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Das Biest von Lenox Hill nennt ihn die Presse, weil Rhydian Blackwell, das einstige männliche Top-Model Amerikas, durch einen tragischen Unfall verunstaltet wurde und seitdem die Öffentlichkeit meidet. Er lebt für sein Unternehmen, das er mit harter, aber gerechter Hand führt. Er ist mein Boss oder genauer gesagt der Boss meines Bosses. Und er ist der Mann, neben dem ich aufwache, nachdem ich mich aufgrund des arschlochhaften Verhaltens meines Ex-Freundes in einer Bar betrunken hatte.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Evelyne Amara
Beauty and the Billionaire
Billionaires and the City 2
Impressum
Copyright 14. August 2020 Evelyne Amara
Coverfotos: kiukson /Fotolia (Adobe Stock).
New York City Picture: kovgabor79/Fotolia/Adobe Stock
Korrektorat: Jörg Querner / Lektorat Anti-Fehlerteufel
Coverdesign: Evelyne Amara
www.evelyne-amara.com
Evelyne Amara
c/o Autorenservice Gorischek
Am Rinnersgrund 14/5
8101 Gratkorn
Österreich
Kapitel 1
Avalyn
Den ganzen Tag habe ich mich auf den Abend gefreut. Nun, da er endlich gekommen ist, sitze ich aufgeregt an dem Tisch, den mein Freund Bentley für uns in unserem Lieblingsrestaurant reserviert hat, und warte auf ihn.
Mein dunkelbraunes Haar habe ich mit einer goldenen Spange hochgesteckt. Ich trage ein wunderschönes, rotes Kleid mit einem herzförmigen Ausschnitt, das ich mir extra zu diesem Anlass gekauft habe.
Nicht an jedem Tag feiert man sein zehnjähriges Jubiläum. Heute ist ein besonderer Tag, zumal ich vor zwei Wochen zufällig beim Aufräumen die Kreditkartenauszüge meines Freundes fand.
Natürlich stöberte ich nicht in seinen Sachen herum, aber sie lagen einfach im Schlafzimmer herum, das ich immer gerne ordentlich halte, weil ich sonst nicht so gut schlafen kann. Dabei sprang mir die Summe von 2.400 Dollar förmlich ins Auge, die er bei einem bekannten New Yorker Juwelier ausgegeben hat.
Das hat er zwei Wochen vor unserem Jubiläum getan. Wenn das nichts bedeutet … Wir sind zusammen, seit ich neunzehn und er zweiundzwanzig war. Heute besiegelt er diese lange Liebe mit einem Heiratsantrag.
Er ist mein zweiter Freund. Meine erste Beziehung hatte ich während meiner Highschoolzeit. Sie dauerte nur fünf Monate.
Schon die ganze Woche bin ich aufgeregt und voller Vorfreude. Heute ist es endlich so weit. Jedes Jahr haben wir unsere Jubiläen im Angelos’ gefeiert, dem beliebten Italiener in Manhattan.
Bentley musste heute länger in der Firma bleiben, da es noch eine Team-Besprechung gab. Meist ist er im Außendienst tätig und verkauft Versicherungen. Vorhin hat er mir eine SMS geschickt. Er ist jetzt auf dem Weg zu mir. Ich soll mir keine Sorgen machen.
Da er jeden Moment kommen wird, habe ich bereits Bentleys Lieblingswein Campo Viejo Rioja Tempranillo bestellt. Einen anderen rührt er nicht an. Ein livrierter Diener schenkt ihn soeben in die langstieligen Gläser, als Bentley das Restaurant betritt.
Unser Tisch, an dem wir immer sitzen, befindet sich in einer Ecke des Restaurants. Ein elegantes, weißes Tischtuch, ein silberner Kerzenleuchter mit drei cremefarbenen Kerzen und burgunderrote Servietten befinden sich darauf.
Bentley wirkt ein wenig gehetzt im gedämpften Licht. Offenbar hat er sich beeilt, um möglichst rasch bei mir sein zu können. Sein mittelbraunes Haar ist trotz allem vorbildlich gestylt. Insgesamt verspätet er sich nur eine Viertelstunde.
»Guten Abend, Avalyn. Es tut mir leid, dass ich zu spät komme.« Er beugt sich zu mir vor, um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben. Seine dunklen Augen huschen dabei über mich und bleiben kurz am Ausschnitt meines Kleides hängen. Ich bemerke, dass sein Atem nach Alkohol riecht. Seine Augen wirken leicht glasig.
»Hast du etwas getrunken?«, frage ich ihn.
Bentley wirkt verlegen. »Auf dem Weg hierher habe ich in der Subway den einen oder anderen Shot getrunken.« Offenbar hat er sich Mut angetrunken.
Der Kellner reicht uns die Karten und zieht sich dann diskret zurück, damit wir uns in Ruhe begrüßen und unsere Gerichte aussuchen können.
Vermutlich bestellt Bentley wieder seine geliebten Spaghetti Arrabbiata, und ich werde Lasagne nehmen. Und dann würden wir einander vom Gericht des anderen probieren lassen, so wie wir es immer tun. Das sind unsere Rituale, die mir Sicherheit und Freude geben.
Bentley räuspert sich, als würde es ihm die Stimme verschlagen. »Wir müssen etwas miteinander besprechen.«
Erwartungsvoll mit einem aufgeregt schlagenden Herzen sehe ich ihn an. Ich präge mir alles ein: Das gedämpfte Licht der Kerzen, das blütenweiße Hemd mit der roten Krawatte, die Bentley zu einem navyfarbenen Anzug trägt, das Schimmern des tiefroten Weines in den Gläsern, den nervösen Ausdruck in Bentleys Augen und wie seine Hände leicht zittern. Ich kann verstehen, dass er so aufgeregt ist. Schließlich findet nicht jeden Tag solch eine fundamentale Veränderung im Leben statt.
Meine eigenen Hände zittern ebenfalls leicht. Auf meinen relativ kurzen Nägeln trage ich extra zu diesem Anlass French Manicure. Gerade heute sollen meine Hände besonders gepflegt aussehen.
Aufmerksam wende ich mich ihm zu und lächle ihn ermutigend an. »Ich bin ganz Ohr, Liebling.«
Bentleys Finger spielen mit der Serviette. »Wir sind nun schon so lange zusammen. Es lief in der letzten Zeit nicht so gut, was vor allem an dem ganzen Stress mit der Arbeit lag. Du hattest viel Geduld mit mir.
Ich weiß, dass du gewisse Erwartungen in diese Beziehung setzt, und ich weiß auch, dass ich dich lange habe warten lassen.« Er beißt sich auf die Lippen. »Und damit meine ich nicht nur, dass ich heute etwas spät dran bin.«
»Lieber spät als nie.« Meine Stimme bebt leicht.
Er nickt. »Das sehe ich ganz genauso. Es ist nie zu spät. Ich wollte dir für die zehn Jahre danken, die du mir geschenkt hast.«
»Es waren glückliche Jahre.« Und das ist erst der Anfang. Zwar hat Bentley in der letzten Zeit recht häufig abwesend gewirkt, aber da ich nun den Grund dafür weiß, wird mir richtig warm ums Herz.
»Ich weiß, es war nicht immer einfach mit mir«, spricht er weiter.
Verständnisvoll nicke ich. »Wer ist schon immer einfach?« In einer Beziehung geht man schließlich gemeinsam durch dick und dünn.
»Ich bin froh, dass du das so siehst. Wir haben uns ziemlich auseinandergelebt.«
Erschrocken sehe ich ihn an. »Wirklich? Warum hast du nie etwas davon gesagt? Daran können wir arbeiten.«
»Wir sind nicht mehr dieselben Personen wie damals.«
Ich hebe eine Augenbraue. »Natürlich nicht, denn jeder verändert sich, aber im Kern sind wir immer noch wir selbst und lieben einander. Und die wahre Liebe hat die Kraft, alles zu überwinden. Man muss es nur wollen.« Ich greife nach meinem Weinglas, um daran zu nippen.
»Ich kann mich jetzt noch nicht festlegen.«
Mitten in der Bewegung halte ich inne. »Noch nicht festlegen? Was meinst du damit?«
»Ich kann dich nicht heiraten.«
Ich fühle mich wie vor den Kopf gestoßen. Es dauert einen Moment, bis ich die Sprache wiederfinde. »Warum nicht?« Meine Stimme bebt.
»Weil ich mir darüber klargeworden bin, dass wir nicht zusammenpassen.«
Meine Kinnlade klappt herunter. »Wie bitte? Dafür hast du zehn Jahre gebraucht?«
Er seufzt. »Ich weiß, dass es etwas spät kommt. Es liegt daran, dass ich auf der Arbeit sehr eingespannt war. Ich hatte nicht genügend über uns nachgedacht. Alles lief in der letzten Zeit nur noch nebenbei, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich schüttle den Kopf. »Ich verstehe nicht, was das mit unserer Beziehung zu tun haben soll.«
»Wir passen nicht zusammen, Avalyn.«
»Aber wir hatten doch immer ähnliche Ziele.«
»Das reicht nicht.«
»Aber zehn Jahre lang hat es genügt, habe ich genügt?«
»Wie gesagt, wir haben uns verändert.«
Entgeistert starre ich ihn an. »Natürlich verändert sich jeder in zehn Jahren. Du bist nicht der Mann, den ich zu kennen glaubte. Entweder hast du dich verändert oder ich habe mich in dir geirrt. Willst du mich verlassen?«
Er nickt wortlos. In seinem Blick lese ich Mitleid und Bedauern.
Ich schlucke und dränge die Tränen zurück, die in meinen Augen brennen. Nach zehn Jahren tut er mir das ausgerechnet an unserem Jubiläum an, noch dazu mitten in der Öffentlichkeit.
An den Tischen um uns herum haben sich inzwischen andere Pärchen und kleine Gruppen eingefunden, die keine Ahnung haben, welches Drama sich an unserem Tisch soeben abspielt.
Ein bitterer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus, und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Wenn die 2.400 Dollar, die er bei einem Juwelier ausgegeben hat, nicht für einen Verlobungsring waren, wofür dienten sie dann? Für wen hat er sie ausgegeben?
In den letzten Monaten hat er mehr Überstunden geleistet als sonst. Wir haben schon seit einiger Zeit nicht mehr miteinander geschlafen, weil Bentley so viel Stress hatte, dass ich befürchtete, er würde irgendwann krank werden. Schließlich hatte sein Vater vor ein paar Jahren einen Herzinfarkt. Manchmal kam er sogar so spät nach Hause, dass ich schon im Bett lag. Aber niemals roch ich ein fremdes Frauenparfüm an ihm.
Er ist sehr engagiert in seinem Beruf. Zudem verfolgt er noch eine politische Karriere, wie sein Vater vor ihm, doch das erklärt nicht alles. »Hast du eine andere?«
Indigniert rümpft er die Nase. »Sei nicht albern. Natürlich habe ich keine andere.«
»Wofür hast du dann vor etwa zwei Wochen 2.400 Dollar beim Juwelier ausgegeben?« Meine Stimme bebt. Angespannt erwarte ich seine Antwort, während in meinem Innersten ein Tumult tobt.
Seine Augen verengen sich vor Empörung zu Schlitzen. »Du spionierst mir also nach?«
Fassungslos starre ich ihn an. »Nein, natürlich nicht. So etwas würde ich nicht tun. Ich habe nur das Schlafzimmer aufgeräumt. Deine Kreditkartenauszüge sind von deinem Nachtkästchen heruntergefallen. Um den Teppich zu saugen, musste ich sie aufheben.«
»Du hast mir nachspioniert. Das finde ich überhaupt nicht fein. So etwas macht man nicht.«
»Es war keine Absicht. Wie gesagt, die Auszüge lagen auf dem Boden.«
»Du hättest sie trotzdem nicht lesen dürfen.«
So vehement, wie er diese Meinung vertritt, erscheint es mir alles andere als abwegig, dass er etwas vor mir verbergen möchte. Schließlich bin ich nicht irgendjemand, sondern seit zehn Jahren seine Lebensgefährtin. Oder besser gesagt, ich war es. »Das hätte ich vielleicht nicht tun sollen, aber das sollte doch auch kein Staatsgeheimnis vor mir sein.«
»Warum sollte ich meine gesamten finanziellen Verhältnisse vor dir offenlegen? Bist du wohl hinter meinem Geld her? Oder hinter dem meines Vaters?« Sein Vater gehört zu den erfolgreichsten Investmentbankern New Yorks. Es ist kein Geheimnis, dass Bentleys Familie gut betucht ist. Aber mir zu unterstellen, dass das der Grund sei, warum ich mit ihm zusammen war, erscheint mir als eine regelrechte Frechheit.
»Du weißt, dass das nicht stimmt. Nach zehn Jahren solltest du mich besser kennen.«
»Eben darum geht es: Ich erkenne dich nicht mehr. Du willst deinen sicheren Job aufgeben? Wofür? Für solch ein Hirngespinst? Du bist nicht mehr die Frau, die ich damals kennengelernt habe.«
Im ersten Moment bin ich sprachlos. Ich schlucke und beiße mir auf die Unterlippe. Verstohlen wische ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel. Er soll mich nicht weinen sehen. Das verbietet mir mein Stolz. »Du wusstest seit unserem zweiten Date, dass ich schon immer im medizinischen Bereich arbeiten wollte, aber damals in unserer Gegend als Arzthelferin keine Ausbildungsstelle fand.« Was auch keine Rolle spielt, da die Ausbildung, die ich als Bürokauffrau in Deutschland absolviert habe, in den USA ohnehin von den meisten nicht akzeptiert wird. Im medizinischen Bereich ist das noch viel strenger.
»Aber Arzthelferin ist etwas ganz anderes als das. Das wäre wenigstens ein richtiger medizinischer Beruf. Akupunktur ist doch nur eine andere Art von Placebo. Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass da angeblich die Lebensenergie harmonisiert wird. Das klingt für mich alles zu esoterisch. Für solch etwas Unsicheres würde ich meinen Job nicht hinschmeißen.«
»Ich schmeiße meinen Job nicht hin. Ich bin schließlich noch in der Ausbildung. Vielleicht lasse ich es zeitweise nebeneinanderher laufen, bis ich bekannter geworden bin. Außerdem geht es hier gar nicht um meinen Job.«
Er starrt mich an. »Es geht um vieles, Avalyn. Vor allem geht es um dich und mich.«
Um dich und mich. Er sagte nicht ›uns‹, und er ist meiner Frage ausgewichen. Beides verursacht Stiche in meinem Herzen. Warum tut er mir das an? »Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Was willst du hören?«, fragt er.
»Die Wahrheit natürlich.«
»Es spielt keine Rolle, ob ich einen Verlobungsring für dich gekauft habe, den ich nun zurückgeben werde, weil ich gerade noch rechtzeitig festgestellt habe, dass es zwischen uns nicht funktioniert. Es ist unerheblich, dass ich mir wünsche, es würde klappen, denn das tut es einfach nicht.«
»In jeder Beziehung gibt es früher oder später mal eine Krise. Wir können daran arbeiten. Gemeinsam. Wir können zu einer Paarberatung gehen.«
Bentley fährt sich mit den Fingern seufzend durch sein mittelbraunes Haar. »Das bringt doch alles nichts. Wir sind zu verschieden und haben zu unterschiedliche Ziele. Wir wohnen nicht mal zusammen.«
»Was mit Sicherheit nicht an mir liegt. Das können wir ändern. Denkst du, mich nervt es nicht, ständig meine Sachen hin und herschleppen zu müssen, wenn ich bei dir übernachte oder das Wochenende in deiner Wohnung verbringe? Außerdem hast du dich, gelinde gesagt, nicht gerade nach einer größeren Wohnung umgesehen.«
»Hast du es etwa getan?«
Ich nicke. »Ja, das habe ich, aber an jeder, die ich gefunden habe, hattest du etwas auszusetzen. Meist war es schon die Lage oder die Himmelsrichtung oder die Nachbarschaft, sodass du nicht mal zu den Wohnungsbesichtigungen gehen wolltest. Soweit ich weiß, warst du nur bei dreien dabei.«
»Bei vieren. Wenn du mir schon etwas vorzuwerfen hast, dann solltest du bei der Wahrheit bleiben. Außerdem glaube ich kaum, dass das Zusammenwohnen geklappt hätte. Vermutlich hätten wir uns dann noch viel früher getrennt.«
»Hätten wir das, oder warst du einfach nicht bereit, Kompromisse einzugehen?«
»Ich bin schon genügend Kompromisse für dich eingegangen. Du weißt, dass meine Eltern von Anfang an ein Problem mit dir hatten.«
»Ich war nie unfreundlich zu ihnen. Ich habe ihnen nichts getan. Was haben sie gegen mich?«
Seufzend streicht er sich durchs Haar. »Wir sind vollkommen unterschiedlich aufgewachsen in unterschiedlichen Kulturen. Du hast eine andere Bildung als ich und verfolgst andere Ziele im Leben. Deswegen haben sie ihre Bedenken und offenbar sind die nicht ganz von der Hand zu weisen. Die Belastung war einfach zu groß. Ich liebe dich nicht mehr.«
Entgeistert starre ich ihn an. »Wie bitte?«
»Ich liebe dich nicht mehr.«
»Wie kann das so einfach geschehen? Man kann sich doch nicht einfach entlieben. Schalter aus, puff, weg.« Ich schnippe mit den Fingern.
Er zuckt mit den Achseln. »Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte. Ich glaube, es ist schon eine ganze Zeit lang so, vielleicht ein Jahr.«
Fassungslos sehe ich ihn an, da mir das nicht bewusst war. Hätte ich das nicht merken müssen? »Du liebst mich seit einem Jahr nicht mehr?«
Bentley senkt den Blick zur Tischdecke. »Na ja, um ehrlich zu sein, habe ich nie so richtig auf dich gestanden. Du bist nicht mein Typ. Ich befürchte, ich habe dich nie geliebt.«
Völlig ernüchtert und erschüttert starre ich ihn an. »Was? Du hast mich nie geliebt? Aber was ist mit all den unzähligen Malen, an denen du mir gesagt hast, dass du mich liebst? Hast du mich da etwa angelogen?«
Verständnislos blickt Bentley mich an. »Natürlich habe ich dich nicht angelogen.« Dann tritt Erkenntnis in seine Augen. »Ich hatte nur gesagt, dass ich dich lieb habe. Das ist nicht dasselbe, wie ich liebe, dich zu sagen. Ich dachte, du wüsstest das. Ich mag dich, aber ich liebe dich nicht.«
Höre ich richtig? Ist das alles nur ein schlimmer Albtraum? Fassungslos starre ich ihn an. »Warum warst du dann überhaupt mit mir zusammen?« Meine Stimme klingt tonlos.
»Weil man das, was man sucht, ohnehin nicht findet.«
Weitere Tränen drängen sich in meine Augen, doch diesmal sind es nicht nur Tränen des Schmerzes, sondern auch der Wut. »Warum sagst du so etwas?« Will er mir unbedingt wehtun? Muss er noch nachtreten, wenn ich bereits am Boden liege? Kann er nicht einfach gehen?
»Du wolltest doch die Wahrheit hören, Av. Also musst du sie auch vertragen können.« Ich hasse es, wenn er mich Av nennt, und das weiß er.
»Nenn mich niemals wieder Av. Meine Mutter mochte dich nie. So langsam begreife ich, warum. Ich hätte auf sie hören sollen.«
Finster starrt er mich an. »Als hätte deine Mutter einen guten Geschmack oder ein glückliches Händchen, was Männer betrifft … Meine Eltern waren auch nicht gerade davon begeistert, dass ich eine vor kurzem eingewanderte Deutsche angeschleppt habe, deren Mutter sich von einem Soldaten schwängern ließ, der sie sitzen gelassen hat.«
»Das kann sich niemand aussuchen.« Ich bin jedenfalls froh, dass meine Mutter sich trotz aller Widrigkeiten für mich entschieden und mich großgezogen hat.
»Außerdem wusste ich nicht, ob du im Lande bleibst. Es hätte sein können, dass du dich entschließt, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Das hat immer wie ein Damoklesschwert über unserer Beziehung geschwebt. Ich kenne schließlich eine Frau, die nach fünfzehn Jahren wieder zurück nach Deutschland ist.«
»Aber ich habe dir doch erklärt, dass ich hierbleibe. Spätestens seit meine Mom ebenfalls hierher ausgewandert ist, gibt es für mich keinen Grund mehr, zurückzukehren. Und wie du sehr wohl weißt, habe ich sie immer ermutigt, in die USA auszuwandern. Vielleicht werde ich ab und zu in Deutschland Urlaub machen, um ein paar Freunde und Bekannte zu besuchen, aber im Grunde hält mich nichts dort. Mein Leben ist hier.«
»Und was ist, wenn deine Mom irgendwann wieder zurückkehrt?«
»Warum sollte sie das tun?«
»Wegen der Sozialversicherungen. Ich begreife es ohnehin nicht, wie ihr so etwas den Rücken kehren könnt, nur um hier zu leben. Die Vereinigten Staaten sind nicht gerade das gelobte Land. Hierzulande gehen die meisten erst zum Arzt, wenn sie kurz vor dem Abkratzen sind, weil die Zuzahlungen mörderisch sind.«
Mein Kinn zittert. »In Deutschland krank zu sein ist auch kein Zuckerschlecken, vor allem nicht, wenn man eine Frau ist. Es ist nachgewiesen, dass du als Frau beim Arzt viel schneller in die Psycho-Ecke geschoben wirst. Man wird abgewimmelt, und die Symptome werden nicht ernst genommen.«
»Das mag sein. Trotzdem hast du immer die Grundversorgung. Außerdem gibt es bei euch noch die Altersvorsorge, und ihr habt ein Arbeitslosengeld, das länger als wenige Wochen bezahlt wird, und Kündigungsfristen von mehr als zwei Wochen. Wie viele haben hierzulande gar keine Kündigungsfrist? Ich finde, dass die Deutschen, die nach Amerika kommen und so etwas aufgeben, alle einen Knall haben.«
Ich kann nicht mal sagen, dass er ganz Unrecht hat, denn man gibt wirklich einiges auf, aber beleidigen lassen muss ich mich nicht. So etwas kann man auch anders ausdrücken, ohne persönlich beleidigend zu werden, aber Taktgefühl war nie seine besondere Stärke.
»Danke für das Kompliment. Ich habe also einen Knall.«
Seine Gesichtszüge verhärten sich. »Sei nicht immer gleich so eingeschnappt.«
»Das bin ich nicht. Ich lasse mir nur nicht alles gefallen. Es gibt auch noch andere Gründe, Deutschland den Rücken zu kehren.«
Ernst sieht er mich aus seinen dunklen Augen an. »Wohin du auch immer gehst, Avalyn, du nimmst dich selbst immer mit. Du kannst nicht vor allem davonlaufen.«
»Ich laufe nicht davon. Ich habe ein neues Leben angefangen und baue mir hier etwas auf. Ich bin US-Staatsbürgerin. Ich brauche keine Greencard oder so etwas. Es ist mein Geburtsrecht, hier zu sein.«
»Du bist nur ein Ankerbaby. Wer weiß, wem deine Mom wie viel gezahlt hat, damit er sich auf deine Geburtsurkunde eintragen lässt.«
Fassungslos sehe ich ihn an. »Das ist eine Unverschämtheit. Ich weiß, wer mein Vater ist.«
»Ja, dieser Bill. Irgend so ein schwarzer Soldat. Vermutlich stammt er aus irgendeinem Slum.«
»Er heißt Will, William Benjamin Jones.« Wenn das kein klangvoller Name ist … »Und er stammt nicht aus irgendeinem Slum. Das hört sich für mich verdammt nach Rassismus an, wenn du das aufgrund seiner Hautfarbe schlussfolgerst.«
»Ich sagte doch, du bist zu empfindlich. Ich habe gar nichts aufgrund seiner Hautfarbe geschlussfolgert, sondern daraus, dass er deine Mom sitzengelassen hat, als sie von ihm schwanger war. Das sagt mir genug über ihn. Hast du ihn jemals gesehen? Kennst du deinen Vater persönlich? Hast du jemals mit ihm gesprochen?«
»Ich muss auf Mom Rücksicht nehmen. Dass er sie verließ, hat sie sehr mitgenommen. Ich will die Vergangenheit nicht aufwärmen, und ich weiß auch gar nicht, was das mit unserer Beziehung zu tun haben soll, außer dass du offenbar vom Thema ablenken willst.«
»Er ist dein Vater. Aber im Grunde geht mich das nichts an. Er ist nur irgendein Schwarzer. Warum sollte ich mich für ihn interessieren?«
»Nur irgendein Schwarzer? Wie meinst du das?«, frage ich.
»Du interessierst dich doch auch nicht für ihn.«
Empört sehe ich ihn an. »Das stimmt nicht. Warum sagst du so etwas?«
»Ich würde meinen Vater kennenlernen wollen. Hast du irgendwas mit deinen Haaren gemacht?«, fragt er.
»Ich habe nichts damit gemacht. Ich war seit drei Monaten nicht mehr beim Friseur.«
»Willst du deine Locken etwa herauswachsen lassen?«
»Ich kam in der letzten Zeit nicht dazu, die Keratin-Behandlungen durchführen zu lassen.«
Wobei ich wirklich mit dem Gedanken spiele, meine krausen Locken herauswachsen zu lassen. Die Keratin-Behandlungen sind teuer und aufwendig. Andererseits machen sie meine Haare viel pflegeleichter und glänzender.
Bisher hat sich der Aufwand gelohnt, auch wenn manche Leute es als eine Handlung sehen mögen, mit der ich meine farbige Herkunft verleugne. Mein Äußeres verrät diese, abgesehen von meinem stark lockigen, dunkelbraunen Haar, nicht ohne weiteres, da meine Haut relativ hell ist. Meine Freundinnen meinen, ich sehe ähnlich wie Herzogin Meghan aus.
Aber wenn man wie ich mal als Kind die Haare wegrasiert bekommen hat, weil sie sich nach einer fiebrigen Erkrankung, während der ich viel schwitzte und mich unruhig hin und her warf, total verknotet waren, was weder meine Mom noch der Friseur ohne abschneiden beseitigen konnten, dann denkt man anders über seine starke Naturkrause.
Es war nicht lustig, als zwölfjähriges Mädchen mit einer Halbglatze herumlaufen zu müssen, und ich hatte sogar einem anderen Mädchen, das mich dafür ständig gehänselt hat, eine rechte Gerade verpasst, das Einzige, was erfahrungsgemäß gegen Mobber wirklich hilft. Seitdem ließen mich auch die anderen in Ruhe, weil sie mehr Respekt vor mir hatten.
Ohne die glättenden Keratin-Behandlungen hätte ich mein Haar niemals so lang wachsen lassen können, und ich trage es sehr gerne lang.
»Es sieht sehr ungepflegt aus, wenn du es nicht glätten lässt. Das ist auch einer der vielen Gründe, warum es zwischen uns nicht mehr funktioniert. Früher hast du viel mehr Wert auf dein gepflegtes Äußeres gelegt.« Es stimmt nicht, dass ich mich gehen lasse.
Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass er mich auf meine Ansätze anspricht, die meiner Ansicht nach nicht so schlimm aussehen. Seinetwegen werde ich nicht jeden Monat diese teure, zeitaufwändige Behandlung über mich ergehen lassen. Vor allem braucht gerade er nichts darüber zu sagen, so wie er am Wochenende bisweilen herumläuft …
Das alles hört sich für mich eher danach an, als würde er nach Gründen suchen, warum es zwischen uns nicht klappen kann. Es ist mir egal, ob ihm seine Mutter wieder etwas gegen mich ins Ohr gesetzt hat. Ich lasse mir das nicht gefallen.
Ich verenge die Augen zu Schlitzen, als Wut über seine ungehobelten Worte in mir aufsteigt. »Ungepflegt? Ich bin nie ungepflegt. Außerdem lasse ich – im Gegensatz zu dir – nicht meine Stinkesocken überall herumliegen, und ich laufe auch nicht wie du am Wochenende in ausgebeulten, fleckigen Jogginghosen herum. Stehe ich etwa deinen politischen Ambitionen im Wege, weil ich bi-ethnischer Herkunft bin oder mein Vater ein farbiger Mann ist?«
Bentleys Augenlid zuckt. Er lächelt, doch es wirkt falsch. »Nein, natürlich nicht. Wie kommst du nur auf so etwas völlig Absurdes? Du bist eine schlechte Verliererin. Akzeptiere einfach, dass es vorbei ist.
Mach es dir und mir nicht schwerer, als es sein müsste. Es ist auch so schon schlimm genug. Ich will einfach nur eine saubere, schnelle Trennung. Wir können doch Freunde bleiben, nicht wahr?«
Vor Fassungslosigkeit bleibt mir für einen Moment die Luft weg. »Ernsthaft? Du willst, dass wir Freunde sind nach alldem, was du mir gerade an den Kopf geworfen hast?«
»Natürlich will ich, dass wir Freunde bleiben. Nach all den Jahren werfe ich doch nicht einfach alles weg.« Aber genau das tut er gerade: alles wegwerfen.
»Wie unverfroren das doch ist!«
»Du wolltest ja unbedingt die Wahrheit hören. Tut mir leid, Avalyn, aber ich muss jetzt gehen.« Er springt auf und stolziert davon, während ich völlig fassungslos wie gelähmt auf meinem Platz sitze und mein Leben vor mir zu Scherben zerspringen sehe. Zehn Jahre der Beziehung sind auf einmal weg, als wären sie nie gewesen. Als hätte ich ihm nie etwas bedeutet.
Er wischt es weg und verbannt mich einfach so aus seinem Leben.
Er hat mich also niemals geliebt? Ich fühle mich wie vor den Kopf gestoßen. Hätte ich das nicht bemerken müssen?
Fieberhaft denke ich an die erste Zeit unserer Beziehung zurück, in der er sehr aufmerksam war, mich umwarb und mich stolz all seinen Bekannten und Freunden vorstellte. Entweder war das alles eine Lüge und gut vorgespielt oder er will mich einfach nur schnell loswerden. Andererseits kam er damals frisch aus einer Beziehung, weswegen ich anfangs Bedenken hatte, die er jedoch schnell zerstreute mit all seinen Aufmerksamkeiten.
Aber habe ich wirklich viele Beziehungserfahrungen? Er war mein erster längerer Freund. Vielleicht war ich für ihn nur ein begehrter Preis, weil sich zu diesem Zeitpunkt noch ein anderer Mann für mich interessierte. Aber bleibt man mit der zweiten Wahl wirklich so viele Jahre lang zusammen? Das ergibt für mich keinen Sinn.
Jetzt, da Bentley weg ist, kann ich meine Tränen nicht länger zurückdrängen. Wie eine Sturmflut laufen sie über meine Wangen. Mit bebenden Händen ziehe ich ein Papiertaschentuch aus meiner Handtasche, um mir das Gesicht abzutrocknen und die verlaufene Mascara zu entfernen.
Dann nehme ich einen großen Schluck von meinem Weinglas und noch einen. Als es leer ist, ziehe ich Bentleys Glas, das er nicht angerührt hat, zu mir herüber.
Kann Liebe einfach so verschwinden? Wo soll sie hingehen? Ist es dann keine richtige Liebe gewesen? Beispielsweise kann ich mir nicht vorstellen, dass meine Liebe zu meiner Mutter jemals verschwinden wird. Sie würde mich allerdings auch niemals verlassen.
Wenn man jung ist, denkt man, ewig Zeit zu haben. Man vergisst, wie schnell die Zeit vergeht, und ehe man sich’s versieht, ist Jahr um Jahr vergangen. Das Schlimme daran ist, dass diese Minuten, Stunden, Tage und Monate unwiderruflich vorbei sind. Sie kehren nie wieder zurück.
Das ist Zeit, die ich auch mit jemandem hätte verbringen können, der wirklich auf mich steht, dem ich etwas bedeute. Selbst wenn ich Single gewesen wäre, so hätte das gewisse Vorteile gehabt. Ich hätte mich am ersten Weihnachtsfeiertag und an Ostern nicht mit seinen Eltern herumschlagen müssen, die keinen Hehl daraus machten, dass ich ihrer Meinung nach nicht gut genug für ihren Sohn war. Am liebsten wäre ich zu diesen Events nicht hingegangen, aber Bentley schmollte, wenn ich es nicht tat. Er nahm so etwas persönlich.
An Weihnachten allein zu sein ist besser, als sich ungewollt und unerwünscht zu fühlen. Ich hätte mir etwas Leckeres kochen und mir zusammen mit meiner Mom einen lustigen Film ansehen können, wie etwa ›Hogfather‹, einer Terry-Pratchett-Verfilmung. Leider hatte Bentley einen völlig anderen Filmgeschmack als ich, aber das spielt keine Rolle mehr. Ich kann jetzt jederzeit jeden Film ansehen, den ich möchte, ohne auf ihn Rücksicht zu nehmen.
Ich schlucke den bitteren Gedanken herunter, denn ich kann nichts rückgängig machen. Würde ich das tun, wenn ich nochmals vor derselben Entscheidung stehen würde?
Ich weiß es nicht. Vermutlich schon, ganz einfach, weil ich es damals nicht besser wusste und in ihn verliebt war. Ich zerknülle das Papiertaschentuch in meiner Hand und hole mir ein neues aus meiner Handtasche.
Erst als ich ein Räuspern vernehme, stelle ich fest, dass jemand neben mich getreten ist. Natürlich ist es nicht Bentley. Ich habe mir gewünscht, dass er zurückkommt und sich alles als ein riesengroßes Missverständnis herausstellt oder besser noch, dass ich alles nur geträumt habe und jeden Moment in meinem Bett aufwachen würde. Doch dieses Glück habe ich nicht.
»Möchten Sie bestellen?«, fragt mich der Kellner. Was für eine Frage. Wem würde nach so etwas nicht der Appetit vergehen?
Ich schüttelte den Kopf. »Danke, nein.«
»Darf ich Ihnen noch etwas anderes bringen?«
»Danke. Ich möchte gehen.« Mitten in diesem piekfeinen Restaurant komme ich mir angestarrt vor. Aus den Augenwinkeln stelle ich fest, dass ich mir das nicht nur einbilde.
Wortlos überreicht mir der Kellner die Rechnung für den Wein. Ich bezahle und gebe ein Trinkgeld.
Ich erhebe mich und suche kurz die Toilette auf, um mein Make-up auszubessern und die Spuren meiner Tränen zu beseitigen. Nur auf Mascara verzichte ich. Anschließend verlasse ich das Restaurant, in dem Bentley und ich so viele Jubiläen gefeiert haben. All die Jahre hatte ich keine Ahnung, dass es für ihn nicht gepasst hat.
Ich kann jetzt nicht nach Hause gehen. Dort würde mich zu vieles an Bentley erinnern.
Meine Mom ist auch nicht zu Hause, und auch sämtliche meiner Freundinnen sind heute unterwegs, was keineswegs verwunderlich erscheint. Immerhin ist Freitagabend.
In der Bar nebenan findet eine Maskenparty statt. Ein Mann und eine Frau am Eingang verkaufen neben Tickets auch Masken aus Pappe und Kunststoff. Wollte meine Bekannte Susan nicht zu dieser Party, die in allen Boulevardblättern angekündigt wurde?
Es ist mir egal, ob sie hier ist oder nicht. Ich will mich einfach nur in der Menge verlieren und ein paar Cocktails trinken, damit meine Gedanken nicht mehr ständig um Bentley kreisen und die zehn Jahre, die wir miteinander verbracht haben, zehn Jahre, die nicht mal so unglücklich waren. Ich kann mir ein Leben ohne ihn einfach nicht vorstellen und empfinde eine tiefe Leere in mir. Es kam so unerwartet. Natürlich hatten wir unsere Höhen und Tiefen, aber gibt es die nicht in jeder Beziehung? Doch was er mir heute an den Kopf geworfen hat, kam unerwartet.
Unter keinen Umständen will ich jetzt nach Hause zurückkehren, wo noch überall Sachen von ihm herumliegen. Meine Mitbewohnerin Patty Flores ist heute nicht zu Hause, da sie über das Wochenende eine Freundin in Philadelphia besucht. Offenbar ist derzeit wieder Schluss mit ihrem Freund Hugo, mit dem sie seit zwei Jahren eine On-off-Beziehung führt.
Also würde ich ganz allein in unserer kleinen Wohnung sein, und wie ich mich kenne, würde es in Grübeleien ausarten, die zu nichts führen. Bentley ist aus meinem Leben verschwunden, und nichts würde etwas daran ändern. Will ich ihn zurückhaben? Ich weiß es nicht. Im Moment bin ich wie gelähmt vor Schreck und dem Schmerz der Trennung.
Also kaufe ich mir eine der silbernen Halbmasken und betrete die schummrige Bar, wo ich mich gleich zum Tresen begebe, um mir einen Casablanca zu bestellen. Mit dem orangefarbenen Cocktail in der Hand lasse ich meinen Blick schweifen. Wo ist Susan nur? Meine Bekannte wollte heute hier sein. Ursprünglich wollte ich Bentley nach dem Abendessen vorschlagen, hier ein wenig zu tanzen. Dass hier eine Maskenparty stattfindet, habe ich erst kurz bevor ich aufgebrochen bin von Susan per SMS erfahren. Ich habe sie vor fünf Jahren kennengelernt, als ich am Wochenende an einer Bar gearbeitet habe. Wir sehen uns ab und zu.
Dass alle Masken tragen, macht es mir nicht gerade leichter, sie zu finden. Endlich entdecke ich sie bei einem der schmalen, runden, silbernen Tische, wo sie heftig mit einem Mann mit einer schwarzen Zorro-Maske flirtet. Sie selbst ist als Catwoman verkleidet.
Viele der Anwesenden in der Bar tragen ein Kostüm. Nur die spontanen Gäste wie ich nehmen mit den hier feilgebotenen, günstigen Masken vorlieb. Aber mir genügt das. Ich will nur weg von all dem Drama in meinem Leben.
Zumindest für eine Nacht. Morgen kann ich mich immer noch der traurigen Realität stellen und überlegen, wie es weitergehen soll. Bentley ist so eine Konstante in meinem Leben gewesen. Ich kann es mir immer noch nicht vorstellen, dass er jetzt für immer daraus verschwunden sein soll.
Ich begrüße Susan freundlich.
Verwundert sieht sie mich aus ihren großen, mit grünem Kajal umrandeten Augen an. »Du bist jetzt schon hier? Ich dachte, ihr wolltet zuerst essen gehen?« Suchend sieht sie sich um. »Wo ist Bentley?«
Es schnürt mir die Kehle zusammen. »Er ist nicht hier. Wir haben uns getrennt.«
Erschrocken sieht sie mich an. Zuerst ist sie sprachlos, ihre Kinnlade klappt nach unten, doch dann blickt sie mich besorgt an. »Aber ich dachte, er will heute um deine Hand anhalten.« Vorgestern habe ich sie bei einem Foodtruck getroffen und ihr von meiner Vermutung erzählt. Wie sehr ich mich geirrt habe …
»Das dachte ich auch.« Das dachten all meine Freunde und Bekannten.
Irritiert kaut sie auf ihrer knallrot geschminkten Unterlippe. »Aber ihr habt doch heute euer zehnjähriges Jubiläum, oder nicht? Ich verstehe das nicht.«
»In der Tat hatten wir das, und er hielt es offenbar für angebracht, mir ausgerechnet heute den Laufpass zu geben, noch dazu in der Öffentlichkeit.«
Schockiert starrt sie mich an. Ein ungläubiger Ausdruck liegt in ihren grünen Augen. »Sag bloß, er hat das mitten im Restaurant getan?«
Ich nehme einen großen Schluck von meinem Drink. »Genau das hat er gemacht.«
»Das ist unfassbar! So ein Schwein! Möchtest du darüber reden?«
Ich schüttle den Kopf. Mein Blick fällt auf Susans neue Bekanntschaft. Der Mann sieht sie sehnsüchtig an. Ich will ihr den Abend nicht verderben mit meinen Problemen, die sie ohnehin nicht lösen kann. »Ich habe heute genug darüber geredet. Für heute reicht es mir. Am liebsten möchte ich nicht mehr daran denken.«
Sie nickt und nimmt einen Schluck von ihrem Cosmopolitan. »Ich verstehe. Ich glaube, so etwas müsste ich auch erst mal verdauen. Das hätte ich nicht von ihm gedacht.«
»Ich auch nicht. Ich fühle mich noch immer wie vor den Kopf gestoßen. Ich sah das überhaupt nicht kommen.«
»Ich auch nicht. Ich dachte immer, zwischen euch beiden funktioniert es. Für viele wart ihr ein Traumpaar.« Nach außen hin sahen wir wohl so aus …
Ich kippe den Rest meines Drinks herunter. »Das dachte ich auch, aber offenbar habe ich mich geirrt. Ich hol mir was anderes. Man sieht sich.« Zielstrebig suche ich die Bar auf, wo ich mich eine Weile mit dem Barkeeper unterhalte, einem freundlichen, blonden Mann meines Alters, der mir ein Pimm’s Cup mixt und ihn mit einer aufgeschnittenen Erdbeere versieht.
Ich grüße ein paar Bekannte und Leute, die ich aus Ashley’s Cream Dreams kenne, einem der angesagtesten Eiscafés der Stadt, das zufällig meiner Freundin und ehemaligen Mitbewohnerin Ashley gehört. Da ich ab und zu dort aushelfe, kenne ich viele ihrer Stammgäste und Gelegenheitskunden.
So langsam machen sich der Wein und der Cocktail bemerkbar, und ich fühle mich warm und leicht benommen. Es kann allerdings auch daran liegen, dass der erste Schock über die Ereignisse mit Bentley nachlässt.
Mein Leben wird niemals wieder dasselbe sein. Ich will nicht daran denken und nehme meinen neuen Cocktail entgegen, als sei er mein Rettungsanker. In gewisser Weise ist er das auch für mich. Dabei trinke ich sonst nicht viel, bestenfalls ein Glas Wein. Nachdem ich ihn ausgetrunken habe, bestelle ich mir einen Tequila Sunrise.
Kapitel 2
Rhydian
Früher habe ich meine Freitagabende anders verbracht. Ich sollte an diese Zeit nicht mehr denken, weil ich genau weiß, dass sie niemals wiederkehren wird. Eigentlich ist es eine oberflächliche Zeit gewesen. Mein Leben drehte sich hauptsächlich um Partys, Frauen und meinen damaligen Job als Model.
Mein Unternehmen hatte ich da zwar bereits gegründet, aber mein anderer Job verlangte viel von mir. Auf Dauer wäre die Doppelbelastung zu viel gewesen. Ich frage mich, ob ich meine Visionen so energisch verfolgt hätte, wenn es den Unfall nicht gegeben hätte, der mein Gesicht und mein Leben, wie ich es bisher kannte, zerstörte.
Aber der Preis ist hoch gewesen, viel zu hoch. Nicht viele Männer meines Alters von gerade mal dreißig leben nur für die Arbeit. Meine Zeit verbringe ich weitgehend in diesem Büro, meinem Labor im Keller und meinem Penthouse im selben Gebäude.
Letzteres werde ich jetzt aufsuchen, denn es ist bereits nach zehn Uhr abends.
Als ich an den Tischen der beiden Assistentinnen meiner Office-Assistentin Anita Miller vorbeilaufe, fällt mir auf, dass auf einem davon ein Schlüsselbund liegt. Kann es sein, dass Avalyn Meyer ihn vergessen hat? Ich sollte sie anrufen, damit sie Bescheid weiß und nicht unnötig danach sucht. Ein Schlüsseldienst ist teuer, und zu dieser Stunde zahlt man vermutlich noch einen heftigen Aufschlag, ganz zu schweigen von dem Stress, der Wartezeit und dem Ärger, den dies bedeutet.
Die Mobilfunknummer meiner Office-Assistentin Mrs. Anita Miller habe ich eingespeichert, aber die von ihren Assistentinnen Lydia Baker und Avalyn Meyer nicht, obwohl ich immer mal wieder mit diesen direkt zusammenarbeite, mit Ms. Meyer häufiger als mit Ms. Baker.
Ich laufe zu dem Schrank mit den Personalakten, schließe ihn auf und suche ihre Akte heraus, in der ihre Mobilfunknummer vermerkt ist. Diese gebe ich in mein Handy ein.
Ms. Meyer meldet sich nach dem dritten Mal klingeln. Sie hört sich nicht an wie sonst. Ihre Stimme klingt undeutlich. Sogleich sprudelt sie los. »Oh, Miraya, schön, von dir zu hören. Wie läuft es bei dir? Ich bin so froh, dass du anrufst. Du wirst nicht glauben, was heute passiert ist. Bentley, dieser Arsch, hat mit mir Schluss gemacht. Nach zehn Jahren einfach so. Vollkommen unerwartet. Eiskalt. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet.
Eigentlich dachte ich, dass er mir einen Antrag machen würde … Von wegen. Du glaubst gar nicht, was er mir alles an den Kopf geworfen hat. Hätte er das nur früher gesagt … Und dann hat er mich noch auf der Rechnung sitzen gelassen. Dabei hatten wir heute unser Jubiläum. Das Zehnjährige! Ich bin jetzt in dieser Bar neben dem Angelo’s auf einer Maskenparty und betrinke mich, weil ich ihn aus meinem Kopf bekommen will. Schade, dass du heute so weit weg bist. Sonst könntest du vorbeikommen.«
Sie spricht wie ein Wasserfall. Es ist offensichtlich, dass sie mich mit jemandem verwechselt und dass sie betrunken ist. Soweit ich weiß, trinkt Avalyn Meyer wenig. Da sie im Zimmer neben meinem arbeitet, bekomme ich so einiges über sie mit.
»Ms. Meyer? Ich bin Rhydian Blackwell, Ihr Boss.«
»Oh, mein Gott!« Sie klingt so aufrichtig erschrocken, dass ich mir gut vorstellen kann, wie eine feine Röte ihr ebenmäßiges Gesicht überzieht.
»Es genügt, wenn Sie mich mit Mr. Blackwell anreden.«
»Das ist so peinlich. Es tut mir so leid.« Ich vernehme ein Klirren. »Oh, Mist, mir ist mein Glas heruntergefallen. Ich … Offenbar habe ich Sie verwechselt. Eine meiner Freundinnen heißt Black mit Nachnamen. Ich habe den Namen wohl nicht richtig gelesen.« Sie hat meine geschäftliche Mobilfunknummer bei sich eingespeichert.
»Heute geht echt alles schief.« Sie hickst laut. Nach ihrer undeutlichen Aussprache und ihrer Enthemmtheit zu urteilen ist offensichtlich, dass sie sehr betrunken ist.
»Sie haben Ihren Schlüsselbund auf der Arbeit vergessen.«
»Oh, Mist. Ich meine, danke für den Anruf. Die Schlüssel brauche ich, sonst komme ich nicht in meine Wohnung. Meine Mitbewohnerin ist nicht da. Ich komme gleich.«
»Sind Sie betrunken?« Eigentlich ist es keine Frage, sondern eine Feststellung.
Sie zögert. »Ja.«
»Wer ist bei Ihnen?«
»Der Barkeeper und andere Gäste.«
»Ich meine Freunde, jemand, der sich um Sie kümmert.«
»Ein paar Bekannte sind hier, aber die sind beschäftigt. Meine Freunde sind heute alle nicht in der Stadt oder haben andere Verpflichtungen.«
Das ist schlecht. Ich fluche leise. »Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich bringe Ihnen den Schlüsselbund vorbei.«
»Wirklich? Aber Sie verlassen doch nie das Gebäude.«
»So ganz stimmt das nicht.« Ehrlich gesagt bin ich selbst überrascht von meinem Vorschlag, aber der Gedanke, dass Ms. Meyer an ihrem zehnten Jubiläum von ihrem Partner einfach so verlassen wurde und nun versucht, ihren Herzschmerz in Alkohol zu ertränken, berührt etwas tief in mir.
Nur zu gut weiß ich, wie sich dies anfühlt. Als es mir damals ähnlich erging, hatte ich dasselbe versucht. Es hat nicht funktioniert. Außerdem gibt es noch etwas anderes zu bedenken. Eine Frau allein und betrunken in einer Bar ist ein leichtes Opfer für Gauner aller Arten, von denen es in einer Großstadt wie New York City mehr als genug gibt. Mein Beschützerinstinkt erhebt sich und weigert sich, zurückzutreten, auch wenn ich während ihrer Freizeit nicht für Ms. Meyer verantwortlich bin.
»Stimmt. Geschäftstermine locken Sie gelegentlich aus dem Haus. Sie haben keinen Grund, sich wegzusperren, Boss. Ich meine, so schlecht sehen Sie nun auch wieder nicht aus, und man kann sich das nicht aussuchen. Man ist, wie man ist. Ich möchte mal einen Typen erleben, der mit Maske immer noch so heiß aussieht. Oh, mein Gott, ich sollte wirklich die Klappe halten. Es geht mich ja nichts an. Es tut mir so leid. Vergessen Sie das bitte schnell wieder. Es ist nur der Alkohol.«
»Bestellen Sie sich ein Glas Wasser, bleiben Sie, wo Sie sind, und machen Sie nichts Dummes.«
»Nichts Dummes?« Sie lacht, doch es klingt traurig. »Ich mache seit zehn Jahren Dummes. Ich war mit einem Typen zusammen, der nicht auf mich steht und mich nie geliebt hat. Vermutlich nur, damit er was fürs Bett hat, ohne sich die Mühe machen zu müssen, ständig was anderes aufzureißen. Wie viel dümmer geht es noch?« Tja, der Alkohol lockert die Zunge … Ich gehe davon aus, dass sie ihre Offenheit spätestens morgen früh bereut, vorausgesetzt, sie erinnert sich an dieses Gespräch.
»Sie sind nicht dumm. Für mich arbeiten keine dummen Leute, Ms. Meyer. Bis gleich.« Ich beende das Gespräch und breche sofort auf.
Natürlich kostet es mich Überwindung, das Gebäude zu verlassen, aber der Schutz der Dunkelheit erleichtert es mir. Ich besitze eine schwarze Maske, welche die Augenpartie und die rechte Seite meines Gesichtes bedeckt. Auch wenn sie gegen das Vermummungsverbot verstößt, so trage ich sie stets, sobald ich das Haus verlasse.
Wenn mich ein Polizist dumm anquatscht und unnachgiebig ist, zeige ich ihm den Grund dafür. Ansonsten falle ich zwar im ersten Moment auf, aber wenn man bedenkt, wie viele skurrile und exzentrische Leute hier herumlaufen, gewöhnen sich die New Yorker an alles.
So gibt es beispielsweise einen Typ, der stets mit einer Katze auf dem Kopf herumläuft. Einer echten, lebendigen Katze wohlgemerkt und keiner aus Plüsch. Oder man denke an Robert John Burck, bekannt als der nackte Cowboy, der lediglich mit einem Cowboyhut, Westernboots und einem knappen, weißen Slip bekleidet bei jeder Witterung am Times Square Gesangs- und Musikeinlagen gibt. Die strategisch platzierte Western-Gitarre verleiht den Eindruck der völligen Nacktheit. Meine Oma hat solch ein Foto von ihm als Hintergrundbild auf ihrem Smartphone.
Dann gibt es noch Leute, die als Pokémons oder diverse Superhelden verkleidet durch die Stadt laufen. Diese sind keine Seltenheit. Immer mal wieder begegnet man exzentrisch gekleideten Personen. Im Prinzip sind diese Leute ganzkörpermaskiert. Dagegen ist meine Maske nichts.
Letztens hat mir meine Oma ein Video von einem als Spiderman verkleideten Typen gezeigt, der einen zirkusreifen Auftritt an den Stangen in der New Yorker Subway abgeliefert hat. Sie selbst hat das Video aufgenommen und dem jungen Mann dafür einen Zwanziger in die Unterhose gesteckt.
Schon mehrmals habe ich meiner Oma angeboten, ihr eine Limousine nebst Fahrer zu stellen, doch sie fährt lieber mit der Subway. Sie meint, diese habe mehr PS, doch ich glaube, sie bevorzugt sie aufgrund des Unterhaltungsfaktors.
Gegen diese Typen wirke ich selbst mit Maske eher unauffällig.
Ms. Meyer ist eine meiner besten Mitarbeiterinnen. Sie ist stets zuverlässig, pünktlich, höflich und vertrauenswürdig und gibt mir nicht das Gefühl, ein Freak zu sein, wie viele andere Frauen, vor allem, wenn sie so schön sind wie sie.
Insbesondere starrte sie mich nicht so schockiert an wie andere beim Vorstellungsgespräch. Ich glaube, dass einige allein wegen meines Gesichtes, respektive der Maske und den Gerüchten, die über mich verbreitet wurden, den Job nicht angenommen haben. Aber wie gesagt, ich beschäftige keine dummen Leute, und wer andere nach dem Aussehen bewertet, gehört für mich zu den dummen Menschen.
Ich bestelle mir ein Uber und lasse mich zum Angelo’s fahren, da Ms. Meyer mir den Namen der Bar leider nicht gesagt hat. Als ich dort ankomme, ist mir sofort klar, um welche Bar es sich handelt, denn laute Musik dringt von dort nach draußen und maskierte Personen strömen rein und raus.
Ich zahle, gebe der Fahrerin ein Trinkgeld, atme tief durch und steige dann aus dem Fahrzeug. Prompt schrecken einige Passanten vor mir zurück, was wohl auch an meiner mürrischen Miene, meiner einschüchternden Körpergröße und meiner Vorliebe für Schwarz liegt.
Zielstrebig laufe ich auf die Bar zu, über die ein grelles, blaues Neonlicht mit dem Namen Cindy’s Spelunke angebracht ist. Dass dort heute eine Maskenparty stattfindet, kommt mir entgegen. Am Eingang sitzen eine blonde Frau und ein Mann mit langem, dunklem Haar. Beide sehen mich entsetzt an.
Ich bezahle den Eintritt. Dann bahne ich mir einen Weg durch die Menge. Sie weichen von selbst vor mir zurück, was an meiner natürlichen Autorität und vermutlich auch an meinem Körperbau liegt, den ich nach wie vor nicht vernachlässige.