Ausweg aus dem Teenager-Irrgarten - Tobias Roese - E-Book

Ausweg aus dem Teenager-Irrgarten E-Book

Tobias Roese

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Beschreibung

Die 13-jährige Sabine hängt viel ihren Gedanken nach, ist unordentlich und wird von einem mysteriösen Schatten verfolgt. Für die Schule fehlt es ihr an Motivation und Konzentration. Ihr wird mehr und mehr bewusst, dass sich etwas ändern muss. Allein schafft sie es jedoch nicht. Mit ihren Eltern kann sie nicht viel anfangen und den Freundinnen erzählt sie nur sehr wenig Privates. Ihr zur Seite stehen ein Mitfahrer in ihrem Schulbus und ein lehrreiches Buch. Mit diesen beiden Quellen versucht sich Sabine mit Struktur, Zielsetzungen und anderen Tools in eine bessere Situation zu bringen. Sie erfährt auch einiges über die Möglichkeiten ihres Unterbewusstseins.

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Seitenzahl: 241

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Buch

Die 13-jährige Sabine ist eine typische Teenagerin mit all den Problemen und Sorgen, mit denen man sich in diesem Alter rumzuschlagen hat. Sie kämpft aber auch gegen einen Stalker, der ihr in Form eines Schattens folgt. Doch wer oder was ist er? Sabine kann sich verschiedener Quellen bedienen, um sich ihr Leben verständlicher zu gestalten. Sie lernt vom Wissen und den Erfahrungen anderer. Sie zieht sich häufig in eine Gedankenwelt zurück, von der ihr Umfeld nichts mitbekommt. Für ihre Eltern ist sie eine pubertierende 13-Jährige, die einfach nur in einer Phase steckt.

Dieses Buch ist nicht nur ein Buch zur Unterhaltung. Es gibt jungen Mädchen auf verschiedene Weisen Hilfestellungen im Umgang mit dem Erwachsenwerden. Erwachsenen hilft es, Teenager besser zu verstehen.

Autor

Tobias Roese, geboren 1975 in Baden-Württemberg, arbeitet seit über 20 Jahren in Schulen und in seiner Praxis mit Kindern zusammen. Als Wegweiser versucht er ihnen zur Seite zu stehen. In diesem Roman baut er Fakten mit ein, die der Leser gemeinsam mit Sabine lernen und begreifen kann.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Vorwort

Was ist das Leben und was ist sein Sinn? Was ist Wahrheit? Wer sind wir überhaupt? Spannende Fragen, die uns beim Erwachsenwerden aufkommen. Der Leser kann gemeinsam mit Sabine herausfinden, dass die Wahrheit des einen, nicht die Wahrheit eines anderen sein muss. Unsere Gedanken führen und lenken uns in unserem Leben. Aus ihnen ergibt sich die Wahrheit jedes Einzelnen. Aus dieser Wahrheit heraus, ergibt sich auch eine individuelle Interpretation der Frage nach dem Sinn des Lebens.

Sabine ist auf einer Reise der Selbstfindung. Sie erhält Unterstützung aus einem Buch und von einer Person.

Liebe Leserin, lieber Leser, begleite bzw. begleiten Sie Sabine auf ihrem Pfad. Es gibt für jeden etwas zu entdecken. Ich denke, das Buch leicht und verständlich geschrieben zu haben, so dass es jeder rasch aufnehmen kann. Dabei wünsche ich zum einen viel Freude und Spaß und zum anderen – und vor allem – viel Erfolg!

Kapitel 1

Wer bin ich?

Leise wirbelten die kleinen Flocken durch die Luft. Sie tanzten wie zu einem Walzer, ehe sie langsam und sachte zu Boden fielen. Wie ein sehr dünnes Bettlaken bedeckten sie gemeinsam die Straßen und freien Flächen. Die Dunkelheit versuchte den frühen Montagmorgen zu beherrschen, doch die weißen Flocken hellten nicht nur die Stimmungen vieler Kinder auf. Müde war Sabine unterwegs zur Bushaltestelle; auch ihr gefielen die vielen kleinen weißen Federchen, die um sie herumwirbelten ganz gut, aber die frühe Stunde und die Gewissheit, dass sie an diesem Montagmorgen von einem Französischtest in der Schule erwartet wurde, hielt ihre Freude in Grenzen. Ein kühler Wind pfiff um ihre Nase und so ging sie leicht nach vorne geneigt, die Hände in den Jackentaschen und die Ellenbogen fest an den Körper gepresst. Die Zeit drängte etwas, der Bus würde gleichkommen, aber Sabine ließ sich nicht hetzen. Es schien gerade so, als würde sie es darauf anlegen, den Bus zu verpassen. Wohl wissend, die Konsequenzen tragen zu müssen. Ihre Gedanken sprangen hin und her. Sie waren in ihrem gegenwärtigen Leben, beim Schultest, bei der Freizeitgestaltung am Nachmittag wie auch noch im Bett und genauso sprangen sie in fantastischen Fantasien herum. Es fiel ihr nicht leicht, einzelne Gedanken zu binden. Sie kamen und gingen, ohne, dass sie selbst es hätte beeinflussen können.

Kurz darauf saß sie im Bus. Neben ihr saß Marie, eine ihrer Klassenkameradinnen und die beiden unterhielten sich über das vergangene Wochenende und was der kommende Schultag wohl alles für sie bereithalten würde. Bevor der Bus an der Schule ankam, holte Sabine schnell noch ihr Französischbuch heraus, um sich abzusichern, die entsprechenden Vokabeln wirklich gelernt zu haben.

Nach dem Biologieunterricht schrieb sie ihren Test, mit dessen Verlauf sie im Großen und Ganzen zufrieden gewesen ist und es folgte Geschichte. Die 13-Jährige saß im Unterricht und konnte diesem nicht ganz folgen. Der trockene Stoff, der die Menschen von vor dreitausend Jahren behandelte war ihr zu langweilig. Zunächst malte sie kleine Zeichnungen auf ihren Block und ließ sich dann auch gerne von anderen ablenken. Doch ihr Gerede und Gekicher führte zu Ermahnungen. So verschwand sie in ihre Gedankenwelt. Während sie gedanklich fern ab war, spielten ihre Finger mit dem Füller. Sie sah auch ihren Lehrer in seinem orangeweiß karierten Hemd vorne stehen und reden, ebenso die Aufschriebe an der Tafel, doch davon drang nichts zu ihr durch. Das erste was sie von außen wieder aufnehmen konnte, war die Schulglocke. Nachdem der Lehrer den Raum verlassen hatte wurde es laut. Einige Jungs schrien und schubsten sich herum, ein anderer fand es witzig, Saft in den Mülleimer zu leeren und einige Mädchen ließen sich gerne von den Jungs ärgern. Sabine unterhielt sich mit Marie und sie beide meckerten immer wieder zwei Jungs an, von denen sie von ihrer Unterhaltung immer wieder abgehalten wurden.

So verging der Schultag und am Nachmittag ging Sabine wieder von der Bushaltestelle nach Hause. Die wenigen Schneeflocken vom Morgen waren längst verschwunden. Es war ein grauer Nachmittag mit kühlen Temperaturen. Zu Hause würden nun wohl ihre jüngere Schwester Emma und ihre Mutter sein. Sie hatte nur noch ein kleines Stück zu gehen. Autos überholten sie und vereinzelnd kamen ihr Menschen entgegen. Ihr Blick haftete die längste Zeit auf dem Boden des Gehweges. Er war sehr feucht und ihre Schritte machten schlürfende Geräusche. Sie kam gerade an einer Bank und einem Mülleimer vorbei, als ein komisches Gefühl sie durchfuhr. Wie ein Blitz, der ein warmes Signal in ihren Kopf schoss und ihre Aufmerksamkeit auf hundert Prozent brachte. Sabine schaute sich um. Sie war verunsichert. Nach diesem warmen Gefühl lief es ihr nun den Rücken kalt herunter. Sie fühlte sich beobachtet. Auf der anderen Straßenseite, an zwei Garagen, dachte sie einen Schatten vorbeihuschen zu sehen. Sie blickte nach hinten, sah dort aber niemanden. Sie drehte sich einmal im Kreis und schaute auf parkende Autos. Es hätte jemand dahinter sitzen können. Nichts. Sie schaute auf die Fenster. Vielleicht war es nur eine Rentnerin, die gelangweilt aus dem Fenster sah. Nichts. Sie stand auf dem Gehweg und wusste nicht, ob da jemand war oder ob das alles nur in ihrem Kopf stattfand. Sabine fühlte keine Angst, doch ihr Herzschlag hatte sich etwas erhöht. Ein letztes Mal schaute sie sich um, ehe sie ihren Heimweg fortsetzte. Ihre Schritte waren nun schneller.

Als sie zu Hause eintrat kam von ihr nur ein kühles ‚Hallo‘. Emma war wohl in ihrem Zimmer und reagierte nicht. Von ihrer Mutter kam ein ebenfalls kühles ‚Hallo‘ aus dem Wohnzimmer zurück. Sabine zog rasch ihre Schuhe an der Garderobe aus und verschwand in ihrem Zimmer. Für sie war es ein normales nach Hause kommen. Sie kannte es nicht, ihrer Familie von ihrem Schultag zu erzählen. Die Höhepunkte behielt sie für sich. Nicht einmal einem Tagebuch vertraute sie sich an. In ihrem Zimmer flog die Tasche an ihren Schreibtisch, der in der Ecke, neben dem Fenster stand. Sie selbst sprang auf das Bett, welches an der Wand neben ihrer Türe stand. Sie wollte sich entspannen und dafür ließ sie Musik laufen. Sie legte sich zurück und schaute an die Decke. Ihre Augenlider wurden schwerer. Sabine war müde. Sie wurde eins mit der Musik, die Lider wurden noch schwerer und sie fielen ihr zu. In diesem Moment kam noch einmal das merkwürdige Gefühl von draußen auf. Schnell wie ein Blitz ging eine Wärme durch ihren ganzen Körper und sie riss die Augen auf. Sie schnellte hoch, schaute auf das Fenster, zur Türe und sogar in Richtung ihres Kleiderschrankes. Es war keiner da. Lediglich ihr Spiegelbild konnte sie entdecken. Mit der Gewissheit allein zu sein, beruhigte sie sich wieder und ließ sich fallen. Sekunden später waren ihre Augen geschlossen und Sabine nickte ein.

In der Ferne drangen Geräusche aus Emmas Zimmer. Aber auch von der Straße waren Geräusche zu vernehmen. „Sabine? Sabine kommst du mal.“, ertönte es aus dem scheinbar fernen Wohnzimmer. Die Stimme schien so fern, dass Sabine sie nicht wichtig nahm und in der tiefen Entspannung verharrte. Es konnte auch nichts Wichtiges gewesen sein, ansonsten wäre ihre Mutter bestimmt gekommen.

Zunächst hatte Sabine ihre Gedanken auf bestimmte Dinge gelenkt gehabt. Erst auf die noch bevorstehenden Aufgaben und anschließend auf schönere Sachen. Irgendwann verlor sie mal wieder die Kontrolle über ihre Gedankenwelt und sie ließ sich treiben. Konfuse Ideen und Meinungen beinhalteten die aufsteigenden Gedanken. Sie bezogen sich auf Sabines Aussehen und ihre Außenwirkung. Sie war nicht zufrieden mit sich. Das war nicht schön. Doch sie hätte auch nicht sagen können, was sich hätte verändern müssen, um ihre Zufriedenheit zu steigern. Sie lebte ihr Leben in ihrer eigenen Welt. Häufig fühlte sie sich fehl am Platz. Ob in der Schule, in der sie von den anderen oft gehänselt oder gar richtig geärgert wurde oder zu Hause, wo jeder mit sich selbst beschäftigt war. Selbst Emma kam nur zu ihr ins Zimmer, wenn sie selbst etwas wollte oder schlicht Unterhaltung benötigte. Sabine war eine Suchende, die nicht wusste was sie überhaupt suchte. Sie war sich selbst gar nicht im Klaren darüber, dass sie sich auf einer Suche befand.

Immer wirrer wurden ihre Gedanken. Immer mehr drängten in ihr Bewusstsein. Schließlich wurde es zu intensiv und Sabine riss erneut ihre Augen auf. Sie starrte an die Decke und sprach leise in den Raum hinein: „Wer bin ich?“ Sie war sich ihrer Identität nicht bewusst.

„Sabine.“ Das Rufen holte sie aus dem Gedankenstrudel. Sie stellte die Musik ab und verließ ihr Zimmer. Sie ging an den Bildern im Flur vorbei ins Wohnzimmer. Ihre Mutter saß auf dem Sofa und blickte auf, als ihre Tochter gemächlich hineinkam. „Warum kommst du nicht gleich, wenn ich dich rufe?“, fragte sie leicht gereizt. „Bin ja jetzt da“, meinte Sabine. Sie setzte sich in den Sessel und sah ihre Mutter an. Sie sah ihr zu, wie sie etwas schrieb und sehr vertieft wirkte. Also wartete sie. Ohne den Kopf zu heben wollte ihre Mutter dann wissen: „Ich muss noch einkaufen. Brauchst du noch etwas?“ Sabine schaute ihre Mutter ungläubig an. Sie hatte sie nur deswegen gerufen, um zu erfahren, ob sie noch etwas brauchte. Das hätte ihre Mutter auch beim Gehen fragen können oder aber, sie hätte mal fragen können wie es in der Schule war oder ob es ihr gut geht. Aber nein; sie wollte nur wissen, ob sie etwas bräuchte. Genervt stand Sabine auf und mit einem kurzen„nein“ verschwand sie auch schon wieder. In ihrem Zimmer stellte sie sich ans Fenster. Ihre Beine lehnte sie an die warme Heizung an. Das empfand sie als sehr angenehm. Sie war nicht heiß, aber doch sehr warm und die Wärme übertrug sich auf die Beine. Sie blickte in den dunklen Nachmittag. Viel passierte nicht da draußen. Unten auf der Straße, Sabine stand im ersten Stock, war wenig los. Plötzlich erschrak sie und es lief ihr schon wieder kalt den Rücken runter. Sie erblickte einen Schatten. Sie hatte es doch gewusst. Sie wurde beobachtet. Jemand verfolgte sie. Sie ging aber nicht zu ihrer Mutter. Sie vertraute sich niemanden an. Sie behielt es für sich, starrte nach draußen und suchte regelrecht mit ihren Augen alles nach dem Unbekannten ab. Sie sah niemanden. Sie war aber davon überzeugt, dass jemand da draußen war. Eine kleine Furcht stieg in ihr auf. Sie wollte nicht auf dem Präsentierteller warten und so zog sie die Jalousien runter. Auf dem Bett sitzend fragte sie sich, ob sich die Person ihrem Fenster genähert hätte. Vielleicht war sie schon ganz nah und würde gleich an die Jalousien klopfen. Sabine wartete richtig auf dieses Klopfen. In ihren Kopf formte sich eine Frage: „Wer bin ich, dass ich solche Angst habe?“ Die Frage war berechtigt. Sie hatte nicht wirklich jemanden gesehen. Und selbst wenn, wäre damit nicht geklärt gewesen, ob diese Person sie wirklich beobachtete oder nur zufällig vor Ort war. Bei Sabine verdunkelten sich die Gedanken. Sie hatte niemanden gesehen. Vielleicht aus dem einfachen Grund, dass es keine Person war. Vielleicht besteht das „Ding“ nur aus Schatten. Diese Gedanken gefielen Sabine nun gar nicht. Sie griff nach einem Buch, legte sich aufs Bett und begann zu lesen. Es war zwar ein Krimi, aber ihr war der Unterschied zwischen Fiktion und Realität bewusst. Was das da draußen vor ihrem Fenster war, das war ihr nicht bewusst.

Der restliche Tag verlief ruhig. Eigentlich verlief er wie jeder Tag bei Sabine ablief. Das Schema war immer gleich. Die Tage hatten keine nennenswerten Höhepunkte. Sie selbst war auch zu jung, um zu erkennen, was zu ändern wäre. Nach außen war nur zu sehen, dass sie sich gerne zurückzog, gern allein war und dass Chaos gut ihr zweiter Name hätte sein können. Dieses äußere Chaos projizierte sie aus ihrem Innenleben auf das Äußere. Überall war es zu finden. In ihren Gedanken und Gefühlen und ebenso in ihrem Zimmer, ihren Schränken und ihren Schulheften.

Am Abend saß die Familie beim Essen. Belanglosigkeiten wurden ausgetauscht. Ansonsten konzentrierte man sich auf den eigenen Teller. In Sabines Fall um die eigenen Gedanken. Nach nur fünf Minuten war sie fertig. Sie stand auf und versorgte ihren Teller. Es war üblich, dass jeder einfach aufstand, wenn er selbst fertig war. Gerade als sie den Raum verließ, rief ihr Vater hinter ihr her: „Räumdein Zimmer auf.“ Das war es.

Während ihre Eltern und Emma noch sitzen blieben ging sie selbst ins Bad. Sie wollte duschen. Mit frischer Wäsche und Handtüchern verschloss sie hinter sich die Türe. Als sie sich ausgezogen hatte, stand sie noch einen Moment vor dem Spiegel. Sie blickte sich an. „Das bin also ich“, sagte sie sich, wobei sie das „das“ betonte und den Satz auch gleich noch einmal wiederholte: „Das bin also ich.“

Zwei Stunden später lag sie unter der warmen Bettdecke, das Licht hatte sie gelöscht und die Müdigkeit übermannte sie.

Sabine schlief tief und fest und erst der Wecker am Dienstagmorgen holte sie aus dem Schaf. Seufzend schaltete sie den Wecker aus. Unmotiviert versuchte sie sich aufzuraffen und aufzustehen. Doch es war alles andere als leicht. Draußen warteten eine unangenehme Kälte und Nässe auf sie. Am Ende von Kälte und Nässe stand die Schule. Für sie also keine Aussichten auf Freude und Spaß und keine Motivatoren, um leichter aus dem warmen Bett zu steigen.

Der Dusche gelang es sie wacher zu bekommen - jedoch nicht motivierter.

Bevor sie das Bad verließ schaute sie in den Spiegel und flüsterte: „The same procedure as yesterday.“ Sie kippte leicht den Kopf nach rechts und zog die Mundwinkel etwas nach unten. Sie löschte das Licht und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Ihre Klamotten brauchte sie nicht im Schrank suchen. Sie lagen unordentlich auf dem kleinen Sofa, ihrem Schreibtischstuhl und sogar auf dem Boden. In der Küche aß sie noch etwas im Stehen und musste sich dann doch etwas beeilen, um den Bus zu erreichen.

Als sie auf die Straße trat war sie in der gleichen Stimmung wie am Tag zuvor und ihre Gedanken waren an nichts Besonderem verankert. Der Himmel hatte seine Schleusen geschlossen, nachdem es in der Nacht geregnet hatte. Der Winter wollte noch nicht ganz durchbrechen und so hatte das Herbstwetter immer wieder ein Durchkommen. Sabine war gerade einmal hundert Meter gegangen, als sie Schritte vernahm. Sie kamen von hinten. Verunsichert ging sie weiter. Allerdings bewegte sie sich nach rechts und ging nah an den Häuserwänden entlang. Die Schritte wurden lauter. Sie kamen näher. Sie kamen auf sie zu. Ihre Schultern verkrampften sich und sie zog sie leicht nach oben, ihr Gesichtsausdruck war festgefroren und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Die Schritte waren echt. Nun war sie sich sicher, dass der Schatten von einer Person stammte. Was wollte man von ihr? Wer war sie schon, dass man sie verfolgte? Sie rang mit sich. Sollte sie stehenbleiben und sich umdrehen oder doch besser losrennen? Würde sie rennen, könnte sie den Angreifer verärgern und er hätte sie sehr schnell eingeholt. Gleich war sie eingeholt. Er war nun direkt hinter ihr. Sabine nahm all ihren Mut zusammen und blieb stehen. Sie drehte sich ein kleines Stück und schaute über ihre Schulter. Sie schaute in die Augen dieser fremden Person. Es war eine Frau, die mit eiligen Schritten vorüberging, um rechtzeitig zu ihrem beruflichen Termin zu kommen.

Trotz der kühlen Temperatur schwitzte Sabine. Sie spürte die Feuchtigkeit unter ihren Armen und an ihrem Rücken. Erleichtert atmete sie durch und setzte ihren Weg fort. „Arrhh“, schrie sie plötzlich kurz auf. Der Schatten. Da war er. Er war wirklich da. Nun gab es keine Zweifel mehr. Keine Frau, die zu einem Termin musste, keine Kinder, die in die Schule gingen und auch keine anderen Passanten. Er war es. Sabine rannte los. Er war nun wirklich hinter ihr her. Sie schaute sich nicht um und versuchte so schnell wie möglich zu laufen. Sie hielt nicht an und versuchte ihr Tempo beizubehalten. Sie schnaufte schwer und ihre Schultatsche wippte auf und nieder. An der Bushaltestelle sah sie mehrere Personen stehen. Durch ihr langes Rennen war sie einige Minuten zu früh dran. Da das Rennen also aus diesem Grunde nicht nötig war, drehten sich die Leute an der Bushaltestelle nach ihr um. Sabine bremste erst ab, als sie an der Haltestelle angekommen war. Erst dort wagte sie sich umzusehen. Nichts. Er war weg. Wobei sie das nicht wirklich glaubte. Sie spürte ihn. Er war da. Er beobachtete sie. Ganz stark war das Gefühl. Sie japste und schwitzte. Sie hoffte, er würde sie in Ruhe lassen, so lange sie mit anderen zusammenstand. Sie drehte sich um und da stand direkt vor ihr ein fremder Mann. Er schaute auf sie runter. Direkt in ihre Augen. Sabine war wieder ganz starr. Sie konnte sich nicht bewegen. Sein ernster Gesichtsausdruck wechselte in ein Lächeln und wirkte auf einmal beinahe vertraut: „Alles in Ordnung bei dir? Man konnte glauben, du wärst vor jemanden weglaufen?“ Nun konnte sie sich wieder entspannen. Nickend antwortete sie kurz: „Ja, danke. Alles ok.“

Der Fremde wollte sie nicht bedrängen, doch er zweifelte an ihrer Antwort. Er nickte ihr freundlich zu und mit einem „Ok“ wandte er sich wieder ab.

Sabine war leicht erschöpft, als sie sich endlich im Bus niedersetzen konnte. Sie hatte sich gleich ganz vorne einen Platz genommen. Weiter hinten saß Marie, doch Sabine wollte lieber für sich bleiben. Sie fühlte so vieles und nichts davon war greifbar für sie. Sie musste zunächst versuchen, ihre Gedanken etwas zu ordnen, da konnten Kindereien nur störend sein und diese hatte sie erwartet, wenn sie sich zu Marie gesetzt hätte.

Im Laufe der Fahrt beruhigte sich Sabine wieder. Dennoch hing ihr Blick immer wieder an den vorbeifliegenden Häusern, Bäumen und Straßen. Sie wollte sich sicher fühlen. Sie wollte sicher sein, dass kein Schatten sie mehr verfolgte. Als der Bus hielt und sie ausstieg, schaute sie sich noch einmal um und dann konnte sie den Schatten vorübergehend vergessen. Marie war rasch neben ihr und lenkte sie ab: „Hey, warum bist du nicht nach hinten gekommen? Ist alles ok bei dir?“ Sabine wollte sich noch während der Fahrt eine Ausrede einfallen lassen, aber sie war zu sehr auf das andere Thema fixiert, so dass sie sich nichts zurechtgelegt hatte. So antwortete sie nur: „Ja, sorry. War total in Gedanken.“

Auf dem Weg ins Schulgebäude wurden die beiden von hinten von ihrem Klassenkameraden Felix angerempelt. Er sah Sabine an und rief: „He, Dummie, steh‘ nicht im Weg rum.“ Bevor Sabine reagieren konnte schrie Marie zurück: „Halt die Klappe du Blödmann.“

Da gesellte sich Pia zu den beiden. Zu dritt betraten sie die Schule. Sie schlenderten in den ersten Stock und setzten sich plappernd auf die Stühle. Um sie herum flogen Stifte und Papierkugeln und lautes Geschrei machte das Chaos perfekt. Sabine störte sich gar nicht daran. Chaos gehörte zu ihrem Leben. Einer der Schüler knallte die Türe laut zu und ging brüllend zu seinem Platz. Schon öffnete sich die Türe wieder und Herr Haller kam herein. Sofort fiel der Geräuschpegel. Eine gewisse Unruhe blieb jedoch. Sabine packte ihre Mathesachen auf den Tisch. Sie verstand die Mathematik mehr oder weniger, aber es war keines ihrer Lieblingsfächer. Nun hatte ihr geregelter Tag begonnen.

Ihre beiden Freundinnen Marie und Pia saßen neben ihr. Sie waren zwar ihre Freundinnen, aber wirklich viel wissen, taten die beiden nicht von ihr. Sie wussten lediglich, dass sie gerne las und welche Fächer für sie in Ordnung waren. Aber über ihr Innenleben, ihre Gefühle und Denkweisen wussten sie nichts. Sabine ließ sie nicht daran teilhaben. Eigentlich wusste keiner wirklich, was in ihr vorging. Keiner wusste, wie sie Kritik wirklich aufnahm, was für sie verletzend war und was ihr ein echtes Lächeln aufs Gesicht zaubern konnte. Sie wusste selbst vieles nicht. Sie wusste nicht einmal, ob sie zufrieden oder gar glücklich war. Sie konnte für sich selbst ‚Glück‘ nicht einmal definieren. In ihrem Denken war sie ihren Freundinnen weit voraus. Sie war reifer und vielseitiger. Doch so ganz einfache Fragen, wie nach dem Glück, waren dann plötzlich zu schwer.

Der Schultag war ein durchschnittlicher Tag. Als die Schulglocke an diesem Tag zum letzten Mal für die Klasse läutete, waren es nur noch drei Schultage bis zum ersten Advent. Sabine stand auf und blickte aus dem Fenster. Es war diesig und nieselte. Sie zog sich die warme Jacke über und versicherte sich, dass in der linken Jackentasche ihre Mütze war. Gemeinsam mit ihren Freundinnen machte sie sich auf den Weg. Lachend verließen sie die Schule und trennten sich dann. Während Marie mit Sabine zum Bus ging, machte sich Pia auf den Weg zu ihrem Fahrrad.

Alles verlief im alten Trott. Die Busfahrt war zusammen mit Marie recht kurzweilig und der Fußmarsch von der Bushaltestelle nach Hause war auch bald überstanden. Wie immer trat sie in die Wohnung, ließ ihre Schuhe im Flur stehen, die Jacke flog an den Haken und mit einem ‚Hallo‘ in die Wohnung rufend, verschwand sie in ihrem Zimmer. Ehe sie die Türe verschloss, hörte sie gerade noch das ‚Hallo‘ ihrer Mutter. Ihre Schultasche landete zunächst auf ihrem Schreibtischstuhl. Sie hielt sich dort nur kurz und rutschte dann weiter zu Boden. Zeitgleich landete Sabine auf ihrem Bett. Als sie Musik einschaltete fiel ihr spontan der Schatten ein. Er war auf dem Heimweg gar nicht aufgetaucht. Sie hatte nicht einmal an ihn gedacht. Viele Fragen schossen ihr durch den Kopf: War er verschwunden? Kommt er wieder? Ist er womöglich vor ihrem Fenster? Sabine traute sich nicht, zum Fenster zu schauen. Da es in ihrem Zimmer heller als draußen war, hätte sie nur das Dunkel durch die Scheibe gesehen. Sie drehte sich auf die Seite; mit dem Gesicht zur Wand. Sie griff sich das Buch, in dem sie zurzeit las. Sie schlug die Seite auf, in dem das Lesezeichen lag. Mit der rechten Hand nahm sie es heraus und blickte ins Buch. Ein neues Kapitel begann:

Sieben Stufen in die Gruft

Lady Bedfield schaute auf die Uhr. Sie wartete auf ihren Gärtner, der für sie wichtige Dinge zu erledigen hatte. Nervös ging sie im Salon auf und ab. Kaum war ihr Mann verstorben, kamen so viele weitere Unannehmlichkeiten. Ihr Butler kam herein und teilte mit: „Er ist nun da.“ Lady Bedfield schaute erleichtert auf: „Schicken sie ihn sofort rein.“

Sabine brach das Lesen kurz ab. Sie wusste, dass sie gelesen hatte, aber sie wusste nichts vom Inhalt. Während sie gelesen hatte, waren ihre Gedanken auf Wanderschaft gewesen. Sie begann erneut:

Sieben Stufen in die Gruft

Lady Bedfield schaute auf die Uhr. Sie wartete auf ihren Gärtner, der für sie wichtige Dinge zu erledigen hatte. Nervös ging sie im Salon auf und ab. Kaum war ihr Mann verstorben, kamen so viele weitere Unannehmlichkeiten. Ihr Butler kam herein und teilte mit: „Er ist nun da.“ Lady Bedfield schaute erleichtert auf: „WAS“, fragte sich Sabine. Wieder hat sie vom Inhalt nichts mitbekommen. Es war zwar erst Nachmittag, aber sie wollte die Jalousien runterlassen. Dafür musste sie sich umdrehen und zum Fenster gehen. Ein Gefühl der Unsicherheit hielt sie zurück. Wieder war diese innere Spannung für sie zu spüren. Sie häufte sich in den vergangenen Tagen verstärkt. Plötzlich schreckte sie hoch, ihr Kreislauf ließ den Blutdruck und den Herzschlag nach oben schnellen. Emma war in ihr Zimmer reingeplatzt und wie immer hatte sie nicht angeklopft. „Spinnst du? Du sollst anklopfen, wenn du etwas willst.“ Gleichzeitig vibrierte ihr Handy. Eine Mitteilung kam an. Emma stand im Zimmer, schweigend und sich umschauend. Sabine kümmerte sich zunächst nicht um sie, sondern nahm sich ihr Handy und las die Mitteilung. Marie hatte eine Frage zu den Hausaufgaben. Sabine tippte: ‚Keine ahnung. Hab noch nicht reingesehn. Wusste nicht dass wir da was machen müssen.‘

Dann legte sie das Handy wieder weg und schaute zu ihrer Schwester: „Was willst du?“ So genau wusste es Emma aber auch nicht. Sie hatte Langeweile und wollte sich bei ihrer Schwester ablenken. Nachdem Emma keine klare Auskunft geben konnte, schmiss Sabine sie kurzerhand raus.

Sabine setzte sich an ihren Schreibtisch, um mit ihren Hausaufgaben zu beginnen. Platz hatte sie auf der Arbeitsfläche allerdings keinen. Sie nahm ihr Mäppchen, Buch und Heft aus der Schultasche und legte es auf die vielen anderen Sachen, die bereits den Tisch füllten. Um schreiben zu können, schob sie einige Sachen zur Seite. Auf die neu gewonnene Fläche legte sie ihr Heft. Nachdem sie das Buch auf der entsprechenden Seite geöffnet hatte, legte sie dieses auf all die anderen Dinge. Sie wollte sich gerade den Aufgaben widmen, als sie noch einmal aufstand und die Jalousien runterzog. Kaum hatte sie begonnen, vernahm sie größere Regentropfen, die durch das Klopfen auf sich aufmerksam machten. Sabine ließ sich davon nur kurz ablenken und schaute wieder ins Buch. Bevor sie jedoch die Aufgabe in ihr Heft übernahm, griff sie nach der Wasserflasche und trank. Kaum war der Deckel wieder verschlossen, hatte sie den Stift schon wieder in der rechten Hand und begann die neue Aufgabe abzuschreiben. Sie hatte noch nicht alles übernommen, als sie mit der linken Hand nach einer fünf Zentimeter kleinen Puppe griff, die auf dem Schreibtisch lag. Sie ließ sie durch die Finger gleiten und versuchte sie auf ihrem Heft zum Stehen zu bringen. Das gelang ihr aber nicht. So verstrich die Zeit. Bis zum Abendessen saß sie am Schreibtisch und versuchte zu arbeiten. Durch die Ablenkungen verlor sie viel Zeit. Das war ihr natürlich bewusst. Doch ein Abstellen war ihr nicht möglich. Sie wusste, dass sie sich konzentrieren konnte. Schließlich war das beim Lesen möglich oder bei vielen anderen Dingen auch. Doch für die schulischen Aufgaben fehlte es an der Motivation und dadurch fiel es ihr dann schwer, den Fokus längerfristig auf die Aufgaben zu richten. Sie war aber froh, dass sie wenigstens bis zum Essen fertig war.

Bei Tisch fand die alltägliche Routine statt. Sabine sah zu, schnell fertig zu werden, um den Tisch ebenso schnell wieder verlassen zu können. Oberflächlich wurde sie nach der Schule gefragt, und genauso oberflächlich gab sie Auskunft. Das Abendessen war der Zeitpunkt des täglichen Zusammenkommens der gesamten Familie. Im Grunde wichtig für alle Familienmitglieder. Es diente der strukturellen Planung des Tages, des familiären Austauschs und natürlich für das Gefühl des Zusammengehörens. Mit all dem konnte Sabine nichts anfangen. Eine viertel Stunde nachdem sie ihr Zimmer für das Abendessen verlassen hatte, war sie auch schon wieder zurück. Ihr Handy zeigte zwei Mitteilungen an. Die eine war die Aufforderung eines Spiels und die zweite war von Marie, die inzwischen über die Hausaufgaben Bescheid wusste und nun Sabine informieren wollte. Dabei hatte sie es ja selbst herausgefunden und nur vergessen, Marie die gewünschte Auskunft zukommen zu lassen. Sie antwortete ihr: ‚Danke‘.

Mit ihrem Buch machte sie es sich im Bett bequem. Auf Musik hatte sie keine Lust und so begann sie wieder von Lady Bedfield zu lesen. Sie war konzentriert bei der Geschichte und wusste inhaltlich genau was sie las. So verbrachte sie die nächste Stunde. Weder bekam sie mit was ihre Familie machte, noch nahm sie den großen Regen wahr. Sie war völlig in die verworrene Welt der Lady Bedfield und ihrem vertuschten Mord versunken. Irgendwann wurden ihre Augen müde und sie stand auf. Sie sah ihre Schulsachen auf dem Schreibtisch und auf dem Boden verteilt liegen. Eigentlich hätte sie ihre Schultasche für den morgigen Tag richten müssen, doch sie hatte keine Lust. Sie würde es nach dem Aufstehen, in großer Eile tun und eventuell würde nicht alles vollständig sein. Doch das war in diesem Moment unwichtig. Sie wollte jetzt nicht. Sie zog sich Shirt und Jeans aus, schnappte sich ihren Schlafanzug und verschwand im Bad.

Als sie 20 Minuten später unter ihrer Bettdecke lag, tauchte an ihrer Decke für einen kurzen Moment der Schatten auf. Sabines Herz raste. Sie bekam Panik und Tränen liefen über ihre Wangen. Eine Frage drängte sich ihr plötzlich auf: Wie konnte im dunklen Raum ein Schatten gesehen werden? Sabine öffnete ihre Augen. Es war dunkel. Beim Einschlafen hatte sie Fantasien. Böse Fantasien. Mit diesen negativen Gedanken schlief sie ein. Entsprechend verlief ihre Nacht. Unschöne