Bea macht blau - Tessa Hennig - E-Book

Bea macht blau E-Book

Tessa Hennig

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Beschreibung

Wer eine Schwester hat, braucht keine Feinde Bea reicht's: Ihre Tochter ist gerade ausgezogen, und der Mann dankt ihr die jahrelange Brutpflege mit einer Affäre. Kurzentschlossen macht sie sich auf den Weg zu ihrer Schwester Karin nach San Sebastián. Ein gefährliches Unterfangen, denn Karin ist überzeugte Aussteigerin und gerät mit Kontrollfreak Bea sofort wieder aneinander. Aber in der Not müssen sich beide zusammenraufen. Zwischen Tapas, Strand und Vino findet Bea dann doch wieder Spaß am Leben und gerät an einen Mann, der zum Träumen einlädt. Ganz so einfach lässt sich ihr altes Leben aber nicht abschütteln – und die Schwester erst recht nicht … Baskenland olé: Der neue Roman der Spiegel-Bestsellerautorin!  

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Das Buch

Für Vollblut-Mama Bea brechen harte Zeiten an: Ihre Tochter Caroline hat gerade Abitur gemacht und ist ausgezogen. Zurück bleiben ein leeres Haus und ein Ehemann, der sich kaum noch für Bea inter­essiert – für andere Frauen allerdings schon. Bea packt kurzerhand ihre Sachen und fährt zu ihrer Schwester Karin ins Baskenland. Keine leichte Entscheidung, denn Bea und Karin haben sich noch nie sonderlich gut verstanden. Und natürlich geraten die beiden auch jetzt wieder aneinander: Karin hat Bea ja prognostiziert, dass sie mit ihrer Ehe eine Bruchlandung hinlegen wird. Wer opfert seine Träume schon für Mann, Kind und Herd? Karin jedenfalls nicht. Allerdings ist ihr Leben in einem ausgemusterten Wohnwagen inmitten von Aussteigern, Künstlern und hängengebliebenen Hippies auch nicht das Gelbe vom Ei. Trotz aller Unterschiede stellen die Schwestern fest: In Zeiten der Not müssen sie zusammenhalten. Und dann ist da ja auch noch die alte Jakobsweg-Pension, in der sie schon als Kinder ihre Ferien verbracht haben und die inzwischen leer steht. Zusammen wollen sie sie wieder auf Vordermann bringen. Eine echte Herausforderung, denn wenn deutscher Kontrollwahn auf spanische Lässigkeit trifft, bleibt das Chaos nicht aus. Doch so schnell gibt Bea nicht auf …

Die Autorin

Tessa Hennig schreibt seit vielen Jahren erfolgreich große TV-Unterhaltung. Mit Mutti steigt aus gelang ihr auf Anhieb ein Bestseller. Wenn sie vom Schreiben und ihrem Wohnort München eine Auszeit benötigt, reist sie auf der Suche nach neuen Stoffen und Abenteuern gern in den Süden.

Von Tessa Hennig sind in unserem Hause bereits erschienen:

Mutti steigt aus · Elli gibt den Löffel ab ·Emma verduftet · Lisa geht zum Teufel·Mama mag keine Spaghetti ·Alles außer Austern·Mit Oma in Roma

Tessa Hennig

Bea macht blau

Roman

List Taschenbuch

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ISBN ISBN 978-3-8437-1540-9

Originalausgabe im List Taschenbuch

List ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin.

1. Auflage Juli 2017

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017

Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München

Titelabbildung: www.buerosued.de

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Kapitel 1

Besser geht’s nicht! Bea hatte allen Grund, auf ihre Tochter stolz zu sein. Und wie sich Caroline über ihr Abiturzeugnis freute: eins Komma drei. Die besondere Fürsorge einer pflichtbewussten Mutter hatte sich gelohnt: vitaminreiche Kost in den Wochen davor, Befreiung von sämtlichen Aufgaben im Haushalt, kleine Motivationsspritzen in Form von Geschenken – kurzum: alles richtig gemacht. Natürlich wurde ihr ausgeklügelter Schlachtplan innerfamiliär nicht wahrgenommen, geschweige denn gewürdigt. Das undankbare Los des Mutterdaseins. Matthias führte Carolines gutes Abschneiden sowieso auf seine Gene zurück. »Und natürlich auf deine«, hatte er sich gestern Abend noch abgerungen, nachdem Bea zur Feier des Tages Carolines Lieblingsessen, Schweinelende natur mit Kroketten und Pfifferlingen, auf den Tisch gestellt hatte. Bea hielt ihrem Mann zugute, dass er es augenzwinkernd von sich gegeben hatte, aber sicherlich auch nur, weil er ihre offensichtliche Verstimmung bemerkt haben musste. Vergessen und vergeben – auch daran gewöhnte man sich als »Muttertier«. Umso wichtiger waren die kleinen Highlights des Lebens. Carolines heutige Abifeier gehörte dazu.

»Jetzt kannste dir den Studienplatz ja frei aussuchen«, sagte Matthias leichthin, kurz bevor sie mit dem Wagen auf den Parkplatz des Tegernseer Gymnasiums einbogen.

Ausnahmsweise kommentierte Caroline das nicht. Vermutlich, weil sowieso klar war, dass sie in München studieren würde, also nicht weit weg von daheim und noch dazu kostengünstig, denn Beas Freundin hatte Caro ein Zimmer in ihrer Schwabinger Wohnung in Aussicht gestellt. Alles perfekt geregelt.

Bea nahm sich daher vor, den Abend in vollen Zügen zu genießen. Der große Tag ihrer Tochter war auch endlich mal wieder ein würdiger Anlass, um sich in Schale zu werfen. Das schicke Dunkelblaue hatte sie bestimmt seit eineinhalb Jahren nicht mehr aus dem Schrank geholt. Matthias stand der schwarze Anzug ebenfalls ausgesprochen gut. Mit seinem Dreitagebart und dem graumelierten Haar hatte er ein bisschen was von George Clooney, jedoch mit leichtem Bauchansatz, den das Schwarz vorteilhaft kaschierte. Caroline hingegen glänzte in ihrem hellblauen Abendkleid wie Cinderella, auch wenn sie brünett war und einen Kurzhaarschnitt hatte.

Die Begrüßungsorgie vor dem Eingang zur Aula begann – Küsschen hier, Küsschen da. Allen voran Jens und Gisela, ihres Zeichens Immobilienmakler und die Eltern von Carolines Freundin Emma. Die beiden sparten nicht mit Komplimenten.

»Du siehst bezaubernd aus«, meinte Gisela an Caro gerichtet.

»Ganz die Mama«, schob Jens hinterher. Das ging runter wie Öl, auch wenn Bea rund dreißig Jahre älter als Caroline war und um ein paar Falten reicher, die sie im Gegensatz zu Gisela erst gar nicht wegzuspachteln versuchte. Gisela stand angesichts ihrer glatten Stirn sowieso unter Botox-Generalverdacht. Umso wertvoller war Jens’ Kompliment. Wann hatte ihr Matthias eigentlich zuletzt gesagt, dass er sie attraktiv fand? Funkstille im Gehirn, also musste das eine halbe Ewigkeit her sein.

»Emma hat organisiert, dass wir zusammensitzen – ganz vorn an der Bühne«, stellte Gisela glückselig fest. Im Gegensatz zu Bea freute sie sich sicher darauf, aus dem Nähkästchen ihrer Kosmetikerin zu plaudern und damit zu prahlen, wo sie in diesem Jahr überall Urlaub machen würden. Bea kannte das schon aus leidvoller Erfahrung. Verdammt, Caroline, warum ist ausgerechnet Emma deine beste Freundin? Und die krallte sich Caroline auch gleich.

»Komm. Wir gehen die Abirede noch mal durch.« Und weg waren die beiden. Verständlich, denn die jungen Leute wollten vermutlich unter sich sein. Zwei weitere Sprösslinge seilten sich von den Eltern ab und verschwanden in der Aula, wie Bea aus den Augenwinkeln mitbekam.

»Ich mach drei Kreuze, dass der ganze Stress vorbei ist«, ertönte eine weibliche Stimme, die Bea von gemeinsamen Aktivitäten im Elternbeirat kannte. Sie gehörte Sabine, ebenfalls die Mutter einer von Caros Freundinnen, eine sehr nette sogar. Warum nur konnten sie nicht bei Sabine sitzen? Ihr Mann, der sowieso schon die ganze Zeit den Arm um sie gelegt hatte, zog sie daraufhin näher zu sich heran.

»Endlich wieder mehr Zeit für uns«, raunte er, bevor er ihr einen Kuss auf die Wange gab. Dass es zwischen den beiden noch so etwas wie Leidenschaft gab, war schon anhand dieser kleinen Gesten spürbar. Da konnte man glatt neidisch werden. Der Mann schmachtete seine Frau ja förmlich an und schmunzelte leicht lasziv, was sie sichtlich beglückte. Was die beiden nach der Abifeier noch vorhatten, war Bea nun klar. »Zeit für uns?« Richtig, die würden sie nun auch haben. Eine Reise nach Indien stand an, ein langgehegter Traum. Einmal im Leben den Tadsch Mahal sehen. Matthias war bisher auf gemeinsamen Reisen immer aufgetaut. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.

»Wir sehen uns …«, rief ihr Sabine zu, die Bea offenbar im Getümmel vor der Aula zunächst gar nicht bemerkt hatte. Bea hoffte es inständig und ertappte sich schon bei dem Gedanken, unter einem fadenscheinigen Vorwand ­Tische zu tauschen. Dazu blieb jedoch keine Zeit, denn die Pforten der Aula gingen auf.

»Emma geht erst einmal für ein Jahr nach Australien«, gab das Botoxwunder ungefragt von sich, nachdem sie ihren Tisch erreicht hatten.

»Und dann will sie in den USA studieren«, kam es von Jens.

Bea lag schon auf der Zunge, dass Caroline sich angesichts ihres guten Abischnitts die Uni aussuchen konnte. Sie wusste, dass Emma das Abi gerade mal so bestanden hatte, aber was machte das schon, wenn die Eltern sich reich gemakelt hatten. Sie konnten sich faktisch jeden Abschluss an diversen Privatschulen für ihre Tochter erkaufen.

»Unsere Caroline bleibt im Lande. Sie wird an der LMU studieren«, merkte Matthias an.

»Dann ist sie wenigstens nicht gleich ganz weg«, kommentierte Bea, wofür sie von Gisela und Jens mitleidige Blicke erntete.

»Also, ich bin froh, dass Emma bald aus dem Haus ist. Die Kinder müssen ja irgendwann selbständig werden«, sagte Jens.

»Es liegen keine Klamotten mehr herum, kein Hinterherräumen, keine Sonderwünsche beim Kochen, keine Musik bis spät in die Nacht. Und mal ganz abgesehen von diesen ganzen Typen, die sie mit nach Hause geschleppt hat«, sagte ausgerechnet Gisela, als ob die je in ihrem Leben gewaschen, geputzt oder gekocht hätte! Und so wie sie mit anderen Männern in den letzten zehn Minuten en passant Blicke gewechselt hatte, konnte man beinahe glauben, sie wäre Stammgast in einem Swingerklub – aber über die Tochter lästern.

»Und darauf stoßen wir an. Auf die neue Freiheit«, posaunte Jens heraus, nachdem der Ober die Schampusflasche griffbereit in den Eimer mit Eis gestellt hatte.

»Und auf Hawaii«, fügte Gisela hinzu.

Darauf hatte Bea förmlich gewartet. Immer mussten sie mit ihren Reisen protzen.

»Ihr fahrt nach Hawaii?« Nach dieser Steilvorlage nahm Matthias den Ball auch noch an, vermutlich aus reiner Höflichkeit, denn so, wie sie ihn einschätzte, hatte er auch keine große Lust auf Giselas Ergüsse über Luxusreisen. Das war verständlich, wenn man selbst in den letzten Jahren weder Zeit noch Geld dafür gehabt hatte. Gisela wusste das. Warum hielt sie dann nicht einfach die Klappe?

Bea verkniff es sich, ihre Indien-Reisepläne dagegen­zusetzen. Lieber Giselas Gerede tapfer wegstecken und sich keine Blöße geben, indem man auch noch darauf einging. Zwei Wochen Goa über Neckermann in einem Dreisterne­resort mit inländischem Billigflug auf einer Never-come-back-Airline nach Neu-Delhi nahmen sich dagegen sowieso etwas popelig aus. Anscheinend konnten Immo­bilien­­­makler es sich leisten, den Laden mal für drei Monate dicht­zu­machen. Matthias würden nach so langer Zeit alle hart ­erkämpf­ten Social-Media-Kunden davonlaufen, und sie könnten gleich in Indien bleiben – in einer Strohhütte bei den Aussteigern in Goa.

Jens öffnete die Flasche Champagner. Die Gläser standen bereit. Bea beschloss, in Gedanken darauf anzustoßen, dass sie eine Tochter hatten, auf die sie stolz sein konnten, die an ihren Eltern hing und nicht fluchtartig nach Australien abdampfte.

»Auf unsere Kinder«, sagte sie in die Runde. Jens und Gisela stießen mit an.

Alles in allem doch ein gelungener Abend – so lautete Beas Fazit nach der Abifeier. Das lag in erster Linie daran, dass sich die Schule einiges hatte einfallen lassen, um die Ver­anstaltung kurzweilig zu gestalten: Violinistinnen, dann der Schulchor, dem wiederum die Schauspieltruppe gefolgt war. Das prall gefüllte Programm hatte erfreulicherweise den Nebeneffekt gehabt, Gisela zum Schweigen zu bringen, leider aber auch dafür gesorgt, dass sie kein einziges Wort mit Sabine hatte wechseln können.

»Ich komm mal die Tage vorbei«, hatte sie ihr am Ende der Veranstaltung im Pulk der herausströmenden Massen gerade noch zurufen können. Halb so schlimm! Der Abend gehörte schließlich Caroline.

»Deine Rede zur Abizeitung war großartig.« Caro strahlte angesichts des Kompliments aus dem Munde des stolzen Papas, dem Bea nur beipflichten konnte.

Caro war nicht gerade zimperlich mit den Lehrern umgegangen. Schröder, der Deutschlehrer, hatte ihr den Schnitt um null Komma drei nach unten gezogen. Eine Eins gab’s bei ihm ja nur für künftige Nobelpreisträger. Recht so! Jetzt konnte Caroline sich das leisten. Aus einem unerfindlichen Grund war es mit Carolines Glanz und Selbstbewusstsein aber vorbei, als sie schließlich zurück zum Auto gegangen waren. Der Knick kam just nach Matthias’ Frage: »Hast du dich eigentlich schon an der LMU eingeschrieben? Muss man sich da nicht schon jetzt anmelden?«

Keine Antwort.

Bea sah ihrer Tochter an, wenn irgendetwas nicht stimmte. Sie friemelte nervös an den Fingern herum, rieb den Daumennagel unentwegt gegen den des Zeigefingers.

»Caro?«, fragte Matthias nach, weil sie nach wie vor die Taubstumme gab und den Blick einfach nicht von der Schule abwenden wollte. Matthias hatte deutlich genug gefragt, um den Partysound der Schuldisco zu übertönen.

»Ach ja, die Uni«, gab Caroline eher desinteressiert zurück, dann winkte sie Emma und zwei Mädchen aus ihrer Clique zu. »Ich ruf euch an«, posaunte Caro in deren Richtung. An sich war das ja nicht ungewöhnlich, doch das hatte sie den beiden bereits bei der Verabschiedung vor fünf Minuten gesagt.

»Hast du dich jetzt schon angemeldet oder nicht?«, fragte Bea einen Tick schroffer als ihr Mann. Noch einmal drückte ihr Caro nicht auf die Escape-Taste. Dementsprechend bleich wurde das Kind.

»Nein.« Caroline sagte es verdächtig beiläufig.

»Warum nicht?«, hakte Bea nach. Der Wetzgeschwindigkeit von Carolines Fingern nach zu urteilen, brauchte sie so schnell keine Nagelfeile mehr.

Den Wagen hatten sie mittlerweile erreicht. Den Punkt, an dem Caroline anfing, zu reden, auch.

»Ich werd nicht in München studieren.« Volle Breitseite. Nun verschlug es Bea für einen Moment die Sprache.

Matthias fand sie als Erster wieder: »Und warum nicht?«

»Passau hat einen viel besseren Ruf. Die haben einen Marketingexperten und einen für Finanzen. Außerdem ist es an der LMU so unpersönlich«, versuchte Caroline, ihre Argumente einigermaßen überzeugend rüberzubringen. Der Versuch scheiterte.

»Und das fällt dir erst jetzt ein?« Matthias zeigte sich mindestens so überrascht wie Bea.

»Erst jetzt?«, warf Bea mit gutem Grund lakonisch in die Runde.

Caroline wand sich.

»Jonas, hab ich recht?« Bea zielte auf den Kopf des Nagels, den sie punktgenau zu treffen gedachte.

»Jonas? Wer ist Jonas?« Matthias war die letzten Wochen so damit beschäftigt gewesen, neuen Kunden hinterherzulaufen, dass er die Katastrophe »Jonas« nicht live hatte mit­erleben dürfen. Bea jedoch schon.

»Und? Wo ist das Problem?«, gab Caroline keck zurück – zu keck.

»Du kennst den doch noch gar nicht gut genug, um seinet­wegen in Passau zu studieren«, stellte Bea fest, weil sie wusste, dass es mit den beiden noch nicht so lang ging.

»Ich auch nicht«, warf Matthias ein.

»Du hast ja eh nie Zeit«, kam es prompt von Caroline. Der Vorwurf war berechtigt, ihr Versuch, das Gespräch auf einen Nebenschauplatz zu lenken, trotzdem zum Scheitern ver­urteilt. Jonas war ein nichtsnutziger, schmuddeliger, wahrscheinlich Haschisch rauchender Trottel, der mit nichts anderem punkten konnte als mit zugegebenermaßen verdammt gutem Aussehen und jener lasziven Aura, die Frauenherzen höherschlagen ließ. Natürlich hatte Bea bei seinem Antrittsbesuch insgeheim seine Armmuskulatur bewundert und verstohlen auf seine gekräuselten Brusthaare geblickt – nur deshalb trug der Typ doch sein Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft.

»Jonas ist ihr Freund«, klärte Bea ihren Mann auf. »Und dreimal darfst du raten. Er studiert in Passau … Oder was macht er überhaupt?«, wollte sie von Caroline wissen.

»Architektur.«

»Ha!« Beas Ausruf war so abfällig, dass Caroline sofort in Angriffshaltung überging. Das Friemeln riss abrupt ab. Sie baute sich vor ihr auf – die sogenannte »Streithaltung«.

»Wollen wir das vielleicht lieber zu Hause diskutieren?«, schlug Matthias versöhnlich vor.

Das hatte Caroline wohl wörtlich genommen, denn auf der Rückfahrt fiel kein weiteres Wort mehr. In solchen Momenten und um die dicke Luft zu vertreiben, stellte Matthias gerne das Autoradio an. Es lief Highway to Hell – wie passend.

Der Druck auf den Türöffner des Garagentors bei Ankunft schien auch Carolines Mund wieder zu öffnen.

»Ich weiß gar nicht, warum ihr euch so verrückt macht. Passau hat wirklich ’ne tolle Uni. Der Abschluss ist genauso viel wert wie der von der LMU, wenn nicht noch mehr«, versuchte Caroline erneut, sich zu rechtfertigen.

»Wenn man denn zum Studieren kommt«, gab Bea spitz zurück.

»Mensch, jetzt lass sie doch! Caroline ist erwachsen und kann tun und lassen, was sie für richtig hält«, fiel Matthias ihr nun in den Rücken. Das musste die Nähe zum elter­lichen Haus sein. Papa hielt ja immer zu seiner Kleinen.

»Eben«, pampte die dann noch.

Das Schweigen hielt an, bis in der Küche das Licht anging. Der Küchentisch hatte schon oft genug als »Round Table« herhalten müssen, wenn es um strittige Familienangelegenheiten ging.

»Und die Miete? In München könntest du bei Alexa wohnen. Wir müssten nur einen Anteil für die Nebenkosten aufbringen. So ein Zimmer in Passau kostet doch mindestens dreihundertfünfzig«, überlegte Bea laut.

Carolines Miene verfinsterte sich daraufhin schuldbewusst. »Vierhundertfünfzig«, sagte sie kleinlaut. »Aber auch nur ein WG-Zimmer. Eigentlich wollte ich ja ’ne Einzimmerwohnung, aber vielleicht nehmen Jonas und ich gleich eine Zweizimmerwohnung. Spart doch Geld.«

Was? Die zogen gleich zusammen? Bea musste sich augenblicklich setzen.

»Ich kann ja jobben. Beim Drogeriemarkt oder als Hostess.«

Wohnen noch nicht mal zusammen, und schon schickt er sie anschaffen. Caroline musste wohl ihre Gedanken gelesen haben.

»Auf ’ner Messe. Mama!«

»Die paar Euro mehr bringen uns auch nicht um«, sagte Matthias, schien sich das aber im nächsten Moment noch einmal zu überlegen, weil er um seine sinkenden Umsätze genauso wusste wie die Dame, die sie jeden Monat für ihn verbuchte: seine Frau Bea.

»Wir müssen ja nicht unbedingt nach Indien fahren. Überleg mal, von dem Geld kann Caroline monatelang leben«, sagte Matthias nahezu heroisch.

Fiese Nummer von ihrem Mann, auch wenn er recht hatte und Bea die Letzte wäre, die ihrer Tochter irgendeinen Wunsch abschlagen würde. Wieder mal zurückstecken? Oft genug gemacht.

»Meinetwegen.« Bea lenkte ein, wie immer. Wenn es Caroline glücklich machte.

»Wir können ja auch nächstes Jahr nach Indien …«, schlug Matthias zaghaft vor.

»Das hast du letztes Jahr auch schon gesagt.« Bea musste es ihm einfach unter die Nase reiben.

Er zuckte daraufhin für ihren Geschmack ein bisschen zu desinteressiert mit den Schultern.

»Noch einen kleinen Umtrunk?«, fragte Matthias stattdessen in die Runde.

Aha, und dann schnell das Thema wechseln. Anscheinend war ihm Indien gar nicht so wichtig. Wirklich ein äußerst gelungener Abend.

Bea fühlte sich auch drei Tage nach der Abifeier immer noch überrumpelt. Grund hierfür war Caros Studienplatzentscheidung, ohne die Mama mit einzubeziehen, obwohl sie das bisher stets bei wichtigen Entscheidungen getan hatte. Die Zimmersuche gestaltete Caroline ebenfalls ohne mütterlichen Beistand, weil Jonas schließlich schon eine Wohnung gefunden hatte. Was doch so alles ans Tageslicht kam, wenn man nachhakte und das Töchterlein sich in Widersprüche verstrickte. Für die Wohnung hatte er auch schon die Kaution bezahlt und die erste Monatsmiete hingelegt. Von welchem Geld? Vermutlich von seinen Eltern. Und überhaupt, das Studium fing doch erst im September an. Warum musste denn alles so verdammt schnell gehen?

»Es war eine einmalige Gelegenheit, Mama. Zwei Zimmer für nur sechshundert kalt. Das sind für jeden dreihundert. Dafür krieg ich nicht mal was im Studentenwohnheim«, hatte ihr Caroline vorgerechnet. Leider war dagegen rein ratio­nal betrachtet nichts einzuwenden, zumal Matthias es genauso sah. Aus der Traum, mit der Tochter nach dem Abi ein wenig Zeit zu verbringen. Mal nach München reinfahren, shoppen, sich in ein Café setzen – das fiel nun alles aus. Stattdessen half Bea ihr nun beim Kofferpacken, auch wenn Caroline ihr zu verstehen gegeben hatte, dass sie keine Hilfe bräuchte. Von wegen. Bea wusste schließlich, wie man einen Koffer effizient packte.

»Danke, Mama«, kam es dann doch, denn Jonas hatte, vermutlich mangels finanzieller Ressourcen, für den Umzug nur einen Kleinwagen angemietet. Als es draußen zweimal kurz hupte, ertappte sich Bea bei ersten Hitzewallungen und einem dumpfen Gefühl in der Magengegend, das mit jedem weiteren Kleidungsstück, das in Carolines Koffer verschwand, schlimmer wurde. Dennoch lächelte sie tapfer.

»Ich bin doch wirklich nicht aus der Welt«, sagte Caroline.

Bea nickte einsichtig. Passau war nicht Australien. Nur nützte diese Erkenntnis herzlich wenig, wenn das Gefühl in der Magengegend immer flauer wurde. Der Blick auf den halb leergeräumten Kleiderschrank gab Bea noch den Rest. Nun saß sie mit hängenden Schultern auf dem Bett.

Prompt gesellte sich Caroline zu ihr – sie setzte sich auf die andere Seite des Koffers, der nun zwischen ihnen wie eine kleine Mauer stand.

»Mensch, Mama. Jonas ist echt ein ganz Lieber«, fing Caroline an. Damit traf sie ungewollt den Kern des Problems, denn dass er sie um den Finger gewickelt hatte mit just dieser Masche, war Bea klar. Einen Streit darüber zu riskieren, dazu fehlte ihr aber im Moment die Kraft. Also versuchte sie es diplomatisch.

»Das glaub ich dir ja, Caro, aber ich weiß nicht … Ich hab einfach kein gutes Gefühl dabei … Es geht im Moment alles so schnell. Wir wären früher nie so hoppla hopp zusammengezogen«, gab Bea zu bedenken.

»Wir ziehen ja auch nicht so richtig zusammen. Sieh’s doch als eine Art WG. Das gab’s bei euch doch früher auch schon.« Sie legte eine Hand auf die von Bea. »Wirst sehen. Alles wird gut, Mama.«

Der Kloß in Beas Kehle sprach da eine ganz andere Sprache, und mittlerweile kitzelten auch die Tränendrüsen, doch Bea riss sich zusammen und nickte, auch wenn das bestimmt nicht sehr zuversichtlich aussah. Mehr Zeit für Gefühls­duseleien verblieb sowieso nicht, denn wer eben an der Haustür klingelte, war nicht nur angesichts von Carolines Strahlen klar. Abrupt ließ sie Mamas Hand los. Da klingelte es erneut. Anscheinend ging es Jonas nicht schnell genug, Caroline dem Schoß der Mutter zu entreißen.

Ruhe bewahren! Kein Pathos. Ist ja nur ’ne WG. Caro hat recht, versuchte Bea, sich einzureden, jedoch ohne Erfolg.

Obwohl Matthias sicher bereits die Haustür geöffnet hatte, hechtete Caro aus dem Zimmer und stürmte die Treppen hinunter.

Bea wischte sich die erste Träne aus dem Auge. »Reiß dich zusammen. Das ist doch lächerlich«, sagte sie leise zu sich selbst. Das war es bestimmt, aber zusammenreißen konnte sie sich trotzdem nicht.

»Seid ihr so weit?«, kam es von unten. Matthias zählte anscheinend auch schon die Sekunden, bis Caroline endlich aus dem Haus war.

»Ich trag die Kisten schon mal raus«, kam dann noch.

In denen waren so ziemlich alle persönlichen Gegenstände, deren Abwesenheit Carolines Zimmer nun richtig kalt und irgendwie seelenlos wirken ließ.

Bea schloss den Koffer, nahm ihn an sich, um beides, sich selbst und das schwere Teil, hinunterzuschleppen.

Es war klar, dass Jonas ihr ein charmantes Lächeln zuwerfen würde, wenn sie sich sahen. Er stand bereits wieder bei seinem Wagen. In seinen Augen schien Triumph zu funkeln. Der Typ erinnerte sie sowieso an einen dieser Machos aus den Vampirfilmen für Pubertierende, auf die Caroline seit Jahren stand.

Bea nickte nur höflich.

Matthias lud die Kisten in den Kofferraum. Caro und Jonas räumten sie im Inneren des Fiat von einer Ecke in die andere, damit der Koffer und noch zwei Ikea-Tüten hineinpassten. Dann küsste Jonas sie auch noch, nicht ohne danach hinüber zu Bea zu sehen. Sie gehört nun mir, schien dieser Blick zu sagen, für immer und ewig. Fehlte nur noch, dass er Caro in die Halsschlagader biss.

Kofferraum zu. Das war’s. Schon standen Caroline und dieser »Vampir« Spalier, um sich artig zu verabschieden.

»Fahrt vorsichtig«, sagte Matthias, den Caro einmal fest knuddelte.

Dann war Bea dran. Wenigstens eine innige Umarmung zum Abschied. Das machte es aber nicht leichter.

»Ich ruf an, okay?«, versicherte Caro.

Jonas machte sich erst gar nicht die Mühe, ihr die Hand zu reichen. Er trollte sich süffisant lächelnd und stieg ein. Schon ließ er den Motor an.

Bea fühlte sich in dem Moment so, als würde ihr jemand die Nabelschnur zum zweiten Mal durchtrennen. Ein Gefühl der Hilflosigkeit wie im Kreißsaal, das seinerzeit aber damit belohnt worden war, einen kleinen Engel auf den Bauch gelegt zu bekommen. Und der stieg gerade in diesen Fiat …

Nun gut, ihr Unterleib hatte sich nach der damaligen Geburt auch wieder zurückgebildet. Vielleicht passierte ja das Gleiche mit dem seelischen Vakuum.

Matthias hingegen winkte den beiden fröhlich hinterher. »Jetzt ist sie weg«, kommentierte er brottrocken, doch wenigstens mit einem Hauch Melancholie in der Stimme.

Wieso nahm er seine Frau nicht wenigstens jetzt in den Arm?

Wieso nahm sie ihn nicht in den Arm? Ging nicht. Lieber wie angewurzelt stehen bleiben und so lange mechanisch winken, bis der Fiat um die nächste Ecke und außer Sichtweite war.

Das Merkwürdige an dieser neuen Stille im Haus war, dass nur Bea sie wahrzunehmen schien. Matthias hatte sich nämlich, ohne Caros Auszug weiter zu thematisieren, mit der feinfühlig anmutenden Bemerkung: »Wir besuchen sie so bald wie möglich, Schatz«, gleich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen – Akquise für den neuen Tag, Rückkehr zur Routine. Das war gar keine so schlechte Idee. Bea überlegte daher, was sie um diese Zeit normalerweise machte. Sie könnte sich noch um Rechnungen kümmern, doch kaum in ihrem Büro im ersten Stock verschwunden, meldete sich erneut dieses schreckliche Gefühl in der Magengrube.

Reden! Der Gefühlscocktail, der in ihr brodelte, war zu intensiv, um ihn nicht mit jemandem zu teilen. Mit ihrem Mann, der ein Zimmer weiter saß?

Rechnungen schreiben!

Wenn nur diese unnatürliche Stille nicht wäre. Keine Schritte von oben, keine knallenden Türen, kein diffuser Bass – den Subwoofer hatte Caroline samt ihrer Anlage mitgenommen. Einiges blieb jedoch beim Alten.

»Schatz? Ich muss noch mal weg. Treff mich mit ’nem Veranstalter.« Immerhin verzog sich Matthias diesmal nicht einfach so, ohne vorher Bescheid zu geben. Normalerweise klopfte er auch nicht an, wenn sie im Büro saß.

Bea nickte das ab, vermutlich zu wenig überzeugend, denn Matthias hakte nach.

»Alles okay?«, wollte er zwischen Tür und Angel dann doch wissen.

»Ja.« Eine glatte Lüge, denn nichts war schlimmer als der Versuch, mit jemandem über etwas zu reden, der einen nicht verstand oder mit Floskeln wie »Alles wird gut« dar­über hinwegging. Also nickte sie noch mal, diesmal von einem Lächeln begleitet.

Es fühlte sich gut an, dass die Tür wieder zu war. Bea hatte nun Zeit, um weiter unverrichteter Dinge auf die vor ihr liegende unvollendete Rechnung zu starren. Vielmehr durch sie hindurch. Seine Schritte auf der Treppe, die ins Schloss fallende Haustür und schließlich den anspringenden Motor seines Wagens zu hören, ließ Bea gar auf­atmen. Wenn es einem nicht sonderlich gutging, war Ruhe das A und O, und es gab kaum etwas Anstrengenderes, als sich unentwegt zusammenreißen zu müssen.

Verdammte Rechnungen! Erst mal einen Drink nehmen. Orangensaft mit Bacardi. Beides stand im Kühlschrank. Allerdings standen dort auch Carolines Joghurtbecher, die mit extra vielen Vitaminen. Den Orangensaft ließ Bea nun gleich weg. Nur noch Bacardi on the rocks, und zwar auf der Couch im Wohnzimmer mit Blick auf die Terrasse und den dahinterliegenden Garten. Dort hatte Caros Schaukel gestanden. Was waren das für glückliche Zeiten gewesen!

Nach einem weiteren Schluck von dem Hochprozen­tigen entspannte Bea sich zusehends. Im Magen rumorte es nicht länger. Ich muss nicht mehr kochen, schoss es ihr durch den Kopf. Matthias aß ja sowieso meist auswärts. Weniger waschen und Caro nicht mehr alles hinterhertragen – ein Luxus, wenn man mal darüber nachdachte. Waren das nicht auch Giselas Worte gewesen?

Nachschenken. Die Flasche hatte sie wohlweislich gleich mitgenommen und griffbereit auf den Wohnzimmertisch gestellt. Gegenüber reihten sich unten im Bücherregal die Fotoalben. Die Versuchung war groß, auch wenn Bea ahnte, dass es ein Fehler sein würde, sich Aufnahmen von Caro aus ihrer Kindheit anzusehen. Ein großer Fehler! Mit einem weiteren Schluck ließ sich die Angst davor hinunterspülen.

Ganze fünf Seiten lang blieben die Augen trocken. Nach einer Aufnahme von Caro mit fünf, den Teddy im Arm, machte Bea den Niagarafällen Konkurrenz. »Das ist doch lächerlich«, ermahnte sie sich. Kinder zogen nun mal irgendwann aus. »Aber nicht so schnell und dann noch mit diesem Jonas …« – der Beginn eines Zwiegesprächs mit sich selbst. »Dafür haste sie doch unterstützt, wo du nur konntest, damit sie eines Tages auf eigenen Füßen steht und du stolz auf sie sein kannst. Sie geht ihren Weg schon. Das wolltest du doch immer.« Die sentimentale Gegenstimme versiegte, doch erst als Bea das Fotoalbum zur Seite legte und sich zurücklehnte, brachte der nächste Gedanke Erleichterung: Sie braucht mich nicht mehr. Das war es. So sollte es ja auch sein, doch diese Einsicht war zweischneidig. Mama wird nicht mehr benötigt! Mama ist überflüssig geworden. Apropos gebraucht werden. Brauchte sie ihr Mann eigentlich noch? Ja, um Rechnungen zu schreiben, und damit daheim alles funktionierte – wenn er denn da war.

Bea fixierte das Fotoalbum. Wenn man sich schon emotional die Kante gab, dann gleich richtig. Genug Bacardi war schließlich noch da. Her damit – mit dem Fotoalbum und der Flasche!

Ungefähr in der Albummitte, nach unzähligen Aufnahmen von Caro in der Wiege, auf der Krabbeldecke, am Taufbecken und abwechselnd auf ihrem und Matthias’ Bauch, sprangen Bea wunderschöne Aufnahmen von ihrem ersten richtigen Familienurlaub in San Sebastián entgegen. Bea war zuvor schon so oft mit ihren Eltern dorthin gefahren und hatte sich im Lauf der Jahre in den Ort verliebt. Maria, die gute Seele des Gästehauses, war eine Art »tía«, eine Tante, für sie geworden – eine temperamentvolle Spanierin mit pechschwarzem Haar, und trotz der strengen Gesichtszüge einer Flamencotänzerin eine Frau mit großem Herz. Es war naheliegend, den ersten Urlaub mit Nachwuchs dort zu verbringen, wo man sich wohlfühlte und hingelangen konnte, ohne in ein Flugzeug steigen zu müssen. Maria hatte zudem darauf gebrannt, die Kleine zu sehen. Wo war nur die Zeit geblieben? Seit Jahren war Bea nicht mehr dort gewesen, obwohl sie im Baskenland die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, auch an der Seite von Matthias, als er noch aufmerksamer und weniger gestresst gewesen war. Mit Kind im Schlepptau verlangsamte sich alles, auch im Urlaub. Keine wilden Nächte mehr in den Tapasbars am Hafen. Keine Segelturns in rauen Gewässern. Jahre später war es Matthias vermutlich aus genau diesem Grund zu langweilig geworden: »Immer das Gleiche«, hatte er gesagt. Zugegebenermaßen gab es für das Ende ihrer Baskenland-Urlaube einen weiteren Grund, und der hatte rein gar nichts mit ihrem Ehemann zu tun. Kaum daran gedacht, stieß Bea auf genau jenes Foto, das noch fehlte, um sich in noch größere emo­tionale Turbulenzen zu begeben: eine Aufnahme ihrer Schwester, die strahlend neben ihren Eltern saß: Karin! Den Pflichtbesuch anlässlich des sechzigsten und letzten Geburtstages vor Vaters Tod hätte sie sich auch sparen können. Bea ließ das Album sinken und dachte an jenen Abend zurück. Sie hatten so gut wie gar nicht miteinander geredet. Ihre Nichte, Caro, hatte Karin nicht die Bohne interessiert, und dann diese Anspielungen zum Thema Ehe, auf das »Gefängnis«, in das man sich begab, das »völlig veraltete Modell«, in dem eine Frau ihr »Selbst« an den Nagel hängen durfte. Bea hatte damals dagegen argumentiert: mit dem »sicheren Hafen«, dem »Nest«, nach dem sich schließlich jeder Mensch sehnte, und dem großen Glück, eine Familie zu gründen, Kinder aufwachsen zu sehen. Letzteres schien für Karin aber eher ein Unglück zu sein. Rückblickend, und das war das Schlimme daran, hatte Karin ihr genau das Loch prognostiziert, in das sie nun gefallen war.

Zu viel Bacardi getrunken! Den Preis dafür zahlte Bea am nächsten Morgen: dieses üble Ziehen im Kopf, vom desolaten Kreislauf ganz zu schweigen. Normalerweise weckten Matthias’ morgendliche Gähn- und Streckaktionen sogar Tote. Heute dauerte es jedoch eine Weile, bis Bea wieder zu sich kam. Apropos »normalerweise«. Kein Wecker, der um sechs Uhr klingelte, kein Frühstückmachen für Caroline, keine morgendliche Talkrunde mit ihrer Tochter. Sie war ja jetzt weg.

»Schatz, hast du die Rechnungen an Feldmeier noch fertig gekriegt?«, fragte Matthias, während er sich frische Klamotten aus dem Kleiderschrank holte. »Ich komm heute da vorbei und würde sie ihm gern persönlich übergeben.«

»Guten Morgen, Schatz«, hätte ihr besser gefallen.

Bea stöhnte ein »Nein«.

Ein Seufzer kam von Matthias zurück.

»Bleib ruhig liegen. Ich mach das schon.« Es klang mehr nach einem Vorwurf als nach einer netten Geste.

Erst der Blick auf das Handy machte Bea vollends wach. Caroline hatte sich doch noch gemeldet – immerhin eine kurze Chat-Nachricht: »Gut angekommen. In der Wohnung noch viel zu tun.« Bea nahm sich vor, sie gleich nach dem Frühstück anzurufen. Nein! Sie würde gleich anrufen. Gegen neun dürfte sie ja schon wach sein.

Dass dem nicht so war, konnte man an Carolines verschlafener Stimme erkennen.

»Alles klar bei dir?«, wollte Bea wissen.

»Alles supi.« Caros Versicherung klang selbst in Zeitlupe und mit einem gequälten Stöhnen im Abgang glaubhaft.

»Sorry, wollte dich nicht wecken«, sagte Bea und überlegte schon, Caro vorzuschlagen, sich später noch einmal bei ihr zu melden. Nach ausgiebigen Gähnlauten war das Kind anscheinend aus der Gruft gestiegen.

»Kein Problem, Mama. Wir wollten eh nicht so lange schlafen. Frag nicht, was heute alles auf meiner Liste steht. Wir wollen zwei Zimmer streichen und haben ja nix hier, für den Haushalt und so. Kein Putzzeug, es fehlt Geschirr … einfach alles.«

»Soll ich dir was besorgen? Wir könnten doch gemeinsam zu Ikea fahren«, schlug Mama Bea sogleich vor.

»Das schaffen wir schon. Erst machen wir die Wohnung fertig und dann dürft ihr kommen«, erklärte Caroline.

Na toll, das konnte ja noch Wochen dauern. Anscheinend war sie unerwünscht. Früher war Caro immer darauf angesprungen, wenn Bea einen Einkaufsbummel bei Ikea vorgeschlagen hatte, schließlich zahlte Mama ja. Das musste der Einfluss des »Vampirs« sein.

»Wo ist denn der Lösliche?«, tönte es leise, aber am Telefon vernehmbar. Jonas.

»In der Tüte mit deinen Schuhen«, sagte Caro.

»Hä?«, war daraufhin zu vernehmen.

»Schuhtüte!«, bellte Caroline nun so lautstark, dass Bea den Hörer lieber ein bisschen weiter weghielt. Die redeten ja schon miteinander wie nach einer mindestens zehnjährigen Ehe. Caros Stimme hallte wie in einer Kirche – klar, denn ihre Wohnung war ja noch leer. Zwei Klappstühle und einen kleinen Bistrotisch hatte Caro von zu Hause immerhin mitgenommen. Und er? Vermutlich nur einen Sarg.

Bea wollte es genau wissen: »Habt ihr sonst noch nichts außer den zwei Stühlen und dem Tisch?«

»Ne Matratze und Bettzeug. Kommt alles noch.« Die Matratze musste Jonas beigesteuert haben. Warum wunderte das Bea nicht?

»Zucker?«

Diesen Jonas konnte man einfach nicht abstellen. Haushaltstauglich klang der Junge nicht gerade.

»Mama, ich muss. Ich melde mich später«, sagte Caroline und fügte noch hinzu: »Hab dich lieb.« Das machte das anschließende Klicken in der Leitung erträglicher.

Alles halb so schlimm, dem Kind geht es gut, versuchte Bea sich einzureden. Sie holte tief Luft und richtete sich im Bett auf.

»Willst du einen Kaffee?«, kam es von unten aus der Küche. Matthias war also schon wieder »ready to go«.

»Ich mach mir später einen«, rief sie, bevor sie sich aus dem Bett quälte und in Richtung Bad schleppte.

Matthias hatte das Licht im Flur angelassen. Einer der Strahler fiel auf ein Landschaftsgemälde, das eine alleinstehende Buche auf einer Blumenwiese abbildete. Bea überlegte, wann sie es gemalt hatte. Das war bestimmt schon zehn Jahre her, als Caro im Schullandheim gewesen war. Es war schön und erinnerte sie an das entspannende Glücks­gefühl, das mit der Malerei einherging. Ja, dafür war jetzt wieder Zeit. Die Rechnungen konnten warten. Lieber den Neuanfang bewusst zelebrieren, die neugewonnene Freiheit. Sie musste nur ihren Vorrat an Acrylfarben aufstocken. Ihr Bestand im Keller musste in den letzten Jahren sicherlich eingetrocknet sein. Und hatte sie sich nicht damals bereits vorgenommen, die Staffelei aus dem Keller zu holen, wenn Caroline mal aus dem Haus sein würde? Aus dem Haus. Das hallte immer noch so schmerzhaft nach. Nein! Keinen Frust aufkommen lassen. Frühstücken und dann ein Bild malen. Jetzt erst recht!

Der Einkauf im Laden für Malerzubehör zeigte belebende Wirkung, was sicherlich am Ambiente lag, das förmlich nach Kunst roch. An den Wänden über den Regalen hingen Exponate von Kunden, die käuflich zu erwerben waren, aber wer kaufte schon ’ne blaue Ölpampe auf Leinwand?

Eine Kundin gesellte sich zu ihr. Sie hatte blaue Tupfer an den Fingern – ein wunderschönes Blau, das ein wenig ins Indigo ging. Hatte sie dieses Werk am Ende verbrochen? Wie eine Vollblutkünstlerin sah sie jedenfalls aus. Bea stellte sich diesen Typus immer mit Jeans, zerzaustem Haar und extrovertiert gekleidet vor. In diesem Fall traf das Klischee tatsächlich zu. Ihre blumengemusterte Bluse kam rüber wie aneinandergetackertes Papageiengefieder. Dazu noch jede Menge Modeschmuck und gleich drei Ringe. Geschmackvoll, aber eine Bankangestellte würde so etwas wahrscheinlich nicht tragen.

»Ich liebe dieses Blau.« Bea wagte es, die Dame auf die Tupfer an ihrer Hand anzusprechen.

Die Frau stutzte für einen Moment und verstand erst, wor­auf Bea hinauswollte, als Bea auf die Farbflecken deutete.

»Auf der Haut ist es perfekt. Meinen Sie, ich würde das genau in dem Ton auf Papier oder Leinwand kriegen? Nicht ums Verrecken!«, knurrte die Kundin.

»Gibt’s diese Farbe denn hier nicht zu kaufen?«, fragte Bea, während ihr Blick über die Döschen mit verschiedenen Blautönen wanderte.

»Yves-Klein-Blau? Machen Sie Witze? Mit Sicherheit nicht. Monochrom, das purste Blau überhaupt«, führte Beas Gegenüber aus.

»Malen Sie Landschaften am Meer?« Nun war Bea neugierig geworden. Wozu sonst brauchte man so ein Blau?

»Sie meinen Malen nach Zahlen? Nein, über diese Phase bin ich lange hinaus«, gab die Malerin amüsiert zurück.

Bea nickte nachdenklich, weil sie über diese Phase nie hinausgekommen war.

»Wissen Sie, Landschaften sind gut für Anfänger, wobei die meisten ja erst einmal mit Kohle experimentieren. Por­träts und Skizzen von Gegenständen«, sagte die Dame. »Und Sie?«

»Stillleben.« Das klang zumindest besser als naive Blumenmalerei oder das Kopieren von Landschaften von Fotos in Acryl, um sie dann im Eigenheim zu exponieren, damit jeder sagte, dass das Bild so toll sei, weil es aussehe »wie fotografiert«.

»Realismus ist nichts für mich. Es geht mir um die Essenz, darum, was man mit dem Bild ausdrücken will. Das findet sich nur in der Reduktion«, erklärte die Malerin, während sie drei Döschen mit blauer Farbe musterte.

Bea musste sich in diesem Moment eingestehen, dass sie mit einem Bild noch nie etwas hatte ausdrücken wollen. Es war einfach nur schön gewesen zu malen, und je besser es das Original traf, desto gelungener war das Werk – anscheinend war das aber in den Augen eines Künstlers völlig wertlos.

»Wenn ich diese beiden Töne mische … ob das auch auf Holz gut aussieht?«, überlegte die Malerin laut.

»Holz?«, wunderte Bea sich.

»Ja. Ich koloriere damit Teile von geborstenen Holz­zylindern. Sie bluten blau.« Das klang in Beas Ohren ein bisschen gaga und nicht mehr so sehr nach Kunst. Die Verwunderung darüber stand ihr anscheinend ins Gesicht geschrieben.

»Es geht mir darum, den Betrachter zu provozieren, seine Sensorik zu erweitern, Dinge neu zu sehen, sie neu zu erfahren und sich in der Fremde dieses Eindrucks zu verlieren«, führte die Malerin aus.

Bea verstand zwar nur Bahnhof, nickte aber trotzdem, die Wissende mimend.

Nun musterte die Frau sie wie einst ihre Kunstlehrerin am Gymnasium, die so gut wie jedes Bild von ihr mit einer schnöden Drei bewertet hatte. »Mehr Nuancen! Mehr Nuancen!«, war Bea noch heute im Ohr.

»Tja, dann wünsche ich Ihnen viel Inspiration.« Damit verabschiedete sich die Blauhändige und ging mit ihren Farbtöpfen schnurstracks zur Kasse.

Bea starrte auf die vor ihr hängende Leinwand mit blauer Ölpampe. Auch mal was wagen? Was völlig Verrücktes? Ihre bisherigen Gemälde waren aber schön. Bisher hatte sie jeder bewundert – am Ende nur aus Höflichkeit gegenüber der Gastgeberin? Nur was um Himmels willen sollte sie malen?

Nun starrte Bea bereits eine geschlagene Viertelstunde reglos auf die Rose, die sie aus dem Garten geholt und in eine Vase auf ihrem Schreibtisch gesteckt hatte – ideenlos. Dummerweise brachte sie die Rose auch noch auf kontraproduktive Gedanken. Den Rosenstock hatten sie gleich nach Carolines Geburt gepflanzt. Was für eine schöne Zeit … Vorbei! Bea versuchte sich erst gar nicht wieder von diesem Strudel der Erinnerungen in die Tiefe ziehen zu lassen. Neu denken! Umdenken! Sensorik erweitern! Wofür stand die Rose? Liebe, Stacheln. Was man liebte, versetzte einem Stiche. Das stimmte. Gab man einer Blume zu wenig Wasser oder schenkte man ihr nicht genug Beachtung, ließ sie den Kopf hängen. Oft genug an Matthias’ Seite erlebt. Und irgendwann verwelkte sie. Was beschäftigte sie? Vielleicht erwuchs ja daraus der Wunsch, etwas mit der Malerei ausdrücken zu wollen. Caroline war aus dem Haus. Bea lehnte sich zurück und überlegte, wie sie die Essenz dieses deprimierenden Gedankens produktiv auf einer Leinwand zum Ausdruck bringen konnte. Sollte sie tatsächlich ausnahmsweise mal auf den feinen Bleistift verzichten, mit dem sie früher immer die Konturen vorgezeichnet hatte? Wo fing man am besten an? Rot! Beherzt öffnete Bea einen der roten Farbpötte und bekleckste damit die Leinwand, die auf diese Weise eine rote Clownsnase verpasst bekam. Der zweite Topf mit einem Karminrot war nun ebenfalls offen. Mischen. Ein zaghafter Pinselstrich sollte zu einem Rosenblatt werden, sah aber noch nicht so recht danach aus. Macht nichts. Noch mal mischen, ein bisschen Weiß dazu. Das Original genau betrachten. Wieder und wieder die gleiche Prozedur. Es blieb aber bei der Clownsnase, und die wurde dank verunglückter Ansätze ­immer größer. Die Leinwand schien sich bereits über sie lustig zu machen. Auf diese Weise erweiterte man jedenfalls keine Sensorik. Das Einzige, was die Aktion bei ihr bewirkte, war ein ordentlicher Schub Resignation. Das war doch sowieso nichts weiter als schnöde Beschäftigungstherapie. Wütend auf sich selbst, fuhr Bea über den in allen möglichen Rot­tönen schimmernden Fleck, ganz brutal, von links nach rechts. Das Bild war ja wohl gänzlich misslungen. Bea wollte es schon abnehmen und die Staffelei abbauen, doch auf den zweiten Blick hatte dieser schwungvolle Strich etwas. Und was wollte ihr das nun sagen? Was wollte sie damit zum Ausdruck bringen? Nichts! Vielleicht Frust, vielleicht aber auch, dass sie mit Rosen nichts mehr am Hut hatte. Am besten, sie widmete sich wieder den Rechnungen.

Bea konnte sich nicht erinnern, jemals so lang für den ganzen Papierkram gebraucht zu haben. Selbst einfachste Rechenoperationen wollten nicht gelingen, wenn das Gehirn von einer grauen Dunstglocke, die sich Depression nannte, umnebelt war. Da half nur noch eiserne Disziplin. Noch nicht einmal mehr die Malerei machte Spaß, und nun klingelte es auch noch an der Tür. Vermutlich wollte wie so oft irgendjemand dämliche Werbesendungen einwerfen. Doch da täuschte sie sich. Vor der Tür stand Sabine, wohl um das verpasste Gespräch zum Ausklang des Schuljahrs nachzuholen.

Sabine strahlte. Bea hatte nicht mehr die Kraft dazu, ihre bleischwer gewordenen Mundwinkel zu bewegen.

»Alles okay mit dir?«, fragte Sabine, was angesichts von Beas schlechter Laune wenig überraschte.

»Komm rein.«

Sabine folgte aufs Wort.

»Ich mach uns ’nen Kaffee. Magst du einen?«

Sabine nickte und folgte ihr kommentarlos in die Küche, wo Bea mechanisch wie eine Puppe die Kaffeemaschine befüllte und in Gang setzte.

»Du hast doch was, Bea«, diagnostizierte Sabine, die Personalchefin eines Elektrounternehmens, die sie sicher vor allem deshalb geworden war, weil sie ein gutes Gespür für Menschen hatte. »Zu viel Stress heute?«, hakte Sabine nach.

Bea verneinte mit einem müden Lächeln.

Sabine musterte sie daraufhin noch kritischer.

»Ist wegen Caro. Wir hatten gehofft, dass sie in München studiert, und jetzt ist sie mit einem Typen, den sie gerade mal ein paar Wochen kennt, zusammengezogen und wohnt in Passau.«

Was gab es da zu schmunzeln? Sabine tat es.

»Empty Nest. Kenn ich«, meinte sie nur.

Bea zuckte mit den Schultern. Sie hatte viel darüber in Frauenzeitschriften gelesen, aber davon konnte man angesichts von Caros erst kürzlich erfolgtem Auszug doch wirklich noch nicht sprechen. Außerdem war es völlig normal, dass man durchhing, wenn die einzige Tochter auszog.

»Du kannst dich selbst nicht ausstehen, fühlst dich mit einem Schlag unausgeglichen, redest dir ein, dass du nicht mehr gebraucht wirst, und fragst dich, was jetzt noch in deinem Leben für dich übrig bleibt.« Sabines Ausführungen gaben Bea zu denken.

»Du auch?«, wollte sich Bea vergewissern.

»War hart«, gab Sabine überraschenderweise zu. Das überraschte Bea allerdings, weil sie sich vor zwei Jahren, als ihr Sohn für ein Jahr im Zuge eines Schüleraustauschs nach Amerika gegangen war, nichts hatte anmerken lassen.

»Und wie bist du damit fertig geworden?«, fragte Bea nach.

»Selbsthilfegruppe.«

»Das ist nicht dein Ernst. So ’ne Gesprächsrunde wie bei den Anonymen Alkoholikern? Ich heiße Bea Völker und leide darunter, dass meine Tochter ausgezogen ist?«

Sabine lachte. »Quatsch. Zwei Kolleginnen hatten das gleiche Problem. Andere kamen dazu. Seither treffen wir uns zum Frauenstammtisch. Jeden Dienstag. Du glaubst gar nicht, wie gut es tut, wenn man sich mit Gleichgesinnten austauscht.«

Ein Frauenstammtisch, um Probleme zu wälzen? So weit kommt’s noch.

»Manchmal haben wir auch einfach nur Spaß«, sagte Sabine, als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte.

»Mir würde es schon reichen, wenn Matthias und ich wenigstens mal wieder für ein paar Tage etwas gemeinsam unternehmen würden. Eigentlich wollten wir ja nach Indien, aber Caro braucht das Geld für ihr Studium.«

»Dann macht doch ’ne kleine Städtereise. Ein Wochenende in Paris … der Stadt der Liebe.« Sabine seufzte. Warum sie seufzte, war klar, schließlich war sie dort erst vor kurzem mit ihrem Mann gewesen. Die Stadt schien ihrem Ruf ja gerecht geworden zu sein.

»Morgen um halb sieben im Ochsen«, sagte Sabine fast schon im Befehlston.

Bea zögerte. »Ach … Ich weiß nicht …«

»Komm schon. Ist doch nicht weit von hier.«

Auch noch in einem rustikalen Biergarten. Merkwürdige Selbsthilfegruppe.

»Deal?«

Bea reichte ihr dann doch die Hand. »Okay. Deal!«

Kapitel 2

Bea wusste, dass Matthias gleich nach dem Aufwachen noch aufnahmefähig und nicht in Gedanken schon bei der Arbeit war. Den Moment passte sie ab.

»Morgen, Schatz.« Sie schmiegte sich an ihn, was Matthias sichtlich irritierte. »Hab grad von Paris geträumt. Das wär’s doch … Du und ich … ein verlängertes Wochenende. Indien können wir ja vergessen.«

Matthias rekelte sich wach und schien sich das erst einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Angesichts seines wenig begeisterten Gesichtsausdrucks fiel die Antwort auch dementsprechend ernüchternd aus.

»Ich hab irgendwie keine Lust auf Paris«, murmelte er.

Bea brauchte zwei Atemzüge, um sich die Antwort gut zu überlegen. Ihn zu bedrängen, hatte erfahrungsgemäß keinen Sinn. Das Wochenende würde nur im Frust enden.

»Ich eigentlich auch nicht.« So beschwor man eine Gemeinsamkeit herauf.

»Wellness-Hotel?«

Es arbeitete also doch in ihm.

Matthias musterte sie und bemerkte wohl, dass sein Vorschlag Bea nicht vom Hocker riss.

»Wohin?«, fragte er etwas ratlos.

»San Sebastián?«, platzte es aus Bea heraus. Das überraschte sie selbst.

Ihn offenbar auch.

»War doch immer schön dort«, sagte Bea.

»Wieder ins Baskenland?«

Bea ließ eine Hand über seinen Bauch gleiten, eine vertraute Geste, bei der er sich sichtlich entspannte.

»Das schöne Gästehaus … die besten Pintxos der Welt … die langen Strandspaziergänge, die Ausflüge … ein bisschen wandern … die herrliche Bucht. Abends mit dir an der Concha entlangschlendern …« Bea rekelte sich genüsslich. Ja, genau das war es, worauf sie Lust hätte.

»Die letzten Male war’s aber eher langweilig«, wandte er ein.

»Das war vor fünfzehn Jahren. Und Caro war dabei. Da war dir jeder Urlaub zu langweilig«, erinnerte sie ihn.

Er schien es sich tatsächlich zu überlegen.

»Ja … war schon auch schön dort … Wie es wohl Maria geht?«, wollte er nun glatt wissen.

Erschreckend, dass Bea es selbst nicht wusste. Die letzte Weihnachtskarte hatte sie ihr vor zwei Jahren geschrieben – im Pulk mit den anderen »Pflichtkarten«.

»Oder willst du deine Schwester besuchen? Die ist doch noch da unten?«, wollte er wissen.

Vielleicht doch besser ein Wellness-Hotel buchen? Bea beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sich Karin sowieso irgendwo zwischen Bilbao und Santander aufhielt. Zumindest hatte ihr Maria das bei ihrem letzten Telefonat vor gut drei Jahren erzählt.

»Verstehe ich sowieso nicht … warum du und Karin …«

»Musst du auch nicht«, schnitt sie ihm gleich das Wort ab.

»Ich kann ja mal schauen, ob wir einen günstigen Flug kriegen«, meinte er.

»Und mit dem Wagen, wie früher? Wir könnten in Li­moges stoppen. Ich würd gern das Porzellanmuseum sehen«, überlegte Bea laut.

Dann hupte es aus seiner Richtung, von seinem Handy, um genau zu sein. Die Hupe war Stettners Signal, Inhaber ei­ner Hotelkette, für die Matthias die gesamte Social-­Media-­PR-Kampagne machte. Stettner drangsalierte ihn ständig, so dass er ihm diesen nervigen Klingelton verpasst hatte. Schon war Matthias wieder im Alltagsmodus. Dass er ihr diesmal einen Kuss gegeben hatte, bevor er aus dem Bett hechtete, auch wenn er flüchtig gewesen war und um ein Haar sein Ziel verfehlt hatte, rechnete sie ihm hoch an. War heute etwa schon Weihachten?

Bea versuchte nun schon zum dritten Mal, Maria telefonisch zu erreichen. Die Leitung schien tot zu sein. Über Google ließ sich aber keine aktuellere Telefonnummer finden. Maria war nie mit der Zeit gegangen. Computer und eine eigene Webseite? Fehlanzeige. Daher verwunderte es Bea auch nicht, dass das Gästehaus auf den wenigen Fotos von Besuchern, die im Internet auffindbar waren, noch so aussah wie früher. Es war ein uriges Steinhaus etwas abseits des Touristenrummels, dafür aber mit traumhafter Aussicht auf das Meer, zu dem eine Steintreppe führte. Unvergesslich waren ihr die Momente, wenn die Morgensonne den Monte Igueldo streifte, einen der beiden Hügel, der die Bucht von San Sebastián umgab.

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