Der Jadereiter - John Burdett - E-Book
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Der Jadereiter E-Book

John Burdett

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Beschreibung

Im brodelnden Bangkok ist der Polizist Sonchai auf der Jagd nach den Mördern von William Bradley, einem skrupellosen amerikanischen Jadehändler. Der Fall wird persönlich, denn bei der Bergung des Toten kommt auch Sonchais Partner ums Leben – aus dem Wagen des Amerikaners kriechen etliche Giftschlangen hervor. Sonchai ist Buddhist, er sieht auch Kräfte am Werk, die unter der oberflächlichen Welt wirken. Seine Jagd nach den Tätern gerät zu einer Reise in verborgene Bezirke: in die eigene Vergangenheit, in die Unterwelt Bangkoks, in die Bordelle des berüchtigten achten Bezirks bis hinein in die Vorzimmer der amerikanischen Botschaft.

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Seitenzahl: 577

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Über dieses Buch

Im brodelnden Bangkok jagt der buddhistische Polizist Sonchai die Mörder von William Bradley, einem skrupellosen amerikanischen Jadehändler. Die Suche gerät zu einer Reise in die eigene Vergangenheit, in die Unterwelt Bangkoks, in die Bordelle des berüchtigten achten Bezirks bis hinein in die Vorzimmer der amerikanischen Botschaft.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

John Burdett (*1951 in London) arbeitete vierzehn Jahre als Anwalt in Hongkong und London, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er ist der Schöpfer der in und um Bangkok angesiedelten Krimireihe mit dem Ermittler Sonchai Jitpleecheep. Er lebt in Bangkok und in Frankreich.

Zur Webseite von John Burdett.

Sonja Hauser ist als Übersetzerin aus dem Englischen tätig. Sie übersetzt u. a. die Werke von Lucinda Riley, Emily Hauser, Sujata Massey und E. L. James.

Zur Webseite von Sonja Hauser.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

John Burdett

Der Jadereiter

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sonja Hauser

Jitpleecheep ermittelt in Bangkok (1)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Die deutsche Erstausgabe erschien 2004 im Piper Verlag, München.

Originaltitel: Bangkok 8

© by John Burdett 2003

© der deutschen Übersetzung: Piper Verlag GmbH, München 2004

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Tiger - Bhanupong Chooarun (Shutterstock); Karte Bangkok - nestign (Alamy)

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31074-2

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 26.06.2024, 12:41h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DER JADEREITER

1 – Der schwarze Marine in dem grauen Mercedes wird …2 – Die Hochstraße ist der einzige Verkehrsweg der Stadt …3 – Jetzt fällt mir wieder ein, wofür die Dao …4 – Nach dem Mord an dem Yaa-baa-Händler arrangierten unsere …5 – Nachdem ich Pichai mit meiner Jacke zugedeckt hatte …6 – Beim Warten fällt mir ein, dass die diplomatische …7 – Jetzt stehe ich im Büro des Rechtsberaters des …8 – Ich sage dem Jungen auf dem Motorrad …9 – Wie viele Leute benutze ich den Sky Train …10 – In meinem Zimmer trifft mich die Verzweiflung wie …11 – Fragen Sie mich nicht, wann mir das Offensichtliche …12 – Sie kamen aus dem Norden und dem Süden …13 – Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass das …14 – Zu meiner Überraschung handelt es sich bei Bradleys …15 – Durch die Lamellen an den Fensterläden (Glasscheiben gibt …16 – Der Mercedes ist von der Dao Phrya Bridge …17 – Ein Polizeirevier in der Dritten Welt, soll heißen …18 – Der Colonel entscheidet sich heute für einen alten …19 – Was bin ich – ein Vollidiot?« Der Colonel …20 – Er ist männlichen Geschlechts, fast drei Meter groß …21 – Fritz von Staffen war anders, das muss ich …22 – Die FBI-Frau hat eine gute Figur, blaue Augen …23 – Eine willkürliche Erinnerung: eine unter Naturschutz stehende Insel …24 – Sobald Nong verschwunden ist, betritt die FBI-Frau stirnrunzelnd …25 – Internet und Revierklatsch halfen Pichai und mir …26 – Nong sitzt neben mir, als die Krankenschwester meinen …27 – In Kats bescheidenem Heim riecht es nach Sandelholzräucherstäbchen …28 – Ich war einundzwanzig und bereits Cop, als ich …29 – Jeder aus meiner Zunft wird Ihnen sagen können …30 – Ich bin spät dran zu dem Treffen …31 – Die Tageszeitung Matichon berichtet über eine ungewöhnlich hohe …32 – Auf dem Weg zum Lumpini-Stadion fühle ich mich …33 – Bill war ganz anders als ich. Wir hatten …34 – Diesen Morgen wache ich früh auf und verbringe …35 – Den Walkman auf dem Kopf, liege ich auf …36 – Cops, die keine Bestechungsgelder annehmen, müssen sich anders …37 – Noch kennt niemand das volle Potenzial von Viagra« …38 – Wie vermutet, sind wir auf dem Weg zum …39 – Der Colonel, eine Cyberjungfrau der reinsten Sorte (Maus …40 – Inzwischen sind wir so daran gewöhnt, zusammen auf …41 – Es ist ein offenes Geheimnis, wie das Charmabutra …42 – Ein paar Scheine für die Dame an der …43 – Trotz ihres perfekten Äußeren glaube ich, die ersten …44 – Gestern hat meine Mutter einen Boten mit Mustern …45 – Gefängnisverwaltung und Einwanderungsbehörde schirmen den Ausländer gemeinsam ab …46 – Gestern Abend hat die FBI-Frau mich zum Essen …47 – Professor Beckendorf wird im letzten Absatz von Kapitel …48 – Während wir versuchen, den Sinn meines Abenteuers in …49 – Klopfen an meiner dünnen Tür. Jemand ruft meinen …50 – Die Frage lautet nicht so sehr »Wer wars?« …51 – Warten ist nur für den schwierig, der der …52 — Zwei Monate späterAnmerkung des AutorsDank

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Für Sofia

Wie alle Babylonier bin ich Prokonsul gewesen; wie alle Sklave; auch habe ich die Allmacht, die Schande, die Kerker kennengelernt. Seht: An meiner rechten Hand fehlt der Zeigefinger.

Jorge Luis Borges, Die Lotterie in Babylon

Auf der ganzen Welt gibt es niemanden, der sie nichtwillkommen heißt wie die Vernunft.

Konfuzius über die Jade

1

Der schwarze Marine in dem grauen Mercedes wird bald am Biss der Naja siamensis sterben, aber das wissen wir, Pichai und ich, noch nicht (die Zukunft ist unergründlich, sagt Buddha). Wir befinden uns einen Wagen hinter ihm an der Mautstelle der Schnellstraße zwischen Flughafen und City; näher sind wir seit mehr als drei Stunden kein einziges Mal an ihn herangekommen. Ich sehe voller Bewunderung, wie er seine riesige schwarze Hand mit dem schweren Siegelring am Zeigefinger aus dem Fenster streckt, einen Hundert-Baht-Schein zwischen dem kleinen Finger und dem, den unsere Wahrsager als den Finger der Sonne bezeichnen. Eine Frau mit Mundschutz nimmt den Schein, reicht ihm das Wechselgeld aus dem Glashäuschen und nickt zur Antwort auf etwas, das er zu ihr sagt, wahrscheinlich in sehr schlechtem Thai. Ich erkläre Pichai, dass nur eine bestimmte Sorte amerikanischer Farang sich mit dem Personal der Mautstelle unterhalten würde. Pichai sinkt grunzend tiefer in seinen Sitz, um ein Nickerchen zu machen. Zahllose Studien belegen, dass der Schlaf das Lieblingshobby meines Volkes ist.

»Er hat ein Mädchen im Wagen«, murmle ich beiläufig, als wäre das kein klarer Beweis unserer Inkompetenz. Pichai öffnet zuerst das eine, dann das andere Auge, taucht wieder auf und reckt den Kopf, gerade als der Mercedes davonprescht wie ein Vollblutpferd.

»’ne Nutte?«

»Haare mit grünen und orangefarbenen Strähnchen, Afrolook. Schwarzes Top mit Spaghettiträgern. Sehr dunkle Haut.«

»Ich wette, du weißt, welches Label das schwarze Top ist.«

»Ja, ein Armani-Imitat. Wenigstens war Armani der Erste, der so was entworfen hat. Inzwischen gibts jede Menge Nachahmer.«

Pichai schüttelt den Kopf. »Du hast wirklich Ahnung von Mode. Wahrscheinlich ist sie am Flughafen zugestiegen, als wir ihn die halbe Stunde aus den Augen verloren haben.«

Ich erwidere nichts, als Pichai, mein Bruder im Geiste und Partner in der Trägheit, wieder eindöst. Vielleicht schläft er gar nicht, sondern meditiert. Er gehört zu den Menschen, die der Welt müde sind. Das hat ihn dazu gebracht, sich ordinieren zu lassen, und ich bin derjenige, der ihm zusammen mit seiner Mutter Kopf und Augenbrauen rasieren soll, wenn er stirbt – eine Ehre, die es uns erlaubt, uns im Augenblick des Todes an seine safranfarbene Kutte zu klammern und gemeinsam mit ihm zu einem der Buddhahimmel zu fliegen. Sie sehen schon, wie tief verwurzelt die Kumpanei in unserer alten Kultur ist.

Die Kopf- und Schulterpartie des schwarzen Marine übt eine fast schon hypnotische Faszination auf mich aus. Am Anfang unserer Observation habe ich ihn an einer Tankstelle aus dem Wagen steigen sehen: Dieser Riese mit dem vollkommenen Körper hält mich schon seit drei Stunden in seinem Bann. Er ist so etwas wie ein schwarzer Buddha, der Inbegriff der Perfektion, von dem wir anderen nur ein Abklatsch mit hässlichen Mängeln sind. Die Nutte wirkt neben ihm beinahe zerbrechlich, als könnte er sie wie eine Traube am Gaumen zerquetschen – und sie wäre ihm auf ewig dankbar für dieses Gefühl der Ekstase (Sie merken schon, ich bin nicht zum Mönch geschaffen).

Als ich unseren altersschwachen Toyota endlich zu der Mautstelle gelenkt habe, ist er mit seinem brandneuen Garuda schon in weiß Gott welches himmlische Lotterbett entflohen.

Ich sage zu meinem geliebten Pichai: »Wir haben ihn verloren«, doch auch Pichai ist entflohen, hat seinen Körper verlassen, der auf dem Sitz neben mir schnarcht.

Die Naja siamensis ist die prächtigste unserer Speikobras und könnte wegen ihrer Schönheit, ihres Charmes, ihrer Schläue und ihres tödlichen Bisses gut und gern unser Landessymbol sein. Das Wort naja stammt aus dem Sanskrit und ist ein Verweis auf den großen Naja-Erdgeist, der unseren Lord Buddha während eines schrecklichen Sturms beim Meditieren in einem Wald schützte.

2

Die Hochstraße ist der einzige Verkehrsweg der Stadt, auf dem ein Mercedes-E-Modell einen Toyota Echo abhängen kann, und ich fahre ohne Hoffnung und Hast (sie kommt von Dämonen, die Langsamkeit von Buddha), sozusagen pro forma, weiter. Ich komme mir fehl am Platz vor inmitten all der teuren Gefährte, deren Besitzer sich die Maut leisten können: Mercedesse und BMWs, japanische Geländewagen sowie jede Menge Taxis mit Farangs im Fond. Wir huschen an den Bordell-Hotels des Nana-Viertels vorbei, bevor ich über eine Ausfahrt im Urschleim des stockenden Verkehrs da unten versinke.

Nirgendwo sind die Staus besser als bei uns. An der Kreuzung Sukhumvit Road/Soi 4 geht nichts mehr. In der Mitte befindet sich ein Wachhäuschen für die Verkehrspolizisten, deren Aufgabe es ist, sich um das Problem zu kümmern, aber wie sollen zwei unterbezahlte Cops eine Million Autos, so dicht aneinandergepackt wie Mangos zum Export, bewegen? Die Polizisten dösen in ihrem Häuschen vor sich hin, und die Fahrer haben irgendwann aufgehört, auf die Hupe zu drücken. Es ist zu heiß und schwül zum Hupen. Ich entdecke unsere Pistolen und Holster zu Pichais Füßen, daneben das Funkgerät und die Sirene, die wir aufs Dach klemmen können, wenns endlich losgeht. Ich stoße Pichai in die Seite.

»Sag ihm lieber, dass wir ihn verloren haben.«

Pichai besitzt bereits die mönchische Fähigkeit, auch während des Schlafs zu hören und zu begreifen. Ächzend fährt er sich mit der Hand durch seine irgendwann zur Rasur verdammten rabenschwarzen Locken, um die ich ihn schon so lange beneide, und bückt sich, um das koreanische Kurzwellenfunkgerät aufzuheben. Rauschen, dann die wenig überraschende Auskunft, dass Police Colonel Vikorn, Chef von District 8, im Augenblick nicht aufzufinden ist.

»Versuchs übers Handy.«

Pichai holt sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählt die gespeicherte Nummer. Er unterhält sich so höflich mit unserem Colonel, dass sich das in moderner Sprache nicht wiedergeben lässt (am ehesten entspricht seiner Anrede wohl so etwas wie »gnädiger Herr«), dann lauscht er einen Moment und steckt das Nokia zurück in die Tasche. »Er wird sich mit der Verkehrspolizei in Verbindung setzen. Wenn der schwarze Farang irgendwo auftaucht, melden sie sich über Funk.« Ich schalte die Klimaanlage höher, stelle die Rückenlehne des Sitzes nach hinten und versuche zu meditieren, wie ich es vor vielen Jahren als Teenager gelernt und seitdem immer wieder praktiziert habe. Der Trick besteht darin, die Gedanken durchs Gehirn sausen zu lassen, ohne sie zu packen. Jeder Gedanke hakt sich fest, und wenn es uns gelingt, diesen Haken auszuweichen, schaffen wir es vielleicht, in ein oder zwei Leben das Nirwana zu erlangen, statt wieder im endlosen Leiden der Reinkarnation zu landen. Meine Meditation wird durch neuerliches Rauschen aus dem Funkgerät unterbrochen (was ich vor dem Auftauchen wahrnehme, ist Rauschen, Rauschen, Rauschen). Schwarzer Farang in grauem Mercedes auf der Ausfahrt unter der Dao Phrya Bridge aufgehalten. Pichai setzt sich mit dem Colonel in Verbindung, der uns erlaubt, die Sirene zu benutzen.

Ich warte, während Pichai aussteigt und die Sirene aufs Dach klemmt, die nun mit Blaulicht heult, aber keinerlei Wirkung auf den Stau hat. Pichai geht zu dem Wachhäuschen hinüber, in dem die Verkehrspolizisten dösen. Unterwegs schnallt er sein Holster um und holt seinen Polizeiausweis aus der Tasche. Er ist auf dem Pfad schon viel weiter als ich, und so lässt er sich seinen Ekel darüber, in diesem Schmutz mit dem Namen Erde gefangen zu sein, nicht anmerken. Er möchte Denken und Gefühle der anderen nicht vergiften. Doch als er das Wachhäuschen erreicht, schlägt er ziemlich heftig mit der flachen Hand gegen das Glas und brüllt die Cops dahinter an, dass sie verdammt noch mal aufwachen sollen. Lächeln und eine höfliche Diskussion, bevor die Jungs in Eselsbraun (in bestimmtem Licht kann die Uniform auch flaschengrün wirken) herauskommen, um sich um das Problem zu kümmern. Als sie an meinen Wagen herantreten, mustern sie mich genauso verdutzt wie alle, die mich zum ersten Mal sehen. Der Vietnamkrieg hat viele Mischlinge in Krung Thep hinterlassen, aber nur wenige von uns wurden Cops.

Jeder im Stau hat ein paar Zentimeter Manövrierspielraum; unsere Kollegen beweisen beachtliches Geschick, ihn zu nutzen und Platz zu schaffen. Schon bald bin ich in der Lage, den Wagen auf den Gehsteig zu lenken, wo die Sirene die Fußgänger erschreckt. Pichai grinst. Ich habe das Autofahren in jener Zeit gelernt, als wir noch zusammen Drogen nahmen und Autos stahlen, eine goldene Zeit, die jäh endete, als Pichai unseren Yaa-baa-Händler ermordete und wir Zuflucht suchen mussten in den Drei Juwelen, dem Buddha, dem Dharma und dem Sangha. Die Sache mit dem Yaa baa werde ich später noch erklären.

Während ich schleudernd und schlingernd Garküchen, Nutten und entgegenkommendem Verkehr ausweiche, versuche ich mich zu erinnern, wofür die Dao Phrya Bridge bekannt ist. Woher kenne ich sie?

Wir sind sehr glücklich. Sabai bedeutet »sich gut fühlen« und sanuk »Spaß haben«. Beides trifft auf uns zu, als wir mit mörderischer Geschwindigkeit in Richtung Brücke rasen. Pichai bittet dabei in Pali-Singsang, der uralten Sprache des Gautama Buddha, nicht nur um Schutz vor Unfällen, sondern auch darum, dass wir nicht versehentlich jemanden umbringen, der es nicht verdient – in dieser Hinsicht ist Pichai pingelig.

Krung Thep bedeutet »Stadt der Engel«, aber wir sind auch mit »Bangkok« zufrieden, wenn uns das hilft, einem Farang das Geld abzuknöpfen.

3

Jetzt fällt mir wieder ein, wofür die Dao Phrya Bridge bekannt ist.

»Squatter – illegale Siedler, ein ganzes Dorf mit Brennerei. Die sind schon seit mehr als zwanzig Jahren da, alles Karen, ein Stamm aus dem Nordwesten. Glücksspiel und Whisky sind ihre Haupteinnahmequellen; dazu kommen Prostitution, Betteln und Diebereien.« 

»Die zahlen sicher Schutzgelder. In welchem District ist die Brücke?«

Ich zucke mit den Achseln. »Im vierzehnten oder fünfzehnten, denke ich.«

»Der fünfzehnte untersteht Suvit, dem Schwein.«

Ich nicke. »Er wird als Laus im Anus eines Hundes wiedergeboren werden.«

»Aber erst nach zweiundachtzigtausend Jahren als hungriger Geist.«

»Zweiundachtzigtausend?«

»Ja, das ist die übliche Strafe für Leute wie ihn.«

Ich runzle die Stirn. In puncto Meditation ist Pichai mir weit überlegen, aber seine Kenntnis der buddhistischen Schriften lässt zu wünschen übrig.

Der graue Mercedes ist von der Brücke aus zu sehen, was mich überrascht. Seit die Verkehrspolizei uns gemeldet hat, wo der Wagen – vermutlich von einem Squatter – entdeckt wurde, sind mehr als zwei Stunden vergangen. Warum würde ein Squatter die Polizei informieren?

Wie so viele Dinge in meinem Land verläuft die Straße von der Brücke zum Flussufer ohne erkennbaren Sinn im Sande. Sie ist einfach nur da, genau wie wir. Ich bringe den Wagen auf dem Kies, der den Asphalt unvermittelt ablöst, zum Stehen, etwa dreißig Meter von dem mit Männern, Frauen und Kindern umringten Mercedes entfernt. Sie sind abgerissen, gehen gebeugt und nehmen unwillkürlich die demütige Haltung der Armen in Gegenwart von Cops ein. Manche von ihnen haben die verklebten Augen und den schiefen Mund von Alkoholikern. Wir werden nie erfahren, wer bei der Polizei angerufen hat. Sie werden uns nichts sagen. Sie gehören demselben Volk an wie ich.

Pichai steigt als Erster aus dem Wagen. Er hat die Waffe immer noch umgeschnallt, die jetzt auf seiner linken Pobacke ruht. Ich lege das Holster ebenfalls an, während wir über den Kies auf die Leute zumarschieren, die den Weg für uns frei machen.

»Was ist passiert? Was glotzt ihr so?« Kein Murmeln, nicht einmal ein Nicken; nur eine barfüßige Alkoholikerin mit zerrissenem T-Shirt und Sarong hebt den Kopf, schaut in Richtung Brücke und stößt ein Heulen aus. Gleichzeitig grunzt Pichai, wie ein mutiger Mann grunzt, wenn ein anderer aufschreien würde. Er weicht von dem Wagen zurück, damit ich besser sehen kann. Ich grunze ebenfalls, doch bei mir ist das der Versuch, meine Angst zu dämpfen. Ich blicke Pichai an, weil er der bessere Schütze von uns beiden ist. Pichai sagt: »Schau dir die Tür an.«

Bei dem fünftürigen Mercedes handelt es sich um ein Hecktürmodell. Jemand hat die Vorder- und Hintertür auf der Fahrerseite mit einer C-förmigen Stahlklammer, wie sie im Baugewerbe verwendet wird, verriegelt. Selbst ein Kind könnte das Fenster von innen herunterkurbeln, das Ding entfernen und aus dem Wagen aussteigen, aber dazu brauchte man Zeit, Zeit, um herauszufinden, was die Türen blockiert, Zeit, um das Fenster zu öffnen. Außerdem wäre ein klarer Verstand nötig, ein Verstand, der nicht von Panik vernebelt ist.

Viele Amerikaner haben Angst vor Schlangen, sogar Marines. Der Vietcong hat sie in den Tunnels von Cu Chi höchst wirkungsvoll eingesetzt. Diese hier, eine gewaltige Python, liegt um Schultern und Hals des Schwarzen und versucht gerade, seinen großen Kopf zu verschlingen. Normalerweise zittern Pythons nicht so, und normalerweise fahren sie auch nicht in einem Mercedes. Schüttelt der Schwarze die Python, oder ist es umgekehrt?

Ich sage den Leuten, sie sollen zurücktreten, während Pichai seine Waffe aus dem Holster zieht. »Die Kugel könnte vom Glas abprallen und jemanden verletzen. Suchen Sie Schutz unter der Brücke.«

Sobald sie meiner Aufforderung nachgekommen sind, geht Pichai vor dem Fahrerfenster in die Hocke, wirkt aber unzufrieden über den Schusswinkel. Er will nicht den Marine treffen, der vielleicht noch am Leben ist, hat jedoch keine Ahnung, wie das Glas die Flugbahn der Kugel beeinflussen wird. Rasch und entschlossen schreitet er um den Wagen, bevor er in seine Ausgangsposition zurückkehrt. »Die anderen Türen sind auch blockiert.«

Er ist gefasst; ich weiß, was er denkt. Er hat geschworen, das üble Karma auszulöschen, das ihm seit dem Mord an dem Yaa-baa-Händler anhaftet, indem er in diesem Leben ein buddhistischer Heiliger, ein Arhat, wird. Ein Arhat opfert sein Leben bereitwillig der Pflicht, ein Arhat bezwingt die Angst.

Er geht noch einmal in die Hocke, zielt und feuert. Ein guter Schuss! Drei Viertel des Pythonkopfes sind verschwunden. Pichai löst die Metallklammer von der Tür und öffnet sie. Der riesige Marine, um dessen Hals die Schlange nun schlaff liegt, kippt gegen die Tür, die Pichai entgleitet. Bevor ich ihm helfen kann, sind der Marine und die Python bereits auf meinen Freund gefallen. Den Schrei, den er ausstößt, schreibe ich seiner Angst zu; erst als ich mich ihm nähere, sehe ich ungläubig die kleine Kobra, die sich an seinem linken Auge festgebissen hat. Mit einem Ruck zerre ich ihn unter dem Marine heraus, ziehe meine Waffe und lege mich neben ihn, während er mit einer Hand gegen die Kobra kämpft. 

Die Naja siamensis lässt nicht mehr los, wenn sie einmal zugebissen hat. Ich schieße ihr durch den Hals. Erst jetzt verstehe ich, was Pichai mir unter Schmerzen zu erklären versucht: Dutzende solcher Schlangen, eine richtige Kaskade, ergießen sich merkwürdig zitternd und zischelnd aus dem Innern des Wagens. Eine lugt zwischen den Hemdknöpfen des schwarzen Mannes hervor, seine Haut scheint in Bewegung zu sein.

»Lass sie nicht zu den Leuten. Erschieß sie. Die sind auf Drogen; sonst würden sie nicht so zittern.«

Er will mir sagen, dass er so gut wie tot ist, dass es keinen Sinn hat, per Funk Hilfe anzufordern. Selbst ein Hubschrauber würde zu spät kommen. Niemand überlebt einen Kobrabiss ins Auge. Das Auge hat mittlerweile die Größe eines Golfballs und droht aus der Höhle zu quellen. Die Schlangen nähern sich in benebeltem Wahn. Wie betäubt fange ich an, sie zu erschießen, und steigere mich selbst in einen Wahn. Ich renne zum Toyota, um mehr Munition zu holen, wechsle den Ladestreifen siebenmal. Mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht warte ich darauf, dass die Schlangen aus der Kleidung des schwarzen Mannes hervorkriechen. Eine nach der anderen schlängeln sie sich heraus, und ich erschieße sie. Ich schieße noch, als längst alle Kobras tot sind.

4

Nach dem Mord an dem Yaa-baa-Händler arrangierten unsere Mütter ein Gespräch mit dem Vorsteher eines Waldklosters oben im Norden, der uns erklärte, wir seien die niedrigste Lebensform aller zehntausend Universen. Pichai hatte die zerbrochene Flasche in die Halsschlagader der Menschheit und damit auch des Buddha gestoßen, während ich kichernd dabeistand. Nach sechs Monaten voller Moskitos und Meditation hatte die Reue unsere Herzen ausgehöhlt. Weitere sechs Monate später wies der Klostervorsteher uns an, unser Karma zu heilen, indem wir Polizisten würden. Sein jüngster Bruder war Police Colonel Vikorn, der Chef von District 8. Der Weg der Korruption blieb uns versagt. Wenn wir der Hölle der Mörder entgehen wollten, mussten wir ehrliche Cops sein, mehr noch: Arhat-Cops. Der Klostervorsteher ist zweifelsohne selbst ein Arhat, ein Anwärter auf die Erwachung, der freiwillig auf der Schwelle zum Nirwana verharrt, um seine Weisheit an Würmer wie uns weiterzugeben. Er weiß alles. Pichai ist jetzt bei ihm, während ich in diesem Schmutz des Lebens auf der Erde bleibe. Ich muss mir mehr Mühe geben beim Meditieren.

5

Nachdem ich Pichai mit meiner Jacke zugedeckt hatte, wartete ich neben dem Toyota auf meine Kollegen mit dem Streifenwagen und dem Transporter. Sobald sie da waren, sammelten sie die toten Schlangen ein und nahmen den Tatort mit der Videokamera auf. Vier Männer waren nötig, um die Python wegzutragen, die ihnen immer wieder von den Schultern rutschte. Ich begleitete Pichai und den schwarzen Marine in dem Transporter zur Leichenhalle und blieb auch bei ihnen, als einer der Angestellten dort meinen Freund auszog. Ich versuchte, die linke Seite seines Gesichts nicht anzusehen. Der riesige Schwarze lag auf einer Bahre daneben, sein nackter Körper bedeckt mit rußfarbenen Beulen und Wassertropfen von geschmolzenem Eis, die im Licht funkelten wie Diamanten. Im einen Ohr trug er drei Perlen, im anderen nichts.

Mit meiner Unterschrift bestätigte ich den Empfang von Pichais persönlicher Habe, darunter seine Buddhakette und ein Sack mit seinen Kleidern; dann fuhr ich nach Hause in das Wohnloch, das ich in einem Vorort am Fluss gemietet habe. Eigentlich hätte ich sofort im Polizeirevier Bericht erstatten und Formulare ausfüllen müssen, aber in meinem Kummer wollte ich den anderen Cops nicht begegnen, die immer auf die Freundschaft zwischen mir und Pichai eifersüchtig gewesen waren.

Das Dharma lehrt uns die Flüchtigkeit aller Phänomene, doch auf den Verlust dessen, was man mehr liebt als sich selbst, ist man einfach nicht vorbereitet.

Die Einheiten auf Pichais Handy waren zu Ende, als ich versuchte, meine Mutter von meinem Zimmer aus anzurufen. In meiner Wohnanlage gibt es auf jedem Stockwerk nur im Büro der Verwaltung ein Telefon. Unter den Augen der fetten Angestellten, die eine Vorliebe für Reischips mit Shrimpsgeschmack hat, wähle ich die Nummer meiner Mutter, die in der schwül dampfigen Ebene etwa dreihundert Kilometer nördlich von Krung Thep lebt, in Phetchabun. Sie und Pichais Mutter sind frühere Kolleginnen, enge Freundinnen, die sich nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben in ihre Heimatstadt zurückzogen, dort ein Grundstück erwarben und zwei protzige Paläste darauf bauten; soll heißen: Die zweistöckigen Häuser mit den grünen Dächern und den überdachten Balkonen sind nach dem dortigen ländlichen Standard so etwas wie Paläste. Während ich warte, dass meine Mutter sich meldet, höre ich das Knirsch-knirsch-knirsch der Reischips zwischen Fat Soms Zähnen. Ihren Blick empfinde ich wie die Last von hundert Säcken Reis auf meinen Schultern, denn sie spürt meine Niedergeschlagenheit.

Ich weiß, ich bin feige, weil ich Pichais Mutter nicht selbst anrufe, aber das schaffe ich nicht. Es könnte sein, dass ich die Fassung verliere, wenn ich mit ihr spreche. Meine Mutter Nong kann solche Dinge viel besser als ich.

Ich lausche auf das Klingeln. Meine Mutter kauft sich jedes zweite Jahr ein neues Handy, weil sie immer das kleinste Modell möchte. Jetzt besitzt sie ein Motorola, das so winzig ist, dass sie es in den Ausschnitt stecken kann. Ich stelle mir vor, wie es zwischen ihren Brüsten klingelt und vibriert. Ihre Stimme klingt immer ein wenig misstrauisch, wenn sie rangeht, denn es könnte ja ein früherer Liebhaber sein, vielleicht ein Farang aus Europa oder Amerika, der mitten in der Nacht Sehnsucht nach ihr hat. Die Einsamkeit der Farangs kann sich zu einer tödlichen Krankheit auswachsen, die ihr Gehirn vernebelt und sie quält, bis sie den Verstand verlieren. Dann ergreifen sie jeden Strohhalm, und sei es auch nur eine Nutte in Bangkok, mit der sie während einer Sexreise vor langer Zeit mal eine Woche zusammen verbrachten.

Meine Mutter hat sich vor mehr als zehn Jahren aus dem Berufsleben zurückgezogen, bekommt aber von Zeit zu Zeit immer noch Anrufe. Daran ist sie selbst schuld, weil sie Gespräche unter ihrer alten Nummer auf das neue Handy umleiten lässt. Vielleicht wartet sie ja nach wie vor auf diesen einen Anruf? Möglicherweise genießt sie auch nur die Macht, die sie über verzweifelte weiße Männer hat.

»Halloo?«

Als ich ihr die Sache mit Pichai erzähle, verschlägt es ihr tatsächlich auch einmal die Sprache. Ich lausche auf ihren Atem, ihr Schweigen, ihre Liebe – auf diese Frau, die ihren Körper verkaufte, um mich großziehen zu können.

»Das ist ja schrecklich, Sonchai«, meint sie schließlich. »Soll ichs Pichais Mutter für dich sagen?«

»Ja, ich glaube nicht, dass ich ihre Trauer im Moment ertragen würde.«

»Sie ist nicht so groß wie deine. Willst du ein paar Tage zu mir kommen?«

»Nein. Ich werde die Leute umbringen, die ihn getötet haben.«

Schweigen. »Das weiß ich. Aber sei vorsichtig, mein Lieber. Das scheint eine große Sache zu sein. Du kommst doch zur Beisetzung, oder?«

Darüber habe ich auf dem Weg von der Leichenhalle nach Hause nachgedacht. »Nein, ich glaube nicht.«

»Sonchai?«

»Begräbnisse auf dem Land …«

Pichais Leiche wird in einem Pavillon auf dem Anwesen des örtlichen Wat liegen, während eine Kapelle den ganzen Nachmittag lang Klagelieder spielt. Bei Sonnenuntergang wird die Musik dann lebhafter werden, weil Pichais Mutter dem Wunsch der Nachbarn entsprechend ein Fest veranstaltet. Es wird Kisten mit Bier und Whisky, Tanz, Sänger, Glücksspiele und vielleicht die eine oder andere Rauferei geben. Irgendwann werden die Yaa-baa-Händler auf ihren Motorrädern eintreffen. Das Schlimmste wird der Verbrennungsofen sein. In dieser abgeschiedenen Gegend sieht er mit seinem hohen rostenden Kamin aus wie etwas aus dem frühen Dampfzeitalter. Er ist gerade groß genug für den geschmückten Sarg. Darunter befindet sich ein Rost mit Holzfeuer. Tagelang wird der Geruch von Pichais Fleisch die Luft erfüllen. Das Fleisch meines Bruders ist auch mein Fleisch.

»Sie werden ihn in dem Ding verbrennen, stimmts?«

Meine Mutter seufzt. »Ja, wahrscheinlich. Besuch mich bald. Oder soll ich zu dir fahren?«

»Nein, nein, ich komme zu dir. Wenn alles vorbei ist.«

Fat Som ist tatsächlich einmal sprachlos, als ich den Hörer auflege. Zwischen ihren Zähnen stecken Reischipskrümel. Sie möchte mir ihr Beileid aussprechen, kennt mich aber nicht gut genug. Ihr Karma hindert sie daran, Gefühle zu artikulieren; aufgrund einer Befleckung in einem früheren Leben ist sie dazu verurteilt, dick und voller Ressentiments zu sein. Immerhin gibt sie sich Mühe, etwas zu sagen, runzelt die Stirn, als ich das Zimmer verlasse, doch ich reagiere nicht darauf. Vom Flur aus höre ich das Telefon in dem Büro klingeln. Fat Som wird die Reischips hinunterschlucken müssen, bevor sie rangeht. Ich will gerade den Schlüssel ins Schloss meiner Tür stecken, die der einer Zelle ähnelt, als ich Fat Som rufen höre. Ich sehe, wie sie völlig außer Atem auf mich zuwalzt; ihre Fleischmassen schwabbeln unter ihrem Baumwollkleid. »Es ist für Sie.«

Ich bin erstaunt, denn hier ruft mich niemand an. Wahrscheinlich hat sich jemand verwählt; ich reagiere nicht. Doch Fat Som lässt mir keine Ruhe. Als ich das Büro wieder betrete, weint sie wie ein Kind. Vielleicht, denke ich, hat meine eigene Tragödie ihr Karma verändert, vielleicht wird sie nun erlöst? Wenn Pichai tatsächlich als Arhat gestorben ist, hat er dann jetzt an der Schwelle zum Nirwana die Kraft zu heilen? Ich lächle sie an, als ich den Hörer in die Hand nehme, und sie ist mir unendlich dankbar.

Ich höre amerikanisches Englisch. »Könnte ich mit Detective Sonchai Jipeecheap sprechen?«

Erst nach einer Weile merke ich, dass er versucht hat, meinen Familiennamen auszusprechen. »Am Apparat.«

Mein Englisch hat fast keinen Thai-Akzent, obwohl es mit vielen anderen Einschlägen von Florida bis Paris gefärbt ist. Das hängt mit dem früheren Beruf meiner Mutter zusammen. Man hat mir gesagt, dass ich in Stresssituationen Englisch mit deutscher Präzision und bayerischem Akzent spreche. Von Fritz werde ich Ihnen bald erzählen.

»Detective, tut mir leid, dass ich Sie zu Hause anrufe. Mein Name ist Nape, ich bin der stellvertretende Rechtsberater des FBI in der amerikanischen Botschaft in der Wireless Road. Wir sind gerade von Colonel Vikorn über den Tod von William Bradley, einem Sergeant der Marines, informiert worden, der der hiesigen Botschaft zugeteilt war. Soweit ich weiß, sind Sie für die Ermittlungen zuständig.«

»Korrekt.« Der Schock hat meine Perspektive verzerrt. Findet dieses Gespräch auf einem anderen Planeten, in der Hölle, vielleicht sogar in einem der Himmel statt? Ich habe keine Ahnung, wie ich diese Unwirklichkeit in den Griff bekommen soll.

»Soweit ich weiß, ist bei der Aktion auch Ihr Partner und enger Freund Detective Pichai Apiradee ums Leben gekommen. Ich möchte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.«

»Ja.«

»Wie Ihnen vermutlich bekannt ist, haben wir aufgrund einer Abmachung mit der thailändischen Regierung das Recht auf Zugang zu sämtlichen Erkenntnissen im Rahmen Ihrer Ermittlungen über den Tod eines amerikanischen Militärangehörigen. Umgekehrt wären wir bereit, Ihnen die forensischen Mittel des FBI zur Verfügung zu stellen. Wann würde es Ihnen passen, zu uns in die Botschaft zu kommen, damit wir uns über das weitere Vorgehen unterhalten können? Oder sollen wir Sie aufsuchen?«

Am liebsten würde ich hysterisch lachen über die Idee, das FBI in meinem winzigen Wohnloch zu empfangen, in dem es nicht einmal Stühle gibt.

»Ich komme zu Ihnen, aber wegen des Verkehrs müssen Sie mir ein bisschen Zeit geben.«

»Gut, Detective. Ich würde Ihnen ja einen Wagen schicken, aber ich fürchte, das löst das Problem nicht.«

»Stimmt. Ich bin bald bei Ihnen.«

Ohne noch einmal in mein Zimmer zurückzukehren, gehe ich die Betontreppe zum Erdgeschoss hinunter. Draußen schmiegt sich ein improvisierter Laden mit einer langen grünen Markise, die fast bis zum Boden reicht, an das Gebäude. Unter der Markise lungern Leute mit zahlreichen Tätowierungen und fast genauso vielen Ohrringen auf Feldbetten, rauchen und trinken Bier, ihre nummerierten Jacken auf dem Boden neben sich. Das sind die Fahrer der lizenzierten Motorradtaxis, des gefährlichsten, aber auch schnellsten öffentlichen Verkehrsmittels in Krung Thep.

»Amerikanische Botschaft, Wireless Road«, herrsche ich einen von den Typen an und versetze seinem Feldbett einen Tritt. »Und zwar ein bisschen plötzlich.«

Die Typen sind örtliche Yaa-baa-Händler, die auch selbst hin und wieder etwas nehmen. Ich spiele manchmal mit dem Gedanken, sie auffliegen zu lassen, aber wenn ich das tue, übernimmt ein anderer das Geschäft und weitet es möglicherweise aus. Wenn man mit einem Stock in den Schmutz drischt, verteilt man ihn nur. Außerdem kaufen die Leute hier einen großen Teil ihres Yaa-baa-Vorrats aus Beständen der Polizei, also hätte eine solche Aktion berufliche Konsequenzen für mich. Meine Kollegen würden sich beklagen, dass sie kein Geld mehr haben, ihren Kindern Brot zu kaufen.

Der Motorradfahrer, dessen Feldbett ich einen Tritt versetzt habe, springt auf und rennt zu seiner Suzuki 200 ccm, die mit ihrem stromlinienförmigen Design, dem tropfenförmigen Tank und den ein wenig nach oben geschwungenen Auspuffrohren früher mal ziemlich sexy gewesen sein muss. Aber in Krung Thep ist Eleganz nicht von Dauer. Jetzt wirkt das Ding mit seinen Beulen, dem Schlamm an den Fußstützen, dem verrosteten Auspuff und dem zerfetzten Sitz schäbig. Der Fahrer bietet mir einen Helm an, doch ich winke ab. Zwar besteht Helmpflicht, aber die lässt sich nicht durchsetzen. Die meisten Leute riskieren lieber eine Kopfverletzung, als sich das Hirn in der Hitze braten zu lassen.

»Sie habens eilig?«, fragt der Junge.

Ich denke über seine Frage nach. Nein, nicht wirklich. Aber ich bin dankbar für jede Ablenkung, denn meine Gedanken drohen außer Rand und Band zu geraten. »Ja, es ist ein Notfall.« Mit leuchtenden Augen startet der Junge die Maschine.

Mir macht die Fahrt Spaß. Der Fahrer ist auf Drogen – wenn nicht auf Yaa baa, dann auf Ganja; ein paar Mal bin ich sicher, dass ich gleich sterben und mich früher als erwartet zu Pichai gesellen werde. Ein bisschen enttäuscht sehe ich schließlich die weißen Mauern der amerikanischen Botschaft vor mir an der Phloenchit Road auftauchen, überrascht darüber, noch immer im Gefängnis meines Körpers eingeschlossen zu sein.

Ich gebe dem Jungen seinen Lohn. Er bekommt große Augen, als ich sage: »Besorg mir Yaa baa und bring mirs heute Abend.« Als er mit quietschenden Reifen losfährt, leuchten seine Augen wieder. Jetzt stehe ich vor einem Bronzeadler in einem Gipsmedaillon, einem Edelstahldrehkreuz und ein paar schwer bewaffneten Thai-Cops, die an den Wänden lehnen. Ich zeige ihnen meinen Ausweis und sage, dass ich einen Termin beim FBI habe. Sie geben diese Information an den Amerikaner hinter dem kugelsicheren Glas am Drehkreuz weiter, der meinen Namen notiert und einen Anruf tätigt.

In der Meditation gibt es einen Punkt, an dem die Welt im wahrsten Sinne des Wortes zusammenbricht, sodass der Blick auf die dahinterliegende Realität frei wird. Ich erlebe den Zusammenbruch, aber nicht die Erlösung. Die Stadt fällt immer wieder in sich zusammen und baut sich von Neuem auf, während ich in der Hitze warte. Soll das eine Botschaft von Pichai sein? Die Meister der Meditation versuchen, uns auf den Schock vorzubereiten, wenn wir schließlich die Zerbrechlichkeit des großen Draußen erfahren. Angeblich handelt es sich um ein sehr gutes Zeichen, aber für den Ungeübten kündet es vom sicheren Wahn.

Fritz war ein Schwein, das sowohl meine Mutter als auch ich einen Augenblick lang liebten. Die anderen waren bessere Menschen, aber es gelang uns nie, sie zu lieben.

6

Beim Warten fällt mir ein, dass die diplomatische Niederlassung 1998, kurz nach den Bombenanschlägen auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania, völlig neu gestaltet wurde. Die Botschafterin erklärte im Fernsehen in gar nicht schlechtem Thai, dass Amerika zwar keinerlei Bedrohung in der thailändischen Bevölkerung sehe, jedoch die langen, durchlässigen Grenzen zu Kambodscha und Myanmar fürchte, wo praktisch jeder Sprengstoff und schweres Geschütz erwerben könne. Jetzt bestehen die Mauern aus massivem Stahlbeton, der auch dem Aufprall eines Schwertransporters standhält. Falls er tatsächlich nachgeben sollte, befindet sich dahinter ein Graben. Im einundzwanzigsten Jahrhundert arbeitet die amerikanische Botschafterin in einer mittelalterlichen Burg. Wie sieht wohl das Karma Amerikas aus?

Plötzlich beschließt der Amerikaner in seinem Wachhäuschen, vielleicht ein Marine in Zivil, mich durch das Drehkreuz zu lassen. Farangs sind bekanntermaßen unberechenbar; dieser hier hat gerade eben seinen Argwohn durch Freundlichkeit ersetzt. Durch das Mikro sagt er: »Ihr Termin wurde bestätigt. Wollen Sie hier warten? Dieser Raum ist klimatisiert.«

Irgendetwas piepst, als ich die Schwelle überschreite; ich sehe ein buntes Bild meiner selbst und aller Metallgegenstände in meinen Taschen auf einem Bildschirm. In dem Wachhäuschen erzittere ich in der kalten Luft.

Der junge Mann, dessen Haare so kurz geschnitten sind, dass er fast kahl wirkt, starrt einen Augenblick lang den Monitor an und verlangt dann meinen Ausweis, dessen Nummer er in seinen Computer eingibt. Ich sehe, wie mein Name auf dem Bildschirm erscheint. Der Marine brummt: »Sie sind das erste Mal hier.« Das ist keine Frage, sondern die Information, die ihm der Computer gegeben hat. »Nächstes Mal können wir uns das Trara sparen.« Während er das sagt, nickt er in Richtung des Hauptgebäudes, als marschierte besagtes Trara männlichen Schrittes auf uns zu, ein riesiges Namensschild zwischen den kleinen Brüsten hin und her schwingend. Selbst aus dieser Entfernung kann ich lesen, dass der Name von Trara Katherine White und ihre Funktion die der stellvertretenden Sicherheitschefin ist. Sie dürfte um die dreißig sein, hat brünette Haare, wirkt durchtrainiert und mit ihrer gerunzelten Stirn ziemlich ernst. Im Vergleich zu ihr fühle ich mich trotz meiner strohblonden Haare und meiner spitzen Nase sehr thailändisch.

»Detective … wie war noch mal der Name? … Jiplecreap für den Rechtsberater des FBI?« Ihre Stimme klingt quäkend über die Gegensprechanlage.

»Ja.«

»Ich wusste nicht, dass er bei Ihnen ist. Komme ich rein, oder bringen Sie ihn raus? Das vergesse ich immer.«

»Ich kann ihn rausbringen. Aber wahrscheinlich schafft er das auch allein.«

Die Frau nickt ernst. »Okay, dann machen Sie mal.«

Der Marine hebt die Augenbrauen, ich nicke, der junge Mann öffnet die Tür des Wachhäuschens, und ich trete hinaus.

»Sie sind Detective Jiteecheap von der Royal Thai Police? Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen? Tut mir leid, dass das alles so kompliziert ist, aber ich muss Ihren Besuch schriftlich bestätigen. Danke.« Sie stellt fest, dass ich im Verlauf der letzten fünf Minuten nicht durch einen anderen ersetzt worden bin, und führt mich über den Vorhof auf das Hauptgebäude zu.

Katherine White hat nicht die geringste Ahnung, dass sie mich schon einmal über einen verblüffend ähnlichen Hof begleitet hat, vor Tausenden von Jahren. Weiter als bis zu meiner ägyptischen Inkarnation habe ich meine Vorgeschichte bisher nicht zurückverfolgen können. Ein Priester, der seine Macht missbraucht, zahlt den höchsten karmischen Preis. Ich verbrachte dreitausend Jahre gefangen in einem Felsen, bevor ich als der niedrigste Sklave in Byzanz wieder auftauchte. Auch Pichai hat sich an jene fernen Tage erinnert, als die Reise zwischen dem Hier und dem Dort etwas ganz Normales war. Manchmal durchlebten wir diese Momente der Macht zusammen: die Flucht aus unserem Körper, die schwarze Nacht unter unseren Schwingen, das Wunder des Orion. 

7

Jetzt stehe ich im Büro des Rechtsberaters des FBI und seines Stellvertreters Jack Nape, der mich gerade mit einem unglaublich breiten Lächeln bedacht hat. Es bereitet mir Schuldgefühle, weil ich ihm seine Aufrichtigkeit nicht abkaufe. Genau so sollte ein Mann doch sein: positiv, offen, optimistisch, immer ein Lächeln auf den Lippen, das die ganze Welt umfasst. Für einen Amerikaner ist er durchschnittlich groß. Ich dagegen überrage die meisten anderen Thais, sodass wir uns ziemlich genau auf gleicher Augenhöhe befinden.

»Das ging aber schnell. Ich habe Sie erst in einer Stunde erwartet.«

»Bangkok-Helikopter.« Ich sehe mich in dem Büro um. Am Fenster stehen zwei identisch große Schreibtische einander gegenüber, auf jedem ein Computer. Dazu kommen einige Aktenschränke mit einem amerikanischen Football, Bücherregale mit düsteren juristischen Werken an der einen Wand, ein Sofa, ein Couchtischchen, ein paar Stühle, eine amerikanische Flagge in einer Ecke. Dieses Büro habe ich bestimmt schon Hunderte von Malen im Film gesehen.

»Jack?«, höre ich eine Stimme hinter einer Tür rufen. »Ist dieser Detective hier?«

»Ja, gerade gekommen.«

Das Geräusch von Wasser in einem Waschbecken, dann öffnet sich die Tür. Der Mann, der das Zimmer betritt, ist älter als Jack, vielleicht Mitte vierzig, hat grau melierte Haare, breite Schultern und kommt schweren Schrittes mit ausgestreckter Hand auf mich zu. »Gratuliere. Ich kenne niemanden, der es so schnell durch die Stadt hierher geschafft hätte. Tod Rosen. Wie haben Sie das gemacht?«

»Bangkok-Helikopter«, sagt Jack Nape.

»Was?« Rosen sieht Nape verständnislos an, der mit den Achseln zuckt. Schweigen. Zu spät wird mir klar, dass ich den beiden eine Erklärung schuldig bin. Jack Nape kommt mir zu Hilfe. »Könnte das ein Motorrad sein?«

»Ja«, antworte ich.

Ganz ist die Situation noch nicht gerettet. Nape wendet sich Rosen zu: »Diese Motorradtaxis sind die einzige Chance in dem Verkehr hier.«

»Ach so.« Erst jetzt begreife ich, dass Rosen noch nicht lange in Krung Thep ist. »Hauptsache, es funktioniert. Tolle Stadt, lausiger Verkehr.«

Wieder verpasse ich meinen Einsatz. Normalerweise stelle ich mich nicht so ungeschickt an. Mein Problem ist, dass ich plötzlich im Gesicht eines jeden Mannes eine Kobra entdecke, die sich in das linke Auge verbeißt. Im Spiegel würde ich bestimmt das Gleiche sehen. Dieses Bild versaut mir meine Umgangsformen.

»Setzen wir uns doch, ja? Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?« Ich verneine. Ich werde nie wieder etwas essen oder trinken. »Wir möchten Ihnen sagen, wie sehr wir Ihre Anwesenheit in einer Situation wie dieser schätzen«, sagt Rosen.

»Stimmt«, pflichtet Nape ihm bei. »Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen würde, wenn mein Partner gerade getötet worden wäre.«

»Ziemlich mies.«

»Tja, wahrscheinlich.« Nape schüttelt verwirrt den Kopf. Ich lasse den Blick zwischen den beiden hin- und herwandern.

»Wir fühlen uns auch nicht gerade gut.«

»Stimmt.«

»Ich habe Sergeant Bradley nicht persönlich gekannt, aber soweit ich weiß, war er ein guter Mann.«

»Ein guter Mann, ein guter Sportler und ein großartiger Marine.«

»Er hat auf der ganzen Welt gedient, hauptsächlich im Sicherheitsdienst der Botschaften.«

»Wir haben seine Freunde noch nicht informiert. Einige von den Marines werden ziemlich erschüttert sein, wenn sie es erfahren.«

»Stimmt.«

Die beiden sehen mich einen Moment lang an, dann sagt Rosen: »Verdammte Budgetkürzungen.« Er wendet sich Nape zu.

»Ja.« Nape schüttelt den Kopf.

»Wenn das in den Siebzigern passiert wäre, hätten sie schon einen Charterjumbo aus Washington mit zehn FBI-Ermittlern und einem mobilen forensischen Labor geschickt.«

»Und wenns in den Achtzigern passiert wäre, hätten wir immerhin noch fünf Beamte mit ’nem Linienflug gekriegt.«

»Stimmt. Aber was kriegen wir heute?«

Nape sieht mich an. »Seit wir von der Sache wissen, hängt Tod am Telefon und brüllt die Leute in Washington an.«

»Viel hats bis jetzt nicht gebracht.«

»Wie siehts im Moment aus, Tod? Wie viele Leute schicken sie uns, um den gewaltsamen Tod eines langgedienten, zuverlässigen Militärangehörigen aufzuklären?« Rosen hält einen Zeigefinger hoch und verzieht gequält das Gesicht. »Einen? Das ist doch nicht zu fassen.«

»Wenns irgendwas mit Terrorismus zu tun hätte, wärs natürlich was anderes.«

Plötzlich sehen mich die beiden voller Neugierde an. Ich finde es bewundernswert, wie schnell sie zur Sache gekommen sind. Wer behauptet da noch, Amerikaner wären nicht subtil?

»Verstehe.«

Merkwürdigerweise überrascht diese Feststellung sie. »Tatsächlich?«

»Wenns nicht Terrorismus ist, muss es das andere sein, oder?«

Nape seufzt erleichtert, während Rosen unverwandt den Boden anschaut. Als er den Blick wieder hebt, wirkt sein Lächeln so falsch, dass es mich fast verletzt. »Das andere?«

Nape und ich sehen einander an. Rosen ist wirklich noch neu im Geschäft, und Nape würde sich am liebsten entschuldigen, aber er findet keine Gelegenheit dazu. Rosen erwartet von mir eine Antwort auf seine Frage. Offenbar ist es jetzt aus mit der Subtilität. Ich warte Napes Nicken ab, bevor ich weiterrede.

»Bradley war Mitte vierzig«, beginne ich.

»Siebenundvierzig«, bestätigt Nape. Er scheint zu hoffen, dass Rosen diese Erklärung genügt, doch der starrt mich immer noch an.

»Also kurz vor dem Ruhestand?«

»Er hatte ziemlich genau noch ein Jahr vor sich.«

»Vermutlich war er schon eine ganze Weile hier?«

»Fünf Jahre. Viel länger als üblich, aber er passte hierher.«

»Er mochte die Stadt?«

»Er lebte sehr zurückgezogen, aber ja, soweit wir wissen, mochte er sie.«

»Er genoss einen gehobenen Lebensstil und wollte nach dem Ausscheiden aus dem Dienst hier bleiben?« Ich hebe den Blick.

Endlich scheint Rosen zu begreifen. Er nickt. »Ich glaube, wir denken ähnlich, Detective. Ich wollte nur sichergehen. Sie meinen also, dass er seine Lieferanten gelinkt hat, stimmts?«

»Das wäre meine erste Vermutung.«

»Haben Sie schon mal gehört, dass die so was mit Schlangen erledigen?«

»Nein, noch nie. Aber es ist nichts Ungewöhnliches, wenn der Geschädigte dem Schädiger einen Denkzettel verpasst. Pour décourager les autres.« Das sollte nicht prätentiös klingen. Der französische Satz fiel mir nur als erster ein, wie so oft. Ich bin erleichtert, als ich Rosens Lächeln sehe.

»Gute Aussprache. Ich war selber eine Weile in Paris. ›Um die anderen abzuschrecken.‹ Ja, so siehts wohl aus, was?« Er schüttelt den Kopf. »Aber was für eine Scheißmethode zu sterben.« Er mustert mich fragend: Wer ist dieser Mischlingscop aus der Dritten Welt, der Englisch und Französisch spricht? Offenbar hat Nape die Antwort erraten. Er kennt Krung Thep. In seinem Gesicht ist jetzt ein Hauch angelsächsischer Verachtung zu lesen für den Sohn einer Nutte.

Unvermittelt erhebt sich Rosen. »Offen gestanden weiß ich nicht, wie ernst Washington die Sache nimmt. Sie schicken uns eine Agentin, aber vielleicht nur, um den Schein zu wahren. Wie soll ein Special Agent ohne Kenntnis der Sprache und der Stadt in einer solchen Angelegenheit ermitteln?« Halb zu sich selbst fährt er fort: »Vielleicht hat sie sichs mit dem FBI verscherzt, und sie möchten sie aus dem Weg haben. Sie wollte ich im Zuge des Informationsaustauschs noch fragen, wie das Ihrer Meinung nach zu Ihrer Hypothese passt. Wir haben etwas in seinem Spind gefunden.«

Er geht zu seinem Schreibtisch, schließt die Schublade auf und kehrt mit einem zusammengeknüllten Stück Zeitung zurück. Als er es entfaltet, sehe ich, dass es sich weder um ein thailändisches noch um ein englischsprachiges Blatt handelt. In das Papier eingewickelt ist ein circa fünfzehn Zentimeter langer braun-schwarzer Stein, der etwa die Form einer Pyramide hat. Ich betrachte ihn und drehe ihn dann mitsamt der Zeitung um. Der Stein ist zum größten Teil schmutzverschmiert – Flechten und Dschungelschlamm –, aber an der Unterseite entdecke ich Kratzspuren, darunter etwas Grünes.

»Jade. Die Kratzspuren stammen von potenziellen Käufern, die die Härte prüfen wollten.« Ich betrachte die Zeitung genauer. »Laotische Schrift, dem Thai sehr ähnlich, aber nicht identisch.«

»Können Sie das Datum lesen?«

»Nein.«

»Gut, dann scannen wir das Ding ein und schicken es per E-Mail nach Quantico. Die Antwort müsste in ein paar Tagen da sein.«

»Könnte ich auch eine Kopie haben?«

Nape entfernt sich, um die Zeitung zu kopieren. Rosen und ich sehen einander an. Ich frage: »Hatte Bradley eine Wohnung in der Stadt?«

Rosen reibt die Rückseite seines Ohrs mit dem Daumen. »Militärangehörige, die länger hier sind, mieten im Allgemeinen eine Privatwohnung an, obwohl sie offiziell in der Botschaft leben. Sie müssen uns nur sagen, wo sie sich befindet. Bradley hat eine Adresse in der Soi 21 an der Sukhumvit Road angegeben, aber als wir vor ein paar Stunden dort waren, mussten wir feststellen, dass er seit vier Jahren nicht mehr da gewesen ist.« Ich sage nichts dazu. »Tja, das heißt also, dass wir nicht wussten, wo er wohnte.« Ich nicke; Rosen betrachtet den Football auf dem Aktenschrank. »Falls Washington andeutet, dass wir nicht allzu intensiv ermitteln sollen …«

Ich zucke mit den Achseln. »Detective Pichai Apiradee war mein Bruder, mein Partner.« Offenbar reicht diese Auskunft Rosen nicht als Antwort. Ich versuche es noch einmal. »Ich werde die Verantwortlichen töten. Es wird keine Verhandlung geben.«

Zum Glück kehrt in diesem Augenblick Nape mit den Fotokopien zurück. Er reicht eine mir, die andere Rosen, der mich mit offenem Mund anstarrt. Ich erhebe mich und zwinge mich zu einem Lächeln. »Wie wärs mit einer Wette, meine Herren? Eintausend Baht darauf, dass ich das Datum der Zeitung vor Ihnen herausfinde.«

Nape schüttelt grinsend den Kopf. »Keine Chance. Ich weiß, dass Sie gewinnen.«

Rosen sieht ihn an, als hätte er Hochverrat begangen. »Unsinn. Ich sage den Leuten, es ist dringend. Bis fünf heute Nachmittag hiesiger Zeit haben wir eine Antwort.«

Immerhin habe ich einen Weg gefunden, das Gespräch einigermaßen elegant zu beenden. Nape begleitet mich zum Botschaftseingang und sicher zurück auf thailändischen Boden. Das breite Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden. In der schwülen Hitze wirkt er älter, nicht mehr so lauter. Als wir uns zu beiden Seiten des Drehkreuzes gegenüberstehen, leckt er sich die Lippen und sagt: »Sie machen sie kalt, stimmts?« Ich starre ihn einen Moment lang an, dann drehe ich mich weg, um nach einem Motorradtaxi Ausschau zu halten. Es ist zwei Minuten vor drei.

Monsieur Truffaut konnte ich am besten leiden. Wegen seines Alters konnten wir ihn nicht lieben, aber im Nachhinein ist mir klar geworden, dass er der Einzige war, der mir mehr gegeben als genommen hat. Er hat mir Paris geschenkt und ein bisschen Französisch.

8

Ich sage dem Jungen auf dem Motorrad, dass er mich zur Nana Entertainment Plaza fahren soll, das ist nicht weit. Wir kommen um elf nach drei dort an; die Plaza befindet sich noch im Tiefschlaf.

Pichai hat mich immer ausgelacht, weil ich es nicht ertrug, bei der Sitte zu arbeiten. Wahrscheinlich machte ihm seine persönliche Geschichte nicht so sehr zu schaffen wie mir die meine. Doch jetzt, da der Hof fast leer ist und die Bars, Stundenhotels und Bordelle auf den drei Ebenen in der Nachmittagshitze dösen, weiß ich das Gefühl der Vertrautheit zu würdigen, das mich hier überkommt. Vielleicht mag ich das Milieu nicht, wie jemand die Straße nicht leiden kann, in der er aufgewachsen ist, aber meine Vertrautheit damit lässt sich nicht leugnen. Möglicherweise ist an einem schwarzen Tag wie dem heutigen dieser Ort der einzige, der Erleichterung bringt.

In den Bars im Erdgeschoss unterhalten sich bereits ein paar Mädchen über die vorangegangene Nacht, über die Männer, die die Auslösesumme für sie ans Lokal zahlten und sie dann mit aufs Zimmer nahmen, oder beklagen sich über diejenigen, die nur flirteten und grabschten und wieder verschwanden, ohne ihnen einen Drink auszugeben. Ich weiß, wie gern sie über die Farangs klatschen, deren Vorlieben sich bisweilen so sehr von den unseren unterscheiden: große Machos, die an Zehen nuckeln oder sich auspeitschen lassen wollen. Männer, die weinen und von ihren Frauen erzählen. Männer, die voll bekleidet wie der Inbegriff der westlichen Elite aussehen, aber beim Anblick eines nackten braunen Mädchens auf einem Hotelbett unerklärlicherweise in sich zusammenfallen. Ich kenne alle Geschichten, jedes Detail, jeden Trick des Gewerbes, dessen Kunde ich selbst nie gewesen bin, nicht einmal in Pichais Bordellphase. Ich beobachte die Mädchen, die gerade zur Arbeit kommen, ehrfürchtig vor dem mit Tagetes und Orchideen geschmückten Buddhaschrein in der nördlichen Ecke des Hofs die Hände im Gebet zur Stirn heben, und muss dabei an meine Mutter denken. Ich gehe die Treppe zur zweiten Ebene hinauf.

Ich will in eine der größeren Bars, die bereits ihre Pforten geöffnet hat, das Hollywood 2. Eine der Doppeltüren wird durch einen Abfalleimer aufgehalten; drinnen wischen Frauen in Arbeitskitteln bei gleißend hellem Licht Tische und Böden. Der Kiefernnadelgeruch von Reinigungsmitteln vermischt sich mit dem von abgestandenem Bier, Zigaretten und billigem Parfüm. Auf einer großen Drehscheibe mit zwei Ebenen befinden sich Edelstahlstangen, um die die Mädchen während der Show kreisen. Ich weiß, dass die Frau, die das Bier hinter einer der Theken auffüllt, die Mamasan der Mädchen ist. Sie gibt ihnen Ratschläge zu allen Aspekten des Gewerbes, auch den intimsten, hört sich ihre Probleme an, hilft ihnen, wenn sie schwanger werden oder sich umbringen wollen. Sie sagt den Mädchen, dass sie aufstehen und gehen sollen, wenn der Kunde nicht bereit ist, ein Kondom zu benutzen, und dass sie das Recht haben, einen Aufpreis zu verlangen, wenn er ungewöhnliche Dienste fordert, oder sich ihm zu verweigern (die Italiener, Franzosen und Amerikaner sind besonders berüchtigt wegen ihrer Vorliebe für Sodomie). Eine gute Mamasan sorgt vor für die Zeit, wenn die Mädchen sich mit Mitte dreißig, manchmal schon früher, aus dem Beruf zurückziehen; manche bringen ihnen sogar Englisch bei oder finanzieren ihnen Sekretärinnenkurse – doch so viel Weitblick ist nicht allzu häufig. Aus den Augen der Frau, die ich nun sehe, spricht alles andere als Weitblick: Sie ist korpulent, hart, etwa fünfzig und hat ein nussbraunes, ständig mürrisch verzogenes Gesicht.

»Wir haben geschlossen. Komm um sechs wieder.«

Sie hält mich für einen Farang. »Ich bin Polizist«, sage ich auf Thai und halte ihr meinen Ausweis hin. Ein bisschen verändert sich ihr Verhalten, aber nicht viel.

»Was willst du, Khun Cop? Der Chef zahlt Schutzgelder, lass mich in Ruhe.«

»Das ist keine Razzia.«

Sie sieht sich nach weiteren Polizisten um. Als sie keinen entdeckt, lacht sie verächtlich. »Die Mädchen sind noch nicht so weit. Die oben schlafen, und die andern sind noch nicht da. Was willst du so früh hier? ’nen Gratisfick, weil du ’n Cop bist? Was ist, wenn mein Chef seinem Beschützer Bescheid sagt?«

»Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten.«

»Klar. Alle Männer bitten uns um einen Gefallen.«

»Ich brauche ein Mädchen aus Laos.«

Sie grinst. »Ein Mädchen aus Laos? Dreißig Prozent unserer Girls sind aus Laos. Was für eine willst du denn? ’ne Große, ’ne Kleine, eine mit kleinen oder eine mit großen Titten? Blonde haben wir allerdings nicht.« Sie kichert über ihren eigenen Witz. »Wenn du ’ne Blonde willst, musst du ’ne Russin nehmen.«

»Ich will eine, die lesen und schreiben kann. Lesen reicht eigentlich schon.«

»Also keine direkt aus dem Urwald – von denen haben wir auch ein paar, wie alle Bars hier.« Sie runzelt die Stirn. »Was hast du vor, Khun Cop?«

»Können Sie mir helfen? Ja oder nein?«

Die Mamasan zuckt mit den Achseln und brüllt einen Namen. Jemand brüllt zurück, und kurze Zeit darauf taucht eine junge barfüßige Frau mit langen braunen Beinen und einem weißen Handtuch unter dem Arm auf. »Hol Dou; sie ist in Zimmer drei«, weist die Mamasan sie an.

Zehn Minuten später erscheint Dou in einem Baumwollkleid, eine etwa zwanzigjährige junge Frau mit hübschem Gesicht, breitem, freundlichem Lächeln und starkem laotischem Akzent. Sie ist aufgeregt, hält mich für einen frühen Kunden. Ich erwidere ihr Lächeln, halte ihr einen Hundert-Baht-Schein und die Fotokopie hin, die Nape für mich gemacht hat. Sie sieht sie fragend an. »Ich möchte nur wissen, was für ein Datum draufsteht.«

Sie macht große Augen. So leicht hat sie sich noch nie hundert Baht verdient. »2539, Mai, 17.« Sie liest alles in der Reihenfolge vor, wie es gedruckt ist.

»Danke.« Ich reiche ihr den Schein.

Dann bitte ich die Mamasan um ihr Telefon, das sie hinter der Theke hervorholt. Im Kopf habe ich inzwischen das Jahr nach dem christlichen Kalender ausgerechnet; die Farangs wollen nicht wahrhaben, dass wir ihnen um fünfhundert Jahre voraus sind.

Rosen hat mir seine Visitenkarte mit seiner Handynummer gegeben. Ich wähle, und als er sich meldet, sage ich: »17. Mai 1996.«

Schweigen, dann: »Wenn Quantico das bestätigt, schulde ich Ihnen einen Tausender.« Wieder Schweigen. »Sagten Sie 1996?«

Ich bejahe und lege auf. Es ist drei Uhr einunddreißig.

Draußen gehe ich in der Hitze in Richtung Sky-Train-Station, vorbei an Ständen mit Handtaschen, T-Shirts, Jeans, Shorts, Badebekleidung – alles Designerimitate –, dazu Raubkopien von CDs, DVDs, Videos und Kassetten. Die Buden befinden sich im Besitz von Taubstummen, die sich in Zeichensprache über die Straße hinweg unterhalten. Diese Straße wäre ein Mekka für die Polizei, aber die Taubstummen scheinen kein bisschen Angst zu haben.

9

Wie viele Leute benutze ich den Sky Train gern, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Die Logik des Systems ist unanfechtbar: Wenn man dem Verkehr ein Schnippchen schlagen will, muss man sich darüber erheben. Dieses Projekt wurde mit ausländischem Kapital und Know-how verwirklicht, und zwar mit verdächtiger Leidenschaft seitens unserer Politiker. Scheinbar jahrzehntelang waren ganze Stadtviertel abgesperrt, während Armeen von Männern und Frauen mit gelben Schutzhelmen die Betonpfeiler und Hochbahnschienen nach dem neuesten Stand der Technik errichteten. Jetzt ist die erste Phase des Projekts abgeschlossen, und die riesige Stadt hat es verschlungen, als wäre es überhaupt nicht da. Kopfschüttelnd fragen wir uns alle: Und dieser gigantische Aufwand für zwei Linien?

Die Fahrt mit der eisig klimatisierten Hochbahn, von der aus man einen großartigen Blick über die Stadt hat, ist allerdings ein Vergnügen und gleichzeitig eine Studie von Bankrottprojekten: Hin und wieder erheben sich gigantische Skelette unfertiger Wolkenkratzer aus dem Chaos, Mahnmale hektischen Baufiebers, das sich mit der asiatischen Finanzkrise von 1998 legte und nie wieder aufflammte. Jetzt sind diese modernen Stonehenges Heimat von Bettlern und Stadtstreichern. Vom Zug aus sieht man ihre Hängematten, Hunde und Wäsche in den bienenwabenförmigen Betonhöhlen; manchmal meditiert auch ein Mönch mit seiner safranfarbenen Kutte mitten unter ihnen. Obwohl das Motorradtaxi billiger gewesen wäre, fahre ich mit dem Sky Train bis hinaus nach Saphan Taksin und lasse mich dann von einem Boot den Chao Phraya River zur Dao Phrya Bridge hinaufbringen. Auf dem Wasser wimmelt es von Longtails und anderen Booten, und mir fällt ein, wie viel Spaß Pichai und ich dort hatten …

Es ist früher Abend, als ich die Brücke erreiche. Der mittels Eisenstangen und orangefarbenem Band abgesperrte Mercedes wird von zwei jungen Polizisten bewacht, die auf dem Wagen sitzen, einer auf der Motorhaube, der andere auf dem Dach. Der auf dem Dach starrt mich im Schneidersitz an. Ich herrsche ihn an, dass er von dem Auto runterkommen und sich wie ein richtiger Polizist benehmen soll. Jetzt legen die beiden hastig die Handflächen zum Wai-Gruß zusammen und verneigen sich vor mir. »Wie lange seid ihr schon da?«

»Acht Stunden.«

»Hat irgendjemand die Aussagen der Squatter unter der Brücke aufgenommen?«

Die Jungen schütteln den Kopf. Ich gehe um den Wagen herum, schaue von außen hinein. Mir fällt auf, dass der Rücksitz umgelegt ist, sodass sich eine freie Fläche von der Hecktür bis zur Hinterseite der Vordersitze ergibt. Ein Handy liegt auf dem Boden vor dem Beifahrersitz. Der Mercedes wird warten müssen; Autos haben eine längere Halbwertszeit als das Gedächtnis des Menschen.

Die Ödnis zwischen dem Mercedes und den Hütten der Squatter wird hin und wieder von den Scheinwerfern vorbeifahrender Autos erhellt. Unter der Brücke verbreiten Lampen, die dilettantisch mit den Stromkabeln unter dem Bogen verbunden sind, heimeliges Licht. Leute sitzen auf Bambusmatten und essen. Frauen beugen sich über hell erleuchtete Kochtöpfe; Männer spielen im Schneidersitz Karten und trinken aus Plastikbechern. Auf Tapeziertischen, auf denen Frauen Essen zubereiten, stehen Fernseher mit flimmernden Bildschirmen.

Ich gehe neben ein paar Männern in die Hocke, die keinerlei Notiz von mir nehmen. Jeder der Männer hat einen Stapel mit einem Stein beschwerter Geldscheine vor sich liegen. Ich hebe einen der Plastikbecher an die Nase und schnüffle. Reis-Moonshine. Ich versuche, die Brennerei zu entdecken. Vermutlich befindet sie sich in einer der größeren Hütten in der Dunkelheit unter der Brücke.