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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Die Kinder von Sophienlust drängten sich auf der Freitreppe zusammen. Mit wehmütigen Gesichtern sangen sie: »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, bleib nicht so lange fort …« Dieser Wunsch kam ihnen aus tiefstem Herzen. Diesmal galt er nicht einem Kind, das Abschied nahm, sondern ihrer geliebten Schwester Regine. Zwar fuhr sie nur in den Urlaub, aber die Kinder konnten sich auch nur vierzehn Tage ohne sie kaum vorstellen. Schwester Regine winkte mit einem weißen Schal, bis der Wagen Denise von Schoeneckers, in dem sie saß, das Tor von Sophienlust passiert hatte. Neben der Heimleiterin, Frau Rennert, stand eine mittelgroße blonde Frau auf der Freitreppe. Es war die neunundzwanzigjährige Jette Berger aus dem Schwarzwald. Sie sollte Schwester Regine vertreten. Die Kinder hatten sich in den letzten Tagen schon mit Schwester Jette vertraut gemacht. Denise von Schoenecker hatte das für sehr wichtig gehalten. Sie war immer bemüht, die angenehme Atmosphäre von Sophienlust zu erhalten. Dass sie mit Schwester Jette einen guten Griff getan hatte, zeigte sich jetzt schon. Die nicht schulpflichtigen Kinder bestürmten sie, mit ihnen zur Rutschbahn und Schaukel in den Park zu gehen. Sie wussten, wie übermütig die neue Schwester beim Spielen sein konnte. Jetzt lief Schwester Jette in ihrem blauen Schwesternkleid mit der weißen Schürze voraus und rief: »Wer holt mich zuerst ein?« Das war für die Kinder die Aufforderung zu einem Wettlauf. Die großen Kinder, auf die der Schulbus wartete, sahen den Kleinen neidisch nach. Pünktchen sagte zu Nick: »Schwester Jette wäre sicher auch eine ganz liebe Mutter. Warum heiraten manche Frauen nicht, wenn sie so gut mit Kindern umgehen können?«
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Die Kinder von Sophienlust drängten sich auf der Freitreppe zusammen. Mit wehmütigen Gesichtern sangen sie: »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, bleib nicht so lange fort …«
Dieser Wunsch kam ihnen aus tiefstem Herzen. Diesmal galt er nicht einem Kind, das Abschied nahm, sondern ihrer geliebten Schwester Regine. Zwar fuhr sie nur in den Urlaub, aber die Kinder konnten sich auch nur vierzehn Tage ohne sie kaum vorstellen.
Schwester Regine winkte mit einem weißen Schal, bis der Wagen Denise von Schoeneckers, in dem sie saß, das Tor von Sophienlust passiert hatte.
Neben der Heimleiterin, Frau Rennert, stand eine mittelgroße blonde Frau auf der Freitreppe. Es war die neunundzwanzigjährige Jette Berger aus dem Schwarzwald. Sie sollte Schwester Regine vertreten.
Die Kinder hatten sich in den letzten Tagen schon mit Schwester Jette vertraut gemacht. Denise von Schoenecker hatte das für sehr wichtig gehalten. Sie war immer bemüht, die angenehme Atmosphäre von Sophienlust zu erhalten. Dass sie mit Schwester Jette einen guten Griff getan hatte, zeigte sich jetzt schon. Die nicht schulpflichtigen Kinder bestürmten sie, mit ihnen zur Rutschbahn und Schaukel in den Park zu gehen. Sie wussten, wie übermütig die neue Schwester beim Spielen sein konnte.
Jetzt lief Schwester Jette in ihrem blauen Schwesternkleid mit der weißen Schürze voraus und rief: »Wer holt mich zuerst ein?«
Das war für die Kinder die Aufforderung zu einem Wettlauf. Die großen Kinder, auf die der Schulbus wartete, sahen den Kleinen neidisch nach. Pünktchen sagte zu Nick: »Schwester Jette wäre sicher auch eine ganz liebe Mutter. Warum heiraten manche Frauen nicht, wenn sie so gut mit Kindern umgehen können?«
»Was weiß ich?«, antwortete Nick missmutig. So gern er seine kleine Freundin hatte, manchmal waren ihm ihre gründlichen Fragen lästig. Besonders dann, wenn ihn eine knifflige Schularbeit erwartete wie an diesem Tag.
»Du bist ein Muffel.« Pünktchen stand auf und setzte sich zu Vicky. Aber mit ihr hatte sie etwas ganz anderes zu besprechen als die Frage, warum Schwester Jette wohl noch nicht geheiratet habe.
*
Diese Frage beschäftigte jedoch auch Denise von Schoenecker, als sie in den nächsten Tagen beobachten konnte, wie gut Schwester Jette mit den Schützlingen von Sophienlust zurechtkam. »Wünschen Sie sich nicht auch eigene Kinder, Schwester Jette?«, fragte Denise bei einem Kaffeestündchen in ihrem Zimmer.
Das Gesicht Schwester Jettes wurde sehr ernst. Sie strich sich über das glatt zurückgekämmte Haar. »Ja, das wäre mein größter Wunsch.« In ihren blauen Augen stand Sehnsucht. »Eine Familie zu haben, würde für mich viel bedeuten. Ich stamme aus einer kinderreichen Familie. Drei meiner Geschwister sind schon verheiratet und haben bereits Kinder. Aber mir wird das nie vergönnt sein.«
Denise erschrak. Hatte sie mit ihrer Frage eine Wunde aufgerissen? Das war nicht ihre Absicht gewesen.
»Ich habe vor vier Jahren einen sehr schweren Unfall im Gebirge gehabt. Damals war ich verlobt. Obwohl ich weder eine begeisterte noch eine geübte Bergsteigerin bin, habe ich mich von meinem Verlobten immer wieder zu Klettertouren verleiten lassen. Er hielt es kaum ein Wochenende zu Hause aus. Es zog ihn immer in die Berge. Diese Freude wollte ich ihm nicht nehmen. Ich stürzte ab, als wir zusammen am Seil gingen, und schlug so hart gegen die Felswand, dass ich schwer verletzt wurde. Ich musste operiert werden. Die Ärzte sagten mir danach, dass ich nie ein Kind würde zur Welt bringen können.«
Denise legte die Hand auf Schwester Jettes Arm. »Es tut mir leid, dass ich so neugierig war.«
»Warum soll ich nicht einmal darüber sprechen? Ich habe durch den Unfall noch mehr verloren. Mein Verlobter wollte nichts mehr von mir wissen, als er erfuhr, dass ich nie würde einem Kind das Leben schenken können.«
»Aber durch die Liebe zu ihm ist Ihnen doch das Unglück passiert, Schwester Jette.«
»Das hatte er wohl vergessen. Ich habe mich nicht bemüht, ihn zu halten. Was soll aus einer Ehe werden, zu der ein Partner gezwungen wurde? Nein, dann will ich lieber allein bleiben.« Das alles sagte Schwester Jette mit sehr bitterem Ton in der Stimme.
Denise bemühte sich, ein anderes Thema anzuschneiden. »Sie haben vor Kurzem Ihre Stelle verloren, Schwester Jette, weil das Kinderheim, in dem Sie arbeiteten, aufgelöst wurde. Haben Sie nun schon eine neue Stelle in Aussicht?«
»Nein. Die zu finden, wird mir vielleicht gar nicht so leicht werden, weil ich am liebsten wieder in den Schwarzwald zurückginge. Ich liebe meine Heimat sehr und fühle mich dort am wohlsten.«
»Sie haben ja sogar Schwester Regine dazu überredet, im Schwarzwald Urlaub zu machen, obwohl sie zuerst ans Meer wollte.«
»Sie wird es sicher nicht bereuen, Frau von Schoenecker.« Schwester Jettes Augen hellten sich wieder auf. Sie erzählte von ihrem Zuhause in der Nähe des Titisees, von dem bescheidenen Leben, das sie in ihrem Elternhaus geführt hatte, und von ihren Geschwistern.
*
Schwester Regine bereute es wirklich nicht, den Rat ihrer Vertreterin befolgt zu haben.
Auf einer großen Lichtung am Hang des Tribergs stand das schmucke Haus der Familie Steiner. Vier Zimmer wurden an Fremde vermietet. Aber jetzt im Spätherbst war Schwester Regine der einzige Gast. Sie teilte das Leben der Familie, aß mit ihr am selben Tisch und beschäftigte sich viel mit den drei Kindern.
Die Mutter, Veronika Steiner, wunderte sich darüber, weil sie wusste, dass Schwester Regine das ganze Jahr über für Kinder zu sorgen hatte. Aber es war der Kinderschwester anzumerken, dass ihr das Zusammensein mit den Steiner-Kindern nicht zu viel wurde.
Die zehnjährige Kuni und die achtjährige Bärbel fuhren jeden Tag mit dem Lift ins Dorf hinunter zur Schule. Die Liftstation war nicht weit vom Haus entfernt. Der sechsjährige Josi hing den ganzen Tag über wie eine Klette an Schwester Regine. Er war ein hübscher, aufgeweckter Junge und so blond wie seine Schwestern. Obwohl der Vater, Christoph Steiner, brünett war, hatte keines der Kinder sein braunes Haar und seine dunklen Augen mitbekommen. Sie hatten alle strahlendblaue Augen wie die Mutter.
Veronika Steiner war eine schöne Frau, aber viel zu zart für die oft schwere Arbeit hier oben auf dem Berg. Auch hatte sie schon drei Kinder geboren, und das vierte sollte in zwei Monaten zur Welt kommen. Auch deshalb griff Schwester Regine gern helfend ein. Wenn sie mit dem lebhaften Josi unterwegs war, konnte sich Veronika Steiner etwas ausruhen. Ihr Mann war ja beinah den ganzen Tag außer Haus. Er arbeitete als Heger und nahm seine Aufgabe sehr ernst.
Erst nach einigen Tagen erfuhr Schwester Regine, dass es auch in dieser Einsamkeit Disharmonie gab. Die Steiners hatten einen Erzfeind. Es war der Hotelier Alfons Werrebrück. Er hatte auf halber Höhe des Hanges das wohl größte Hotel in der ganzen Umgebung, den Schwarzwaldhof. Obwohl es ihm dort nie an Gästen mangelte, bereitete es ihm genießerische Freude, Fremde für sein Hotel zu begeistern, die eigentlich vorgehabt hatten, bei den Steiners zu wohnen.
Etwas verlegen erzählte Veronika Steiner, dass sie Alfons Werrebrück vor Jahren einen Korb gegeben hatte. Ihm war es unverständlich gewesen, dass sie den armen Heger Christoph Steiner ihm vorgezogen hatte. Miterleben zu müssen, dass sich die Steiners ein schmuckes Haus gebaut hatten und so gut zurechtkamen, das ertrug er auch jetzt noch nicht. Wo es ging, machte er ihnen das Leben schwer. Sein besonderer Hass galt Christoph Steiner.
Veronika schien immer davor Angst zu haben, dass die beiden Männer zusammenstießen.
Ärger gab es zwischen den Steiners und Alfons Werrebrück auch wegen des Bernhardiners Barri. Der Hund war das ganze Glück der Kinder. Sie hatten ihn als Welpen von einem Gast bekommen.
Nun lebten alle immer in Angst, dass sich Barri in dem Jagdgebiet Alfons Werrebrücks umhertreiben könnte. Sobald der Bernhardiner aus der Nähe des Hauses verschwunden war, wurde er gesucht.
Dabei war Barri ein sehr gescheiter Hund. Für alle Fremden bedeutete es eine Attraktion, zu beobachten, wie Barri mit dem Sessellift ins Tal fuhr und die Post holte.
Dazu bekam er eine Tasche um den Hals geschnallt. Sehr vorsichtig setzte er sich in den Sessel, stemmte sich mit den Vorderpfoten fest ein und wartete, bis die Fahrt losging. Er schien vollkommen schwindelfrei zu sein, und die Fahrt schien ihm Freude zu machen.
Die Steiner-Kinder waren natürlich sehr stolz auf ihren Barri und der Postbote wusste es zu schätzen, dass Barri ihm den weiten Weg hinauf zur Lichtung abnahm.
Schwester Regine freute sich schon jetzt darauf, den Kindern von Sophienlust von dem Bernhardiner, der so selbstverständlich im Sessellift fuhr, erzählen zu können. Sicher würden sie das einmal sehen wollen.
*
Die erste Woche ihres Urlaubs war bereits vergangen, als Schwester Regine unweit des Waldrandes saß und auf die Kinder wartete. Sie hatten mit ihr noch einen Spaziergang machen wollen, aber vor einer Stunde waren sie alle drei verschwunden. Es war Samstag, und die beiden Großen hatten keinen Unterricht. Da trieben sie sich gern mit Josi herum.
Schwester Regine vermutete, dass die Kinder auf der Suche nach den letzten Herbstblumen waren. Jedenfalls hatte sie die drei tuscheln hören, nachdem ihre Mutter gesagt hatte: »Schade, dass unsere Vasen jetzt leer bleiben. Während des ganzen Sommers haben wir vor dem Haus so viele Blumen, dass unsere Vasen nicht ausreichen.«
Schon wollte Schwester Regine aufstehen, um ins Haus zurückzugehen und einen Brief an die Kinder von Sophienlust zu schreiben, da kam Kuni aus dem Wald gelaufen. Sie war völlig außer Atem. Nun sah Schwester Regine auch, dass Kuni weinte. »Ist etwas passiert, Kuni?«, fragte sie ahnungsvoll.
»Josi, Josi«, stammelte das Mädchen und hielt sich an Schwester Regine fest. »Er ist ins Teufelsloch gestürzt.«
»Kuni …« Unwillkürlich schüttelte Schwester Regine das Mädchen mit den langen blonden Zöpfen an den Schultern. »Das kann doch nicht wahr sein. Ins Teufelsloch? Dorthin geht ihr doch nie. Das habt ihr zu mir gesagt.«
»Aber dort blühten noch ein paar Blumen. Ich habe Angst, zu Vati und Mutti zu gehen, Schwester Regine. Bärbel sitzt am Rand des Teufelslochs. Wenn sie nur nicht auch noch hinunterrutscht.« Kuni sagte das alles stockend. Todesangst stand in ihren Augen.
»Wir müssen zu deinem Vater. Lauf wieder zurück, damit nicht noch ein Unglück passiert. Ich hole deinen Vater. Vielleicht ist er schon zu Hause. Hoffentlich. Was tun wir denn sonst?«
Schwester Regine wollte zum Haus zurücklaufen, doch da hielt Kuni sie noch einmal fest. »Schwester Regine, wir können Josi gar nicht mehr sehen. Er gibt auch keine Antwort, wenn wir rufen.«
»Lauf zurück. Aber bleibt beide vom Abgrund weg.«
Schwester Regine begann zu laufen. Sie hatte das Haus noch nicht erreicht, als sie Christoph Steiner aus dem Wald kommen sah. Jetzt wurde ihr schon etwas leichter zumute. Sie hoffte, dass Kuni in ihrer Angst übertrieben hatte.
Christoph Steiner wurde blass, als er hörte, was geschehen war. Er sah zum Haus. »Um Himmels willen, davon darf meine Frau nichts wissen. In ihrem Zustand …« Er warf den Rucksack auf den Boden und rannte zu einem Schuppen. »Gehen Sie zu meiner Frau, Schwester Regine. Aber sagen Sie ihr nicht, was passiert ist.«
Schwester Regine blieb jedoch noch stehen. Sie sah Christoph Steiner mit einem Strick aus dem Schuppen kommen. Lange blickte sie ihm nach, als er mit großen Sprüngen über die Lichtung lief. Dann erst ging sie weiter und bemühte sich, ruhiger zu werden. Es musste ihr ja gelingen, Veronika Steiner die große Aufregung, die sie befallen hatte, zu verbergen. Sie wusste, dass die jetzt zweiunddreißigjährige Frau bei jeder Schwangerschaft Angst vor einer Frühgeburt hatte haben müssen. Ein solcher Schrecken hätte diese Gefahr wieder heraufbeschwören können.
Aber es half Schwester Regine nichts, dass sie sich etwas gefasst hatte, als sie das Steinpflaster vor dem Haus erreicht hatte. Dort stand Veronika und sah ihr ängstlich entgegen. »Warum ist mein Mann mit einem Strick in den Wald gelaufen?«, fragte sie und presste beide Hände auf die Brust.
Als Schwester Regine nicht gleich antwortete, drängte sie: »Ist den Kindern etwas passiert? Sie sind doch alle drei schon so lange fort.«
Jetzt hielt es Schwester Regine für ratsamer, Veronika nicht zu belügen. Sie würde einen Schwindel doch merken, und ihre Aufregung würde dann nur noch größer sein.
»Kommen Sie mit ins Haus, Frau Steiner. Ja, es ist ein kleines Unglück passiert. Josi ist ein Stück abgerutscht, und Kuni und Bärbel können ihm nicht helfen. Ihr Mann wird sicher bald mit den Kindern kommen.«
Veronika ließ sich auf die Bank vor dem Haus fallen. »Wo ist Josi abgerutscht?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht genau«, schwindelte Schwester Regine nun doch.
»Um Himmels willen, wenn die Kinder zum Teufelsloch gegangen sind, dann ist Josi verloren!« Veronika stand schon wieder auf.
»Was haben Sie vor, Frau Steiner?«, fragte Schwester Regine erschrocken.
»Ich muss zum Teufelsloch. Nein, ich kann nicht hier warten.«
»Sie bleiben hier.« Das sagte Schwester Regine sehr entschieden. »Ich habe Ihrem Mann versprochen, mich um Sie zu kümmern. Jetzt müssen Sie an sich und an das ungeborene Kind denken. Bitte, kommen Sie mit ins Haus. Wir werden sicher nicht mehr lange zu warten brauchen.«
Schwester Regine öffnete die Haustür. In diesem Augenblick kam Barri aus dem Haus gestürmt. So rücksichtsvoll er sonst war, jetzt hätte er die beiden Frauen beinahe umgerannt.
»Barri spürt, dass etwas passiert ist. Er war eben schon so unruhig.« Veronika ging nun doch mit in die Wohnstube. »Warum habe ich den Kindern nicht erlaubt, Barri mitzunehmen? Nur wegen dieses Werrebrück. Wir haben immer Angst, dass er Barri einmal abknallt.« Sie sank auf einen Stuhl. »Erst vor einigen Wochen hat er einen jungen Terrier erschossen, der sich in sein Jagdrevier verirrt hatte. Unseren Barri zu erschießen, das würde ihm nur Freude machen.«
Schwester Regine ließ Veronika reden, weil es ihr lieber war, dass sie jetzt von dem Bernhardiner sprach und nicht von den Kindern.
Aber es dauerte nicht lange, bis Veronika beunruhigt sagte: »Sie bleiben so lange weg. Es muss doch etwas Schlimmes passiert sein.«
Schwester Regine ging in die Küche und goss Tee auf. Damit kam sie ins Wohnzimmer zurück.
Veronika stand am Fenster, das sie geöffnet hatte. »Ich höre Barri bellen und glaube, dass es immer näher klingt.«
Es dauerte nicht lange, bis Barri aus dem Wald auf die Lichtung geprescht kam. Aber er kehrte wieder um. Jetzt zog er den Schweif ein und ging ganz langsam wieder zurück.
Schwester Regines Herz klopfte immer aufgeregter. Sie wusste nicht mehr, womit sie Veronika noch vertrösten konnte. Barri verriet durch sein Benehmen schon zu deutlich, dass ein Unglück geschehen war.
Jetzt kam der Bernhardiner wieder zurück. Bärbel war bei ihm. Sie hielt ihn am Halsband fest, als brauche sie diesen Halt.
»Bärbel, was ist passiert?«, rief Veronika durch das offene Fenster.
Das kleine Mädchen blieb ein paar Sekunden lang stehen, dann kam es laut weinend auf das Haus zugerannt. Bärbel brauchte jetzt selbst Trost, und den konnte sie nur bei der Mutter finden.
Veronika lief vor das Haus, beide Hände auf den hochgewölbten Leib gedrückt. Bärbel warf sich an die Brust der Mutter und stammelte: »Vati bringt Josi. Mutti, Mutti, Josi sieht und hört uns gar nicht. Er ist ins Teufelsloch gerutscht. Vati hat ihn heraufgeholt.«
Schwester Regine legte den Arm um Veronikas Schultern. »Sie müssen sich setzen, Frau Steiner«, bat sie. »Ihr Mann und Kuni bringen Josi schon. Ich laufe ihnen entgegen. Vielleicht brauchen sie Hilfe.«
Christoph Steiner drückte seinen kleinen Jungen fest an sich. »Er lebt«, sagte er mit keuchendem Atem. »Ja, er lebt noch, aber er ist bewusstlos. Können Sie ihm helfen, Schwester Regine?«
Während er weiter auf das Haus zuging, griff Schwester Regine schon nach dem Puls des Jungen. »Er schlägt normal«, sagte sie. Dabei sah sie auf das rechte Bein, das in unnatürlicher Haltung herunterhing.
»Rege dich nicht auf, Veronika, ich bitte dich«, rief Christoph Steiner, als er noch ein gutes Stück vom Haus entfernt war. »Es sieht alles schlimmer aus, als es ist.«
»Ja, Frau Steiner. Josi wird eine kleine Gehirnerschütterung haben. Deshalb ist er jetzt bewusstlos«, redete Schwester Regine auf die junge Frau ein.
Wenig später lag Josi auf dem Sofa. Schwester Regine untersuchte ihn. »Es ist vielleicht ein Glück für ihn, dass er bewusstlos ist. Sonst hätte er zu große Schmerzen. Ich glaube, dass er den rechten Oberschenkel gebrochen hat. Wir müssen ihn sofort ins Krankenhaus bringen.«
»Ja, Christoph, das musst du tun«, sagte Veronika. Sie sah jetzt wieder gefasster aus, wenn sie auch noch sehr blass war. »Oder wir rufen Dr. Gregor an. Mit dem Sessellift ist er schnell oben. Vielleicht kann Josi doch zu Hause bleiben.«
Christoph Steiner ging an den Telefonapparat, während Schwester Regine Josis Hautabschürfungen und Risswunden versorgte.
Kuni und Bärbel standen schweigend im Zimmer. Ihren Gesichtern war anzusehen, welche Vorwürfe sie sich machten, weil der kleine Bruder in ihrem Beisein verunglückt war. Jetzt streckte Bärbel die Arme aus und legte sie um den Hals der Mutter. »Wir wollten doch nur Blumen für dich holen, Mutti.«
»Ja, es ist schon gut, Bärbel.« Die Mutter strich dem Mädchen über den Kopf. »Wenn ein Unglück passieren soll, kann es wohl niemand verhindern.«