der Person. Denn es geht nicht an, dass auf einmal ein anderer jetzt Mensch ist als der, welcher immer wahrer Gott gewesen ist, wenn doch hier von ihm als Gott gesagt wird, er sei Mensch geworden.

Wiederum, wenn die Evangelist ausdrücklich dem Menschen Christus den Namen „das Wort“ zuerteilt, dann folgt daraus, dass Christus, als er Mensch ward, doch nicht aufgehört hat, zu sein, was er vorher war, und dass in dem Wesen Gottes, das Fleisch angenommen hat, nichts verändert worden ist. Kurz, der Sohn Gottes begann dergestalt Mensch zu sein, dass er doch noch immer jenes ewige Wort blieb, das keinen zeitlichen Anfang hat.

Und wohnte. Mit der Auslegung: das Fleisch hat Christo gleichsam zum Wohnsitz gedient, trifft man den Gedanken nicht hinreichend genau. Denn der Evangelist schreibt dem Herrn hier nicht einen dauernden Aufenthalt unter uns zu, sondern sagt: er hat wie ein Gast nur für einige Zeit sich verweilt. Das griechische Wort, welches wir mit „wohnen“ wiedergeben, bedeutet nämlich: „in einem Zelt wohnen“. Es bezeichnet also nichts anderes, als dass Christus die ihm aufgetragene Aufgabe ausgeführt, aber nicht nur für einen Augenblick erschienen ist, sondern solange unter den Menschen verweilt hat, bis er seinen Auftrag zu Ende geführt hatte.

Unter uns. Es ist zweifelhaft, ob Johannes von den Menschen im Allgemeinen redet oder nur von sich selber und seinen Mitjüngern, die als Augenzeugen erlebt hatte, was er berichtet. Ich bin mehr für die zweite Auffassung, denn er fügt alsbald hinzu: und wir sahen seine Herrlichkeit. Denn obgleich diese von jedermann hätte gesehen werden können, ist sie doch den meisten ihrer Blindheit halber unbekannt geblieben. Nur die wenigen, denen der heilige Geist die Augen öffnete, haben die Herrlichkeitsoffenbarung gesehen. Alles in allem genommen: es hat Leute gegeben, die von Christus trotz seiner menschlichen Niedrigkeit wussten, dass er in seiner Person etwas noch weit Größeres und Höheres zu sehen bot. Es folgt daraus, dass die göttliche Hoheit nicht etwa völlig abgelegt war, wenn auch Fleisch sie umgab. War sie gleich unter niedrigem Fleische verborgen, so hat sie dennoch ihren Glanz ausgestrahlt. Wird nun diese Herrlichkeit als die eines eingeborenen Sohnes beschrieben, so ist dieser Ausdruck nicht als ein Vergleich gemeint, etwa in dem Sinne: seine Herrlichkeit war beschaffen, als ob sie die eines Sohnes wäre. Der Evangelist will vielmehr eindrücklich versichern, dass Christus in Wahrheit „als“ Sohn Gottes erschienen ist. Wenn z. B. Paulus sagt (Eph. 5, 9): „wandelt wie (oder als) die Kinder des Lichts“, - so fordert er damit den Tatbeweis eben dafür, dass wir wirklich Kinders des Lichts sind. Der Gedanke des Evangelisten ist der: an Christo ist die Herrlichkeit sichtbar gewesen, welche für den Sohn Gottes passt, ein sicheres Zeugnis seiner Gottheit. Den eingeborenen Sohn nennt er ihn, weil Christus der einzige natürliche oder wesenhafte Sohn Gottes ist. Er stellt ihn damit hoch über Engel und Menschen und spricht ihm allein zu, was keinem geschaffenen Wesen zukommt.

Voller Gnade. Darin liegt eine Bestätigung des Vorhergehenden. Auch in anderen Dingen hat sich die Hoheit Christi offenbart, aber dies hat der Evangelist sich lieber als etwas anderes zum Beweise ausgesucht in der Absicht, uns mehr fürs Herz, als für den Verstand Jesum kennen zu lehren. Darauf ist wohl zu achten. Sicherlich konnte man, als er trockenen Fußes über die Wasser schritt, als er Teufel austrieb und in anderen Wundern Beweise seiner Macht gab, in ihm den eingeborenen Sohn Gottes erkennen; aber der Evangelist führt ein Stück Beweisführung ins Feld, woraus der Glaube eine liebliche Frucht entnimmt, weil nämlich Christus mit der Tat bezeugt hat, dass er die unerschöpfliche Quelle der Gnade und der Wahrheit ist. Auch von Stephanus heißt es (Apg. 6, 8): „Er war voller Gnade“; man könnte auch die Deutung vorschlagen: „Er war voller Gnade, welche zugleich Wahrheit oder Vollkommenheit ist“. Aber weil die nämliche Redeform unmittelbar hintereinander zweimal steht, hat sie, wie ich glaube, an beiden Stellen auch den gleichen Sinn. „Gnade und Wahrheit“ steht nachher (V. 17) im Gegensatz zu „Gesetz“; ich lege also einfach aus: die Apostel haben aus dem Grunde Christum als den Sohn Gottes anerkannt, weil er vollständig alles, was zur Aufrichtung des geistlichen Gottesreiches in der Welt gehört, in sich trug, kurz, weil er wirklich in jeder Beziehung sich als Erlöser und Messias bewiesen hat; das ist ja das Hauptmerkmal, wodurch man ihn von allen anderen unterscheiden musste.

V. 15. Johannes zeugt von ihm. Jetzt erzählt der Evangelist, welcher Art die Verkündigung des Johannes gewesen ist. Durch das Zeitwort in der Form der Gegenwart bezeichnet er ein andauerndes Tun. Und sicher soll diese Lehre fortwährend in Kraft sein, als wenn die Stimme des Johannes sie dem Menschen fortwährend in die Ohren hinein riefe.

Heißt es nun weiter, nicht bloß: er spricht, sondern auch, er ruft, - so besagt dieser Ausdruck, dass die Lehre des Johannes keineswegs dunkel oder mit weitschweifigen Ausführungen verhüllt gewesen ist, auch dass er nicht nur unter ein paar Leuten davon geflüstert hat, sondern dass er vor aller Welt mit lauter Stimme Christum predigte. Sein Ausspruch zielt nun darauf ab: ich bin Christi wegen gesandt; es wäre also verkehrt, wollte ich selbst glänzend hervorragen, während Christus kläglich darniederläge.

Dieser war es, sagt er, von dem ich gesagt habe, und denkt dabei an seinen Vorsatz von Anfang an, Christum bekannt zu machen, und daran, dass dies der Zweck seiner Predigten gewesen ist, wie er ja nicht anders das durch seine Sendung ihm zugeteilte Amt versehen konnte als dadurch, dass er seine Schüler zu Christo rief.

Nach mir wird kommen usw. Obgleich der Täufer einige Monate älter war als Christus, verhandelt er hier doch nicht über das Lebensalter: sondern, weil er das Prophetenamt schon einige Zeit ausgeübt hatte, ehe Christus öffentlich auftrat, deswegen sagt er, er sei der Zeit nach früher. Folglich ist Christus, was das öffentliche Hervortreten anlangt, dem Johannes gefolgt. Das Weitere heißt wörtlich so: er ist vor mich gekommen, weil er im Vergleich mit mir der erste war. Der Sinn aber ist der: mit Recht hat man Christus dem Johannes vorgezogen, da er höher war. Der Täufer weicht also Christo, um ihm den Vortritt zu lassen. Dabei warnt er, dass nur ja niemand aus Christi späterem Auftreten auf eine geringere Würde desselben schließen möge. So ziemt es sich für alle, welche durch gottgeschenkte Begabung oder durch hohe Ehrenstellung sich auszeichnen, den ihnen gebührenden Platz dadurch innezuhalten, dass sie sich untenan setzen, tief unter Christus.

V. 16. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen. Hier beginnt der Evangelist von dem Amte Christi zu predigen; es enthält in sich einen Überfluss aller Güter, sodass man nirgend anderswo ein Stück des Heils zu suchen hat. Bei Gott ist zwar der Quell des Lebens, der Gerechtigkeit, der Tugend, der Weisheit; aber diese Quelle ist für uns verschüttet und der Zugang abgeschnitten: allein in Christo ward die Fülle ihres Inhalts uns erschlossen, sodass wir nunmehr aus ihm schöpfen können.

Christus ist bereit seinen Überfluss uns zukommen zu lassen, wenn wir nur durch Glauben ihm Zugang gewähren. Johannes gibt hier ein für allemal die Erklärung ab: nur in und bei Christo, nicht fern von ihm, ist alles Gute zu suchen. Zwischen den Zeilen dieses Satzes lasse sich aber mancherlei Wahrheiten lesen.

Erstens: wir Menschen sind aller geistlichen Güter bar und leer. Denn eben dazu soll Christi Fülle dienen, unseren Mangel auszugleichen, unsere Dürftigkeit zu decken, unseren Hunger und Durst zu stillen.

Zweitens hören wir die Warnung, dass wir auf jedem Wege, der uns von Christo abführt, vergebens auch nur eine Spur guter Gabe suchen werden, da ja Gott alle seine Güter in Christum allein legen wollte. Folglich werden wir finden, dass Engel und Menschen armselig, der Himmel leer, die Erde unfruchtbar, kurz, dass alles nichts ist, wenn wir anders als durch Christum der göttlichen Güter teilhaftig werden wollen.

Drittens brauchen wir durchaus nicht zu befürchten, es werde uns etwas fehlen, wenn wir nur aus der Fülle Christi schöpfen. Sie ist dermaßen in jeder Hinsicht vollkommen, dass wir erfahren werden: dieser Quell ist wahrhaft unerschöpflich.

Wenn übrigens Johannes sich mit seinem „wir haben genommen“ in eine Reihe mit vielen anderen stellt, so tut er das nicht der Bescheidenheit wegen, sondern damit es umso deutlicher hervortrete: durchaus niemand ist ausgenommen. Doch ist zweifelhaft, ob er im Allgemeinen vom ganzen Menschengeschlecht redet, oder ob er bloß diejenigen im Auge hat, welche nach der Erscheinung Christi im Fleisch in reicherem Maße seiner Güter teilhaftig geworden sind. Ohne Frage haben alle Frommen, welche unter dem Gesetz lebten, aus ganz derselben Fülle geschöpft.

Aber das Johannes im nächsten Verse den Unterschied der Zeiten betont, ist es wahrscheinlicher, dass er auch hier die reiche Fülle der Güter rühmen will, welche Christus uns mit seiner persönlichen Ankunft erschloss. Wir wissen ja: unter dem Gesetze sind Gottes Wohltaten sparsamer verschenkt worden; bei Christi Erscheinung im Fleisch dagegen wurden sie gleichsam mit vollen Händen ausgeteilt, sodass jeder satt werden konnte. Nicht als ob unter uns jemand reicher als Abraham mit dem Geiste begnadet wäre: was ich sage, gilt nur im Allgemeinen von dem Fortschritt der Offenbarungsgeschichte. Um seine Jünger zu Christo zu führen, erklärt also Johannes mit allem Nachdruck, dass in Christo die Fülle aller Güter sich finden lässt, welche allen Menschen sonst fehlen. Will jemand unseren Worten eine weitere Ausdehnung geben, so wird auch dann nichts Verkehrtes dabei sein; im Gegenteil, auch so bleibt der Zusammenhang nicht übel im Fluss: von Anfang der Welt haben die Väter, was sie immer an göttlichen Gaben gehabt haben mögen, von Christo geschöpft, denn, wenn auch die Gesetzgebung durch Moses geschah, haben sie doch nicht vom Gesetz die Gnade erlangt. Doch ich habe oben gezeigt, welche Auslegung mir zusagt, nämlich dass uns Johannes hier mit den Vätern vergleicht, um durch diese Gegenüberstellung recht hervorzuheben, was uns gegeben ist.

Gnade um Gnade. Diese Wendung wird seit Augustin häufig so verstanden, dass uns weitere Gnade und zuletzt das ewige Leben für die frühere zuteilwird: Gott belohnt und krönt auf diese Weise in uns zwar nicht unsere eigenen Verdienste, wohl aber seine eigenen Gaben. Das ist ein geistreicher und frommer Gedanke, der aber in den Worten selbst schwerlich gefunden werden kann. Wir werden einfach daran zu denken haben, dass die auf Christum ausgegossenen Gnadengaben in immer neuen Strömen uns zugeleitet werden. Denn die Güter, die wir von Christo empfangen haben, gibt er uns nicht bloß, weil er selbst göttlicher Natur ist, sondern der Vater hat sie ihm verliehen, um sie durch diesen Kanal uns zuzuleiten. Das ist die Salbung, welche über Christum ausgegossen ward, damit er uns alle aus sich salbe. Darum heißt er auch „Christus“, d. h. der Gesalbte, und wir „Christen“.

V. 17. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben. In diesem Satze schneidet der Evangelist einen Einwand von vornherein ab, den die Gegner erheben mochten. Bei den Juden stand ja Moses in so hoher Geltung, dass sie schwerlich etwas gelten ließen, was noch über ihn gehen sollte. Deshalb lehrt Johannes, wie tief das Amt des Moses unter der Vollmacht Christi gestanden hat. Gleichzeitig wirft dieser Vergleich ein helles Licht auf das, was Christus vermag. Denn während die Juden dem Moses alles Mögliche zuschrieben, erinnert der Evangelist daran, dass, mit der Gnade Christi verglichen, es doch eigentlich recht geringfügig war, was jener gebracht hat. Es war ja in der Tat ein großes Hindernis für die Juden, wenn sie aus dem Gesetz schon zu haben meinten, was wir einzig durch Christum erlangen. Ferner ist der Gegensatz zu beachten: Gesetz auf der einen, Gnade und Wahrheit auf der anderen Seite. Diese beiden Stücke haben offenbar dem Gesetz gefehlt. „Wahrheit“ ist meiner Ansicht nach zu nehmen im Sinne von: fester dauernder Bestand. Unter „Gnade“ verstehe ich die geistliche Ergänzung dessen, was als nackter Buchstabe im Gesetz enthalten war. Auch können jene beiden Worte zusammengefasst und auf ein und dasselbe bezogen werden, als hätte Johannes gesagt: die Gnade, in welcher die Wahrheit des Gesetzes besteht, ist erst in Christo erschienen. Mag man nun verbinden oder auseinanderhalten, der Sinn ist in beiden Fällen derselbe; es kommt also nicht viel darauf an. Fest steht jedenfalls, dass gesagt sein soll: im Gesetz ist das Bild der geistlichen Güter nur leise angedeutet gewesen, in Christo steht es leibhaftig da. Daraus folgt: wenn man das Gesetz von Christo trennt, so bleiben nur leere Schatten übrig, weswegen auch Paulus (Kol. 2, 17) sagt: dort ist der Schatten, in Christo der Körper selbst. Indessen soll man ja nicht wähnen, dass das Gesetz irgendwelche falsche Vorspiegelungen enthalte: Christus ist ja die Seele, welche allem, was im Gesetz sonst tot sein würde, Leben gibt. Doch eben dies bleibt hier außer Betracht; unser Satz denkt nur an das, was das Gesetz abgesehen von Christo leisten kann; in dieser Hinsicht bestreitet der Evangelist, dass man in ihm irgendeinen Halt finden könne, - bis man sich zu Christo wendet.

Dass dem so ist, kommt davon, dass wir durch Christum erst die Gnade erlangen, die das Gesetz durchaus nicht bringen konnte. Deshalb nehme ich hier das Wort Gnade ganz allgemein, sowohl für die Vergebung der Sünden aus Gnaden, als auch für die Erneuerung des Herzens. Denn da der Evangelist hier den Unterschied von altem und neuem Bund kurz bezeichnet, der Jer. 31, 31 ff. ausführlicher beschrieben wird, so fasst er offenbar mit diesem Worte alles, was auf die geistliche Gerechtigkeit Bezug hat, zusammen. Zu derselben gehören aber zwei Stücke, einmal, dass Gott, indem er die Sünden nicht anrechnet, sich aus Gnaden mit uns versöhnt, und ferner, dass er das Gesetz in unsere Herzen schreibt und die Menschen durch seinen Geist innerlich neu gestaltet, sodass sie dem Geiste Gottes gehorchen. Daraus geht hervor, dass man das Gesetz verkehrt und falsch auslegt, wenn man die Menschen bei demselben zurückhalten oder sie dadurch hindern will, sich Christo zu nahen.

V. 18. Niemand hat Gott je gesehen. Sehr passend wir das zur Bestätigung des vorigen Satzes beigefügt. Die Erkenntnis Gottes ist die Tür, durch die wir in den Genuss aller Güter eintreten. Folglich, da Gott sich uns nur durch Christum offenbart, ist auch hieraus wieder der Schluss zu ziehen, dass wir alles bei Christo zu suchen haben. Dieser Gedankenfortschritt ist wohl zu beachten. Anscheinend gehört es zu den größten Gemeinplätzen, dass ein jeder von uns nur entsprechend dem Maße seines Glaubens erlangt, was Gott uns anbietet; und doch sind es nur wenige, die bedenken, dass wir das Gefäß des Glaubens und der Erkenntnis Gottes auch wirklich herzubringen müssen, um damit zu schöpfen. Wenn es heißt, Gott sei von niemandem gesehen worden, so geht das nicht nur auf das äußere Schauen mit dem leiblichen Auge; der Evangelist will damit ganz allgemein aussprechen, dass Gott, der ja in unzugänglichem Lichte wohnt, eben nur in seinem lebendigen Ebenbilde, Christus, von unserer Erkenntnis erfasst werden kann. Die gewöhnliche Auslegung unserer Stelle ist die: da die unverhüllte Majestät Gottes in sich verborgen sei, so habe sie niemals begriffen werden können, außer soweit sie sich in Christo offenbart hat; folglich hätten die Väter vor Zeiten auch nur in Christo Gott gesehen. Ich glaube dagegen, dass der Evangelist auch hier in seiner Vergleichung fortfährt und betonen will, wie viel besser wir daran sind als die Väter: Gott, der sich früher in dem Geheimnis seiner Herrlichkeit verbarg, hat sich nun eine sichtbare Erscheinung gegeben. Denn wenn Christus die Ausprägung oder das Ebenbild des göttlichen Wesens genannt wird (Hebr. 1, 3), so deutet dies sicherlich auf den eigentlichen Vorzug des neuen Bundes. In demselben Sinne hebt auch unsere Stelle es als etwas Neues und Ungewohntes hervor, dass der Eingeborene, welcher im Schoße des Vaters war, uns beschrieben habe, was sonst verborgen war. Johannes rühmt damit die durchs Evangelium uns gebrachte Gottesoffenbarung und macht zwischen uns und den Vätern einen großen Unterschied, indem er uns höher stellt als sie, wie das Paulus ausführlicher 2. Kor. 3 und 4 behandelt.

Er verkündigt: es gibt keinen Vorhang mehr, wie zur Zeit des Gesetzes; Gott kann offen angeschaut werden im Angesichte Christi. Wenn es jemandem töricht erscheint, den Vätern die Erkenntnis Gottes abzusprechen, während uns doch die Propheten, die ja auch zu ihnen gehören, noch heute die Fackel der Gotteserkenntnis vorantragen, so gebe ich demgegenüber den Bescheid: Es wird ihnen nicht schlechthin und völlig genommen, was uns zuerteilt wird, sondern es liegt ein Vergleich zwischen einer kleineren und einer größeren Gabe vor; sie hatten nur kleine Funken des lebendigen Lichtes, dessen voller Strahl uns heute bescheint.

Wollte jemand als Ausnahme auf 1. Mo. 32, 31 verweisen, wonach Gott auch früher von Angesicht zu Angesicht gesehen ward, so entgegne ich: jenes Schauen ist durchaus nicht mit dem unseren zu vergleichen. Da Gott sich damals nur dunkel und wie von ferne zu zeigen pflegte, sagen diejenigen, welchen er deutlicher erschienen war: Wir haben ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen. Sie reden da mit Rücksicht auf ihre Zeit, innerhalb deren man Gott überhaupt nur von vielen Hüllen verschleiert sah. Ein einzigartiges Gesicht, erhabener als fast alle übrigen, war jenes, das Moses schauen durfte (2. Mo. 33, 23), und dennoch erklärt Gott dabei nachdrücklich: „Mein Angesicht wirst du nicht schauen können; du wirst nur meinen Rücken sehen“. In bildlicher Redeweise betont er dort: die Zeit der vollkommenen, deutlichen Offenbarung ist noch nicht gekommen. Auch ist zu beachten, dass die Väter, wenn sie Gott schauen wollten, immer ihre Augen auf Christum gewendet haben. Ich meine damit nicht nur: sie haben Gott in seinem ewigen Worte angeschaut, sondern: sie waren mit ganzem Gemüt und ganzer Herzensempfindung gespannt auf die verheißene Offenbarung Christi; deswegen wird uns Kap. 8, 56 der Ausspruch Christi begegnen: „Abraham sah meinen Tag“. So vertragen sich die verschiedenen Aussagen der Schrift miteinander, ohne dass die eine die andere ausschlösse. –

Die weitere Aussage, dass der Sohn in des Vaters Schoß war, erklärt sich aus einer Übertragung eines menschlichen Bildes auf dies Verhältnis. Bei Menschen sagt man, dass sie den auf den Schoß oder an ihren Busen nehmen, dem sie alle Geheimnisse anvertrauen. Der Evangelist lehrt also, dass der Sohn der Vertraute des Vaters in seinen geheimsten Angelegenheiten gewesen ist; wir sollen wissen: im Evangelium haben wir das Herz Gottes offen vor uns.

V. 19. Und dies ist das Zeugnis