Bartleby, der Schreibgehilfe - Herman Melville - E-Book

Bartleby, der Schreibgehilfe E-Book

Herman Melville.

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Beschreibung

Der charmanteste Arbeitsverweigerer der Weltliteratur

«Ich möchte lieber nicht.» Dieser kleine Satz, mit Bestimmtheit ausgesprochen, ist Bartleby zum Lebensmotto geworden. Lange hat der unscheinbare Mann getan, was man ihm sagte, hat tagaus, tagein Kopistendienste bei einem New Yorker Kanzleibesitzer geleistet. Wie alle Werktätigen war er ein verlässlicher Mitarbeiter und neben Tausenden und Abertausenden anderen ein kleines Rädchen im riesigen Weltgetriebe. Doch eines Tages erklärt Bartleby unaufgeregt und mit freundlicher Stimme, er ziehe es vor, einen Auftrag nicht auszuführen. Was als kleine Geste des Ungehorsams beginnt, wächst sich alsbald zur universellen Verweigerungshaltung aus. Alle Anläufe des Kanzleibesitzers, seinen merkwürdigen Kopisten zur Vernunft zu bringen, zerschellen an dessen Entscheidung, lieber nicht zu wollen … Mit seiner liebenswert schrulligen Figur schuf Herman Melville einen Säulenheiligen der Pflichtverweigerung und Anorexie.

PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. – Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022

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Seitenzahl: 92

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Große Emotionen, große Dramen, große Abenteuer – von Austen bis Fitzgerald, von Flaubert bis Zweig. Ein Bücherregal ohne Klassiker ist wie eine Welt ohne Farbe.

Herman Melville, 1819 in New York geboren, übte nach dem frühen Tod des Vaters diverse Gelegenheitsjobs aus, bevor er 1841 auf einem Walfänger anheuerte. Als freier Schriftsteller unternahm er lange Auslands- und Vortragsreisen, arbeitete als Farmer und Zollinspektor. Heute vor allem für seinen «Moby-Dick» weltberühmt, starb der Romancier, Dichter und Essayist einsam und vergessen im Jahr 1891.

«Die große Frechheit Bartlebys besteht nicht darin, dass er seinem Chef Widerrede leistet, sondern die besteht darin, dass er auf die für viele Menschen systemimmanente Entfremdung hinweist – dass viele Menschen tagtäglich mit sinnlosen Dingen beschäftigt sind.» Ole Nymoen

«Eine ganz eigenartige Figur, die in diese Welt der Bullshit-Jobs ausgezeichnet passt … Vielleicht brauchen wir noch viele Bartlebys.» Wolfgang M. Schmitt

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Herman Melville

BARTLEBY, DER SCHREIBGEHILFE

Eine Geschichte aus der Wall Street

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Elisabeth Schnack

Mit einem Nachwort von H. M. Compagnon

Die Originalausgabe erschien 1853 unter dem Titel «Bartleby the Scrivener. A Story of Wall Street».

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Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe by Manesse Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright des Nachworts © 2022 by H. M. Compagnon

Umschlaggestaltung: Regg Media in Adaption der traditionellen Penguin Classics Triband-Optik aus England

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel GmbH

ISBN 978-3-641-28613-2V001

www.penguin-verlag.de

Ich bin ein schon etwas bejahrter Mann. In den letzten dreißig Jahren hat mich die Art meiner beruflichen Tätigkeit in ziemlich nahe Berührung mit einer, wie mir scheint, recht interessanten und einigermaßen merkwürdigen Klasse von Menschen gebracht, über die aber bisher, soviel ich weiß, noch nie geschrieben wurde: Ich meine die Aktenkopisten und Schreibgehilfen. Ich habe ihrer sehr viele kennengelernt, beruflich und privat, und wenn ich wollte, könnte ich mancherlei Geschichten erzählen, über die gutherzige Männer vielleicht lächeln und gefühlvolle Seelen Tränen vergießen würden. Doch ich verzichte auf die Lebensgeschichte aller andern Schreiber zugunsten einiger Ereignisse aus dem Leben Bartlebys, der ein Schreibgehilfe war und der seltsamste, den ich je sah und von dem ich je vernahm. Während es sich mit anderen Aktenkopisten so verhält, dass ich ihr ganzes Leben schildern könnte, ist bei Bartleby nichts dergleichen möglich. Ich glaube, für eine vollständige und befriedigende Lebensbeschreibung dieses Mannes fehlt es an Unterlagen. Für die Literatur ist das ein unersetzlicher Verlust. Bartleby ist eins jener Geschöpfe, über die man nur aus den eigentlichen Quellen etwas Sicheres erfahren kann, und die sind in seinem Falle sehr rar. Was meine eigenen verwunderten Augen an Bartleby beobachteten, ist alles, was ich über ihn weiß, allerdings mit Ausnahme eines einzigen ungenauen Berichts, von dem später noch die Rede sein wird.

Ehe ich den Schreibgehilfen vorstelle, wie er zuerst vor mir erschien, ist es zweckmäßig, dass ich einiges über mich selbst, meine Angestellten, meinen Beruf, meine Kanzlei und die Verhältnisse im Allgemeinen sage; denn eine solche Schilderung ist unerlässlich, damit man die Hauptperson, die hier dargestellt werden soll, hinreichend versteht. Zunächst dies: Ich bin ein Mann, der von Jugend auf zutiefst von der Überzeugung durchdrungen war, dass die bequemste Lebensführung die beste ist. Obwohl ich einem Beruf angehöre, der durch Tatkraft und manchmal bis zur Unrast gesteigerte Unermüdlichkeit sprichwörtlich wurde, habe ich es doch nie geduldet, dass etwas Derartiges in meinen Frieden eindrang. Ich gehöre zu jenen von Ehrgeiz freien Juristen, die niemals Ansprachen an Geschworene halten oder sonst wie den Beifall der Öffentlichkeit erhaschen wollen, sondern die in der kühlen Stille einer bequemen Zufluchtsstätte in aller Behaglichkeit die Papiere und Pfandbriefe und Besitzurkunden reicher Leute verwalten. Alle, die mich kennen, halten mich für einen durchaus zuverlässigen Menschen. Der verblichene John Jacob Astor, eine Persönlichkeit, die bestimmt nicht zu poetischem Überschwang neigte, erklärte, ohne zu zaudern, meine hervorragendste Eigenschaft sei weise Vorsicht, die nächstbeste sei mein planmäßiges Vorgehen. Ich sage es nicht aus Eitelkeit, sondern berichte es nur als Tatsache, dass der verblichene John Jacob Astor sich meine Dienste zunutze machte – ein Name, den ich, es sei zugegeben, gerne wiederhole, denn es haftet ihm ein voller und wohlgerundeter Klang an, wie pures Gold. Ich will gerne hinzufügen, dass ich für die gute Meinung des verblichenen John Jacob Astor nicht unempfänglich war.

Eine Weile vor dem Zeitpunkt, an dem diese kleine Geschichte beginnt, hatten meine Geschäfte sehr zugenommen. Mir war ein gutes, altes, jetzt im Staate New York aufgehobenes Amt übertragen worden: das eines Beisitzers im Kanzleigericht. Es war kein besonders anstrengendes Amt, doch erfreulich gewinnbringend. Ich verliere selten die Beherrschung, noch viel seltener ergehe ich mich in gefährlicher Entrüstung über Unrecht oder Unbill und Kränkungen; doch gestatte man mir, jetzt einmal heftig zu werden und zu erklären, dass ich die jähe und gewaltsame Abschaffung des Beisitzeramtes am Kanzleigericht durch die neue Verfassung für einen übereilten Schritt halte; denn ich hatte auf einen lebenslänglichen Genuss der Einkünfte gerechnet. Doch das nur nebenbei.

Meine Kanzlei lag im zweiten Stock des Hauses Nummer … in der Wall Street. Auf der einen Seite blickte sie auf die weiße Mauer eines geräumigen Lichtschachtes, der sich vom Erdgeschoss bis zum Dach des Hauses erstreckte.

Diese Aussicht mag man für besonders langweilig halten, da ihr alles fehlte, was die Landschaftsmaler «Leben» nennen. Doch wenn dem so war, dann bot die Aussicht auf der andern Seite meiner Kanzlei zumindest einen Gegensatz, wenn auch nicht mehr. In jener Richtung gingen meine Fenster nämlich auf eine himmelhohe Backsteinmauer hinaus, die infolge von Alter und andauerndem Schatten geschwärzt war, und es war kein Fernglas erforderlich, um etwa heimliche Schönheiten auf besagter Mauer zu entdecken, denn zu Nutz und Frommen aller kurzsichtigen Betrachter erhob sie sich keine zehn Fuß vor meinen Fensterscheiben. Da die uns umgebenden Gebäude sehr hoch waren und da meine Räume im zweiten Stock lagen, ähnelte der Zwischenraum zwischen der schwarzen Wand und der meinen recht auffallend einem riesigen viereckigen Brunnenschacht.

In der Zeit, die dem Erscheinen Bartlebys unmittelbar voranging, beschäftigte ich in meiner Kanzlei zwei Kopisten und, als Lehrling, einen vielversprechenden jungen Burschen. Der erste hieß Turkey, der zweite Nippers, der dritte Ginger Nut. Es mag scheinen, dass dies Namen sind, wie man sie kaum in einem Adressbuch findet. Eigentlich waren es denn auch Spitznamen, die sich meine drei Angestellten füreinander ausgedacht hatten, und jeder fand, dass sie das Äußere oder den Charakter des Betreffenden gut kennzeichneten. Turkey war ein untersetzter, dicker Engländer und etwa ebenso alt wie ich, das heißt an die sechzig. Am Vormittag war sein Gesicht ein prächtig blühendes Rot, doch nach zwölf Uhr mittags, seiner Essenszeit, glühte es wie ein Kaminrost voller Kohlen in den Weihnachtsfeiertagen; und so glühte es, wenn auch mit allmählichem Erblassen, bis etwa gegen sechs Uhr nachmittags; danach entschwand meinen Blicken der Träger des Gesichts, das, wie mir schien, seine schönste Glut mit dem Mittagsstand der Sonne erreichte, gleichzeitig mit ihr sank und am folgenden Tag wieder aufging und den Höhepunkt erklomm und unterging, immer mit der gleichen Regelmäßigkeit wie sie und in unverminderter Pracht. Ich habe mancherlei seltsame Zufälle im Laufe meines Daseins beobachtet, und folgende Tatsache ist nun wirklich bemerkenswert: Genau in dem Augenblick, wenn Turkeys rot glühendes Gesicht die stärksten Strahlen ausschickte, genau dann, in diesem kritischen Augenblick, begann auch tagtäglich die Zeit, während der mir seine berufliche Tüchtigkeit für den Rest der vierundzwanzig Stunden ernstlich beeinträchtigt schien. Nicht etwa, dass er dann völlig träge oder jeder Beschäftigung abhold war, bei Weitem nicht! Unangenehm war gerade, dass er nun dazu neigte, viel zu tatendurstig zu sein. Er war von einem seltsam hitzigen, aufgeregten und flüchtig-unsorgfältigen Eifer. Schon beim Eintauchen der Feder ins Tintenfass war er unvorsichtig. Alle Tintenflecke auf meinen Akten stammten aus der Zeit nach zwölf Uhr mittags. Ja, nachmittags war er nicht nur unsorgfältig und auf betrübliche Art der Erzeugung von Tintenflecken zugetan, sondern an manchen Tagen ging er sogar noch weiter und war ziemlich laut. In solchem Falle flammte sein Gesicht in noch satterem Rot, als hätte man Pechkohle auf Anthrazit gehäuft. Er machte unliebsamen Lärm mit seinem Stuhl, verschüttete Sand aus der Streusandbüchse, zerschnitzelte in seiner Ungeduld die Gänsefedern beim Zurechtschneiden und warf sie in jähem Ärger auf den Fußboden, oder er stand auf und lehnte sich über den Tisch, wobei er seine Dokumente ganz liederlich durcheinanderbrachte, was einem bejahrten Manne wie ihm recht übel anstand. Trotzdem war er mir auf mancherlei Art höchst wertvoll, und in den Stunden vor zwölf Uhr mittags war er überdies der schnellste und zuverlässigste Mensch und erledigte eine große Menge Arbeit so glänzend, dass es ihm so leicht keiner gleichtat; aus diesem Grunde war ich willens, über seine Verschrobenheiten hinwegzusehen, obwohl ich ihm allerdings gelegentlich einen Verweis erteilen musste. Indes tat ich es sehr behutsam, weil er, der am Vormittag der höflichste, nein, der gutmütigste und ehrerbietigste Untergebene war, am Nachmittag dazu neigte, mit seiner Zunge etwas vorlaut oder, offen gesagt, ungebührlich zu werden, besonders wenn er gereizt wurde. Weil ich nun seine vormittäglichen Dienste so schätzte und entschlossen war, nicht auf sie zu verzichten, während andrerseits sein hitziges Benehmen am Nachmittag mir auf die Nerven fiel, und da ich ein friedliebender Mensch bin und durch meine Ermahnungen keine unziemlichen Erwiderungen heraufbeschwören wollte, fasste ich mir eines Samstagmittags ein Herz (an den Samstagen war es immer besonders schlimm) und wies ihn darauf hin, dass es vielleicht jetzt, da er älter würde, für ihn besser wäre, wenn er seine Arbeitszeit verringerte: Kurz gesagt, er brauche nach zwölf Uhr nicht mehr in meine Kanzlei zu kommen, sondern nach eingenommenem Mittagessen tue er am besten daran, in seine Wohnung zurückzukehren und sich bis zur Teestunde auszuruhen.

Aber nein, er bestand auf seinen nachmittäglichen Pflichten. Er steigerte sich in eine unerträgliche Hitze hinein, als er mir – er fuchtelte am andern Ende meines Zimmers mit einem langen Lineal herum – mit Rednergebärde versicherte: Wenn seine Dienste am Vormittag nützlich seien, wie unentbehrlich müssten sie da erst am Nachmittag sein! «Denn mit allem gebührenden Respekt, Sir», sagte Turkey bei dieser Gelegenheit, «ich halte mich nämlich für Ihre rechte Hand. Morgens ordne ich meine Streitkräfte nur und stelle sie auf; am Nachmittag jedoch trete ich an ihre Spitze und greife den Feind mutig an – so – », und er machte einen heftigen Ausfall mit dem Lineal.

«Aber die Tintenflecke!», gab ich ihm vorsichtig zu verstehen.

«Stimmt, Sir. Aber mit allem gebührenden Respekt, Sir: Betrachten Sie dieses Haar! Ich werde alt. Einen Klecks oder auch zwei an warmen Nachmittagen sollten Sie, Sir, einem Mann mit grauem Haar gewisslich nicht zur Last legen. Alter ist, selbst wenn es eine Seite mit Tinte befleckt, noch immer ehrwürdig. Mit allem gebührenden Respekt, Sir: Wir werden beide alt!»