Bartleby, der Schreiber - Herman Melville - E-Book + Hörbuch

Bartleby, der Schreiber E-Book

Herman Melville.

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Beschreibung

Über die Berufsgruppe der Kopisten juristischer Dokumente gäbe es viele Anekdoten zu erzählen, und doch wird über die sogenannten Schreiber nie geschrieben. Die Angestellten der Rechtsanwaltskanzlei in der Wall Street, von der Herman Melville erzählt, wären alle eine Geschichte wert: der alte Turkey, der zumindest bis zum Mittagessen ein vorbildlicher Beschäftigter ist, Nippers, der sehr unter seinem Ehrgeiz und seinen Verdauungsproblemen leidet, und der zwölfjährige Ginger Nut, dessen Vater, ein Kutscher, ihn auf eine bessere Zukunft vorbereiten will. Und dann kommt Bartleby hinzu, setzt sich an seinen Schreibtisch und beginnt zu schreiben: Tag und Nacht, blass, mechanisch, still. Er verlässt das Büro nie, isst nichts als Ingwerkekse, gibt nicht ein Wort über sich und seine Herkunft preis. Kurz: Er weigert sich, etwas anderes zu tun als zu schreiben. Und eines Tages hört er auch mit dem Schreiben auf.

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Hermann Melville

Bartleby, der Schreiber

Eine Geschichte aus der Wall Street

Aus dem amerikanischen Englisch und mit einem Essay von Karl-Heinz Ott

Kampa

Ich bin nicht mehr der Jüngste. Mein Beruf hat michin den letzten dreißig Jahren mit einer ganzen Menge interessanter, aber auch einzigartiger Leute zusammengebracht – über die meines Wissens noch nie etwas geschrieben wurde. Ich meine solche Kopisten juristischer Dokumente, die man gewöhnlich als Schreiber bezeichnet. Ich kenne ziemlich viele von ihnen, beruflich wie privat, und könnte, wenn ich wollte, allerlei Geschichten zum Besten geben, die gutmütige Zeitgenossen zum Schmunzeln brächten und zarte Seelen zum Weinen. Doch übergehe ich gerne die Biographien all dieser vielen Schreiber für einige wenige Episoden aus dem Leben des Bartleby, dem allersonderbarsten Schreiber, der mir je begegnet ist und von dem ich je gehört habe. Während ich über andere Anwaltskopisten umfassende Biographien schreiben könnte, ist mir das bei Bartleby unmöglich. Ich glaube, dass es über diesen Mann keinerlei Stoff gibt für eine richtige, zufriedenstellende Biographie. Für die Literatur ist das ein unersetzlicher Verlust. Bartleby gehörte zu jenen Wesen, über die man nichts Gesichertes weiß, es sei denn aus erster Hand, was in diesem Fall nicht viel ist. Was meine eigenen staunenden Augen von Bartleby mitbekamen, ist alles, was ich über ihn weiß, sieht man von einem vagen Hinweis ab, auf den ich später noch zu sprechen komme.

Bevor ich diesen Schreiber vorstelle, wie ich ihn kennenlernte, sollte ich ein paar Worte über mich selbst, meine Angestellten, meine Tätigkeit, meine Kanzlei und die Umgebung im Ganzen verlieren; denn all das ist unerlässlich, will man die Hauptfigur der nun folgenden Schilderungen hinreichend verstehen.

Was mich selbst betrifft: Von Jugend an war ich zutiefst davon überzeugt, dass man es sich im Leben nicht unnötig schwer machen sollte. Obwohl ich einem Berufsstand angehöre, der gemeinhin als kräftezehrend und nervenaufreibend gilt und in dem es oft hoch hergeht, hat nichts von alldem meine Ruhe je beeinträchtigen können. Ich gehöre zu jenen ambitionslosen Anwälten, die nie das Wort an Geschworene richten und nie im Rampenlicht stehen, sondern an einem behaglichen Ort ebenso behaglich ihren Geschäften nachgehen, indem sie für reiche Leute Verträge aufsetzen und sich um deren Wertpapiere und Hypotheken kümmern. Jeder, der mich kennt, hält mich für äußerst zuverlässig. Der selige John Jacob Astor[1], der nicht gerade zu poetischer Schwärmerei neigte, hob gern hervor, dass mich in erster Linie Lebensklugheit auszeichnet und in zweiter methodisches Denken. Ich erwähne das nicht aus Eitelkeit, sondern der Information halber, schließlich hat der selige John Jacob Astor dafür gesorgt, dass ich immer genug zu tun hatte; ich erwähne seinen Namen zugegebenermaßen immer gerne, zumal er auch noch einen wunderbar runden Klang besitzt und an Goldbarren gemahnt. Ich gestehe freimütig, dass mir die Wertschätzung des seligen John Jacob Astor nicht ganz unwichtig war.

Schon einige Zeit, bevor meine kleine Geschichte einsetzt, hatte mein Tätigkeitsfeld sich merklich ausgeweitet. Mir war das gute alte Amt eines Beisitzers im Bezirksgericht übertragen worden, das es im Bundesstaat New York mittlerweile nicht mehr gibt. Es handelte sich um keine allzu aufwendige, dafür aber ziemlich einträgliche Tätigkeit. Zwar verliere ich selten die Beherrschung und noch seltener lasse ich mich zu Wutausbrüchen über ergangenes Unrecht hinreißen, allerdings muss mir an dieser Stelle die Bemerkung erlaubt sein, dass ich die so plötzliche wie gewaltsame, allein der neuen Verfassung geschuldete Abschaffung dieser Beisitzertätigkeit für reichlich übereilt halte. Immerhin hatte ich mit einer lebenslangen Gewinnbeteiligung gerechnet, die dadurch auf ein paar wenige kurze Jahre beschränkt blieb. Doch das nur nebenbei.

Meine Büroräume befanden sich in einem der oberen Stockwerke in der Wall Street Nr. –. Zu der einen Seite gingen sie auf die weiße Wand eines geräumigen Lichtschachts hinaus, der das ganze Gebäude durchzog – ein ziemlich öder Anblick, könnte man sagen, dem es an allem fehlte, was Landschaftsmaler als »Leben« bezeichnen. Nun denn, die Aussicht auf der anderen Seite bot immerhin einen gewissen Kontrast. Dort zeigten meine Fenster auf eine hohe Backsteinmauer, die mit den Jahren schwarz geworden war und immerzu im Schatten lag; um ihre verborgenen Schönheiten zu entdecken, bedurfte es keines Fernrohrs, denn zum Wohle aller Kurzsichtigen war sie bis auf drei Meter an meine Fenster herangerückt. Weil die Gebäude rundum sehr hoch waren und meine Kanzlei sich im zweiten Stock befand, hatte der Raum zwischen dieser Wand und der meinen etwas von einer riesigen viereckigen Zisterne.

Kurz vor Bartlebys Erscheinen hatte ich zwei Schreiber und einen vielversprechenden jungen Bürogehilfen. Als Ersten Turkey, als Zweiten Nippers, als Dritten Ginger Nut.[2] In Adressbüchern stößt man gewöhnlich auf keine solche Namen. Natürlich handelte es sich um Spitznamen, die meine drei Angestellten sich einander gegeben hatten und die durchaus etwas über ihr Äußeres und ihren Charakter aussagten. Turkey war ein kleiner gedrungener Engländer in meinem Alter, was heißt, dass er auf die sechzig zuging. Vormittags hatte sein Gesicht ein leicht rosige Tönung, wenn er aber nach zwölf vom Essen zurückkehrte, glühte es wie ein Kohlenrost zur Weihnachtszeit; und so glühte es – ganz langsam abnehmend – weiter bis etwa abends um sechs. Danach sah ich nichts mehr vom Besitzer dieses Gesichts, das seinen Höhepunkt mit dem Höchststand der Sonne erreichte und, wie mir schien, mit ihr auch unterging, am folgenden Tag wieder aufging, dem Zenit zustrebte und wieder unterging, in schöner Regelmäßigkeit und steter Pracht. Zu den vielen Merkwürdigkeiten, die mir im Laufe meines Lebens untergekommen sind, gehört nicht zuletzt der Umstand, dass ich genau ab jenem kritischen Moment, da Turkeys Gesicht hochrot zu strahlen anfing, beobachten konnte, wie seine Leistungsfähigkeit abnahm, und zwar für den gesamten Rest des Tages. Er saß dann keineswegs untätig herum, und er schreckte auch vor keiner Arbeit zurück, ganz im Gegenteil. Das Problem bestand vielmehr darin, dass er überhaupt nicht mehr zu bremsen war. Er legte eine seltsame, ungestüme, hektische, vollkommen fahrige Betriebsamkeit an den Tag. Unkontrolliert tunkte er die Feder ins Tintenfass, alle Kleckse auf meinen Dokumenten entstanden erst nach zwölf Uhr. Nicht nur arbeitete er nachmittags schludrig und verteilte bedauerlicherweise überall Spritzer, manchmal trieb er es noch bunter und wurde sogar ziemlich laut. In solchen Augenblicken glühte sein Gesicht so sehr, als hätte man Kohlen auf Anthrazit geschüttet. Er quietschte unangenehm mit seinem Stuhl herum, verschüttete seine Sandbüchse, zerbrach beim Spitzen ungeduldig seine Stifte und warf die Teile jähzornig auf den Boden, sprang auf, beugte sich über seinen Tisch und warf unwirsch seine Papiere umher, was bei einem älteren Mann wie ihm einen recht traurigen Eindruck machte. Da er für mich jedoch in vielerlei Hinsicht ein wertvoller Mitarbeiter war und vor zwölf Uhr so flink und zuverlässig wie kein anderer eine Menge Arbeit erledigte, sah ich über seine Schrullen hinweg und beließ es bei einem gelegentlichen Tadel. Doch selbst dieser Tadel fiel äußerst milde aus, denn während er vormittags der höflichste, freundlichste, umgänglichste Mensch war, neigte er nachmittags dazu, seiner Zunge, wenn er sich provoziert fühlte, sofort freien Lauf zu lassen und sogar unverschämt zu werden.

Weil ich seine morgendliche Arbeit überaus schätzte, wollte ich ihn nicht verlieren; gleichzeitig war mir seine aufbrausende Art nach zwölf Uhr unangenehm; als jemand, der es gerne friedlich hat, wollte ich aber auch nicht, dass er sich durch meine Ermahnungen zu unziemlichen Erwiderungen hinreißen lässt; und so rang ich mich eines Samstags dazu durch (samstags benahm er sich immer besonders schlimm), ihn mehr als nur höflich darauf hinzuweisen, dass er jetzt, wo er ein gewisses Alter erreicht habe, vielleicht etwas kürzertreten solle und – um es kurz zu sagen – nach zwölf nicht mehr in die Kanzlei zu kommen brauche, sondern nach dem Mittagessen nach Hause gehen und sich bis zum Nachmittagstee ausruhen könne. Aber nein! Er bestand auf seiner Nachmittagspflicht. Sein Gesicht glühte nun unerträglich, während er in der entgegengesetzten Ecke des Zimmers mit einem langen Lineal herumfuchtelte und mit erheblicher rhetorischer Wucht verlautbarte, wenn seine Dienste schon am Morgen so nützlich seien, wie unentbehrlich sie erst am Nachmittag sein müssten.

»Bei allem schuldigen Respekt, Sir«, sagte Turkey, »ich betrachte mich als Ihre rechte Hand. Am Morgen mache ich lediglich meine Truppenaufstellung, erst am Nachmittag setze ich mich an ihre Spitze und greife kühn den Feind an!«, erklärte er und vollführte einen heftigen Stoß mit dem Lineal.

»Aber diese Kleckse, Turkey«, bemerkte ich vorsichtig.

»Gewiss, doch bei allem schuldigen Respekt, Sir, sehen Sie sich meine Haare an! Ich werde alt. Ein, zwei Tintenkleckse an einem warmen Nachmittag sollten doch nicht ernstlich gegen graues Haar ins Feld geführt werden. Das Alter hat seine Würde, bei all seinen Flecken. Bei allem schuldigen Respekt, Sir, wir sind beide nicht mehr die Jüngsten.«

Diesem Appell an unsere Gemeinsamkeit ließ sich schwer widerstehen. Ich hatte begriffen, dass er nicht zu gehen gedachte. Und deshalb entschloss ich mich, ihn bleiben zu lassen, jedoch dafür zu sorgen, dass er nachmittags keine wichtigen Papiere mehr in die Finger bekam.

Nippers, der Zweite im Bunde, war ein bärtiger, bleicher und insgesamt ziemlich piratenhaft wirkender junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Ich hielt ihn immer für das Opfer zweier böser Mächte: Ehrgeiz und Verdauungsprobleme. Der Ehrgeiz zeigte sich in seinem sichtlichen Unwillen, die Pflichten eines bloßen Schreibers zu verrichten; ungebührlicherweise redete er sogar bei fachlichen Fragen mit, wie etwa bei der Erstabfassung juristischer Dokumente. Seine Verdauungsprobleme taten sich in nervöser Unruhe kund und in einer von Grimassen begleiteten Reizbarkeit, bei der er, wenn er beim Kopieren Fehler machte, mit den Zähnen knirschte und ihm in der Hitze des Gefechts auch noch Flüche entfuhren, die er eher zischte als laut sagte. Vor allem aber war er immerzu unzufrieden mit der Höhe seines Tisches. Obwohl in technischer Hinsicht durchaus erfinderisch, vermochte Nippers ihn sich nie passend zu machen. Er schob Holzstücke darunter, Klötzchen verschiedenster Art, Pappdeckel, am Ende versuchte er ihn sogar haargenau mit Fetzen von gefaltetem Löschpapier zu justieren. Keine einzige seiner Ideen wollte jedoch ihren Zweck erfüllen. Wenn er, um seinen Rücken zu schonen, den Tischdeckel in spitzem Winkel dicht unter sein Kinn rückte und darauf wie jemand schrieb, der das steile Dach eines holländischen Hauses als Pult benutzt, behauptete er, in seinen Armen staue sich das Blut. Senkte er dagegen den Tisch bis zum Hosenbund, um sich beim Schreiben darüberzubeugen, tat ihm der Rücken weh. Kurzum, die Wahrheit ist: Nippers wusste nicht, was er wollte. Sofern er überhaupt etwas wollte, wollte er den Tisch loswerden, an dem Kopisten sitzen. Sein krankhafter Ehrgeiz zeigte sich auch darin, dass er mit Vorliebe zwielichtige Gestalten in schäbigen Mänteln empfing, die er seine Klienten nannte. Mir war bekannt, dass er eine Zeit lang nicht nur ein keineswegs unbedeutender Lokalpolitiker war, sondern gelegentlich auch für den Strafgerichtshof arbeitete und im Stadtgefängnis ein uns aus ging. Ich habe jedoch gute Gründe zu der Annahme, dass es sich bei einer bestimmten Person, die ihn in meiner Kanzlei zu sprechen wünschte und sich mit großem Getue als sein Klient ausgab, um einen Betrüger handelte, dessen angebliche Besitzurkunde eine Rechnung war. Doch trotz solcher Fehler und Scherereien war Nippers für mich ebenso nützlich wie sein Landsmann Turkey; seine Schrift war gut leserlich, er arbeitete flink und konnte, wenn ihm danach war, sogar ein Gentleman sein. Und weil er sich auch wie ein Gentleman kleidete, warf das auf meine Kanzlei durchaus ein gutes Licht. Bei Turkey dagegen kostete es mich größte Mühe, ihn davon abzuhalten, mir Schande zu bereiten. Seine Kleider sahen oft speckig aus und rochen nach Kneipe. Im Sommer schlotterten ihm seine ausgebeulten Hosen um die Beine. Seine Mäntel waren abscheulich, seinen Hut hätte man niemals anfassen mögen. Während sein Hut mir jedoch schon deshalb egal sein konnte, weil er ihn mit der angeborenen Höflichkeit und Ergebenheit eines in Abhängigkeitsverhältnissen stehenden Engländers stets abnahm, wenn er den Raum betrat, konnte ich über seinen Mantel nicht hinwegsehen. Was diese Mäntel anging, so sprach ich ihn darauf an, doch ohne Erfolg. In Wirklichkeit war es wohl so, dass jemand mit einem so geringen Einkommen es sich nicht leisten konnte, sowohl mit einem prächtigen Gesicht als auch noch mit prächtigen Kleidern aufzuwarten. Wie Nippers einmal bemerkte, ging Turkeys Geld vor allem für rote Tinte drauf. Im Winter schenkte ich Turkey einmal einen recht ansehnlichen Mantel, der mir selbst gehörte – einen wattierten grauen Mantel, der wunderbar warm hielt und den man vom Knie bis zum Hals zuknöpfen konnte. Ich dachte, Turkey würde diesen Gefallen zu schätzen wissen und nun nachmittags weniger unberechenbar sein und weniger widerspenstig. Doch nichts davon. Inzwischen bin ich überzeugt, dass der Besitz eines so flaumigen Daunenmantels auf ihn eine ähnlich verhängnisvolle Wirkung ausübte wie auf Pferde zu viel Hafer. Denn so wie man sagt, dass ein ungestümes, störrisches Pferd der Hafer sticht, so stach Turkey der Mantel. Er wurde unverschämt. Er gehörte zu den Leuten, denen Wohlstand schlecht bekommt.

Während ich über Turkeys zügellose Angewohnheiten meine eigenen Vermutungen anstellte, schien Nippers – trotz seiner anderweitigen Fehler – wenigstens Maß halten zu können. Dabei schien die Natur ihn von Geburt mit so viel Wein versorgt und ihn mit einer so reizbaren, branntweinartigen Veranlagung ausgestattet zu haben, dass es entsprechender Getränke gar nicht mehr bedurfte. Wenn ich daran denke, wie Nippers in der Stille meiner Kanzleiräume ungeduldig von seinem Stuhl hochfuhr, sich über seinen Tisch beugte, weit mit seinen Armen ausholte, das ganze Pult packte und knirschend auf dem Boden hin und her schleifte – als wäre es ein verkommener Kerl, der ihm gezielt seine Arbeit kaputt machen und ihn zur Weißglut treiben wollte –, erkenne ich deutlich, dass Nippers auch hier keinen Brandy und kein Wasser mehr brauchte.

Zum Glück für mich machten sich Nippers’ Reizmagen und die daraus folgende Nervosität meist bloß morgens bemerkbar, während er sich nachmittags vergleichsweise zahm verhielt. Weil Turkey wiederum seine Anfälle erst ungefähr ab mittags zwölf bekam, musste ich die exzentrischen Seiten dieser beiden nie gleichzeitig ertragen. Sie lösten sich ab wie Wachsoldaten. Drehte Nippers durch, war Turkey ruhig – und umgekehrt. Was die Natur unter den gegebenen Umständen gut eingerichtet hatte.

Ginger Nut, der Dritte im Bunde, war ein ungefähr zwölfjähriger Junge. Sein Vater war Kutscher und wollte, noch bevor er starb, seinen Sohn auf einem Richterstuhl sehen und nicht auf einem Pferdekarren. Deshalb schickte er ihn als Rechtsschüler, Laufburschen und Putzgehilfen zu mir, gegen einen Lohn von einem Dollar die Woche. Ginger Nut hatte einen kleinen Schreibtisch für sich, den er jedoch nicht oft benutzte. Inspizierte man seine Schublade, so kamen Unmengen verschiedentlicher Nussschalen zum Vorschein. Tatsächlich war für diesen schlagfertigen Jungen auch die ganze ehrwürdige Rechtswissenschaft in einer Nussschale enthalten. Zu Ginger Nuts nicht geringsten Pflichten gehörte, für Turkey und Nippers Kuchen und Äpfel zu besorgen – was er mit größtem Eifer erledigte. Weil das Abschreiben juristischer Dokumente im wahrsten Sinne des Wortes ein trockenes Geschäft ist, befeuchteten meine beiden Schreiber ihre Münder häufig mit Spitzenberger Äpfeln, die man an den vielen Ständen beim Zollhaus und Postamt bekam. Ebenso ließen sie Ginger Nut immer wieder jene besonderen Kekse holen, die klein, flach, rund und überaus würzig waren und Ginger Nut seinen Namen gaben. An ruhigen Vormittagen, wenn nicht viel zu tun war im Büro, verschlang Turkey von diesen Keksen solche Unmengen, als seien es bloß Oblaten – sechs bis acht Stück kosteten nur einen Penny –, wobei das Kratzen seiner Feder sich mit dem Krachen der knusprigen Teile in seinem Mund vermengte. Zu Turkeys ungestümen nachmittäglichen Schludrigkeiten und Patzern gehörte, dass er eines Tages einen Ingwerkeks mit seinen Lippen befeuchtete und ihn als Siegel auf einen Pfandbrief klebte. Um ein Haar hätte ich ihn damals entlassen. Allerdings stimmte er mich dadurch wieder mild, dass er sich auf orientalische Weise vor mir verbeugte und erklärte: »Bei allem schuldigen Respekt, Sir, so war es von mir doch eigentlich großzügig, diesen Brief auf eigene Kosten zu versiegeln.«