Das Bombardement von Åbo - Carl Spitteler - E-Book

Das Bombardement von Åbo E-Book

Carl Spitteler

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Beschreibung

Aber bis auf den heutigen Tag sagen die Schweden von Åbo, wenn sie einen Menschen plötzlich Reichtum zur Schau tragen sehen: "Der Tausendskerl! Sieh einmal ‹auf› diesen! Alle Wetter von Stockholm! Entweder er hat von seinem Onkel, dem Teufel von Wexiö, geerbt, oder er ist bombardiert worden!"

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Carl Spitteler

Das Bombardement von Åbo

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Carl Spitteler: Das Bombardement von Åbo

Carl Spitteler

 

 

Das Bombardement von Åbo

 

Erzählung nach einem historischen Vorgang der Neuzeit

 

 

 

[email protected]

 

Das Bombardement

Daß Ströme weit von ihrer Mündung aufwärts noch gewaltige Meerschiffe tragen können, weiß jedermann. Wer aber solche Ungeheuer in einem kleinen Bach landeinwärts will fahren sehen, der muß sich nach Åbo bemühen. Freilich hat der betreffende Bach einen Namen, das verdient er, und zwar, wenigstens wenn er mit südländischem Akzent gesprochen wird, einen wohlklingenden, nämlich Aura. Die Aura ist nicht so breit wie die Straße eines deutschen Landstädtchens, aber von beneidenswerter Tiefe und überdies in ihrem stillen Wandel durch die alte Hauptstadt Finnlands mit massiven Terrassen von echtem finnischen Marmor geschmückt, auf welchen sich zur Marktstunde die Käufer gruppieren, während die Verkäufer mit ihren Booten das ganze Wasser bedecken. Die Brücke dient als Korso für die Spaziergänger, links und rechts liegen die Holzhäuser, welche trotz ihrer Ärmlichkeit nicht bescheiden dürfen genannt werden, da sie auf den Namen einer Stadt Anspruch erheben. Etwas weiter draußen, aber immer noch im Stadtbach, ankern die großen Stockholmfahrer. Das Meer ist mit Schären wie mit schwimmenden Wäldern viele Stunden hin angefüllt, eine Riesenlagune, die bis zu einem Drittel des Weges nach Stockholm reicht. Auf der entgegengesetzten Seite, landeinwärts, wo die Aura herkommt, erblickt man auf einem niedern Hügel die älteste Kirche Finnlands, welche schon dastand, als Stockholm noch ein kleines Fischerdorf war.

Während des Krimkrieges, als die englischen Kriegsschiffe den Finnischen und den Bottnischen Meerbusen unsicher machten, wurde dem Gouverneur von Åbo, General Baraban Barabanowitsch Stupjenkin, eine russische Besatzung geliehen; zwei Regimenter stark, wie man in Petersburg glaubte, in Wirklichkeit jedoch anderthalb Bataillone, mit einem in Helsingfors abwesendenPalkownik an der Spitze, an dessen Stelle der Major Balvan Balvanowitsch kommandierte, gewaltig im Kartenspiel, daneben, trotz seiner beträchtlichen Faulheit, ein vollendeter Reiter, im übrigen, außer seiner sprichwörtlichen Dummheit, ohne hervorstechende kriegerische Eigenschaften. Der Dienst, nachdem einmal die Küstenwachen eingerichtet waren, ließ vollauf Zeit zu der jedem Russen unentbehrlichen Langeweile, welche bekanntlich vom Schöpfer ausdrücklich zu dem Zweck geschaffen wurde, damit man sie durch Kartenspiel vertreiben könne. So gestaltete sich das Societätshüß, dieses unvermeidliche Grandhotel aller finnischen Städte, allmählich zum Generalquartier der russischen Besatzung, wo sich außer den Offizieren auch der Gouverneur mit seiner Frau einfand, die schon seit fünf Jahren Tag für Tag das erbärmliche Nest nach allen erdenklichen Gegenden Sibiriens verwünschten, denn in Sibirien ist man wenigstens seiner Whistpartie sicher. Außerdem die wenigen russischen Schreiber und Zivilbeamten, welche sich in dieser Wüstenei auftreiben ließen. Hier wurde dann, «um die goldene Zeit nicht zu verlieren», wie sich der Gouverneur witzig ausdrückte, im Gesellschaftssaal von mittags ein Uhr bis abends spät Karten gespielt, auch nicht übel getrunken, sogar schwedischer Punsch, auf welchen sich die Abneigung der Russen gegen Schweden und Engländer nicht ausdehnte, und während des Kartenmischens politisiert, das heißt auf die Groß- und Kleinmächte Europas weidlich geschimpft und auf die kaiserliche Regierung von Petersburg gestichelt. Die Gouverneurin ließ sich in den Pausen, oder wenn sie wenig Trümpfe in der Hand hatte, von den jüngern Offizieren den Hof machen, und der Gouverneur kümmerte sich darum «wie um das Jahr vierzig».

Die Soldaten trieben sich inzwischen in den Wirtshäusern herum, mit den Finnen Bruderschaft trinkend, oder machten sich auf dem Markte unnütz, wo sie mit den Verkäuferinnen wie mit russischen Bauerndirnen zu schäkern versuchten, aber statt schelmischer Antworten nur ein entrüstetes sittliches Grunzen erhielten.

So standen die Dinge, als eines Morgens, eben als der Markt sich füllte, ein Kosak von der Küstenwache mit vorgebeugtem Oberkörper über das Pflaster sprengte.

«Birigis-jah!» schrie er aus vollem Halse, da die Hufe des kleinen, leichtsinnigen Tierchens nur einen gedämpften Ton erweckten, welcher in dem allgemeinen Geschwätz verhallte.

«Was gibt's?» fragte ihn einige Soldaten.

«Bumbardirovka», lautete die kurze, flüchtige Antwort, darauf war er schon über die Brücke.

Das Wort ging von Munde zu Munde: «Bumbardirovka», und «Bumbardirowanje» riefen die Soldaten einander zu, und die intelligentern unter den Finnen, welche zwar nicht die Endungen, wohl aber das «Bum» begriffen, übersetzten «Pummi» und «Tulipummi».

Im Nu verwandelte sich das friedliche Marktvolk in eine empörte, grunzende, fauchende und grölende Masse, anzusehen wie ein Hornissenschwarm und anzuhören wie ein Rudel Wölfe, die über ein Pferd herfallen. Die Weiber kreischten nicht wie andere Menschenweiber; tiefe, fürchterliche Töne stießen sie heraus, die Männer aber knirschten in einem fort: «Satanaperrkele.»

Jetzt ertönte Trommelwirbel und Horngetute, worauf sich die Soldaten im Laufschritt entfernten.

«Gott ist gnädig», schrien sie im Laufen, «endlich schickt er uns etwas zu arbeiten.»