Bangkok Tattoo - John Burdett - E-Book

Bangkok Tattoo E-Book

John Burdett

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Beschreibung

Die Prostituierte Chanya steht in blutgetränktem Kleid vor dem buddhistischen Ermittler Sonchai Jitpleecheep, die Opiumpfeife noch in der Hand und überzeugt, einen Mord begangen zu haben. In ihrem Bett: ein toter Amerikaner, grausam zugerichtet, Mitarbeiter der CIA und Chanyas Ex-Freund. Doch Sonchai und sein Vorgesetzter glauben nicht daran, dass Chanya mit dem Mord etwas zu tun hat. Um sie zu entlasten, muss ein Schuldiger her, und zwar schnell. Da trifft es sich bestens, dass die CIA nur zu gern an einen Terrorakt glaubt.

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Seitenzahl: 470

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Über dieses Buch

Das Bargirl Chanya ist überzeugt, einen Mord begangen zu haben. In ihrem Bett: ein toter Amerikaner, grausam zugerichtet, Mitarbeiter der CIA. Doch Sonchai Jitpleecheep glaubt nicht daran, dass Chanya mit dem Mord etwas zu tun hat. Ein Schuldiger muss her. Da trifft es sich bestens, dass die CIA nur zu gern an einen Terrorakt glaubt.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

John Burdett (*1951 in London) arbeitete vierzehn Jahre als Anwalt in Hongkong und London, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er ist der Schöpfer der in und um Bangkok angesiedelten Krimireihe mit dem Ermittler Sonchai Jitpleecheep. Er lebt in Bangkok und in Frankreich.

Zur Webseite von John Burdett.

Sonja Hauser ist als Übersetzerin aus dem Englischen tätig. Sie übersetzt u. a. die Werke von Lucinda Riley, Emily Hauser, Sujata Massey und E. L. James.

Zur Webseite von Sonja Hauser.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

John Burdett

Bangkok Tattoo

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sonja Hauser

Jitpleecheep ermittelt in Bangkok (2)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 im Piper Verlag, München.

Kapitelmotti aus:

Jorge Luis Borges, »Der Unsterbliche«, in: Die Bibliothek von Babel, Erzählungen, Reclam Verlag, Stuttgart 2003, S. 14.

Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie, Reclam Verlag, Stuttgart 2004, S. 10f. und S. 122.

Originaltitel: Bangkok Tattoo

© by John Burdett 2005

© der deutschen Übersetzung: Piper Verlag GmbH, München 2006

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Krokodil - Bhanupong Chooarun (Shutterstock); Karte Bangkok - nestign (Alamy Stock Vector)

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31075-9

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

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Version vom 05.06.2022, 17:14h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

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Inhaltsverzeichnis

BANGKOK TATTOO

Der Old Man’s Club1 – Tote Kunden sind einfach nicht gut fürs Geschäft.«2 – Der Rezeptionist – dank der fünftausend Baht …3 – Leser meines ersten Berichts (über eine Thai-Transsexuelle …4 – Als ich schließlich aufstehe, ist es früher Abend …5 – Das Telefon klingelt. Es ist die Spurensicherung …6 – Frühstückszeit: Auf den Straßen wimmelt es von Garküchen …7 – Homer nannte in seinen Sagen alle Schiffe beim …8 – Er heißt natürlich Greg, ist schlank und drahtig …9 – Am Anfang dieses Kalpa reisten drei Männer zusammen …10 – Die Adresse auf der Visitenkarte des Moslems gehört …11 – Mit Ohrstöpseln lausche ich Rod Tit FM …12 – Zur Information: Grob übersetzt lautet der volle Name …Der Süden13 – Während des Fluges in den tiefen Süden sitze …14 – Wieder in meinem Hotelzimmer, machte ich den Fehler …15 – Es ist Mittag. Mustafa und mir steht der …16 – Zum Thema Wiedergeburt, Farang (für den Fall …Die Zinna-Finte17 – Farang, ich muss mich bei dir entschuldigen …18 – Rückblende: Ich verbrachte gerade einen geruhsamen Morgen im …19 – Ruamsantiah, immer noch voller Bewunderung ob Vikorns Durchtriebenheit …20 – In einem Stau Ecke Soi Asok/Sukhumvit Road …21 – Hol ein Thai-Mädchen aus seinem Dritte-Welt-Dorf, gib ihm …22 – Ich fühle mich ziemlich gut, Farang. Offen gestanden …23 – An der Kreuzung Ratchadaphisek/Rama IV Road sagt Lek …24 – Offenbar lösen sich in dieser Nacht der Gewalt …25 – Es begab sich folgendermaßen: Eines Tages fragte der …Chanyas Tagebuch26 – Chanya beginnt ihr Tagebuch folgendermaßen: Es gibt zwei …al-Qaida27 – Es ist früher Nachmittag, als ich den Club …28 – Vergiss es, Farang, ich verrate dir nicht …29 – Unter normalen Umständen wäre der Old Man’s Club …30 – Falls du’s noch nicht gemerkt hast, Farang …31 – Eines Nachts, nach der Sperrstunde um zwei Uhr …32 – Ich folge dem Ruf ins Polizeirevier auf dem …Tattoo33 – Da Pisit mich heute langweilt, schalte ich auf …34 – Rose Garden: Die Frauen hier arbeiten auf eigene …35 – Nennen wir ihn Ishy. Eigentlich ist es nebensächlich …36 – Jetzt sitze ich, wieder ganz der Alte …37 – Genau so habe ich ihn heute Morgen beim …38 – Elizabeth Hatch hat mich zu einem abendlichen Gespräch …39 – Du mit deiner merkwürdigen Moral, Farang, würdest wohl …40 – Gibs zu, Farang, ein bisschen O wolltest du …41 – Es sieht euch Farangs gleich, alles durch Maßlosigkeit …42 – Chanya konnte es nicht fassen: Nun war Mitch …43 – Was für Lügen?«, fragt sie verblüfft. Ihre Geschichte …44 – Es wundert mich, wie oft er mir einfällt …45 – In unserem Liebesnest hallen unsere geflüsterten Schwüre nach …46 – Wir halten uns jetzt alle wieder in dem …Plan C47 – Jetzt haben wir die endgültigen Ergebnisse der Laboruntersuchungen« …48 – Auf der Heimreise dachte Chanya über die verschwundene …49 – Chanya und ich packen die Eier und anderen …Anmerkung des Autors

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Für Sofia

Juden, Christen und Muselmanen bekennen sich zwar zur Unsterblichkeit; indessen beweist die Verehrung, die sie dem ersten Jahrhundert zollen, dass sie nur an dieses eine glauben, insofern sie die Zahl aller übrigen bestimmungsgemäß ihm zum Lohn oder zur Strafe vorbehalten. Sinnvoller erscheint mir das Rad gewisser Religionen Hindostans.

Jorge Luis Borges, Der Unsterbliche

Wie? könnte vielleicht, allen »modernen Ideen« und Vorurtheilen des demokratischen Geschmacks zum Trotz, der Sieg des Optimismus, die vorherrschend gewordene Vernünftigkeit, der praktische und theosretische Utilitarismus, gleich der Demokratie selbst, mit der er gleichzeitig ist, – ein Symptom der absinkenden Kraft, des nahenden Alters, der physiologischen Ermüdung sein? […] Was bedeutet, unter der Optik des Lebens gesehn, – die Moral? [… Wenn] sich alle Dinge in doppelter Kreisbahn bewegen: alles, was wir jetzt Cultur, Bildung, Civilisation nennen, wird einmal vor dem untrüglichen Richter Dionysus erscheinen müssen.

Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie

Der Old Man’s Club

1

Tote Kunden sind einfach nicht gut fürs Geschäft.«

Der Tonfall meiner Mutter Nong drückt unser aller Enttäuschung darüber aus, dass eines der besten Pferde im Stall auf die schiefe Bahn geraten ist. Müssen wir wirklich tatenlos zusehen, wie uns Chanya genommen wird? Diese Frage kann nur Colonel Vikorn beantworten, der den Löwenanteil am Old Man’s Club besitzt und der bereits in seinem Bentley auf dem Weg hierher ist.

»Stimmt«, pflichte ich ihr bei. Wie der meiner Mutter wandert mein Blick immer wieder von der leeren Bar zu dem Hocker, auf dem tropfend Chanyas silberfarbenes Kleidchen ruht (es besteht aus gerade genug Seide, um Brustwarzen und Hinterteil zu bedecken). Dieses Tropfen, das von Anfang an nicht besonders stark war, hat mittlerweile fast ganz aufgehört (ein rostfarbener Fleck auf dem Boden trocknet schwärzlich), aber in meinen mehr als zehn Jahren bei der Royal Thai Police habe ich noch nie ein so blutgetränktes Stoffteil gesehen. Chanyas BH, ebenfalls besudelt, liegt auf halber Höhe der Treppe, und der Slip – ihr einziges anderes Kleidungsstück – befindet sich auf dem Boden vor dem Zimmer im ersten Stock, in das sie sich, ungewöhnlich selbst für eine Thai-Nutte, mit einer Opiumpfeife zurückgezogen hat.

»Und sie hat nicht erklärt, wie’s passiert ist?«

»Nein, wie oft soll ich dir das noch sagen? Sie ist völlig durcheinander hereingestürzt, die Opiumpfeife in der Hand, hat wütend ausgerufen: ›Ich hab ihn kaltgemacht‹, sich das Kleid vom Leib gerissen und nach oben verdrückt. Zum Glück waren zu dem Zeitpunkt nur wenige Farangs in der Bar, und die anderen Mädchen haben großartig reagiert. ›Ach, Chanya kriegt hin und wieder mal so ’nen Koller‹, haben sie gesagt und die Kunden sanft rausgeschoben. Natürlich musste ich alle beruhigen, und als ich endlich Zeit hatte, rauf zu ihr ins Zimmer zu gehen, war sie schon high.«

»Und was hat sie da gesagt?«

»Sie war völlig hinüber vom Opium. Als sie anfing, Zwiegespräche mit dem Buddha zu führen, hab ich dich und den Colonel angerufen. Da wusste ich noch nicht, ob sie ihn wirklich um die Ecke gebracht hat oder auf Yaa Baa ist.«

Sie hatte ihn tatsächlich ins Jenseits befördert. Ich ging zu Fuß zum nur ein paar Straßen von der Soi Cowboy entfernten Hotel des Farangs und zeigte meine Polizeimarke vor, um den Schlüssel zu seinem Zimmer zu bekommen. Tja, und dort lag er, ein nacktes amerikanisches Muskelpaket Anfang dreißig, ohne Penis, in seinem eigenen Blut aus einer riesigen Messerwunde, die vom Unterleib bis zum Rippenbogen reichte. Chanya, eine im Großen und Ganzen anständige und ordentliche Thai-Frau, hatte sein Glied auf das Nachtkästchen gelegt, auf dem bereits eine einzelne Rose in einem Plastikgefäß mit Wasser stand.

Mir blieb nichts anderes übrig, als den Raum für die Spurensicherung zu verschließen, dem Hotelrezeptionisten ein paar Scheine in die Hand zu drücken – nun ist er mehr oder minder verpflichtet, das auszusagen, was ich ihm auftrage (das übliche Vorgehen unter Polizei-Colonel Vikorn in District 8) – und auf weitere Anweisungen zu warten. Vikorn hielt sich natürlich in einem seiner Clubs auf, wahrscheinlich umschwärmt von nackten jungen Frauen, die ihn entweder tatsächlich bewunderten oder zumindest so taten, weswegen er ganz und gar nicht in der Laune war, sich an den Schauplatz eines Verbrechens locken zu lassen. Ich musste also die Alkoholnebel in seinem Gehirn zumindest so weit durchdringen, dass er Folgendes begriff: Es ging nicht um ganz normale Ermittlungen, sondern um eine weitaus anspruchsvollere forensische Kaschierungsaktion. Doch erst, als er hörte, dass es sich bei der Tatverdächtigen um Chanya handelte, machte er Anstalten, sich von seinem Lotterbett zu erheben.

»Wo zum Teufel hat sie das Opium her?«, möchte meine Mutter wissen. »In Krung Thep hab ich das letzte Mal als Teenager welches gesehen.«

Voll nostalgischer Gefühle denkt sie an den Vietnamkrieg, als sie selbst noch im Bangkoker Gewerbe tätig war und viele GIs kleine Mengen Opium aus dem Kriegsgebiet mitbrachten (einer von ihnen war mein fast anonymer Vater, aber von ihm später mehr). Ein Mann unter Opiumeinfluss ist mit hoher Wahrscheinlichkeit impotent – was die Abnutzung der Aktiva einer Professionellen enorm reduziert – und beginnt keine Diskussion über die Bezahlung. Nong und ihre Kolleginnen interessierten sich immer besonders für amerikanische Soldaten, die ihnen zuflüsterten, sie hätten Opium in ihrem Hotel. Als gläubige Buddhistinnen griffen die Mädchen natürlich niemals selbst zu der Droge, aber sie ermutigten den Kunden dazu, sodass sie nicht nur den vereinbarten Betrag, sondern auch ein der im Umgang mit Drogennutzern unvermeidlichen Risiken wegen großzügig bemessenes Trinkgeld sowie die Kosten für die Taxifahrt aus seiner Brieftasche nehmen und an ihren Arbeitsplatz zurückkehren konnten. Integrität ist Nong immer schon wichtig gewesen, weshalb die Geschichte mit Chanya sie auch so aus der Fassung gebracht hat.

Die Ankunft des Colonels kündigt sich unverkennbar mit dem Walkürenritt an, der in voller Lautstärke aus der Stereoanlage seines Wagens dringt. Vom Eingang aus beobachte ich, wie sein Chauffeur die hintere Tür öffnet und Vikorn mehr oder weniger aus dem Auto zerrt. (Der Colonel trägt ein wunderschönes beigefarbenes, ein wenig zerknittertes Kaschmirsportsakko von Zegna, eine Hose von Eddy Monetti in der Via Condotti in Rom und seine übliche Wayfarer-Sonnenbrille.)

Der Fahrer stolpert, Vikorns Arm über der Schulter, auf mich zu. »Scheiße. Es ist Samstagabend«, beklagt er sich mit wütendem Blick, als wäre alles meine Schuld. (In District 8 legen wir samstagabends normalerweise sogar Schwerverbrechen auf Eis.) Der buddhistische Pfad ähnelt dem des Christen insofern, als das Karma anderer oft aus heiterem Himmel das eigene beeinflusst.

»Ich weiß, ich weiß«, sage ich, während ich einen Schritt zurücktrete, um ihn einzulassen, und Vikorn, dessen Sonnenbrille jetzt modisch, wenn auch ein wenig schräg, zum Haaransatz hochgerutscht ist, mich mit einem wässrigen Blick bedenkt.

Entlang der hinteren Wand des Clubs befinden sich gepolsterte Bänke in kleinen Nischen. Auf eine davon lässt der Chauffeur Vikorn plumpsen, während ich ein Mineralwasser aus dem Kühlschrank hole und meinem Colonel reiche, der die Flasche mit wenigen Zügen leert. Voller Erleichterung sehe ich die Verschlagenheit in seine großen Augen zurückkehren. Als ich ihm noch einmal erzähle, was passiert ist, werde ich von meiner Mutter mit mehreren finanziell motivierten Bemerkungen unterbrochen (»Sie bringt uns mehr Geld im Monat als alle anderen Mädchen zusammen«), doch er hat bereits einen Plan, wie sich der Manövrierraum vergrößern lässt, falls es Schwierigkeiten geben sollte.

Innerhalb von zehn Minuten ist er fast wieder nüchtern, weist den Fahrer an, zusammen mit dem Wagen zu verschwinden (er möchte seinen Aufenthalt bei uns nicht an die große Glocke hängen), und sieht mich erwartungsvoll an. »Tja, dann gehen wir mal rauf und nehmen ihre Aussage auf. Hol ein Stempelkissen und DIN-A4-Papier.«

Ich schnappe mir das Kissen, das wir für unseren Geschäftsstempel (»The Old Man’s Club – Stangen aus Stahl«) benutzen, und ein paar Bogen Papier aus dem Faxgerät, das Nong für die wenigen ausländischen Kunden ohne Internetzugang angeschafft hat (eigentlich wollten wir eine E-Mail-Adresse wie hooker.com oder whore.com, aber alles in dieser Richtung war bereits seit Cyber-Urzeiten vergeben, sogar oldman.com, also mussten wir uns mit omcsas.com zufriedengeben), und folge ihm durch die Bar. Nach einem Blick auf Chanyas Kleid über dem Hocker sieht er fragend mich an.

»Versace.«

»Kopie oder echt?«

Ich nehme das blutgetränkte Kleidungsstück vorsichtig in die Hand. »Lässt sich nicht hundertprozentig feststellen.«

Er brummelt vor sich hin wie der gute alte Maigret, als wäre er auf einen für meine detektivischen Fähigkeiten viel zu subtilen Hinweis gestoßen, und dann gehen wir die Treppe hinauf, ohne ein Wort über den dort liegenden BH zu verlieren. Ich hebe den Slip vom Boden vor dem Zimmer auf (er ist federleicht und blutfleckenfrei – es handelt sich eher um ein Stoff-Feigenblatt mit Schnürchen, das die Pobacken teilt, als um echte Unterwäsche) und hänge ihn fürs Erste über ein aus der Wand ragendes Stromkabel. Chanya war zu high, um die Tür zuzusperren, und als wir eintreten, begrüßt sie uns mit einem verzückten Lächeln, bevor sie sich wieder in ihren Buddhahimmel zurückzieht.

Sie ruht splitterfasernackt auf dem Bett, die Beine gespreizt, die vollen, festen Brüste himmelwärts gerichtet (ein hübscher blauer Delfin springt über ihre linke Brustwarze), die langen, schwarz glänzenden Haare auf dem weißen Kissen ausgebreitet. Die Schamhaare hat sie bis auf eine filigrane schwarze Linie, die – vielleicht als Orientierungshilfe für betrunken grapschende Farangs – den Weg zur Klitoris zu weisen scheint, rasiert. Die Opiumpfeife, etwa einen Meter lang, der Kopf zu zwei Dritteln geleert, liegt neben ihr. Der Colonel schnuppert, und ein Lächeln tritt auf sein Gesicht – wie bei meiner Mutter weckt der süßliche Geruch bei ihm angenehme, wenn auch völlig andere Erinnerungen. (Er handelte in der Blütezeit der B-52 oben in Laos damit.) Der Raum ist winzig, kaum groß genug für uns drei, nachdem ich zwei Stühle geholt und zu beiden Seiten des Betts aufgestellt habe. Die Sexgöttin zwischen uns beginnt zu schnarchen, während Vikorn mir ihre Aussage diktiert:

»›Der Farang hatte schon getrunken, bevor er in den Club kam. Er rief mich zu seinem Tisch, um mir einen Drink zu spendieren. Ich bestellte eine Cola, er trank‹ – hm, was sollen wir schreiben? – ›fast eine ganze Flasche Mekong-Whiskey. Er vertrug den Alkohol nicht besonders gut und wirkte verwirrt und desorientiert. Als er mich auslösen und mit mir in sein Hotel gehen wollte, sagte ich ihm, er sei zu betrunken, aber er ließ nicht locker, und mein Papasan, ein gewisser Sonchai Jitpleecheep, bat mich, den Farang, einen ziemlich großen, muskulösen Mann, zu begleiten, da es sonst möglicherweise Probleme gäbe.‹«

»Herzlichen Dank«, sage ich.

»›Der Mann war sehr schwierig. Er sprach abschätzig über Frauen, besonders über die amerikanischen, die er ›Mösen‹ nannte. Vermutlich war einmal eine seiner Beziehungen schiefgegangen, weswegen er jetzt allen Angehörigen des weiblichen Geschlechts gegenüber verbittert reagierte, obwohl er selbst behauptete, er möge asiatische Frauen, weil sie sanfter und freundlicher seien als Farangs und viel weiblicher. Vor seinem Zimmer sagte ich, er sei bestimmt zu betrunken für Sex, und wahrscheinlich wäre es besser, wenn ich wieder in meinen Club ginge. Ich bot ihm sogar an, die Auslösesumme zurückzugeben, aber er brüllte mich an, er könne die ganze Nacht ficken, und stieß mich in sein Zimmer. Dort musste ich mich ausziehen. Ich bekam es mit der Angst zu tun, denn ich sah ein langes Messer‹ – haben wir die Mordwaffe?«

»Ja, tatsächlich ein langes Messer, wahrscheinlich von der Armee, Stahl mit einer Dreißig-Zentimeter-Klinge. Ich habs fürs Erste in dem Hotelzimmer gelassen.«

»›… ein riesiges Armeemesser auf dem Nachtkästchen. Er erklärte mir, was er mit meinem Körper anstellen würde, wenn ich nicht bereit wäre, seine Wünsche zu erfüllen, zog sich aus und warf mich aufs Bett, brachte aber keine Erektion zustande. Also masturbierte er, bevor er mich zwang, mich auf den Bauch zu legen. Da wurde mir klar, dass er Analverkehr wollte. Ich flehte ihn an, mich zu verschonen, weil ich so etwas nie mache und sein Glied inzwischen so groß war, dass ich Angst vor Verletzungen hatte. Doch er drang ohne Kondom und Gleitmittel in mich ein, und der Schmerz war so heftig, dass ich zu schreien begann. Daraufhin wurde er sehr, sehr wütend und packte ein Kissen, um mich zum Schweigen zu bringen. Da geriet ich vor Angst außer mich, denn ich war sicher, er würde mich umbringen. Zum Glück schaffte ich es, das Messer zu ergreifen und nach hinten zu schwingen, als er noch in mir drin war. Dabei scheine ich eher zufällig seinen Penis abgetrennt zu haben. Er erhob sich, starrte schockiert sein Glied an, das auf dem Boden neben dem Bett lag (es muss hinuntergefallen sein, als er aufstand), und stürzte sich mit einem fürchterlichen Schrei auf mich. Ich hatte mich inzwischen auf den Rücken gedreht und hielt leider noch immer mit beiden Händen das Messer in vertikaler Position, sodass es in seinen Unterleib eindrang, als er auf mir landete. Seine heftigen Bewegungen vergrößerten die Wunde noch. Ich tat, was ich konnte, um sein Leben zu retten, brauchte aber eine ganze Weile, um ihn von mir herunterzuschieben; schließlich war er ziemlich schwer. In meinem Entsetzen dachte ich nicht daran, die Polizei zu rufen. Als ich seinen Tod bemerkte, war es bereits zu spät. Um meine Achtung vor dem Toten auszudrücken, legte ich seinen Penis auf das Nachtkästchen. Mein Kleid und mein BH, die sich auf dem Bett befunden hatten, waren blutgetränkt. Trotzdem zog ich beides an, bevor ich das Zimmer verließ. Als ich die Bar erreichte, schlüpfte ich wieder aus den Sachen und rannte zu den Ruheräumen hinauf, wo ich ein starkes Beruhigungsmittel einnahm und das Bewusstsein verlor.

Diese Aussage mache ich nach bestem Wissen und Gewissen im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte in Gegenwart von Colonel Vikorn und Detective Jitpleecheep vom Royal Thai Police District 8. Ich unterzeichne mit meinem rechten Daumenabdruck.‹«

Ich klappe das Stempelkissen auf und rolle ihren Daumen zuerst über die Tinte und dann aufs untere Ende des Papiers. Vikorn hat als echter Profi nur eine Seite für das Protokoll benötigt.

»Hab ich irgendwas vergessen?«

»Nein«, antworte ich voller Bewunderung. Die Aussage ist eine meisterhafte, knapp gehaltene Collage aus mehreren kunstvoll miteinander verwobenen Standardformulierungen, mit der er – erstaunlich für einen Cop, der so wenig Aufhebens um seine juristischen Kenntnisse macht – eine solide Verteidigungsgrundlage für den Fall einer Anklage wegen Mordes oder Totschlags geschaffen hat: Chanya wendete nur die Kraft auf, die nötig war, um ihr eigenes Leben zu retten, und versetzte ihm nicht den tödlichen Stich; als sie sah, wie schwer verletzt er war, versuchte sie erfolglos, ihn zu retten; und sie drückte Trauer und Achtung aus, indem sie sein abgetrenntes Glied an eine würdige Stelle legte. Der Hass des toten Farang gegenüber dem anderen Geschlecht, der schlechten Erfahrungen mit Frauen aus seinem eigenen Land entsprang, liefert das Motiv für seine Aggression und seine sexuellen Vorlieben. »Ich glaube, Sie haben an alles gedacht.«

»Gut. Gib ihr eine Kopie, sobald sie aufwacht, und sorg dafür, dass sie den Text auswendig lernt. Wenn sie irgendwas dran ändern will, sagst du ihr, das geht nicht.«

»Wollen Sie den Tatort sehen?«

»Eigentlich nicht. Letztlich wars ja kein Verbrechen, also solltest du auch nicht vom ›Tatort‹ sprechen. Notwehr ist nichts Ungesetzliches, besonders bei einer Frau Samstagnacht in Krung Thep.«

»Trotzdem sollten Sie sich das Zimmer ansehen«, beharre ich. Mit einem verärgerten Brummen steht er auf und wendet sich in Richtung Tür.

2

Der Rezeptionist – dank der fünftausend Baht, die ich ihm eine Stunde zuvor gegeben habe, bereits ausgesprochen servil – beginnt zu stottern, als er Vikorn sieht, den Herrscher über diese Sois. Der Colonel schaltet seinen Zehntausend-Volt-Charme ein und deutet an, was für eine lukrative Zukunft jene erwartet, die es in Zeiten wie diesen verstehen, den Mund zu halten. Ich nehme den Schlüssel noch einmal entgegen, und wir machen uns auf den Weg nach oben.

In dem Zimmer hat sich der Gestank, der aufgeschlitzten Bäuchen unweigerlich entströmt, seit meinem ersten Besuch verstärkt. Ich schalte die Klimaanlage ein, die ihn jedoch nur kühlt, ohne ihn zu mindern. Vikorns Zorn darüber, dass ich ihn hierhergeschleppt habe, wächst. »Schauen Sie«, sage ich und hole den Ausweis des toten Farang aus der Schublade, in der ich ihn eine Stunde zuvor gefunden habe. Ich halte mich nicht für einen Fachmann in puncto Einwanderungsbestimmungen, aber die Form seines Visums irritiert mich. Der Pass ist auf einen gewissen Mitch Turner ausgestellt.

Auch der Colonel wirkt irritiert; er wird blass, als er einen Blick darauf wirft. »Warum sagst du mir das erst jetzt?«

»Weil ich nicht wusste, ob das wichtig ist oder nicht. Ich habe immer noch keine Ahnung, worum es sich handelt.«

»Das ist ein Visum.«

»Das sehe ich auch.«

»Gültig zwei Jahre, für mehrfache Ein- und Ausreise.«

»Und?«

»Zwei-Jahres-Visa werden für gewöhnlich nicht ausgestellt. Schon gar nicht mit der Erlaubnis zur mehrfachen Ein- und Ausreise. Nur in ganz bestimmten Fällen.«

»Genau das habe ich mir gedacht.«

Der Anblick des Visums hat unser Gefühl intensiviert, Zeugen einer Tragödie über den Verlust eines relativ jungen Lebens fern der Heimat geworden zu sein. »CIA oder FBI?«

»CIA. Von denen haben wir nach dem elften September ungefähr zweihundert ins Land gelassen, damit sie ein Auge auf die Moslems im Süden, an der Grenze zu Malaysia, haben. Aber letztlich sind sie nur lästig, weil sie kein Thai können und für alles einen Dolmetscher brauchen.« Er betrachtet die Leiche. »Stell dir mal ein solches Farang-Muskelpaket und seinen Dolmetscher an einem Freitagabend unten in Hat Yai bei den kleinen braunen Thais vor. Scheiße. Al-Qaida kanns nicht zufällig gewesen sein?«

»Aber wir haben doch schon die Aussage der Tatverdächtigen.«

»Die könnten wir sicher überzeugen, sie zurückzuziehen. Hast du heute Abend irgendwo schwarze Bärte gesehen?«

Meint er das ernst? Manchmal übersteigen die Fähigkeiten seines Supergehirns die meinen einfach. »Ich verstehe nicht so ganz, wieso uns das nützen sollte.«

»Nein? Er gehört zur CIA – da werden sie uns von ganz oben die Hölle heißmachen und darauf bestehen, dass ihre eigenen Ärzte Chanya untersuchen. Wenn sie keine Hinweise auf Analverkehr finden, sitzen wir in der Scheiße. Dann verlieren wir unser bestes Mädchen und müssen vielleicht sogar eine Weile den Club schließen.«

»Und wieso wäre es besser, wenn al-Qaida damit zu tun hätte?«

»Weil das genau das ist, was sie glauben wollen. In den Staaten machen sie al-Qaida doch inzwischen für jeden Furz verantwortlich. Nenn das Zauberwort, und sie fressen dir aus der Hand.«

Wir schauen einander an. Nein, sinnlos. Es sieht einfach nicht aus wie eine terroristische Kastration. Und was sollen wir mit Chanya machen? Ich habe noch nie einen Blick auf ihre Intimzone geworfen, bezweifle aber, dass irgendein Mann es wagen würde, sie zu missbrauchen. Unter uns: Sie ist zäh wie ein Vielfraß und genauso wild, wenn man sie in die Enge treibt. Vikorns Gesichtsausdruck sagt mir, dass er meine Zweifel teilt. Wie das, was sich in diesem Zimmer abgespielt hat, auch immer gelaufen sein mag: Mit ziemlicher Sicherheit entspricht es nicht ihrer Aussage, die sie noch nicht einmal gelesen hat. Nun starren wir beide das Gesicht des Farangs an.

»Ziemlich hässlich, was? Ich meine, sogar für einen Farang.«

Mein Gedanke, aber anders als der Colonel habe ich nicht gewagt, ihn auszusprechen. Der Tote hat einen abnorm kurzen Hals, der fast so breit ist wie sein Kopf, kein Kinn und einen verkniffenen kleinen Mund – hat sie ihn am Ende aus ästhetischen Gründen ins Jenseits befördert? Vikorns Blick verharrt einen Moment auf der Rose in dem Plastikbehälter. Ich weiß, was er denkt.

»Passt nicht ganz zu ihrer Aussage, oder?«

Vikorn legt den Kopf ein wenig schräg. »Nein, aber lass es so. In einer solchen Situation muss der Tatort unangetastet bleiben; die Geschichte soll für sich sprechen. Das Wichtigste ist die Interpretation, die sich daraus ergibt.« Er seufzt.

»Leichen verwesen schnell in den Tropen«, sage ich.

»Aus hygienischen Gründen müssen sie so bald wie möglich eingeäschert werden.«

»Wir haben die Aussage der Tatverdächtigen aufgenommen und somit den Fall gelöst, bleibt nur noch, den Pass verschwinden zu lassen.«

»Gut«, sagt Vikorn. »Das überlasse ich dir.«

Wir erweisen dem Verblichenen beide die Ehre eines letzten Blicks. »Das Telefonkabel ist gespannt, der Apparat befindet sich auf der Bettkante. Ein Notruf in letzter Minute vielleicht?«

»Überprüf das in der Telefonzentrale des Hotels.«

»Und was soll ich damit machen?«, frage ich mit einem Nicken in Richtung Messer.

Bisher haben wir uns nicht übermäßig intensiv mit der Mordwaffe beschäftigt, die mitten auf dem Bett liegt, genau dort, wo man sie erwarten würde, wenn Chanya den Mann so umgebracht hat, wie Vikorn behauptet. Ich begreife das als gutes Omen und klaren Beweis dafür, dass der Buddha unsere Bemühungen mit Wohlwollen betrachtet, doch Vikorn kratzt sich am Kopf.

»Nun, lass es, wo es ist. Sie wars doch, oder? Also müssen auch ihre Fingerabdrücke drauf sein. Was sollten sie anderes auf dem Messer finden als sein Blut und ihre Abdrücke? Das beweist doch nur, dass ihre Aussage stimmt. Sollen sie das Ding als Beweismittel haben.« Wieder seufzt er. »Allerdings wird sie eine Weile untertauchen müssen. Da es Notwehr war, können wir sie nicht festhalten. Sag ihr, sie soll was mit ihren Haaren machen.«

»Vielleicht zusätzlich eine Nasenkorrektur?«

»Übertreib mal nicht – für die Westler schauen wir doch sowieso alle gleich aus.« Kurzes Schweigen. »Gehen wir zurück in den Club. Und da erzählst du mir, was heute Nacht wirklich passiert ist, damit ich Vorkehrungen treffen kann.«

3

Leser meines ersten Berichts (über eine Thai-Transsexuelle, Mann zu Frau, die einen schwarzen amerikanischen Marine mit Kobras unter Drogeneinfluss ermordet – Alltagsgeschäft in District 8 –) werden sich erinnern, dass das Konzept des Old Man’s Club, das verborgene ökonomische Potenzial von Viagra auszuschöpfen, dem Finanzgenie meiner Mutter zu verdanken ist. Der Einfall, der mich noch immer mit Bewunderung erfüllt, umfasst auch das Bombardement eines jeden halbwegs vitalen Westlers über fünfzig mit elektronischen Einladungen, sich in angenehmer, auf seine Generation abgestimmter Atmosphäre dumm und dämlich zu bumsen. Fotos von Elvis, Sinatra, The Mamas & The Papas, den frühen Beatles und den Stones zieren unsere Wände, und unsere Musik scheint aus einem Jukebox-Imitat (Chrom und Mitternachtsblau, unzählige glitzernde Sterne) zu kommen. Natürlich stammt sie in Wahrheit von einem hochmodernen Sony-System.

Meine Mutter erkannte Viagra als Lösung des logistischen Problems, mit dem das Gewerbe seit seinen Anfängen kämpft: den Zeitpunkt der männlichen Erektion genau vorherzusagen. Gemäß ihrem Plan würde ein Rentner die Mädchen in Augenschein nehmen, sich eins aussuchen und es dann von seinem Hotel aus telefonisch buchen, sobald er die Pille geschluckt hätte. Das Mittel braucht ziemlich genau eine Stunde, um seine volle Wirkung zu entfalten, womit das oben erwähnte Problem gelöst ist und der Arbeitsplan der Frauen sich mittels eines Computers fast minutengenau erstellen lässt. (In unserer ersten Euphorie spielten wir sogar mit dem Gedanken, eine entsprechende Software installieren zu lassen, verwarfen ihn dann am Ende aber doch.) Und wissen Sie was? Das Ganze funktionierte wunderbar, bis auf eine winzige Kleinigkeit, die niemand vorhersehen konnte, nicht einmal Nong.

Wir hatten nicht bedacht, dass diese Sechziger, Siebziger, Achtziger und sogar Neunziger nicht der gelassenen, genügsamen und hinfälligen Sorte angehören, die wir aus unserem eigenen, sich noch entwickelnden Land kennen. Nein, wir hatten es mit früheren Rockern, Swingern und Junkies zu tun, mit Hippieveteranen aus Katmandu, San Francisco, als dort noch schöne Menschen lebten, Marrakesch, Goa, bevor es vom Massentourismus entdeckt wurde, Phuket, als es da nur ein paar Hütten zum Schlafen gab, kurz: aus der noch jungen Welt, in der LSD, Magic Mushrooms und Marihuana auf Bäumen wuchsen. Die klapperdürren Zeitgenossen von Burroughs und Kerouac, Ginsberg, Kesey und Jagger (von Keith Richards ganz zu schweigen) hatten sich, auch wenn sie vielleicht ein bisschen tatterig wirkten, geschworen, nie zu wenig zu nehmen. Eigentlich wird zur Steigerung der sexuellen Leistung eine halbe Viagra empfohlen, aber wen interessiert das? Manche warfen trotz der Warnungen auf dem Fläschchen drei oder sogar vier ein. Nur etwa ein halbes Dutzend der alten Herren erlitt einen Herzinfarkt; lediglich drei gingen tatsächlich über den Jordan. (Es kam zu einer Krise, als Vikorns Bentley trotz der wüsten Flüche seines gereizten Chauffeurs, der, buddhistisch betrachtet, keinen Sinn darin sah, das Leben geriatrischer Farangs zu retten, als Ambulanz zweckentfremdet werden musste.) Und die anderen erklärten, sie seien im Himmel gewesen, ohne zuerst sterben zu müssen.

Was soll daran schlecht sein? Nun, das verrate ich Ihnen. Meine Herren, wenn Sie eine ganze Tablette Viagra (oder mehr) schlucken, verabschiedet sich Ihre sonstige Schlaffheit für mindestens acht Stunden. (Das Urinieren können Sie einen Tag lang vergessen; es stellt sich eher die Frage, wie man mit diesem Prügel zwischen den Beinen die einfachsten Aufgaben bewältigen soll. Viele berichten sogar von einer gewissen Sehnsucht nach Zeiten ohne Schwellkörperaktivität. Ironie des Schicksals: Man kann nichts anderes tun als bumsen, ob man will oder nicht.)

Die Herren erschöpften die Mädchen, die unser Etablissement in Scharen verließen. Meine Mutter hatte volle Befriedigung versprochen und wollte die Kunden nicht enttäuschen, was uns zwang, ein Schichtsystem einzuführen. Ein geiler alter Bock erledigte fünf oder sechs gesunde junge Frauen, bevor die Wirkung des Mittels nachließ und er in einem Zustand in sein Hotel zurückbefördert wurde, der sich am besten als ekstatische Katatonie oder verzückte Totenstarre beschreiben lässt. Sie können sich vorstellen, dass die Gewinnmargen hauchdünn wurden.

Also mussten wir etwas unternehmen. In einer Krisensitzung einigten wir uns darauf, den Passus »Befriedigung garantiert« aus der Werbung zu streichen und uns an ein breiteres Publikum zu wenden. Besonders lieb wurden uns überarbeitete junge Männer mit stressbedingter Impotenz. Wir blieben weiterhin Ziel der Wahl für den betuchten geriatrischen Raver aus dem Westen und erschlossen uns gleichzeitig eine konventionellere Kundschaft (meist nicht betuchte geriatrische Raver aus dem Westen), aber unsere Marktnische hatten wir verloren. Nun unterschieden wir uns kaum noch von all den anderen Bars und unterlagen wie sie den saisonalen Schwankungen und der Rezession im Westen. Plötzlich schrieben wir Verluste. Nong machte das am meisten zu schaffen, denn der Club war ihr ganzer Stolz, ihr Baby und offizieller Beweis, dass sie nicht nur eine außerordentlich erfolgreiche Nutte im Ruhestand, sondern auch eine international wettbewerbsfähige Geschäftsfrau des einundzwanzigsten Jahrhunderts war. Als Folge wurde sie bemerkenswert religiös, meditierte jeden Tag im örtlichen Wat und versprach dem liegenden Buddha von Wat Po zweitausend gekochte Eier und einen Schweinskopf, wenn er ihr Geschäft rette. Sogar Vikorn opferte ein paar Räucherstäbchen, und ich gelangte in meiner Meditation weiter als je zuvor. Ob dieser geballten mystischen Energie war ein Wunder unausweichlich.

Und dieses Wunder hieß Chanya. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als sie die Bar auf der Suche nach Arbeit betrat. Sie sprach fließend Englisch mit leichtem texanischem Akzent (aber mit einem so starken Thai-Einschlag, dass sie immer noch exotisch wirkte), weil sie beinahe zwei Jahre in den Staaten verbracht hatte, bevor die Ereignisse des elften September sie zur Rückkehr nach Hause zwangen. Nach den Anschlägen war es einfach nicht ratsam, sich mit falschem Pass in den USA aufzuhalten. Man musste in dem Geschäft aufgewachsen sein, um ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zu erkennen. Meine Mutter und ich sahen sie sofort, Vikorn brauchte ein bisschen länger. Bereits nach einer Woche kochten wir wie wahnsinnig Eier und brachten sie zusammen mit dem Schweinskopf zum Wat Po, wo die Mönche sie aßen oder den Armen schenkten. Doch lassen Sie mich das genauer erklären.

Als Erstes solltest du, Farang, dich von deiner naiven Vorstellung verabschieden, dass es sich bei unseren Mädchen um ausgebeutete Sexsklavinnen einer chauvinistischen, von Männern dominierten Kultur handelt. Glaub mir, eure Medien versuchen, euch in ihrer postindustriellen Verzweiflung einzureden, dass eure Kultur der unseren überlegen ist. (Soll das ein Witz sein? Ich weiß, wie es im tiefsten Sumpf von Slough, England, samstagnachts zugeht: Da liegen die Nerven blank.) Wir haben hier nur Mädchen vom Land, kräftig wie Wasserbüffel und wild wie Schwäne, die gar nicht fassen können, wie viel sich verdienen lässt, wenn sie höflichen, gutmütigen, mit schlechtem Gewissen beladenen, reichen, kondombewussten Farangs genau das geben, was sie sonst den groben, betrunkenen Schürzenjägern in ihrem Heimatdorf gratis gewähren müssten. Gutes Geschäft? Ich denke doch. (Sieh mich nicht so an, Farang. Du weißt letztlich ganz genau, dass der Kapitalismus uns alle zu Huren macht.) Die meisten Mädchen sind Alleinverdienerinnen und somit Matriarchinnen und erledigen alle Familiengeschäfte mittels Handy (im Allgemeinen in unserer Personaltoilette, während sie in die Dienstkleidung schlüpfen): Krankenpflege- und Mietkaufarrangements, Züchtigung von Übeltätern, Entscheidungen über Investitionen in Wasserbüffel, Ehen und Abtreibungen, religiöse Dienste, Empfehlungen für die Stimmabgabe bei regionalen und nationalen Wahlen.

Doch die Chemie spielt beim kommerziellen Sex mindestens eine genauso große Rolle wie beim freizeitlichen, und hier scheiden sich die Neben- von den Hauptdarstellern. Letztlich ist es kein Geheimnis: Der Superstar bestimmt diese Chemie. Jene Frau ist eine Meisterin des Tantra im Stringtanga, eine Oben-ohne-Hexerin, ein tanzender Derwisch mit erotischem Charisma. Sie versteht es, sich in eine Projektionsfläche für die unterschiedlichen Fantasien der Männer zu verwandeln, die sie verführt. Man möchte nicht glauben, wie viele meinen, endlich die Frau ihrer Träume gefunden zu haben, auf die sie schon ihr ganzes Leben warten und derer sie sich so sicher sind, dass sie sie vom Fleck weg heiraten würden, wenn sie nur einwilligte: die göttliche Chanya. Originalton von etwa fünfzig Prozent ihrer Kunden. Wir haben sogar einen Rausschmeißer engagiert (sein Spitzname lautet »Monitor«; tagsüber arbeitet er wie ich als Cop), um uns vor Männern zu schützen, denen Chanya das Herz gebrochen hat. Kurz: Chanya ist die Retterin unseres Clubs, und deshalb werden wir sie in ihrer Stunde der Not nicht im Stich lassen. Jedes Genie hat seine dunklen Seiten. In unserer pränuklearen Gesellschaft ist Loyalität noch wichtig, weswegen nicht einmal der listenreiche Colonel Vikorn zögerte, seine samstagnächtlichen Bangkoker Vergnügungen zu unterbrechen, als ihm klar wurde, dass unser Superstar in Gefahr schwebte. Und hier nun, was sich tatsächlich ereignete:

Er fiel mir sofort auf, als er zur Tür hereinkam. Wir haben im Moment bedauerlicherweise keine Mamasan, was bedeutet, dass ich als Teilhaber so lange Papasan spielen muss, bis meine anspruchsvolle Mutter sich für einen geeigneten Ersatz entscheidet. (Wie alle Ex-Nutten hat sie eine hartnäckige Abneigung gegen Mamasans und findet nie die richtige. Vermutlich sorgt sie so dafür, dass ich Papasan bleibe.)

Sein Gesicht habe ich schon beschrieben. Es sah nicht viel besser aus, als der Körper des Mannes noch beseelt war, und trug die unverkennbare Arroganz eines Bodybuilders. Die Mädchen hielten sich alle von ihm fern, sodass er, ganz allein an einem Ecktisch sitzend, immer wütender wurde, weil er merkte, wie die Girls älteren und weniger muskelbepackten Männern den Vorzug gaben. Er trank in Maßen (Budweiser-Bier, nicht Mekong-Whiskey, aber natürlich würde ich es nie wagen, die Genialität von Vikorns Beschreibung durch solche Lappalien in Zweifel zu ziehen). Nur ungern verschwendete ich Chanyas Begabung auf diesen Neandertaler; eigentlich sollte sie ihn mit ihrem Charme lediglich aus unserer Bar hinaus- und in eine andere hineinlocken. Chanya und ich, wir mögen und verstehen uns. Mit einem einzigen Blick machte ich ihr klar, was ich wollte. Zumindest (an dieser Stelle meiner Schilderung muss ich ganz genau werden) glaube ich, dass es mein Blick war, der sie an seinen Tisch trieb. Es dauerte kaum eine Minute, bis sein verkniffener kleiner Mund sich zu einer Art Lächeln verzog. Als sie ihre Hand lässig auf einen seiner steinharten Oberschenkel legte und sich vorbeugte, um an ihrem »Lady Drink« (einem Margarita mit einem Extraschuss Tequila) zu nippen, fixierte er ihre Brüste. Tja, hier war zu beobachten, wie wieder einmal ein stolzer Mann der Verdammnis entgegenging.

Er gehörte zu der Sorte, deren Libido nur mit einem Schuss Geheimnistuerei erwacht. Chanya merkte das sofort, und schon bald tuschelten sie, die Köpfe zusammengesteckt, begleitet von Eric Claptons »Beautiful Tonight« aus unserer Jukebox-Attrappe. Dieser unwiderstehlich romantische Song war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Hand des Bodybuilders fand ihren Weg auf Chanyas Oberschenkel. Ich blickte auf die Zeitanzeige des Faxgeräts: Nach kaum fünf Minuten schmolz unser Mann aus Stahl dahin – das war selbst für Chanya ein Rekord. Ich unterstützte sie, indem ich den Clapton-Song noch einmal spielte – oder wollte ich lediglich wissen, was eine solche Wiederholung bewirken würde? Winzige Tränen traten in die Winkel seiner abnorm blauen Augen, er musste schlucken, und von seinen hässlichen Lippen konnte ich noch aus einer Entfernung von fast zehn Metern die Worte »Ich bin so verdammt einsam« sowie ein unglaublich unbeholfenes »du siehst wunderschön aus heute Abend« ablesen.

»Danke«, antwortete Chanya mit züchtig niedergeschlagenem Blick.

In dem Moment betrat der Rosenverkäufer das Lokal. Man muss Idealismus und Mut dieses Mannes und seiner Kollegen, der Nuss- und Feuerzeughändler, bewundern. (Jede Bar toleriert sie, vorausgesetzt, sie halten sich im Hintergrund und bleiben nicht lange.) Gibt es größeren Optimismus als das Ansinnen, Freiern Rosen anzudrehen? Ich hatte noch nie erlebt, dass dieser rappeldürre Thai mittleren Alters mit einem von einem Tumor verunzierten Kiefer eine Blume verkauft hätte. Schüchtern winkte unser Mann aus Stahl ihn herüber, erwarb eine einzelne Rose, für die er viel zu viel zahlte, und reichte sie Chanya.

»Tja, und nun werd ich wohl die Auslösesumme zahlen müssen, stimmts?«

Chanya nahm die Rose mit einer Mischung aus gespielter Überraschung und Dankbarkeit entgegen (alle Mädchen beherrschen die Unterwürfige-Asiatinnen-Nummer auf Knopfdruck): »Wenn du möchtest.«

Nach – so das Faxgerät – exakt sieben Minuten war sie dabei, ihren Fang einzuholen. Er nahm einen Fünfhundert-Baht-Schein aus seiner Brieftasche und reichte ihn ihr. Sie legte die Handflächen zu einem anmutigen Wai zusammen und erhob sich, um mir die Auslöse von ihrem, wie ich mich jetzt erinnere, zweiten Kunden des Abends zu bringen. Der erste Freier war ein junger Mann, offenbar ohne allzu großes Stehvermögen, gewesen, aus dessen Hotel sie nach nur vierzig Minuten zurückkehrte.

Das einzig Ungewöhnliche an der Transaktion mit dem Mann aus Stahl war, dass Chanya mir nicht in die Augen sah, als sie mir das Geld reichte und ich ihr den Auslöseschein gab. In neun von zehn Fällen zwinkert oder grinst sie mir, mit dem Rücken zum Kunden stehend, in diesem Moment zu. Kurz darauf gingen die beiden hinaus. Es kam mir nicht in den Sinn, mir ihrer Sicherheit wegen Gedanken zu machen; sie hatte ihn ja offensichtlich bereits gezähmt – und außerdem war sie Chanya.

»So wars wirklich, mehr kann ich dazu nicht sagen«, erkläre ich Vikorn und meiner Mutter im Club. Laut Faxgerät ist es 3.13 Uhr morgens, aber keinem von uns steht der Sinn nach Schlaf.

»Sie hat dir bei der Geldübergabe nicht in die Augen geschaut? Das ist ungewöhnlich. Sie mag dich, sie sieht dir immer in die Augen und zwinkert. Ich glaub, sie steht auf dich.« Meiner Mutter entgeht so etwas natürlich nicht. Vikorn hat wieder auf Maigret-Modus geschaltet und befindet sich auf einer für uns unerreichbaren Ebene der detektivischen Ermittlung. Nong und ich warten gespannt auf seine Worte. Er reibt sich das Kinn.

»Heute Nacht können wir nichts mehr ausrichten. Morgen schicken wir ein Spurensicherungsteam hin, das soll Fotos machen – aber nichts zu Genaues. Sonchai wird sich um die Beseitigung der Leiche kümmern. Die Genehmigung für die sofortige Einäscherung bekommt er von – egal, ich finde schon jemanden. Den Pass lässt er verschwinden. Der Farang hat sich vermutlich in irgendeinem öden Kaff im Süden unerlaubt von der Truppe entfernt, wo er Ausschau nach Männern mit schwarzen Bärten und Bin-Laden-T-Shirts halten sollte, also stehen die Chancen gut, dass keiner weiß, wo er ist. Offenbar hat sie das Opium und die Pfeife von ihm, was auf einen Aufenthalt in Kambodscha hindeutet. Anscheinend war er nicht der hirnlose Bodybuilder, für den er sich ausgab. Immerhin besaß er genug Fantasie, um Opium zu probieren. Es kann Wochen dauern, bis seine Spur hierher verfolgt wird, aber antanzen werden sie mit ziemlicher Sicherheit. Ein echtes Risiko sehe ich nicht, solange wir uns bedeckt halten und Chanya einige Zeit untertaucht und was mit ihren Haaren machen lässt. Ich will nicht, dass sie sie befragen. Wir wissen ja nichts über ihre Jahre in Amerika.« An Nong gewandt: »Unterhalt du dich mal lieber von Frau zu Frau mit ihr und find raus, was sie wirklich denkt.« Dann zu mir: »Oder vielleicht solltest du das machen; ihr beide scheint euch gut zu verstehen. Versuch, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. Schließlich wollen wir nicht, dass sie dich auch entmannt.«

Meine Mutter lacht höflich über diesen geschmacklosen Witz – Vikorn ist nun mal der Hauptanteilseigner. Ich gehe hinaus auf die Straße, um ihm ein Taxi heranzuwinken, weil seine Limousine heute nicht noch einmal in dem Viertel gesehen werden soll. Alle Bars sind mittlerweile geschlossen, aber auf der Straße wimmelt es nun von Garküchen, die die Luft jede Nacht nach der Sperrstunde um zwei Uhr früh mit köstlichen Essensdüften erfüllen und an denen tausend hungrige Nutten die Neuigkeiten der letzten Stunden austauschen. Das hat etwas Friedliches, und ich liebe diese Zeit trotz meiner ernsthaften religiösen Bedenken gegen meinen vom Buddha ausdrücklich untersagten Geldverdienst mit Frauen. Manchmal resultieren unsere Sünden aus unserem Karma: Der Buddha stößt uns so lange mit der Nase auf unsere Fehler, bis wir sie satthaben und lieber sterben, als noch einmal diesen Pfad zu wählen. (Aber warum fühle ich mich dann so gut? Warum ist die ganze Straße in Feierstimmung? Haben sich die Regeln geändert? Ist die Monogamie ähnlich dem Kommunismus ein gescheitertes Experiment?)

Ob man’s glaubt oder nicht: Ich gebe von dem Geld nichts aus. Vikorns Buchhalter überweist meinen bescheidenen Zehn-Prozent-Anteil am Gewinn vierteljährlich auf mein Konto bei der Thai Farmer’s Bank, und ich lasse ihn dort und lebe lieber von meinem Polizistengehalt in meinem Wohnloch am Fluss, wenn ich nicht gerade im Club übernachte. Offen gestanden, habe ich dem Buddha versprochen, etwas Nützliches damit anzufangen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Findest du das jämmerlich, Farang? Ich schon, aber ich kann nichts dagegen tun. Mein Versuch, für ein Paar fantastischer Baker-Benjes-Schuhe, die im Emporium heruntergesetzt waren auf läppische fünfhundert Dollar, etwas Geld von meinem Konto abzuheben, wurde von einer mystischen Kraft sabotiert.

Nachdem ich meinem Colonel ins Taxi geholfen habe, schlendere ich die nun vollkommen Farang-freie Straße hinunter. Manche der Stände werden von elektrischem Licht erhellt, das von illegalen Zuleitungen zu den illegalen, unsere Hauswände wie Efeu überwuchernden Kabeln stammt, aber die meisten verwenden zischende Gasbeleuchtung. Ich entdecke viele schöne, vertraute Gesichter in diesem Chiaroscuro. Die Mädchen haben nach der Arbeit einen Bärenhunger. Zwischen den Garküchen ist die Minimalausrüstung der Weissager aufgebaut: ein Tisch und zwei Stühle bei den wohlhabenderen, ein Tuch auf dem Boden beim Rest.

Jedes Aufdecken der Tarotkarten bricht ein Frauenherz oder bringt es zum Jubeln: Ehe, Gesundheit, Geld, Kinder, eine Auslandsreise mit einem vielversprechenden Farang? Seit meiner Kindheit hat sich nichts verändert. Die festliche Atmosphäre verstärkt sich durch den traurigen Thai-Gesang eines Blinden, der, die eine Hand ums Mikrofon, die andere auf der Schulter seines Begleiters mit einem Verstärker auf dem Rücken, die Straße entlangmarschiert. Ich werfe einen Hundert-Baht-Schein in seine Sammelbüchse, und beim Gedanken an Chanya, die jetzt Glück gebrauchen kann, noch einmal einen Tausender.

Alle kennen mich: »Sonchai, wie gehen die Geschäfte?«, »Hallo, Sonchai, hast du Arbeit für mich?«, »Papa Sonchai, mein geliebter Papasan« – in freundlich spöttischem Ton. »Wann tanzt du wieder für uns, Detective?«

Ich bin sehr froh, dass Vikorn Chanya vor der undifferenzierten Rechtsprechung Amerikas bewahrt hat, die im Fall der Auslieferung niemals ihre Jugend und Schönheit, den berufsbedingten Stress oder die Hässlichkeit ihres Opfers berücksichtigen würde. Und Nachsicht könnte sie sich auch nicht erkaufen wie in unserem flexibleren System. Vikorns Bemerkung, wir wüssten nichts über ihre Zeit in Amerika, ist ein klarer Beweis für seinen überlegenen Geist, vielleicht auch seine Paranoia, das Berufsrisiko eines jeden Gangsters seines Kalibers. Ich hingegen habe nie einen Gedanken auf ihre Zeit in Übersee verschwendet. Hat sie dort nicht in einem Massagesalon gearbeitet wie alle anderen?

Urplötzlich erlebe ich eine dramatische Verlangsamung meiner Gedanken, ein Versickern meiner Energie nach lang andauernder Anspannung. Ich bin völlig ausgepowert, kurz vor dem Umkippen, also kehre ich zum Club zurück und gehe in den ersten Stock hinauf, um mich hinzulegen. Es ist jetzt 05.08 Uhr, und die ersten Boten künden von der Morgendämmerung: der Ruf des Muezzin von einer nahe gelegenen Moschee, Vogelgezwitscher, eine schlaflose Zikade, mattes Licht im Osten.

Wir Thais haben unser eigenes Rezept gegen emotionale Erschöpfung: nicht Tabletten, Alkohol, Drogen oder Therapie – wir hauen uns einfach in die Falle. Klingt simpel und funktioniert. Immer wieder wird in Umfragen festgestellt, dass Schlaf unser Lieblingshobby ist. (Wir wissen, dass uns auf der anderen Seite etwas Besseres erwartet als hier.)

Es stellt sich jedoch heraus, dass der Mitch-Turner-Fall mich auf einer tieferen Ebene berührt hat, denn im Schlaf besucht mich Pichai, mein toter Partner und Bruder im Geist, oder besser gesagt: Ich besuche ihn. Er sitzt in einem Kreis meditierender Mönche mit honigfarbener Aura und möchte nicht gestört werden. Als ich ihm keine Ruhe lasse, taucht er ganz langsam aus seiner göttlichen Trance auf. »Hilfst du mir?«, frage ich ihn. »Such nach Don Buri«, antwortet Pichai und kehrt in die Gruppe zurück.

Ich erwache zutiefst verwirrt, denn Buri ist das Thai-Wort für Zigarette. Und Don, denke ich, heißt »Herr« auf Spanisch. Tja, das ist der rätselhafte Pichai, wie ich ihn kenne. Ich werde mich wohl auf konventionellere Quellen verlassen müssen. Trotzdem geht mir eine Frage nicht aus dem Kopf: Wer zum Teufel ist Don Buri?

4

Als ich schließlich aufstehe, ist es früher Abend, und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Lek vernachlässige.

Lek ist mein neuer Assistent, von Vikorn höchstpersönlich zugewiesen. Er genießt seit mehr als einem Monat meine Ausbildung, eine Aufgabe, die ich ernst zu nehmen versuche. Nong jedoch sieht ihn eher als Familiensklaven und besteht darauf, dass ich ihm die Haushaltsführung beibringe. Ich bemühe mich, ein Gleichgewicht zu finden, ohne mich ihr zu widersetzen (es gibt gewisse Gründe, warum er es sich nicht mit ihr verderben darf), und weise ihn über Handy an, mich vom Club abzuholen.

Halb sieben, und die Rushhour lähmt noch immer das Alltagsleben. Lek und ich lauschen auf dem Rücksitz des Taxis dem vom Fahrer eingestellten Sender FM97, den wir Bangkoker Rod Tit FM (Verkehrsstau FM) nennen. Im gesamten Stadtgebiet nehmen in ihrem Wagen festsitzende Leute per Handy live an Pisits Radio-Show teil. Thema dieses Abends ist das skandalöse Verhalten dreier junger Polizisten, die drei jungen Frauen den Sachverhalt der Prostitution nachwiesen, indem sie für Geld mit ihnen schliefen. »Wer braucht bei solchen Cops noch Kriminelle? Rufen Sie an unter soon nung nung soon soon nung nung soon soon.« Anrufer melden sich, die meisten in ziemlich alberner Stimmung. Der achtzehnjährige Lek jedoch, der die Polizeischule erst vor drei Monaten abgeschlossen hat, rümpft die Nase.

»Haben Sie schon mit Ihrer Mutter gesprochen?« Er macht sich klein, sodass er mit seinen haselnussbraunen Augen in dem zart geschnittenen, blumengleichen Gesicht höchst anmutig zu mir aufschaut. Unsere feudale Gesellschaft spiegelt sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich bin nicht nur sein Vorgesetzter, sondern auch sein Herr und Meister, und sein Schicksal liegt in meinen Händen. Er braucht meine Liebe.

»Gib mir Zeit«, sage ich. »Frauen muss man in der richtigen Stimmung erwischen. Besonders Nong.«

»Werden Sie mit Colonel Vikorn sprechen?«

»Keine Ahnung. Das werde ich ad hoc entscheiden.« Ich sage dem Taxifahrer, dass er uns Ecke Soi 4/Sukhumvit Road herauslassen soll.

Vor kaum fünf oder zehn Jahren verkaufte in jeder Soi der Sukhumvit Road noch mindestens ein Stand geröstete Heuschrecken, doch aufgrund der unerbittlichen Bombardierung unserer Kultur durch die eure, Farang, wurde uns diese kleine Schwäche immer peinlicher, sodass – zumindest in Krung Thep – die Insektenzubereitung in den Untergrund abtauchen musste. Zur gleichen Zeit jedoch entdeckten Avantgarde-Farangs diesen exotischen Aspekt unserer Küche, und heutzutage ist der einzige Ort, an dem man gebratene Heuschrecken bekommt, die Farang-dominierte Nana Plaza.

Wir treffen dort ein, als in den Go-go-Bars gerade das Hauptgeschäft beginnt. »Na, Hübscher, soll ich dich begleiten?«, ruft mir ein Mädchen mit schwarzem Top aus einer Bierkneipe zu, aber Lek ist eindeutig die größere Attraktion von uns beiden. Weder die Mädchen noch die Katoys (die Transsexuellen, zu deiner Information, Farang) können den Blick von ihm lösen, als wir uns einen Weg zwischen mächtigen weißen Körpern in verschwitzten T-Shirts und Shorts bahnen. Die Farangs sind eher trunken von den sexuellen Angeboten, die sich ihnen hier eröffnen, als vom Alkohol, obwohl sie alle eiskaltes Bier aus der Flasche trinken. Heute Abend läuft auf den ungefähr fünfhundert Fernsehmonitoren der Gegend ein Tennismatch der French Open zwischen unserem bewunderten Paradorn und irgendeinem Nobody, allerdings ohne Kommentar, denn aus den etwa zehntausend Lautsprechern dröhnt wie üblich eine Kombination aus Thai-Pop und Robbie Williams.

Nach einer Weile erreichen wir das Ende der von Katoys beherrschten Plaza, die bei Leks Anblick einen wässrigen Mund bekommen. Gegen das eherne Gesetz der Authentizität verstoßend, hat ein Standinhaber an der Rückseite der Plaza seine Produkte in Englisch ausgezeichnet: Wasserflöhe, Seidenraupen, Grillen, Ameisen, getrocknete Frösche, Skorpione, Heuschrecken. Ich kaufe Heuschrecken für mich und Wasserflöhe, Seidenraupen, Ameisenmischung und getrocknete Frösche für meine Mutter. Während der Budenbesitzer alles in einen Papiertrichter füllt, verfolgen Lek und ich ein Ritual, älter als der Buddhismus. Junge Frauen in kurzen Rüschenkleidchen – ihre Bar hat sich auf Schulmädchenfantasien spezialisiert – stehen mit gespreizten Beinen hintereinander, während das Girl am vorderen Ende der Reihe mit einem großen Holzphallus kunstvoll Linien auf den Boden zeichnet. Sobald der Gott des Glücks solchermaßen beschworen ist, lässt die junge Frau den Phallus zwischen den Füßen der Mädchen hindurch über den Boden schlittern und klopft laut und vernehmlich an die Tür des Clubs. Dann richtet sie sich mit zufriedenem Gesichtsausdruck auf (wenn das die Kunden nicht anlockt, weiß ich auch kein Rezept) und betritt den anderen voran die Bar und das einundzwanzigste Jahrhundert.

In unserem Club sorge ich dafür, dass Lek meiner Mutter, die die Tür für Besucher noch nicht geöffnet hat, weil sie zuerst etwas essen möchte, die Tüte mit dem Imbiss reicht. Wir setzen uns alle zu einem gemeinsamen – wie ich vermute – Frühstück, und zwanzig Minuten lang herrscht bis auf das Knacken und schmatzende Aussaugen von Heuschreckenbeinen Stille. Als ich fertig bin, lasse ich Lek allein bei meiner Mutter zurück und gehe mit der letzten Portion Heuschrecken die Treppe hinauf.

Chanya wirkt nach ihrem langen Schlummer wunderbar erholt und thront, nur mit einem übergroßen T-Shirt bekleidet, im halben Lotussitz mit dem Rücken zur Wand auf dem Bett. Ich halte ihr die offene Tüte hin, und sie fischt sich ein besonders fettes Insekt heraus. Dann bedenkt sie mich mit einem kumpelhaften Lächeln, bei dem nur die Reste eines haarigen Beins in ihrem Mundwinkel stören. Abgesehen von ihrem ein wenig nervösen Blick, entdecke ich, als ich ihr ihre Aussage reiche, keine Hinweise auf das Gemetzel in ihrem Gesicht. (Der Vorteil einer Kultur der Scham im Vergleich zu einer der Schuld liegt darin, dass man sich erst dann schlecht zu fühlen beginnt, wenn die Kacke wirklich am Dampfen ist.)

Nachdem sie den Text aufmerksam gelesen hat, hebt sie den Blick. »Hast du das geschrieben? Das ist deine Handschrift.«

»Der Colonel hats mir diktiert.«

»Colonel Vikorn? Der Mann ist ein Genie. Genau so ists passiert.«

»Tatsächlich?«

»Die Aussage stimmt bis ins letzte Detail, bloß dass er Budweiser, nicht Mekong-Whiskey getrunken hat.«

»Das ist nebensächlich. Es lohnt sich nicht, daran was zu ändern. Die Sache mit dem Mekong bestätige ich, falls jemand fragt. Ich stand ja hinter der Bar.«

Wieder dieses stahlschmelzende Lächeln: »Dann ist ja alles in Ordnung.«

Ich räuspere mich und versuche, ihre lange schwarze Mähne nicht allzu traurig zu betrachten. »Eins wäre da allerdings noch – du wirst dir die Haare schneiden und eine Weile verschwinden müssen. Leg dir ein paar Monate lang eine andere Identität zu, bis wir wissen, woher der Wind weht.«

Ein Achselzucken und ein Lächeln. »Wenn der Colonel meint.«

»Du kannst hier wieder anfangen, sobald es geht. Aber zuerst müssen wir herausfinden, was die Amerikaner machen, wenn sie merken, dass der Typ tot ist. Wir wissen ja noch nicht, wie wichtig er für sie war. Du verstehst doch das Problem, oder?«

»Natürlich. Wahrscheinlich schneide ich mir die Haare ganz ab – ich wollte immer schon mal im Kloster meditieren. Vielleicht mache ich einen Kurs irgendwo oben im Norden.«

»Wunderbar«, sage ich, obwohl der Gedanke, dass sie bald keine Haare mehr haben wird, mich fast zum Weinen bringt. Nun folgt kurzes, verlegenes Schweigen. »Chanya, wenn du nicht möchtest, musst du mir das nicht sagen, aber falls du drüben in den Staaten irgendwas angestellt hast, worüber wir Bescheid wissen sollten …«