Bayrische Erzählungen - Ludwig Thoma - E-Book

Bayrische Erzählungen E-Book

Ludwig Thoma

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Beschreibung

Neben seinen Bauernromanen war Thoma besonders für seine Kurzgeschichten berühmt. In diesem Sammelband finden sich die folgenden Werke: Der heilige Hies Der Postsekretär im Himmel Das Volkslied Kabale und Liebe Solide Köpfe Anfänge Der Hofbauer Der Klient Die Richter Der Vertrag Assessor Karlchen Die Eigentumsfanatiker Der Wilderer Die Dachserin Die Probier Monika Der Heiratsvermittler Der Truderer Onkel Peppi Auf dem Bahnsteig Das Begräbnis Junker Hans - Eine Kleinstadtgeschichte Krawall Der westfälische Glaubensbote Bismarck Kaspar Asam u.a.

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Bayrische Erzählungen

Ludwig Thoma

Inhalt:

Ludwig Thoma – Biografie und Bibliografie

Der heilige Hies

Der Postsekretär im Himmel

Das Volkslied

Kabale und Liebe

Solide Köpfe

Anfänge

Der Hofbauer

Der Klient

Die Richter

Der Vertrag

Assessor Karlchen

Die Eigentumsfanatiker

Der Wilderer

Die Dachserin

Die Probier

Monika

Der Heiratsvermittler

Der Truderer

Onkel Peppi

Auf dem Bahnsteig

Das Begräbnis

Junker Hans - Eine Kleinstadtgeschichte

Krawall

Der westfälische Glaubensbote

Bismarck

Kaspar Asam

Anfänge

Das alte Recht

Peter Spanningers Liebesabenteuer

Papas Fehltritt

Der Christabend - Eine Familiengeschichte

Der Jagerloisl - Eine Tegernseer Geschichte

Bayrische Erzählungen, Ludwig Thoma

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849637613

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Ludwig Thoma – Biografie und Bibliografie

Geb. am 21. Januar 1867 in Oberammergau als fünftes Kind des Försters Max Thoma und dessen Ehefrau Katharina, gest. 26. August 1921 in Tegernsee. Mit 7 Jahren Umzug nach München-Forstenried und Tod des Vaters. Schon als Schüler war Thoma immer wehrhaft gegen die damalige Doppelmoral und besuchte bis zum Abitur 1886 insgesamt 5 Gymnasien. Es folgte ein Jura-Studium und eine Anstellung als Rechtspraktikant von 1890 bis 1893. Nach dem Tod der Mutter 1894 beginnt er in Dachau als Rechtsanwalt zu arbeiten und entdeckt alsbald seine literarische Ader. 1899 widmet sich Thoma mehr und mehr der Zeitschrift "Simplicissimus" und wird im folgenden Jahr dessen Chefredakteur. Es folgte seine produktivste Zeit, die 1906 in der Herausgeberschaft der Zeitschrift "März", zusammen mit Hermann Hesse, gipfelte. Im Ersten Weltkrieg dient Thoma als Sanitäter, erkrankt aber selbst an der Ruhr. Er stirbt 1921 an Magenkrebs in seinem Haus in Tegernsee.

Wichtige Werke:

1897: Agricola1899: Die Witwen1901: Die Medaille1901: Assessor Karlchen1902: Die Lokalbahn1904: Der heilige Hies, illustriert von Ignatius Taschner1905: Lausbubengeschichten1906: Andreas Vöst1907: Tante Frieda1907: Kleinstadtgeschichten1909: Moral1909: Briefwechsel eines bayrischen Landtagsabgeordneten1910: Erster Klasse1911: Der Wittiber1911: Lottchens Geburtstag1911: Ein Münchner im Himmel1912: Magdalena1912: Jozef Filsers Briefwexel1913: Die Sippe1913: Das Säuglingsheim1913: Nachbarsleute1916: Die kleinen Verwandten1916: Brautschau1916: Dichters Ehrentag1916: Das Kälbchen1916: Der umgewendete Dichter1916: Onkel Peppi1916: Heimkehr1916: Das Aquarium und anderes1917: Heilige Nacht1918: Altaich1919: Münchnerinnen1919: Erinnerungen1921: Der Jagerloisl1921: Der Ruepp1921: Kaspar Lorinser (Fragment)

Der heilige Hies

Merkwürdige Schicksale des hochwürdigen Herrn Mathias Fottner von Ainhofen, Studiosi, Soldaten und späterhin Pfarrherrn zu Rappertswyl

Wer sechs Roß im Stall stehen hat, ist ein Bauer und sitzt im Wirtshaus beim Bürgermeister und beim Ausschuß. Wenn er das Maul auftut und über die schlechten Zeiten und über die Steuern schimpft, gibt man acht auf ihn, und die kleinen Leute erzählen noch am andern Tag, daß gestern der Harlanger, oder wie er sonst heißt, einmal richtig seine Meinung gesagt hat.

Wer fünf Roß und weniger hat, ist ein Gütler und schimpft auch. Aber es hat nicht das Gewicht und ist nicht wert, daß man es weiter gibt.

Wer aber gar kein Roß hat und seinen Pflug von ein paar magern Ochsen ziehen läßt, der ist ein Häusler und muß das Maul halten. Im Wirtshaus, in der Gemeindeversammlung und überall. Seine Meinung ist für gar nichts, und kein richtiger Bauernmensch paßt auf den Fretter auf.

Der Besitzer vom Schuhwastlanwesen, Haus Nummer acht in Ainhofen, mit Namens Georg Fottner, war ein Häusler. Und ein recht armseliger noch dazu. Ochsen hat er einen gehabt, Kühe recht wenig, aber einen Haufen Kinder. Vier Madeln und drei Buben; macht sieben nach Adam Riese, und wenn das Essen kaum für die zwei Alten langte, brauchte es gut rechnen und dividieren, daß die Jungen auch noch was kriegten.

Aber auf dem Lande ist noch keiner verhungert, und auch beim Schuhwastl brachten sie ihre Kinder durch. War eines nur erst acht oder neun Jahre alt, dann konnte es schon ein wenig was verdienen, und vor aus nach der Schulzeit hatte es keine Gefahr mehr.

Die Madeln gingen frühzeitig in Dienst, von den Buben blieb der ältere, der Schorschl, daheim, der zweite, Vitus mit Namen, kam zum Schullerbauern, und der dritte – von dem will ich euch erzählen.

Mathias hat er geheißen, und kam lange nach dem sechsten Kinde auf die Welt, und recht unverhofft.

Der Fottner war damals schon fünfzig Jahre alt, und sein Weib stand in den Vierzigern. Da hätte es nach der Meinung aller Bekannten recht wohl unterbleiben können, daß sie zu den sechsen noch ein siebentes Kind kriegten.

Dieses war in den ersten Lebensjahren schwächlich und kleber beisammen; seine Eltern meinten oft, es hätte den Anschein, als sei es nicht gesund und würde bald ein Englein im Himmel. Das geschah aber nicht; der Mathias gedieh, wurde späterhin Pfarrer und wog in der Blüte seines Lebens dritthalbe Zentner, und kein Pfund weniger.

Zum geistlichen Beruf kam er unversehens, und durch nichts anderes, als die Gewissensbisse des oberen Brücklbauern von Ainhofen.

Der hatte viel Geld, keine Kinder, und eine schwere Sünde auf dem Herzen, die ihn bedrückte. Vor Jahren hatte er in einem Prozeß mit seinem Nachbarn falsch geschworen und dadurch gewonnen.

Er machte sich zuerst wenig daraus, denn er hatte vorsichtigerweise beim Schwören die Finger der linken Hand nach unten gehalten. Die ehrwürdige Tradition sagt, daß auf diese Art der Schwur von oben nach unten durch den Körper hindurch in den Boden fährt und als ein kalter Eid keinen Schaden tun kann.

Aber der Brücklbauer war ein zaghafter Mensch, und wie er älter wurde, sinnierte er viel über die Geschichte nach und beschloß, den Schaden gut zu machen. Das heißt, nicht den Schaden, den der Nachbar erlitten hatte, sondern die Nachteile, welche seine eigene unsterbliche Seele nehmen konnte.

Weil man nichts Gewisses weiß, und weil vielleicht der allmächtige Richter über den kalten Eid anders dachte und sich nicht an die Ainhofener Tradition hielt.

Also überlegte er, was und wieviel er geben müsse, damit die Rechnung stimme und seine Schlechtigkeit mit seinem Verdienst gleich aufgehe.

Das war nicht einfach und leicht, denn niemand konnte ihm sagen, mit so und soviel Messen bist du quitt, und es war möglich, daß er sich bloß um eine verzählte und alles verlor.

Der Brücklbauer war bei seinen irdischen Geschäften nie dumm gewesen und hatte oft zu wenig, aber nie zuviel hergegeben.

Bei diesem himmlischen Handel aber dachte er, das Mehr sei besser, und da er schon öfter in der Zeitung gelesen hatte, daß nichts eine bessere Anwartschaft auf das Jenseits gäbe, als Mithilfe zur Abstellung des Priestermangels, so beschloß er, auf eigene Kosten und ganz allein einen Buben auf das geistliche Fach studieren zu lassen.

Seine Wahl fiel auf Mathias Fottner, und das reute ihn noch oft.

Er hätte es sich besser überlegen sollen, wie es mit den geistigen Gaben des Schuhwastlbuben beschaffen war.

Und er hätte sich viel Verdruß und Angst erspart, wenn er sich Zeit gelassen und einen anderen ausgesucht hätte.

Es pressierte ihm zu stark, und weil der Lehrer nicht dagegen redete und der alte Fottner gleich mit Freuden einschlug, war es ihm recht.

Er nahm sich wohl ein Beispiel ab am Ainhofer Pfarrer und meinte, was der könne, müßt nicht schwer zum Lernen sein. Nun war der Mathias nicht geradenwegs dumm; aber er hatte keinen guten Kopf zum Lernen, und seine Freude daran war auch nicht unmäßig.

Als man ihm sagte, daß er geistlich werden sollte, war er einverstanden damit, denn er begriff zu allererste daß er alsdann mehr essen und weniger arbeiten könne.

So kam er also nach Freising in die Lateinschule. Die ersten drei Jahre ging es. Nicht glänzend, aber so, daß er sein Zeugnis im Pfarrhof herzeigen konnte, wenn er in der Vakanz heim kam.

Und wenn der Herr Pfarrer las, daß der Schüler Mathias Fottner bei mäßigem Talente und Fleiße genügende Fortschritte gemacht habe, dann sagte er jedesmal mit seiner fetten Stimme: magnos progressus fecisti, discipule!

Der Mathias verstand es nicht; sein Vater, welcher daneben stand, auch nicht, aber danach fragte der Pfarrer nicht.

Er sagte es nur wegen der Reputation, und damit gewisse Zweifler sahen, daß er ein gelehrter Herr sei.

Wenn man in Ainhofen darüber redete und sich erzählte, daß der Fottner Hies schon lateinisch könne, wie ein Alter, dann freute sich niemand stärker, wie der Brücklbauer.

Das ist begreiflich. Denn er hatte auf die Gelehrsamkeit des Schuhwastlbuben spekuliert, und beobachtete dieselbe mit gespannter Aufmerksamkeit, wie eine andre Sache, in die er sein Geld hineinsteckte.

Er freute sich also im allgemeinen, und ganz besonders, als Hies im dritten Jahre mit einer Brille auf der Nase heimkam und schier ein geistliches Ansehen hatte.

Das gefiel ihm schon ausnehmend, und er fragte den Lehrer, ob er in Anbetracht dieses Umstandes, und weil der Hies doch lateinisch könne – mehr, als man für das Meßlesen braucht – ob es da nicht möglich sei, daß die Zeit abgekürzt werde.

Als ihm der Lehrer sagte, solche Ausnahmen könnten nicht gemacht werden, fand er es begreiflich; aber wie der Schulmeister versuchte, ihm die Gründe zu erklären, daß ein Pfarrer nicht bloß das Meßlesen auswendig lernen, sondern noch mehr können müsse, wegen der allgemeinen Bildung und überhaupt, da schüttelte der Brücklbauer den Kopf und lachte ein wenig. So dumm war er nicht, daß er das glaubte. Zu was tät einer mehr lernen müssen, als was er braucht? Ha?

Aber die Sache war halt so, daß die Professer in Freising den Hies recht lang behalten wollten, weil sie Geld damit verdienten.

In diesem Glauben wurde er sehr bestärkt, als der Schüler Mathias Fottner in der vierten Lateinklasse sitzen bleiben mußte. Wegen dem Griechischen. Weil er das Griechische nicht lernen konnte.

Also hat man es deutlich gesehen, denn jetzt fragt der Brücklbauer einen Menschen, zu was braucht ein Pfarrer griechisch können, wenn Amt und Meß auf lateinisch gehalten werden?

Das mußten schon ganz feine sein, die Herren in Freising, recht abdrehte Spitzbuben.

Er hatte einen mentischen Zorn auf sie, denn dem Schuhwastlbuben konnte er keine Schuld geben.

Der Hies sagte zu ihm, er hätte es nie anders gedacht und gewußt, als daß er auf das studieren müsse, was der Pfarrer von Ainhofen könne. Den habe er aber seiner Lebtag nie was Griechisches sagen hören, und deswegen sei er auf so was nicht gefaßt gewesen.

Dagegen ließ sich nichts einwenden; auf der Seite vom Hies war der Handel richtig und in Ordnung. Die Lumperei steckte bei den andern, in Freising drinnen. Der Brücklbauer ging zum Pfarrer und beschwerte sich.

Aber da hilft einer dem andern, und der Bauer ist allemal der Ausgeschmierte. Der Pfarrer lachte zuerst und sagte, das sei einmal so Gesetz, und er habe es auch lernen müssen; wie aber der Brücklbauer daran zweifelte und meinte, wenn das wahr sei, dann sollte der Pfarrer einmal auf griechisch zelebrieren, er zahle, was es koste, da wurde der Hochwürdige grob und hieß den Brücklbauern einen ausgeschämten Mistlackel. Weil er um eine richtige Antwort verlegen war, verstehst?

Jetzt lag die Sache so, daß der Brücklbauer überlegen mußte, ob er es noch einmal mit dem Hies probieren oder einen andern nach Freising schicken sollte, der sich von vornherein auf das Griechische einließ.

Wenn er das letztere tat, hernach dauerte es wieder um drei.Jahre länger, und das Geld für den Schuhwastlbuben war völlig verloren. Und außerdem konnte kein Mensch wissen, ob sie in Freising nicht wieder was andres erfinden würden, wenn sie den neuen Studenten mit dem Griechischen nicht fangen könnten. Deswegen entschloß er sich, den Hies die Sache noch einmal probieren zu lassen, und ermahnte ihn, daß er sich halt recht einspreitzen sollte.

Das tat der Fottner zwar nicht, denn er war kein Freund von der mühsamen Kopfarbeit, aber sein Professor war selber ein Geistlicher und wußte, daß die Diener Gottes auch ohne Gelehrsamkeit amtieren können. Deswegen wollte er nicht aus lauter Pflichteifer dem Hies Schaden zufügen und ließ ihn das zweite Jahr mit christlicher Barmherzigkeit vorrücken.

Der Hies kam als Schüler der fünften Lateinklasse heim und sah aus wie ein richtiger Student.

Er zählte bereits siebzehn Jahre und war körperlich sehr entwickelt.

Den Kooperator von Aufhausen überragte er um Haupteslänge, und alle seine Gliedmaßen waren grob und ungeschlacht. Auch verlor er zu der selbigen Zeit seine Knabenstimme und nahm einen rauhen Baß an.

Wenn er mit seinen Studienfreunden, dem Josef Scharl von Pettenbach und dem Martin Zollbrecht von Glonn zusammenkam, dann zeigte es sich, daß er weitaus am meisten trinken konnte und im Bierkomment schon gute Kenntnisse hatte.

Er besaß ein lebhaftes Standesgefühl und sang mit seinen Kommilitonen die Studentenlieder, als »Vom hoh'n Olymp herab ward uns die Freude« oder »Drum Brüderchen er-her-go biba-ha-mus!« so kraftvoll und laut, daß der Brücklbauer am Nebentische über die studentische Bildung des Schuhwastlbuben erstaunte.

Und als der Hies seinen Besuch im Pfarrhofe machte, bat er nicht wie in früheren Jahren die Köchin, sie möchte ihn anmelden, sondern er überreichte ihr eine Visitenkarte, auf welcher mit säuberlichen Buchstaben stand:

Mathias Fottner stud. lit. et art.

Heißt studiosus litterarum et artium, ein Beflissener der schönen Wissenschaften und Künste.

Der alte Fottner war stolz auf seinen Sohn, auf dem schon jetzt der Abglanz seiner künftigen Würde ruhte, der vom Pfarrer zum Essen eingeladen wurde, der mit dem Kooperator spazieren ging und mit dem Lehrer und dem Stationskommandanten tarokte.

Und der Brücklbauer war es auch zufrieden, wenn er schon hier und da den Aufwand des Herrn Studenten etwas groß fand. Aber er sagte nichts, denn er fürchtete, daß er zuletzt noch auslassen könnte, wenn er ihm gar zu wenig Hafer vorschütten würde.

So verlebte Hies eine lustige Vakanz und zog neu gestärkt im Oktober nach Freising.

Leider ging er einer trüben Zeit entgegen. Der Ordinarius der fünften Klasse war ein unangenehmer Mensch: streng, und recht bissig und spöttisch dazu.

Wie er das erstemal den himmellangen Bauernmenschen sah, der sich in den Schulbänken wunderlich genug ausnahm, lachte er und fragte ihn, ob er auch am Geiste so hoch über seine Mitschüler hinausrage. Daß dies nicht der Fall war, konnte kein Geheimnis bleiben, und dann nahmen die Spötteleien kein Ende. Anfangs gab sich der Professor noch Mühe, Funken aus dem Stein zu schlagen; wie er es aber nicht fertig brachte, gab er die Hoffnung bald genug auf.

Dem Mathias Fottner war es ganz recht, als man seine Meinung über den gallischen Krieg des Gajus Julius Cäsar nicht mehr einholte und die griechischen Zeitwörter ohne seine Mitwirkung konjugierte.

Er lachte gutmütig, wenn in seinen Schulaufgaben jedes Wort rot unterstrichen war, und er wunderte sich über den Ehrgeiz der kleinen Burschen vor und neben ihm, die miteinander stritten, ob etwas falsch oder recht sei.

Aber freilich, bei einer solchen Gesinnung war das Ende leicht zu erraten, und im August stand der Brücklbauer vor der nämlichen Wahl, wie zwei Jahre vorher, ob er sein Vertrauen auf den Schuhwastlbuben aufrecht halten sollte oder nicht.

Das heißt, er hatte eigentlich die Wahl nicht mehr, denn jetzt, nach sechs Jahren, konnte er nicht mehr gut ein neues Experiment mit einem anderen machen.

Also tröstete er sich mit dem Gedanken, daß ein gutes Roß zweimal zieht, und biß in den sauren Apfel.

Das Gesicht hat er dabei wohl verzogen, und seine Freude am Hies war um ein schönes Stück kleiner geworden; es regten sich arge Zweifel in seinem Herzen, ob aus dem langen Goliath ein richtiger Pfarrer werden könnte.

Seine üble Laune war aber nicht ansteckend, wenigstens nicht für den Herrn Mathias Fottner.

Dieser war während der Vakanz ein guter Gast in allen Wirtshäusern auf drei Stunden im Umkreis; und wenn ihm auswärts das Geld ausging, dann bedachte er, daß neben jeder Kirche ein Pfarrhof steht, ging hinein und bat um ein Viatikum, wie es ihm zukam als studioso litterarum, einem Beflissenen der schönen Künste und Wissenschaften.

Dabei traf er wohl hier und da einen jungen Kooperator, Neomysten oder Alumnus, welcher mit ihm Freisinger Erinnerungen austauschte und nach der zehnten Halben Bier in die schönen Lieder einstimmte: »Vom hoh'n Olymp herab ward uns die Freude« und«Brüderchen, er-her-go bi-ba-hamus!«

Als er im Oktober wiederum in seiner Bildungsstätte eintraf, war sein Kopf um ein gutes dicker, sein Baß erheblich tiefer, aber sonst blieb alles beim alten.

Den Gajus Julius Cäsar hatte er in der Zwischenzeit nicht lieben und die griechischen Zeitwörter nicht schätzen lernen; sein Professor war so zuwider wie früher, und das Schlußresultat war nach Ablauf des Jahres wiederum, daß der Hies nicht aufsteigen durfte.

Zugleich wurde ihm eröffnet, daß er das zulässige Alter überschritten habe und nicht noch einmal kommen dürfe. Jetzt war Dreck Trumpf.

Jetzt hatten alle das Nachsehen; der alte Fottner, welcher so stolz war, der Wirt, welcher sich schon auf die Primiz gefreut hatte, und die katholische Kirche, der diese stattliche Säule verloren ging.

Aber am meisten der obere Brücklbauer von Ainhofen, dem das ganze Geschäft mit unserm Herrgott verdorben war. Kreuzteufel, da sollst nicht wütig werden und fluchen!

Sieben lange Jahre hatte er brav zahlen müssen, nichts wie zahlen, und nicht wenig; das dürft ihr glauben. Man sah es dem Schuhwastlbuben von weitem an, daß er in keinem schlechten Futter gestanden hatte. Und alles war umsonst; auf dem himmlischen Konto des Brücklbauern stand immer noch der kalte Eid, aber kein bissl was auf der Gegenrechnung.

Denn das war doch nicht denkbar, daß unser Herrgott die studentische Bildung des Hies sich als Bene aufrechnen ließ.

So eine miserablige, ausgemachte Lumperei muß noch nie dagewesen sein, solange die Welt steht!

Diesmal ging die Wut des Brücklbauern nicht bloß gegen die Freisinger Professoren; der Pfarrer hatte ihn aufgeklärt, daß es beim Hies überall gefehlt habe, ausgenommen das Taroken und Biertrinken. Der Haderlump, der nichtsnutzige!

Jetzt lief er in Ainhofen herum, mit der Brillen auf der Nasen, und einem Bauch, der nicht schlecht war. Er sah aus, wie noch mal ein richtiger Kooperator, der schon morgen das Meßlesen anfängt. Derweil war er nichts, absolut gar nichts.

Der einzige, der bei diesen Schicksalsschlägen ruhig blieb, war der ehemalige stud. lit. Mathias Fottner.

Hätte er länger und mehr studiert gehabt, dann möchte ich glauben, daß er diese Seelenruhe von den sieben Weisen des Altertums gelernt habe.

So muß ich annehmen, daß sie ihm angeboren war.

Er hatte sich wohl keinen klassischen Bildungsschatz für sein künftiges Leben erworben, aber er rechnete so, daß ihm für alle Fälle sieben fette Jahre beschieden waren, die ihm keiner mehr wegnehmen konnte. Auch der Brücklbauer nicht mit seiner Wut.

Zu was soll der Mensch sich mit Gedanken an die Zukunft abmartern? Die Vergangenheit ist auch was wert, noch dazu so eine lustige, wie die im heimlichen Kneipzimmer des Sternbräu gewesen war! Wo er mit seinen Kommilitonen beisammen saß und nach und nach die Fertigkeit erlangt hatte, eine Maß Bier ohne Absetzen auszutrinken.

Wo er alle feinen Lieder des Kommersbuches gesungen hatte, das«Crambambuli« und das »Bier la la«, und nicht zu vergessen das ewig schöne »Drum Brüderchen er-her-go bi-bahamus!«

Solche Erinnerungen bilden auch einen Schatz für das Leben; und wenn es die luftgeselchten Bauernrammel in Ainhofen auch nicht verstehen, lustig war es doch!

Und gar so schlecht konnte auch die Zukunft nicht werden.

Vorerst entschloß er sich, zum Militär zu gehen; seine drei Jahre mußte er doch abdienen, und da war es besser, wenn er sich gleich jetzt meldete. Auf diese Weise ging er dem Brücklbauer aus dem Weg und hatte seine Ruhe. Er stellte sich beim Leibregiment und wurde angenommen.

Und wenn der Brücklbauer wollte, konnte er jetzt in München vom Hofgarten aus den Flügelmann der zweiten Kompagnie mit Stolz betrachten.

Der Kopf, der so dick und rot aus dem Uniformkragen ragte, der war auf seine Kosten herausgefressen, und wenn er auch gut anzusehen gewesen wäre über dem schwarzen Talar mit der Tonsur hinten drauf, so mußte doch jeder gerechte Mensch zugeben, daß er auch so nicht schlecht aussah, über den weißen Litzen und der blitzblauen Uniform.

Freilich, gottgefällig war der jetzige Beruf des Schuhwastlbuben nicht; aber ihm selber gefiel er. Die Kost war nicht schlecht, und die Einjährigen zahlten dem langen Kerl gern eine Maß Bier, wenn er sich als Kommilitone vorstellte und sich rühmte, daß er nicht der Schlechteste gewesen sei, wenn die Herren confratres eine kleine Saufmette hielten.

Und weil er sich auch bei den Leibesübungen anstellig zeigte, errang er die Gunst des Herrn Hauptmanns und wurde schon nach acht Monaten wohlbestallter Unteroffizier.

Das wäre nun alles recht und schön gewesen, und die ganze Menschheit, eingeschlossen die zu Ainhofen, hätte mit dem Lebensschicksale des Mathias Fottner zufrieden sein können.

Aber im Herzen des Brücklbauern saß ein Wurm.

Der fraß an ihm und ließ ihm keine Ruhe bei Tag und Nacht.

Wenn andern Menschen alle Aussichten verloren gehen, dann binden sie seufzend einen schweren Stein an ihre Hoffnungen und versenken sie in das Meer der Vergessenheit.

Ein zählebiger Bauer handelt nicht so; der überlegt sich noch immer, ob er nicht einen Teil zu retten vermag, wenn er das Ganze nicht haben kann.

Und wie sich die ärgste Wut des Brücklbauern gelegt hatte, fing er wieder an zu sinnieren und Pläne zu schmieden.

Weil es sich aber um eine Sache der Gelehrsamkeit handelte, war er sich selber nicht gescheit genug; er beschloß deswegen, gleich in die rechte Schmiede zu gehen und bei einem Pfarrer um Rat zu fragen.

Dem Ainhofener traute er nicht; von damals her, wo er ihm wegen dem Griechischen so aufgelegte Lügen erzählt hatte.

Aber in Sünzhausen, vier Wegstunden entfernt, saß einer, der hochwürdige Herr Josef Schuhbauer, zu dem man Vertrauen fassen konnte.

Das war ein ganz feiner; ein Abgeordneter im Landtag, dreimal so katholisch wie die anderen Seelenhirten und ein hitziger Streithammel, der die Liberalen auf dem Kraut fraß und den Ministern die gröbsten Tänze aufspielte, bis er endlich die einträglichste Pfarrei im ganzen Bistum erhielt. Zu dem ging er, denn der wußte ganz gewiß ein Mittel dafür, daß ein so robuster Lackl, wie Mathias Fottner war, der Kirche nicht verloren ging.

Also fragte er ihn, ob man nicht das Gymnasium Freising mit einem ordentlichen Stück Geld abschmieren könnte, oder den Bischof, oder sonst wen.

»Ein verdienstliches Werk ist es immer«, sagte der hochwürdige Herr Schuhbauer, »wenn man sein Geld für katholische Zwecke anlegt, aber in dem Fall hilft es nicht viel, denn das Reifezeugnis für die Universität kriegt man bloß durch eine Prüfung. Wenigstens so lang die weltliche Macht – leider Gottes – in die Schulbildung noch was drein zu reden hat. Aber was anderes geht, Brücklbauer«, sagte er, »wenn du den Fottner Hies durchaus geistlich haben willst. Da ist in Rom ein Collegium Germanicum, in welchem deutsche Jünglinge ausgebildet werden von den Jesuiten. Die nehmen es sehr genau mit dem Glauben, aber wegen der Bildung, da drücken sie ein Aug zu, im Interesse des Glaubens.«

»Hm«, meinte der Brücklbauer, »ob aber die Messen, die wo so einer lest, der wo aus Rom kommt, die nämliche Kraft haben?«

»Ehender noch eine größere, wenn das überhaupts möglich wär«, sagte der Hochwürdige, »denn, Brücklbauer, du darfst nicht vergessen, daß die Schul in Rom ganz in der Näh vom heiligen Vater ist.«

»Ob sie aber da auch das Griechische und solchene Schwindelsachen verlangen?«

»Nur scheinshalber. Durchfallen tut deswegen keiner, wenn er fest im Glauben ist und seine Sach in Richtigkeit und Ordnung zahlt. Aber, Brücklbauer, bei uns in Deutschland kann der Mathias Fottner nicht Pfarrer werden.«

»Ja, warum nachher net?«

»Weil die Malefizpreußen ein Gesetz dagegen gemacht haben.«

»Dös san aber scho wirkli schlechte Menschen.«

»Da hast recht; noch viel schlechter, als du glaubst. Der Fottner würde halt wahrscheinlich ein Missionar werden müssen. Das müßte dich mit Freude erfüllen, denn das ist schier noch verdienstlicher, als wenn er bei uns Pfarrer wird.«

»Is dös aber aa g'wiß? Net, daß i no mal de großen Ausgaben hätt', und es waar bloß a halbete Sach.«

»Es ist gewiß und unbestreitbar, denn immer waren die Glaubensboten am höchsten geehrt.«

Der Brücklbauer war glücklich und ging kreuzfidel von Sünzhausen heim.

Jetzt mußte noch alles recht werden, und sein Plan ging ihm hinaus.

Die sollten schauen in Freising, wenn der Schuhwastlhies trotz alledem noch ein geistlicher Herr wurde, oder gleich gar ein Glaubensbote, der die Hindianer bekehrt, und dem seine Messen noch mehr gelten.

Und die Ainhofener, die ihn jetzt alleweil im Wirtshaus fragten, was sein lateinischer Unteroffizier mache, die sollten die Augen noch aufreißen.

Gleich am nächsten Tag fuhr er nach München. Keine Freude ist vollkommen, und die Palme des Sieges ist niemalen mit leichter Mühe zu erringen.

Das erfuhr der Brücklbauer, als er dem königlichen Unteroffizier Mathias Fottner seinen Plan mitteilte.

Dieser erklärte rundweg, daß er weder studieren noch zu den Hindianern gehen wolle.

Als ihm der Alte vorstellte, daß er ganz wenig studieren müsse, meinte er, gar nichts sei noch besser, und als der Brücklbauer ihm hoch und teuer versicherte, daß er ein Heiliger würde, genau so wie die gipsernen Manner in der Ainhofener Kirche, gab er zur Antwort, daß ihm das ganz wurscht sei.

Es half alles nichts. Der Brücklbauer mußte abziehen, unverrichteter Dinge und mit seinem alten, beißenden Wurm im Herzen. Trotzdem, er gab die Hoffnung nicht auf, er steckte sich hinter den alten Fottner und versprach ihm die schönsten Sachen für seinen Hies.

Lange war es umsonst, aber nach etwa zwei Jahren griff der Himmel selber ein und schuf eine günstige Wendung.

Der Hauptmann der zweiten Kompagnie des königlichen Infanterie-Leibregiments wurde Major. An seine Stelle trat ein giftiger Herr, welcher Mannschaft und Unteroffiziere gleichermaßen schuhriegelte und dadurch ein Werkzeug der Kirche wurde.

Denn Mathlas Fottner entschloß sich, als er zum zweiten Male mit Mittelarrest bestraft wurde, fernerhin nicht länger zu dienen und seine Absichten auf Kapitulation gänzlich aufzugeben. Gerade in dieser Zeit erhielt er einen Brief von seinem Vater, welcher folgendermaßen lautete: ###

Lieber Hias!

Nach langem warden will ich Dir entlich Schreiben, das gesting der Brigglbauer wider da Gewest is und indem Du ein Heulicher werden kunzt und doch gar nichts zun lernen brauchsd als wiedasd nach Rom gest. lieber Hias, thus Dir gnau überlegen wanst Du Bfarrer wurzt bei die Hindianer aber die brims. die Brimins ist beim Würth und intem der Brigglbauer sagt, er zalt Dir noch egsdra dreitausad March wannst firti bist. Lieber Hias, thus Dir fein gnau überlegen, was fir eine freute es War fir Deinen Vater. Düssen Brief habe ich Nicht geschriben. Die Zenzi hat es geschrieben. Ich muß mein schreiben schließen, denn das Licht hat nicht mehr gebrand. Under viele Grüße verbleibe ich Dein Dich liebender Vater. Gute Nacht! Schlaf wohl und Träume Süß. Auf wiedersehn macht Freude. Schreibe mihr sofort den ich kanz nicht mehr erwarten auf Andwort.« ###

Der Brief tat seine Wirkung. Der Unteroffizier Fottner bedachte, daß es bei den geistlichen Herren in Rom nicht schlecht zu leben sei, jedenfalls besser, als in der Kaserne unter einem Hauptmann, der mit dem Arrest so freigebig war. Also sagte er zu, und wie nach dem Manöver seine Dienstzeit abgelaufen war, ging er nach Ainhofen und ließ sich vom Brücklbauern das Versprechen wegen der dreitausend Mark schriftlich geben.

Als diese Sache in Ordnung war, und er noch dazu ein schönes Reisegeld bekommen hatte, fuhr er nach Rom.

Sieben Jahre sah man ihn nicht wieder, sieben Jahre lebte er als Fottnerus Ainhofenensis im Germanischen Kolleg unter den milden Jesuiten, welche an diesem viereckigen Klotz aus Leibeskräften feilten und schliffen. Eine schöne Politur bekam er nicht, aber die ehrwürdigen Väter dachten, für die Wilden langt es schon, und sagten ihm, daß die Kraft des Glaubens die Wissenschaft recht wohl ersetzen könne.

Mathias Fottnerus dachte auch was und sagte nichts.

Sieben Jahre saß der alte Schuhwastl in seinem Hause Nummer acht zu Ainhofen und freute sich über die künftige Heiligkeit seines Sohnes; sieben Jahre rechnete der Wirt im vorhinein aus, wieviele Hektoliter Bier bei einer schönen Primiz getrunken werden, und sieben Jahre lang ging der Brücklbauer alle Monate zum Expeditor nach Pettenbach und ließ eine Postanweisung abgehen nach Roma, Collegio Germanico.

Die Leute wurden alt und grau; bald war eine Hochzeit und bald ein Begräbnis; der Haberlschneider brannte ab, und der Kloiber kam auf die Gant.

Die kleinen Ereignisse mehrten sich in Ainhofen wie die großen in der Welt.

Bis eines Tages der Pfarrer – der neue Pfarrer, denn der alte war vor drei Jahren gestorben – von der Kanzel verkündete, daß am 25. Juli, am Tage des heiligen Apostels Jacobus, der hochwürdige Primiziant Mathias Fottner seine erste heilige Messe in Ainhofen zelebrieren werde. Das war eine Aufregung und ein Staunen in der ganzen Gegend! In allen Wirtshäusern erzählte man davon, und der alte Brücklbauer, der, seit ihn der Schlag getroffen hatte, nur selten mehr ausging, hockte jetzt alle Tage in der Gaststube und gab die Trümpfe zurück, die er früher hatte einstecken müssen.

Acht Tage vor der Primiz kam Mathias Fottner an. Im geschmückten Wagen wurde er von der Bahnstation abgeholt, dreißig Burschen gaben ihm zu Pferd das Geleit.

Eine halbe Stunde von Ainhofen entfernt stand der erste Triumphbogen, der mit frischen Fichtenzweigen und blauweißen Fähnlein geschmeckt war.

Am Eingange des Dorfes stand wieder einer, desgleichen in der Nähe des Wirtshauses. Vom Kirchturme wehte die gelbweiße Fahne, die Böller krachten auf dem Hügel hinterhalb dem Stacklanwesen, und das Aufhausener Musikkorps ließ seine hellklingenden Weisen ertönen.

Da hielt der Wagen vor dem elterlichen Anwesen des Primizianten; Mathias Fottner stieg ab und erteilte seinem Vater, seiner Mutter und seinen Geschwistern den ersten Segen.

Ich muß sagen, er hatte ein geistliches Ansehen und Wesen. Seine Augen hatten einen sanften Blick, sein Kinn war bereits doppelt, und die Bewegungen seiner fetten Hände hatten etwas Abgerundetes, schier gar Zierliches.

Seine Sprache war schriftdeutsch, mit Betonung jeder Silbe; er sagte jetzt, daß er gesättigt sei, und daß man ihm viele Liebe betätiget habe.

Von dem Flügelmanne der zweiten Kompagnie im königlichen Infanterie-Leibregimente war nichts mehr übrig, als die lange Figur und die ungeschlachten Füße und Pratzen.

Seine Gesinnung war milde und liebreich. Er vergab allen, die ihn einstmals zur Sünde verführet hatten, er vergab seinen Eltern und Verwandten und Nachbarn, daß sie an ihm gezweifelt hatten, er vergab dem Brücklbauer, daß er ihm zornige Worte gesaget hatte, und er vergab allen alles.

Und er sah erbarmungsvoll und mitleidig auf die Menschen herunter, welche dem Throne Gottes nicht so nahe standen wie er.

Während der Woche, die der Primiz voranging, schritt er von Haus zu Haus und segnete die Leute; auch den Brücklbauer, welcher von Stund an des festen Vertrauens war, daß er wegen dem kalten Eid mit unserm Herrgott quitt sei.

Die Primiz wurde mit seltener Pracht gefeiert; von weither kamen die Leute, denn der Segen eines neu geweihten Priesters hat eine besondre Kraft, und ein altes Sprichwort sagt, daß man sich gerne darum ein Paar Stiefelsohlen durchgehen soll.

Die Festpredigt hielt der hochwürdige Herr Josef Schuhbauer, welcher schon seit Jahren geistlicher Rat und päpstlicher Hausprälat war.

Er erzählte der andächtigen Versammlung, in was für einen hohen, erhabenen, heiligen, allerheiligsten, allerseligsten Stand der junge Priester eintrete, und er rühmte ihn auf die überschwänglichste Weise.

Denn das muß man wissen, daß Jesus Christus niemals so gelobt worden ist auf Erden, wie heute ein viereckiger Primiziant gelobt wird.

Nach dem kirchlichen Feste kam das weltliche im Wirtshause, und man kann sich keine Vorstellung von der Großartigkeit machen.

Zwei Ochsen, drei Kühe, ein Stier, achtzehn Kälber, zwanzig Schweine hatte der Wirt geschlachtet; dazu mußten unzählige Gänse, Hühner und Enten das Leben lassen. Einundneunzig Hektoliter Bier wurden getrunken, fast vierzig mehr, als der Wirt gerechnet hatte.

Als während des Festmahles die Schüssel zum Einsammeln der Spenden herumgereicht wurde, flossen die Gaben so reichlich, daß für den Primizianten zweitausend Mark blieben.

Es war eine erhebende Feier.

Die Ainhofener glaubten, daß der neugeweihte Priester schon mit dem nächsten Schiff zu den wilden Hindianern fahren werde. Die alte Fottnerin weinte im voraus, und im ganzen Dorfe erzählte man sich von den Gefahren, welche die Glaubensboten erdulden müssen unter den Menschenfressern, die so einen Märtyrer hernehmen, ihm einen Spieß von vorn bis hinten durchziehen und hernach über dem Feuer langsam umdrehen, bis er schön braun wird.

Aber sie kannten den gefeierten Sohn Ainhofens, mit Namens Mathias Fottner, schlecht, wenn sie glaubten, daß er sich auf solche Sachen einlassen werde.

Der besaß jetzt ein Vermögen von fünftausend Mark; dreitausend vom Brücklbauern und zweitausend von der Primizspende her. Mit diesem Kapital ging er in die Schweiz und wurde Pfarrer im Graubündner Kanton. Da reden die Leute auch deutsch, und am Spieße braten sie bloß Hühner und Gäns, aber keine Glaubensboten.

Dort wirkte Fottner in Ruhe und Frieden und wog bald dritthalbe Zentner, kein Pfund weniger.

Für den Brücklbauern, der den Hies gerne als Heiligen gesehen hätte, war das eine Enttäuschung.

Und für die Hindianer auch.

Denn die Aussicht wird ihnen nie mehr blühen, daß ein Unteroffizier vom bayrischen Leibregiment als Missionar zu ihnen kommt.

Der Postsekretär im Himmel

Zwei Tage vor Mariä Lichtmeß wurde der Postsekretär Martin Angermayer zu München von einem echt bayerischen Schlaganfall derartig getroffen, daß er schon nach einer halben Stunde den Geist aufgab.

Seine Seele schickte sich jedoch nicht sogleich zur Reise an, sondern sie gab wohl acht, ob den irdischen Resten auch alle übliche Ehre widerfahre, und zählte und prüfte die Kränze, welche von einigen Verwandten, auch vom Stammtisch im Franziskaner, dem Verkehrsbeamtenverein und seinem Kegelklub gespendet wurden.

Sie bemerkte sodann noch mit Genugtuung, daß der Herr Postrat Leistl beim Begräbnis zugegen war, daß auch die Haushälterin Zenzi in Tränen zerfloß, und sie fuhr gen Himmel, indes ein Quartett des Männergesangvereins eine erhebende Weise sang.

Da saß nun Sekretär Angermayer im Vorraume des Paradieses und fühlte sich keineswegs so glückselig, wie man es nach den Schilderungen frommer Bücher eigentlich glauben sollte.

Schon daß er nackend war, benahm dem an Ordnung gewöhnten Beamten die Sicherheit, und es wollte das Gefühl, ein respektabler Mensch zu sein und auch als solcher zu gelten, nicht recht in ihm aufkommen.

Zudem fröstelte es den an überheizte Bureauräume Gewöhnten in dem Luftreiche, und der Verdacht, daß es von irgendwoher ziehe, quälte ihn nicht minder wie die Unmöglichkeit, jemanden zum Schließen eines Fensters auffordern zu können.

Denn dieser Vorhof des Paradieses war nach drei Seiten hin eigentlich offen, nur vom eigentlichen Himmel trennte ihn eine Wolkenwand, und zwischen den wundervollen Säulen, die ihn rings umgaben, konnte freilich die balsamische Luft ungehindert einströmen, und gleichermaßen von oben, da sie kein Dach abhielt.

Angermayer schickte seine Blicke mißmutig in das unendliche Blau, das sich über ihm wölbte, und in die rosigen Fernen, die sich zwischen den Säulen auftaten, und diese Unbegrenztheit war ihm fremd, und was ihm fremd war, das war ihm nun einmal zuwider.

Dann stand, seine Unbehaglichkeit zu steigern, eine Menge von Leuten um ihn herum, die sichtlich nicht alle aus Bayern oder gar aus München gekommen waren.

Er konnte im Gegenteil bemerken, daß es Menschen aus aller Herren Länder waren, gelbe, braune, schwarze, Leute mit langen Haaren, wie sie spinnende Schwabinger tragen, Leute mit buschigem Wollhaar, Leute mit Zöpfen, kurzum, zumeist fremdartige Wesen, denen er nie hold gewesen war, und die meisten verdrehten ihre Augen verzückt und selig und benahmen sich auffällig.

Jedem einzelnen von ihnen hätte er in den Straßen seiner Heimatstadt verächtlich nachgeschaut unter bissigen Bemerkungen. Jedem hätte er aus seinem Schalter heraus Respekt beigebracht, aber hier, so mitten unter ihnen, war er hilflos und, was das Schlimmste war, er gehörte eigentlich zu ihnen oder schien wenigstens einer von ihnen zu sein. Dann: zeit seines Lebens war er kein Freund von Kindern gewesen, und ihre Unarten, die von nachsichtigen Eltern womöglich noch gepriesen werden, fielen ihm stets unangenehm auf, und er war nie geneigt, ihrer Unerfahrenheit oder ihrer Jugend etwas zugute zu halten.

Hier trippelten sie nun scharenweise vor seinen Augen herum und jauchzten, und niemand war da, der sie mit Strenge zur Ruhe gewiesen hätte, ja, als er einen Bengel, der ihm zu nahe kam, einen ungezogenen Fratz nannte, schüttelte ein langhaariger fader Kerl, der neben ihm stand, mißbilligend den Kopf.

Da drängte sich Angermayer unwirsch durch die Menge und stellte sich hinter eine Säule, um nur das Getue nicht mehr mit ansehen zu müssen.

Seine Gedanken kehrten sehnsüchtig nach der Erde zurück, wo gerade heute als an einem Donnerstage der Kegelabend stattfinden mußte, und er beneidete die Glücklichen um ihr harmloses Vergnügen.

Die Kollegen redeten gewiß von der Überbürdung des Amtes, bekrittelten die Leistungen der Vorgesetzten und erzählten, wie sie diesem und jenem die Meinung gesagt hätten, und sicherlich war auf diese Art die allergemütlichste Unterhaltung im Gange.

Vielleicht würden sie heute auch an ihn denken und wohl gar mit Bedauern seine Abwesenheit bemerken?

Er hatte freilich nicht das meiste zur Fröhlichkeit beigetragen, aber er war immer pünktlich zur Stelle gewesen und hatte sich jederzeit als eifriges Mitglied gezeigt, und wenn auf Zeit und Zustände geschimpft wurde, hatte es nie an seinem Beifall und seiner kräftigen Mitwirkung gefehlt.

Ach ja – München!

Angermayer seufzte tief, und der lästerliche Gedanke stieg in ihm auf, wie gerne er sich aus Elysium weg nach der bayerischen Hauptstadt versetzen ließe, und wie er bereit wäre, mit einem Kollegen zu tauschen.

Aber er war schon ein Pechvogel.

Auf Erden hatte man ihn oft übergangen, ihm nie die verdiente Beförderung zuteil werden lassen, und wie er dann schimpfend und nörgelnd und doch im Innern zufrieden sich mit seiner Sekretärstellung abfand, mußte er weg mitten unter die nackten, ekelhaften Schlawiner hinein – – –

»Angermayer!«

Er fuhr aus seinen Gedanken auf, als er seinen Namen mit einiger Ungeduld rufen hörte, und sah einen großen Engel am Himmelsportale stehen, der ungefähr so aussah wie ein Genius vom Oberammergauer Passionsspiel, und der jetzt die Hände vor den Mund hielt und wiederum den schallenden Ruf ertönen ließ. »Martin – Angermayer aus München!«

»I – ja!« antwortete mißmutig der Sekretär, »was wollen S' denn?«

»Vielleicht ist es Ihnen endlich gefällig, einzutreten?« schrie der Engel.

»I kumm scho«, knurrte Angermayer, und er schob sich langsam durch die Gaffer hindurch, die erstaunt über sein Zögern die Köpfe nach ihm umdrehten, und die noch überraschter waren, als sie der Genosse ihrer künftigen Freuden mit groben Ellenbogen beiseite schob.

»Da bin i. Desweg'n brauchen S' do net so plärr'n«, sagte der Sekretär zum Engel, der den merkwürdigen Gast mit leuchtenden kugelrunden Augen maß.

»Ich habe dich mindestens dreimal gerufen«, sprach er dann mit leisem Tadel.

»Vo mir aus sechsmal«, erwiderte Angermayer mit einer im langjährigen Schalterdienst erprobten Grobheit, und er setzte beinahe feindselig hinzu:

»Für de Arbeit wer'n Sie wahrscheinlich zahlt wer'n.«

»Dein Ton ist ungehörig«, sagte der Engel. »Hier ist ganz und gar nicht der Ort für solche Äußerungen, mein lieber Angermayer.«

»I bin net Eahna Liaber, verstengen Sie mich! Und d' Säu hamm ma aa no net mitanand' g'hüat. Und drittens bin i der königlich bayrische Sekretär, des mirken S' Eahna!«

»Das bist du gewesen! Und jetzt bist du eine Seele, und sonst nichts, und hast dich in die Hausordnung zu fügen.«

»Wo is denn Eahna Hausordnung? Wenn Sie a Hausordnung hamm, nacha schaugn S' zerscht, daß de Kinder net so umanandrolz'n und lassen S' de Schlawiner da d' Füaß wasch'n. Dös waar a Hausordnung, verstengen Sie mich, und dena können S' was vazähl'n von Eahnara Hausordnung, aba net an königlichen Sekretär, der wo seiner Lebtag g'wißt hat, was si g'hört...«

»Ja, Michael!« rief es ungeduldig von drinnen.

»Gleich!« erwiderte der Engel und schob mit einer im Himmel sonst nicht üblichen Energie den streitsüchtigen Sekretär in das Paradies hinein.

Jeder andere wäre geblendet gewesen von dem schier undenkbaren Glanze, der hier strahlend ausgebreitet war, und jeder andere hätte verzückt dem unbeschreiblichen Wohllaute der in der Ferne singenden und musizierenden Engel gelauscht.

Allein Angermayer hatte sich schon von allem Anfang vorgenommen, hier nichts so übermäßig schön zu finden, und dann war er von Natur nicht überschwenglich, und dann war er noch verbittert durch seinen Streit mit dem Erzengel.

Also blickte er mürrisch darein und schnitt ein Gesicht, das deutlich fragte:

»Is dös all's?«

Vor ihm saß inmitten von schön gelockten Engeln ein unglaublich gütig lächelnder Greis, der eine dunkelblaue Toga trug, in welche goldene Schlüssel eingesteckt waren.

Es war der heilige Petrus, der unserm Angermayer nunmehr freundlich zunickte und sagte: »Da bist du, mein Sohn! Sei willkommen in unserem Reiche!«

»Was sagst du?« fügte er bei, da der Sekretär etwas vor sich hin murmelte.

»Mi hätt'n S' scho no a Zeitlang drunt lass'n kinna. Es hätt ma gar net pressiert«, wiederholte dieser, und seine griesgrämige Miene wollte sich nicht aufhellen.

»Aber, Martin!« rief der Apostel, »du bist der erste, der an dieser Stelle nicht vor Freude jauchzt.«

»Mit'n jauchz'n hab' i's überhaupts net, und i waar froh, wenn i drunt mein Grüabig'n hätt'.«

Petrus wandte sich lächelnd an die Engel, die neben ihm saßen.

»Seht da, ein Münchner, der sich erst an den Himmel gewöhnen muß!«

Und ernster sagte er zu Angermayer: »Nun geh' und freue dich und bedenke, daß manches in deinem armseligen Leben Strafe verdient hätte. Aber es ist dir Mitleid erwiesen worden.«

Der Sekretär merkte am Tone, daß der Heilige als Vorgesetzter gesprochen hatte, und er schwieg.

Ein lebhafter Jüngling mit hüpfendem Gange, der genau so aussah wie einer aus der Schwabinger Stefan-George-Gemeinde, faßte ihn bei der Hand, indem er in singendem Tone sprach:

»Komm, seltsamer Geist, ich will dich führen.«

In dem Postsekretär regte sich wohl sogleich die grimmige Abneigung gegen die Art seines Begleiters, aber er war zu niedergedrückt, um die rechten Worte zu finden, und er schritt griesgrämig und schweigsam neben dem Engel einher.

Der wurde nun gesprächig und erklärte dem Neuling die Grundidee des paradiesischen Lebens.

»Du mußt wissen«, sagte er, »daß hier alles auf unendliche Fröhlichkeit gestimmt ist. In den obersten Regionen, wohin wir ja nicht gelangen, befinden sich die erhabenen Geister, welche in fortlaufenden Gesprächen ihrer unbeschreiblichen Freude Ausdruck verleihen. Die Heiligen befinden sich in Verzückung, die Engel musizieren, und du hörst ja die erhabenen Klänge des Konzertes, wir andern aber, zu denen du nun auch gehörst, bilden die Heerschar der Seligen, und wir haben die Aufgabe, nach unsern bescheidenen Kräften den Eindruck des höchsten Glückes hervorzubringen.

Zu diesem Zwecke erhält jeder eine Harfe.

Ich führe dich jetzt zu unserm Obersten, dem Engel Asrael, welcher sie dir verabreichen wird.«

»Was tua denn i mit a Harpfen?« unterbrach ihn Angermayer sehr unwirsch.

»Du mußt frohlocken«, sagte der Begleiter.

»M-hm, ja! Is scho recht! Weil i gar so guat aufg'legt bi, und überhaupts – i ko gar net Harf 'n spiel'n – –«

»Du mußt nur in die Saiten greifen – siehst du, so...« Der lebhafte Jüngling nahm sein Instrument, das an einem rosaroten Bande über seine Schulter hing, und klimperte ein wenig.

Dabei hüpfte er im Takte abwechselnd einige Male auf dem rechten und linken Fuße nach vorne und sang mit näselnder Stimme: »Ha-a-lä-ä-lu-u-jah... Ha lalala – ha lälälä-u-u-ha-ha!...«

Er hielt inne und blickte den Sekretär lächelnd an.

Der machte ein Gesicht, als wenn er saures Bier getrunken hätte.

»Wia hoaßt ma dös?«

»Das ist das Frohlocken der Heerscharen«, antwortete der Jüngling.

»Und Sie glaub'n«, sagte Angermayer, und ein bitterer Hohn spielte um seine Mundwinkel, »Sie glaub'n, daß i bei sowas mittua? I? Dös könna S' Eahna 'a denk'n, daß i umanandhupf wia r'a spinneter Hanswurscht...«

»Deine Sprache ist rauh«, erwiderte der Jüngling, »und dein Antlitz zeigt weder Ruhe noch Glückseligkeit, aber bald wird Harmonie dein Wesen verklären...«

»De Sprüch mag i«, antwortete der erbitterte Postsekretär, und nach einer Welle fügte er hinzu: »Sie, passen S' auf, was san denn Sie früher g'wes'n?«

»Was ich... ?«

»Ja, was Sie bei Lebzeit'n g'wen san?«

»Ach so, als ich noch auf Erden wandelte?«

Und als Angermayer nickte, überflog ein seliges Lächeln der Erinnerung die Züge des langgelockten Jünglings, und er flüsterte mehr als er sprach: »Ich war Lehrer für rhythmische Gymnastik und harmonische Exterikultur.«

»Was is dös?« brummte sein Begleiter, »dös versteh' i net.«

»Ich lehrte die Jugend, sich rhythmisch bewegen und...«

»Jetza!« schrie der Sekretär, »i hab ma's do glei denkt! A Schlawiner, a Tanzmoasta! Und von Eahna soll i was lerna, Frohlock'n oda so an Schmarrn? Jetzt hamm S' Zeit, daß Eahna verziahgn, sunst nimm i Eahna d' Harpfen und schlag Eahna umanand damit...«

Der Jüngling entfloh mit einem Schreckensruf und ließ Angermayer allein zurück, mitten in einer Asphodeluswiese, auf die er sich nun hinsetzte, voll innerlichen Zornes über das Schicksal, das einen königlichen Sekretär dazu brachte, nackend im Grünen zu weilen.

Er starrte grimmig vor sich hin und überdachte die Möglichkeiten, von hier zu entrinnen. Da sich ihm keine zeigen wollte, und da er sich immer mehr darüber klar wurde, daß seine Versetzung in diese Gegend eine definitive wäre, bestärkte er sich in dem Entschlusse, jede Zumutung abzulehnen, die mit seinem Charakter, seinen Neigungen und vor allem mit seiner Beamteneigenschaft nicht in Einklang...

Er wurde in seinem Gedankengange unterbrochen.

Zwei riesige Engel ergriffen ihn, jeder bei einem Arm, und entführten ihn so schnell und gewaltsam, daß seine Füße den Boden kaum mehr berührten.

Aber seltsam!

Angermayer empfand gegen diese Begleiter weit weniger Widerwillen als gegen jenen sanften Jüngling, und die Gestalten, die Gesichter, die Manieren dieser ungefügen Geister muteten ihn beinahe vertraut an, so daß er trotz der rasenden Schnelligkeit, mit der er vorwärts getrieben wurde, in höflichem Tone zu fragen versuchte:

»Sie entschuldig'n...«

»Halt's Mäu!« schrie der Engel zur Linken.

»Jegerl! A Landsmann!« rief der Angermayer erfreut und machte einen Versuch, stehen zu bleiben, aber er wurde mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen, und so keuchte er atemlos: »Geh, sag'n S' mir doch, wo S' hersan?«

»Wennst d'as schon wiss'n willst«, brüllte der Engel zur Rechten, »mir war'n Klosterhausknecht in Andechs...«

»Jessas, Andechs!« jauchzte der Sekretär, und wunderkühle Nachmittage hinter den Maßkrügen des Bräustüberls fielen ihm ein, und er schnalzte unwillkürlich mit der Zunge.

»Und an Backsteiner und an Radi!« setzte er die Reihe der seligen Erinnerungen fort.

Mit wie wenig kann ein Mensch doch glücklich sein, und zu was brauchte man ein solches Paradies, wenn man es auf Erden hatte!

Sein Herz fühlte sich hingezogen zu diesen groben Geistern.

»Was teat's denn mit mir, Leuteln?« fragte er beinahe zärtlich.

»Mir geb'n da nacha scho d' Leuteln!« sagte der Engel zur Linken.

»Außi schmeiß'n tean ma di«, rief der Engel zur Rechten.

Und kaum waren ihm die Worte entfahren, so fühlte sich Angermayer von einem heftigen Wurfe einige Stufen abwärts geschleudert mit dem Kopfe in gefrorenen Schnee fahren, und tausend Sterne flimmerten vor seinen Augen. Ein Tor fiel donnernd hinter ihm zu. – – Er erwachte von dem Falle und der kühlen Luft, die um ihn strich. Er rieb sich die Augen und sah an sich hinunter mit entzücktem Erstaunen, denn er war bekleidet, und er sah um sich und erkannte den lieben alten Rathausturm, dessen beleuchtete Uhr die dritte Morgenstunde zeigte.

Da merkte er froh, daß er im Bräuhause eingeschlafen war und alles nur geträumt hatte, bis auf den Hinauswurf.

Der war erlebte Wirklichkeit.

Das Volkslied

Es erwachte damals die Freude am Volkstum, und man konnte überall recht wohl den Drang bemerken, sich von echten, kleinsten Zügen der Volksseele zu überzeugen und sie in gehaltvollen und gewundenen Sätzen wiederum zu schildern.

Neben Wortprägungen, die mit Heimat, Scholle, Erde, Erdgeruch wackere Zusammenhänge fanden, begegnete man herzig schlichten Romanen, die, als Aufgüsse über den würzigen Bodensatz Gottfried Kellerscher Getränke, Farbe und Geschmack annahmen, und begegnete auch heimatliebenden, von jeder peinlichen Tendenz abgekehrten Schulaufsätzen, welche man ehedem Feuilletons genannt hatte. In dieser wonnigen, schollenseligen Zeit bemühten sich auch Berufsmenschen, Perlen im Aktenschutte zu finden, und so nahm sich ein Rechtsanwalt namens Doctor juris Anton Habergais vor, seine mitten in Land und Leute verschlagene Existenz folkloristisch zu verwerten und seltene Lieder zu sammeln. Er glaubte, daß sich ungehobene Schätze genug unter niederen Dächern befinden konnten, und er wollte sie ans Licht ziehen und mit ihrer Naivität ein heimatfrohes Publikum entzücken. Der Gedanke war kaum gefaßt und im vorhinein lieblich verbrämt, als Herr Habergais auch an seine Verwirklichung schritt und sich ein in Leder gebundenes Heft von schönem Büttenpapier kaufte.

Er stellte sich freudig vor, wie er wohl an stillen Winterabenden hier hinein Lied für Lied mit Beibehaltung der ursprünglichen Schreibweise eintragen wollte nebst Anmerkungen unter einem mit roter Tinte zu ziehenden Striche.

Nach etlichen fleißigen Monaten ließ sich dann wohl ein BüchIein daraus formen, welches den Forschern zur Erquickung, anderen aber zur Belehrung dienen mußte. Wie war nun aber das Material herbeizuschaffen?

Der ehedem solchen Zwecken gerne dienstbare Volksschullehrer hatte sich leider im Laufe der Zeiten daran gewöhnt, seine Entdeckungen selbst zu Aufsätzen, zu Heften und Büchlein zu verwerten, und war als selbstloser, höchstens im Vorworte erwähnter Mitarbeiter kaum mehr zu haben. Darum blieb nichts übrig, als unter Umgehung dieses Sammelbeckens sich geradeswegs an die Quellen zu begeben, was ja einem Rechtsanwalt immerhin möglich war.

So kam also Herr Doktor Habergais mit sich überein, von rechtsuchenden Bauern selbst Beiträge zu erbitten.

Ein in seiner Gemeinde Weidach wohlangesehener Ökonom, Jakob Hirtner, genannt Matheiser, kam in seiner Angelegenheit zu Habergais, als dessen Entschluß gerade gereift war.

Nach dem Geschäftlichen ging der Rechtsanwalt zu einem jovialen Ton über, klopfte dem Matheiser auf die Schulter und begann zu fragen.

"Hirtner, nicht wahr, bei Ihnen in Weidach wird doch häufig gesungen?"

"G'sunga?"

"Ich meine die jungen Mädchen, die zum Brunnen gehen, die Burschen auf der Landstraße."

"Brunna?"

Ja, die Mädchen, die vom Dorfbrunnen Wasser holen."

"Mir hamm ja gor koan Dorfbrunna net "

"Nu also, bei einer anderen Gelegenheit, nach der Arbeit, wenn der Abend sinkt "

"Bei ins hat a jeda selm sein Brunna –"

"Ich sage Ihnen ja, die Gelegenheit, bei der es geschieht, ist ganz Nebensache. Ich denke überhaupt an den Feierabend, wenn alt und jung vor den Türen steht '"

"Beim Schuastahansl waar scho a Brunna bei da Straß hiebei, aba dersell hat koa Wassa it "

"Ja ... ja ... lassen wir diese Brunnenfrage endgültig fallen. Ich möchte nur in Erfahrung bringen, was diese jungen Mädchen, verstehen Sie, Matheiser, welche Lieder sie singen?"

"Han?"

"Und Sie sollen mir dabei helfen, Matheiser. Sie sollen mir die Texte verschaffen."

"Han?"

"Sie müssen mir aufschreiben oder aufschreiben lassen, Wort für Wort, was eure jungen Mädchen singen."

"I?"

"Jawohl, und ich will Ihnen genau sagen, wie Sie das machen müssen..."

"Ja, was woaß denn i?"

"Also, passen Sie auf ! Nicht wahr, zum Beispiel, Sie hören die Anna oder die Liesel singen..."

"Was für a Liesel?"

"Irgendeine; ich meine irgendein Mädchen, das nächstbeste Mädchen hören Sie singen..."

"Bal i aba koane hör'?"

"Herr Doktor Habergais sah mit einem gramvollen Zug im Gesichte sein Gegenüber an, und er fühlte, wie eine nervöse Abspannung, ein prickelndes Gefühl den Rücken entlang seinen Eifer vermindern wollte; aber er gab sich einen Ruck, er lächelte, er klopfte Herrn Hirtner mit der flachen Hand auf die Schulter, obwohl sich ihm die Finger krümmten, obwohl sich ihm die Hand ballen wollte. "Verstehen Sie mich wohl, Matheiser, Sie hören schon eine, oder Ihr Nachbar hört eine, oder Ihre Frau hört eine..." Habergais sprach jedes Wort scharf und gereizt aus. "Gut also, irgend jemand hört irgendeine" es klang wie ein Befehl , "verstanden, dann gehen Sie zu ihr hin und sagen: Meine liebe Liesel..."

Hier wollte nun Hirtner doch nicht länger schweigen.

"Was für a Liesel?"

"Herrgott Mensch! Matheiser, will ich sagen, Liesel, Anna, Marie, ganz wurscht, wie sie heißt; Sie sagen zu ihr: Mein liebes Mädchen" Habergais machte hinter jedem Wort eine Pause und schrie das nachfolgende um so lauter , "mein liebes Mädchen, du hast soeben ein Lied gesungen. Welches ist der Inhalt desselben? Sprich mir die Worte vor, oder, noch besser, schreibe sie mir auf! Das sagen Sie zu ihr! Haben Sie mich verstanden, Matheiser?"

"Na!"

Der Rechtsanwalt setzte sich und blickte zu Boden, während eine fliegende Hitzewelle von seinem Nacken über die Ohrlappen hinzog, während seine Stirnhaut pelzig wurde, bis dann ein erlösender Schweiß ausbrach.

"Sie haben mich nicht verstanden?" Die Frage klang heiser.

"Weil Sie sagn von an Brunna, und weil mir do koan Brunna durchaus gar it hamm..."

"Ja, wer redet denn noch von einem Brunnen? Ja, wer redet denn noch von einem blöden Himmelherrgottsakramentsbrunnen?"

"Net?"

"Nein! Aber ich will von vorne anfangen. Setzen Sie sich einmal, Matheiser! Da, mir gegenüber so! Also lassen wir in drei Teufels.. also lassen wir die Mädchen... nicht wahr, Ihre Burschen singen doch auch?"

"Bal s' b'suffa san, scho..."

"Nüchtern oder betrunken ... das ist mir jetzt ganz egal ... Matheiser ... jetzt schweifen Sie nicht mehr ab! ... Belauschen Sie Ihre Burschen ..."

"Wia?"

"Hö-ren Sie ihnen zu! Hö-ren Sie den jung-en Bur-schen zu!"

"Bal s' b'suffa san?"

"Wenn sie sing-en! Nicht wahr?"

"De plärr'n scho a so, daß ma's hört..."

"Ja also, dann können Sie um so leichter tun, was ich meine. Hören Sie ihnen zu, schreiben Sie auf, was die Burschen singen..."

"Schreib'n? Allssammete?"

"Jawohl! Ich will die Lieder sammeln. Ich will genau wissen, was für Lieder sie singen..."

"Ja ... aba..."

"Nichts aber. Sie können doch schreiben, nicht wahr ...? Es braucht nicht schön zu sein ... Sie schreiben einfach Wort für Wort auf, und damit Sie es lieber tun, will ich Ihnen für jedes Lied was bezahlen. Verstehen Sie mich jetzt?"

"Ja, guat! I vasteh Eahna ganz guat .."

"Na, endlich? Und dann sind wir einig?"

"Was kriag i nacha, bal i schreib?"

"Hm ... sagen wir ... für jedes Lied ... ham ... sagen wir fünfzig Pfennige ..."

"A Fufzgerl?"

"Für jedes Lied; wenn Sie mir zum Beispiel sechs bringen, bekommen Sie drei Mark, einen Taler, Matheiser."

"Aha, an Taler! Na bring i halt sechsi..."

"So viel Sie eben hören, nicht wahr? Es können mehr sein, es können weniger sein..."

"Ja ... ja ... sechsi wern's leicht ..."

"Gut, und damit adieu, Matheiser!"

"S' Good, Herr Dokta!"

Habergais blickte dem Ökonomen nach, lange und sinnend. Denn hier drängte sich nun auch ein Allgemeines und ein Besonderes der Betrachtung auf. Die schlichte, geradeaus zielende Art, zu denken, welche dem Volke eignet, dieses Festhalten an einer Vorstellung und diese gewisse Unbiegsamkeit der Folgerungen, welche in einer Linie auf einen Punkt hinstreben und nie nach den Seiten hin ausladen. Dieses schien ein Problem zu sein, und zwar ein beachtenswertes.

Tja ja.

Übrigens waren seitdem etwa drei Wochen ins Land gegangen, und Doktor Habergais gedachte wohl öfter seines Vorhabens und malte sich nicht ohne Behaglichkeit die literarischen Aufgaben aus, welche ihm die Wintermonate verkürzen konnten.

Er blätterte in dem Hefte aus schönem Büttenpapier und sah im Geiste die Seiten mit reinlicher Schrift gefüllt, die Titel der Lieder in zierlicher Rundschrift in die Mitte gesetzt, dann den roten Strich, und kluge landeskundliche Anmerkungen und Erläuterungen darunter geschrieben.

Es konnten sehr lange, begleitende Kommentare werden, wenn man etwas Dialektforschung trieb, über Wortwerte, Wertunterschiede einzelner Dialektformen sich verbreitete, Belegstellen anführte und überhaupt wissenschaftlich verfuhr.

Ob sich der Matheiser noch an sein Versprechen erinnerte?

Es deuchte Herrn Doktor Habergais manches Mal zweifelhaft, aber dann glaubte er doch wieder, daß die Freude am leichten Verdienst den Mann anspornen könnte.

Und wirklich kam eines Vormittags Jakob Hirtner zur Türe herein und holte ein in Zeitungen gewickeltes verknittertes Schulheft aus der Tasche.

"Ha! Da ist ja mein Mitarbeiter ... da ist ja der Matheiser! Na, also haben Sie Lieder gefunden?"

"Herr Dokta, i sag's glei, wia's is, schö hab i net g'schrieb'n..."

"Macht doch nichts!"

"Und ... an Arbeit is dös! Des sell tat i fei nimma!A Markl derfat'n S' no extra zahl'n, a so hab i mi scho plagt..."

"Darüber läßt sich reden..."

"D' Bäuerin hat aa g'sagt, daß dös koa Macha net is, sagt's, und wei ma mit da Tint'n a so umanandschmiert, sagt's ..."

"Wie viele Lieder haben Sie denn, Matheiser?"

"Sechsi, wia ma's ausg'macht ham."

"Sechs? Bravo! Das ist schon ein Anfang!"

"Ja, san drei Markl, und oana derfat'n S' no spitz'n, weil d' Bäuerin aa sagt, dössell derfat ihr nimma fürkemrna."

"Na gut, Matheiser! Ich gebe Ihnen vier Mark, aber Sie versprechen mir, daß Sie auch weiter für mich sammeln, das heißt gelegentlich ein Lied aufschreiben..."

"Na ... na! Herr Dokta, dössell konn i durchaus gar it vasprecha, und mit'n Schreibn hon i's überhaupt it. I tua ma scho so bluati hart, daß 's höcha nimma geht..."

"No...no ... Matheiser, so schlimm ist das nicht. Später haben Sie vielleicht selber Freude daran."

"Dös glaub i gar it."

"Da haben Sie vier Mark, und nun geben Sie mir Ihre Aufschreibungen!"

Hirtner nahm das Geld und wickelte das fettige Zeitungspapier auseinander.

"I ho's in a Heft von mein Deandl einig'schriebn", bemerkte er, "müssen S' scho entschuldinga, bal's it schö g'schrieb'n is..."

"Das ist ganz nebensächlich ... nur her damit!"

Doktor Habergais nahm nicht ohne Hast das verschmierte, öl- tinten- und fettfleckige Heft an sich und öffnete es.

Es war wirklich auf den ersten Blick zu erkennen, daß hier eine ungeübte, schwere Hand gewaltet hatte, aber das gerade verlieh dem Ganzen einen gewissen Reiz.

Wie die Buchstaben bald schief, bald gerade standen, wie die Zeilen bergauf und talab liefen, wie hier die Feder sich gesträubt und dort festgehakt hatte, wie sie hier ausgeglitten war und dort sich mühsam in das Papier eingebohrt hatte, wie unter verwischten, aufgeschleckten länglichen und runden Klecksen Buchstaben, halbe Worte, ganze Worte versteckt lagen, alles das war unvergleichlich an. ziehender als etwa eine glatte, charakterlose Schrift.

Eben weil es echt war, von unleugbar schwielenbedeckter Hand oder nein! Faust mühsam hingesetzt.

Habergais lächelte befriedigt und begann zu lesen.

Äs ... p ... brr ... praußt ... ein ... r ... rh ... ruhf ... wie ... t ... tohner ... hal ... wie s ... ß ... schwärth ... ke ... geklirr un ... wa ... wah ... gen ... bral. "

? ?

"Was ist das? Was soll das sein, Matheiser?"

"Han?"

"Was das sein soll, frage ich."

"A Liad..."

"Das ist doch 'Die Wacht am Rhein'!"

"Ka scho sei, daß 's a so hoaßt..."

"Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen mir Lieder aufschreiben, die Ihre Burschen singen."

"Ja, dös singan s'."

"Das??"

"Dös singan s' fei gern!"

"Also ... Matheiser ... !"

Habergais überflog die anderen Seiten, die aus Bruchstücken erkenntlichen Lieder.

Ein sehr langes. "Heul unserm König ... heul!" ein kurzes "... im gruhnen walth is holzauxion..." und wieder "O du liber augastien", "Ich hath einen Kahmeraten" und das letzte noch "Das schöne land, wo meine wihge stand". Der Rechtsgelehrte blickte den Ökonomen durchdringend an. "Also das sind...??"

"Dös singan s' alssammete", sagte Hirtner treuherzig und ohne Arg... "und derfan S' g'wiß glaab'n, Herr Dokta, daß i mi schö plagt hab' und d' Bäuerin sagt aa, mit dem G'lump derfst ma nimma komrna, sagt s'..."