Balladen - Carl Spitteler - E-Book

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Carl Spitteler

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Beschreibung

Mal kosmisch-mythologisch, mal episch, Balladen und Roman, über Heimat und Vaterland, Sprüche und Lieder, Sinnbilder und Denkwürdigkeiten das sind die gesammelten Werke des Schweizer Literaturnobelpreisträgers Carl Friedrich Georg Spitteler, die hier in einem Band sorgsam vereint wurden. Enthalten sind: Kronos und der Greis, Das Sterbefest, Die Weltpost, Die drei Spinnerinnen, Die tote Erde (Legende), Anaïta, Die Titanen, Parisade (Märchen), Der Venus Rundgang (Gemälde), Die Hochzeit des Theseus, Cyrus' Ende, Der falsche Bel, Der Cid und die Fee, Hildebrand, Der besiegte Herzog, Die drei Rekruten, Die beiden Züge, Die jodelnden Schildwachen, Träume Jakobs des Auswanderers, Der Wanderer, Die Schneekönigin, Der Flößer, Das Postmaidlein, Die Mittagsfrau, Der Gotenknecht, Der Zauberer und der Frosch, Die Blütenfee, Das Kummergespenst, Walpurga, Die Wila, Die Falkenjagd, Der Ketzer, Das Dämchen, Der Gymnasiast (Walzer), Der Jäger und das Wichtchen, Das Heuhexchen; Pan, der Richter, Aurora, Das Leuchtschiff, Hausspruch, Der Ostwind, September, Kronos' Wagen, Fatime (Kantate), Die drei Fliegen, Kommissionsfriede, Die sieben Rößlein, Das Orakel Oktober, Der Handwerksbursch, Die Jurakönigin (Roman), Der Neubau, Gülnahar, Die Prophetenwahl, Adamsruh, Die Korrektur des Weibes; Achmed, der unverbesserliche Menschenfre und Aus Klio's Notizbuch.

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Carl Spitteler

Balladen

Inhaltsverzeichnis
Balladen
I. Kosmisch und mythologisch.
Kronos und der Greis.
Das Sterbefest.
Die Weltpost.
Die drei Spinnerinnen.
Die tote Erde.
II. Episch.
Anaïta.
Die Titanen.
Parisade.
Der Venus Rundgang.
III. Heldenballaden.
Die Hochzeit des Theseus.
Cyrus' Ende.
Der falsche Bel.
Der Cid und die Fee.
Hildebrand.
Der besiegte Herzog.
IV. Heimat und Vaterland.
Die drei Rekruten.
Die beiden Züge.
Die jodelnden Schildwachen.
Träume Jakobs des Auswanderers.
Die Engel.
Der Polyp.
Die Sängerin.
Das Gastmahl.
Das Begräbnis.
Das Geschenk.
Der Vater.
Der Sturm.
V. Balladen im engern Sinn.
Der Wanderer.
Die Schneekönigin.
Der Flößer.
Das Postmaidlein.
Die Mittagsfrau.
Der Gotenknecht.
Der Zauberer und der Frosch.
Die Blütenfee.
Das Kummergespenst.
Walpurga.
Die Wila.
Die Falkenjagd.
Der Ketzer.
Das Dämchen.
Der Gymnasiast.
Der Jäger und das Wichtchen.
Das Heuhexchen.
VI. Spruch und Lied.
Pan, der Richter.
Aurora.
Das Leuchtschiff.
Hausspruch.
Der Ostwind.
September.
Kronos' Wagen.
Fatime.
VII. Sinnbilder.
Die drei Fliegen.
Kommissionsfriede.
Die sieben Rößlein.
Das Orakel.
Oktober.
Der Handwerksbursch.
Die Jurakönigin.
Der Neubau.
VIII. Denkwürdigkeiten.
Gülnahar.
Die Prophetenwahl.
Adamsruh.
Die Korrektur des Weibes.
Achmed der unverbesserliche Menschenfreund.
Aus Klio's Notizbuch.
Die Rechtfertigung des Eroberers.
Asiatischer Trost.
Gläubige Frivolität.
Europäisches Signalement.
Der Mechaneus.
Historischer Adelsklub.
Berufung.
Camera obscura und bengalische Beleuchtung.

I. Kosmisch und mythologisch.

Kronos und der Greis.

               

In finstrer Nacht, auf steilen Wolkenpfaden, Gefesselt, einem Uebelthäter gleich, Schied der verbannte Kronos grambeladen Aus seinem goldnen Himmelskönigreich, Die lichtumblaute Götterburg zu tauschen Mit des Cocytus Thränenwogenrauschen.

Zwei stumme Häscher ritten vor dem Wagen, Zwei andre folgten lautlos hinterdrein. Ihr Ohr blieb taub auf alle bangen Fragen Und die geschloßnen Lippen schwiegen: nein. Und daß beim Jammer die Beschimpfung wohne, War er verhöhnt mit einer Flitterkrone.

Als sie gen Morgen kamen auf die Erde, Wo sie an einem Brunnen pflogen Rast, Nahte des Wegs mit schwankender Gebärde Ein Greis, gebrochen von der Jahre Last. Trüb war sein Blick, der nach Erlösung lechzte, Und öfters hielt er still und stöhnt' und ächzte.

»Willkommen mir, Gefährte meiner Leiden!« Seufzt' ihm entgegen der entthronte Gott. »Wen Macht verläßt und Kraft und Jugend meiden, Er fahre hin, sein Antlitz wird zum Spott. Getrost! ein jeder muß sein Dasein sühnen. Sprich frei! du darfst dir einen Wunsch erkühnen.«

Unwillig hob der Greis die buschigen Brauen Und rümpfte mürrisch den entzahnten Mund. Dann, näher pilgernd, ohne aufzuschauen, Gab er verächtlich ihm die Antwort kund: »Wer du auch seist, behalte deine Gaben, Wen Durst nicht brennt, den kann der Quell nicht laben.

»Willst du beglücken, willst du Segen spenden, Frag' an beim Jüngling, dem der Wunsch noch reift; Frag' an beim Kinde, das mit gierigen Händen Nach jedem bunten Gegenstande greift. Was diese Welt enthält, ich hab's genossen, Mein Maß ist voll, mein Kreis ist abgeschlossen.

»Geschäh' das Wunder, daß vom Himmel stiege Allvater Kronos und mich wissen ließ' Die Ahnenleiter und Geschlechterriege Der Sippe, die mit meinem Namen hieß, Er würde köstlicher mein Herz ergetzen, Als Geld und Gut mit allen irdischen Schätzen.«

Aus die gebundnen Dulderhände nieder Sah schweigend der Gefangene und sann. Dann schloß er dichtend die Prophetenlider, Erhob die Stimme singend und begann Vor dem erstaunten Hörer auszubreiten Die süße Sage der entschwundnen Zeiten.

Rückwärts sich wendend mit Gedankenschritten, Zog er, was die Erinnerung verlor Und was dem blöden Menschenblick entglitten, Behutsam aus der Dunkelheit hervor, Sang ihm von seinen Eltern und Verwandten Und wob das Unbekannte zum Bekannten.

Kein Name, kein begehrtes Antlitz fehlte, Der Liebeskette mangelte kein Glied. Freundschaft durchwärmte, was er auch erzählte, Und was er immer nannte, ward zum Lied. Mocht' er Erlebtes, mocht' er Fremdes schildern, Ein Heimatodem quoll aus allen Bildern.

Die Not des Augenblickes war vergessen, Auf Geisterflügeln schaukelte der Greis. Mit offnem Munde horchend unterdessen Lagen die Wächter ringsherum im Kreis. Das Bächlein spann den Takt mit leisem Munde, Die Dämm'rung schwieg und staunend stand die Stunde.

Da gellt ein Hahnenschrei, die Sonne weckend, Vom Gipfel steigt der Tag im Morgenrot. Die Wächter, jäh aus ihren Träumen schreckend, Erfassen wieder Auftrag und Gebot. Getümmel – Schelten – Streit – Befehle schallen – »Vorwärts!« Und weiter geht's mit Peitschenknallen.

Sieh! welche Zauberkraft verjüngt den Alten? Das Auge flammt, der Nacken reckt sich auf. Das emsig fliehende Gespann zu halten, Stürzt er ihm keuchend nach in tollem Lauf. Jetzt humpelt er im Gleichschritt mit den Speichen, Klammert sich kläglich fest und will nicht weichen.

»Ein letztes Wörtchen noch vergönnt zu fragen! Halt ein! So hört doch! Gnade! Gebt Erlaub!« Die Geißel pfiff, es rasselte der Wagen Und schüttelte den Alten in den Staub. Ferner und ferner klapperten die Hufe Und mutlos starben seine Schmeichelrufe.

Das Sterbefest.

               

Als noch Saturn der Herr der Erde war, Geschah das Sterben einmal nur im Jahr. Nicht einsam litt der Mensch die Todesnot, Es war ein feierlicher Völkertod.

Auf einer Wiese standen sie vereint: Brüder und Unbekannte, Freund und Feind, Von Andacht hehr, von Sympathie gestärkt: Die Auserlesnen, die der Tod gemerkt.

Der König brach das Schweigen und begann: »Kinder des Todes! schaut einander an! Weil man nun sterben muß und scheiden soll, So laßt hienieden Bitterkeit und Groll. Was du gelitten, was geduldet hast, Wirf's hinter dich, 's ist eitel Herzenslast! O folgt dem Ruf, der euch im Herzen tönt. Auf denn! es scheide keiner unversöhnt!«

Ein Schauer schüttelte die Opferschar Und zaudernd maß sich manches Feindespaar. Der feuchte Blick, der ihm entgegenschmolz, Entwaffnete den eigensinnigen Stolz. Sie fühlten sich einander leidverwandt Und jeder bot dem andern treu die Hand.

Zum zweiten redete die Königin: »Aus dem Verluste pflücket den Gewinn: Kein Schicksal ist auf Erden noch so graus, Die Liebe schöpft ein Körnchen Glück daraus. Ist einer, der im tiefsten Herzensgrund Denkt einer Jungfrau mit verschwiegnem Mund, Er trete vor sie hin und meld' es frei, Damit ihm Dankestrost und Antwort sei. Des Todes Allmacht sprengt der Sitte Zwang, Vor seinem Odem fallen Stand und Rang.«

Jetzt, wie zur Quelle, die ihn labt und heilt, Der durst'ge Wanderer frohlockend eilt, So flog, vom Hoffnungssonnenstrahl beseelt, Jeder zu jener, die sein Herz erwählt. Ein Sehnsuchtsschrei, ein stammelnder Erguß – Und Scham und Jubel einten sich im Kuß.

Horch! Harfenhauch und Psalterharmonie! Andächtig fällt die Menge auf die Knie. Ein Todesherold mit bekränztem Schwert Reitet heran auf schwarzumflortem Pferd. »Gegrüßt! ihr auserwählten Helden ihr! In Gottes Namen! Freunde! folget mir! Fest steht und unverrückt des Schicksals Schluß, Darum geschehe, was geschehen muß!«

Da brandete das Abschiedsschmerzenmeer, Und tausend Namen schluchzten hin und her. Der Herold hielt sein Angesicht verhüllt, Bis daß der Schmerz sein billig Maß erfüllt. Dann winkt' er mit der Hand, die Trommel schlug: Von hinnen wankte der verlorne Zug.

Die Brüder gaben eine Strecke weit Dem todgelobten Trüpplein das Geleit, Bis an die Landesgrenze, wo der Weg Berganschleicht über einen Brückensteg.

Dort stellten sie sich längs dem Wasserlauf Hüben und drüben au den Ufern auf. Vom Weidendickicht, das den Bach besetzt, Brach jeder sich ein junges Zweiglein jetzt. Das reicht' er seinem Gegenüber dar, So daß von dieser und von jener Schar Kreuzweis verschlungen ein lebendig Band Von Grüngezweig die Trennung überwand. Dann sangen alle ohne Unterschied Im Doppelchor ein tausendstimmig Lied:

»Getrost! ob auch uns trennt des Todes Schlund! Wir stammen allesamt aus einem Grund: Wir zielen allzumal nach einem Schluß, Der das Zerstreute wieder sammeln muß. Kein Hauch, kein Staub verliert sich aus der Welt, Kein Stein ist, der ins Bodenlose fällt. Ein Faden läuft im Irrwald der Natur: Wohin du stehst, du trittst auf eine Spur. Die Tröpflein rinnen unterm Fels daher: So blind sie sind, sie finden doch das Meer. Zuletzt ist Gott, zu oberst winkt ein Pol. Lebt wohl! ihr Herzgeliebten! lebet wohl!«

In einem Gletscherwirrsal, oberhalb Dem Menschenland lag eine öde Alp. Man nannte sie die Alp zum bösen Weh, Denn dazumal auch that das Sterben weh. Drei Tag' und Nächte hörte man von dort Röcheln und Stöhnen, Schlachtgeschrei und Mord. Dazwischen, tröstlich wie ein Sonnenstrahl In finstrer Nacht, Lobpreisen und Choral.

Doch wenn die blut'ge Arbeit war bestellt Und Schweigen schwebte überm Leichenfeld, Dann senkten sie die Toten all' hinab In ein gemeinsam Allerseelengrab. Ein einzig großgesinnt Erinnrungsmal Umarmte die Verblichnen allzumal. Für alle galt, für jeden war gemeint Die Thräne, die um einen ward geweint. War keiner so verachtet und gering, Der nicht ein kleines Tröpflein mitempfing.

Die Weltpost.

                 

Auf einem Berg ein Posthaus steht, das keinem andern gleicht, Das nie ein Wandrer hat geschaut und nie ein Brief erreicht. Die Riesensäle gähnen leer, kein Wort, kein Ruf erschallt. Statt Menschengeist und Menschenhand wirkt eiserne Gewalt. Von selber läuft das Räderwerk und eilt der Pendel Takt. An allen Enden schafft es leis, prickelt und pocht und knackt. Beständig summt der Telegraph und saust Depeschenflug. Im Hofe vor dem Fenster fährt ein Doppelschienenzug. Die einen Wagen fahren her, die andern fahren hin, Viel tausend Seelen sitzen stumm und totenbleich darin.

*           * *

Nur einmal, wenn auf Mitternacht der Wanduhrzeiger steht, Juckt durch die Wand ein Glockenspiel, ein Hahn springt vor und kräht. Die heiligen Apostel zwölf marschieren langsam auf. Ein Herold hebt den Botenstab und eine Thür geht auf. Jetzt öffnet er den Stentormund und stampft mit Stab und Fuß: »Erhebet Euch, der Meister kommt, entbietet ihm den Gruß.« Da braust ein Aufruhr durch das Haus und hast'ger Stimmenhall, Urplötzlich stockt das Räderwerk und die Maschinen all: Im Hofe stemmt den Eisenfuß die Doppelschienenbahn, Alles pausiert erwartungsvoll und hält den Atem an. Durch schwarzes Schweigen tönen laut elf Glockenschläge nur – Doch wenn den zwölften Glockenschlag gethan die Wunderuhr, Da kichert's in der Gegenwand und lacht wie Teufelshohn, Ein Klingelruf, ein Judasschrei schrillt aus dem Telephon: »Den Meister heischet ihr umsonst, der Meister der ist krank.« Der Herold senkt den Botenstab und knarrend in den Schrank Verschwinden Hahn und Glockenspiel, die Wand verschlingt das Thor, Der Seelenzug hebt wieder an die Fahrt. Und wie zuvor Geht bei geschäft'gem Rädertakt und Telegraphensang Die wundersame Weltenpost den geisterhaften Gang.

Die drei Spinnerinnen.

1.

             

Es sitzen drei alte Jungfern im Turm, Sie singen und spinnen bei Nacht und Sturm. Die Erste verwegen die Spindel dreht, Daß die Bänder flattern, die Kunkel weht.

        »Der König will kriegen         Die Spindel muß fliegen.         Zieht aufwärts, zieht abwärts,         Springt hüben, springt drüben,         Der Regen aufs Dach,         Das Tröpflein zum Bach.         Ein jeder muß eilen,         Darf keiner weilen.«

  2.

Die Zweite, eh' sie den Faden streckt, Mit hängender Lippe den Daumen leckt.

»Das Thor ist von Eisen, die Burg von Stein, Was kann fester als Himmel und Erde sein? Allvater Wodan im Himmel oben, Den alle guten Geister loben.

        Jetzt über, jetzt unter,         Fallt alle herunter!         Ob Kaiser, ob Knab',         Es muß jeder herab.«

  3.

Doch die Dritte das Werg mit den Fingern rupft: »'s ist alles verknotet, 's ist alles verzupft.

        Der Zwirn ist verzwickt,