Bad Axe County - John Galligan - E-Book

Bad Axe County E-Book

John Galligan

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  • Herausgeber: Polar Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Vor zwölf Jahren wurden Heidi Whites Eltern auf ihrer Milchfarm in Wisconsin erschossen. Die Polizei erklärte, dass ihr Vater ihre Mutter und dann sich selbst getötet hatte und schloss den Fall ab. Doch in dieser Nacht fand Heidi den einen Hinweis, von dem sie wusste, dass er zur Wahrheit führen könnte – wenn die Ermittler nur zuhören würden. Zwölf Jahre später ist sie Interims-Sheriff von Bad Axe County. Trotz aller Herausforderungen, zu denen unter anderem das Leben als Ehefrau der lokalen Baseball-Legende Harley Kick und Mutter von drei kleinen Kindern gehört, kommt Sheriff Heidi Kick gut in der Männerwelt zurecht. Zumindest mit der einen Hälfte des Countys, die sie gewählt hat. Die andere Hälfte versucht alles, sie wieder loszuwerden. Als ein eisiger Regen Straßen auswäscht und Flüsse über die Ufer treten, findet sich Heidi auf der Spur einer vermissten Teenagerin wieder. Jemand platziert Hinweise, die sie finden soll, und bringt einige Wahrheiten ans Licht, die beunruhigend nahe auf ihr Zuhause hinweisen. Heidi muss einen Mord aufklären, ein vermisstes Mädchen retten und ein Monster vor Gericht bringen. Sie steht kurz davor, ihre Gemeinde bis ins Mark zu erschüttern – und herauszufinden, was in der Nacht, in der ihre Eltern starben, wirklich passiert ist.

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DARK PLACES

John Galligan

Bad Axe County

Aus dem Amerikanischen von Kathrin BielfeldtHerausgegeben von Jürgen Ruckh

Polar Verlag

Originaltitel: Bad Axe County

Copyright © 2019 by John Galligan

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published bx arrangement with the original publisher, Atria Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., New York

Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2024

Aus dem Amerikanischen von Kathrin Bielfeldt

Mit einem Nachwort von Sonja Hartl

© 2024 Polar Verlag e. K., Stuttgart

www.polar-verlag.de

Lektorat: Tobias Schumacher-Hernández

Korrektorat: Andreas März

Umschlaggestaltung: Britta Kuhlmann

Coverfoto: © Allessandro Calzolaro

Autorenfoto: © Ya-LingTsai

Satz/Layout: Martina Stolzmann

Gesetzt aus Adobe Garamond PostScript, InDesign

Druck und Bindung: Nørhaven, Agerlandsvej 3, 8800 Viborg, DK

Printed in Denmark 2024

ISBN: 978-3-948392-94-9

eISBN: 978-3-948392-95-6

Inhalt

Was ist ein Coulee?

Prolog

EINBRUCH DER NACHT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

TAGESANBRUCH

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

EINBRUCH DER NACHT

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

TAGESANBRUCH

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

FÜNF TAGE SPÄTER

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

EPILOG

Danksagung

»Hinwegsehen«: Ein Nachwort von Sonja Hartl

Was ist ein Coulee?

Dieser Roman spielt in Wisconsin, in den sogenannten Coulees. Ein Coulee ist eine große, meist fruchtbare Ebene, die deutlich tiefer liegt als der Rest des Landes und von schroffen Hängen und Klippen gesäumt wird – im Grunde ein Kastental. Der Begriff Coulee leitet sich von dem französischen Verb »couler« ab, was so viel wie »fließen« bedeutet.

Gebirge und Hügel sind in der Regel durch Plattentektonik entstanden, durch Lavaströme oder in der Eiszeit durch sogenannte Geschiebe. Nichts davon trifft auf Coulees zu. Coulees sind auch keine Canyons, denn bei deren Bildung hat sich ein Fluss über Zeit in den Berg gegraben.

Die gesamte Coulee-Region in West Central Wisconsin wurde durch Wassererosion in eine Reihe schmaler Bergrücken unterteilt, die durch steil abfallende Täler, sogenannte Coulees, getrennt sind. In den Tälern der Coulees werden fruchtbare Böden bewirtschaftet. Die schmalen Kämme, die oft durch Wälder geschützt sind, werden von erosionsresistentem Dolomitgestein überlagert, das häufig auf Sandstein aufbaut. Während der Bildung der Coulees hat die Erosion den Dolomit durchbrochen und den darunter liegenden schwächeren Sandstein abgetragen, wodurch die Täler entstanden sind.

https://thedairyalliance.com/blog/big-ag-the-truth-behind-the-modern-american-farming-industrys-size/

Prolog

Whistling Straits Golf Course, The American Club, Kohler, Wisconsin

Nachmittag des 9. Juli 2004

Die feuchte Hand des Abgeordneten Cyrus Johnsrud hat ihren Ellenbogen losgelassen, gleitet nun ihre Wirbelsäule hinunter und stoppt dabei genussvoll an jedem Wirbel unter dem Stoff ihres Kleides. Der Abgeordnete ist kurz davor, ihren Allerwertesten zu packen, so viel ist sicher, als die Königin ihre Anstandsdame entdeckt, die sich nervös in der Menschenmenge umschaut – und nach Ihrer Hoheit sucht, wem sonst?

Wenn sie Absätze trägt, ist Heidi White, fast achtzehn Jahre alt, eine junge Frau durchschnittlicher Größe, doch zusätzlich zu ihrem Kleid und der Schärpe, trägt sie das Diadem der Wisconsin Dairy Queen. Dadurch sollte sie einfach zu finden sein. Doch ihre Anstandsdame, Mrs. Wisnewski, ist klein wie ein Troll und außerdem zu eitel, um zu piekfeinen Anlässen ihre Brille zu tragen. Also hält die Milchkönigin durch und klärt den Abgeordneten über ein abgelegenes Eckchen in Wisconsin auf, aus dem sie stammt.

»Nein, ich komme aus Crawford County. Bad Axe County liegt weiter nördlich. Sie machen uns im Baseball fertig, aber wir schlagen sie um Längen beim Rodeo. Wir sind die Vanguards und die Bobcats, sie sind die Blackhawks und die Rattlers.«

»Ausgezeichnet«, sagt er. »Aber so was von!«

»Aber wir liegen beide in den Coulees. Das ist eine ganz andere Welt als hier bei euch Leuten.«

»Oh, aber so was von.«

»Bei uns gab es nie Gletscher, also ist unsere Gegend ungefähr eine Million Jahre alt.« Eine Kamera blitzt in ihr Gesicht. Sie zuckt nicht mehr zusammen. »Bei uns gibt es sogar Luchse und Klapperschlangen. Wir haben mehr Höhlen als das Ozark-Plateau. Die Blackhawks sind dorthin geflüchtet und haben sich vor der Armee versteckt.«

Diese stolze Aufzählung ist an den Abgeordneten der sanften Hügellandschaft voll Maisfelder und Wiesen von Portage County verschwendet. Seine Finger haben ihr Steißbein ausgelotet. Sie spürt, wie er vorsichtig die verschiedenen Schichten ergründet – Kleid, Unterrock, Strumpfhose, Slip – und sie im Geiste entkleidet.

»Nun, die Leute in den Coulees müssen sehr stolz auf Sie sein, junge Dame. Sie haben da oben gerade eine tolle Rede abgeliefert.«

Sie hat sie schon dutzendmal gehalten. Eigentlich ist es gar keine Rede. Vor neun Monaten hat sie die Krone der Dairy Queen des Crawford County und von ganz Wisconsin mit einer richtigen Rede gewonnen, über den zu Herzen gehenden Kampf ihrer Familie, als kleiner Milchproduzent in der rauen südwestlichen Ecke des Bundesstaates zu überleben. Doch seit sie Milchkönigin wurde, war ihre Rolle, eine Werbebotschaft zu überbringen, die ihr vom Wisconsin Milk Marketing Board vorgeschrieben worden war. Sie beginnt mit dem Bericht über neue Forschungsergebnisse, dass Kakao dabei hilft, den Körper nach intensivem Training wieder mit Energie zu versorgen. Dann spricht sie über Aktuelles, wie zum Beispiel die Grillkäse-Akademie – die Leute denken, sie mache Witze, doch das tut sie nicht – und das Meister-Zertifikat der Käserei, genau wie die Deadlines für diverse Dairy-Youth-Fund-Stipendien, »von denen ich selbst eines erhalten habe«. Sie erzählt weiterhin von Käsetrends und listet »acht Arten, wie die Amerikaner 2004 Käse essen werden« auf. Das alles absolviert sie in sieben Minuten – und lädt im Anschluss jeden dazu ein, sie nach der Veranstaltung an ihrem Stand aufzusuchen, wo sie saisonale Käsesorten zum Probieren bereithält, genau wie Informationen, welche Käsesorten zu welchen Getränken passen sowie einige einfache Rezepte. Zum Abschluss, als reinstes Varieté – ihr eigener Einfall, der dem Marketingboard allerdings gefiel –, beginnt sie ohne sichtbaren Grund so schnell sie kann zu zählen – immer weiter – bis sie aufgibt und dann ruft: »35 Milliarden! So viele Dollar werden von der Milchindustrie Wisconsins erwirtschaftet!«

Dann sagt sie »Puh!«, grinst – sie ist ein Mädchen von natürlicher Schönheit, gesund und munter – und trinkt unter dem Jubel der Zuschauer ein Glas Kakao auf ex. Noch drei Monate muss sie ihre Pflichten als Dairy Queen erfüllen.

Jetzt zieht sie im Publikum ihre Show ab, strahlendes Lächeln, zwei Hände unter einem großen Tablett Käse, Kameras blitzen auf. Der Abgeordnete Johnsrud hat sich vorgearbeitet und fummelt mit gefühlvollem horizontalem Streicheln an ihrer Unterwäsche herum. Mrs. Wisnewski ist in der falschen Richtung unterwegs, zum Clubhaus des Golfplatzes – vermutlich, weil die Anstandsdame ihrer Dairy Queen verboten hat, dieses eindeutige Männer-Territorium zu betreten. Heidi White ist ein braves Mädchen, doch sie ist auch starrsinnig, neugierig auf den Unterschied zwischen Jungs und Männern, und die Aufgaben einer Milchkönigin langweilen sie. In der Zwischenzeit fragt Johnsrud sie, warum sie sich um den Thron beworben hat – und tut dabei so, als sei er von ihr fasziniert.

»Ich bewundere meine Eltern, meine Großeltern, ich bewundere alle Farmer, all die unglaublich harte Arbeit, die nötig ist, um eine Farm zu bewirtschaften, Tiere gut zu behandeln und ein gutes Produkt herzustellen, Menschen zu ernähren und sich um das Land zu kümmern und die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und ich möchte meinen Teil dazu beitragen …«

Er gluckst leise. Ihr ist klar, dass ihre Antwort abgedroschen klingt. Jeder weiß doch, dass Mädels nur Rivalinnen ausstechen, schicke Kleider tragen und Männern den Kopf verdrehen wollen. Als Landei aus einer abgehängten Ecke des Bundesstaates wirkt sie vermutlich so, als wäre sie zu naiv, um sich zu verstellen. Eine gute Gelegenheit, um zuzuschlagen, vergewissert sich Johnsrud. Sie registriert das alles, ohne nervös zu werden. Im Grunde sind die Menschen gut. Keine Sorge.

»Sie hauen mich einfach um, so großartig sind Sie. Intelligent und hübsch, und, Himmel, was für eine Energie.«

Irgendwann stellt seine Hand Kontakt zu ihrem Hinterteil her: eine flüchtige Berührung, ein Austesten, ob er die Erlaubnis erhält, er könnte es abstreiten, wenn sie sich belästigt fühlt. Von dem, was er in Begriff ist zu betätscheln, könnte der Abgeordnete einen Penny abprallen lassen, so straff ist er. Zusätzlich zu ihrer Arbeit auf der Farm, nimmt Heidi White an Rodeos teil, im Kälberfangen und Barrel Racing, und spielt an der Highschool Softball. Die Wisconsin Dairy Queen 2004 sieht in ihrem Kleid gut aus, schon klar, aber es ist etwas vollkommen anderes, sie in ihrer ausgeblichenen Jeans und einem eng anliegenden T-Shirt zu sehen, eine John-Deere-Kappe auf dem Kopf, aus dem ihr rotblonder Pferdeschwanz guckt, und in ihren Arbeitsstiefeln – dann ist sie in ihrem Element.

»Sie können einen Kerl wirklich zum Schmelzen bringen«, raunt er in ihr Ohr. »Wissen Sie das?«

Das Farmer-Mädel aus dem entlegenen Crawford County behält beide Hände an der silbernen Käseplatte, auf der fünf Kilo verschiedene Sorten Colby, Schweizer Käse, Cheddar, Tilsiter und ein fester Chèvre liegen.

»Ich sag Ihnen was. Die Rede, die Sie da gehalten haben, Sie haben gesagt, Sie würden davon träumen, nach der Highschool in den öffentlichen Dienst zu gehen, zur Polizei, dort draußen in der Provinz leben zu wollen, nebenbei eine kleine Farm zu führen, ein paar Babys zu bekommen, ein paar Kühe zu melken, aber verdammt, warum kommen Sie nicht stattdessen mal bei mir im State Capitol vorbei? Ich habe einen Job für Sie in meinem Büro. Wie wär’s, wenn Sie Ihr Talent richtig einsetzen?« Er streift wieder ihren Hintern. »Hört sich das gut an? Sie kommen nach Madison und werden mein Mädchen für alles?«

Gleich begrapscht er sie. Aber na und? Sie kann nichts erschüttern. Sie denkt an ein spätes Abendessen, ihre Mom hat Schweinerippchen und Kartoffelsalat gemacht, danach wird sie ein mutterloses Kalb mit der Flasche füttern und ihr Pferd striegeln, und danach soll heute Abend eine Bierparty stattfinden – ein halbes Fass auf der Ladeklappe eines Pick-ups von irgendeinem Jungen, ein Lagerfeuer, Feuerwerk, brave Kids, die an einer Biegung des Kickapoo Rivers ein bisschen Spaß haben. Wenn man das alles bedachte, würde die Wisconsin Dairy Queen 2004 den Grapscher vermutlich einfach abschütteln, weggehen, weiterlächeln und ihren Käse woanders anbieten …

Doch stattdessen passiert Folgendes.

Mrs. Wisnewski ist vollkommen aufgelöst, als sie sich mit ihren Ellenbogen durch die Menge wichtiger Männer in Anzügen drängt. Sie hat sogar ihre Brille aufgesetzt. Sie hat Tränen in den Augen. Unglaublich. Mrs. Wisnewski weint.

»Uh-oh, verschüttete Milch.«

Der Abgeordnete Johnsrud versucht zu witzeln. Er nutzt die Gelegenheit, um der Queen einen Arm um die Taille zu legen und sie an der Hüfte zu packen, als müsse er sie aus dem Weg der verrückten Angreiferin ziehen. Stattdessen schubst Mrs. Wisnewski ihn mit steifen Armen gegen einen Kellner, der Tulpengläser mit Door County Kirschbier trägt. Sie zerrt die Dairy Queen mit Gewalt weg – Kameras blitzen auf, klebriger Käse löst sich vom Tablett und fliegt herum – durch eine Tür auf eine Veranda. Hinter dem frischen Grün des Golfplatzes liegt der Lake Michigan still und silbern in der Abenddämmerung.

»Oh … oh, lieber Gott«, keucht Mrs. Wisnewski.

»Was ist?«

»Oh, Heidi … deine Mom und dein Dad …«

»Was ist mit ihnen?«

Sie wird nie vergessen, wie langsam sie alles begreift. Sie dachte, ihre Eltern hätten sich entschieden, den Kampf aufzugeben und die Cress Springs Farm an Royce Underkoffler zu verkaufen, der Bankrottspezialist, der überall in den Coulees den Farmern zusetzte. Also haben Mom und Dad es schließlich getan, denkt sie. Okay. Nun gut. Also ziehen sie jetzt nach Florida. Sie haben aufgehört, sich jeden Tag den Arsch aufzureißen, während sie immer weiter in Schulden versinken. Ihr Dad bekommt seine Ängste unter Kontrolle. Ihre Mom hört auf, die Nachtschicht am Schalter bei Kwik Trip zu schieben. Das Land selbst ist ein kleines Vermögen wert, also hören ihre Eltern auf sich zu streiten, gehen in den Süden und lassen es sich gut gehen. Sie denkt, ja, es war dumm von ihr zu versuchen, alles zu retten, die Vergangenheit mit ihrem Gig als Dairy Queen zu romantisieren, der inzwischen nur noch öde und ermüdend war, und darüber hinaus lediglich ein Lobgehudel auf die großen Agrarkonzerne. Doch sie würde die Krone ja nicht ewig tragen. Sie würde weiterziehen, genau wie ihre Eltern …

»Setz dich«, befahl Mrs. Wisnewski ihr.

»Warum?«

»Heidi White, ich sage dir, setz dich.« Die Anstandsdame packt ihren Unterarm wie eine Kralle. Sie zerrt sie hinüber zu einer Bank und würgt die Worte heraus. »Setz dich, junge Dame.«

»Was ist passiert?«

»Sie wurden erschossen.«

»Was?«

»Sie wurden auf der Farm erschossen.«

»Meine Mom und mein Dad?«

»Nachdem du heute Morgen gegangen bist … zuerst hat dein Dad deine …«

Mrs. Wisnewski keucht, kann nicht weiterreden.

»Ich … er … was? Wen hat er erschossen?«

»Deine … oh, mein liebes Kind … deine Mom … und dann hat er sich selbst erschossen.«

Ihre Fähigkeit zu denken, sprechen, hören – alles verschwindet. Sie starrt auf den Golfplatz vor dem riesigen, silbernen See, ohne zu begreifen, was es ist. Die kleine Mrs. Wisnewski hockt in ihrem schwarzen Abendkleid auf den Pflastersteinen und wird zu einem Gargoyle, der nach ihren Händen greift. Der Abgeordnete Johnsrud taucht auf und gibt sich besorgt. Mrs. Wisnewski springt auf und faucht, als wolle sie ihm ins Gesicht beißen. Die Dairy Queen flüstert: »Nein.«

Diese Worte werden zu ihrer einzigen Reaktion. Das Nein wird zu ihrem Universum. Nein! Sie reißt das Diadem – das wie eine Klaue auf ihrem Kopf sitzt – mit einem Schrei – Nein! – und einer schrecklichen Handvoll rotblondem Haar herunter. Nein! Nein! Mrs. Wisnewski muss sie davon abhalten, auf die Einfahrt des Clubs zu laufen, wo riesige Busse mit ihrem zerstörerischen Gewicht lauern. Dann ist sie irgendwie im Wagen, wird von einem Gurt zurückgehalten, vor sich ein feuriger Sonnenuntergang, die Landschaft zerfließt im Abendlicht. Das hier ist nicht wahr, nein. Das kann nicht wahr sein.

»Sie lügen«, platzt es aus ihr heraus. »Irgendwer lügt. Das würde Dad niemals tun.«

»Der Deputy hat mir gesagt …«

»Dad war gestresst, aber er würde niemals … erst letzten Sonntag hat jemand unseren Nachbarn einen Anhänger voller Heu gestohlen … Mom und Dad müssen jemanden beim Stehlen erwischt haben. Es ist eine Lüge.«

»Ich glaube nicht, dass irgendwer lügt«, sagte Mrs. Wisnewski, die hinter dem Lenkrad sitzt, mit fleckigem Gesicht und fester Stimme. »Es wurde nichts gestohlen, hat mir der Deputy gesagt. Sie glauben nicht, dass jemand anderes beteiligt war. Solche Dinge passieren einfach. Und wir müssen sie akzeptieren, um zu überleben.«

Ihre ganze Welt ist ein einziges Nein. Nein, nein … niemals, niemals. Ein tausendfaches Nein, über gut dreihundert Kilometer Landschaft hin zu einem rauen Ort, der ihr jetzt Angst einjagt und sie verwirrt.

Sie wird gegen das Nein, Niemals und »Es wurde nichts gestohlen« in den Krieg ziehen. Sie wird kämpfen, um zu akzeptieren und zu überleben. Doch die ehemalige Dairy Queen Heidi White wird zwölf harte Jahre brauchen, viele von ihnen verloren und mit finsterer Seele, bevor sie die geliebten Coulees wieder ihr Zuhause nennen kann.

EINBRUCH DER NACHT

Jerry Myad @DieBesteVerteidigung

@BadAxeCountySheriff hoffen wir, dass sie von einem Milchlaster überfahren wird #dairyqueen

April 2016

1

Angus Beavers wurde in Jacksonville, wo sich das Team auf die Saison vorbereitete, von einer alten Ausgabe des Bad Axe County Broadcaster darüber informiert, dass Sheriff Gibbs zwei Monate zuvor gestorben war.

Der April in Florida war bereits heiß und stinkig. Während er auf dem chemiegrünen Spielfeldrasen darauf wartete, dass er an der Reihe war, träumte dieser ungehobelte Bursche aus den Wisconsin Coulees von Scheinkallas, die sich entfalteten, und an den Felswänden blühenden Waldlilien. Als er den Trainingsbällen am triefenden Himmel hinterherblickte, sehnte er sich danach, Adler in der Frühlingsluft über den Bergrücken zu sehen. Während er Curveballs verschlug, fiel ihm wieder ein, wie er gute, trockene Eiche gehackt hatte. Vier Jahre nicht mehr im Bad Axe, und er sehnte sich wie verrückt nach dem Ort, aus dem er stammte. Er wollte gern von vorn anfangen. Doch bis ihn die Nachricht über Gibbs erreichte, hatte er nie einen Weg zurück gesehen.

Coach Hernandez gab ihm einen Klaps mit der Zeitung.

»Hey, Dicker. Da steht eine klasse Geschichte über einen Truck drin, der eine Kuh anfährt, die Kuh fliegt durch die Luft – irgendwie passiert das alles an einer Tankstelle – und dann …«

Doch Angus sah nur die Schlagzeile: BAD AXE TRAUERT UM LANGJÄHRIGEN SHERIFF RAYMOND GIBBS.

• • •

»War Zeit, dass du zur Hölle fährst«, erklärte er Gibbs’ Foto später in seinem kleinen, fast leeren Apartment. Er ballte eine Faust. Wer also war der neue Sheriff?

Er duschte, machte sich in der Mikrowelle einen Cheeseburger warm und holte sich ein Kühlpack aus dem Gefrierschrank. Dann legte er sich in dem schmalen Bett mit seinem schmerzenden Rücken auf das Eis.

… nachdem er einunddreißig Jahre den gefährlichsten Job des Countys gemacht hatte, ist Sheriff Gibbs eines natürlichen Todes gestorben, während er sich mit Freunden an Bord der River Princess entspannte …

Schwachsinn. Was Gibbs getan hatte, war, in einem neuen, glänzenden Dodge Charger durch Bad Axe spazieren zu fahren und mit seinen Kumpels einen draufzumachen. Die River Princess war ein Casinoschiff, das auf dem Mississippi betrieben wurde, wo keine staatlichen Regeln galten, was Alkohol, Zocken und käufliche Ladys betraf.

Laut des Vorsitzenden der Police and Fire Commission, Bob Check, wird der Rat von Bad Axe County einen Interims-Sheriff benennen, der bis zu einer außerordentlichen Wahl im Juli die Leitung übernimmt …

Angus ließ die Zeitung fallen. Komm am besten nie mehr nach Hause, hatte sein Dad ihm gesagt. Lebe am besten einfach deinen Traum. Aber jetzt, wo Gibbs tot war …

• • •

Eine Stunde später, in Wisconsin war bereits Mitternacht, rief Angus Beavers zu Hause an. Mit klopfendem Herzen. Sein Gesicht glänzte heiß. Niemand ging ran.

Um drei Uhr nachts rief er erneut an. Seine kleine Schwester Brandy ging an den Apparat und hörte sich betrunken an.

»Mhmm … was? Wer ist da?«

»Wo warst du? Hier ist Angus, und es ist mitten in der Nacht.«

Er wartete. Vor seinem Fenster begann eine alte Dame auf Spanisch auszuflippen.

»Angus? Willst du mich verarschen? Wann hast du das letzte Mal angerufen?«

Das war Weihnachten, vom Wintertraining in Mexiko. Er hatte eine Telefonkarte gekauft und aus einem Mercado angerufen. Niemand war drangegangen. Im Haus an der Lost Hollow Road gab es keinen Anrufbeantworter. Er hätte sowieso nicht gewusst, was er sagen sollte. Er fühlte sich allein und am falschen Ort, in einem Leben, das er nie gewollt hatte.

»Das beantwortet nicht, wo du all die Stunden gewesen bist«, sagte er seiner Schwester.

»Willst du mich verarschen?«

Nur in Boxershorts, ließ Angus sich verschwitzt auf die Bettkante plumpsen. Sein Kühlpack hatte ein Foto des toten Sheriffs aufgeweicht, auf dem er Veteranen salutierte, in der Fortsetzung des Artikels auf Seite drei: BAD AXE TRAUERT UM GIBBS.

»Wen haben sie zum neuen Sheriff gemacht?«

»Hä?«

»Gibbs hat den Löffel abgegeben. In der Zeitung steht, es gäbe einen Interims-Sheriff. Wer ist es?«

»Irgendeine Frau.«

»Nicht Boog Lund?« Überrascht stand Angus auf. Boog Lund war Gibbs’ Stellvertreter gewesen. »Bist du sicher? Eine Frau?«

»Ja. Weißt du, Horst Zimmer hat unten im Bishops Coulee dieses Pärchen zerhackt.« Seine Schwester gähnte, als passierte so etwas täglich. »Dann hat er ein Feuer gelegt. Diese Deputy-Lady hat die Leichen gefunden. Dann hat sie herausgefunden, dass Zimmer es getan hat. Sie hat ihn hochgenommen, als er versuchte, ihre Xbox von seiner Ladefläche aus für zwanzig Mäuse zu verticken, um sich Gras zu kaufen. Also war sie plötzlich eine ganz große Nummer, und sie haben sie zum Sheriff gemacht.« Brandy gähnte wieder. »Aber nicht für lange.«

Angus pellte die zwei Monate alte Zeitung von sich ab und schaute flüchtig darauf. Das Verbrechen, von dem Brandy redete, war noch nicht geschehen. Eine solche Geschichte war aber auch keine große Überraschung, wenn man wusste, wie das in den Coulees mit Drogen lief. Überrascht war Angus über eine Frau als Sheriff – aber nur für einen Moment. Dann begann er auf und ab zu tigern.

»Gib mir mal Dad.«

»Dad geht es zu schlecht, um aus dem Bett aufzustehen.«

Hatte einen Kater, vermutete Angus. »Was stimmt mit ihm nicht?«

»Krebs.«

»Was? Wo?«

Seine kleine Schwester zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch über das Mundstück ihres schwarzen Wählscheiben-Telefons. »Wo glaubst du denn?«

»Was?«

»Überall«, sagte Brandy.

Angus wusste nicht, was er davon halten sollte. Sein Dad würde größeren und besseren Krebs haben als andere. Die alte Dame draußen kreischte wieder auf Spanisch. Die stinkende Luft brannte in seinen Augen. Und dann ständig diese Sirenen. Er schloss das Fenster.

»Seit wann?«

»Weihnachten war er im Krankenhaus.«

»Wer kümmert sich um ihn?«

»Ich.«

»Und wer kümmert sich um dich?«

»Auch ich.«

Er musste kurz durchatmen. Die Augen schließen, die Trauer vorläufig zur Seite schieben und sich über etwas klar werden. Gibbs war tot. Es gab einen neuen Sheriff. Sein Vater war zu krank, um ihn aufzuhalten. Vielleicht gab es einen Weg.

»Kannst du etwas für mich tun?«, fragte er seine Schwester schließlich. »Du kennst doch noch die Tiefkühltruhe, die vor meinem Zimmer stand, oder? Dad hat sie mit dem Gabelstapler draußen in die Wellblechbaracke gestellt.«

»Was ist damit?«

»Kannst du für mich mal reingucken?«

»Warum?«

»Oder nur nachsehen, ob sie noch funktioniert?«

Sie musste den Hörer neben dem Fernseher abgelegt haben. Angus lauschte dem Angebot von Aspinwall Ford »Räumungsverkauf – knallige Angebote auf Nutzfahrzeuge!« Dann kam der alte Slogan von Clausen Meat – »Niemand verpackt mehr Fleisch als wir!« –, den er schon sein ganzes Leben lang kannte.

»Sie funktioniert noch.«

»Ist da immer noch all der gefrorene Fisch drin?«

»Das kann ich dir nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Ich konnte sie nicht öffnen.«

»Warum nicht?«

»Was glaubst du wohl, Angus? Wegen dem fetten Schloss, das Dad angebracht hat.«

Vielleicht hatte er also recht. All die Jahre hatte er nie geglaubt, dass sein Dad die Leiche verbrennen würde.

• • •

Am nächsten Morgen verließ er Jacksonville. Er flog über Charlotte. Am frühen Nachmittag war er in Chicago und konnte sich dort keinen Wagen leihen, weil sein Wisconsin-Führerschein abgelaufen war, als er vor zwei Jahren achtzehn geworden war. Er nahm einen Bus vom O’Hare Richtung Madison, vollgestopft mit Studenten und Studentinnen, die nach den Frühlingsferien wieder ins College zurückkehrten.

In Madison klappte dem Taxifahrer die Kinnlade herunter. »Eine Fahrt da raus kostet dich dreihundert bis vierhundert Dollar, Bro. Bist du sicher?«

»Los geht’s.«

Am späten Nachmittag, schon halb im Bad Axe, dirigierte Angus den Fahrer von der U.S. 14 auf einen County Highway, der nach Nordwesten durchs Crawford County Richtung Mississippi River verlief. Er betrachtete, wie sich die Landschaft zu den schroffen Felsen und engen Talkesseln seiner Heimat verwandelte. Vor seinem Fenster flogen die winzigen, gebeutelten Höfe vorbei, die Kneipen an den Kreuzungen, die staubigen Milchlaster auf ihrer Abendrunde, die Amischkutschen, die auf dem Seitenstreifen klipp-klappten, und die Tankstellen, die für Lotterielose warben. Als sie schließlich ins Bad Axe County hineinkamen, war ein Sturm aufgezogen. Das sagten ihm die halbwilden Coulee-Kühe, weil sie sich instinktiv hinlegten.

»Also, was führt dich nach Hause?«

Angus hörte diese Frage, während das Taxi zwischen Windböen seine Fahrt verlangsamte, um nach Farmstead hineinzufahren, der Kreisstadt von Bad Axe County.

»Ich hole mir mein Leben zurück«, erklärte er dem Fahrer.

Und musste selbst nachdenken, was er meinte.

Das Leben, das er sich wünschte – das hatte nie richtig angefangen.

2

»Mommy?«

Hier waren die heutigen Zahlen. Wenn man zurückzählte, dachte sie, von der Gegenwart in die Vergangenheit, waren die heutigen Zahlen 11, 17, 20, 22, 53 und 4.290. Man konnte sie auch in die andere Richtung zählen, damals bis heute. Oder man vermischte sie, was eher dem entsprach, wie sie sich fühlte.

»Mommy … du hörst nicht zu.«

»Tut mir leid, Süße. Was?«

»Ich sagte, was ist eine Queen?«

»Du weiß doch, was eine Königin ist.«

»Ja, weiß ich, aber was bedeutet es?«

Die Frage kam von Ophelia, ihrer Fünfjährigen. Wann immer sie konnte, lungerte Opie herum, um ihrer Mutter beim Ankleiden zuzusehen. Der Prozess beinhaltete eine Menge Eindrücke für ein kleines Mädchen. Zunächst wurde die uralte Seneca High Indians Jogginghose ausgezogen sowie das verblichene Crawford County 4-H Horse Club Sweatshirt. Das legte Träger, Narben, Sommersprossen und Dehnungsstreifen frei – die Wahrheit über eine Mutter Mitte dreißig mit drei Kindern. Sie begegnete dem Blick ihrer Tochter im Spiegel.

»Eine Königin ist zum Beispiel mit einem König verheiratet.«

»Das weiß ich. Aber wer ist sie?«

»Das hängt im Grunde davon ab, ob sie diejenige ist, die einer königlichen Linie entstammt.« Zu kompliziert. »Sie ist die Frau eines Königs und beide sind die Chefs eines Landes.«

»Oh.«

Da ein Sturm aufzog, schlüpfte sie in die lange Seidenunterhose, die Harley ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, die eng anlag und unter ihrer Uniform nicht auftrug. Als heimliche Zierde zog sie pinkfarbene Socken an, ein Geburtstagsgeschenk der drei Jahre alten Zwillinge. Als Nächstes kamen die nagelneuen, schwarzen Reebok-Kampfstiefel. Zweiundzwanzig Tage und eine Stunde war es her seit ihrem Einsatz im Bishops Coulee, und sie hatte die Stiefel, die mit dem Blut aus dem Haus des armen jungen Pärchens beschmiert waren, endlich verbrannt. Wenn sie über Opies Kopf hinweg linste, konnte sie draußen vor dem Fenster immer noch den Rauch aus dem Fass aufsteigen sehen. Sie gab sich Mühe.

»Ist eine Queen mächtig?«

»Das kann sie sein. Sie sagt ihrem König vermutlich, er soll springen, und der König fragt, wie hoch. Weißt du, so wie es bei uns zu Hause läuft, bei mir und Daddy.«

»Ha«, sagte Opie. Sie nahm ihren Daddy in Schutz. »Ha, ha, sehr witzig.«

Als Nächstes kam die Kevlar-Weste, die ihr eine kantige Brust verlieh, sodass sie aussah wie eine LEGO-Figur. Doch Opie war alt genug, um zu wissen, was die Weste bedeutete. Sie war still, bis alle Klettverschlüsse saßen.

»Ist eine Queen hübsch?«

»Du sagst einer Queen besser, dass sie hübsch ist, sonst hackt sie dir den Kopf ab.«

»Ha, ha.«

Nun das langärmelige Uniformhemd, in diesem scheußlichen Beige, mit all seinen Taschen, Epauletten, Aufnähern und Ansteckern. Sie knöpfte es bis zum Hals zu. Eine schwarze Fliege wäre nett dazu.

»Aber America’s Dairyland ist kein richtiges Land, oder?«

Verdammt. Warum hatte sie das nicht kommen sehen?

»Nein. America’s Dairyland war eine Idee von Leuten, um Käse zu verkaufen. Und auch Käse ist kein Land. Noch nicht mal Schweizer Käse. Liebling, worum geht’s? Ärgert dich jemand in der Schule?«

»Nein. Ärgern nicht.«

»Okay, gut.«

»Aber, ist sie böse?«

»Wer ist böse, Süße?«

»Die Dairy Queen?«

Sie sah ihre Tochter an. Ihr kleines Kinn zitterte.

»Nein, natürlich ist die Dairy Queen nicht böse.«

»Warum sagen sie zur Dairy Queen dann das F-Wort?«

»Wer sagt das?«

»Mr. Kussmaul.«

Ah, der Fahrer des Schulbusses, ein Gibbs-Mann. Sie lehnte sich zum Kommodenspiegel vor – schöne Haut, ein paar Sommersprossen, strahlend grüne Augen –, ihr Gesicht war immer noch ein starker Teil ihres königlichen Heidi-Pakets. Sie stopfte ihre rotblonden Zöpfe unter den beigefarbenen Hut, der aussah wie ein Kuhfladen. Dann legte sie ihren Einsatzgürtel an und checkte alles: Handfesseln, Pfefferspray, Funkgerät, Taschenlampe, Stock, Multifunktionstool, Pistole. Schließlich, und heute war bereits Tag siebzehn, heftete sie sich das goldene Abzeichen über ihre Brusttasche: Heidi Kick, Interims-Sheriff, Bad Axe County.

»Mr. Kussmaul ist nur traurig, dass Sheriff Gibbs gestorben ist. Er hatte erst dreiundfünfzig Tage, um darüber hinwegzukommen. Und er hatte noch nie eine Frau als Sheriff. Er würde sich besser fühlen, wenn deine Mommy zu Haus bliebe und einfache Käsegerichte kochen würde.«

»Man darf zum Sheriff nicht das F-Wort sagen.«

»Genau. Ab mit der Rübe, wenn man das F-Wort zum Dairy-Queen-Sheriff sagt!«

»Ha, ha. Sehr witzig. Aber warum ziehst du dich an?«

»Ich muss zur Arbeit.«

»Ist schon wieder etwas Schlimmes passiert?«

»Nein, Süße. Es ist nur, weil der Wetterfrosch gesagt hat, dass ein Sturm aufzieht.«

»Kann ich mit dir zu den Gänsen gehen?«

»Heute nicht. Ich muss allein mit ihnen sein.«

»Ich weiß, was das bedeutet.« Ihre Tochter runzelte die Stirn. »Es heißt, dass jemand dich ärgert.«

»Nur ein bisschen«, gab sie zu. »Aber Denise bringt mir bei, wie man sich darauf vorbereitet.«

Sie berührte Ophelias seidenweichen Kopf, küsste sie aufs Ohr, und gemeinsam verließen sie die Ungestörtheit des Schlafzimmers und begaben sich in die Welt der kleinen Zwillingsbrüder.

»Dylan, Taylor, Mommy muss los.«

Sie versammelte die drei kleinen, heißen Leiber in einer Gruppenumarmung.

»Tschüss, ihr Süßen. Ich liebe euch. Seid brav für euren Daddy. Wir sehen uns morgen früh.«

3

Sie war eine Tag-Zählerin. Die ersten 6.407 Tage ihres Lebens war sie das nicht gewesen, doch dann hatte sich ihr Leben verändert – das Leben selbst war für sie sichtbar geworden – und seitdem hatte sie begonnen, die Tage zu zählen, zumindest bestimmte Tage.

Heute waren es, genau wie sie Opie erzählt hatte, 53 Tage, seit Ray Gibbs unerwartet gestorben war, und an fast jedem dieser 53 Tage sickerten mehr Hinweise auf Gibbs’ Korruption und Nachlässigkeit durch, von denen vieles auch auf seinen – und jetzt ihren – Chief Deputy Elvin »Boog« Lund hinwies.

Heute waren es zwanzig Tage, seit sie Horst Zimmer für den blutigen Doppelmord im Bishops Coulee dingfest gemacht hatte, und daher zwanzig Tage, seit sie die Leere in Zimmers Beweggründen wurmte: der Diebstahl einer veralteten Xbox, ein Tischbackofen und eine Kettensäge. Wenn sie Zimmer nicht geschnappt hätte, wie er seine Beute auf dem Parkplatz einer Kneipe von seiner Ladefläche aus verkaufen wollte, wäre ihr Bericht zu einem vertrauten und quälenden Ergebnis gekommen, einem, das sie vor 4.290 Tagen akzeptieren musste: Es wurde nichts gestohlen …

Und noch eine Zahl: Heute war der elfte Tag, seit sie begriffen hatte, wie wenig sie sich der ganzen Sache gewachsen fühlte. Statt einen Mörder zu fassen und Interims-Sheriff zu werden, wünschte sie sich heimlich – und seit elf Tagen hatte sie lebhaft darüber fantasiert –, dass sie Zimmer das Zombie-Gehirn weggepustet hätte.

• • •

Doch inzwischen gab es das andere Heute. Inzwischen gab es einen Job zu erledigen, zu schützen und zu dienen, und daher war es eine Frage von klarem Denken und Gelassenheit. Das bedeutete, sie musste sich irgendwie darauf vorbereiten, wie die Männer im Bad Axe es anscheinend fanden, das erste Mal in Wisconsin eine Frau als Sheriff zu haben. Sie zu necken, beschrieb es wohl kaum.

F-Wort Dairy Queen.

Aufgepasst, Gänse.

Sie schaufelte einen Bierkrug voll Maisschrot aus einem Sack neben der Waschmaschine und ging an der Feuertonne vorbei zum Laufstall. Abgesehen davon, dass sie sich einen großartigen Job zu Hause in den Coulees wünschte, bestand der Rest ihres Traumes darin, wieder einen Bauernhof zu besitzen, Kühe zu melken, Kälber großzuziehen und Heu zu ernten. Doch sie und Harvey hatten drei Kinder und zwei Jobs, und ihr Mann war ein Stadtkind und Baseballenthusiast und kein Farmer. Darum hatten sie sich, nachdem sie den alten Pederson-Hof gepachtet hatten, auf eine Herde von sechzehn Gänsen geeinigt, genau wie junge Paare es mit einem Welpen versuchten, bevor sie ein Kind bekamen.

Als die Tür aufschwang, eilten die Tiere mit einem kollektiven Quaken auf sie zu, einige schneeweiße Federn flatterten und grellorange Schnäbel leuchteten in dem Gedränge auf. Sie hielt den Mais hinter ihrem Rücken versteckt. Seit sie im Bad Axe zur Zielscheibe geworden war, hatte sich zwischen ihr und den Gänsen eine Routine eingespielt.

»Bitte aufgepasst.«

Sechzehn Paar schwarze Knopfaugen schauten hoch, weniger Geschubse und Gekneife, für Gänse recht anständig.

»Okay … lasst mal sehen … also, warum ist es das Gleiche, ob man zu Subway geht oder zu einer Prostituierten?«

Sie rasselte mit dem Maiskrug. Alle waren ganz Ohr.

»Weil man eine Fremde dafür bezahlt, den Job seiner Frau zu erledigen.«

Das hatte ein höchst unzufriedenes Gänsemurmeln zur Folge. Queen Gertrude zwickte Cordelia. Squash Blossom versuchte, hinter dem Sheriff zum Mais vorzudringen. Sie hob den Krug höher. »Nicht gut genug? Jetzt nicht übermütig werden. Weiß denn einer von euch Klugscheißern, warum man nie eine Frau anlügen soll, die beides hat, PMS und GPS?«

Sie warteten ab.

»Weil die Frau eine Zicke ist … und sie dich finden wird.«

Man hörte eindeutig ein bisschen mehr heiseres Hupen. Aber dieses bestimmte Zusammenspiel war es noch nicht. Sie hatte die Witze von Denise Halverson, ihrer Nachtschicht-Dispatcherin, und überlegte nun, ob ihr noch ein besserer einfiel. Denise war ein Genie. Sie sah immer den nächsten Zusammenstoß mit einem Männerhirn voraus und impfte sich mit einem Witz dagegen.

Der Himmel über dem Pferch war aufgewühlt. Hinter dem Gebirgskamm, in dessen Schutz der Hof lag, zuckten Blitze auf. Sie zählte neun Sekunden, bevor der Donner über den Talkessel rumpelte. Also gut. Die Impfung, die sie benötigte, musste vulgär sein, sexistisch – und über das Wetter. Sie hatte eine. Sie wandte sich den Gänsen zu und senkte ihre Stimme. »Schätzchen …«

Sie stellte sich vor, einen Schnaps zu trinken, um einen Schluckauf und ein Nuscheln hinzubekommen.

»Ich bin kein Wetterfrosch … aber, Schätzchen …«

Sie ließ einen glotzenden Blick über die wartenden Vögel gleiten.

»Aber … hick … heute Abend erwarten dich fünfzehn Zentimeter.«

Es war vermutlich das Glotzen und das Hicksen, doch bei diesem drehten die Gänse durch, quakten, hupten und knibbelten an ihr. Als sie den Mais auskippte, wurde ihr klar, dass der furchtbare Witz gewirkt hatte. Ihr Kopf fühlte sich frei an, sie war bereit, sich wieder in die Männerwelt des Bad Axe County Sheriff’s Department zu begeben.

Also los, sagte sie sich und fragte sich, wo ihr Mann war.

• • •

»Bin auf dem Weg«, sagte sie Harley, als sie ihn wartend im ungenutzten Melkstand fand, den sie als Garage nutzten. »Tut mir leid. Ich habe keine Zeit zum Reden.«

Im Schein des antik-gelben Scheunenlichts sah er gut aus. Was sie nicht davon abhielt, sich daran zu stören, dass er einen Aluminium-Baseballschläger in der Hand hielt, den er aus seinem Pick-up geholt hatte, der neben ihrem Dodge Charger stand und mit Schlägertaschen und Milchkästen voller Baseballbälle beladen war. Es war schon eine diffuse Zahl an Tagen her, seit irgendetwas zwischen ihnen einfach gewesen war.

»Ich habe gesehen, dass du deine Stiefel verbrannt hast.«

»Das stimmt.«

»Ich bin froh darüber. Weil ich nämlich finde, dass …«

Er ließ die Finger über den Schaft des Schlägers gleiten, über verschmierten Dreck, Groundouts, Pop-ups, Squibs, jede Art von Fehltreffern.

»Ich weiß, was du denkst.«

»Ach ja?«

»Ich weiß, was du willst.«

Er lächelte sie an. »Abgesehen von trockenem Boden und mindestens einem Typen, der Strikes werfen kann, was will ich wohl?«

»Du willst, dass ich dem County-Rat sage, dass ich den Job nicht machen kann. Du willst, dass ich sage, Boog Lund hätte gewartet und sei nun an der Reihe, er war Gibbs’ Deputy, er hat dreißig Jahre Erfahrung, er verdient es. Dass ich raus bin und mich nicht zur Wahl stelle. In Harleys Worten«, sagte sie und das nervte sie in jüngster Zeit: »Wenn du den Ball nicht treffen kannst, dann schlag nicht zu. Und nach Bishops Coulee glaubst du, dass ich den Ball noch nicht mal sehen kann.«

Und dann ging’s los.

»Liebling, es ist gut, dass du endlich deine Stiefel verbrannt hast. Aber was das Treffen des Balls angeht: Du bist der Sheriff von Bad Axe County und hast schon genug um die Ohren, aber dann erfahre ich, dass du unten in Crawford County warst, und ich höre, dass du …«

»Hörst du das?«, unterbrach sie ihn und zeigte in Richtung des entfernten Donners. »Das ist Schnee, Eisregen und überfrierende Nässe, was da auf uns zukommt. Ich habe drei Deputys, das ist meine ganze Crew, und es gibt kein Überstundenbudget. Musst du mich wirklich ausgerechnet jetzt analysieren?«

Sie ging um die Ladefläche seines Pick-ups herum. Als sie ihre Tür öffnete, krächzte ihr Funkgerät. Sie griff hinein und drückte auf TALK. »Leg los.«

Ihr Tages-Dispatcher, Deputy Rinehart Rog sagte: »Sheriff, Red Wing hat überfrierenden Regen. Der Wetterdienst hat Hochwasserwarnungen herausgegeben. Wenn wir Schnee und Eis haben, stehen uns Telefon- und Stromausfälle bevor. Sieht so aus, als würde das Unwetter in einer halben Stunde hier sein. Dein Crew-Meeting beginnt in neunzehn Minuten.«

»Danke, Rhino.«

Als sie sich zurück zu ihrem Mann umwandte, spürte sie, wie sich ihre Brust verdächtig verengte.

»Mir geht’s gut.«

»Ich mache hier keine Psychoanalyse. Aber wenn mir jemand erzählt, dass du unten in Crawford County warst und verlangt hast, die Akte deiner Eltern einzusehen, fange ich an, mir Sorgen zu machen.«

»Ich habe eine Anfrage gestellt. Das wollte ich schon lange tun. Es gibt keinen Grund, warum diese Akte unter Verschluss sein sollte. Mir geht’s gut.«

»Heidi, dann habe ich gehört, dass du eine Runde durch diese schäbigen Kneipen unten in Soldiers Grove gemacht und nach einem der Erntehelfer deines Vaters gefragt hast, von damals, vor zwölf Jahren, irgendein übler Kerl mit einem Vorstrafenregister, klar, aber ohne eine Akte hier im Bad Axe.«

Sie mauerte. Dann setzte sie den Streifenwagen zurück und sagte durch den Spalt des sich schließenden Fensters: »Tschüss. Ich liebe dich. Alles gut.«

• • •

Aber es war der elfte Tag der Wahrheit, die ihr liebender Ehemann gerade wahrnahm. Während sie die Abscheulichkeit des Verbrechens in Bishops Coulee verarbeitete, waren ihr zurückliegendes und ihr gegenwärtiges Leben durcheinandergeraten. Überall sah sie Zombiekiller.

Als sie den Ortsrand von Farmstead erreichte und darauf wartete, dass der Verkehr die Highwaykreuzung wieder freigab, spürte sie es erneut. In der sturmumtosten Dämmerung raste ein verbeulter dunkelblauer Van auf die Kreuzung zu, mit etwa hundert Sachen, entgegen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von siebzig.

Sie lehnte sich vor, kniff die Augen zusammen und fokussierte den Blick. Ein Schrotthaufen mit Händlerkennzeichen, erster Zombie-Fehler. Er bemerkte sie noch nicht mal und wurde nicht langsamer, Zombie-Fehler Nummer zwei. Hinter der gesprungenen Windschutzscheibe ein tätowierter Hals, rasierter Schädel, ein in die Luft stechender Finger und wütend schimpfender Mund, sein Opfer auf dem Beifahrersitz ein Mädchen mit Kulleraugen, Zombie-Fehler drei, vier und fünf. Dann knallt er über die einzige Ampel der Stadt, und zwar bei Tiefrot.

Sechs Fehler, und du bist tot. Sie schloss die Augen. Sie trat aufs Gas, riss den Charger auf den Highway herum, brachte ihn zur Strecke, riss ihn aus dem Van, kniete auf seinem Nacken und setzte ihm die Dienstwaffe an den Kopf – Du kranker Bastard, so viele von deiner Sorte verletzen und töten Menschen, einer von euch hat zwei der Meinen genommen – und drückte den Abzug.

Das hätte sich so gut angefühlt.

Sie bog in die entgegengesetzte Richtung ab und fuhr zu ihrer Besprechung.

4

»Hey … ich glaub, hier war ich schon mal.«

Das Mädchen auf dem Beifahrersitz, Pepper Greengrass, platzen diese Worte heraus, während der Van über eine rote Ampel donnert. Dale Hill, Fahrer und Ex-Knacki, der seine Spielsucht damit finanziert, Pepper und zwei weitere minderjährige Mädchen im Motel eines Feriendorfes, zwei Stunden weiter östlich, für sich anschaffen zu lassen, schnauzt zurück: »Interessiert mich einen Scheiß.«

»Ich glaube, mein großer Bruder hat hier Baseball gespielt.«

Wisconsin Dells, wo sie gerade herkamen, ist von den sandigen Ebenen Zentral-Wisconsins umgeben. Dale Hills Fahrweise hat sie auf den schroffen Straßen des Bad Axe mehrmals beinahe umgebracht, obwohl das Pepper Greengrass, mit ihren sechzehn Jahren, nicht bewusst gewesen ist.

»Doch. Ich bin ziemlich sicher, dass ich hier schon mal war. Zu einem von Bennies Baseballspielen.«

»Ich sag doch, das interessiert mich einen Scheiß.«

Sie legt ihre kniehohen schwarzen Stiefel auf sein Armaturenbrett.

»Bennie war Shortstop bei den Wisconsin Dells Scenics. Ich war elf Jahre alt.«

»Stiefel«, befiehlt Dale. »Runter damit, verdammt noch mal.«

Pepper nimmt ihre Stiefel herunter und betrachtet im Vorbeifahren ein Schild: FARMSTEAD, WISCONSIN / EINW. 2.364 / HEIMAT DER BLACKHAWKS. Dann sieht sie ein weiteres Schild: BAD AXE BÜCHEREI über einem Icon für kostenloses WLAN und einen Pfeil, der in eine Nebenstraße zeigt.

Sie erinnert sich an irgendetwas mit Klapperschlangen, aber nicht an die Blackhawks. Also war es vielleicht gar nicht hier. Sie sieht die Stadt vorüberziehen: drei Kneipen, ein Wollladen, ein Diner, eine Kwik Trip Tankstelle, wo ein Greyhound-Bus sich am Bürgersteig neigt und Abgase in einen Himmel sprotzt, der sich schon zusammengezogen hat und bereit ist für den Sturm. Dann erhascht sie, vorbei an den leeren Schaufenstern, einen Blick auf eine Anzeigetafel und Flutlichtmasten.

»Guck! Da ist das Baseballfeld!«

Sie erhält Dales typisches Schnauben aus komprimiertem Hundeatem zur Antwort.

»Siehst du? Da ist das Feld, da unten drin, mit Felswänden drum rum.«

»Was ich suche, ist der Laden, wo ich deinen Arsch gelistet habe. Das Ease Inn.«

»Du wirst es nicht glauben. In dem Spiel hat mein Bruder Bennie sechs Homeruns geschlagen.«

»Stimmt, das glaube ich nicht.«

»Meinst du etwa, ich lüge?«

»Entgegen jeder Wahrscheinlichkeit? Jo. Ich glaube, du laberst nur Scheiße.«

Dale Hill braust schnell auf. Sie kennt ihn noch keine Woche, aber das hat Pepper Greengrass direkt mitbekommen.

»Wollen wir wetten?«

»Ich werde nicht mit dir wetten.«

»Warum nicht? Wettest du nicht mehr? Bist du auf Entzug?«

»Niemand hat in der Geschichte des Baseballs je sechs Homeruns in einem Spiel geschlagen. Die Chancen dafür stehen zwanzig Millionen zu eins. Das ist Schwachsinn.«

»Warum wettest du dann nicht mit mir?«

»Warum schließt du nicht dein dummes Blasloch und hilfst mir, diesen Laden zu finden. Er heißt Ease Inn.«

»Also, okay, ich bin froh, dass du aufgehört hast«, sagt Pepper. »Zocken ist nicht gut für einen. Das habe ich im Psychologieunterricht gelernt. Es steigert die Gereiztheit.«

Sie öffnet die Reißverschlüsse ihrer Stiefel, zieht sie aus und legt ihre langen, nackten braunen Beine aufs Armaturenbrett.

Er beißt die Zähne zusammen. »Runter! Nimm die verfickten Beine da runter, außer du machst damit Kohle. Davon abgesehen, kannst du es dir gar nicht leisten zu wetten. Du stehst schon in der Kreide.«

Das stimmt. Pepper ist fast sieben Tage dabei und ist bereits komplett bei Dale verschuldet – von Unterkunft und Verpflegung im Pine Cone Motel bis zu ihrem Outfit: dem pinkfarbenen Lipgloss, dem Top mit Leopardenmuster, den hohen Stiefeln und dem kurzen schwarzen Rock sowie dem roten Shopko-Schlüpfer darunter. Doch sie kann sich nur dann nicht erlauben, zu wetten, wenn sie verliert. Und sie kann nicht verlieren, weil es wirklich hier passiert ist.

»Na los. Zwanzig Mäuse. Gib mir mein Handy zurück. Ich googel es.«

Dale beugt sich vor und linst durch die beschlagene Windschutzscheibe.

»Deine Chancen stehen gut«, sagt sie. »Also warum nicht doppelt oder nichts? Wenn ich mich irre, schulde ich dir weitere vierzig. Schreib’s einfach auf meinen Deckel.«

»Ich wette nicht mit dir.«

»Du hast Schiss. Gib mir mein Handy zurück.«

»Du kriegst dein Handy nicht zurück. Hast in diesem Scheißkaff sowieso keinen Empfang.«

Pepper Greengrass hakt die Daumen unter die winzigen Cups ihres BHs und gackert wie ein Huhn den Mann an, den sie unter einer Nummer kontaktiert hat, die sie im Internet auf einer Seite namens Backpage.com gefunden hat, und mit dem sie sich dann hinter dem Alkoholregal am Truck Stop an der Abfahrt 37 zu einem »Vorstellungsgespräch« getroffen hat.

Er tritt auf die Bremse, setzt zurück und lässt seine Seitenscheibe herunter, um sich eine Kwik Trip Tankstelle näher anzusehen, wo ein dreckiges rotweißes Taxi an der Zapfsäule steht. Er brüllt dem breitschultrigen Kerl in roter Basecap etwas entgegen, der gerade mit lauwarmem Essen in Styroporbehältern herauskommt. Der Typ erstarrt. Dann zeigt er in die Richtung, aus der sie gerade hergekommen sind. Pepper sieht, wie er seine Basecap in die Mülltonne stopft. Dann zieht er sich die Kapuze des Hoodies über den Kopf.

Dale gibt Vollgas und macht einen U-Turn. Pepper sieht kurz wieder das Stadion – jepp, das ist es. Sie legt die Beine aufs Armaturenbrett. »Runter!« Er schlägt zunächst nach ihr, doch sie weicht aus. Graupelschauer klatschen gegen das Fenster neben ihrer Schulter. Da ist wieder das Schild: BAD AXE COUNTY BÜCHEREI.

»Ist egal, ob wir Empfang haben«, sagt Pepper. »Ich weiß, wo es WLAN gibt.«

»Ich sagte, ich wette nicht mit dir.«

»Dreifach oder nichts«, stichelt sie, gegen ihre Tür gedrückt.

5

Interims-Sheriff Heidi Kick hielt mit ihren Deputys eine Einsatznachbesprechung ab und schickte sie nach Hause. Sturm hin oder her, der Auftrag des Rates von Bad Axe County an sie lautete: »Keine weiteren Überstunden«, während sie versuchten, das suspekte Ausgabenmuster von Ray Gibbs zu durchschauen. Schindluder mit Überstunden war einfach zu korrigieren. Was Gibbs’ Budget für Öffentlichkeitsarbeit anging, lautete die Weisung des Gremiums: »Keinen Penny mehr, bis wir wissen, was lief.«

Nach ein paar kalten Wasserspritzern ins Gesicht, einem Präventivwitz von Denise, einem kurzen Blick auf ein Foto ihrer Kinder auf dem Handy und dem sauberen Quietschen ihrer neuen Stiefel auf dem Fliesenboden, war sie bereit, ihr neues Team einzuweisen, das aus den Streifenpolizisten Rob Schwem, Kevin Eleffson und ihrem gibbsgefärbten Chief Deputy Boog Lund bestand.

»Also, auf geht’s, Jungs. Dieser Sturm zieht auf, während die Leute auf dem Heimweg vom Wrestling im Richland Center sind und all diese Amisch mit ihren Pferdekutschen. Außerdem findet heute das Darts-Turnier statt. Da ist auf den Straßen eine Menge los.«

Sie machte eine Pause, damit Schwem und Eleffson ihre Pokerfaces aufsetzen konnten. Sie machte sich keine Illusionen. Boog Lund übertraf sie mit dreißig Jahren und hundert Kilo, und war der einzige vernünftige Kandidat für die Position des Sheriffs. Und daher sahen sie Lund als den eigentlichen Boss an. Sie kämpfte sich weiter vor.

»Den Meteorologen zufolge bekommen wir bis zu achtzehn Zentimeter, also steht uns vielleicht schon gegen Mitternacht eine Flut ins Haus, wenn es fast nur regnet. Wenn es friert, müssen wir mit Stromausfällen rechnen, also seid darauf vorbereitet, dass ihr Hausbesuche machen müsst. Alles, was gefroren ist, wird schnell schmelzen, also müssen wir auch an Sturzfluten denken, zumindest bis morgen Abend.«

Chief Deputy Lund murmelte etwas, stand auf und ging zur Kaffeemaschine.

»Also, Jungs, ihr erinnert euch an letzten April, als das Relais eingefroren ist und die Funkgeräte nicht funktioniert haben. Und, wie wir alle wissen, ist die Funkabdeckung in den Talkesseln teilweise nicht der Hit. Also ist klar, dass wir uns besonders um eine gute Kommunikation untereinander bemühen müssen.«

Deputy Schwem hob die Hand.

»Legen Sie los.«

»Ist das okay, wenn ich das sage?« Was hieß, er sagt es sowieso. »Sie hören sich genauso an wie meine Frau.«

»Wie bitte?«

»Sie will auch immer, dass ich mich mehr um eine gute Kommunikation bemühe.« Eleffson belohnte ihn mit einem Kichern und Schwem grinste stolz. »War nur ’n Witz. Sie haben vergessen, das Treffen der Lutheraner in Coon Valley zu erwähnen.«

»Danke.«

Eleffson flüsterte: »Wenn du es der kleinen Lady mit achtzehn Zentimetern besorgst, versteht sie eher, was du meinst.« Sheriff Kick verdrehte innerlich die Augen. Sie und die Gänse hatten den Nagel auf den Kopf getroffen. Um sich vor Nachteilen zu bewahren, hob Eleffson seinen langen Arm. »Heute war Rolf Dunkels Beerdigung. Nach der Bestattung gibt’s Freigetränke im Veteranen-Verein. Dunkel hat bestimmt eine Menge Freunde, jetzt, wo er tot ist.«

»Na super.«

»Außerdem sind an diesem Wochenende Hüttenkoller-Tage im Ease Inn. Bier vom Fass für einen Dollar.«

Sheriff Kick kaute auf der Wange. Freigetränke, Fassbier für einen Dollar, ein aufziehender Sturm bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.

»Alles gut zu wissen. Danke.« Sie stellte sich vor ihrem geistigen Auge die Karte des Countys vor. Farmstead lag fein säuberlich genau am Hauptkamm, etwas nördlich des Mittelpunktes. Im Westen war das Gelände am rauesten, dort waren tiefe Coulee-Einschnitte bis hinunter zum Mississippi – Snake Hollow, Dog Hollow, Lost Hollow – mit ihren rauflustigen Flussstädten wie Blackhawk Locks und Bishops Coulee. Dort würde sie ihre Schlaumeier hinschicken. »Also übernehmen wir jeder einen Bereich. Deputy Schwem den Nordwesten. Deputy Eleffson den Südwesten. Ich habe die Karaoke-Spendengala der Volleyball-Mädels im Ease Inn, also übernehme ich den Nordwesten, nah an zu Hause.« Mit zu Hause meinte sie das Public Safety Building, doch die gepachtete Farm ihrer Familie lag auch im Nordost-Quadranten. »Ich werde die Leute im Ease Inn daran erinnern, dass sie Minderjährigen keinen Alkohol ausschenken. Chief Deputy Lund, Sie tun das Gleiche im Veteranen-Verein und übernehmen dann bitte den südöstlichen Quadranten.«

Im Südosten lagen Zion, Blue Mills, Mastodon und andere winzige, ruhige Dörfer, in der üblicherweise gesitteteren Region des Bad Axe County, die bis an die horizontale Mittellinie des Bundesstaates reichte. Der Auftrag war ein Zugeständnis an Lund. Er hatte sich der Besprechung schließlich angeschlossen und kam von der Kaffeemaschine zurückgeschlendert, wobei er drei, keine vier Styroporbecher mit miesem Kaffee trug. Er lächelte, als er an ihr vorbeiging, zog seine Unterlippe zurück, um graue, abgewetzte Schneidezähne zu blecken. Aufgewachsen mit alterndem, männlichem Nutzvieh und deren heimtückischen Absichten, war das ein Anblick, den sie gut kannte. Samson, der letzte Zuchtbulle ihres Vaters, kam ihr in den Sinn.

Sie fragte Lund: »Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?«

Er stieß ein Wer, ich?-Glucksen aus. »Menschenskind, ich wünschte, ich hätte.« Was er, begleitet von Schwems und Eleffsons eifrigem Grinsen, vom Stapel ließ. »Doch obwohl wir eine Dairy Queen haben, die hier den Laden schmeißt, haben wir irgendwie immer noch keine Kaffeesahne.«

Er drang zu weit in ihre Distanzzone ein und sein massiver Körper zwang sie, zurückzuweichen. Sie biss sich auf die Zunge und wartete, während er den Kaffee an die anderen beiden verteilte. Das gab ihr Zeit, nachzurechnen. Nach Gibbs’ Tod war Boog Lund amtierender Sheriff, bevor der County-Rat ihm den Titel abnahm und sie zur Interim machte. Als er sich umdrehte, um sich wieder hinzusetzen, schnappte sie sich den Becher, den er für sich selbst eingeschenkt hatte.

»Vielen Dank, Deputy.«

Aus nächster Nähe roch er wie Bratkartoffeln mit Pomade. Unter ihrem Hemd prickelte die Hitze, als sie ihm in die Augen sah.

»Von jetzt an trinke ich meinen schwarz.«

Sie drehte sich zum Fenster, um die aufsteigende Röte in ihrem Gesicht zu verbergen, und sah überrascht, dass Schnee durch die Lichtkegel des Parkplatzes trieb. Sie betrachtete ihn einen Moment und nippte an dem grässlichen Kaffee. Ihre Deputys waren nicht der Grund für ihr plötzliches Unbehagen. Nein, es war die unerwartete Erinnerung an Samson, den großen schwarzen Bullen, isoliert und zornig, und zunehmend kraftloser, nachdem seine Zeit als Zuchttier vorüber war. Aber sie dachte nicht länger an die Parallelen zu Lund. Eine Erinnerung aus der Zeit als Dairy Queen nagte an ihr, wie Samson in einem Schneesturm am Zaun entlangstolperte, mit einem zerschmetterten Horn und einer blutigen Scharte zwischen den Augen.

Wie sie nun in den neuen Schnee und den ihrer Erinnerung blickte, fiel ihr ein Gesicht wieder ein. Wer war dieser zuckende, schniefende Kerl mit den blassen Augen und dem schiefen Grinsen, den ihr Vater gefeuert hatte, weil er den armen Samson mit einer Schaufel auf den Schädel geschlagen hatte? Er behauptete, es sei Selbstverteidigung gewesen. Als er von der Cress Springs Farm geworfen wurde, stieß er Drohungen aus. Sie würde ihn auf ihre Liste setzen. Aber wie lautete noch der Name zu dem Gesicht?

Scheiße. Sie hatte Kaffee auf ihr Hemd gekleckert. Sie hörte Glucksen.

Boog Lund sagte zu den anderen: »Hey, was immer einem Haare auf der Brust wachsen lässt.«

6

Dale Hill tritt auf die Bremse, reißt den Wagen herum und fährt ins Ease Inn. Es ist ein Truck Stop, ein Minimarkt, eine Kneipe und ein Motel gleichzeitig, wie der Laden in Dells, in dem Pepper Greengrass vor sechs Tagen Dale getroffen hat. Nur dass dieser Laden in dem harschen Lampenlicht heruntergekommen und durchweicht aussieht, ein gelb-braunes Farbschema, das veraltet wirkt, ein Lasso-und-Hörner Westernmotiv, das nicht zu dem matschigen Feld und dem Getreidesilo im Hintergrund passt, die von Dales Scheinwerfern angestrahlt werden.

Er fährt an den Zapfsäulen vorbei auf den Kneipenparkplatz und hält mit einem Ruck, sodass sein Päckchen Basic Lights zu Boden fällt. Sie hebt sie auf, legt sie wieder auf die Mittelkonsole, lässt ihre Finger darauf liegen und rückt sie zurecht. Dale sieht sie scharf an. Donner rollt über sie hinweg. Nasser Schnee klatscht gegen die Windschutzscheibe. Pepper sagt: »Was? Du hast mir doch gesagt, ich soll nicht. Ich bin ein braves Mädchen.«

Er zieht den Schlüssel ab. Schlägt die Wagentür zu. Dann duckt er sich um die Kühlerhaube des Vans, hinein in eine nasse Windböe. Pepper öffnet die Tür einen Spalt und brüllt ihm hinterher: »Na komm schon! Bennie Greengrass! Sechs Homeruns, zwanzig Mäuse, dreifach oder nichts!«

Während Dale fort ist, denkt sie an das Spiel zurück. Es war ein Abendspiel, im Flutlicht. Auf der Seite der dritten Base erhob sich ein Wasserturm, auf dem FARMSTEAD gestanden haben musste. Sie war auf einer Naturstein-Tribüne, die in die Felswand geschlagen worden war, ganz bis nach oben geklettert, wo Kiefern standen. Fledermäuse jagten im Scheinwerferlicht Insekten. Die Menschenmenge war rauflustig. Bennie hatte ihr Geld gegeben und sie hatte sich den Magen vollgeschlagen, mit Popcorn, einem Hotdog und einem Blaubeer-Himbeer-Slush. In ihrer Socke hatten eine gestohlene Zigarette und ein Feuerzeug gesteckt. In zwei Tagen würde sie zwölf werden – dreimal die Zwölf, wusste sie noch – also war das am 12. August 2012, als sie die Zigarette rauchte, hatten die Leute sie angestarrt. Es hatte nach dem Spiel eine Schlägerei gegeben. Sie und Bennie hatten seine irren sechs Homeruns gefeiert, indem sie auf dem Nachhauseweg in einer Bar nach der anderen haltmachten, hatten auf einem Rastplatz geschlafen und bei Culvers in Dells Burger gefrühstückt. Die ganze Nacht war wie ein wundervoller, verschwommener Fleck und das letzte Mal, dass sie ihren Bruder lebend gesehen hatte.

Sie holt sich Dales Päckchen Basic Lights aus der Konsole. Sie steckt sich eine zwischen ihre glossglänzenden Lippen und zündet sie mit einem Mini-Bic aus den Tiefen ihrer kleinen roten Handtasche an. Im Van wird es schnell kalt. Sie raucht und reibt ihre nackten Oberschenkel. Sie denkt an Montana, das wahre Land der Lassos und Hörner, wo ihre Schwester Marie lebt. Sie überlegt, ob es im Big Sky County wohl anders ist. Vermutlich keine Schilder mit WIR HABEN CHEESE CURDS und UFF-DA! und HIER TRUTHAHN-JAGDSCHEINE. Sie fragt sich, wo der Greyhoundbus wohl hinfährt, der mit einem Zischen an der Highwaykreuzung stehen bleibt, bevor er sich durch das Schneetreiben wälzt.

Am Abend bevor Pepper abgehauen war, hatte ihre Schwester am Telefon schließlich rausgelassen, wohin sie, Kevin und die Kinder letztes Jahr verschwunden waren: Hungry Horse, Montana. Pepper hatte es direkt auf Google Maps gefunden, da draußen, 2219,76 Kilometer Richtung Westen. Kevin fuhr einen Tourbus durch den Glacier National Park und Marie kellnerte in einem Casino im Flathead Reservat. Marie hatte keinmal gesagt: Komm uns doch mal besuchen. Pepper hatte darauf gelauscht, aber hatte zu keinem Zeitpunkt eine Art Einladung heraushören können. Dennoch, sagte sie sich jetzt, kostete eine einfache Amtrak-Fahrkarte von Dells nach Whitefish, in der Nähe von Hungry Horse, nur 165 Dollar. Doch nachdem sie das, was sie Dale schuldete, zurückgezahlt hatte, könnte sie ruckzuck 165 Dollar verdienen.

Er kommt aus dem Ease Inn mühseliger raus als rein. Er kämpft sich durch das mittlerweile waagerechte Schneetreiben, und unter seinem flatternden Blazer sieht man, dass er sein Handy wie eine große Nummer in einer Gürteltasche trägt. Pepper hat ihr Handy nicht wiedergesehen, seit er es ihr fünf Minuten nach dem ersten Treffen abgenommen hat. Er steigt ein, knallt die Tür zu und lässt einen Bierdeckel und ein winziges Papierschirmchen aus seiner Faust fallen.

»Das kostet Eintritt«, motzt er. »Ist das zu glauben? Für eine Party in einer Scheune?«

»Wie viel?«

Er starrt wütend auf die Kneipe. Pepper ist aufgefallen, dass Dale die irritierende Angewohnheit hat, Servicepersonal zu beschimpfen – Bedienung, Kassierende und Barleute – und ihre Namen wissen will.

»In deinem Online-Post stand ein Scheiß über Eintritt, Ladonna.«

»Vielleicht kannst du es von mir zurückgewinnen.«

»Sagt die Zicke doch zu mir: ›Wer nicht zur Party geht, um zu tanzen, der zahlt.‹ La-fucking-donna. Ich so: ›Ich geh da rein, um zu tanzen, oder was? Die Tänzerin gehört mir. Ich bin das Management‹.«

»Wie viel?«

»Ist das eine von meinen Zigaretten? Du kleines Luder.«

Pepper nimmt die halb gerauchte Zigarette von den Lippen und hält sie ihm hin. Dale wirft sie aus dem Fenster. »Wenn du mir das nächste Mal was klaust«, warnt er, »wird dir das noch leidtun.«

Du kannst mir nicht wehtun, erklärt Pepper ihm im Stillen.

»Wie hoch ist der Eintritt?«

»Hundert Mäuse in bar, nur um reingelassen zu werden, für einen Zuschauer, als wollte ich deinen mageren Arsch da oben mit einer Horde Holsteems tanzen sehen.«

»Du meinst Holsteiner.«

»Was?«

»Die Kühe, von denen du redest, heißen Holsteiner.«

»Willst du direkt hier eins aufs Maul?«

»Na los. Wette mit mir. Bennie Greengrass. 12. August 2012. Sechs Homeruns. Aus zwanzig machst du sechzig.«

»Wie willst du das beweisen?«

»Ich habe eine Bücherei gesehen. Die haben WLAN. Gib mir mein Handy zurück und wir googeln es.«

Pepper beobachtet seine Augen. Sie kannte Dale Hill noch keine fünf Minuten, als sie bereits eines über ihn wusste: Er wird vollständig von der tief sitzenden Angst geleitet, leicht verdientes Geld zu verpassen. Ihr Stiefvater, Felton Henry, ein Fernfahrer, der im ganzen Land zockt, ist genauso.

»Du hast keine zwanzig«, hält er ihr vor.

Sie entfaltet zwei Zehner aus ihrer Handtasche. Dale bläht sich auf. Er schnappt nach ihrer Hand, jedoch der falschen. Sie hält das Geld weit weg, an der Tür. Er drückt fest zu, faltet ihre Knochen.

»Woher zum Teufel hast du das?«

»Du kannst mir nicht wehtun. Ich hab’s meiner Mom gestohlen.«

»Jeder Cent, den du verdienst, gehört mir.«

»Das habe ich gestohlen, bevor ich dich als meinen persönlichen Retter akzeptiert habe. Aber okay, wie wär’s mit Fünffach oder nichts? Wenn du gewinnst, kannst du den gesamten Eintritt auf meine Rechnung setzen.«

Er schleudert ihre Hand zurück. »Fass nie mehr meine Zigaretten an.« Dann starrt er wütend durch die Windschutzscheibe in den wirbelnden Schneesturm, der sie umgibt. »Also, wo ist diese Scheißbücherei?«

Pepper feiert das mit einem Grinsen Richtung Schnee. »Heißt das, die Wette gilt?«

7

Angus Beavers dirigierte den Taxifahrer über eine abgelegene Straße zum Baseballplatz, der von den Spielern The Hole genannt wurde. Vom Kwik Trip aus bedeutete das, ungefähr einen Kilometer auf dem Highway aus der Stadt hinauszufahren und dann nach Westen auf die Viking Road abzubiegen, wo ihnen Wind und Graupelschauer entgegenklatschten. An der Kreuzung Viking und Third Avenue bat er den Fahrer, links abzubiegen. Noch mal links, und das Taxi befand sich in einer dunklen Gasse hinter zwei stillgelegten Getreidesilos. Von dort ging es hinter der Bücherei entlang und verbotenerweise über den Parkplatz des Bad Axe Manors. Der Wagen kroch vorwärts, der Fahrer hatte sein Handy in der Hand.

»Laut Karte gibt es hier keinen Ort namens The Hole – und jetzt habe ich keinen Empfang mehr.«