Beat: Band 1 - Shortstory Woman - E-Book

Beat: Band 1 E-Book

Shortstory Woman

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Beschreibung

Folge dem Beat. Nichts sehnlicher als die begehrte Technologie des so genannten Beats zu besitzen, wünscht sich Destry. Aber in der untersten Schicht der Gesellschaft, ständig in Armut lebend und um ihr Überleben kämpfend, scheint sie keine Chance auf die begehrte neue Technolgie zu bekommen. Umso rätselhafter ist es für sie, dass der hochmoderne Chip mit all seinen Vorteilen ihr unerwartet in die Hände fällt. Integriert in ihren Körper zeigt der Beat, eingesetzt in ihrer Iris ihr eine Welt die ihr bisher verschlossen blieb. Aber wer und warum ihr den Beat zuspielt, kann sie nicht sagen. Destry öffnet sich die Tür zur Elite der modernen Stadt und wird zum Kurier für illegale Lieferungen der Unterwelt. Doch das neue, aufregende Leben, dass ihr geschenkt wird birgt ungeahnte Gefahren... Zum Buch: Der erste Band der Reihe verknüpft Science Fiction und Hightech-Thriller zu einem mitreißenden Abenteuer. Ein mysteriöse, temporeiche Geschichte in einer neuen, modernen Cyber-Welt voll von Gefahren denen sich die Heldin der Serie stellt.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Shortstory Woman

Beat: Band 1

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Beat

Band 1

Shortstory Woman

Season 1

Grüne Augen

Schmutz

Basher

Du scheinst mich zu kennen

Hausgäste

Identität

Destry oder nicht?

Grenzenloses Vergnügen

Nur ein Traum

Meeting

Das Angebot

Zwei Welten

Wer du bist

Hier ist deine Welt

Auryn

Guter Kaffee, warme Brötchen

Du gehörst mir

Link

Heldin

Puzzlestücke

Rote Türen

Tempo

Flucht

1

Grüne Augen

Sorgfältig lagen die Bündel Geld auf dem Boden. Verzweifelt strich sie ihr Haar zurück, fuhr mit zittrigen Fingern über ihre Lippen. Das noch dunkle Haar hing in Strähnen in ihr Gesicht. Jetzt hasste sie es noch mehr. Trocken und stumpf hing es von ihrem Kopf, baumelte vor ihren Augen, während sie versuchte, ihre letzten paar Schritte in ihrem Kopf wieder und wieder zu wiederholen. Bei dem kleinen Überfall des Ladens war ihre Flucht nicht ganz nach Plan gelaufen, wie hätte sie auch damit rechnen sollen, dass die alte zierliche Frau, die sie wochenlang ausgekundschaftet hatte und für ein leichtes Opfer gehalten hatte, plötzlich eine Waffe unter dem Tresen hervorholen würde?

Dennoch war es ihr gelungen, das Geld an sich zu reißen und zu fliehen. In einem Beutel unter ihrer Kleidung war sie damit geflohen, hatte ihr Versteck aufgesucht und es unter den Bodendielen versteckt wie sonst auch, wenn es ihr gelang an Geld zu kommen. Bisher hatte sie nicht die Zeit gehabt, es zu zählen, aber in ihrer Erinnerung war der Beutel mit Geld dicker und schwerer gewesen, als sie ihn versteckt hatte. Die Bündel Scheine vor ihr auf dem Boden aber passten nicht zu ihrer Erinnerung. Die zerbrochenen Spiegelscherben, die sie notbedürftig zusammengeklebt hatte, zeigten ihr verzerrtes Gesicht. Sie hasste den ratlosen Ausdruck, die Verzweiflung, die langsam durchbrach. Am liebsten hätte sie ihre Faust in den Spiegel gerammt. Doch nochmal würden die Scherben nicht groß genug bleiben, um sie wieder in den Rahmen zu kleben. Und sie wollte nicht noch eine Narbe auf ihren Händen riskieren. Destry atmete tief durch. Es war nichts daran zu ändern. Das Geld war weg und sie würde noch einmal auf Beutezug gehen müssen, wenn sie den Rest zusammenkratzen wollte. Vielleicht gelang es ihr, einen mies bezahlten Job zu erlangen. Doch bei ihrer Vorgeschichte war es wohl kaum möglich, eine Stelle zu bekommen. An allem war ihre Familie schuld. Wie hatten sie ihr das antun können? Sie selbst war die einzige in ihrer Familie, die überzeugt war, etwas ändern zu können. Und der erste Schritt wäre gewesen, sich die neue Technologie zu Nutze zu machen. Was war an dem kleinen chirurgischen Eingriff schon dabei? Wenn er so vielversprechend für die Menschen war und ihnen Arbeit und Möglichkeiten bot? Destry brannte darauf, die Technologie zu bekommen und so vielleicht endlich aus ihrem Elend aussteigen zu können. In den Scherben sah sie ihr verzerrtes Gesicht. Sie würde jetzt nicht vor Wut und Hass weinen. Dennoch fühlte sie, wie Tränen sich in ihren Augenwinkeln bildeten. Trotzig blinzelte sie sie zurück. Die Miete für ihre ohnehin kaum nutzbare Wohnung war fällig und auch diesmal würd sie nur gerade so noch in der Lage sein, sie zu zahlen.

Seufzend sah sie auf den kaputten Spiegel. Notfalls hätte sie ihn verkaufen können. Ein bisschen Geld hätte sie herauspressen können, wenn sie darauf beharrt hätte, dass er antik war. Irgendjemand wäre darauf hereingefallen.

Und sie hätte vielleicht Geld für die Miete und am Ende sogar noch einen kleinen Rest zusammenbekommen, um für ihren Eingriff zu sparen.

Seufzend räumte sie die Scherben auf. Wenn sie sich an einer davon in den Finger schnitt, geschah ihr das nur Recht. Vielleicht sollte sie die größte der Scherben nehmen und sie gleich in ihre Pulsadern rammen. Dann wären ihre Probleme für immer gelöst.

Seufzend drehte sie die Scherbe in ihren Fingern. Das Trommeln an ihrer Tür ließ sie nicht einmal mehr zusammenzucken. Ihr Mieter.

Bestimmt wusste er genau, dass sie da war, versuchte ihr Angst zu machen mit den drohenden Worten, die durch die dumpf durch die Tür zu hören waren. Wenn er wollte, könnte er die Tür eintreten, sie an den Haaren aus der Wohnung schleifen und sie auf die Straße setzen. Oder aber er würde sie zwingen auf ganz andere Art ihre Miete zu begleichen. Seufzend nahm sie eine weitere Scherbe des Spiegels in die Hand. Strich mit der Spitze über die Haut an ihrem Handgelenk.

Sie wäre scharf genug, um mühelos durch die Haut zu dringen. Alles was sie tun musste, war ihre Selbstbeherrschung zu verlieren, die sie fast zwanghaft unter Kontrolle hielt. War es das wert? Vielleicht ließ sie sich nur von ihren Gefühlen und Ängsten überwältigen, genau so wie die Ärztin es ihr erklärt hatte. Aber die Ärztin stand auf der Gehaltsliste der Regierung. Sie sagte ihr, dass, was sie sagen musste und verschwieg vielleicht, was in Wahrheit geschah. Seufzend drehte sie die Scherbe in ihren Fingern. Aufzugeben war eigentlich nicht ihre Art, besonders nicht jetzt, wo sie vielleicht eine Chance hatte. Sie betrachtete das Geld vor ihr. Für jemanden wie sie war es eine Menge. Nicht auszudenken, sich die Scherbe jetzt in die Haut zu rammen, wo sie so lange für diesen einen Betrag gekämpft und gearbeitet hatte. Nur weil sie erschöpft war, ihr Kopf und vor allem ihr Körper ihr sagten, dass sie eine Pause brauchte. So kurz vor ihrem Ziel wollte sie nicht aufgeben. Die Scherbe drehte sie zwischen ihren Fingern. Unachtsam strich ihre Fingerkuppe dabei über die scharfe Kante. Der Schmerz durchzuckte. Reflexartig ließ sie die Scherbe fallen, als sie ihr in den Finger schnitt. Ein winziger Schnitt, aber Blut tropfe von ihrem Finger und der Schmerz durchzuckte ihren ganzen Arm.

Es hatte sie aus ihrem tiefen, dunklen Loch voller schlechter Gedanken gerissen. Kopfschüttelnd ging sie zu dem mit dreckigem Geschirr vollgestopften Waschbecken, drehte den Hahn auf und wartete seufzend, dass das Gurgeln und Blubbern aufhörte. Dreckiges Wasser spritzte aus dem Hahn, machte den Abwasch nutzlos. Es war ihr egal. Sie wartete, bis das Wasser klar wurde, starrte dabei auf den winzigen Schnitt an ihrem Finger und hielt ihn am Ende unter den klaren Strahl aus dem Wasserhahn. Sie grinste kopfschüttelnd. Gerade noch hatte sie daran gedacht die Scherbe zu benutzen, jetzt sorgte sie sich bereits darum, wieviel Wasser sie verschwendet haben mochte. Es konnte gut sein, dass morgen der Wasserhahn gar nichts mehr für sie bereit hielt. Besser war es, ihre Finger nicht länger unter den Strahl zu halten und den Rest vielleicht lieber aufzufangen und abzukochen.

Sie stellte das Wasser ab und seufzte. Der Blick fiel zu den Geldscheinen.

Heute Nacht noch würde sie erneut ausziehen und versuchen an noch ein paar mehr Scheine zu gelangen.

Auf ihrem Bett, wenn man es so nennen konnte, ein paar alte Decken in der Ecke ihres Raumes zusammengepfercht lag ein kurzer Rock und eine Bluse aus gefälschter Seide. Ein paar Knöpfe fehlten, doch das würde nicht auffallen, da sie sie ohnehin nur mit einem Knoten im Stoff vor ihrer Brust schließen würde.

Seufzend schluckte sie die Pille aus ihrer Tasche, zählte die Kondome darin und ballte die Hände zu Fäusten. Ekel jagte einen Schauer übern ihren Rücken.

Wenn sie jetzt ihren Selbstzweifeln und Ängsten nachgab, würde sie vielleicht tatsächlich die Nacht damit verbringen zu versuchen die Scherbe in ihre Haut zu rammen.

Kopfschüttelnd zog sie ihren Rock straff, schlüpfte in ihre Schuhe und hängte die kleine Tasche über ihre Schultern. Die Haare strich sie zurück und band sie zu einem Knoten ihrem Nacken, dann tupfte sie Makeup, die Reste, die sie noch in ihrer Tasche hatte in ihr Gesicht und achtete darauf, dass ihre Lippen betont wurden. Um von ihren müden Augen abzulenken. Grüne Augen, die ihr schon oft geholfen hatten vom Rest ihres nicht so vorteilhaften, dürren Körpers abzulenken. Ein kleiner Ringe, an dem aber ein wuchtiger, unechter Stein saß, war ihre Versicherung aus Schwierigkeiten heraus zu kommen. Sie versuchte nicht daran zu denken, wenn sie es tat, würde sie nur Angst bekommen. Ängste, die sie jetzt nicht gebrauchen konnte. Es war nicht die erste Nacht, durch die sie streifen würde, warum also drängte sie die Zweifel und das Selbstmitleid nicht wieder zurück in ein tiefes Loch in ihr, wo sie sie nicht sehen und hören konnte. So wie sonst auch. Seufzend strich sie ihr Haar zurück, versuchte nicht zu lange auf die schäbige Wohnung zu blicken und wandte sich zur Tür. Kurz hielt sie inne, kramte das Geld aus der Kaffeedose und versteckte es in einer Tablettendose, die sie im Abfluss ihrer Küchenspüle versteckte. Mit Klebeband befestigte sie es am inneren Rand des Abflussrohres. Sicher war sicher. Schon einmal war in ihre Wohnung eingebrochen worden, sie hatte schnell daraus gelernt. Wenn man jetzt die Tür aufbrechen würde, war kaum etwas zu finden. Höchstens ein paar Schmerztabletten in ihrem Spiegelschrank und selbst diese würden weder einem Dieb noch einem Junkie etwas bringen. Aber Destry wusste, dass sie sich besser auf alles vorbereitete. Sie unterdrückte ein Seufzen, verschloss die Tür hinter sich, zog den unbequemen Rock nach unten und bereute die Wahl ihrer Schuhe, die ihr kaum vernünftiges Gehen ermöglichten.

Aber ihre Beine und ihre Schritte wurden dabei betont und lenkten von den abgemagerten knöchrigen Rest ihres Körpers ab. Und von ihren mageren Brüsten, den knochigen Schultern und dürren Gliedern.

Seufzend versuchte sie nicht zu sehr über ihr Aussehen nachzudenken.

Je selbstbewusster sie sich gab, desto eher würde sie Glück haben, an Geld zu kommen. Anstatt sich kleinlich und ängstlich zu verhalten, ihr Unglück und ihre Sorgen mitzuschleppen, sollte sie lieber versuchen, zielsicher und selbstbewusst aufzutreten. Sie dachte an das Geld, dass bereits in ihrer Wohnung versteckt war. Auch wenn sie heute Nacht keinen Erfolg haben würde, war sie nicht komplett mittellos. Vielleicht würde es notfalls bis Ende des Monats reichen. Die Idee, die sich in den Kopf gesetzt hatte, sich aus ihrem Elend zu befreien, wenn sie es schaffen würde, auf den Trend aufzuspringen klang zwar immer wahnsinniger in ihren Augen. Fast lächerlich und doch sagte ihr Instinkt, dass sich alles für sie ändern würde, wenn es ihr nur gelingen würde das nötige Geld für die Operation und den kleinen Mikrochip aufzubringen. Noch aber war sie weit davon entfernt. Und zu schnell an ihren Erfolg zu glauben war in ihrer Situation unpassend. Geradezu naiv. Seufzend sah sie an sich herunter. Zu viel Geld hatte sie für das mittelmäßige Kleid ausgegeben, dass in den dreckigen Straßen wahrscheinlich nur dreckig werden würde oder aber es würde ihr brutal zerstört werden. Viel Geld für nichts. Vielleicht hätte sie besser darüber nachdenken sollen, bevor sie es sich gekauft hatte. Ihre alte Jeans und ein bauchfreies Top hätten vielleicht sogar mehr gebracht. Sie fluchte. Es zurück zu geben oder zu bereuen, dass es jetzt ihres war, war unsinnig. Besser sie versuchte das Beste daraus zu machen. Destry fuhr sich durch die Haare, zerstörte dabei ihre Frisur und raffte dann das Geld des Bodens.

Sie versteckte es sorgfältig. Ein Teil unter den Dielen ihres Bodens, einen winzigen Teil stecke sie in ihrem Ausschnitt, nur um sicher zu gehen.

Die Schuhe passten nicht zu dem Kleid aber das auffällige Klicken würde Aufmerksamkeit auf sie ziehen.

Seufzend verließ sie ihre Wohnung, wagte dabei nicht einen Blick auf die wenigen, kaputten Möbel oder die Matratze auf dem Boden zu werfen.

Der Gestank der Stadt hatte es heute bis in den Korridor des Wohnblocks geschafft. Abfall, Fäkalien und Abwasser. Die Mischung ließ ihr normalerweise nicht übel werden. Fast war sie den Geruch gewohnt, diesmal aber reizte er ihre Nase und ließ ihren Magen rebellieren. Vielleicht war es auch nur die aufsteigende Angst und Hysterie in ihr. Normalerweise tat sie nicht, was sie heute vorhatte. Aber die Umstände hatten sich verändert. Ihr Leben zerfiel fiel zu schnell und das Geld floss ihr durch ihre Finger. Was blieb ihr in ihrem Stand in dieser Stadt noch übrig?

Jeden Tag versuchte sie aufs Neue ihr Überleben zu sichern. Suchte im Müll nach Abfällen, oder kleinen Dingen, die sie verkaufen konnte. Jagte Gelegenheitsjobs hinterher oder wenn es nicht mehr möglich war sich über Wasser zu halten, tat sie das, was sie heute tun würde. Immer war sie davor nervös und hatte Angst.

Das Gefühl, einfach aus ihrem Kopf aussteigen zu können oder neben sich zu stehen so wie andere es ihr beschrieben hatten, wollte sich bei ihr einfach nicht einstellen.

Viel zu sehr war sie in der Realität gefangen und sah, was wirklich in der Stadt geschah, nicht das, was ihr vor Augen gehalten wurde. Sie suchte sich eine passende Straße, belebt aber nicht zu sehr unter der Kontrolle der Polizei. Vielleicht hatte sie Glück. Seufzend stellte sie sich an die Ecke eines Clubs, bei dem es nicht auffallen würde, was sie vorhatte. Lange stand sie so da, flirtete, spielte ihre Reize aus und fluchte innerlich wann immer es ihr nicht gelang die Aufmerksamkeit einer der Clubbesucher lange genug auf sich zu lenken, als dass er sich wenigstens mit ihr unterhalten würde. Am liebsten würde sie aufgeben. Kalter Wind begann zu wehen und ließ sie daran denken, aufzugeben.

Als ein Mann auf sie zutrat, sie selbstsicher gab und breit grinste, ihr seine Hände entgegenstreckte und einen dummen Kommentar nach dem anderen abgab, biss sie sich auf die Zunge, sog tief die Luft ein und versuchte dabei seinen Gestank zu ignorieren, während sie innerlich aus ihrem Körper und ihrem Geist floh, ihre Rolle spielte und so tat als würden sein abfälliger Humor und das unhöfliche Verhalten genau ihren Humor treffen. Als ob seine grob grapschenden Hände sie tatsächlich zum Lachen brachten. Sie wehrte ihn spielerisch ab und wies ihn darauf hin, dass nichts umsonst wäre. Er sah nicht danach aus, als hätte er Geld bei sich.

Notfalls würde sie ihm seine Uhr klauen, vielleicht sogar seine Schuhe, wenn er bewusstlos am Boden lag. Niemals waren die Schuhe noch das große, glänzende Ding an seinem Handgelenk echt, nicht in diesem Viertel aber selbst eine Fälschung würde sich verkaufen lassen, wer weiß in dem Teil der Stadt, in dem sie lebte würde sich jemand finden lassen, der nicht daran zweifeln würde, wenn sie behauptete, sie wäre echt.

Er trat auf sie zu. Ihn nur zu sehen, zu riechen und sein arrogantes, selbstgefälliges Lächeln zu sehen, dass ihr signalisieren sollte, dass er es war, der das Sagen hatte in allen Bereichen und besonders wenn es jetzt hier um sie ging, ließ sie innerlich vor Wut kochen. Am liebsten hätte sie den kleinen, handlichen Metallstift aus ihrer Tasche gezogen, um ihn direkt in sein Gesicht zu rammen.

Sie stellte die Bedingungen und sie würde den Preis festlegen. Und wenn es ihm nicht passte, würde sie nicht zusagen, das Weite suchen und ihm notfalls zwischen die Beine treten. Destry seufzte. In ihrem Kopf hörte sich der Plan selbstsicher und klar definiert an. Aber ob sie ihn, wenn es so weit war auch ausführen konnte, war etwas anderes. Seufzend sah sie an sich herunter. Normalerweise kleidete sie sich nicht so. Es war nicht ihr Stil und nur dafür gedacht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Aufmerksamkeit bestimmter Männer. Normalerweise gelang es ihr, ihren Verstand einfach wegzuschalten, wenn sie hinaus auf die Straße trat, diesmal aber war sie abgelenkt. Weil ihre Situation ab und zu drohte, sie zu überwältigen und gerade heute war ein solcher Tag. Als sie die Tür zu ihrer Wohnung schloss, drang bereits der faulige Geruch aus den Gassen in ihre Nase. Schnell würde er an ihrer Kleidung haften.

Sie kämpfte gegen den Drang an, sich umzudrehen und einfach zurück in ihre Wohnung zu gehen. Sich zu verkriechen und darauf zu hoffen, dass morgen ein besserer Tag sein würde. Wenn sie die Augen morgen öffnete, würde sie wie durch ein Wunder nicht im ärmsten Viertel der Stadt leben und stattdessen frische Brötchen riechen. Die richtigen, gebackenen nicht das synthetische Zeug aus Automaten, die sie ab und zu wagte zu knacken, wenn es ihr gelang sich in ein anderes Stadtviertel zu stehlen. Sie dachte an das Geld, dass versteckt in ihrem Zimmer war. Ob das Versteck gut genug war, das Schloss, wofür sie extra letzten Monat ihr letztes Erspartes ausgegeben hatte, sicher halten würde an ihrer Tür und sie, wenn sie wieder nach Hause kam, keine bösen Überraschungen erlebte, würde sie erst herausfinden, wenn sie entweder Glück gehabt hatte oder aber verzweifelt aufgab und müde zurück in ihre Wohnung kehrte.

Sie seufzte. Wenn sie sich jetzt in die Gassen begab, in denen sie am ehesten damit rechnete, auf geeignete Männer zu treffen, war es besser, wenn sie konzentriert und aufmerksam blieb. Sie sollte nach vorne sehen, anstatt mit ihren Gedanken in ihrer ohnehin kaum brauchbaren Wohnung zu hängen. Wahrscheinlich war es nur ihre Furcht, die sie daran zurück denken ließ. Sie schüttelte den Kopf. Bald würde sich ohne hin alles ändern. Nur noch ein wenig mehr Geld. Und heute Nacht würde sie es bekommen. In der gesprungen Scheibe eines verlassenen Ladens sah sie ihr Gesicht. Mit ihrem knochigen Aussehen und ihrem verzweifelten Blick würde sie wohl kaum das Interesse eines Mannes wecken. Andererseits mochte ihr schüchterner, verzweifelter Blick gewisse Männer anziehen. Sie würde sehen, wie weit sie heute Nacht kommen würde.

Am hervorstechendsten waren und blieben ihre grünen Augen. Ihr tiefer Blick, wenn er auch müde war und die Ringe unter ihren Augen wenig attraktiv wirkten, war der Blick selbst stark und selbstbewusst. Ob ehrlich selbstsicher oder überspielt, um sich und andere zu überzeugen, konnte sie selbst längst nicht mehr sagen. Fluchend strich sie ihr Haar zurück, trat aus der Gasse und sah sich auf dem großen Platz um. Eine Bar war nicht weit, ein Club und andere Plätze, die ihr gelegen kommen würden. Sie biss sich auf die Lippen, zerrte an ihren Kleidern, um ihren Ausschnitt vorteilhafter zu setzen und zog an ihrem Rock. Sofort stieg der Ekel in ihr hoch. Immer nur an das Geld zu denken, lenkte sie inzwischen nicht mehr ab. Zuerst hatte es geholfen, jetzt aber war es nur mehr zermürbend und raubte ihr zusätzlich ihre Kräfte. Es ließ ihr keine Ruhe, jeden Cent, jeden Schein in ihren Fingern dreimal zu drehen bevor sie sich entschied ihn für Essen auszugeben. Mit dem wenigen was sie sich nachts erarbeitete kam sie kaum durch eine Woche. Sogar hier, wo das Viertel der Stadt zu den ärmsten gehörte. Kaum Geschäfte aufwies und wenn die Geschäfte gezwungen waren den Preis zu sehr zu drücken, dass die einfachen Bürger wie sie zumindest in der Lage waren, ein wenig Geld für Essen auszugeben. Aber dann blieb den Shop Besitzern schnell nichts mehr übrig, um die Mieten zu bezahlen oder halbwegs vernünftige Waren einzukaufen. Oft war sie gezwungen, hinter Restaurants und Läden nach Müll und Abfällen zu suchen.

Manche Läden versuchten den Menschen zu helfen und stellten ihre mit Essensresten vollen Tonnen nachts auf die Straße, ließen die Deckel unverschlossen und hatten nichts dagegen, wenn jemand wie Destry sich daran vergriff.

Solange sie nicht im Laden bettelte oder nur nachts den Müll durchwühlte, war es für die Besitzer okay. Nicht aber für alle. Manche lauerten in ihren Läden auf Streuner und Diebe. Einerseits um sie zu vertreiben andererseits, um ihre Läden vor Einbrüchen zu schützen. Auch Destry hatte schon nachts Läden die Scheiben eingeschlagen, um ein paar Waren aus den Schaufenstern zu stehlen. Bisher war sie nie erwischt worden. Doch seit den Neuerungen gab es auch in ihren Vierteln manchmal neue Wege sich vor Einbrechern und Menschen wie Destry zu schützen. Bei einem der Läden hatte sie einen elektrischen Schlag nachts an der Tür bekommen, als sie versuchte sie aufzustemmen. Der Laden selbst war bisher immer heruntergekommen und kaum einen Besuch wert gewesen. Schon zweimal hatte sie ihn unentdeckt überfallen und das Geld, dass der Besitzer unter einer Diele im Boden versteckte, geraubt. Bei ihrem letzten Versuch aber hatte sie sich plötzlich die Finger an einem unsichtbaren, elektrischen Feld vor dem Fenster geholt. Noch zwei Wochen danach waren die Brandblasen an ihren Fingern zu sehen gewesen und hatten ihr so einige Kunden vergrault. Nochmal würde sie nicht in so eine Falle tappen. Sie war selbst schuld an ihrem Elend. Viel zu spät hatte sie versucht gegen das Abstürzen ihres eigenen Lebens zu kämpfen und dann war es zu spät gewesen. Wie naiv von ihr zu glauben, man würde ihr eine Chance in dieser Stadt geben. Das ihre Mittelmäßigkeit, die sie einst besessen hatte, ausreichen würde, um mit den Ereignissen und Veränderungen Schritt zu halten. Das ihre Sparsamkeit, die sie bis an die Schmerzgrenze trieb, sie davor bewahren würde immer weiter abzustürzen. Oder aber der Staat ihr eine Hilfe wäre, sobald ihre Mittel nicht mehr reichten. Sie flehte um Hilfe, setzte sich mit Beratern und der Bank in Verbindung nur um zu erfahren, dass man ihr noch das letzte nahm um die sogenannte Hilfe, die sie suchte noch bezahlen zu können. Sie durfte nicht verzweifeln. Als erstes musste sie versuchen, an das Geld für die Miete zu kommen, war das geschafft, würde sie sich um ihr nächstes Problem kümmern. Sie wusste, wo sie am ehesten an mehr Geld kommen würde. Nicht hier, in der Gasse in der sie sich sonst aufhielt.

Ein gutes Stück weg von ihrem Zuhause, der Fußmarsch war lange, aber wenn sie Glück hatte, lohnte es sich. Sie sah auf eine leuchtende Reklametafel, die Gewinne versprach, durch das Kaufen eines Loses. Aber die verlogene Werbung interessierte sie nicht. Menschen wie sie gewannen nicht. Nicht im Lotto und auch sonst nirgendwo. Nur die flackernde Zeitangabe war für sie wichtig. Sie seufzte. Noch viel zu früh in der Nacht, um aufzugeben. Nach Hause zu gehen und zu hoffen, am Morgen würde ihre Tür nicht aufgebrochen worden sein.

Sie blickte in die dunkle stinkende Gasse vor ihr, wo sie bestimmt zu ein wenig Geld kommen würde. Vielleicht genug um zwei weitere Wochen zu schaffen.

Gelächter drang an ihre Ohren als sie bewusst ihre Schuhe so aufsetzte, um ein klackendes Geräusch bei jedem Schritt von sich zu geben. Erzwungen vergnügt pfiff sie, um die Aufmerksamkeit der Stimmen vor sich auf sie zu ziehen. Sie tat all, dass was nicht geraten wurde, wenn eine Frau alleine in eine solche Gasse trat.

Tief sog sie die Luft ein, versuchte den Gestank zu ignorieren und hörte bald die Stimmen zweier Männer vor ihr. Vielleicht war es nicht klug, sich alleine ihnen vorzustellen und auch noch darauf zu hoffen, sie würden auf ihr Angebot eingehen. Sie waren zu zweit, bestimmt kräftiger als sie und konnten sie mühelos überwältigen. Die Angst beherrschte sie, bevor sie überhaupt in der Lage war zu entscheiden, wie sie vorgehen wollte. Unsicher wirkten ihre Schritte und die unvorteilhaften Schuhe würden sie kaum schnell rennen lassen. Destry biss sich auf die Zunge, damit ihr Gesicht angespannt, aber nicht ängstlich wirkte.

Wenn es ihr gelang, einen der Männer von den anderen zu trennen, hatte sie gute Chancen an sein Geld zu kommen. Unter ihrem Kleid an ihrem Oberschenkel im Strumpfband steckte der kleine angespitzte Kugelschreiber, den sie notfalls einsetzen würde um sich zu befreien, falls einer der Männer sich zu viel an Freiheiten ihr gegenüber herausnahm. Sie setzte am Ende doch ein Lächeln auf, als sie auf die Männer zutrat. Ihr Selbstvertrauen stieg an, als er ihr auswich, anstatt sich ihr unhöflich und selbstgefällig in den Weg zu stellen. Sie leckte sich verspielt über die Lippen und achtete darauf, dass er es sehen konnte. Flüchtig sah sie ihn an, fast schüchtern und verspielt wollte sie auf ihn wirken. Und es funktionierte. Die anzüglichen Pfiffe und das Gelächter, das ihr folgte stieg an, ein gutes Zeichen, dass zumindest einer der Männer sich aus der Gruppe löste und ihr folgte. Sie warf einen flüchtigen Blick über ihre Schulter. Nur um sicher zu gehen, dass nicht alle drei der Männer ihr folgten. Mit einem konnte sie es notfalls aufnehmen, zumindest so weit, dass sie ihm ein wenig Geld entreißen und fliehen konnte, wenn er zu grob werden würde. Wenn sie sich allerdings zusammenrotteten, war sie geliefert.

Tatsächlich aber sonderte er sich von seinen Begleitern ab. Sie atmete tief durch, verwendete einen Mundspray, ohne dass er es bemerkte und lehnte sich im Halbdunkel hinter der nächsten Mauer an die Wand, den Rücken durchgebogen ein Bein angewinkelt, gerade so, dass er es sehen konnte.

Sie zweifelte daran, dass er Geld bei sich hatte, bestimmt nicht genug, als dass sie zufrieden nach Hause gehen könnte. Notfalls würde sie versuchen ihn zu bestehlen.

Er grinste selbstbewusst. Ließ seine Zunge über seine Lippen schnellen und steckte dabei lässig seine Hände in die Taschen. Breitbeinig stellte er sich vor ihr auf, seine Finger deuteten dabei eindeutig in seine Mitte. Sie konnte sehen, dass sich der Stoff darüber spannte. Jetzt musste sie nur noch herausfinden wie viel aus der Mischung aus Überlegenheit und Anzüglichkeit in ihm vorherrschte. Wollte er sie beherrschen oder würde sie damit durchkommen, dass er nur stumm triebgesteuert handelte. Eines war schneller und einfacher zu handhaben wie das andere. Sie lächelte ihn an, verbarg damit ihren Ekel vor ihm und lotste ihn in eine Seitengasse. Sein Geruch lies ihr übe werden. Der leicht säuerliche Geschmack in ihrem Mund wurde so schnell unerträglich, dass sie ihn an der Hand fasste, ins Dunkel der Gasse zerrte und seinen Kopf mit sanfter Gewalt zur Seite drehte, damit er nicht in ihr Gesicht hauchte, während sie einen Hals streichelte. Er grinste. Schnell umfasste er ihre Handgelenkte. Nicht schmerzhaft, aber bestimmend. Sie war es nicht, die den Ton ihres Zusammenseins angab. Am liebsten hätte sie mit der Stirn auf seine Nase gezielt, ihm dann das Geld geraubt und wäre geflohen, doch sie brauchte dringend das Geld. Mit zusammengebissenen Zähnen schenkte sie ihm ein Lächeln. „Was hast du für mich?“ fragte sie lächelnd. Er griff nach seiner Hose und sie biss sich auf die Zunge, als sie seine Handgelenke flink umfasste und mit einem lasziven, aber deutlichen Kopfschütteln signalisierte, dass sie nicht davon sprach. Er lächelte verlegen, ganz so selbstbewusst wie eben war er also doch nicht. Erleichtert grinste sie. So konnte sie die Kontrolle behalten. Über ihn und die Situation. Notfalls würde sie ihm gegen sein Knie treten oder auch etwas höher, wenn es sein musste, dass Geld an sich reißen und das weite suchen. Aber dann wäre ihr Ruf in dieser Gasse ruiniert. Schlimmer noch, was wenn sie sich zusammenrotteten, um sich an ihr zu rächen. Ihre Kehle war wie ausgetrocknet.

Ihre Hände rieb sie nervös an ihrer Hose und ihre Schritte wurden zunehmend unsicherer. Als könnte sie plötzlich ihr Gleichgewicht nicht mehr kontrollieren.

Sein Blick wanderte über ihren Körper, ihren Ausschnitt und seine Hände packten grob ihre Arme. Mit einem verspielten Lächeln überspielte sie den Schmerz und wollte ihn mit sanften, aber anzüglichen Worten ablenken, um ihn dazu zu bekommen, seine Hände weniger schmerzhaft ihre Brüste quetschten. Sie rollte mit den Augen und zwang seinen Kopf zurück, wünschte er würde endlich seine Hose ausziehen, damit sie ihn dazu verführen konnte, ihre Lippen einzusetzen. Vielleicht auch nur ihre Hände, es war ihr egal ob sie so weniger Geld bekommen würde, solange sie ihn nur los wurde. Er grinste, presste sich an sie und sie versuchte seine Bewegungen zu kontrollieren, indem sie ihre Hände an seinem Körper entlangstich.

Sie wusste, dass sie nicht zulassen durfte, dass er sie herumdrehte, schon gar nicht solange sie nicht Geld in ihren Fingern hielt. Seine Hände stemmten sich sanft gegen ihre Hüften. „Nicht so hastig.“ Ermahnte sie ihn und schob sie spielerisch von sich. Sanft, aber bestimmt, was ihn tatsächlich zwang sich zurückzunehmen. Zumindest ein wenig. Es gab ihr ein sicheres Gefühl, dass er doch nicht einfach wagte sich grob an ihr zu vergehen, die Zahlung vielleicht zu prellen oder sie zu schlagen, wenn sie nicht aufpasste. Alle drei Varianten waren ihr schon untergekommen. Nur einmal war sie darauf hereingefallen. Sie fühlte mit den Fingern nach dem angespitzten Kugelschreiber. Sie hatte kein Training bekommen, hatte sich die schnellen Bewegungen selbst beigebracht und bisher war sie nie gezwungen gewesen, den Kugelschreiber tatsächlich in einen menschlichen Hals zu rammen, so wie sie es bei alten Müllsäcken und Kissen geübt hatte. Sie strich an der Außenseite ihres Schenkels nach unten, wollte nach der improvisierten Waffe greifen. Dann aber verlangte er, dass sie sich umdrehte. Sie biss sich auf die Zunge und folgte seiner Aufforderung. Die Chance war so mit vertan. Sie würde die Zähne zusammenbeißen, versuchen seinen Gestank nicht einzuatmen und einen Teil des Geldes vielleicht für einen Arzt verwenden, wenn er fertig war.

Seine Hände umklammerten grob ihre Arme. Gerade, als sie versuchte, sich aus seinem Griff zu winden, sah sie im Augenwinkel eine Bewegung.

Ein Luftzug streifte ihr Gesicht, dann fühlte sie etwas warmes an ihrer Wange. Ein Gefühl, als küsse jemand ihre Wange. Bis es zu einem schneidenden Schmerz wurde. Blind schlug sie um sich, ohne ein wirkliches Ziel zu haben.

Der Schlag in ihr Gesicht kam so unerwartet zusätzlich zu dem Schmerz, dass ihre um sich schlagenden Arme schlaff zur Seite fielen. Das verschwommene Gesicht über ihr war nicht zu erkennen.

Eine Klinge blitzte vor ihren Augen. Verschwommen konnte sie grüne Augen erkennen, bevor sie ohnmächtig wurde.

2.

Das Piepen in ihren Ohren war unnatürlich laut. Sie kannte es, aber ihre Verstand war zu vernebelt, um es richtig zuzuordnen.

Eine Maschine. Etwas, dass ihren Puls maß. Es piepte in einem regelmäßigen Rhythmus. Ihren Herzschlag. Sie sah sich um, ihr Blick war verschwommen. Das Zimmer war kein Krankenzimmer. Ganz bestimmt nicht. Die Wände grob und schmutzig, kaum bemalen. Dreck und Staub in den Ecken. Das Licht kaum ausreichend. Als sie versuchte zu sprechen, fühlte sie, dass in ihrem Mund Stoff steckte. Mit der Zunge versuchte sie ihn aus ihrem Mund zu drücken. Destry schüttelte den Kopf hin und her, als sie tatsächlich zu fühlen glaubte, der modrige Stofffetzen in ihrem Mund bewegte sich. Er schmeckte nach altem Schweiß und Fett. Beides lies sie würgen. Ihre Augen tränten und ihre Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ruhig versuchte sie zu atmen, um zu verhindern, dass sie sich übergab. Ihre Arme und Beine gehorchten nicht ihrem Willen, wenn sie versuchte sich zu bewegen, hielt ihr Arm nach einem kurzen Zucken plötzlich inne.

Das leise Klirren lies sie verwirrt den Kopf heben. Auch das wollte ihr nicht gelingen. Nur ein paar Zentimeter gelang es ihr. Über ihr war ein helles Licht und eine weiße Decke, von der der Putz abzublättern drohte.

Etwas in ihrem Mund machte ihr das Atmen schwer. Sie stieß mit der Zunge dagegen und schmeckte Schweiß und etwas Metallisches. Es ließ sie würgen. Der Lappen in ihrem Mund roch widerlich nach altem, schweißgetränkten Stoff. Sie versuchte den Kopf zu heben. Über ihr war ein flackerndes Licht. Eine Lampe, die sie zuvor nicht gesehen hatte. Das dumpfe Summen in ihren Ohren machte es ihr schwer, etwas zu hören. Von dem Schlag musste sie immer noch benommen sein. Konnte nicht klar denken und ihre Sinne arbeiteten nicht vollkommen.

Die Kälte, die über ihren Rücken kroch drang in all ihre Poren vor und lies sie nach und nach zu Bewusstsein kommen. Das Piepen wurde lauter und die verzerrten Geräusche konnte sie erst nicht zuordnen. Nach und nach filterte sie Stimmen und vereinzelte Worte heraus, doch sich darauf zu konzentrieren und die Worte zu verstehen wollte ihr nicht gelingen. Erst als jemand sich über sie beugte, konnte sie ihre Augen geöffnet halten und in das Gesicht über ihr sehen. Ein Lächeln, dass aber nicht die Augen erreichte. Sie wollte den Kopf heben, aber etwas hielt ihn fixiert. Nach und nach fühlte sie ein Metall auf ihrer Stirn. Ein Riemen schien ihren Kopf fixiert zu halten.

Als sie schließlich ein paar einzelne Wortfetzen ausmachen konnte, versuchte sie die Stimme einzuordnen. Irgendwie fühlte sie sich vertraut an.

Vielleicht hatte sie mit ihm geschlafen. Für Geld. Oder auch nicht.

Ein Stich in ihren rechten Arm. Jemand injizierte ihr etwas. Stümperhaft und grob. Bestimmt Niemand, der wusste, wie man mit einer Nadel umging. Weder medizinisch noch sonst auf eine Art. Sie fühlte, wie sich ihre Muskeln verkrampften, ihr Arm zuckte. Jemand tätschelte ihren Arm. Hände fuhren über ihr Gesicht und ihren Hals, umfassten grob ihr Kinn und spreizten dann plötzlich ihre Augenlider. Etwas brannte plötzlich auf ihrer Iris und sie fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Etwas, dass in ihre Augen getropft wurde.

Jemand griff hinter sie und ruderte mit einem Arm am Kopfende der Trage, auf der sie lag. „Besser so.“ hörte sie eine Stimme. Ein Schatten huschte über den Raum, dann blendete sie wieder das grelle Licht, als ob jemand die Lampe verschoben hätte. Sie strahlte direkt in ihr Gesicht. Zu gerne hätte sie geblinzelt und die Augen geschlossen, doch etwas hielt sie davon ab. Während ihr linkes Auge wild blinzelnd versuchte das Licht abzuschwächen, brannte ihr rechtes Auge wie Feuer. Sie war gezwungen direkt in den Lichtstrahl vor ihr zu blicken, bis alles um sie verschwamm und sie den Raum kaum mehr ausmachen konnte. Ihr Gesicht fühlte sich taub an. Die Lippen kribbelten und zuckten, auch ihre Wangen fühlten sich taub an. Ein warmes Gefühl kroch über ihr Gesicht und wenn sie nicht gewusst hätte, dass sie gegen ihren Willen auf einer Bare fixiert worden war, hätte sie es als angenehm empfunden. So als hätte sie dieses warme Gefühl von Alkohol in ihren Gliedern, bevor die Betrunkenheit einsetzte. Dieses entspannte wohlige Gefühl, dass einem überkam nach ein zwei Drinks, um locker und ungehemmter zu werden. Bloß dass der Effekt von einer Nadel in ihrem Auge stammte.

Würde sie überleben, würde sie erblinden. Was ihr angetan wurde, war bestimmt nicht die Arbeit von jemandem, der vom Fach war.

Ein Schatten fuhr über ihr Gesicht. Verschwommen konnte sie ein Gesicht ausmachen. Eines, dass sie bereits gesehen hatte aber nicht zuordnen konnte. Ein Mann aber bestimmt nicht der, mit den sie versucht hatte zu betrügen. Sein Gesicht hatte sie sich eingeprägt, für den Fall, dass etwas schief laufen sollte. So wie es zweifellos geschehen war. Aber was würde ihr sein Gesicht helfen, wenn sie hier auf dem Tisch starb?

„Das wird nicht funktionieren.“ hörte sie eine Stimme sagen. Sie war gedämpft aber Destry glaubte, dass sie zu einer Frau gehörte. Vielleicht konnte sie erkennen, wer es war. Vielleicht hatte eine ihrer Konkurrenten im Stadtviertel sie entführt und versuchte an ihr Geld zu kommen, ihr ihr Revier streitig zu machen. Ab und zu versuchten sie sich gegenseitig einzuschüchtern, allerdings schien Destry es ein wenig zu extrem. Sie hatte jemanden in Verdacht, glaubte aber, dass sie nicht die Mittel besäße für das, was vor sich ging. Ihr Kopf dröhnte. Anstatt dass ihr Verstand wieder klarer wurde, verschwamm alles wieder vor ihren Augen.

Ihr Auge brannte, heftig blinzelnd versuchte sie den Schmerz zu bekämpfen und fühlte etwas in ihrem Augenwinkel, als ob Staub oder ein Fremdkörper in ihm steckte. Die Stimme verstummte ein leises Klicken ließ Destry inne halten. Jemand stand vor ihr, aber sie konnte nichts sehen. Lange Haare, eine dunkle Maske aber das Gesicht war nach unten gebeugt, so dass sie es nicht erkennen konnte. Die langen Haare deuteten auf eine Frau. Destry versuchte zu sprechen. Ihre Lippen fühlten sich taub an. Die paar Worte, die sie zusammenbrachte waren wirr und sinnlos. Schon mal hatte ihr jemand Drogen verabreicht und sie fühlte sich daran erinnert. Sie musste versuchen, konzentriert zu bleiben und durfte die Kontrolle nicht verlieren. Vielleicht gelang ihr ein Angriff. Das Element der Überraschung war auf ihrer Seite. Aber ihr festgezurrter Körper würde ihr kaum eine Gegenwehr ermöglichen. Das Gesicht über ihr bewegte die Lippen. Aber sie konnte noch immer nichts hören. Das dumpfe Summen in ihren Ohren übertönte alles.

Dann fühlte sie einen Stich an ihrer Stirn und machte ein gurgelndes Geräusch. Zum Schreien war ihr Gesicht und ihre Zunge zu taub. Sie fühlte die Klinge nicht, die an ihr Gesicht geführt wurde, aber das kurze Aufblitzen des Messers im Licht entging ihr nicht. Es musste chirurgisch sein obwohl sie es nicht genau zuordnen konnte. Zu klein und fein für ein einfaches Messer. Innerlich schrie sie um Hilfe aber die Drogen in ihrem Körper hielten sie ruhig und benommen, genau so wie es ihre Entführer wohl vorhatten. Jemand zog eine Spritze vor ihren Augen auf, genau so dass sie sie sehen konnte. Es musste Absicht sein. Vielleicht um ihr Angst zu machen, weil ihr Körper zu taub war, um etwas zu fühlen versuchte man sie durch ihre restlichen Sinne zu ängstigen. Sie konnte ein verhülltes Gesicht sehen. Ein konzentrierter Blick. Er war so vertraut sie starrte auf das von einer Maske verhüllte Gesicht. Die Augen schienen ihr vertraut zu sein. Nicht vertraut vielleicht aber zumindest musste sie sie schon gesehen haben. Grün und mit diesem tiefen, kalten Blick der irgendwo in ihrer Erinnerung hängen geblieben waren.

Mit diesen Augen hatte ihre Misere angefangen, die sie hier auf dem Metalltisch hatten enden lassen. Er war es. Der Mann, dem sie versprochen hatte, dass sie seine Nacht umwerfend machen würde. Der ihr eine Hand in den Nacken gelegt hatte. Erst flirtend und neckend dann grob und zwingend.

Ihre Vorsicht, die sie hatte fahren lassen bei ihm. Die Spritze wurde näher an ihr Gesicht geführt. So gut sie konnte warf sie sich hin und her, aber die Gurte, die sie festzurrten ließen nur kleine Bewegungen zu, ihr Kopf blieb dabei fixiert. Verzweifelt versuchte sie ihre Augen geschlossen zu halten, als könnte ihn das daran hindern die spitze Nadel immer näher an ihr Gesicht und ihre Iris zu führen.

Sie spannte ihren ganzen Körper an, ungewollt. Schweiß trat ihr auf die Stirn und ihre Fäuste trommelten auf die Fläche des Tischs unter ihr. Jemand versuchte ihr zuzureden. Sie hörte nicht alles, setzte nur die paar Wortfetzen zusammen die sie hörte. Das sie sich beruhigen sollte und es für sie eigentlich ein Geschenk war.

Auserwählt worden zu sein als eine der wenigen obwohl sie Abschaum war und nicht wert überhaupt am Leben gelassen zu werden. Die Nadel kam näher, Millimeter von ihrem Auge entfernt. „Genug jetzt.“ Sprach eine Stimme. Wieder war sie vertraut aber nicht zuzuordnen. „Wir haben nicht Zeit für Spielchen. Werdet fertig und werft sie zurück in die Straßen.“ Befahl eine Stimme. Es war eine Frauenstimme. So viel konnte sie erahnen, mehr aber auch nicht. Ihr Kopf dröhnte und jeder Muskel in ihrem Gesicht schmerzte.

„Letzte Injektion.“ Der Ton der Stimme war herrisch, ungeduldig und würde keine Widerworte akzeptieren. Sie konnte nicht sehen, wem sie gehörte ordnete aber auch sie einer Frau zu. Ein brennender Schmerz in ihrem Gesicht lies sie sie den Mund aufreißen, ein Schrei aber gelang ihr nicht. Blut sammelte sich in ihrem Auge, warm und klebrig versperrte es ihr die Sicht und sammelte sich auf darin. Der Schmerz jagte wie ein brennendes Feuer über ihr Gesicht und ihren ganzen Körper. Jemand fasste an ihre Schläfen und fluchte. „Zu wenig Betäubung! Nachsetzen.“ Klar und deutlich hörte sie die Stimme, was immer ihr verabreicht worden war, hatte seine Wirkung verfehlt. Ihr ganzer Körper schien in Flammen zu stehen, während sie unkontrolliert zuckte, von mehreren Händen am Kopf und den Armen gepackt wurde, während jemand erneut mit einer Nadel immer näher an ihr Gesicht kam. Alles schien von einem roten Schleier überzogen zu sein. Die verschwommenen Gesichter, die hektischen Hände, die über ihr arbeiteten und sie versuchten zu retten, so absurd ihr der Gedanke auch vorkam. Sie sollte hier auf dem Tisch nicht sterben. Etwas von dem, was mit ihr geschah, war schiefgegangen, aber man wünschte nicht ihren Tod.

Blut sammelte sich in ihrem Mund. Reflexartig hustete sie, versuchte zu spucken, um nicht daran zu ersticken.

„Ihr Herzschlag steigt rapide an.“ warnte eine Stimme. Immer klarer konnte sie hören, was um sie geschah. Kein gutes Zeichen. Vielleicht ließen die Drogen in ihrem Körper nach. Auch der Schmerz nahm zu. Gerade noch hatte sie sich verwirrt gefühlt und alles hatte sich gedreht, jetzt plötzlich wurde alles um sie herum viel klarer, besonders der Schmerz und das Pulsieren in ihrer Stirn. Ihr Auge tränte. Warm flossen Tränen über ihre Wange. Viel zu schnell, zu dick und klebrig. Der rote Film vor ihrem Gesicht war Blut. Blut, welches aus ihrem Auge floss, dass von hektischen Händen bearbeitet wurde. Sie war sich hin und her, versuchte ihren Kopf zu drehen, aber jemand packte sie am Kinn und an der Stirn um auch noch den letzten Rest ihrer Bewegungen zu verhindern. „Halt still. Sonst zerschneidet es dein ganzes Auge.“ Sagte eine Stimme. Eine andere lachte. „Nicht das erste Unglück, nur damit du Bescheid weißt.“ Sagte die Stimme, zu der auch die Hand gehörte die die scharfe Klinge an ihr Auge ansetzte. Er würde es zerschneiden. Ihren Augapfel durchtrennen und sie jedes Detail mitbekommen lassen. Ihr Kopf pochte. Unmöglich, dass die Drogen oder Betäubung noch tat, was sie sollte.

„Beeilen wir uns.“ Befahl eine Stimme. Jemand hielt eine goldene Kette vor ihr Gesicht. Sie konnte ein winziges Goldstück am Ende erkennen. Der Faden war so dünn, dass er kaum zu sehen war. Es erinnerte sie an etwas, aber genau wusste sie nicht, was es war. „Es ist alles gleich vorbei.“ Raunte eine Stimme, dann fühlte sie wie etwas in ihren Mund gestopft wurde. Ein Plastikschlauch zwängte sich ihre Kehle hinab sie musste würgen, verdrehte dabei die Augen und hörte wie jemand fluchte. Ein Schmerz in ihrem Auge. Wie eine stechende Nadel. Wieder fluchte die Stimme. „Haltet sie still.“ Verlangte sie. „Scheisse. Daneben.“ Raunte die Stimme. „Wir haben nur mehr einen Versuch.“ Mahnte die Stimme, drückte grob ihre Augenlider auseinander. Sie konnte einen winzigen Blutstropfen vor sich sehen. Er hing an etwas Glänzendem. Die Nadel, die gerade noch zu sehen gewesen war. Der Schmerz war dumpf und nicht so heftig wie sie befürchtet hatte. Jemand setzte die Nadel wieder an ihr Gesicht, drückte eine Spritze in ihre Wange. Ihre Muskeln wurden locker. Sie fühlte ihr Gesicht wieder taub werden. Dann näherte sich die Nadel wieder ihrem Auge. Jemand sog die aufsteigenden Tränen mit einem Tuch auf. „Ein sauberer Schnitt diesmal.“ Mahnte eine Stimme. Metall blitzte vor ihr auf. Schmerzen durchzogen ihren Körper wie Feuer. Etwas lief nicht nach Plan, soviel verrieten ihr ihre vernebelten Sinne. Ihre Instinkte.

Endlich wurde ihr Blickfeld dunkel. Vielleicht war es erfolglos geblieben. Wenn sie überlebte, würde sie wohl erblinden. Bestimmt sogar.

Glitzerndes Gold. Ein goldener Faden vor grünen Augen. Nicht ihre. Seine, die sie schon einmal gesehen hatte. Jetzt sahen sie sie wieder an und zwischen ihnen baumelte der dünne, goldene Faden. Würde er im Licht nicht glitzern, hätte sie ihn nicht gesehen. Fast war das Glänzen schön, dachte sie, bevor ihre Sinne schwanden.

Ein feiner Schimmer huschte über das ungewöhnliche Grün der Augen.

2.

Schmutz

1.

Eigentlich sollte sie den Gestank der Straßen inzwischen kennen. Sie lebte in ihm, war gewohnt an den Schmutz und den fauligen Geruch.

Und doch als die Kälte, die in ihre Knochen kroch sie aufweckte musste sie von dem üblen Geruch in ihrer Nase würgen.

Das Rauschen in ihren Ohren ließ sich nicht gleich zuordnen, dafür aber fühlte sie die Kälte, die in ihren Knochen schmerzte umso deutlicher. Regen fiel auf sie herab, der mit jeder Sekunde stärker zu werden schien. Sie hustete und versuchte den fauligen Geschmack aus ihren Mund zu spucken. Blut und noch etwas anderes. Benommen oder ohnmächtig in einer Gasse zu erwachen, verhieß nichts Gutes. Nicht in ihrer Welt. Sie tastete vorsichtig ihren Körper ab, fuhr über ihre Brüste und ihre Schenkel. Der Schmerz ließ sie erahnen was geschehen sein musste, während sie ohnmächtig gewesen war. Fluchend versuchte sie sich aufzurichten, auf ihre zitternden Arme zu stützen, um sich wenigstens halb auf zu setzen.

Ihre Kleider waren zerrissen, ihr Geld natürlich weg. Schmutz klebte an ihr, so fest, dass selbst der prasselnde Regen ihn nur mit Mühe von ihr spülte. Destry öffnete den Mund und schluckte die Regentropfen, spülte notgedrungen ihren Mund damit aus. Taub fühlte sich ihre Zunge und ihr Gesicht an und ein Schnitt in ihrer Lippe, den sie mit ihrer Zunge fühlen konnte, schien noch immer zu bluten. Verschwommene Fetzen einer Erinnerung spielten sich vor ihrem Inneren ab. Nicht sicher, was sie sah, vermutete sie das ihre letzte Nacht mit einem Kunden wohl nicht besonders erfolgreich verlaufen war. Nach ihrem Geld sah sie gar nicht. Es würde nicht in ihren Taschen sein, wahrscheinlich nicht einmal in ihrem kleinen geheimen Versteck, dass sie verwendete. Den Schmerzen in ihrem Körper zu urteilen, die nach und nach stärker wurden, war sie benutzt worden auf jegliche Weise, die ihre Vorstellung zuließ. Seufzend stützte sie sich auf, wünschte sich ihre zitternden Arme würden ihr gehorchen aber erst beim dritten Versuch gelang es ihr auf ihre Knie zu kommen. Auf allen vieren kroch sie durch die Gasse, schürfte sich ihre Knie auf dem Asphalt auf und suchte Schutz hinter einer Mauer, die sie wie vermutet zu einem schäbigen kleinen Laden gehörte. Ein Laden, der bestimmt nicht mit dem handelte, was die kaputte Reklametafel bewarb. Nur Tarnung. Die Auslage mit den alten Kleidern und die Schilder. Ein rostiges Schloss war an der Tür. Wer weiß was sich dahinter abspielte. Dumpfe Musik drang daraus hervor. Zitternd lehnte sie sich an der Ecke des Ladens an die Mauer und rang nach Atem. Die Kälte ließ ihren Körper beben, bestimmt, aber auch etwas anderes. Drogen, die man ihr wohl verabreicht hatte, um sie gefügig zu machen oder vergessen zu lassen, was mit ihr geschehen war. Als könnte sie sich die Details nicht ausmalen. Als hätte sie in Wahrheit Dasselbe nicht schon erlebt. Was immer sie betäubt hatte, schien seine Wirkung nach und nach zu verlieren. Sie zitterte noch, aber sie begann ihren Körper wieder zu beherrschen. Besser war es, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen.

Ein Kribbeln in ihrer Wange erinnerte sie daran, dass letzte Nacht etwas schief gelaufen war. Als sie zu sich kam, fühlte sie ihr Gesicht schmerzen. Panisch schlug sie ihre Hände auf ihre Wangen strich über ihr Gesicht und tastete es ab. Es schmerzte, als ob jemand sie geschlagen hätte. Ihr Auge brannte und sie fasste unwillkürlich mit den Fingern auf ihr Augenlid. Es zuckte und fühlte sich viel wärmer an als sie erwartet hätte. Wie eine Entzündung oder aber ein Fremdkörper, der ihr nicht gelang auszuspülen. Sie blinzelte sah mit ihrem rechten Auge nur verschwommen und versuchte die Gasse vor sich auszumachen. Sie wirkte, wie von einem dunklen Schatten umgeben. Ein blauer Schleier hing über allem.

Sie blinzelte und versuchte klar zu sehen. Reine Willenskraft und Instinkt zwang sie auf die Füße. Ein Pieken in ihrem Auge lies sie blinzeln. Mit einem Finger strich sie über ihre Wange und fühlte die raue, aufgeplatzte Haut auf ihrer Wange. Eine Wunde. Sie schmerzte nicht wirklich, als ob das Gewebe ihrer Haut taub war und sie nichts fühlte und doch wusste sie, dass sie eine Wunde im Gesicht haben musste. An ihrer Fingerspitze klebte Blut. Ein kleiner blauer Ring schwebte über der Fingerkuppe und rotierte dort. Wahrscheinlich waren ihre Sinne noch zu zerschlagen und die bunten rotierenden Kreise vor ihr waren Teil ihres noch verwirrten Kopfes. Die Drogen, die man ihr gegeben hatte spielten ihr einen Streich.

Winzige Buchstaben schwebten vor ihrem Gesicht. Sie rotierten und fügten sich zusammen, bis einzelne Worte erschienen. Destry schloss die Augen, in der Hoffnung das wirre Gefühl würde so von ihr ablassen. Das Hämmern in ihrem Kopf und der Schmerz, der auf ihre Schläfen drückte, lies nach, als sie ein paar Minuten die Augen geschlossen hielt. Der Straßenlärm wurde nach und nach stärker. Besser war es, wenn sie versuchte von hier weg zu kommen. Das Kribbeln in ihrem Gesicht wurde stärker. Ihr Gesicht fühlte sich nicht mehr ganz so taub an. Stattdessen schmerzte ihr Kiefer und ihr Auge. Feine, blaue Linien zeichneten sich vor ihr ab. Zwei konnte sie erkennen, eine davon schien wie ein winziger Puls auszuschlagen. Die Sicht verschwamm wieder. Als ob die Umgebung vor ihr flimmerte, wie bei einem alten Film. Sie hielt inne und versuchte klar zu sehen, doch das Flimmern hielt an. Alles um sie herum war von dem Flackern überzogen, dass sie erst dem Schmerz in ihrem Auge zuschrieb. Als ob sie eine farbige Kontaktlinse trug. Das Blau wurde eine Nuance heller, als sie die Hände über ihr Gesicht rieb, in der Hoffnung der Schmerz würde nachlassen. Blinzelnd sah sie umher, erkannte die schmutzige Gasse, konzentrierte sich auf deren einzelne Details. An jedem Mülleimer, den Pflastersteinen, den Mauern, immer wieder blieb ihr Blick an den einzelnen Details für eine Sekunde länger hängen als sie es wollte.

Als ob sie alles ein zweites Mal ansah, nur ungewollt.

Kleine Wörter blinkten vor ihrem Auge auf, blinzelnd versuchte sie das Brennen ihrer Augen zu bekämpfen während immer mehr Wörter sich vor ihr auftaten.

Kalibrierung. Neuer Host. Kurz blitzte die Schrift auf. Zahlen, vereinzelt und in Blöcken erschienen. Ein Netz, dass sich vor ihrem Auge auftat, Säulen und Würfel erschienen darauf, blau und schwarz, mal schossen sie in die Höhe, dann wieder schrumpften sie zusammen und formten Linien, die um die Würfel herum fuhren.

Sie schlug ihre Hände vor ihr Gesicht, kratzte darüber als könnte sie so verhindern zu sehen, was sich in ihrem Kopf abspielte. Als ob vor ihrem Auge ein winziger Bildschirm ablief. Vor ihrer Iris, in ihrem Auge. Sie hatte keine Wahl als es mit anzusehen, selbst wenn sie die Augen schloss, schossen die Zeichen an ihr vorbei, erschienen in ihren Gedanken und erzeugten Bilder und Informationen. Viel zu viel davon. Sie hämmerte mit Fäusten auf ihre Schläfen ein, während der Druck auf ihren Kopf immer größer zu werden schien.

Ein leises Summen in ihrem Ohr, sicher war sie sich nicht, ob es mit den Wörtern zusammenhing oder nicht. Sie hielt sich die Hände vor die Augen, dann auf ihre Ohren, als ob die Geräusche dadurch verschwinden könnten. Sie fühlte, wie sich ihr Kiefer anspannte, sie unwillkürlich die Zähne zusammen biss und versuchte ihre Augen geschlossen zu halten. Um sie herum war es viel zu hell. Der Lärm strengte sie zusätzlich an, nach jedem kleinen Geräusch drehte sie sich um und jedes Mal hatte sie das Gefühl, ihre Augen schmerzten nur noch mehr, sobald sie versuchte sich zu konzentrieren, um klar zu sehen. Sie musste aus der Straße verschwinden. Nach Hause, eine heiße Dusche nehmen und sich beruhigen. Vielleicht ein wenig Geld stehlen, um sich einen Arzt leisten zu können. Zwei Straßen weiter würde sie eine Praxis finden, die sie vielleicht bezahlen konnte. Er war unseriös, ein Pfuscher aber um notfalls ihr Auge zu versorgen würde es reichen, wenn sie genug Geld mitbrachte. Sie wusste nicht, woher sie wusste, dass er unseriös war. Winzige Worte blitzten vor ihren Augen auf. Ein Symbol, dass sie von einer Apotheke kannte, ein Arztzeichen und eine feine, grüne Linie, die durch die Straßen zog und ihr den Weg zeigte. Zu Fuß war eine Apotheke am ehesten erreichbar. Für alles andere würde sie vielleicht ein Taxi bevorzugen. Nur dass sie sich das Taxi kaum leisten konnte, oder der Fahrer sich vielleicht weigern würde, in das Viertel zu fahren in dem sie wohnte. Notfalls könnte sie ihn zwingen. Die blauen Linien und Worte blinkten rot. In dem Moment, in dem sie daran dachte, etwas illegales zu tun. Wie den Taxifahrer zu bedrohen. Das Siegel der Polizei und des Wachstabs blitzte auf, sie sah es vor ihrem Auge, dort wo sie das feine Brennen immer noch fühlen konnte. Winzige Wörter, sie versuchte sie zu sehen. Ab und zu wurde eines davon größer, als ob es herangezoomt wurde, sobald sie daran dachte, dass sie nichts erkennen konnte.

„Warnung.“ Stand dort. Das Stadtviertel galt als nicht sicher. Als ob sie das nicht wusste. Sie sah den kleinen blauen Kreis und wusste, dass sie ihn schon irgendwo gesehen hatte. Nur wusste sie nicht, wo sie ihn zuordnen sollte. Vielleicht auf alten Reklametafeln, die mächtigen Städte luden ihren Müll gerne in den armen Vierteln ab. Sie glaubte sich zu erinnern, eine der alten Tafeln gesehen zu haben. Ausgeschlachtet und ohne Metallstangen und Eisen, dass sie hätte verkaufen können. Nur die losen Buchstaben aus Plastik hatten noch daran geklebt. Kein Bild aber der Schriftzug genauso, wie er jetzt vor ihrem Auge tanzte.

Sie wusste, was es war, versuchte den Impuls, mit den Fingern in ihre Augen zu fassen zu widerstehen. Am liebsten hätte sie ihre Nägel tief in ihr Gesicht geschlagen, um die Haut herauszureißen, um an den winzigen Chip zu gelangen, der in ihrem Auge saß und begann Anpassungen vorzunehmen. Sie konnte ihren Herzschlag fühlen, deutlicher den je und ein winziges Herz erschien vor ihrem Auge, umgeben von einem pulsierenden, blauen Kreis. Es beschrieb die Herzfrequenz, die Atmung und kleine Wörter bildeten sich vor ihr über den einzelnen Gebäuden und Reklametafeln der Straße. Verschiedene Infos zu den Läden und Gebäuden um sie herum. Aktionen, Rabatte, Öffnungszeiten und die Namen der Inhaber. Designer Label auf Kleidern, Hersteller der Waren und Infos zu den Läden, deren Besitzer, den Gebäuden, selbst den Statuen an denen sie vorbeilief. Sie schloss die Augen, taumelte in eine Ecke der Gasse und versuchte dort zu Atem zu kommen. Viel zu viele Informationen, von denen sie nicht wusste, woher und warum sie sie bekam, wie sie sie alle aufnehmen und bewältigen sollte.

Sie ahnte zwar, was der Kreis, den sie permanent sah, bedeutete, hatte sich aber nicht mehr dafür interessiert, da der Beat ohnehin außerhalb ihrer Liga spielte. Sogar außerhalb ihres ganzen Lebens. Es war surreal jetzt in der Lage zu sein, ihn zu nutzen, nicht nur in den Händen zu halten in seine Einzelteile zu zerlegen und aus jedem Stück so viel Geld wie möglich heraus zu schlagen. Wenn sie sich nicht irrte, hatte der Überfall auf sie den Zweck, den Beat einzupflanzen, sie damit zu vernetzen, egal ob sie es wollte oder nicht. Jetzt war sie nicht nur im Besitz des Schmuckstück, sie war ein Teil des gesamten Netzwerks geworden, von dem inzwischen die ganze Stadt sprach und lebte. Dessen Puls das Tempo und Leben der ganzen Stadt nicht nur vorgab, sondern vollkommen beherrschte. Sie hatte sich insgeheim zwar gewünscht ein Teil davon zu sein, hatte sich Chancen auf ein besseres Leben dadurch erhofft, doch wie es dazu gekommen war, machte ihr dennoch Angst. Es war nicht für sie bestimmt gewesen, nicht in dem Leben, dass sie führte. Ihr Instinkt warnte sie davor, den Chip zu nutzen und zu behalten, aber wie sollte sie ihn loswerden? Wer immer dafür gesorgt hatet, dass sie den Beat jetzt trug, musste einen Grund gehabt haben ihn ihr einzupflanzen, anstatt das kostbare Stück selbst zu nutzen. Vielleicht war es am besten, wenn sie sich der Polizei stellte, ihnen erzählte was geschehen war und darauf bestand, dass der Chip entfernt wurde. Aber was, wenn es sie ihr Auge kosten würde? Bei dem Pfusch, der ihr bestimmt angetan worden war, waren die Chancen zu überleben bestimmt gering, wenn sie etwas unternahm. Sie hatte zu viel Angst, ihr Auge zu verlieren. Wenn es nicht ohnehin geschehen würde. Sie wusste nicht, welche Folgen der Pfusch, den man ihr angetan hatte haben konnte. Ein Wunder, dass sie noch lebte und dass der Chip arbeitete. Kaum, dass sie daran dachte, erschien ein neuer Schriftzug vor ihrem Auge. Es war, als bilde sich ein Bildschirm vor ihrem Auge, jedes Mal, wenn sie an etwas dachte. Sie wunderte sich, noch zu leben und ein kleines Herz erschien, pulsierend, wahrscheinlich im selben Rhythmus wie ihr Puls. Ihre Herz- und Atemfrequenz erschien, ihr Alter und andere Vitalzeichen, aus denen sie nicht sofort schlau wurde. Puls, Atmung, Blutgruppe, ihr Alter und ihre Größe sogar eine Anzeige ihrer Atemfrequenz. Kleine Infos zu der Umgebung um sie herum, kaum dass sie sich darauf konzentrierte und ihren Blick über die Schrift vor ihrem Auge hinaus richtete. Sie lachte verblüfft auf. So viele Möglichkeiten boten sich ihr. Es war einerseits verwirrend und überforderte sie, zugleich aber sah sie so viele neue Chancen auf sich zukommen. An jeder Ecke schien sich eine Gelegenheit zu bieten, die zu ihr passte und ihr ein wenig mehr Erfolg versprach als ihr bisheriges Leben.

Es war wie ein Rausch. Wer immer ihr Zugang zum Beat verschafft hatte, hatte wohl nicht geglaubt, dass sie es wie ein Geschenk betrachten würde.

Kaum dachte sie daran, blinkte ein Symbol auf, dass dem kleinen Chip ähnelte. Daten und Fakten über den Beat tauchten vor ihrem Auge auf. Sie fühlte sich überfordert von den vielen Daten, wusste nicht, worauf sie zuerst achten sollte. Ein blinkender Punkt zeigte eine Stelle fern von ihr an. Das Bild der Stadt vor ihr taucht auf, wurde klarer und zeigte sich ihr wie eine Karte. Die Straßen waren zu sehen, die wichtigsten Läden und Gebäude hervorgehoben. Und ein Stück weiter auf der Karte blinkte ein blauer Punkt. Wie ein markiertes Ziel. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ein Zielpunkt, den der Beat ausgewählt hatte und empfahl, sich näher anzusehen. Sie wusste nicht, ob sie der Empfehlung einfach so trauen konnte. Wie schlimm konnte es schon werden, nach allem, was geschehen war?

Ihr bisheriges Leben zielte nur darauf den nächsten Tag und die Nacht zu überleben, sich unter Wert an einer Straßenecke anzubieten, warum sollte sie nicht ein wenig Glück abbekommen. Glück, dass sonst nur den Reichen und Glücklichen hier in der Stadt zu kam. Wenn es ihr gelang, den Beat für sich zu nutzen hatte sie eine Chance, aus ihrem Leben zu entkommen. Ihr Instinkt warnte sie davor, aber sie wollte jede Warnung übersehen und tun, was am besten war, was sie immer tat. Das Beste aus ihrer Situation zu machen. Und jetzt, wo sie vielleicht eine echte Chance hatte, durfte sie nicht zögern und nicht auf das mulmige Gefühl in ihr achten, dass sie warnte. Nicht mehr. Diese Chance würde sie nicht vertun, egal was ihr Instinkt ihr riet. Der winzige blinkende Punkt war ihr Ziel.

2.

Normalerweise würde sie den Stadtteil meiden, der ihr als Ziel angezeigt wurde. Nicht gerade eine Gegend, die sicher war und in der Gesellschaft, in der sie zu überleben versuchte, sollte das etwas heißen.

Hier suchte sie nicht nach Kunden, weil sie ihn vielleicht nicht überleben würde. Hier fand sie keine Zuflucht, keine Chancen und nichts, was sie brauchte, um zu überleben und doch wollte der Beat sie genau dorthin führen. Das blinkende, blaue Licht auf dem feinen Gitternetz, dass die Stadt vor ihrem Auge zeigte, zielte genau auf dieses Viertel. Nicht ein paar Straßen daneben oder im ungefähren Radius, nein genau dort wo sie freiwillig nie hingehen würde. Sie griff in ihre Jackentasche, hoffte dort den improvisierten Schlagring zu finden, den sie sich selbst aus Drähten und Eisenstücken gefertigt hatte. Als sie den Draht fühlte, umklammerte sie ihn mit zittrigen Fingern. Blinzelnd versuchte sie sich daran zu gewöhnen, vor ihrem Auge die blaue Schrift zu sehen. Schnell rollte sie förmlich vor ihrem Auge ab, es gelang ihr nicht zu lesen, was der Chip diesmal schrieb. Sie versuchte unwillkürlich auf ihre Auge zu greifen, blinzelte immer wieder und widerstand dem Drang sich die Augen zu reiben. Was, wenn sie dem Chip damit Schaden zufügte. Und vor allem sich? Vielleicht war es das Beste, ihn los zu werden. Aber einen Arzt, der ihn entfernte konnte sie sich nicht leisten, und alles andere wäre nur Pfusch, der sie vielleicht ihr Auge kosten würde. Bestimmt sogar. Besser war es, einen Weg zu finden, es vielleicht abzuschalten. Oder aber sie folgte dem kleinen blinkenden Punkte, der ihr vorschlug, wohin sie als nächstes gehen sollte. Vielleicht wäre es besser, wenn sie sich erst in Sicherheit brachte. Jemand hatte ihr das angetan und dem jetzt Folge zu leisten, egal ob sie sich gewünscht hatte ein Teil davon zu werden oder nicht, ließ ihre Instinkte Alarm schlagen.