Das Buch Hiob - Johannes Calvin - E-Book

Das Buch Hiob E-Book

Johannes Calvin

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Beschreibung

Johannes Calvin (10. Juli 1509 - 27. Mai 1564) war ein französischer Theologe, Pfarrer, Reformator und eine der Hauptfiguren bei der Entwicklung des Systems der christlichen Theologie, das später Calvinismus genannt wurde, einschließlich der Lehren von der Prädestination und der absoluten Souveränität Gottes bei der Rettung der menschlichen Seele vor Tod und ewiger Verdammnis. Die calvinistischen Lehren wurden von der augustinischen und anderen christlichen Traditionen beeinflusst und weiterentwickelt. Verschiedene kongregationalistische, reformierte und presbyterianische Kirchen, die sich auf Calvin als Hauptvertreter ihrer Überzeugungen berufen, haben sich über die ganze Welt verbreitet. Calvin war ein unermüdlicher Polemiker und apologetischer Schriftsteller, der viele Kontroversen auslöste. Mit vielen Reformatoren, darunter Philipp Melanchthon und Heinrich Bullinger, tauschte er freundschaftliche und tröstende Briefe aus. Neben seiner bahnbrechenden "Unterweisung in der christlichen Religion" schrieb er Bekenntnisschriften, verschiedene andere theologische Abhandlungen und Kommentare zu den meisten Büchern der Bibel. Das vorliegende Werk umfasst seine umfassende Auslegung des Buches Hiob.

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Seitenzahl: 829

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Buch Hiob

 

JOHANNES CALVIN

 

 

 

 

 

 

 

Das Buch Hiob, J. Calvin

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783988682123

 

Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.

 

Übersetzer: Ernst Kochs (1868 – 1954)

 

Cover Design: 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 88 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA.

https://www.europeana.eu/item/2058612/PMRMaeyaert_b4ca2422261f4db3d5919ea7ff734329d08d9b34

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Vorbemerkungen zum Buch Hiob.1

Hiob 1, 1.4

Hiob 1, 2-5. 13

Hiob 1, 6-12. 25

Hiob 1, 13-19.35

Hiob 2, 1-10.44

Hiob 2, 11 – 3, 4. 52

Hiob 3, 11-22.60

Hiob 4, 1-9. 66

Hiob 4, 12-19. 74

Hiob 5, 6-10. 82

Hiob 5, 11-16. 92

Hiob 5, 17-18. 100

Hiob 6, 1-9. 106

Hiob 7, 1-6.113

Hiob 7, 16-21.119

Hiob 8, 1-6.126

Hiob 9, 1-4.133

Hiob 9, 5-15.140

Hiob 9, 16-22.146

Hiob 9, 27 – 35.154

Hiob 10, 1-6.162

Hiob 10, 7-15.170

Hiob 10, 18 – 22.180

Hiob 11, 1 – 6.185

Hiob 11, 7 – 12.190

Hiob 12, 7 – 13. 197

Hiob 12, 14 – 16.204

Hiob 12, 17 – 25.210

Hiob 13, 15 – 22.216

Hiob 13, 23 – 28.223

Hiob 14, 1 – 4.230

Hiob 14, 5-12. 236

Hiob 15, 1 – 10.242

Hiob 15, 14 – 16.248

Hiob 19, 1 – 12.253

Hiob 19, 23 – 27.259

Hiob 22, 1 – 5.265

Hiob 23, 8 – 12.270

Hiob 27, 1 – 4.276

Hiob 27, 19 – 28, 9.281

Hiob 28, 20 – 28.289

Hiob 28, 28. 294

Hiob 29, 1 – 5.299

Hiob 30, 19 – 21.304

Hiob 32, 1- 3.310

Hiob 33, 8 – 13.315

Hiob 33, 14 – 17. 320

Hiob 33, 23 – 26.325

Hiob 33, 29 – 33.332

Hiob 34, 10 – 15.337

Hiob 37, 14 – 20.345

Hiob 38, 1 – 4.352

Hiob 39, 36 – 40, 3.359

Hiob 40, 20 – 41, 2.363

Hiob 42, 1-5.368

Hiob 42, 6 – 8.375

Hiob 42, 9 – 17.382

Vorbemerkungen zum Buch Hiob.

Calvin hat das Buch Hiob in Wochentagspredigten ausgelegt, wie er sie jede zweite Woche jeden Morgen hielt. Der Anfang der Hiobpredigten fällt nach Colladon auf den 26. Februar 1554. Wir erfahren bei Colladon weiter, dass Calvin am 20. März 1555 mit den Predigten über das Deuteronomium begonnen hat. Nun beträgt die Zahl der Hiobpredigten insgesamt 159; dies bedeutet, dass Calvin etwas mehr als ein Jahr über das Buch Hiob gepredigt hat (es stand ihm ja nur die Hälfte der Wochentage zur Verfügung). Wir haben daher anzunehmen, dass der Zeitraum zwischen dem 26. Februar 1554 und etwa Mitte März 1555 in den Wochentagspredigten voll und ganz diesem Buche gewidmet war. (Sonntags predigte Calvin nur über neutestamentliche Texte sowie dann und wann über die Psalmen.)

Es war eine entscheidungsschwere Zeit, dieses Jahr der Hiobpredigten. Die Hinrichtung Servets (26. Oktober 1553) bewegte die Gemüter noch sehr, und Calvin kommt in den Hiobpredigten wiederholt auf sie zu sprechen. Erst recht aber bahnte sich die große Entscheidung an, die im Jahre 1555 endgültig fiel: Calvins Kampf mit seinen Gegnern in der Genfer Bürgerschaft und im Rate war auf dem Höhepunkt. Wir werden vermuten können, dass die schweren inneren Spannungen, denen der Reformator gerade in dieser Zeit ausgesetzt war, mit den Anlass zur Wahl des Predigtgegenstandes gegeben haben, und der Inhalt der Predigten lässt sowohl die inneren Nöte Calvins als auch die Härte der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen oft genug deutlich durchblicken.

Wer Calvin als Theologen und Menschen kennenlernen will, verdankt den angedeuteten Zeitumständen sowie erst recht den mannigfaltigen Anlässen, die der Text des Hiobbuches bot, einen besonders tiefen Einblick in Calvins Frömmigkeit, vor allem in die Art und Weise, wie er Anfechtungen durchlebte und mit ihnen in hartem Kampf fertig zu werden versuchte. Die Predigten tragen bei aller sachlichen Bemühung um den Text und bei aller Gebundenheit an ihn einen starken persönlichen Charakter, und wir gewinnen bei ihrer Lektüre den Eindruck, dass Calvin an der Gestalt Hiobs für seine eigenen Entscheidungen Vorbild wie Warnung empfing.

Wichtiger aber sind die Aufschlüsse, die wir aus diesen Predigten über die Theologie Calvins gewinnen. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Reformator hier genötigt war, seine Gotteslehre in aller Breite und Deutlichkeit zu entwickeln, und man kann behaupten, dass die Hiobpredigten für Calvins Lehre von Gott, von der Vorsehung, für seine Wertung des Leids und überhaupt seine Betrachtung des menschlichen „Schicksals“ eine der wichtigsten Quellen darstellen. Vieles, das sonst nur anklingt, wir hier mit voller Klarheit entfaltet, so z. B. der wichtige Gedanke, dass Gott eine „zwiefache Gerechtigkeit“ habe, eine Gerechtigkeit „nach dem Gesetz“ und außerdem noch eine andere, „der auch die Engel nicht zu genügen vermögen“. Auch für die viel umstrittene Frage, ob und in welchem Sinne Calvin eine „natürliche Offenbarung“ gelehrt habe, enthalten diese Predigten wertvolles Material: es wird vor allem deutlich, dass Calvin die Gotteserkenntnis der Heiden – Hiob steht ja außerhalb des geschriebenen Gesetzes – sozusagen historisch auf Offenbarungen zurückführt, die den Vätern vor dem Gesetz, namentlich dem Noah, zuteilgeworden und von ihnen weitergegeben worden waren. So fällt von diesen Predigten auf eine ganze Reihe von Fragen ein wenn nicht neues, so doch immerhin verstärktes Licht. Die vorliegende Auswahl bemüht sich, die theologisch besonders wichtigen Stellen trotz der starken Kürzung, die im Ganzen erforderlich war, möglichst vollständig wiederzugeben.

Erst acht Jahre nach ihrer Vollendung, 1563, sind diese Predigten im Druck erschienen, aber immerhin noch früh genug, um Calvin eine Durchsicht zu ermöglichen. Weitere Drucke des französischen Textes sind 1569 und 1611 erschienen. Im Jahre 1593 kam auch, längst erwünscht, eine lateinische Übersetzung heraus, und zwar unter Aufsicht und mit einer Vorrede Theodor von Bezas. Auch eine deutsche Übersetzung ist schon in recht alter Zeit erschienen (Heidelberg 1574) und konnte bei der hier vorliegenden Ausgabe mit zu Rate gezogen werden.

Unsere Ausgabe musste von vornherein darauf verzichten, vollständig zu sein: der vollständige Text macht an Umfang etwa das Anderthalbfache der Institutio aus und würde daher etwa fünf große Bände erfordern. Die Vollständigkeit ist aber auch nicht notwendig: der Charakter des Hiobbuches selbst und die Predigtweise Calvins bringen es mit sich, dass sich in den Predigten der gleiche Gedankengang oft an zahlreichen Stellen wiederholt findet, nicht selten in Nähe zu wörtlicher Übereinstimmung. Es ist daher für den Leser einer Übersetzung nicht nur nicht erforderlich, das Ganze zu lesen, sondern geradezu von Vorteil, wenn er aus Calvins Predigten nur das Wichtigste kennenlernt. So bietet unsere Ausgabe nur etwa ein Fünftel bis ein Sechstel des Bestandes.

In manchen Fällen konnte das so geschehen, dass ganze Predigten mit nur unwesentlichen Kürzungen dargeboten wurden. Oft aber war es nicht zu umgehen, mehrere Predigten zu einer einzigen zusammenzuziehen. Was in den 56 Abschnitten unserer Auswahl geboten wird, sind also nicht lauter geschlossene Predigten, sondern oft zusammengestellte Auszüge aus mehreren. Dies Verfahren erschien umso mehr gerechtfertigt, als Calvin selbst in zahlreichen Fällen mit seiner Predigt abbricht, ehe er den zugrunde gelegten Text bis zu Ende behandelt hat, und dann in der nächsten Predigt zunächst die Auslegung der vom vorigen Tag noch ausstehenden Textstücke nachträgt – für unsere Begriffe eine „Kunstfehler“, der sich aber aus der mehr bibelstundenartigen Predigtweise Calvins erklärt. Auf der anderen Seite kam es darauf an, die Herstellung einer bloß auf das Gedankliche ausgehenden Blütenlese zu vermeiden. Calvin macht zwischen Kommentar, Vorlesung und Predigt deutliche Unterschiede, und die Hiobpredigten sind bei aller Eigenartigkeit der Anlage durchaus Predigten, durchaus auf die Anwendung des Schriftwortes gerichtet. Dieser Wesenszug durfte auch in der Übersetzung nicht verwischt werden. So sehr daher die Kürzungen dem Zweck dienen, Wiederholungen tunlichst zu vermeiden und das Wesentlichste klarer hervortreten zu lassen, so wenig durfte auf eine weitgehende Wiedergabe des im rechten Sinne erbaulichen Stoffes verzichtet werden. Es sind also aus den Hiobpredigten nicht gleichsam theologische Abhandlungen ausgezogen worden, sondern es wurde Wert daraufgelegt, wirkliche Predigtstücke zu bieten, wenn auch teilweise in neuer Zusammenstellung.

 

 

Hiob 1, 1.

 

1) Es war im Lande Uz ein Mann namens Hiob, aufrichtig und redlich, gottesfürchtig und hütete sich vor dem Bösen.

 

Wollen wir von diesem Buche einen rechten Nutzen haben, so müssen wir zuvor seinen Inhalt kennen. Die darin beschriebene Geschichte zeigt uns, dass wir in der Hand Gottes sind und dass es ihm zusteht, über unser Leben zu verfügen und damit nach seinem Wohlgefallen zu schalten; uns aber liegt es ob, uns in aller Demut und allem Gehorsam ihm zu unterwerfen, weil wir nach Recht und Billigkeit sein Eigentum sind, ganz und gar, im Leben und Sterben, ja, selbst wenn es ihm gefallen sollte, seine Hand über uns auszurecken – sollten wir auch nichts davon verstehen, warum er es tut -, haben wir dennoch nichtsdestoweniger ihn zu verherrlichen mit dem Bekenntnis, dass er gerecht und redlich ist; wir dürfen nicht wider ihn murren und uns nicht in einen Rechtsstreit gegen ihn einlassen; denn es ist sicher, dass wir darin immer unterliegen. Das also haben wir dieser Geschichte als ihren kurzen Inhalt zu entnehmen: Gottes Herrschaft über seine Geschöpfe besteht darin, dass er nach seinem Wohlgefallen mit ihnen schalten und walten kann; und wenn er mit einer Strenge verfährt, die uns auf den ersten Blick befremdlich anmutet, so sollen wir dennoch den Mund geschlossen halten und nicht wider ihn murren, sondern vielmehr bekennen, dass er gerecht ist, und abwarten, bis er uns zu verstehen gibt, warum er uns züchtigt.

Dabei aber haben wir bei dem Manne, der uns hier vor Augen gestellt wird, auf seine Geduld zu achten, in Befolgung der Ermahnung des hl. Jakobus (5, 11): „Die Geduld Hiobs habt ihr gehört. “ Wir berufen uns ja so gern auf unsere Schwachheit und meinen, das solle uns zur Entschuldigung dienen. Darum ist es gut, dass wir Exempel besitzen, die uns zeigen, dass sich Menschen gefunden haben, die ebenso schwach wie wir waren und dennoch den Anfechtungen widerstanden und im Gehorsam Gottes beständig verharrten, wiewohl er sie aufs äußerste heimsuchte. Und das sehen wir hier in einem vortrefflichen Spiegel.

Doch nicht genug, dass wir Hiobs Geduld betrachten – wir haben auch auf den Ausgang zu sehen, wie ja auch der hl. Jakobus davon redet: „Und das Ende vom Herrn habt ihr gesehen“ (5, 11). Denn wäre Hiob trotz seiner die Engel übertreffende Kraft dennoch in der Anfechtung zu Schanden geworden, so könnte man in keiner Weise von einem glücklichen Ausgang reden. Sehen wir aber, dass ihn seine Hoffnung nicht betrogen hat und dass er umso mehr Gnade gefunden hat, je mehr er sich vor Gott demütigte, so haben wir aus einem solchen Ausgang den Schluss zu ziehen, dass es nichts Besseres gibt, als uns Gott zu unterwerfen und alles, was er uns zuschickt, sanftmütig zu erdulden, bis er uns durch seine lautere Güte frei macht.

Doch neben der Geschichte haben wir auch die Lehre zu betrachten, die dies Buch enthält; wir müssen auf die Männer achten, die zu Hiob kommen, scheinbar um ihn zu trösten, und ihn doch dabei vielmehr quälen, als sein Unglück es tut; endlich müssen wir auch auf die Antworten achten, mit denen Hiob ihre Verleumdungen zurückweist, womit sie ihn zu Boden drücken wollen.

Zunächst haben wir festzustellen: Unsere Trübsale schickt uns Gott, von ihm kommen sie her, und doch ist es der Teufel, der sie anstiftet, worauf auch der hl. Paulus uns warnend hinweist: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Eph. 6, 12). Denn wenn der Teufel in dieser Weise das Feuer anzündet, hat er auch seine Blasebälge, Menschen, die immer darauf aus sind, uns zu reizen und unser Elend größer zu machen. Auch Hiob hat zu seinem Unglück noch allerlei Plage erlitten, und zwar durch seine Freunde, durch sein Weib, kurz durch die, die gekommen sind, um ihn in geistliche Anfechtung zu bringen. Von geistlicher Anfechtung rede ich, wenn wir nicht allein leiblich geschlagen und geplagt werden, sondern wenn der Teufel uns allerlei Gedanken einbläst, als wäre Gott unser Todfeind und dürften wir nicht mehr unsere Zuflucht zu ihm nehmen, ja, als werde er uns überhaupt keine Gnade mehr erzeigen. Darauf haben es Hiobs Freunde abgesehen: ihn zu überreden, er sei von Gott verstoßen und er betrüge sich sehr, wenn er meine, Gott müsse ihm gnädig sein. Solche geistlichen Anfechtungen sind viel schwerer zu ertragen als alle Übel und Widerwärtigkeiten, die wir in der Verfolgung zu erleiden haben.

Zum zweiten aber haben wir auch darauf zu achten: In diesem ganzen Gespräch vertritt Hiob eine gute Sache, seine Gegner eine schlechte. Dazu vertritt Hiob seine gute Sache schlecht, die anderen aber führen ihre schlechte Sache gut. Das gibt uns den Schlüssel zu dem ganzen Buch. Wie ist es zu verstehen, dass Hiob seine gute Sache schlecht vertritt? Er weiß: Gott plagt die Menschen nicht immer nach dem Maß ihrer Sünden, sondern er fällt geheime Rechtsurteile, von denen er uns keine Rechenschaft gibt, und wir haben nur abzuwarten, dass er uns offenbare, warum er dies oder das tut. Dafür hat Hiob in sich selbst das Zeugnis, dass er nicht, wie man ihn glauben machen will, ein von Gott Verworfener ist. Er hat eine gute und rechte Sache, aber er vertritt sie schlecht: er geht viel zu weit und stellt maßlose und ungeheuerliche Behauptungen auf, die ihn an vielen Stellen als einen verzweifelten Menschen erscheinen lassen. Ja, er erhitzt sich dermaßen, als wollte er Gott widerstreben. Das heißt eine gute Sache schlecht führen. Die anderen dagegen vertreten eine schlechte Sache, indem sie meinen, Gott strafe die Menschen in allen Fällen nach dem Maß ihrer Sünden; sie machen schöne und heilige Worte, und alles, was sie sagen, klingt, als hätte der Heilige Geist es geredet. Denn es ist lautere Wahrheit, es sind die Grundfesten der Religion: sie sprechen von Gottes Vorsehung, sie sprechen von seiner Gerechtigkeit, sie sprechen von den Sünden der Menschen. Und doch ist ihre Absicht böse: sie geben sich alle Mühe, Hiob in die tiefste Verzweiflung zu versenken. Haben wir also ein gutes Fundament, so müssen wir wohl darauf achten, dass wir den Aufbau so vornehmen, dass alles zusammenpasst. So sagt auch der hl. Paulus (1. Kor 3, 10 ff. ), dass er einen rechten Bau aufgeführt hat; er zeigt, wie er die Kirche auf die reine Lehre von Jesus Christus gegründet hat; doch sagt er auch, der Bau habe eine solche Gleichförmigkeit, dass auch die, die nach ihm kämen, nicht Stoppeln oder Stroh oder andere vergängliche Dinge als Fundament legen könnten, sondern Grund stark und fest sein werde. So sollen wir denn in unserm ganzen Leben wohl zusehen, dass wir es auch so machen: Stehen wir auf einer guten und gerechten Sache, so müssen wir wohl darauf achten, dass wir sie nicht so oder so beugen oder biegen; denn nichts ist leichter, als eine gute und gerechte Sache verdrehen, weil unsere Natur fehlerhaft ist, worauf wir ja jederzeit die Probe machen können. Gott schenkt uns die Gnade, dass wir eine gute Sache haben, unsere Feinde aber reizen uns dermaßen, dass wir uns nicht in unseren Schranken halten. Umso mehr müssen wir Gott bitten, er wolle uns, wenn wir eine gute Sache haben, durch seinen Heiligen Geist in aller Einfalt leiten, damit wir die Grenzen nicht überschreiten, die er uns durch sein Wort gesteckt hat. Darin liegt auch die weitere Warnung, die Wahrheit Gottes nicht missbräuchlich anzuwenden; denn wir entweihen sie, wenn wir es machen wie diese Männer: wenn sie auch noch so fromme Worte machen, sie sind doch Frevler am Heiligen. Denn sie verfälschen die Wahrheit Gottes und missbrauchen sie; was an sich gut und richtig ist, missdeuten sie in böser Absicht. Hat uns also Gott sein Wort erkennen lassen, so lasst uns lernen, es mit solcher Furcht anzunehmen, dass wir nicht das Gute damit verdunkeln oder das Böse färben. Es ist ja oft so, dass die Scharfsinnigsten und Gelehrtesten sich selbst den Zügel schießen lassen, die gottgegebene Erkenntnis zu Betrug und Bosheit missbrauchen und alles auf den Kopf stellen, so dass sie sich nur immer mehr darein verwickeln. Ist aber die Welt diesem Fehler ergeben, so haben wir umso mehr Gott zu bitten, er wolle uns die Gnade erweisen, von seinem Worte einen solchen Gebrauch zu machen, wie er es meint, nämlich einen lauteren und einfältigen.

Haben wir nun den Inhalt des Buches verstanden, so müssen wir jetzt das einzelne ausführlicher betrachten, und zwar im Anschluss an den Verlauf der Geschichte.

Es war im Lande Uz ein Mann namens Hiob. Zu welcher Zeit Hiob gelebt hat, können wir nicht erraten; nur so viel können wir merken, dass es schon sehr lange her gewesen sein muss. Einige Juden sind der Meinung, der Verfasser dieses Buches sei Mose gewesen; er habe damit dem Volke einen Spiegel vorhalten wollen: die Kinder Abrahams, die seinem Geschlecht entsprossen waren, sollten erkennen, dass Gott auch anderen, die nicht von diesem Geschlecht waren, Gnade erwiesen habe. Sie sollten sich schämen, dass sie nicht rein in der Furcht Gottes wandelten, weil doch dieser Mann, ohne das Zeichen des Bundes, die Beschneidung, an sich zu tragen, als Heide sich so wohl gehalten hat. Aber das ist unsicher, und darum lasse ich es auf sich beruhen. Zweifellos hat der Heilige Geist dies Buch dazu eingegeben, dass die Juden erkannten: Gott hat Menschen gehabt, die ihm dienten, obwohl sie von der übrigen Welt nicht geschieden waren, und die auch ohne das Zeichen der Beschneidung doch in Lauterkeit des Lebens gewandelt sind. Weil die Juden das wussten, hätten sie umso mehr Anlass gehabt, Gottes Gesetz eifrig zu beobachten, und weil ihnen Gott die Gnade und das Vorrecht geschenkt hatte, sie aus allen fremden Völkern zu sammeln, hätten sie sich völlig ihm zum Dienst ergeben sollen. Auch kann man aus dem Buche des Ezechiel (14, 14) entnehmen, dass der Name Hiob bei dem Volke Israel berühmt war: „Und wenn dann gleich die drei Männer Noah, Daniel und Hiob drinnen wären, so würden sie allein ihre eigene Seele erretten durch ihre Gerechtigkeit. “ Die Juden sollten einen Spiegel und ein Muster haben, um die Heilslehre, die ihnen geschenkt war, zu beobachten, weil doch dieser Mann aus fremdem Volke sich so reingehalten hatte.

Das war die Hauptsache, die wir in erster Linie festhalten müssen, wenn uns hier gesagt wird, Hiob habe im Lande Uz gewohnt. Einige verlegen dieses Land freilich in das Morgenland, aber Klagel. 4, 21 bezeichnet es als einen Teil von Edom. Die Edomiter waren bekanntlich Nachkommen Esaus. Allerdings hatten sie noch die Beschneidung, aber weil sie sich von der Kirche Gottes verirrt hatten, ist nichts von dem Bundeszeichen mehr bei ihnen geblieben. Hiob war also ein Edomiter und gehörte daher zu Esaus Nachkommenschaft. Wir kennen das Wort des Propheten Maleachi (1, 2 f. ). Esau und Jakob seien Zwillingsbrüder gewesen und doch habe Gott durch seine lautere Güte den Jakob erwählt und den Esau verworfen und mit seinem ganzen Geschlecht verflucht. Damit will der Prophet Gottes Barmherzigkeit gegen die Juden preisen: nicht um irgendeiner Würdigkeit willen, die ihrer Person angehaftet hätte, hat Gott sie erwählt, als er Jakobs erstgeborenen Bruder verwarf, der doch im Besitz des Erstgeburtsrechtes war, und dagegen den Jüngeren und Geringeren erwählte. Obwohl nun also dieser Mann hier dem Geschlechte Esaus entstammte, lebte er aufrichtig und diente seinem Gott, und zwar nicht allein im Umgang mit den Menschen in Gerechtigkeit und Redlichkeit, sondern er hatte auch eine reine Religion und befleckte sich nicht mit dem Götzendienst und Aberglauben der Ungläubigen. Der Mann trägt den Namen Hiob. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass dieser Mann, von dem uns Wohnsitz und Name mitgeteilt wird, tatsächlich gelebt hat und dass die hier beschriebenen Vorgänge sich wirklich ereignet haben; wir dürfen nicht meinen, es handle sich um ein Gedicht. Auch schon die oben angeführten Zeugnisse des Ezechiel und des Jakobus sprechen dafür, dass Hiob wirklich gelebt hat; und wenn überdies die Geschichte es berichtet, so können wir, was der Heilige Geist so ausdrücklich hat sagen wollen, nicht auslöschen.

Endlich haben wir noch auf folgendes zu achten: Zwar war die Welt in jener Zeit vom wahren Gottesdienst und der reinen Religion entfremdet, doch gab es nichtsdestoweniger viel mehr Aufrichtigkeit als heute. In der Tat hatte zur Zeit Abrahams Melchisedek eine Kirche und einen Opferdienst, dem keinerlei Befleckung anhaftete. Und während also der größte Teil der Welt in mancherlei Irrtümer und falsche gottlose Einbildungen verstrickt war, hatte sich Gott doch einen geringen Samen zurückbehalten, und es hat immer Menschen gegeben, die in der lauteren Wahrheit blieben und darauf warteten, dass Gott seine Kirche aufrichte. Es ist wohl wahr: Hiob hat erst nach jener Zeit gelebt, aber weil Gott die Kirche noch nicht in einen sichtbaren Stand gebracht hatte, sollte nach seinem Willen immer ein kleiner Same unter den Heiden übrigbleiben. Dort wollte er angebetet werden, und das sollte zugleich diejenigen, die sich vom rechten Weg abgewandt hatten wie die Heiden, von ihrem Unrecht überführen; denn Hiob allein genügte ihm, um eines ganzen Landes Richter zu sein. Auch Noah hat, wie die Schrift sagt, die Welt verdammt, weil er sich allezeit rein erhielt und wandelte, als hätte er Gott vor Augen, obwohl ihn sonst jedermann vergessen hatte und alle in ihre Irrtümer verrannt waren. So war es auch mit Hiob, der die Leute in seinem Land verdammt hat, weil er Gott in Lauterkeit diente und die anderen voller Abgötterei, Schanden und mancherlei Irrtümer lebten; und das kam daher, dass sie nicht lernen wollten, welches der wahre, lebendige Gott wäre und wie er geehrt sein wollte. So viel ist sicher: Gott hat allezeit dafür gesorgt, dass den Gottlosen und Ungläubigen alle Entschuldigung genommen wurde; aus diesem Grunde musste es immer Leute geben, die dem nachkamen, was er den alten Vätern geoffenbart hatte. Solch ein Mann war auch Hiob, und seine Geschichte bezeugt es deutlich, dass er mit reinem Herzen Gott gedient hat und in aller Redlichkeit unter den Leuten gewandelt ist.

Hiob war aufrichtig. Dies Wort wird in der Schrift gebraucht, wenn sich bei einem Menschen Offenheit ohne Trug und Heuchelei findet, wenn einer sich nach außen ebenso zeigt, wie er von innen ist, ohne einen versteckten Winkel, in dem er sich vor Gott verbirgt, wenn er alle seine Gedanken und seinen ganzen Willen, ja sein ganzes Herz Gott aufdeckt und nichts anderes begehrt, als sich Gott zu weihen und ganz zu eigen zu geben. Von den griechischen und lateinischen Übersetzern ist das Wort mit „Vollkommenheit“ wiedergegeben; weil sie aber hernach das Wort Vollkommenheit falsch ausgelegt haben, ist es besser, es mit „Aufrichtigkeit“ zu übersetzen. Denn viele Unverständige, die nicht wissen, wie man das Wort „Vollkommenheit“ verstehen soll, haben gedacht: Hier ist ein Mann, der vollkommen genannt wird; daraus folgt, dass wir in uns selbst vollkommen sein können, während wir in diesem gegenwärtigen Leben wandeln. Aber damit haben sie die Gnade Gottes, die wir immerdar nötig haben, verdunkelt; denn auch die, die einen noch so richtigen Wandel geführt haben, müssen zu Gottes Barmherzigkeit ihre Zuflucht nehmen, und wenn ihnen ihre Sünden nicht vergeben werden und Gott sie nicht mit Geduld trägt, so sind sie alle verloren. Hiob wird also aufrichtig genannt. Wie ist das zu verstehen? Es war in ihm keine Heuchelei, kein falscher Schein, er hat kein „doppeltes Herz“ gehabt. Denn wenn die Schrift das Laster bezeichnen will, das zu dieser „Aufrichtigkeit“ im Gegensatz steht, so sagt sie: Man wandelt „mit Herz und Herz“, also mit doppeltem Herzen. Zunächst wird diese Bezeichnung also dem Hiob deshalb beigelegt, um zu zeigen, dass er rein und einfältig gesinnt war, dass er nicht mit dem einen Auge hierhin, mit dem anderen dorthin gesehen, dass er Gott nicht halb gedient hat, sondern bemüht war, sich ihm ganz zu ergeben. Es ist wahr: Wir werden es nie zu einer solchen Aufrichtigkeit bringen können, dass wir diesem Ziele so zustrebten, wie es wohl zu wünschen wäre; denn auch die, die den rechten Weg verfolgen, gehen doch nur wie die Hinkenden einher; sie sind so schwach, dass sie Schenkel und Achseln nachschleppen. So sieht es mit uns aus, solange wir mit diesem sterblichen Leibe umgeben sind. Bevor uns Gott nicht aus all dem Elend, dem wir unterworfen sind, herauslöst, werden wir es zu einer vollkommenen Aufrichtigkeit nicht bringen. Aber so viel ist sicher: Wir müssen dahin kommen, dass wir völlig aufrichtig werden und allem falschen Schein und allen Lügen absagen. – Auch darauf lasst uns schließlich noch achten: Wahre Heiligkeit fängt im Innern an. Wäre unser äußerer Schein vor den Menschen auch der allerschönste von der Welt, wäre unser Leben auch noch so wohl geordnet, dass uns jedermann deshalb lobte, - ohne diese Aufrichtigkeit und Einfalt vor Gott wäre es nichts. Denn zuerst muss die Quelle rein sein, dann erst können reine Bächlein daraus fließen; sonst könnte das Wasser wohl klar sein, dabei aber doch bittere oder andere schlechte Bestandteile haben. Wir müssen also immer zuallererst „ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh. 4, 24), so wie es Jeremia 5, 3 heißt: „Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben. “

Weiter wird Hiob ein redlicher Mann genannt. Diese Redlichkeit bezieht sich auf seine Lebensführung: sein Leben ist die Frucht aus der Wurzel, die der Heilige Geist zuvor in ihn hineingesenkt hat. Hat denn Hiob ein redliches und aufrichtiges Herz gehabt? Ja, er lebte „schlecht und recht“, im Handel und Wandel mit seinen Nächsten tat er niemand Schaden noch Unrecht, war nie auf Betrug oder Bosheit bedacht und suchte nie seinen Nutzen mit anderer Leute Schaden. Das ist mit seiner Redlichkeit gemeint. Herz und äußeres Verhalten müssen zusammenstimmen. Wir können uns wohl vor bösen Taten hüten, wir können wohl vor Menschen einen schönen Schein haben, aber das ist nichts, wenn sich in der tiefsten Wurzel, im innersten Herzen vor Gott Heuchelei und Trug verbirgt. Was müssen wir denn tun? Wollen wir eine rechte Aufrichtigkeit haben, so müssen Auge, Hand und Fuß, Arm und Bein mit dem Herzen zusammenstimmen, und unser ganzes Leben muss den Beweis liefern, dass wir Gott dienen wollen. Deshalb ermahnt auch der hl. Paulus die Galater (5, 25): „So wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. “ Er will sagen: Es ist wahr, der Geist Gottes muss in uns wohnen und uns regieren; denn ein Leben zu führen, das der Menschen Beifall und Hochachtung fände, das ist nichts, wenn wir nicht durch Gottes Gnade erneuert sind. Mit der Tat und Wahrheit müssen wir beweisen, dass der Geist Gottes in unseren Seelen die Herrschaft führt. Denn sind unsere Hände mit Diebstahl, Grausamkeit oder anderen Schäden befleckt oder unsere Augen mit bösen, unzüchtigen Blicken oder mit lüsterner Gier nach des Nächsten Gut oder mit Hoffart und Eitelkeit, oder laufen die Füße, wie die Schrift sagt, dem Bösen nach, so beweisen wir damit nur, dass das Herz voller Bosheit und Verderben ist. Denn Hände, Füße und Augen regieren sich nicht selbst – sie werden geführt vom Geist und vom Herzen. Hier sehen wir auch, woran Gott prüfen will, ob wir ihm treulich dienen oder nicht: es ist nicht so, als ob er unseres Dienstes bedürfe; nein, wenn wir unserm Nächsten Gutes tun und mit jedem nach Recht und Billigkeit verfahren, wie uns die Natur selber lehrt, so bezeugen wir damit, dass wir Gott fürchten. Wir sehen Menschen genug, die sich gar eifrig anstellen, wenn es sich ums Disputieren und Reden handelt, um sagen zu können, dass sie sich um Gottes Dienst und Ehre mühen; aber sooft sie mit ihrem Nächsten zu tun haben, merkt man, was sie im Herzen haben, denn ihren Vorteil suchen sie und machen sich gar kein Gewissen daraus, die anderen, wenn sie die Macht dazu haben, mit allen Mitteln zu betrügen. Wer also seinen Vorteil und Nutzen sucht, ist zweifellos ein Heuchler, und sein Herz ist verderbt; mögen solche Leute auch noch so schön tun mit ihrem Eifer, - Gott weiß: in ihrem Herzen ist nichts als Unflat und Gift. Wo ist Aufrichtigkeit ist, da ist auch Redlichkeit. Ist das Herz im Innersten rein, so werden wir auch im Umgang mit den Menschen auf ihr Wohl bedacht sein, nicht auf uns selbst und unseren Vorteil, sondern werden die Billigkeit walten lassen, die Jesus Christus als die Regel des Lebens und als die Hauptsumme des Gesetzes und der Propheten bezeichnet: „Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch. “ Dies Lob des Hiob bedeutet also für viele Menschen ein Verdammungsurteil.

Gottesfürchtig wird er genannt. Wenn ihm das Lob gespendet wird, er habe Redlichkeit und Billigkeit gegen die Menschen bewiesen, so folgt daraus, dass er vor Gott wandelte, denn ohne das hätte das übrige keinen Wert. Es ist wahr: Wir können nicht auf unseres Nächsten Bestes bedacht sein, wenn wir nicht auf Gott blicken. Denn wer seinem natürlichen Trieb folgt, der mag wohl scheinbar allerlei schöne Tugenden haben, aber dennoch beherrscht ihn von vornherein die Selbstliebe, und er lässt sich nur von der Ehrsucht treiben, was alle scheinbar vorhandene Tugend verdirbt. Freilich können wir solchen gerechten, redlichen Wandel nicht führen, ohne Gott zu fürchten; doch sind es zwei ganz verschiedene Dinge, Gott zu dienen und unseren Nächsten zu ehren; auch im Gesetz hat sie Gott unterschieden, indem er es auf zwei Tafeln schreiben ließ. Wie also der Heilige Geist mit dem Worte Redlichkeit Hiobs Verhalten zu den Menschen hat darstellen wollen, so will er uns nun mit dem Worte gottesfürchtig seine Religion, seinen Glauben nahebringen. Um unser Leben recht in Ordnung zu bringen, müssen wir auf Gott schauen, dann erst auf den Nächsten – auf Gott, um uns ihm zu ergeben und ihm die schuldige Huldigung zu erweisen, auf den Nächsten, um ihm zu leisten, was wir ihm schuldig sind; denn wir haben ja die Pflicht, ihm zu helfen und in Billigkeit und Redlichkeit mit ihm zu leben. Dazu hat uns ja Gott miteinander verbunden, dass ein jeder sich vornehme, all sein Vermögen zum allgemeinen Wohl anzuwenden. Wer nur auf sich selber sieht, in dem steckt nichts als Eitelkeit. Wenn einer auch sein Leben so einrichtet, dass kein Mensch etwas daran auszusetzen hat, aber Gott erkennt es nicht an, - was hat er dann für Gewinn, und wenn er sich noch so viel Mühe gibt, so zu wandeln, dass jedermann ihn preisen muss? Gott sieht an ihm lauter Flecken, und es erfüllt sich an ihm das Wort Luk 16, 15: „Was hoch ist unter den Menschen, das ist ein Gräuel vor Gott. “ Auf Gott müssen wir blicken, weil wir dazu geschaffen sind, ihm zu dienen und ihn anzubeten; denn obschon er unseres Dienstes nicht bedarf wie unser Nächster, und obschon ihm unser Dienst weder kalt noch warm einbringt, so hat er doch vernünftige Geschöpfe haben wollen, die ihn erkennten und ihm die gebührende Pflicht leisteten. Die Gottesfurcht aber ist nicht eine knechtische, wie man zu sagen pflegt, sondern es handelt sich dabei um die Ehrerbietung, die wir ihm schuldig sind; denn er ist ja unser Vater und Herr. Leben wir in der Furcht Gottes? Dann begehren wir sicherlich nichts anderes, als ihn zu ehren und völlig sein Eigentum zu sein. Kennen wir ihn? Dann müssen wir ihn so kennen, wie er sich offenbart, nämlich als unseren Schöpfer und Erhalter, der uns eine so väterliche Güte erzeigt, dass wir uns billig als seine Kinder fühlen müssen; sonst wären wir doch allzu undankbar gegen ihn. So umfasst denn das Wort „Gottesfurcht“ die ganze Religion, also den ganzen Gottesdienst und die Huldigung, die die Geschöpfe ihrem Schöpfer schuldig sind. Es war etwas Großes, dass Hiob Gott fürchtete, obwohl die ganze Welt den rechten Weg verlassen hatte. Wenn auch unter den liederlichsten Menschen der Welt leben müssten, so könnten wir uns damit doch nicht entschuldigen. Hiob lebte gottesfürchtig – in welchem Land? Nicht in Judäa, nicht in Jerusalem, nicht im Tempel, sondern an einem unreinen Ort und unter ganz verdorbenen Leuten. Das kann uns nur ganz tief beschämen, wenn wir unseresteils nicht darauf achten, uns im Dienst Gottes und des Nächsten unbefleckt zu erhalten.

Zum Schluss heißt es: Er hütete sich vor dem Bösen. Wie konnte Hiob alle Schwierigkeiten überwinden, die ihn hinderten, Gott zu dienen und vor den Menschen redlich zu leben? Er lebte in innerer Sammlung. Der Teufel hat sich genug Mühe gegeben, Hiob zu verderben und ihn in die Sittenverderbnis der Welt hineinzubringen, aber Hiob hütete sich und hielt sich zurück vom Bösen. Und wir? Wiewohl wir in der Kirche Gottes sind, sehen wir immer viel Böses; wir müssen immer zwischen Verächtern, Wüstlingen und Höllenbränden leben, die mit ihrem Tod bringendem Pesthauch alles vergiften. Wir müssen also auf der Hut sein, weil es viel Ärgernis und Ruchlosigkeit gibt, die uns jeden Augenblick verführen können. Wir wollen uns vor dem Bösen hüten und wie Hiob gegen solche Verführungsmächte ankämpfen, damit wir uns nicht mit der Welt beflecken und nicht meinen, wir müssten mit den Wölfen heulen. Wir wollen uns vor dem Bösen hüten, und zwar so, dass der Satan es mit allen seinen Versuchungen nicht erreicht, uns in das Böse zu verstricken. Wir wollen es leiden, dass Gott uns von allem Unflat und allem Gifte reinigt, wie er uns im Namen unseres Herrn Jesus Christus verheißen hat, bis er uns einst befreit von allem Schmutz dieser Welt, um uns mit seinen Engeln zu vereinen und uns teilhaftig zu machen der ewigen Glückseligkeit, nach der wir in dieser Zeit trachten müssen.

 

 

Hiob 1, 2-5

 

2) Ihm wurden sieben Söhne und drei Töchter geboren. 3) Und er hatte einen großen Viehstand, nämlich siebentausend Hammel und Mutterschafe, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder, fünfhundert Eselinnen, dazu eine große Dienerschaft, so dass er allen Leuten im Morgenland voran stand. 4) Seine Söhne pflegten von Zeit zu Zeit in ihren Häusern Mahlzeiten zu veranstalten, jeder an seinem Tag; auch ihre drei Schwestern luden sie ein, mit ihnen zu essen und zu trinken. 5) Wenn der Rundgang dieser Mahlzeiten beendet war, schickte Hiob hin zu seinen Kindern und heiligte sie. Beim Aufstehen des Morgens früh brachte er nach ihrer Zahl Brandopfer dar; denn er dachte: Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und den Herrn nicht gesegnet in ihrem Herzen. So pflegte es Hiob alle Tage zu halten.

 

Hiob war ein sehr reicher Mann. Warum uns sein Reichtum aufgezählt wird, werden wir hernach sehen; denn seine Geduld verdient ein viel größeres Lob, wenn er eines so großen Reichtums beraubt wurde, in die äußerste Armut geriet und dabei doch so sanftmütig blieb, als hätte er nur wenig verloren. Was war doch Hiob für ein tugendhafter Mann, dass sein Reichtum es nicht vermochte, ihn in Hoffart zu blenden oder ihn dahin zu bringen, dass er sich der Welt allzu sehr gleichstellte oder Gott aus dem Dienst lief! Im Schatten ihres Reichtums werden viele so stolz sein, dass man sie gar nicht mehr bändigen kann; sie missbrauchen ihr Ansehen, um die Armen zu unterdrücken; auch sonst sind sie voll Grausamkeit, machen auch großen Aufwand, wie denn am Reichtum viel böse Dinge hängen. Hiob aber beharrt trotz seines Reichtums im Dienste Gottes und in der Einfalt, von der uns hier erzählt wird. Wenn Gott den Reichen dieser Welt Überfluss beschert, so mögen sie wohl zusehen, dass sie sich nicht ihren Reichtum verstricken. So ermahnt sie der Psalm (62, 11), sie sollen sich nicht in Hoffart überheben und ihre Hoffnung nicht setzen auf die vergänglichen Dinge dieser Welt, an denen doch nichts beständig ist. Darum warnt auch Paulus die Reichen, sich nicht darauf zu verlassen und aus ihren Gütern keinen Abgott zu machen, als wenn sie sicher wären, sie immer zu besitzen und zu genießen; nein, sie sollen bereit sein, darauf zu verzichten (nach 1. Tim 6, 17). Überhaupt: Die da Äcker, Weinberge, Wiesen, Land, Geld und Kaufmannschaft haben, sollen zusehen, dass sie es gebrauchen, als hätten sie nichts davon; dafür sollen sie arm am Geist sein (nach 1. Kor 7, 29).

Nun soll niemand einwenden, es sei doch sehr schwer, sich mitten in so großem Reichtum reinzuhalten, da doch Christus selber ihn als „Dornen“ bezeichne. Denn Hiobs Beispiel verdammt alle die, die sich nicht unbefleckt erhalten, es sei so schwer, wie es wolle. Das ist ja ganz sicher: Ein reicher Mann hat es schwerer, in der Furcht Gottes zu wandeln, als ein Armer. Auch die Armut hat mancherlei Versuchungen. Denn wenn ein Mensch in Not steckt, so sieht er sich um und denkt: Was soll aus mir werden? Und der Teufel treibt ihn zum Misstrauen. Dann gerät er ins Murren wider Gott, nicht sich die Freiheit, zu rauben und zu stehlen, und braucht viel Ränke und schädliche Praktiken gegen seinen Nächsten. Das sind die Anfechtungen, die die Armut mit sich bringt. Stellt man aber einen Vergleich an, so ist es sicher, dass die Reichsten auch die schwersten Anfechtungen erfahren, umso mehr, als der Satan immer darauf aus ist, ihnen die Augen zu verbinden, damit sie sich gegen Gott erheben, sich ganz an diese Welt hängen und des himmlischen Lebens spotten, ja sich selber einreden, es könne ihnen nichts schaden, wenn sie ihr Ansehen auf mancherlei Weise missbrauchten, wenn sie nach nichts fragten, wenn sie keinerlei Joch ertrügen, wenn sie sich keiner Vernunft fügten, wenn sie sich für zu gut hielten, mit anderen Leuten umzugehen, - sie möchten ja womöglich den Armen den Sonnenschein hinweg reißen, als verdienten sie selbst einen Sonderplatz in der Welt!

Hiobs Tugend ist hoch zu preisen. Wir kennen ja das Wort unseres Herrn Jesus Christus: „Es ist schwer, dass ein Reicher ins Himmelreich komme. “ Nicht, als hinderte der Reichtum an sich am Dienste Gottes, sondern von unserer Bosheit und verderbten Art kommt es, dass wir uns von den Gütern, die Gott uns beschert, nicht zu ihm ziehen lassen, sondern uns vielmehr von ihm entfernen. Indessen sehen wir, dass es doch eine wunderbare Tugend Hiobs war, sich mitten in seinem Reichtum die Augen nicht verbinden zu lassen und in seinem Herzen nicht hoffärtig zu werden, sich über die anderen nicht zu erheben und Gott zu vergessen, nicht in Ruchlosigkeit, Üppigkeit und Prachtliebe zu versinken, sondern seinen Weg ruhig weiterzugehen. Auch ist Reichtum nicht an sich verdammenswert – es gibt ja Schwärmer, die sich einbilden, ein Reicher könne kein Christ sein, es gebe ja arme Leute genug, die den Vergleich mit Hiobs Tugend aushielten. Aber wenn man bei allen Armen in der Welt nachsucht, man wird doch kaum einen einzigen finden, der ihm nahekommt. Reichtum an sich ist nicht zu verdammen; auch unser Herr Jesus Christus gibt bei seinen Worten über Lazarus (Luk 16) den Armen neben den Reichen ihren Platz im Himmelreich. Wohl sagt er, dass die Engel den Lazarus getragen haben, obwohl er von den Menschen verworfen und ein armes Geschöpf war, das niemand beachtete, so dass er von allen verlassen war. Nichtsdestoweniger tragen die Engel seinen Geist in Abrahams Schoß. Und wer war Abraham? Er war reich an Vieh, Geld, Dienerschaft und allen Dingen, nur nicht an liegenden Gütern; denn das war ihm nicht gestattet, sondern er musste warten, bis ihm Gott das Land Kanaan zum Erbe gab. Er hat wohl eine Grabstelle gekauft, aber ein Erbgut hat er nicht gehabt, doch war seine Habe beträchtlich groß. Ist nun des Lazarus Seele von den Engeln in Abrahams Schoß getragen, der der „Vater der Gläubigen“ war, so können wir daraus entnehmen, dass Gott in seiner unendlichen Gnade und Güte Arme und Reiche zur Seligkeit beruft. Dasselbe sagt der hl. Paulus 1. Tim. 2, 4: „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde. “ Denn er redet da von Königen und Fürsten, die in der Regel ihre hohe Stellung missbrauchen und sich Gott nicht unterordnen können, ja, die sich gar nicht mehr als sterbliche Menschen vorkommen. Doch so viel ist sicher: Gott nimmt einige von ihrer Zahl heraus und will nicht, dass sie alle verloren gehen. Doch sollen die Reichen sich selbst nicht schmeicheln, sondern erkennen, dass sie wie auf Eis laufen, wo sie leicht straucheln können, ja, dass sie gleichsam mitten unter Dornen gehen, so dass sie sich wohl sorgfältig hüten mögen, dass sie nicht gestochen werden.

Die Bemerkung, Hiob habe sieben Söhne und drei Töchter gehabt, weist auf den Segen hin, den Gott auf ihn gelegt hat, um sein Glück vollkommen zu machen. Zugleich sollen wir sehen, wie viel größer Hiobs Geduld war, da Gott ihn alles dessen beraubte, was er ihm beschert hatte. Es wird uns auch erzählt, wie sich seine Kinder gehalten haben und wie er sie seinerseits in der Furcht Gottes regierte. So hat Gott denn mit der Tat bewiesen, dass er über seine Geschöpfe nach seinem Wohlgefallen schalten und walten kann, dass wir die Augen niederschlagen müssen, auch wenn wir an ihm irre werden und den Grund nicht einsehen, warum er so hart mit den Menschen umgeht, und dass wir bekennen müssen, wie er gerecht ist, und warten, bis er uns offenbart, warum er so handelt.

Seine Söhne aber pflegten von Zeit zu Zeit in ihren Häusern Mahlzeiten zu veranstalten, jeder an seinem Tag; auch ihre drei Schwestern luden sie ein, mit ihnen zu essen und zu trinken. Freilich beruht es auf einem Antrieb der Natur, dass Brüder einander liebhaben; aber das ist sicher: Die Menschen sind so boshaft, dass es nur wenige gibt, die auf die Pflicht der Bruderliebe achten. Es gibt mehr, die einander tödlich Feind sind wie Hund und Katz: Brüder sind sie, aber dabei hegen sie gegeneinander ununterbrochenen Hass und Bosheit, so dass einer am liebsten den anderen fräße. Die Mahlzeiten, die Hiobs Söhne hielten, sollten nur ihre brüderliche Eintracht bezeugen. Eintracht und Freundschaft unter den Menschen, besonders unter Brüdern, ist ein Gott wohlgefällig Ding. Bekannt ist uns die Stelle Psalm 133, 1 ff. : „Siehe, wie fein und lieblich ist´s, dass Brüder einträchtig beieinander wohnen! Wie der köstliche Balsam ist, der vom Haupt Aarons herabfließt in seinen ganzen Bart, der herabfließt in sein Kleid, wie der Tau, der vom Hermon herab fällt auf die Berge Zions. “ Friede und Freundschaft unter den Menschen, besonders unter den Brüdern, dienen zur Erhaltung des menschlichen Geschlechts, gleichwie die Äcker und Wiesen Feuchtigkeit und Nahrung vom Tau des Himmels empfangen. Es ist Gott ein angenehmes Opfer, gleich dem Geruch des heiligen Balsams, der auf Aarons Haupt gegossen ward. Aber die Freundschaft muss von Gott kommen und auf Gott gerichtet sein; wir werden Brüder genannt, damit wir lernen, die Augen zu Gott aufzuheben und auf ihn zu sehen, wenn es sich darum handelt, dass wir zueinander Liebe haben sollen.

Indessen sind auch die allerbesten Dinge von der Welt dem Verderben der menschlichen Bosheit ausgesetzt. Daran sehen wir, wie es seit Adams Sündenfall um unsere Natur bestellt ist. Seitdem sich Adam damals so vergessen, hat sich das Gute in das Böse verwandelt, wie gut wir es auch immer meinen. Wenn z. B. ein Mann seine Frau, ein Vater seine Kinder liebhat, so ist das ein gut, heilig und löblich Ding, und doch findet man kaum einen auf der Welt, der sein Weib so liebte, dass nichts daran zu tadeln wäre, der seine Kinder mit reiner und völliger Liebe liebte – es läuft immer etwas Schlechtes mit unter. Aber wie? Wenn Gott verordnet, dass ein Mann sein Weib liebhat und Paulus ausdrücklich sagt: „Die Männer sollen ihre Weiber lieben wie ihren eigenen Leib“, - kann das etwas Schlechtes sein? Nein, das Schlechte kommt aus unserer verderbten Natur: ein Körnlein Salz, ein Tröpflein Essig genügt, um den Wein zu verderben. Daher kommt es auch, dass die Männer nicht Maß halten, dass sie ihre Triebe nicht in Zucht halten. Darum soll es uns auch nicht befremden, dass Hiob dachte, seine Kinder möchten Gott beleidigt haben; nicht, als hätte er es verdammt, dass seine Kinder zusammenkamen, um miteinander guter Dinge zu sein und sich freundschaftlich miteinander zu unterhalten; nein, weil er die Schwachheit der Menschen kannte, wusste er, wie schwer es ist, Maß zu halten, so dass nichts Schlechtes dabei vorkäme. Darum war er auf der Hut und heiligte seine Kinder.

Mögen die Gastmähler noch so trefflich angeordnet sein, es haften ihnen dennoch Mängel an, die Gott verdammt. Wie steht es dann aber mit denen, die Gott aus ihrer Gesellschaft und von ihrem Tische ausschließen! Wenn man ein Gastmahl anrichten will, wie fängt man´s an? Geschieht es unter Anrufung des Namens Gottes? Oh, es könnte doch den Anschein haben, als führe das zur Melancholie, und deswegen muss der Name Gottes begraben sein! Ist man satt, so fordert niemand zur Danksagung auf. Man denkt nur daran, wie gut man gegessen und getrunken hat, das heißt: dass man´s gemacht hat wie die Schweine! Denn man meint, wenn man an Gott denkt, so wandle sich alle Freude an der Mahlzeit in Traurigkeit. Und dann artet alles in Liederlichkeit aus, man ergeht sich in schändlichen und zuchtlosen Reden oder in Verräterei und Bosheit, so dass man nicht anders denkt, als seinen Nächsten zu verleumden und gegen diesen und jenen allerlei Schlechtes zu unternehmen. Das bringen die Gastmähler mit sich. Wir sollen Gott bitten, er wolle uns die Gnade verleihen, dass wir durch diese vergänglichen Dinge nur hindurchgehen, um allezeit nach dem himmlischen Leben zu trachten, zu dem er uns durch sein Wort beruft. Denn es kommt nicht darauf an, dass wir einen Tag oder zehn oder auch fünfzig Jahre leben, sondern darauf, dass wir zum himmlischen Leben gelangen. Paulus sagt (1. Kor 10, 31): „Ihr esset nun oder trinket oder was ihr tut, so tut es alles zur Ehre Gottes!“ Viele meinen, beim Essen und Trinken brauche man nicht an Gott zu denken, und doch ist es gerade dann nötig. Wenn Gott vermöge seines Wortes dem Brot die Kraft gibt, uns am Leben zu erhalten, - sehen wir denn da nicht Gott seine Gegenwart uns zeigen und seine Hand über uns ausstrecken?

Wenn das Gastmahl seiner Kinder vorbei war, befahl Hiob ihnen, „sich zu heiligen“, und opferte für jeden von ihnen ein feierliches Opfer; denn er dachte: Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und den Herrn nicht gesegnet in ihrem Herzen. Hiob gehörte nicht zu denen, die sich erst Skrupel machen und dann meinen, sich alle Ausschweifungen erlauben zu können, sondern er greift zur Arznei und denkt: Gott wird uns in unserer Schwachheit tragen; mögen auch meine Kinder nicht in allem ihre Pflicht erfüllt haben, so wird Gott doch ihnen und mir gnädig sein – lasst uns also ihn um Verzeihung bitten! Gleichwohl verbietet er seinen Kindern nicht, ihre gewohnten Gastmähler zu halten; denn an sich war daran nichts zu tadeln. Hätte Hiob die Mahlzeiten für etwas Schlechtes gehalten, so hätte er sicher keine Opfer gebracht; denn damit hätte er ja Gottes Namen missbraucht und einen Schanddeckel daraus gemacht. Die Opfer sind nicht dazu eingesetzt, um uns im Bösen zu halten und damit wir uns in unseren Sünden mästen und denken: Ich kann ja ein Opfer bringen, so wird Gott wohl zufrieden sein! Hiob denkt: Ich muss Gott um Verzeihung bitten, dass er unseren Mangel ausfülle.

Hiobs Söhne standen schon im Mannesalter; trotzdem hat der Vater sie immer in der Unterordnung gehalten und sie ermahnt, Gott um Verzeihung zu bitten, wenn sie ihn erzürnt hatten, und sich zu reinigen. Wenn heutzutage die Kinder zehn Jahre alt werden, so halten sie sich schon für Männer. Auch wenn sie die Zeichen der Mannbarkeit tragen und sich wer weiß was dünken, sollte man ihnen noch fünfzehn Jahre lang die Rute geben; denn sie sind noch rechte Rotznasen und wollen keine Strafe noch Lehre dulden; sie meinen, man tue ihnen schweres Unrecht an. Wie anders ist es hier! Viele Eltern haben es wohl verdient, dass ihre Kinder ihnen nicht gehorchen und sich ihnen nicht unterordnen; denn wer geehrt sein will, der muss auch ehrwürdig sein. Wenn die Väter alle Gottesfurcht wegwerfen, wie können ihnen dann ihre Kinder gehorchen, da sie doch selbst Gott nicht die Ehre geben, die ihm gebührt!

Wer aber am Opfer Anteil haben wollte, der musste nach den Vorschriften des Gesetzes sich reinigen, um sich gebührend darauf vorzubereiten. Wiewohl nun Hiob nicht zu der Zeit der Gesetzgebung, ja vermutlich lange vor Mose gelebt hat, so ist es doch allezeit bei den Gläubigen so gehalten worden, dass sie sich vor den Opfern gewissen Reinigungen unterziehen mussten. Das beruhte nicht auf menschlicher Erfindung, sondern auf Gottes Willen. Die Menschen sollten merken, dass sie nicht würdig waren, Gott zu nahen. Wenn wir vor Gott treten, müssen wir unsere Armut erkennen, damit wir schamrot werden und denken: Ach, wie soll ich es wagen, mich der Majestät Gottes darzustellen? Was soll ich da für Gnade finden? Das sollte für alle Zeit gelten. Heute haben wir solche Reinigungsgebräuche nicht mehr; umso mehr müssen wir das haben, worauf diese Gebräuche in Wahrheit hinweisen: sooft wir vor Gott kommen, um ihm unsere Gebete und Klagen vorzutragen, sollen wir gedenken, dass wir unwürdig sind, es sei denn, dass wir das Mittel kennen, das uns Aufnahme bei ihm verschafft, nämlich dass wir uns reinigen durch den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus und wissen, dass er allein das Bad ist, das alle unsere Flecken tilgt. Wollen wir Gott angenehm sein, so müssen wir durch Jesus Christus zu ihm kommen und ihm die Gnade vorhalten, die er uns durch sein Leiden und Sterben erworben hat; er ist ja auch die Vollendung und Erfüllung alles dessen, was in der alten Zeit in Bild und Schatten gegeben war.

Wenn man im Alten Bunde und noch vor der Gesetzgebung Opfer brachte, mussten die Darbringenden sich vorher einer Reinigung unterziehen; das sollte sie daran erinnern, dass wir wegen unserer Unreinheit und Befleckung nicht würdig sind, Gott zu nahen. Kommen wir zu Gott, so wie wir sind, so haben wir nichts anderes verdient, als dass er uns verwirft. Darum haben wir uns zu reinigen. Und wie soll man das machen? Die Alten hatten gewisse Zeremonien – es war ja vor der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus nötig, dass es wegen der damaligen geistigen Stumpfheit solche Hilfen gab. Heutzutage wissen wir, dass wir unsere Zuflucht nehmen müssen zu dem kostbaren Blut des Sohnes Gottes, das zu unserer Reinigung vergossen ist. An das Blut unseres Herrn Jesus Christus also müssen wir uns halten, wenn wir vor Gott als rein dastehen wollen. Aber damit nicht genug: es muss hinzukommen ein Seufzen über unsere Sünden. Wollen wir wirklich davon rein werden, so müssen wir das Böse in uns nicht bloß erkennen, sondern es muss uns auch eine rechte Traurigkeit und ein rechter Abscheu überkommen, dass wir das Unglück gehabt haben, unseren Gott zu beleidigen. Wir haben es ja nicht mehr mit den Schattenbildern zu tun, die man vor dem Kommen unseres Herrn Jesus Christus hatte, aber deren Wahrheit und Wesen haben wir noch. Was haben wir also zu tun, sooft wir Gott anrufen müssen? Seine Armut und Befleckung schaue ein jeder an und habe ein rechtes Missfallen an sich selbst, und dabei flehe er unseren Herrn Jesus Christus an, dass er uns wasche und reinige mit seinem Blut, sonst können wir vor dem Angesicht Gottes, seines Vaters, nicht rein dastehen! Und das muss nicht nur einen Tag der Woche oder für eine bestimmte Zeit geschehen, nein, es muss unser ganzes Leben ausfüllen. Denken wir doch an das Wort des Paulus (1. Kor 5, 7. 8): „Wir haben auch ein Osterlamm, das ist Christus, für uns geopfert. Darum lasst uns Ostern halten … in dem Süßteig der Lauterkeit und der Wahrheit. “ Damit will er nicht sagen, die Christen müssten sich einmal im Jahre vor Gott heiligen, nein, die ganze Lebenszeit hindurch muss es geschehen. Denn ein beständiges Opfer hat Christus gebracht, und an einem ewigen Opfer haben wir Teil, und die Kraft dieses Opfers währt für alle Zeit. So ist es gemeint, dass wir jeden Abend und jeden Morgen Fleiß tun müssen, uns zu heiligen; denn so gnädig ist uns Gott, dass er uns allezeit nahe sein will.

Als das Gesetz kundgemacht wurde, gab Gott den Juden zuerst den Befehl: „Heiliget euch; denn der Herr will morgen seine Herrlichkeit sehen lassen“ (nach Ex. 19, 10). Nun hat sich uns Gott in der Person seines Sohnes Jesus Christus geoffenbart, und zwar so, dass wir ihn immer gleichsam von Angesicht sehen können, wenn das Evangelium gepredigt wird; denn dort offenbart sich uns Gott wie von Person zu Person. Darum müssen wir ihm mit allem Eifer ergeben sein und allem Schmutz absagen, der uns daran hindert, ihm zu dienen und ihn zu ehren.

Hiob brachte Brandopfer dar nach der Zahl seiner Kinder. Wie konnte Hiob denn opfern, da er doch keinen Unterricht im Gesetz empfangen, ja wahrscheinlich schon vor Moses Geburt gelebt hat? Opfer, die ohne Glauben geschehen, werden doch mit Recht verworfen; wie hat denn Hiob ohne gewisse Erkenntnis des Willen Gottes opfern können? Nun, bis zur Aufrichtung seiner Kirche unter den Juden und der schriftlichen Gesetzgebung sollte nach Gottes Willen allezeit ein Same oder Rest von Menschen in der Welt sein, die ihn mit reinem Herzen anriefen. Es ist freilich wahr, dass schon bald nach der Sintflut die Söhne Noahs dem Verderben verfielen, doch sind gleichwohl einige übrig geblieben, die sich in der von Gott gebotenen Reinheit erhalten haben. Das sollte zugleich den Ungläubigen zur Verdammnis gereichen und ihnen umso mehr die Entschuldigung nehmen. Die Menschen sind zu allen Zeiten darauf aus, sich mit Unwissenheit zu entschuldigen; wenn sie Gott diesen Schild vorhielten, meinen sie, müsse er sie freisprechen. Aber die wenigen, die ihm in aller Reinheit dienten, sind gleichsam Richter gewesen für die, die sich vom rechten Wege abwandten. Zu diesen wenigen gehörte auch Hiob. Vom Anfang der Welt an sind die Opfer eingesetzt; denn wären sie nach menschlichem Gutdünken erfunden, so wären sie nur Kinder- oder Affenwerk gewesen. Zudem wurde bekanntlich Abels Opfer dem des Kain vorgezogen wegen des Glaubens! Hätte nun Abel sich diese Opfer selbst ausgeheckt, so hätte er keinen Glauben haben können; denn das ist die Hauptsache, dass Gott uns leitet und regiert, und der Glaube kann nie ohne Gehorsam sein, er muss der Vorschrift Gottes entsprechen. Gott selbst also muss die Opfer gestiftet haben, die es seit der Erschaffung der Welt gegeben hat. Zugleich hat er den Menschen auch Bedeutung und Zweck der Opfer offenbart; denn hätten sie gedankenlos Tiere geopfert, so hätte das keinen Wert gehabt und wäre heller Unsinn gewesen. Nun wissen wir aber, dass Gott die Seinen zu ihrem Heil unterweist. Ohne Zweifel hat er also auch zugleich mit der Anordnung der Opfer selbst auch eine Unterweisung über ihren rechten Gebrauch und ihren Nutzen zu unserm Heil verbunden. Die Menschen sollten sich unwert fühlen, Gott zu nahen, sollten erkennen, dass sie den Tod verdienen, sollten sich alle als verschuldet fühlen, zugleich aber auch erfahren, dass es noch ein Mittel gebe, sich mit Gott zu versöhnen.

Zum ersten also ist zu beachten: Die ihre Opfer recht und nach Gottes Willen brachten, haben damit das Zeugnis abgelegt, dass sie des Todes schuldig seien, wie wenn man einen rechtsgültigen Schuldschein unterschreibt. Darum bezeichnet auch der hl. Paulus im Brief an die Kolosser (2, 14), die Zeremonien als Handschriften und Schuldscheine, die die Menschen vor Gott zu Boden strecken und ihnen zeigen sollen, dass sie der Verdammnis des ewigen Todes nicht entfliehen können, hätte nicht Gott in seinem unverdienten Erbarmen ein Heilmittel gegeben. Das ist nun schon eine gute und äußerst nützliche Lehre, wenn die Menschen sich vor Gott als schuldig erkennen und bekennen und wenn sie sich vor Augen stellen, was sie verdient haben und dass es um ihrer Sünden willen geschieht, wenn da ein unvernünftiges Tier getötet wird. Sehet da, wie Gott die Menschen hat zur Demut führen wollen! – Indessen hat er sie auch (zweitens) in der Hoffnung erhalten wollen: mochten sie noch so unglücklich sein, - nichtsdestoweniger sollte es ein Opfer geben, wodurch die Sünden abgewaschen würden. So haben schon die alten Väter Opfer gehabt. Indessen, die Heiden haben etwas Ähnliches getan, aber ohne Glauben; denn sie kannten Gott nicht, dem sie hätten huldigen müssen, und andererseits wussten sie auch nicht, dass ihr Dienst Gott angenehm wäre – wenigstens hatten sie keine gewisse Erkenntnis davon - kurz, sie haben nicht gewusst, zu welchem Zwecke sie opferten. Also haben sie das alles, wie man zu sagen pflegt, aufs Geratewohl getan; es war alles vergebliche Mühe, ja, Gott hatte Abscheu an all den Opfern, die ohne Einsicht und Glauben geschahen. Pomp genug war damit verbunden, aber das galt nichts, weshalb wir denn allezeit an der Regel des Apostels festhalten müssen, dass die Opfer äußerlich wertlos sind, es sei denn, dass sie auf den Gehorsam Gottes und seines Wortes gegründet sind.

Nun hat freilich Hiob das geschriebene Gesetz nicht gehabt, aber es genügte, dass er die Weisung besaß, die von Gott ausgegangen war und die Noah seinen Kindern gegeben hatte. Wer an dieser Lehre festhielt, war nicht von Menschen gelehrt, und obgleich man die Lehre von Menschen empfangen hatte, so ist doch so viel sicher, dass sie diese Regel wie eine göttliche hielten; denn es genügte, dass Gott sie von seinem Willen unterrichtete, obschon er sich keiner Propheten bediente, wie er es später tat. Hiobs Opfer entsprangen also nicht seiner Willkür, sondern dem gewissen Glauben. Wenn berichtet ist, dass Noah nach der Sintflut Gott geopfert, ja reine Tiere dazu genommen hat, so sehen wir, dass er vom Himmel unterwiesen sein musste, denn es stand nicht in seinem Vermögen, die Tiere zu unterscheiden. Ähnlich war es auch mit Hiob, der Opfer brachte. Nicht als ob er sie gestiftet hätte, sondern er richtet sich nach dem Willen Gottes, der ihn führt und regiert, und so ist es, wie gesagt, dem Glauben eigentümlich. So haben wir denn zunächst zu merken: Seit der Erschaffung der Welt hat Gott die Menschen derart in der Finsternis wandeln lassen, dass er ihnen gleichwohl einige Zeugnisse gelassen hat, die sie von ihrem Verfluchtsein überzeugen sollten; und wenn es nur die äußerlichen Zeremonien gegeben hätte, so hätte das genügt, um die Ungläubigen zu verdammen.

Im Übrigen sehen wir die Menschen auch allem Bösen derart ergeben, dass sie das Gute und Heilige in sein Gegenteil verkehrten. Darum haben wir Gott zu bitten, dass er uns im Zaum halte und nicht zulasse, dass wir von seinem lauteren Dienst abweichen, wie es uns geschehen würde, wenn er uns nicht darin erhielte. Indessen werden wir zugleich ermahnt, es bei dem Scheindienst nicht bewenden zu lassen, sondern darauf aufmerksam gemacht, wie es die Hauptsache in seinem Dienst ist, dass wir wissen, wer er ist, und seinen Willen erkennen, um uns daran zu halten. Bei den Opfern der Heiden gab es viel Gepränge, ebenso freilich auch bei denen, die Gott recht gedient haben; gleichwohl hat Gott jene verworfen und verabscheut, während die anderen ihm angenehm waren. Die Heiden opferten mit großer Pracht, sie hatten Weihrauch und duftende Kräuter, und auch die Juden im Gesetz verfuhren so. Aber was bedeutet das? Die Heiden, die Gott ehren wollen, ohne ihn zu kennen und von ihm und seiner Majestät etwas zu wissen, mussten notwendig den Götzen opfern, die sie in ihrem Gehirn geschmiedet und gebaut haben. Gott aber lässt sich keinen anderen Dienst gefallen, als der ihm selbst geschieht, wenn man ihn erkannt hat. Das ist das Erste. Zweitens aber muss der Gottesdienst geistlich sein. Die Heiden haben Gott zufrieden zu stellen gemeint, wenn man ihm ein Rind oder Kalb opferte. Das ist aber ein großer Unsinn – als würde Gott dadurch verändert und als könnten die Menschen ihn durch dies Mittel zufrieden stellen, wenn er ihnen zürne! Über diese sichtbaren Dinge muss man hoch hinaufsteigen, denn sie sollen uns zu einem himmlischen Ziele führen. So haben denn die Gläubigen allezeit auf Gott geschaut, wenn sie opferten, und darnach haben sie auf ihre Laster und Sünden geschaut, um Missfallen daran zu bekommen. Davon haben die Heiden nichts gewusst. Lasst uns lernen, Gott im Geist und in der Wahrheit zu dienen; der rechte Wegweiser hierzu ist der Glaube, bei dem wir unsere Augen auf Gottes Wort gerichtet halten. Dies wird uns immer zu unserem Herrn Jesus Christus führen, der der himmlische Schutzherr ist und in dem wir betrachten müssen, welches der Wille Gottes, seines Vaters, ist, um uns darnach zu richten.

Wenn es nun heißt, Hiob habe für seine Kinder geopfert, so sollen wir daraus lernen, dass die, die für andere verantwortlich sind, wachsam sein müssen und dass sie sich, wenn irgendein Mangel vorliegt, vor Gott schuldig halten müssen. Das ist bemerkenswert; denn in der Welt herrscht die Ehrsucht; hat einer viele Kinder, so ist es ihm eine Freude, so viele menschliche Geschöpfe zu haben, die unter ihm und seiner Hörigkeit stehen; hat er eine große Familie zu ernähren, so gefällt er sich darin. Das ist nichts als Ehrgeiz, denn auf die Verpflichtung, die damit verbunden ist, achtet man nicht. Es ist wahr: Gott tut den Menschen große Ehre an, wenn er ihnen die, die er zu seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat, als Untertanen unterstellt. Aber diese Ehre bringt die große Verpflichtung mit sich, dass die, die eine Familie zu regieren haben, allezeit wachsam zu sein haben. Denn wenn Gott in einer Familie beleidigt wird, so muss sich deren Haupt und Vorsteher für schuldig halten; er muss vor Gott seufzen, als wäre er mit dem begangenen Fehler befleckt. Hat er auch nicht eingewilligt, so soll er gleichwohl denken: Ich habe meine Pflicht nicht erfüllt; ob ich gleich Tag und Nacht wache und unaufhörlich meine Kinder, Knechte und Mägde ermahne, Gott zu dienen, so ist es doch unmöglich, dass ich alles täte, was sich gebührt. Ich gebe ihnen kein solches Beispiel, wie ich es geben müsste; wenn ich nach Gebühr in der Furcht Gottes wandelte, so müssten sie sich mir doch angleichen, also ist es meine Schuld, wenn sie vom rechten Wege weichen. Wenn Eltern und Lehrer, die Kinder und Knechte unter sich haben, hierauf achteten, so würden die Dinge wahrlich besser stehen, als es der Fall ist. Vor allem aber müssen Fürsten und Obrigkeiten fleißig darauf bedacht sein, dass sie wachsam sind und gute Aufsicht halten über die ihnen Anvertrauten. Und wenn bei ihren Untergebenen ein Fehler vorkommt, sollen sie sich die Schuld zuschreiben; wenn sie ärgerliches und zuchtloses Wesen wahrnehmen, sollen sie erkennen, dass sie ihre Pflicht nicht erfüllt haben. Ebenso ist es bei den Dienern am Wort: wenn sie sehen, dass die Kirche nicht regiert wird, wie es sein müsste, dass Zwiespalt und Uneinigkeit da ist, ja, dass der Name Gottes gelästert wird, so sollen sie seufzen und die Bürde tragen in dem Bewusstsein, dass Gott ihnen damit zeigt, dass sie ihr Amt nicht nach Gebühr verrichtet haben. Deshalb sagt auch der hl. Paulus (2. Kor 12, 21): „Ich fürchte, dass mich mein Gott demütige bei euch und ich müsse Leid tragen über viele, die zuvor gesündigt und nicht Buße getan haben. “ Hätte denn Paulus die Hurerei, Räuberei, Zuchtlosigkeit und andere ähnliche Laster der Korinther gutgeheißen? Nein, er hatte sich alle Mühe gegeben, sie restlos und mit allen Mitteln zu strafen. Aber obgleich er menschlicherweise bis zum Äußersten seine Pflicht getan hat, verlässt ihn gleichwohl die Empfindung nicht, dass Gott ihn gleichsam in etwa hat entehren wollen, so dass er Leid tragen muss über die Ärgernisse und Zuchtlosigkeiten, die in der Gemeinde vorgefallen sind, deren Führung er hatte und für die er verantwortlich war. Wenn der hl. Paulus sich bei seinem großen Pflichteifer nichtsdestoweniger schuldig fühlt, als irgendetwas Böses in der Gemeinde vorfällt, wie steht es dann mit uns, die wir im Vergleich mit ihm kalt wie Eis sind! Wie steht es dann erst mit denen, die gar keinen Wert darauflegen, dass Gott geehrt wird, und denen alles gleich ist, wenn sie nur ihr Geschäft machen und sich in ihren Stand erhalten können?