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Die Romance-Sensation des Jahres: So sinnlich kann New Adult aus Deutschland sein! Mit dieser »Forbidden Love«-Romance lässt Mia Moreno die Herzen aller Fans von »Grey's Anatomy« und der »Whitestone Hospital« höherschlagen. Für Layla geht ein Traum in Erfüllung! Voller Idealismus tritt sie ihre erste Stelle als Chirurgin in einer noblen Berliner Privatklinik an. Dort wird sie nicht nur die Reichen und Schönen behandeln, sondern auch Menschen in Not helfen können. Dank eines Charity-Projekts der Klinik. Doch als sie den charismatischen Oberarzt Dr. Goldberg trifft, weiß sie, dass sie ein Problem hat. Er ist so anziehend wie abweisend, so verwirrend wie unwiderstehlich und als ihr Chef vor allem absolut tabu. Alles gute Gründe, sich von ihm fernzuhalten. Nicht wahr? Als Layla dann aber mitbekommt, dass mit dem Charity-Projekt etwas nicht stimmt und Dr. Goldberg in zweifelhafte Geschäfte der Privatklinik verstrickt zu sein scheint, kämpft sie bald gegen mehr an als nur die unwiderstehliche Anziehung zu ihm ... »Beautiful Secrets – Wenn du mich berührst« ist der Auftakt der heißesten New-Adult-Trilogie des Jahres! Im Zentrum jedes Bandes steht eine von drei toughen Berliner Freundinnen, die in der Stadt der verlorenen Herzen nicht nur die große Liebe finden, sondern auch gemeinsam die kriminellen Machenschaften einer noblen Privatklinik am Spreeufer aufdecken: eine idealistische Chirurgin, die Frauen in Not hilft, eine freiheitsliebende Hackerin, die für das Gute kämpft, und eine mutige Journalistin, die auf der Suche nach der Wahrheit ist. Dramatisch, sinnlich, süchtig machend. Beautiful Secrets – Wenn du mich berührst (Beautiful Secrets 1) Beautiful Secrets – Wenn ich dich spüre (Beautiful Secrets 2) Beautiful Secrets – Wenn wir uns lieben (Beautiful Secrets 3)
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Veröffentlichungsjahr: 2023
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© Mia Moreno 2022
© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2023
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Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
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Cover & Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Epilog
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
»Layla, vergiss es. Das kannst du nicht anziehen.«
Meine Freundin Maxi taxiert mich mit hochgezogenen Augenbrauen im Badezimmerspiegel, wo sie gerade dabei ist, sich die mandelförmigen Augen mit Kajal zu umranden.
Ich bleibe in der Tür stehen und sehe an mir herab. »Was ist falsch an Jeans und Bluse? Du hast neulich erst gesagt, dass du das Muster süß findest!«
»Ja eben, es ist total süß.« Sie verzieht den Mund. »Glaub mir, heute Abend willst du lieber heiß und begehrenswert aussehen. Wir gehen feiern, nicht zu deinen Eltern.«
Sie konzentriert sich wieder auf ihr Spiegelbild. Ich beobachte fasziniert, wie sicher sie den dicken Lidstrich zieht und die magnetischen Fake-Lashes mit einer Pinzette auf ihren Wimpern platziert.
Im Leben würde ich mich nicht trauen, mich so auffällig und stark zu schminken. Aber an meiner toughen Freundin sieht der dunkle Look einfach cool aus. Maxis hellgrüne Augen funkeln geheimnisvoll aus ihrer tiefschwarzen Umrandung, ihr Teint schimmert makellos, und die Lippen hat sie in einem dunklen Rot nachgezogen. Bewundernd betrachte ich ihre dunklen Locken, die sie auf eine Seite gelegt hat, sodass ihr Undercut zur Geltung kommt. Meine langen, schwarzen Haare machen immer, was sie wollen, sodass ich sie meist einfach zum Zopf hochbinde.
»Wenn ich mit dir unterwegs bin, sieht mich ohnehin keiner. Egal, was ich anziehe. Und das ist mir auch ganz recht!«, füge ich schnell hinzu.
Maxi verdreht die Augen und greift nach ihrem Sektglas, das sie zwischen all die Make-up-Tiegel auf die Ablage gequetscht hat. Sie übergeht meinen Einwand und prostet mir zu.
»Jetzt zu dir! Komm mit!«
Sie tänzelt im Rhythmus des Club-Session-Mix, der aus dem Radio dröhnt, durch den langen, schmalen Flur meiner Berliner Altbauwohnung und weicht dabei geschickt einer Topfpflanze aus. Zu meiner Überraschung biegt Maxi jedoch nicht in mein Schlafzimmer ab, sondern steuert geradewegs auf das unbewohnte, kleine Zimmer am Ende des Flurs zu, in dem sie zurzeit übernachtet. Unser Gästezimmer. Mein Mitbewohner Ilkay und ich nennen es liebevoll »Rumpelkammer«, denn der Ausdruck trifft es, ehrlich gesagt, besser.
Ergeben folge ich meiner euphorischen Freundin – allerdings nicht, ohne mir vorher noch schnell mein eigenes Sektglas von der Kommode in meinem Zimmer zu schnappen.
Im Gästezimmer sieht es aus, als wäre eine Kleiderfabrik explodiert. Das Bett, der kleine Beistelltisch, der nicht ganz so kleine Stapel Kisten mit Büchern, die ich seit dem Umzug noch immer nicht ausgepackt habe, und sogar meine alte Nähmaschine, der Staubsauger und der Putzeimer sind unter einer bunten Schicht Klamotten verschwunden. Dafür, dass Maxi außer dem Inhalt ihrer beiden Koffer eigentlich nichts besitzt, schafft sie es überraschend gut, innerhalb kürzester Zeit ein heilloses Chaos anzurichten. Ich frage mich immer wieder, wie sie in ihrem Van Ordnung hält, der zugleich ihr Zuhause ist. Selbst nach ihren monatelangen Streifzügen durch Europa, wo sie irgendwelche Aufträge als Programmiererin annimmt, ist dort wundersamerweise alles noch fein säuberlich an seinem Platz. Anders als in unserer Rumpelkammer.
Als hätte sie meine Gedanken erraten, hebt Maxi den Zeigefinger. »Sag jetzt nichts! Ich räume morgen auf.«
Ich muss grinsen. »Ich habe nichts gesagt. Es ist dein Zimmer. Solange du willst. Und na ja, immerhin bringst du hier mal etwas frischen Wind rein.«
Maxi wühlt sich bereits durch die Klamottenberge, taucht dann nach einigem Suchen triumphierend wieder auf, hält etwas sehr Kleines, sehr Glitzerndes in der Hand und sieht mich freudestrahlend an.
»O nein, das ziehe ich ganz bestimmt nicht an. Da könnte ich ja gleich oben ohne gehen!«, protestiere ich und leere mein Sektglas.
Maxi zuckt mit den Achseln. »Jetzt probier es doch wenigstens mal an! Wir haben heute schließlich etwas zu feiern.« Auch sie trinkt aus. »Und wir brauchen Nachschub!«
Sie nimmt mir das leere Glas aus der Hand und tauscht es gegen den glitzernden Hauch von Nichts aus. Dann macht sie sich auf den Weg in die Küche, während ich kopfschüttelnd in mein Zimmer gehe.
Ich streife mir die kurzärmelige Bluse mit den kleinen Blümchen über den Kopf und hänge sie behutsam in den Schrank zurück, damit sie keine Falten bekommt. Vielleicht kann ich sie ja am Montag anziehen. An meinem ersten Arbeitstag in der neuen Klinik. Bei dem Gedanken an meinen neuen Traumjob stiehlt sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Oder ist sie zu »süß« für eine Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie in einer renommierten Privatklinik? Andererseits werde ich ohnehin den ganzen Tag meinen weißen Arztkittel tragen. Da ist es fast egal, was ich drunter anhabe. Hauptsache, ich fühle mich wohl. Und ich fühle mich sehr wohl. Als Ärztin.
Der glitzernde Fetzen Stoff in meinen Händen, der nur mit ein paar Bändern zusammengehalten wird, entspricht dagegen überhaupt nicht meinem Geschmack, auch wenn ich Maxi zustimme, dass das gewagte Oberteil besser zum Anlass passt als meine Blümchenbluse. Wir gehen gleich in den Club »Hilde«, wo wir mit ein paar ehemaligen Arbeitskollegen aus der Charité feiern wollen.
Als ich Maxis Schritte auf dem Flur höre, streife ich das Oberteil schnell über den Kopf, verheddere mich dabei aber in den Bändern.
»Das Teil muss irgendwie kaputt sein.«
Maxi lacht, und ich höre das Klirren der Gläser, als sie diese auf meiner Kommode neben der Tür abstellt. Da spüre ich auch schon ihre Hände an meinem Rücken. Sie ordnet die Schnüre und zieht eine Strähne meiner langen, schwarzen Locken darunter hervor. Dann pfeift sie anerkennend durch die Zähne.
»Wenn dich in dem Teil einer süß nennt, verliere ich den Glauben an die Männerwelt. Du siehst mega heiß aus.«
Unsicher drehe ich mich zum Spiegel und erkenne mich fast selbst nicht wieder. Der schimmernde, weich fallende Stoff bedeckt gerade eben meine Brust, endet knapp über dem Bauchnabel und wird am Rücken nur mit einer raffinierten Schnürung gehalten.
»Auf keinen Fall lasse ich das an. Man sieht meinen BH!«
»Dann zieh ihn aus. Sieht ohnehin besser aus.«
»Was? Nein.« Ich werfe einen prüfenden Blick in den Spiegel und muss wider Willen schmunzeln. »Ich weiß nicht.«
»Layla, na komm schon.«
Was soll’s? Ich gebe mir einen Ruck und streife den BH ab.
Natürlich sieht es besser aus. Ich weiß nur nicht, ob ich so vor meine ehemaligen Kollegen treten will.
»Ist das nicht zu … gewagt?« Ich verschränke die Arme vor der Brust.
»Blödsinn. Was ist los?« Maxi beobachtet mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ich zupfe unsicher an dem Oberteil herum. »Das bin nicht ich. Das ist so … auffällig. Ich fühle mich eh schon schlecht, weil ich den Job bekommen habe, um den sich einige der Leute, die heute Abend kommen, beworben haben. Wenn ich da so auftauche, werden mich alle für eine abgehobene Ziege halten.«
Maxi schaut mich an, als sei ich verrückt geworden. »Du hast eine Jeans an, und bei den Schuhen können wir ja das Funkeln etwas runterfahren. Sieht man bei dem Gedränge eh nicht.« Sie reicht mir mein Sektglas. »Und den Job hast du bekommen, weil du wahnsinnig smart und eine tolle Ärztin bist. Nicht, weil du schöne Brüste hast. Obwohl auch das zutrifft.« Sie zwinkert mir zu. »Außerdem wird heute gefeiert. Deine Freunde in Weiß werden hoffentlich Besseres zu tun haben, als über die Arbeit zu reden.«
Ich sehe noch einmal in den Spiegel, und ich muss zugeben: Mir gefällt, was ich sehe. Außerdem feiern wir heute den Beginn eines neuen Abschnitts in meinem Leben: den Beginn meiner Karriere. Da darf es zur Abwechslung mal ein bisschen auffällig sein. Oder?
Maxi stellt sich hinter mich. »Das Ding bleibt an, sonst erzähle ich allen, dass du den Job nur bekommen hast, weil du mit dem Chefarzt geschlafen hast.«
»Okay, okay.« Ich hebe lachend die Hände. »Es bleibt an.«
Ich bin so froh, dass Maxi heute hier in Berlin ist und mit mir ausgeht. In den letzten Monaten haben wir uns für meinen Geschmack eindeutig zu selten gesehen. Wir haben zwar oft miteinander telefoniert, aber ich kann nicht jede Woche in ein anderes Land reisen, um mich mit ihr auf einen Kaffee zu treffen, und wie es aussieht, gefällt Maxi ihr Nomadenleben. Manchmal frage ich mich allerdings, ob sie dabei wirklich glücklich ist oder ob sie einfach nur permanent Angst davor hat, etwas zu verpassen oder sich langfristig auf etwas – oder jemanden – einzulassen. Natürlich, sie ist frei und ungebunden, aber genau genommen ist sie auch allein.
Ein lautes Schnalzen reißt mich aus meinen Gedanken. »Harika! Layla, du siehst Hammer aus! Was habt ihr denn vor, Mädels?«
Ilkay steckt den Kopf ins Zimmer und grinst. Dann lehnt er sich an den Türrahmen und hebt vielsagend seine gekonnt gezupften Augenbrauen. Ich hatte nicht mal gehört, dass er nach Hause gekommen ist, und sehe mich schnell nach einer Strickjacke oder etwas Ähnlichem um, finde aber nur mein Glücksbärchi-Kuscheltier, das ich aus sentimentalen Gründen auf der Kommode platziert habe. Ich halte es mir vor den Bauch, als würde mich das irgendwie bedecken.
»Hey Ilkay, willst du auch ein Gläschen? Wir gehen nachher mit ein paar von Laylas Ex-Kollegen in die ›Hilde‹.« Maxi schwenkt auffordernd die Sektflasche, aber Ilkay schüttelt den Kopf.
»Danke, aber eure Götter in Weiß könnt ihr behalten. Ich habe gleich ein Date mit Enrico!« Er lächelt uns vielsagend an. Dann blickt er gespielt streng zu mir. »Und du, meine Liebe, übertreib es heute Nacht mal lieber nicht. Wir sind morgen bei deinen Eltern zum Mittagessen eingeladen. Da können wir nicht aus der Rolle fallen.« Er wendet sich zum Gehen. »Ich bin dann weg! Wünscht mir Glück.«
»Viel Glück!«, rufen wir ihm hinterher und stoßen an.
Auf den Stufen der engen Treppe, die hinab in die »Hilde« führt, spüre ich bereits die Bässe unter meinen Füßen. Die Beats wummern leise durch die isolierten Wände. Meine Laune steigt mit jedem Schritt ein bisschen mehr. Ich bleibe dicht hinter Maxi und quetsche mich an einem knutschenden Pärchen vorbei, das es sich auf den untersten Stufen bequem gemacht hat und im rötlichen Schummerlicht die Welt um sich herum längst vergessen hat. Dass sich die eintreffenden Gäste dadurch auf der Treppe etwas stauen, stört aber niemanden. Wer es bis hier unten an den Türstehern vorbei geschafft hat, hat es auch vor der massiven, leuchtend blau lackierten Stahltür, die in den Club führt, nicht mehr eilig. Maxi kämpft sich die letzten Meter hindurch, und wir treten endlich in das zuckende Licht hinein – werden vom Bass verschluckt.
»Wo sind denn nun deine Doktoren?« Maxi stellt sich auf die Zehenspitzen und versucht, einen Überblick über die Leute im Club zu bekommen.
Ich mustere die zu rhythmischen Beats zuckenden Menschen. »Noch keinen gesehen. Lass uns mal rüber neben die Tanzfläche gehen, vielleicht sitzen sie hinten in den Sesseln.«
»Aber erst mal holen wir uns noch was zu trinken!«
Wir bahnen uns einen Weg zur Bar, wo Maxi sofort den Blick des lässigen Barkeepers auf sich zieht. Ich frage mich wirklich, wie sie das immer macht, beschwere mich aber nicht, als der Typ uns kurz darauf zwei Gin Tonics auf den klebrigen Tresen stellt.
»Prost!«, schreit Maxi mir über die Musik hinweg zu und stößt mit ihrem Glas gegen meines.
Ich muss grinsen, als sie ihren Drink auf Ex runterkippt und dem Barkeeper, der mich an den jungen Kurt Cobain erinnert, mit knapper Geste zu verstehen gibt, dass er noch einen machen soll. Keine zwanzig Sekunden später stellt er ihr den zweiten Gin Tonic hin, was sie mit einer Kusshand quittiert.
Als sie ihm einen Fünfzig-Euro-Schein hinhält, winkt er ab. Maxi zwinkert ihm zu, dreht sich dann wieder zu mir und präsentiert ihm ihren makellosen Rücken. In dem schwarzen Top, das vorne hochgeschlossen und hinten offen ist und das ihren durchtrainierten Körper betont, sieht sie heute Abend unglaublich sexy aus. Kurt Cobain streift ihre Kehrseite mit einem begehrlichen Blick.
Ich habe mich noch nicht getraut, den Bolero über dem knappen Glitzertop auszuziehen, und fühle mich neben Maxi genauso unscheinbar wie erwartet.
Kurz entschlossen streife ich das dünne Jäckchen ab und stopfe es in meine Umhängetasche. Dann nehme ich einen tiefen Schluck aus meinem Glas und sondiere die Lage. Irgendwo müssen meine Ex-Kollegen schließlich sein.
Da habe ich plötzlich das Gefühl, beobachtet zu werden. Instinktiv wende ich den Kopf. Tatsächlich. Am anderen Ende der Bar steht ein Mann, den Arm locker auf der Theke abgelegt, und sieht mir direkt in die Augen.
Sein Blick verschlägt mir den Atem. Ich blinzle einige Male irritiert. Der Mann ist groß, schlank und definitiv trainiert. Die Muskeln seiner Oberarme und seine breite Brust zeichnen sich deutlich unter seinem dunklen Shirt ab. Sein dunkelblondes, halblanges Haar hat er sich aus dem Gesicht gestrichen, das markante Kinn wird von einem Dreitagebart bedeckt. Der Typ sieht aus wie ein Filmstar. Genau genommen erinnert er mich an den Schauspieler Chris Hemsworth. Und er sieht noch immer direkt zu mir.
Ein amüsiertes Lächeln schleicht sich jetzt auf sein Gesicht. Meint er mich? Oder doch Maxi, die sonst immer alle Blicke auf sich zieht? Ich bin verwirrt. Und verunsichert. Schnell sehe ich weg und drehe mich zu Maxi, die mir gerade von einem Vorfall in irgendeiner Kampfsportschule erzählt.
»… dann habe ich dem Typen eine verpasst und ihn aufs Kreuz gelegt. Sein Gesicht hättest du sehen sollen! Er hat wohl gedacht, ich bin da, um etwas zu lernen. Falsch gedacht, mein Freund.«
Ich höre nur mit halbem Ohr zu, immer wieder schweift mein Blick zu dem gut aussehenden Mann an der Bar, der keinerlei Hemmungen zu haben scheint, mich anzusehen. Denn inzwischen bin ich mir fast sicher, dass er wirklich mich ansieht. Jetzt hebt er sogar seine Bierflasche und prostet mir zu. Dann legt er seine Lippen an den Flaschenhals und nimmt einen tiefen Schluck, ohne mich aus den Augen zu lassen. Gebannt beobachte ich, wie sein Adamsapfel auf und ab gleitet. Ich hätte nie gedacht, dass es so sexy sein kann, wenn ein Mann Bier aus einer Flasche trinkt.
Mein Mund ist plötzlich ganz trocken, und ich nehme ebenfalls einen Schluck. Halte seinen Blick.
Er lächelt mich herausfordernd an. Plötzlich steigt eine beklemmende Nervosität in mir hoch. Will er etwa mit mir reden? Was soll ich bloß sagen, wenn er tatsächlich hierherkommt?
Schnell wende ich den Blick wieder ab und versuche, mich auf Maxi zu konzentrieren. Blöderweise hat meine Freundin inzwischen bemerkt, dass ich abgelenkt bin.
»Layla, mit wem flirtest du denn da?« Maxi folgt meinem Blick zur Bar, aber der Mann ist verschwunden, und ich weiß nicht, ob ich darüber erleichtert oder enttäuscht bin.
»Ähm …« Ich atme tief durch. »Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen.«
Maxi sieht mich eine Sekunde zweifelnd an, dann stellt sie ihr leeres Glas auf den Tresen.
»Genug gequatscht!«
Sofort beginnt sie sich im Takt der Musik zu bewegen, und zieht mich mit auf die Tanzfläche. Ich schließe die Augen und lasse mich ebenfalls von den Beats mitreißen. Eine gefühlte Ewigkeit war ich nicht mehr tanzen. Ich habe mich so sehr in mein Studium hineingesteigert und nach dem Abschluss mit Stellensuche beschäftigt, dass irgendwie nie Zeit zu feiern war. Aber meine harte Arbeit hat sich ausgezahlt. Der Gedanke an meinen neuen Job macht mich euphorisch, alle Zweifel fallen von mir ab. Ich fühle mich leicht, und ich genieße den Moment – das Gefühl der Bässe, die tief in meinem Bauch vibrieren, das leicht benebelte Gefühl, das der Alkohol in meinem Kopf hinterlassen hat, das zuckende Licht, das ich hinter meinen Augenlidern wahrnehme. Mein Körper passt sich wie selbstverständlich dem Rhythmus an, ich gebe mich einfach hin und tanze, verliere jedes Zeitgefühl.
»Layla!« Eine Männerstimme reißt mich aus meiner Trance. Ich drehe mich um und sehe Oliver, einen ehemaligen Kollegen aus der Charité, der inzwischen Notfallmediziner ist. Wir fallen uns freudig in die Arme.
»Wie schön, dich zu sehen!« Er strahlt erst mich, dann Maxi an. »Und was für eine wunderschöne Überraschung! Maxi!«
Dann bekommt auch sie eine Umarmung, die einen Moment länger dauert als meine, was Maxi nicht im Geringsten zu stören scheint.
»Ich dachte mir, je mehr, desto besser!« Ich schaue mich um. »Wo sind die anderen?«
Da kommen auch schon Emilia, ebenfalls eine Chirurgin, und Tim, ein HNO-Spezialist, auf mich zu. Wir umarmen uns zur Begrüßung.
»Wir sind gerade auf dem Weg zur kleinen Bar.« Oliver nimmt Maxi an die Hand, die das zu meiner Überraschung geschehen lässt. »Kommt mit. Da ist es nicht so voll.«
Ich merke, wie atemlos ich bin. »Okay, ich könnte was zu trinken vertragen.«
Wir drängen uns durch den künstlichen Nebel und das grelle Licht, das in rötlich-pinken Intervallen zuckt, und steuern die kleinere Bar am anderen Ende der »Hilde« an, wo es auf dem plüschigen roten Sofa und den abgewetzten Cocktailsesseln etwas ruhiger zugeht.
Die anderen sind schon weiter vorne, als ich mich noch an einer Gruppe smarter Mittzwanziger vorbeischiebe, die sich gerade zuprosten.
»Autsch«, schreie ich auf und registriere den Auslöser meines Schmerzes: der Ellbogen eines ziemlich grobschlächtigen Typen in einem grellen T-Shirt, der mich genau an der Schläfe getroffen hat. Er dreht sich zu mir um und grinst breit, als er mein wütendes Gesicht sieht. Dann taumelt er einen Schritt auf mich zu, beugt sich vor und brüllt mir ins Ohr: »Hat’s wehgetan? Sorry, war keine Absicht. Komm, ich gebe dir einen aus.«
Seine Wodkafahne nimmt mir fast den Atem.
»Nicht nötig«, zische ich und schaue nach Maxi und den anderen. Erleichtert entdecke ich sie an der Bar, Maxi winkt mir zu. Ich will mich gerade weiter zu ihr durchschieben, da packt mich der Typ am Arm.
»Nun stell dich nicht so an. Ich habe mich entschuldigt.«
Ich funkle ihn an und schüttle seine Hand ab. Doch er greift schon wieder nach meinem Arm. Diesmal fester. Mein Blick wandert wieder zu Maxi, doch im Gewühl kann ich weder sie noch die anderen entdecken.
Der Typ hält mich immer noch fest. Mein Versuch, seinen Klammergriff zu lösen, bleibt erfolglos.
»Lass sofort los!« Fassungslos starre ich ihn an.
»Sonst?« Er grinst noch breiter.
Seine Freunde scheinen nichts zu bemerken. Sie trinken lachend ihr Bier. Er drängt sich dicht an mich und wieder umhüllt mich sein widerlicher, abgestandener Geruch nach Alkohol und auch Schweiß. Sein Klammergriff tut weh. Langsam bekomme ich Panik.
»Gibt’s hier ein Problem?«
Ich fahre herum und blicke direkt in ein Paar tiefblaue Augen. Es sind dieselben, die mich zuvor an der Bar beobachtet haben. Doch der Mann hat seine sinnlichen Lippen nun zu einer schmalen, unbeirrbaren Linie zusammengepresst. Er blitzt den grobschlächtigen Kerl hinter mir kurz bedrohlich an.
Erleichterung durchflutet mich. Ich bekomme buchstäblich weiche Knie. Auch weil der Unbekannte von Nahem noch besser aussieht. Trotz der Dunkelheit, die nur durch die inzwischen bläulichen Lichter von der Tanzfläche und dem Schein einer schummrigen Stofflampe im Retro-Stil an der Bar erhellt wird, registriere ich die Entschlossenheit in seinen Augen.
Er wendet sich dem Kerl zu. »Lass sie sofort in Ruhe.«
Einen Moment später löst sich der Griff. Zum Glück hebt der Fiesling die Hände und sagt irgendwas, das ich nicht verstehen kann, bevor er sich an einem seiner Kumpel festkrallt und den dabei mit sich zieht.
Ich wende den Blick angeekelt ab und widme mich lieber meinem Helfer. »Danke für die Rettung.«
»Gern geschehen.« Die Gesichtszüge meines Retters entspannen sich. »An dem Kasper werden seine Freunde heute keine Freude mehr haben. In spätestens einer halben Stunde fliegt der hier raus.«
Ich muss auflachen. Das Gefühl ist befreiend, und auch mein Ärger über den Widerling ist wie weggeblasen, als ich in die funkelnden blauen Augen meines Retters schaue. Dafür macht sich jetzt ein warmes Gefühl in meinem Körper breit.
»Schön, dass wir uns wiedersehen. Ich bin Gabriel.«
Ich mag, wie er das R rollt. Er kommt definitiv nicht aus Berlin, eher aus Süddeutschland oder der Schweiz. Seine Worte klingen angenehm ruhig und irgendwie sinnlich.
»Ich heiße Layla. Nochmals vielen Dank. Für die Rettung.« Stocksteifer hätte ich wohl nicht antworten können.
Er schaut mich trotzdem interessiert an. »Bist du okay? Der Typ hat dich ziemlich hart am Kopf erwischt. Soll ich mir das mal anschauen?«
Ich winke ab. »Alles gut. Wird schon kein Subduralhämatom werden«, entfährt es mir. Was rede ich da? Als ob er wüsste, was eine Einblutung zwischen zwei Hirnhäuten ist.
Diesmal lacht er überrascht auf. »Wie ich sehe, brauchst du keine Diagnose. Bist du etwa auch Ärztin?«
Natürlich ist auch sein Lachen wunderschön, und ich merke, wie ich einen Schritt auf ihn zu mache. »Na ja … noch nicht wirklich. Also, noch nicht lange. Ich … Ich habe gerade meinen Facharzt gemacht.« Und warum kann ich auf einmal nicht mehr normal sprechen?
Ein Blick in sein makelloses Gesicht gibt mir die Antwort, und dieses leichte Kribbeln in der Magengegend, das gerade einsetzt, ist auch ziemlich verwirrend.
Er beugt sich etwas zu mir herunter. »Welche Richtung?«
»Plastische und Ästhetische Chirurgie.« Nervös streiche ich mir eine vom Tanzen noch feuchte Strähne hinters Ohr.
Er hebt überrascht die Augenbrauen. »Dann sind wir ja quasi Kollegen. An welcher Klinik hast du deine Facharztausbildung gemacht?«
»An der Charité.« Ist es hier im Club gerade heißer geworden?
»Da stehen dir ja jetzt wirklich alle Türen offen.« Er sieht mir tief in die Augen, und ich spüre, wie mein Herz anfängt, schneller zu schlagen. »Du wohnst also hier in Berlin?«
»Ja, ich bin heute mit ein paar ehemaligen Studienkollegen hier, die ich aber gerade alle irgendwie aus den Augen verloren habe.«
Verlegen sehe ich mich im Club um und entdecke erleichtert genau in dem Moment Oliver, der neben Maxi an der Bar steht.
Ich wende mich wieder an Gabriel. »Wie es aussieht, sind heute überdurchschnittlich viele Ärzte hier. Chirurgen, Notfallmediziner, HNO-Spezialisten … Die Leute wissen gar nicht, wie sicher sie im Moment sind.« Was rede ich da?
Mein Geschwafel scheint Gabriel zum Glück nicht zu irritieren, denn er schaut mich weiterhin aufmerksam an und wartet offenbar, dass ich weiterspreche. Aber mir fällt nichts Geistreiches ein.
»Und du?«, frage ich daher.
Er lächelt amüsiert. »Dasselbe wie du. Schönheitschirurg. Ich habe lange in München gearbeitet. Jetzt hat es mich nach Berlin verschlagen. Heute Abend hat mich eine alte Freundin hierher geschleppt, weil sie meinte, ich müsste mehr feiern und weniger arbeiten.«
»Eine Freundin?«, entfährt es mir.
»Eine alte Freundin, die verheiratet ist. Nicht mit mir.« Seine tiefblauen Augen funkeln mich an.
»Gut. Ich meine, schön für sie. Für dich.« Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden.
Er lacht, und mir fällt auf, dass er nicht nur einen sehr sinnlichen Mund, sondern auch leicht spitze Eckzähne hat, die ihm etwas Diabolisches verleihen. Wie die sich wohl anfühlen, wenn sie ganz sacht über die zarte Haut am Hals gleiten? Plötzlich werden nicht mehr nur meine Wangen heiß, und ich schiebe die Vorstellung schnell weg, versuche mich stattdessen wieder auf das Gespräch zu konzentrieren, was mir nicht leichtfällt.
»Ich bin auch nicht besonders oft aus.« Sofort ohrfeige ich mich innerlich für diesen dämlichen Satz. Ich könnte ihm auch direkt sagen, dass ich eine langweilige Streberin bin, die lieber an ihrer Karriere arbeitet, als Spaß zu haben. Aber zu meiner Überraschung habe ich noch immer seine volle Aufmerksamkeit.
»Welch wundervoller Zufall, dass wir dann beide heute hier gelandet sind.« Sein Lächeln wirkt aufrichtig.
Doch dann gleitet sein Blick kurz über mein freizügiges, glitzerndes Oberteil, und ich ahne, warum er trotz meines wirren Gebrabbels noch immer mit mir flirtet. Die Erkenntnis versetzt mir einen kleinen Stich, aber eigentlich sollte mir das nicht nur egal sein, sondern sogar recht. Ich suche heute Nacht keinen Ehemann, ich will feiern und einfach nur Spaß haben. Warum also nicht mit Gabriel?
Ich lächle ihn versonnen an. »Ja, ein wundervoller Zufall.«
Es wird mit jeder Minute enger im Club, und Gabriel rückt noch näher an mich heran. Mir wird heiß, und diesmal weiß ich definitiv, dass er der Grund dafür ist. Er riecht dezent und etwas herb nach Aftershave und Pfefferminz, mir fällt kein anderes Wort als »männlich« dafür ein. Und »gut«, »sehr gut« sogar. Ich atme tief ein.
Wir stehen jetzt so eng beieinander, dass wir uns kurz berühren, als sich jemand hinter mir vorbeidrängt. Dann sehen wir uns einen Moment lang schweigend an. Wäre es seltsam, ihn jetzt einfach zu küssen?
Noch bevor ich eine Antwort auf die Frage bekomme, hält Gabriel mir auffordernd die Hand hin. Ich bemerke zufrieden, dass er keinen Ring trägt.
»Wollen wir tanzen?«
Tanzen ist auch gut. Ich ergreife seine warme, kräftige Hand. Sie fühlt sich gut an.
Wir gehen gemeinsam an den Rand der Tanzfläche, wobei inzwischen eigentlich der ganze Raum ausgelassen tanzt, weshalb wir an der Wand stehen bleiben. In einiger Entfernung entdecke ich Maxi und Oliver, die … sich eng umschlungen zur Musik bewegen. Wann ist das denn passiert? Sie sind so vertieft, dass sie uns gar nicht bemerken.
Gabriel folgt meinem Blick. »Freunde von dir?«
Ich nicke und bleibe unsicher neben ihm stehen. Er beugt sich zu mir, sein Mund streift mein Ohr, seine Stimme klingt sanft und tief. »Vielleicht doch ein bisschen voll. Lass uns lieber hier hinten bleiben, okay?«
»Ja. Gerne.«
Das Licht zuckt über unsere Gesichter, als wir uns nebeneinander an die Wand lehnen und die Leute im Club beobachten. Doch ich nehme ohnehin nicht viel von meiner Umgebung wahr, denn Gabriel hält noch immer wie selbstverständlich meine Hand. Ich schaue verstohlen zu ihm und stelle fest, dass er mich beobachtet. Die Beats wummern, der Nebel zieht zu uns hinüber, und bei seinem Anblick breitet sich schon wieder diese Wärme in mir aus.
Gabriel schaut mir tief in die Augen, und ich mag es, wie er mich ansieht. Sehr sogar. Dann zieht er mich langsam zu sich heran. Ich folge seiner Bewegung und lege meine Hände an seine Hüfte, bin ihm plötzlich so nah. Ich spüre, wie er sanft meinen Rücken streichelt und mit den Fingerspitzen über die nackte Haut zwischen der Schnürung fährt. Seine Berührung jagt einen heißen Schauer durch meinen Körper, und wir beginnen uns leicht im Rhythmus der Musik zu wiegen, wobei wir uns mit jeder Bewegung näher kommen. Meine Hände verlassen seine Hüften, gleiten nach oben, über seine durchtrainierten Arme, die mich umschließen, und bleiben an seinen Schultern liegen. Wir sehen uns noch immer an, sind nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt, und ich bin unendlich nervös. Da streicht er eine Strähne aus meinem Gesicht und berührt zärtlich meine Wange. Seine Augen funkeln, als er sich nun etwas zu mir beugt und mit seinen Lippen sanft meinen Mund berührt. Tastend. Unendlich verlockend. Ich schließe die Augen und erwidere den zarten Kuss, erkunde seine warmen Lippen, während mein Herz immer schneller zwischen meinen Rippen schlägt. Wir küssen uns zunächst vorsichtig, langsam, kosten den Moment aus, doch schon bald begehrt seine Zunge Einlass, und ich öffne mich für ihn. Wir verschmelzen miteinander, und unser Kuss gewinnt sofort an Tiefe. Meine Hände fahren in sein weiches, volles Haar, und seine sanften, aber fordernden Lippen schalten jeden Gedanken an die Umgebung bei mir aus. Ich spüre seine Hände, die langsam über meinen Rücken wandern und schließlich meine Taille umfassen. Seine Finger hinterlassen dabei eine Spur des Verlangens, die meine Knie weich werden lässt. Ich sinke immer tiefer in dieses sinnliche Spiel, bekomme nicht genug davon, während sich in mir eine Woge der Lust aufbaut, von mir Besitz ergreift. Längst habe ich die Welt um uns herum vergessen, und ohne dass wir unseren Kuss unterbrechen, taumeln wir ein kleines Stück weiter, bis wir in einer Ecke Halt finden, die vor den Lichtern und Blicken von der Tanzfläche geschützt ist.
Wir küssen uns leidenschaftlich, hemmungslos, unser Atem geht schnell, und ich kann nicht anders, schiebe meine Hände seitlich unter sein T-Shirt und ertaste seinen durchtrainierten, warmen Oberkörper. Er stöhnt leicht auf, als ich mit meinen Fingerspitzen über seine Brust fahre, und zieht mich noch näher an sich. Da spüre ich seine Erregung, und sofort breitet sich ein heißes Ziehen in meinem Bauch aus.
»O mein Gott, Layla«, keucht er heiser und fährt mit der Hand über meine Taille, streift mit dem Daumen meine Brust. »Komm, wir verschwinden.«
Alles in mir sagt Ja. Doch als er meine Hand nimmt und sich von mir löst, bekomme ich plötzlich Skrupel. Was mache ich hier?
Natürlich, ich wünsche mir im Moment nichts mehr, als die Nacht mit diesem umwerfenden Mann zu verbringen, aber ich habe so etwas noch nie getan. Noch nie habe ich so auf einen Mann reagiert, und noch nie bin ich mit einem Fremden mitgegangen! Ich kenne nicht einmal seinen Nachnamen. Und was ist mit den anderen und mit Maxi? Gut, sie hat einen eigenen Schlüssel, während sie bei uns wohnt, und meine Ex-Kollegen sehe ich in ein paar Wochen wieder, mit einer spannenden Anekdote mehr, aber – wenn ich ehrlich bin – will ich nicht, dass Gabriel nur eine Anekdote ist. Will er nur eine Nacht? Oder mehr? Was, wenn ich ihn danach nie wieder sehe? Und was, wenn ich ihn wiedersehe? Denn ich glaube, ich will ihn wiedersehen. Und vielleicht will er es auch. Aber wie soll ich ihm dann erklären, dass wir uns trotzdem nicht wiedersehen können oder uns nur heimlich treffen können? Würde er sich darauf einlassen? Würde er dankend ablehnen?
Gabriel scheint mein Zögern zu spüren. »Was ist? Geht es dir nicht gut?«
Sein besorgter Blick macht es mir nicht leichter. Plötzlich spüre ich Tränen aufsteigen, die ich schnell wegblinzle, und ich fühle mich beschämt. Ich würde ihm gerne sagen, dass ich Angst habe, etwas zu zerstören, wenn ich jetzt mit ihm mitgehe. Ich würde ihm gerne sagen, dass mein Leben ziemlich kompliziert ist. Dass ich da in etwas reingerutscht bin, aus dem ich jetzt nicht mehr so einfach rauskomme. Aber ich traue mich nicht.
Er sieht mich erwartungsvoll an, und ich fühle mich wie in der ersten Klasse, als ich mich im Schwimmunterricht nicht getraut habe, vom Ein-Meter-Brett zu springen und vor den Blicken aller anderen wieder hinabgestiegen bin. Ich habe mir geschworen, mich nie wieder in so eine Situation zu bringen. Dann lieber gar nicht erst versuchen.
»Es tut mir leid, ich kann das nicht. Ich … Ich muss jetzt nach Hause.«
Zu meiner Überraschung wirkt Gabriel weder irritiert noch gekränkt. Sein Haar steht etwas strubbelig zu allen Seiten ab. Ich lasse meine Hand darüber gleiten und glätte die Strähnen.
Er nickt und lächelt mich zärtlich an. »Komm, ich bring dich raus.«
Erleichtert, dass er mir meinen Rückzieher nicht übel nimmt, ergreife ich seine dargebotene Hand und lasse mich von ihm zum Ausgang und die jetzt verlassenen, steilen Stufen hoch auf die Straße führen. Kurz überkommt mich ein schlechtes Gewissen, weil ich Maxi nicht Bescheid gesagt habe, dass ich gehe, beschließe dann aber, ihr gleich im Taxi eine Nachricht zu schreiben.
Die Luft hat merklich abgekühlt, seit wir vor Stunden den Club betreten haben, und ich fühle mich mit einem Mal völlig nüchtern.
Außer uns stehen vereinzelt kleine Grüppchen im Dämmerlicht der Straßenbeleuchtung zusammen. Einige rauchen, andere unterhalten sich. Ich will gar nicht wissen, ob es Freunde, Liebespaare oder Drogendealer sind.
Wir gehen Hand in Hand an den Leuten vorbei zu einem der Taxis, die am Straßenrand auf Kundschaft warten, und Gabriel öffnet die Tür für mich.
Ich atme tief durch. »Es war wirklich schön, dich …«
»Layla, warte.« Er fährt sich mit der Hand durchs Haar, eine fast unsichere, schüchterne Geste. Ich trete näher an ihn heran, kann sofort wieder die Hitze seines Körpers spüren. Ohne weiter darüber nachzudenken, stelle ich mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn. Zum Abschied.
Gabriel reagiert sofort und zieht mich an sich. Er erwidert den Kuss vorsichtig, zärtlich.
Ich seufze leise und löse mich von ihm.
Gabriel sieht mich aus funkelnden Augen an. »Ich will dich wiedersehen. Gibst du mir deine Nummer?«
Ich wache verschwitzt und mit klopfendem Herzen nach nur wenigen Stunden Schlaf auf und brauche einen kurzen Moment, um zu realisieren, wo ich bin. Die leidenschaftlichen Küsse meines Retters haben mich bis in meine Träume begleitet. Darin sind wir zusammen mit dem Taxi weggefahren, haben auf der Rückbank heimlich dort weitergemacht, wo wir im Club aufgehört haben, und uns dabei heiße Versprechen ins Ohr geflüstert, die wir dann später im Bett gegenseitig einlösten. Vereinzelt kommen die Bilder zurück: viel nackte Haut, sein brennender Blick, seine hungrigen Lippen, seine starken Hände, seine geschickten Finger, die Dinge mit mir angestellt haben, die mich jetzt erröten lassen, und sofort breitet sich wieder ein sehnsüchtiges Ziehen in meinem Unterleib aus.
Aber es war nur ein Traum. Nichts davon war echt. Na ja, zumindest nicht alles davon. Gabriel selbst existiert. Unsere Küsse im Club sind wirklich passiert, und mit einem leisen Seufzen erinnere ich mich wieder an seinen herb-männlichen Duft und an seine funkelnden, tiefblauen Augen, als er mich zum Abschied nach meiner Nummer gefragt hat.
Ich richte mich ruckartig auf, krame nach meinem Handy und starre darauf. Keine Nachricht von ihm. Sofort macht sich Enttäuschung in mir breit, obwohl es Erleichterung sein sollte. Ich habe Gabriel absichtlich nicht nach seiner Nummer gefragt, weil ich ihn nicht wiedersehen kann. So attraktiv und anziehend er ist, so schlecht passt er momentan in mein Leben. Das mit Gabriel war eine schöne Nacht, aber mehr auch nicht. Das könnte ich Ilkay nicht antun. Wir haben einen Deal, und ich werde mich daran halten.
Entschlossen springe ich auf und ziehe meine Sportsachen und die Laufschuhe an. An Schlaf ist jetzt ohnehin nicht mehr zu denken, und ich weiß: Spätestens, wenn ich am Treptower Park ankomme und die klare Morgenluft einatme, ist mein Kopf so leer, dass ich mich wieder auf das fokussieren kann, was wirklich zählt: Heute ist das der Besuch bei meiner Familie, und morgen steht mein erster Arbeitstag im neuen Job an. Da kann ich mir ohnehin keine Ablenkung erlauben.
Als ich eine gute Stunde später erschöpft die Wohnungstür aufschließe, wummert mir aus Ilkays Zimmer ein türkischer Popsong entgegen. Die Tür zum Gästezimmer ist geschlossen. Maxi muss nach Hause gekommen sein, als ich unterwegs war, denn vorhin stand ihre Tür noch offen – und ihr Bett war unberührt. Als ich ihr heute Nacht im Taxi eine Nachricht schreiben wollte, hatte ich schon eine von ihr erhalten, in der stand, dass sie mit Oliver noch weitergezogen sei.
Ich hole eine Flasche Wasser aus der Küche und suche mir frische Klamotten raus, bevor ich duschen gehe. Der Badezimmerspiegel ist beschlagen, und es riecht aufdringlich nach dem Rasierwasser, das meine Eltern Ilkay voriges Jahr zu Weihnachten geschenkt haben. Ich mag den schweren, süßlichen Duft nicht, der so gar nicht zu meinem eher flippigen Freund passt. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass er ihn immer nur dann anlegt, wenn wir gemeinsam zu meinen Eltern fahren.
Als ich zwanzig Minuten später mit roten Wangen und noch feuchten Haaren aus dem Bad komme, steht Ilkay bereits angezogen und mit einem überraschend ernsten Gesichtsausdruck im Flur und fummelt an seinem Handy herum.
»Ich will dich nicht hetzen, aber wir sind spät dran.«
»Gib mir drei Minuten, ich bin gleich fertig. Und seit wann hast du es so eilig, zu meinen Eltern zu kommen?«
Ilkay ist nicht für seine Pünktlichkeit bekannt. Normalerweise bin ich diejenige, die ihn antreibt.
Plötzlich schleicht sich ein vielsagendes Grinsen auf seine Lippen, und mir dämmert, was der Grund ist.
»Den Gesichtsausdruck kenne ich. Du hast noch ein Date heute Nachmittag, oder?«
»Exakt. Mit Mike. Ich würde gerne um spätestens 16 Uhr wieder fahren. Meinst du, das können wir deiner Anne zumuten?«
»Meine Mutter wird es überleben. Aber wer ist Mike? Und was ist mit Enrico?«
Ilkay verdreht die Augen und winkt ausweichend ab. »Ach, Enrico … Der macht mich fertig. Er weiß einfach nicht, was er will. Aber jetzt lasse ich ihn zur Abwechslung mal schmoren. Komm, lass uns endlich losfahren.«
Ich verschwinde in meinem Zimmer, schlüpfe schnell in eine bequeme Jeans und ziehe einen hellgrünen Cardigan über die Blümchenbluse. Mein noch immer feuchtes, schwarzes, langes Haar flechte ich zu einem losen Zopf, der mir über die Schulter fällt. Zufrieden lächle ich meinem Spiegelbild entgegen.
»Layla!«
Ich kann ein Kichern nicht unterdrücken, Ilkay klingt jetzt richtig gestresst. Ich verlasse schnell mein Zimmer und folge ihm durch die Wohnungstür, während er nervös auf sein Handy starrt. Als wir das kühle Mietshaus mit seinen massiven Altbaumauern verlassen, schlägt mir sofort die Kreuzberger Mittagshitze ins Gesicht. Es riecht nach exotisch gewürztem Mittagessen und heißem Asphalt.
»Los, los, los. Das Carsharing-Auto steht um die Ecke, aber die Reservierung läuft gleich ab.«
Ich bleibe abrupt stehen. »Du willst mit dem Auto fahren? Heute ist Flohmarkt am Hermannplatz. Da stehen wir Stunden im Stau.«
»Na, wie denn sonst? Bei 40 Grad im Schatten fahre ich bestimmt nicht mit dem Rad. Wozu habe ich gerade geduscht und mich für deine Eltern hübsch gemacht? Nun komm schon. Da ist unser Auto.«
Er zeigt auf das große, schwarze BMW-Cabrio mit dem breiten Carsharing-Schriftzug, das auf der anderen Straßenseite steht und mir inzwischen verdächtig bekannt vorkommt.
Natürlich ist die Hitze nicht der Grund dafür, dass er unbedingt mit dem Auto fahren will. In den letzten Wochen hat er immer wieder eine Ausrede gefunden, die drei Kilometer von unserer Wohnung in Kreuzberg am Schlesischen Tor zu meinen Eltern nach Neukölln mit dem schwarzen BMW zurückzulegen. Vergangenen Sonntag klagte er über Muskelschmerzen, die Woche davor waren angeblich schwere Gewitter angekündigt. Heute ist es also die Hitze.
Als er mit leuchtenden Augen die Tür öffnet, verkneife ich mir aber eine Standpauke über Umweltschutz und Verkehrsaufkommen in Großstädten. Sein größter Traum ist ein eigenes Auto, und ich werde ihm seine Freude daran nicht nehmen.
»Na, wie viele Wohnungen musst du noch vermitteln, bis du dir deinen eigenen BMW leisten kannst?«, necke ich ihn stattdessen, während wir einsteigen. »Lief doch eigentlich super in letzter Zeit, oder?«
»Exakt. Mit ein bisschen Glück kann ich mir bald einen M5 leisten.« Er grinst wieder und schaut mich mit diesem jungenhaften Charme an, dem niemand widerstehen kann. »Vielleicht können wir demnächst sogar in eine größere Wohnung umziehen. Die Bude nervt mich irgendwie an.«
»Und wer soll die große Wohnung dann putzen? Oder können wir uns jetzt auch Personal leisten? Oder – und ich wage es nicht auszusprechen – hast du vor, auch mal selbst den Staubsauger in die Hand zu nehmen?«
»Wer weiß? Außerdem: Ich habe dafür jahrelang mehr Miete gezahlt!«
»Und deshalb darf ich putzen?«
»Ich zwinge dich nicht.«
Dieses Geplänkel ist typisch für uns. Wir sind mehr als nur Mitbewohner, wir sind Freunde. Aber ich fühle mich Ilkay gegenüber verpflichtet, als wäre er mein Bruder. Schließlich hat meine Familie ihn aufgenommen, als er damals mit gerade mal sechzehn Jahren aus der ostanatolischen Provinz Ardahan nach Berlin kam. Seine Eltern hatten ihm all ihr Erspartes mitgegeben, damit er sich hier eine Zukunft aufbauen kann. Wir haben uns vom ersten Moment an gut verstanden. Dass meine Eltern irgendwann dachten, wir hätten uns ineinander verliebt, hat uns auf eine Idee gebracht, die uns damals sehr gut vorkam. Ich wollte studieren und mehr Freiheiten, er hat es nie übers Herz gebracht, seiner Mutter zu sagen, dass er Männer liebt und keine Kinder haben möchte. Jeder für sich hätte bei solchen Lebensentwürfen mit einigem Gegenwind rechnen müssen, als Paar lösten sich unsere Probleme in Luft auf. Meine Eltern sind sehr modern eingestellt, aber allein leben hätte ich dann doch nicht dürfen. Anfangs hatte ich natürlich Skrupel, meine Eltern und vor allem meine Schwester so zu belügen, aber alle waren immer so glücklich mit der Situation, dass ich nicht daran rühren wollte. Unser Zusammenleben in der WG hat sich seither jedenfalls als gut funktionierendes Modell für uns beide erwiesen.
Bis gestern.
Ilkay steuert das Cabrio gekonnt durch die überfüllten Straßen. Wegen der vielen Bauprojekte hier im Kiez weichen die Fußgänger und Radfahrer ständig auf die Straße aus, und wir müssen immer wieder warten, bis wieder freie Bahn herrscht. Wir nehmen den Umweg über Treptow, und ich lasse mich in den Sitz sinken, während wir wie erwartet dann auch noch im Stau landen.
Meine Gedanken wandern immer wieder zu Gabriel. Ich checke mein Handy – noch immer keine Nachricht.
Ilkay hat mich beobachtet und hebt die Augenbrauen. »Wie war es gestern eigentlich mit deinen Medizinern? Du warst lange weg. Also, für deine Verhältnisse. Hast du jemanden kennengelernt?«
»Nein.« Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Dann wird mir bewusst, neben wem ich hier im Auto sitze, und ich entspanne etwas. »Na ja, vielleicht.«
In den vergangenen Jahren, die wir nun als vermeintliches Paar zusammenleben, habe ich noch nie mehr als einen kurzen Flirt mit einem Mann gehabt. Wenn Ilkay und ich über Männer geredet haben, dann immer nur über seine Lover. »Und?« Er behält die Straße im Blick.
»Wir haben ein bisschen geflirtet, und dann bin ich nach Hause gefahren.«
»Was?« Jetzt sieht er mich doch enttäuscht an. »Warum?«
»Darum. Ich konzentriere mich jetzt erst mal auf den neuen Job. Da kann ich keine Ablenkung brauchen.«
Ilkay lacht kurz und wirft mir einen skeptischen Blick zu. »Versuchst du gerade, mich zu überzeugen oder dich selbst?«
Ertappt wende ich mich ab. Der Stau hat sich aufgelöst, und ich suche in den vorbeiflitzenden Häusern nach einem anderen Thema, um nicht über Gabriel sprechen zu müssen.
An einer roten Ampel bleibt mein Blick an einer Gruppe Hipster hängen, die in einem angrenzenden Park im Schatten einer alten Linde Bier trinken und Tischtennis spielen. Ich nutze die Wartezeit und verfolge das rhythmische Ping-Pong des kleinen, weißen Balls, der immer wieder hin und her gespielt wird. Als er im Aus landet, grölen die Typen auf.
Ilkay biegt in die Straße meiner Eltern ein und steuert einen Parkplatz direkt vor der Tür an. Als er den Motor abschaltet, dreht er sich zu mir um. Sein Gesichtsausdruck ist ernst geworden.
»Meinst du nicht, wir sollten es ihnen endlich sagen?«
Ich schaue aus dem Fenster und beobachte einen Hund, der sein Geschäft an einem Baum verrichtet, wo es natürlich liegen bleibt.
»Wem sollen wir was sagen?«
»Du weißt genau, was ich meine, Layla. Deinen Eltern. Meiner Mutter. Dass wir kein Paar sind.«
Allein der Gedanke an dieses Gespräch verursacht ein fieses Ziehen in meinem Magen. Ich schüttle vehement den Kopf.
»Heute ist nicht der richtige Tag dafür. Meine Anne hat Schmerzen an der Hüfte. Sie ist doch vorige Woche beim Einkaufen gestürzt. Ich kann ihr das gerade nicht zumuten.«
Ilkay verzieht das Gesicht. »Irgendwas ist immer.«
»Wie stellst du dir das denn vor? Soll ich da jetzt reingehen und sagen: Baba, übrigens ist das hier gar nicht mein fester Freund, sondern nur mein bester Freund, der aber schwul ist? Und als ihr damals dachtet, dass wir ein Paar sind, habe ich das nicht aufgeklärt, weil sich Anne so gefreut hat und ich endlich in eine eigene Wohnung ziehen konnte?«
»Natürlich nicht. Und ich weiß genau, du hast das damals auch gemacht, um mich zu schützen. Meine Zeit in Berlin wäre vorbei gewesen, wenn meine Familie die Wahrheit erfahren hätte. Aber ich habe inzwischen ein eigenes Leben – hier – auch ohne dich, und ich habe Angst, dass unser kleines Geheimnis dich davon abhält, dein eigenes Leben zu führen. Was, wenn du dich wirklich irgendwann in einen Mann verliebst? Was dann? Das kann doch nicht ewig so weitergehen.«
»Ich bin nicht verliebt, und ein Mann ist momentan das Letzte, was ich brauche. Und du? Was glaubst du, was passiert, wenn deine Mutter erfährt, dass du sie jahrelang angelogen hast?« Mit einem Ruck öffne ich die Autotür. Eine Hitzewelle schlägt mir entgegen, als ich den kühlen, klimatisierten Wagen verlasse.
»Layla, warte.« Er folgt mir, legt freundschaftlich den Arm um meine Schulter und zieht mich über die Straße zu dem grau verputzten, unauffälligen Altbau-Mehrfamilienhaus, das eingepfercht zwischen einem schick restaurierten Stuckgebäude und einem schlichten Neubau steht. Nebenan befindet sich, seit ich denken kann, im Erdgeschoss ein überteuerter Gemüseladen, der eher ein Spätkauf ist und wo meine Eltern nur im allergrößten Notfall mal Zwiebeln oder Milch kaufen. Die Ware ist nicht immer ganz frisch. Ich mag aber den Duft von Mandarinen und Gewürzen, der rund um die Uhr herüberzieht, wenn man vor unserer Haustür steht.
»Ich denke, meine Mutter wird es überleben. Und vielleicht traust du deinen Eltern einfach zu wenig zu. Aber keine Sorge: Es ist deine Entscheidung. Ich esse gerne Mittag bei deiner Familie, Schatz, solange ich pünktlich zu meinem Date komme.«
»Pscht. Nicht jetzt, okay?«
Mit einem Nicken deute ich auf die Balkontür zur Erdgeschosswohnung meiner Eltern, die weit geöffnet ist. Bevor er etwas sagen kann, drücke ich den Klingelknopf mit dem Namen »Sahin«.