Backlash - Die neue Gewalt gegen Frauen - Susanne Kaiser - E-Book
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Backlash - Die neue Gewalt gegen Frauen E-Book

Susanne Kaiser

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Beschreibung

Je stärker die Frauen, desto größer der Hass auf sie Der US Supreme Court verbietet das Recht auf Abtreibung, die Polizei verzeichnet einen starken Anstieg häuslicher Gewalt, auf TikTok werden Tötungsfantasien an Frauen zum Trend. Die These: Dieser Backlash ist eine Reaktion auf die zunehmende Gleichberechtigung. Wie kann der Teufelskreis durchbrochen werden? Die Journalistin Susanne Kaiser erzählt die ganze Geschichte und entwirft mögliche Lösungen. Die Haustür ist übersät von Sicherheitsschlössern. Frau F. würde Minuten brauchen, sie alle zu öffnen. Angebracht hat sie ihr Mann, weil sie weg will. Sie ist Juristin, ihr Mann ein bekannter Richter. »Stell dir vor, wir zwei hätten ein Stranddate und ich würde deinen Kopf so lange unter Wasser halten, bis du einfach stirbst. Lol.« 134.000 Likes auf TikTok. In 37 Ländern ist im Jahr 2022 Abtreibung noch immer oder wieder verboten. Privat, digital, politisch – die Formen der Gewalt sind nicht neu, doch sie richtet sich heute deshalb gegen die Frau, weil sie gleichberechtigt ist. Diese historische Verschiebung hat heftige Gegenkräfte aktiviert: erfolgreiche Männer aus gehobenen Kreisen, Jugendliche der Gen Z und politische Institutionen demokratischer Staaten. Gerade dort, wo die Gleichberechtigung besonders wirkmächtig war, ist der Backlash umso heftiger. Susanne Kaiser forscht seit über zehn Jahren zu diesem Phänomen, sie hat mit Betroffenen gesprochen und analysiert das Problem gesellschaftlich, politisch und privat. Erst diese gesamtheitliche Sichtweise macht mit großer Klarheit deutlich, welch toxische Dynamik noch immer von männlich-weiblichen Rollenklischees ausgeht. Dieses Buch zeigt, wie wir sie überwinden können. »Susanne Kaiser führt uns vor Augen, wie sehr Frauenhass und politisierte Männlichkeiten unsere privaten und politischen Realitäten formen.« Tobias Ginsburg, Autor des Bestsellers »Die letzten Männer des Westens« »Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Wir müssen das Thema Gewalt gegen Frauen als ein gesamtgesellschaftlichen Problem endlich mehr in den Mittelpunkt rücken.« Asha Hedayati, Rechtsanwältin & Influencerin für Frauenrechte »Es ist erschreckend, wie viel Gewalt gegen Frauen unbemerkt geschieht. Susanne Kaiser macht diese Gewalt öffentlich. Jetzt kann niemand mehr sagen, er habe von nichts gewusst.« Georgine Kellermann, Journalistin  »Patriarchats-Smashing-Gefahr! Susanne Kaiser dekonstruiert die Gewalt gegen Frauen in ihrem Buch wie eine feministische Kaiserin - Go Bitch, Go!!« Dr. Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray 

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Cover for EPUB

Susanne Kaiser

Backlash

Die neue Gewalt gegen Frauen

Tropen Sachbuch

Impressum

Dieses Buch enthält detaillierte Beschreibungen von geschlechtsspezifischer Gewalt. Außerdem werden Emails, Posts oder Kommentare mit expliziten und teils drastischen Inhalten zitiert. All das kann belastend oder retraumatisierend wirken, besonders auf Menschen, die selbst von Gewalt betroffen sind oder waren.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Tropen

www.tropen.de

© 2023 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: © Zero-Media.net, München

Gesetzt von C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-608-50172-8

E-Book ISBN 978-3-608-11988-6

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Einleitung: Das feministische Paradox

Backlash im Schlafzimmer

Die Logik der Gewalt

Take Back Control I

Raus aus der Gesellschaft, rein ins Frauenhaus

Gewalt gegen Frauen betritt die politische Bühne

Take Back Control II

Der Kampf um Körper

Cancel Culture

und Hexenjagd

Der Kampf um die digitale Öffentlichkeit

Sein Drehbuch für ihre Rolle

Das Patriarchat am Ende

Literatur (Auswahl)

Für meine Großmutter Gertrud Obierski

»Macht und Gewalt sind Gegensätze.Wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden.«

Hannah Arendt

Einleitung: Das feministische Paradox

Die Haustür ist mit Sicherheitsschlössern übersät. Es würde minutenlang dauern, sie alle zu öffnen. Frau F. weiß das. Sie hat immer vor Augen, dass sie nicht einfach das Haus verlassen kann. Sie hat Angst. Die verschlossene Tür existiert nicht nur in ihrem Zuhause, sondern auch in ihrem Kopf. Die Vorrichtungen hat ihr Mann während der Pandemie angebracht. Damit sie nicht noch einmal versucht abzuhauen. Schon lange hält sie die Situation mit ihm nicht mehr aus. Seine Gewalt. Die ständigen Drohungen. Die Kontrolle. Sie will wieder Vollzeit arbeiten, er akzeptiert das nicht. Als sie ihn dazu auffordert, Drogen und Alkohol wenigstens vor den Kindern sein zu lassen und von der Couch aufzustehen, um im Haushalt mitanzupacken, würgt er sie. »Er hat Angst davor, die Kontrolle über seine Frau zu verlieren, seinen Machtanspruch, seinen Besitz«, sagt Asha Hedayati, Anwältin für Familienrecht in Berlin. Regelmäßig twittert sie über Gewalt gegen Frauen. 32 000 Leute folgen ihr dabei. Frau F. ist eine ihrer Mandantinnen – eine Juristin, genau wie Hedayati. Und der gewalttätige Mann, um den es in diesem Fall geht, ist ein angesehener Richter in Köln.

Bei TikTok macht sich Ende 2021 ein unheimlicher Trend breit: Junge Männer, fast noch Jugendliche, posten kurze Videosequenzen von sich selbst. Sie lächeln verschmitzt in die Kamera, im Hintergrund läuft romantische Musik – eine Atmosphäre wie kurz vor einem Date. Dazu sind Statements zu lesen wie »Stell dir vor, wir zwei hätten ein Stranddate und ich würde deinen Kopf so lange unter Wasser halten, bis du einfach stirbst. Lol«. 134 000 Likes. Oder: »Was, wenn wir ein Go Kart Date hätten und ich dich mit meinem Fahrzeug überfahre bis du f*cking tot bist.« 360 000 Likes. Weitere Tötungsfantasien der Femizid verharmlosenden Challenge beinhalten Bowlingkugeln, Löwen, Haie und Hanteln. Je grausamer und unerwarteter die Fantasie, desto mehr Aufmerksamkeit ziehen die Jugendlichen auf sich. Zuspruch kommt vor allem aus der männlichen Community.

Fast noch Kinder sind auch die Anhänger von Andrew Tate, jenem frauenfeindlichen »Lifecoach«, der im Sommer 2022 von sich reden macht. Er schlägt Kapital daraus, dass männliche Heranwachsende es gerne sehen, wenn jemand provoziert: Frauen sind das Eigentum von Männern, sie können nicht Auto fahren, sie gehören als Hausfrauen ins Haus und tragen eine Mitverantwortung, wenn sie vergewaltigt werden. Es gibt Videos von Tate, in denen er Frauen beim Sex mit einem Gürtel schlägt oder sie dazu auffordert, die blauen Flecke zu zählen, die er ihnen zugefügt hat. Er nennt Frauen »dumme Huren« und erklärt, wie man am besten mit ihnen umgeht: »Boom ins Gesicht und sie am Nacken packen. Halt’s Maul, Schlampe.« Was normalerweise in eine obskure Ecke der Mannosphäre gehört, hat Tate auf den gerade von jungen User:innen meistfrequentierten Social-Media-Kanälen salonfähig gemacht. Auf TikTok, Facebook, YouTube, Twitter und Instagram ist er ein Star, der »King of Toxic Masculinity«, mit mehreren Millionen Followern und über 10 Milliarden Views – bis die Plattformen Tates Accounts sperren.

Das sind nur drei Beispiele von unzähligen, die alle dasselbe Phänomen beschreiben. Ein Phänomen, das immer weiter um sich greift: Wir erleben einen Backlash gegen den Aufstieg der Frauen, mit ganz neuen Formen der Gewalt. Von immer mehr Seiten schlägt Frauen Feindschaft entgegen. Eine reaktionäre Gegenbewegung greift sicher geglaubte Frauenrechte in westlichen Demokratien an. Mit dem Ziel, die hart erkämpfte Gleichberechtigung mit Gewalt rückgängig zu machen. Schauplätze: das eigene Zuhause, wo die Gewalt gegen Partnerinnen zunimmt. Das Internet, wo sich der Hass auf Frauen vor den Augen der Öffentlichkeit immer heftiger Bahn bricht. Die Politik, wo misogyne Rhetorik immer eher zum Repertoire von rechten Populisten gehört. Das Gesetz, wo autoritäre Antidemokrat:innen hart erkämpfte Frauenrechte zurückschrauben. Und überall dazwischen.

Die Pulitzer-Preisträgerin Susan Faludi beschrieb schon 1991 in ihrem feministischen Klassiker Backlash – The Undeclared War Against American Women, wie ein massiver Rückschlag in den Achtzigerjahren feministische Errungenschaften traf und misogyne Mythen über berufstätige Frauen die Öffentlichkeit fluteten. Faludi verortet diesen Backlash in einem fortlaufenden Zyklus aus feministischem Fortschritt und Rückschritt, ein historisches Pendel, das vor und zurück schwingt. Auf Zeiten der reaktionären Feindschaft gegenüber dem Feminismus folgen demzufolge Zeiten weitverbreiteter Akzeptanz, worauf wieder ein Rückschritt folgt und so weiter. Infolge der Kämpfe der frühen Suffragetten Mitte des 19. Jahrhunderts, der feministischen Bewegungen zu Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts und infolge der Zweiten feministischen Welle der 1970er-Jahre habe es Backlashs gegeben, analysiert Faludi.

Auf den Backlash von heute passt die Metapher der Pendelbewegung aber nicht. Bewegungen und Gegenbewegungen folgen nicht im Wechsel aufeinander, sondern sie laufen eher wie eine Schere auseinander: Frauen sind in immer höheren Machtpositionen vertreten, sie sind als Staatschefinnen tätig und bestimmen die Außenpolitik. Sie sind Influencerinnen auf Twitter, TikTok und Instagram, setzen gesellschaftliche Themen und lenken Debatten. Sie machen Karriere in ehemaligen Männerdomänen und leben sexuell selbstbestimmt, vor den Augen einer riesigen Followerschaft. Und je sichtbarer sie werden, desto mehr Gewalt erfahren sie, weil sie Frauen sind: Partnerschaftsgewalt, Femizide, sexuelle Übergriffe, Stalking, Hetze, Hasskampagnen, völlige Kontrolle über das gesamte Leben – das alles nimmt erschreckende Ausmaße an.

Feministischer Fortschritt und männliche Gewalt wachsen also gemeinsam. Ich nenne es das »feministische Paradox«. Je gleichberechtigter Frauen sind, desto mehr geraten sie unter Druck, desto mehr nehmen Hass und Gewalt gegen sie zu – und nicht ab, wie wir bei fortschreitender Gleichberechtigung eigentlich erwarten würden. Auf der einen Seite wird unsere Gesellschaft immer progressiver, scheinbar unaufhaltsam: Bei Facebook kann man zwischen über sechzig Genderidentitäten wählen, bei Amazon gilt eine strikte Diversity-Quote für Drehbücher, Regie und Besetzungen, in öffentlichen Institutionen ist gendergerechte Sprache mittlerweile ganz normal, im Bundestag sitzen zwei trans Frauen. Auf der anderen Seite erleben wir die krassesten Rückschläge: Das fünfzig Jahre alte Recht auf Abtreibung wird in den USA zurückgenommen, die feministische Regierung in Schweden wird vom rechten Lager abgelöst, die Ärztin Lisa-Marie Kellermayr aus Österreich mit misogyner Hetze unter den Augen der Öffentlichkeit und Polizei in den Tod getrieben.

Wir haben lange Zeit nicht gesehen, was passiert und was sich da zusammenbraut, weil es ja auch immer weiter mit dem Fortschritt für Frauen und für andere politische Minderheiten ging. Zu lange hat sich die öffentliche Wahrnehmung nur auf die eine, die erfolgreiche Seite der Schere konzentriert und die andere abgetan, als letztes Zucken des Patriarchats. Wir haben Gleichberechtigung für selbstverständlich gehalten und übersehen, wie viele Bereiche noch einer zutiefst patriarchalen Logik folgen, von der Medizin über die Unternehmensführung bis hin zur Stadtplanung.

Doch hinter den vielen Einzelphänomenen steckt mehr, als wir vermutet haben, sie hängen zusammen, folgen einer Agenda. Mit dem Aufkommen der MeToo-Bewegung ging ein Hintergrundrauschen einher: Jetzt sei es aber doch zu weit gegangen mit dem Feminismus. Merkel war zwar eine extrem beliebte Bundeskanzlerin, gleichzeitig aber auch die meistgehasste. In Finnland, Schweden und Norwegen stellten Frauen die Mehrheit in den Regierungen, weibliche Abgeordnete aber waren gleichzeitig extremem Cybermobbing ausgesetzt, mehr als anderswo in Europa. Während sich also im Mainstream des gesellschaftlichen Diskurses, in der Öffentlichkeit, alles zum Besseren zu wenden schien, wurde im allgemeinen Jubel übersehen, wie sich in politischen Hinterzimmern, in privaten Räumen oder in der Anonymität des Internets eine machtvolle Gegenbewegung formierte.

Die leisen Stimmen, die frühzeitig auf diese Entwicklung aufmerksam machten, haben wir überhört. Oder wir haben sie gehört, aber als unwichtige Nebeneffekte abgetan und verdrängt. So kam es zu der verbreiteten Annahme, fehlende Gleichberechtigung finde sich höchstens noch in rückständigen Regionen anderswo auf der Welt, gehöre in unseren westlichen Demokratien der Vergangenheit an. Und wenn es sie doch noch geben sollte, dann höchstens in den niedrigen sozialen Schichten. Weit gefehlt.

Wie die Trends auf TikTok zeigen, sind es vor allem junge Männer oder sogar Jugendliche, die Hass, Sexismus und Gewalt gegen Frauen befürworten und weiterverbreiten. Das Patriarchat ist damit nicht Vergangenheit, sondern unsere Zukunft. Es sind die Erwachsenen von morgen, die schon als Heranwachsende extrem frauenverachtende Einstellungen propagieren – und später mit größerer Wahrscheinlichkeit toxische Beziehungen führen werden, in denen sie auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.

Die Schlösser an der Haustür der Juristin F. verdeutlichen, dass Gewalt keineswegs nur ein Problem von armen Frauen ist, sondern in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist. Akademikerinnen sind neben mittellosen Frauen die andere besonders verletzliche Gruppe. Es trifft sie, wenn sie mit ihrem Partner auf Augenhöhe oder beruflich erfolgreicher sind als er. Während Gewalt in unserer Gesellschaft insgesamt abnimmt, nimmt die Gewalt gegen Frauen kontinuierlich zu. Es gibt immer mehr Männer, die ihre Partnerinnen vergewaltigen, schlagen oder töten, geht aus den Statistiken des Bundeskriminalamts hervor. Vor allem die Pandemie hatte einen Brennglaseffekt auf das Thema »Gewalt gegen Frauen«: Weil die Fälle durch die Lockdowns mit einem Mal deutlich zunahmen und sich 2021 sogar verdoppelten, ist das Problem stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die Pandemie führt uns also im Zeitraffer vor Augen, was seit zwanzig Jahren der Trend ist: Die Gefahr, in der eigenen Familie oder Partnerschaft Gewalt zu erleben, wird für Frauen immer größer.

Es ist dabei nicht ausschließlich die Anzeigebereitschaft, die zunimmt, wie oftmals suggeriert wird. Das Dunkelfeld wächst gleichermaßen, wie jene bestätigen, die mit gewaltbetroffenen Frauen zu tun haben. Anwält:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen in Frauenberatungsstellen oder Frauenhäusern kämpfen seit Jahren mit steigenden Zahlen. Alarmierend sind außerdem die Formen der Gewalt, die zunehmen: Es werden immer mehr sexualisierte Gewalttaten, offline und online, verübt. Das zeigt, dass es darum geht, Frauen auf ihren Körper zu reduzieren, sie zu unterwerfen und zurück auf einen untergeordneten gesellschaftlichen Platz zu verweisen.

Diese Entwicklungen vollziehen sich nicht irgendwo auf der Welt. Wenn Frauenrechte in demokratisch noch ungeübten Ländern Europas wie Polen oder Ungarn hart umkämpft sind, dann mag uns das nicht weiter überraschen. Die Erkenntnis, dass der autoritäre Backlash aber auch die stabilen, so sicher geglaubten Demokratien westlicher Länder gefährden könnte, ist ein Schock. Bereits mit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA genau zu dem Zeitpunkt, als die erste Frau als Staatsoberhaupt ins Weiße Haus hätte einziehen können, war klar: Etwas Gewaltiges ist im Gang, mit ungewissem Ende.

Reaktionäre, Rechte und Populist:innen gelangen immer häufiger an politische Schlüsselpositionen und bauen die Demokratie autoritär um, indem sie beispielsweise den Supreme Court nach ihrem Willen neu besetzen, der daraufhin die verfassungsmäßig garantierten Rechte auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen zurücknimmt. Das passiert in immer kürzeren Zeitabständen ausgerechnet in den Ländern, die sich selbst zu den fortschrittlichsten zählen. Wie in Schweden, wo der Rechtspopulismus – bis zum Rechtsruck in Italien – so stark ist wie nirgends in Europa und Rechtsextreme die größte Fraktion der Regierungskoalition stellen. Progressive Staaten scheinen einen besonders krassen Backlash zu erleben. Bei den skandinavischen Ländern spricht man vom »Nordischen Paradox«: Einerseits sind sie Vorreiter bei der Gleichstellung, andererseits erleben Frauen hier mehr häusliche Gewalt, Missbrauch und sexuelle Übergriffe als in anderen Regionen Europas.

Wie kann das sein? Was ist der Nährboden für den Backlash, für den massiven Hass auf Frauen und für die steigende Gewalt? In diesem Buch versuche ich zu zeigen, warum der Wandel des Männlichkeitsbilds von vielen Menschen als großer gesellschaftlicher Kontrollverlust wahrgenommen wird. Wie die Welt für manche immer mehr aus den Fugen gerät, weil das, was sie als Männer gelernt haben, heute nicht mehr als angemessen gilt. Männlichkeit ist »toxisch«, »problematisch«, »hassenswert«, »bedroht«, »in der Krise« oder »am Ende«, so die viel beachteten Urteile von Hanna Rosin, Pauline Harmange oder Margarete Stokowski.

Gleichzeitig werden schon Kinder in unserer Popkultur mit Alpha-Männlichkeit bombardiert, mit Bildern von gestählten Körpern, kernigen Kämpfern, männlichen Machern, mit Vorbildern wie Fußballstar Cristiano Ronaldo, der der Vergewaltigung beschuldigt wird, Schauspieler Johnny Depp, der seine Expartnerin misshandelt haben soll, oder Superheros, die grundsätzlich Probleme mit Gewalt lösen. Einerseits ist unsere Welt noch zum größten Teil auf Männer zugeschnitten, orientiert sich an männlichen Maßen und Bedürfnissen. Andererseits sind weiße Hetero-cis-Männer in gesellschaftlichen Debatten nicht mehr die Norm, nach der sich alles richtet, sondern eine Identität unter vielen. Das bedeutet einen großen Verlust, von Gewissheiten und von Privilegien. Die Prägung durch die noch immer wirkmächtigen Erzählungen von männlicher Stärke auf der einen Seite und der gleichzeitig real erfahrbare Geltungsverlust von Männern in der Gesellschaft auf der anderen Seite erzeugen eine Schere von Auftrag und Möglichkeiten – eine Mission Impossible, die viele Männer nur noch mit einem Mittel glauben, erfüllen zu können: mit Gewalt.

Ich erzähle in diesem Buch die Geschichten von Frauen aus der Mitte der Gesellschaft, die mit gewalttätigen Männern zusammen waren. Sie berichten von Situationen, in denen es zu Gewalt kam, und von den Mustern, die sich erkennen lassen. Dabei wird deutlich, dass sich ganz neue Gewaltformen hinter den verschlossenen Türen in Deutschlands Haushalten entwickeln: Sie sind von einer neuen Qualität, geschehen unter anderen Umständen, mit neuen Motiven und Methoden.

Die gewalttätigen Männer sind vom Typ her durchaus ambivalent und eben nicht die rüden Schläger, die uns als Klischee so oft begegnen. Manche vertreten nach außen absolut progressive Ansichten, würden sich selbst sogar als feministisch bezeichnen und haben sich gezielt eine Akademikerin als Partnerin ausgesucht. Aber in den eigenen vier Wänden denken und handeln sie zutiefst patriarchal, als wäre dort eine rote Linie erreicht. Zu Hause machen sie heimlich all das rückgängig, wofür Frauen so lange gekämpft haben: das eigene Konto und finanzielle Unabhängigkeit. Freie Entscheidungen. Sexuelle Selbstbestimmung.

Wie lassen sich diese Widersprüche erklären? Offenbar lastet eine große Spannung auf diesen Männern: Einerseits wollen sie zur gesellschaftlichen Avantgarde gehören, die sexistisches und misogynes Verhalten nicht mehr toleriert. Andererseits haben sie große Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, die sie aufgrund ihrer Erziehung für männlich halten. Zu Hause im Privaten entladen sich diese gegensätzlichen Ansprüche in Gewalt.

Diese neue Gewalt führt dazu, dass sich Frauen aus der Öffentlichkeit zurückziehen, ihre Karrieren abbrechen oder sich aus dem sozialen Umfeld isolieren. Sie haben Angst, sich zu exponieren. Das betrifft Frauen aus der Mittelschicht, die Partnerschaftsgewalt erleben, und deshalb ihrem Beruf nicht mehr nachgehen wollen oder können. Es betrifft aber auch prominente Frauen, die bereits etabliert sind, jedoch das frauenfeindliche Klima, die sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz, die misogynen Drohungen im Internet nicht mehr ertragen – und deshalb ihre Karrieren beenden.

Besonders eklatant scheint das bei Politikerinnen zu sein, wie eine Studie des Allensbach-Instituts zeigt: Vor allem junge Abgeordnete und solche mit Migrationsbiografie sind in sozialen Medien massiven sexualisierten Angriffen, Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt, auf Landesebene zu fast 80 Prozent, auf Bundesebene zu beinahe 100 Prozent. Das toxische Klima herrscht aber auch in ihren Parteien vor: Zwei Drittel der unter 45-jährigen Politikerinnen erfahren dort sexuelle Belästigungen. Die Liste prominenter weiblicher Rücktritte aus den letzten Jahren ist lang – von Anne Spiegel über Andrea Nahles zu Annegret Kramp-Karrenbauer und Susanne Hennig-Wellsow. Die »Vorzeigefrau« der FDP, Katja Suding, schmiss mit Mitte vierzig vor der Bundestagswahl 2021 alles hin, weil sie die Machokultur in der FDP nicht mehr ertragen konnte. Genau wie zuvor ihre Parteikollegin, die Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin. Beide prangerten nach dem Ende ihrer politischen Karrieren den massiven Sexismus, ständige Belästigungen und die frauenfeindliche Atmosphäre in ihrer Partei öffentlich an. Die Konsequenzen von Gewalt gegen Frauen sind fatal für unsere Gesellschaft, wenn Akademikerinnen aus Berufen, Führungsebenen und politischen Ämtern verdrängt werden.

Gewalt gegen Frauen ist ein elementarer Bestandteil unserer Gesellschaft, die Körper von Frauen müssen als Blitzableiter für unauflösbare Konflikte, Niederlagen und Kränkungen, für männliche Machtfantasien und Überheblichkeit herhalten. Und es gibt einen Ort, der geradezu symbolisch dafür ist, wie scheinheilig mit dieser alltäglichen Gewalt gegen Frauen umgegangen wird: das Frauenhaus.

Frauenhäuser sollen Zufluchtsräume sein für Frauen, die traumatischen Gewalterfahrungen ausgesetzt sind. Die Flucht ins Frauenhaus bedeutet für eine Frau: Sie ist von ihrem sozialen Umfeld isoliert. Sie kann nicht arbeiten. Sie kann nicht gesellschaftlich oder politisch aktiv werden. Sie hat nicht einmal eine eigene Adresse. Dazu stehen diese Häuser immer an den Rändern der Stadt, was aus Sicherheitsgründen Sinn ergibt, aber gleichzeitig eine absurde Logik hervorbringt: Die Opfer werden aus der sichtbaren Öffentlichkeit herausgedrängt, damit sich die Gesellschaft nicht mit ihrer eigenen hässlichen gewaltbereiten Seite auseinandersetzen muss. Was wir nicht sehen oder benennen können, existiert auch nicht. Dabei wäre es ein notwendiger erster Schritt, die Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen, sich einzugestehen, dass es sie gibt: jeden Tag. Nur dann können wir im nächsten Schritt verstehen, warum sie zunimmt und welche Konsequenzen das für unsere Gesellschaft hat.

Mit Donald Trump hat das misogyne Gewalttätertum ganz direkt die politische Bühne betreten. Der ehemalige US-Präsident hat nicht nur selbst Fälle häuslicher und sexueller Gewalt zu verantworten, sondern machte auch die Methoden von häuslicher Gewalt zum politischen Stilmittel. Mit Gaslighting, der gezielten Verunsicherung des Realitätsbewusstseins, und alternativen Fakten manipulierte er die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Vielleicht haben wir es wegen der breiten Gegenrede zu seiner Politik nicht gleich gemerkt, aber: Trumps Präsidentschaft hatte – mindestens in den USA – einen nachhaltigen negativen Einfluss auf die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen.

So werden wir Zeug:innen, wie die Kontrolle über Frauenkörper mit der Revision von Grundrechten wieder stärker zurück in patriarchale Hände fällt. Aber das ist nicht alles: Mit der Kontrolle verlieren Frauen auch die Deutungshoheit über ihre Körper – die Kontrolle über die Erzählung. Aus den Geschichten der MeToo-Bewegung über Vergewaltigung, Missbrauch und Abhängigkeit werden Geschichten von falschen Verdächtigungen, Verleumdung und Habgier, wie im Prozess Johnny Depp gegen Amber Heard. Durch Umdeutungen wird Cancel Culture zur »Hexenjagd« und beides zu einer Waffe gegen diejenigen, die damit zuvor gerade erst ein Stückchen Deutungsmacht errungen hatten.

Nicht erst seit Trump ist die Deutungshoheit hart umkämpft. Wenn sich im Internet Misogynie, Sexismus und Gewalt gegen Frauen wie ein Virus ausbreiten, das kaum aufzuhalten ist, dann hat das entscheidenden Einfluss auf unsere kulturelle Erzählung von Frauen, auf unser gesellschaftliches Frauenbild. Pornografie überschwemmt das Internet mit Szenen, die keinen einvernehmlichen Sex darstellen, sondern zeigen, wie Männer Frauen demütigen und herabwürdigen. Sexuelle Beschimpfungen oder Vergewaltigungsdrohungen haben die meisten Frauen schon erlebt. Wenn wir ständig sehen, wie Frauen mit sexualisierter Gewalt bedroht werden, und wir das zunehmend normal finden – welchen Wert messen wir ihnen dann bei?

Das Internet bietet Möglichkeiten für neue Formen der Gewalt gegen Frauen und geradezu unendlich viel Raum für einen Backlash gegen Frauenrechte. Öffentlichkeit und Privatsphäre sind kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Ich erzähle in diesem Buch, wie prominente Frauen mit rechten Hetzkampagnen aus der digitalen Öffentlichkeit – und damit letztlich aus ihren mächtigen Positionen – gedrängt werden sollen, Frauen wie Natascha Strobl, Jasmina Kuhnke, Dunja Hayali oder Ricarda Lang. Und wie ganz normale Frauen mit neuen Technologien und Methoden zum Schweigen gebracht werden. Jede zweite Frau sagt ihre Meinung im Internet seltener, aus Angst vor Hass.

Frauen sind dank der neuen Medien sichtbar geworden, sie konnten politische Forderungen durchsetzen und ihre Geschichten der Unterdrückung erzählen. Sie haben mit feministischer Identitätspolitik die männliche Norm erschüttert. Gleichzeitig trifft sie der Hass genau dort: in der Sichtbarkeit als Frau, als genderspezifische Gewalt. Damit stehen wir vor einem Dilemma: Einerseits kann man gegen das Patriarchat nichts unternehmen, solange Frauen und die Gewalt gegen sie unsichtbar bleiben. Für Gleichberechtigung lässt sich auch nur kämpfen, wenn es eine gleichzustellende Gruppe gibt. Aber genau das Merkmal »weiblich« sorgt für die heftigsten Angriffe. Und füttert rechte Narrative, weil es der biologistischen Argumentation in die Hände spielt.

Eine kuriose Entwicklung bringt das feministische Paradox auf den Punkt: Psycholog:innen haben herausgefunden, dass sich die Dating-Chancen für heterosexuelle Männer vermindert haben, weil die Ansprüche von Frauen an eine gesunde Beziehung steigen – sie wollen lieber keine Partnerschaft als eine toxische. Das bedeutet: Immer mehr Männer bleiben unfreiwillig alleine, weil sie ein misogynes und sexistisches Weltbild vertreten. Sie könnten die Gruppe der frustrierten Incels, also der unfreiwillig enthaltsamen, frauenhassenden Single-Männer, noch vergrößern und ihre Vorstellungen mit Gleichgesinnten im Internet radikalisieren, damit noch unattraktiver und einsamer werden und dadurch noch gewalttätiger. Die Schere geht immer weiter auseinander.

Um die Spaltung unserer Gesellschaft aufzuhalten, um uns Hass, Sexismus und Gewalt entschieden entgegenzustellen und Gleichberechtigung durchzusetzen, müssen wir Antworten finden: Wie kommen wir aus diesem Dilemma – mehr Gleichberechtigung, mehr Gewalt – heraus? Wie lässt sich das feministische Paradox überwinden? Wie können wir verhindern, dass die Enden der Schere immer weiter auseinanderlaufen? Mit diesem Buch will ich versuchen, Auswege aufzuzeigen, indem ich den Blick dorthin lenke, wo wir als Gesellschaft nicht hinschauen wollen, weil es schmerzhaft ist. Denn erst wenn wir uns den toxischen Dynamiken unseres Zusammenlebens stellen und die Mechanismen erkennen, können wir sie verändern. Erst dann können wir daran arbeiten, dass die Realitäten von Frauen- und Männerwelten nicht weiter auseinanderklaffen. Erst dann kann es uns gelingen, das feministische Paradox zu überwinden, und dem Teufelskreis aus Fortschritt und Backlash zu entkommen.

Backlash im Schlafzimmer

Im Frühjahr 2022 gelangt ein Bild an die Öffentlichkeit, das den »CEO Lunch« der Münchner Sicherheitskonferenz zeigt. Auf dem Foto sind ausschließlich Managermänner zu sehen, die alle dunkle Anzüge und helle Hemden tragen und mit ihren ergrauten Köpfen kaum voneinander zu unterscheiden sind. Der Platz im Twittertrend war ihnen damit garantiert, die berechtigte Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Die Veranstaltenden unternahmen zunächst einen halbherzigen Versuch, den aufziehenden Shitstorm abzuwenden, indem sie erklärten, dass alle Frauen abgesagt hätten. Dann taten sie das einzig Vernünftige: Sie entschuldigten sich und versprachen, beim nächsten Mal deutlich mehr Frauen einzuladen.

Weite Teile der medialen Öffentlichkeit sind sich einig, dass so ein Auftritt nicht mehr zeitgemäß ist. Frauen sind nicht mehr wegzudenken aus der Öffentlichkeit, aus Spitzenpositionen in Politik, Medien, Wirtschaft, Wissenschaft. Selbst wenn manche wichtige Veranstaltung oder Verhandlung hinter verschlossenen Türen stattfindet, macht es gleich einen unseriösen, gestrigen Eindruck, wenn keine Frau dabei ist. Und die junge Generation muss sich nach 16 Jahren Merkel erst daran gewöhnen, dass die Kanzlerin auch männlich sein kann. Wir haben heute eine feministische Außenministerin, eine Innenministerin, Verteidigungsministerinnen und Bürgermeisterinnen. Dass Frauen früher kein eigenes Konto eröffnen durften, ihren Mann fragen mussten, wenn sie arbeiten wollten, sich den Ehepartner nicht selbst aussuchen oder sich nicht ohne triftigen Grund scheiden lassen konnten, ist für die meisten Menschen in Deutschland ein kurioser Fun Fact aus der Geschichte. Spätestens seit der Ehe für alle hat sich das Bündnis zwischen Mann und Frau weitestgehend aus der staatlichen Kontrolle befreit. Und damit auch der weibliche Körper: Frauen haben das Recht, selbst über ihn zu bestimmen. Sie können sich dafür entscheiden, keine Kinder zur Welt zu bringen und stattdessen Karriere zu machen. Abzutreiben. Sich zu kleiden, wie sie wollen. So auszusehen, wie sie es für richtig halten. Sex zu haben, wann und mit wem sie wollen, solange die beteiligten Personen einverstanden sind.

Die konservativen Gegenstimmen in der Presse, oftmals von älteren Herren, deren große Zeit vorbei ist, stoßen auf mehr Häme als Konsens. Wenn Wolfgang Thierse im Zeit Magazin, Harald Schmidt im Spiegel oder Harald Martenstein im Tagesspiegel ihr Recht verteidigen, keine diskriminierungsfreie Sprache zu verwenden, brandet kurz eine künstliche Debatte auf, die genauso schnell wieder verebbt. Denn: Inzwischen ist es eine Meldung, wenn »viele Städte in Sachsen Gender-Sonderzeichen meiden«. Sachsen natürlich, die Heimat von Pegida und Hochburg der AfD, denkt man bei so einer Schlagzeile zuerst und eben nicht: Wie, die Kommunen in anderen Bundesländern nutzen gendergerechte Sprache?

So unangenehm oder unwichtig viele die Debatte um gendergerechte Sprache finden mögen: Positionen, die sich grundsätzlich gegen Gleichstellung richten, sind nicht mehr mainstreamfähig, sondern Außenseitermeinungen. Auch wenn wir faktisch noch nicht gleichberechtigt sind und biologische und soziale Unterschiede zwischen den Geschlechtern oft kontrovers und vehement diskutiert werden, gibt es an dem Ideal – dass Frauen die gleichen Rechte haben sollten wie Männer – kaum etwas zu rütteln. Niemand könnte heute noch eine ernsthafte Debatte mit der Behauptung anstoßen, dass weibliche Personen weniger fähig oder weniger wert seien als männliche und deshalb benachteiligt werden sollten.

Dass wir so gleichberechtigt sind wie noch nie, ist dem Feminismus zu verdanken, der in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem als »Netzfeminismus« viel bewirkt hat. Überall auf der Welt haben sich Frauen dank des Internets neue Räume und Rechte erkämpft, sich vernetzt und gemeinsam Bewegung in die zähen Debatten gebracht. Mit dem Internet war eine neue Form der Öffentlichkeit geschaffen, ohne Hierarchien, gläserne Decken oder Gatekeeper. So konnten sich politische Minderheiten Gehör verschaffen und in vergleichsweise kurzer Zeit viel erreichen. Nicht nur Frauen natürlich, sondern auch Menschen mit Behinderungen, People of Colour, Queere – all jene, die vor dem Zeitalter der Digitalisierung marginalisiert wurden. Mit beachtlichen Erosionserscheinungen für die patriarchale Ordnung, denn die analoge Öffentlichkeit existiert nicht einfach als Paralleluniversum weiter. Sie wird von der digitalen Wirklichkeit immer stärker durchdrungen und umgewälzt.

Netzfeminismus ist so erfolgreich, weil eine breite Bewegung entstand, die immer noch wächst. Nicht einige wenige Leute treiben die Feminismusdebatte voran, als Avantgarde wie in früheren Zeiten, sondern viele. Zwar sind manche Impuls gebenden Aktionen mit bestimmten Namen verbunden, etwa die #Aufschrei-Kampagne von Anne Wizorek, bei der Frauen ab 2013 ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus in Deutschland auf Twitter teilten. Damit rührten sie an einem lange bestehenden Tabu: Über sexuelle Übergriffe und Benachteiligungen schweigt man als Frau, um nicht als »hysterisch« oder als »selbst schuld« abgestempelt zu werden. Doch es kann nicht nur jede:r bei #Aufschrei, #MeToo oder #DeutschrapMeToo mitmachen, sondern es kann auch jede:r auf dem eigenen Profil Erlebnisse oder Forderungen teilen und so selbst neue Hashtags und Bewegungen ins Leben rufen.

Gesellschaftliche Missstände sind seitdem nicht mehr nur in abstrakte Statistiken eingelagert, sondern sie sind lebendig geworden, mit Gesichtern verbunden und persönlichen Geschichten. Die feministische Autorin Rebecca Solnit schreibt in ihrem Essay »Recollections of My Non-Existence«: »Es gab jedenfalls Wege, das Schweigen zu brechen, das selbst einen Teil der Bedrohung darstellte: Rebellion. Ein Aufleben, eine Machtübernahme über das Erzählen von Geschichten, meine und die von anderen Frauen.« Frauen würden, so Solnits Diagnose, nicht bloß mit Gewalt zum Verschwinden gebracht, sondern diese Gewalt werde auch noch durch das Tabu, darüber zu sprechen, verschleiert. Man könnte es ein doppeltes Verschwinden nennen: Erst verschwindet die Person, zum Beispiel aus der Öffentlichkeit, dann wird auch noch das, was ihr zugestoßen ist, ausgelöscht. »Die Gewalt gegen Körper wurde in einem episch epidemischen Ausmaß möglich durch die Gewalt gegen Stimmen«, resümiert Solnit. Das eine Verschwinden begünstigt das andere. Das Erzählen der Geschichten von Frauen ist somit ein rebellischer Akt gegen das Verschwinden, indem es das Unsichtbare sichtbar macht.

Diese Sichtbarkeit hat eine geradezu seismische Wirkmacht entfaltet und zum Umdenken geführt. Einzelpersonen nutzen heute soziale Medien, um sexistische Praktiken und sexuelle Übergriffe anzuzeigen, mit Reichweiten, von denen manche große Zeitung nur träumen kann. Als die Komikerin Ines Anioli 2019 erst in einem Podcast anonym berichtet und später auf Instagram öffentlich macht, dass ihr Expartner Luke Mockridge sexuell gewalttätig war, verfolgen Millionen Menschen das Hin und Her zwischen den beiden mit und fordern Konsequenzen. Das durch Aniolis Anzeige eingeleitete Ermittlungsverfahren war von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Doch der Spiegel beleuchtet nach ihren Social-Media-Auftritten die »Akte Mockridge« in einer großen Recherche und forscht offenbar gründlicher nach als die Staatsanwaltschaft. Darauf sagt Mockridge seine Comedytournee ab und wird von vielen in der Branche geächtet.

Diejenigen, die heute als die sichtbarsten Expert:innen und Meinungsmacher:innen den Ton in den Mainstreammedien angeben, sind weiblich und oft jung, People of Colour oder jüdisch und auch auf Twitter oder Instagram aktiv. Frauen wie Dunja Hayali, Natascha Strobl oder Jasmina Kuhnke haben eine Followerschaft von weit über 100 000. Deren Reichweiten garantieren auch ihren Erfolg in der analogen Welt – wenn sich das überhaupt noch trennen lässt. Sie sind wie Hayali berühmte Fernsehmoderatorinnen bei großen Sendern oder schreiben wie Kuhnke und Strobl Bestseller in renommierten Verlagen. Die großen Debatten unserer Zeit werden, wenn nicht bei Twitter, in politischen Talkrunden im Fernsehen geführt. Die wichtigsten neben Markus Lanz und der Phoenix Runde: Anne Will, Maybrit Illner, Maischberger. Frauen sind sichtbar, laut, streitbar und extrem erfolgreich in ehemaligen »Männerdomänen«. Sie haben heute theoretisch alle Möglichkeiten und Freiheiten.

Erfolgreich sind sie auch, weil breite Teile der Gesellschaft ihren Aufstieg unterstützen. Frauen wird heute deutlich mehr zugetraut als früher. Es gäbe wahrscheinlich immer noch nicht viele Politikerinnen oder Managerinnen, wenn allein die Quote Frauen in Führungspositionen bringen würde. Wirklich verbindlich sind Quoten in Deutschland ohnehin selten, und wenn es sie gibt, zeigen sie kaum die gewünschte Wirkung, wie zum Beispiel die geringe Anzahl weiblicher Personen in Vorständen und Aufsichtsräten großer Unternehmen belegt. Es hat andere Gründe als gesetzliche Vorgaben, wenn Frauen so weit kommen. Getragen wird ihr Aufstieg auch von einem breiten gesellschaftlichen Konsens: Sehr viele Menschen finden es ganz unabhängig vom eigenen Geschlecht richtig, wenn Frauen die gleichen Chancen haben wie Männer. Sie sind davon überzeugt, dass das Geschlecht keinen wesentlichen Einfluss auf die Leistungen einer Person hat. Sie respektieren ihr weibliches Gegenüber und begegnen ihm auf Augenhöhe. Frauen können sich so im fairen Wettkampf gegen männliche Konkurrenz durchsetzen. Und sie erfahren heute vielfach Anerkennung. Das gab es früher so nicht, schon gar nicht für Frauen in Männerdomänen.

Angela Merkel ist als erste Kanzlerin dafür das beste Beispiel. Ihre Autorität erkannten männliche Staatschefs weltweit an, man begegnete ihr mit absoluter Hochachtung. Niemand hätte es gewagt, sich über sie lustig zu machen oder sie herabzusetzen, nicht einmal Expräsident Donald Trump. Als sie nach 16 Jahren aus dem Amt schied, kam die Anerkennung für ihre Leistungen als eines der erfolgreichsten Staatsoberhäupter ihrer Zeit von überall auf der Welt. Lange war sie aus der Regierung die beliebteste politische Persönlichkeit des Landes. In der aktuellen Regierung ist es schon nach drei Monaten im Amt als Außenministerin Annalena Baerbock. Der Aufstieg der Frauen ist also nicht erzwungen, oktroyiert oder gesetzlich verordnet, wie rechte Demagogen immer wieder behaupten. Er kommt aus der Mitte der Gesellschaft.

Wenn Frauen heute in so vielen Machtpositionen vertreten und akzeptiert sind, wenn sie so viele Rechte und so viel erreicht haben – wie kann es dann sein, dass Gewalt gegen sie zunimmt? Und zwar nicht irgendwelche Gewalt, sondern solche Formen, die Frauen treffen, weil