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Ich trinke selten etwas, weil das meist verheerende Folgen hat. Wie beispielsweise beim letzten Mal auf der Geburtstagsfeier meines Bruders. Da wachte ich am nächsten Tag im Bett von dessen besten Freund Liam, meinem Erzfeind, in Las Vegas auf. Mit seinem Ring an meinem Finger! Kann es eigentlich noch schlimmer kommen? Ja, es kann.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Evelyne Amara
Das Las Vegas Desaster
Impressum
25. Februar 2025 Copyright und Urheberrecht Evelyne Amara
Coverabbildung: konradbak / Shotshop.com
Coverdesign: Evelyne Amara
Kontakt@ Evelyne-Amara.com
Evelyne Amara
c/o Autorenservice Gorischek
Am Rinnersgrund 14/5
8101 Gratkorn
Österreich
Kapitel 1
Patrice
Warum muss mein Bruder Jake seinen fünfunddreißigsten Geburtstag ausgerechnet in Las Vegas feiern? Nicht, dass ich etwas gegen die Stadt an sich hätte, aber Las Vegas ist die Domäne von Liam Thornwood, meinem größten Feind.
Vor vielen Jahren ist er dorthin gezogen. Doch auch als er noch in London gelebt hat, hat er mich gemieden, nachdem wir eine kurze, aber stürmische Romanze hatten, als ich achtzehn war. Jetzt bin ich neunundzwanzig, doch manchmal bleibt der Schmerz auch nach so langer Zeit auf der Seele. Ich wünschte, es wäre nicht so.
Wenn man gerade an den Teufel denkt …
Mit einem diabolischen Lächeln tritt Liam näher. Sicherlich will er nicht zu mir. Warum sollte er? Daher drehe ich mich weg und nehme mein Glas mit dem Golden Cream, den mir Raphael, einer der besten Barkeeper von Nevada, zubereitet hat.
Es handelt sich um eine recht schicke Bar: dunkles, poliertes Edelholz, indirekte Beleuchtung, hohe, mit purpurnem Samt bezogene Barhocker, viel poliertes Chrom und scheinbar Tausende von Flaschen hinter dem Tresen mit den Barkeepern, die man leicht für ein paar der glamourösen Gäste in ihren Glitzerkleidern und teuren Smokings halten könnte.
Wider Willen und entgegen besseren Wissens kehrt mein Blick zu Liam zurück. Er kommt immer noch in meine Richtung und sieht genauso gut aus wie damals. Nein, besser. Er besitzt breite Schultern, dunkles Haar, eine ausgeprägte Kinnpartie und eine erstaunlich gerade Nase, wenn man seinen früheren Lebenswandel bedenkt, bei dem er in die eine oder andere Schlägerei verwickelt war. Hinzu kommen durchdringende blaue Augen, die mich seit jeher in den Bann gezogen haben.
Doch diesmal nicht. Jetzt bin ich immun gegen ihn. Ich stürze den Inhalt meines Glases in mich hinein, erhebe mich von dem Barhocker und laufe in Richtung der Toiletten. Dabei vergesse ich die Häkelspitze meines sehr langen Kleides und die hohen Absätze meiner High Heels. Ich bleibe irgendwo hängen, strauchle und wäre gestürzt, wenn nicht ausgerechnet mein Erzfeind meinen Fall aufgehalten hätte, indem er die Arme um mich legt. Sehr feste, muskulöse Arme.
Sein berauschender Duft steigt mir in die Nase. Es ist die vertraute, feinherbe, männliche Note von einst, die meine Erregung in kürzester Zeit in ungeahnte Höhen treibt, unterlegt von dem Hauch eines exklusiven Herrendufts. Teuer wirken auch sein Smoking, seine Frisur und seine Schuhe.
Ich habe Liam nie zuvor in einem Smoking gesehen. Von früher habe ich noch die Bilder von ihm im Kopf in zerrissenen Jeans und einem verwaschenen Shirt über seinen gestählten Muskeln. Manchmal war er ölverschmiert, weil er in einer Kfz-Werkstatt gearbeitet hatte, und an manchen Tagen hatte er sich ein Veilchen bei illegalen Straßenkämpfen zugezogen. Er ist weit gekommen. Wer hätte damals gedacht, dass er einer der jüngsten Multimillionäre von Großbritannien werden würde?
Nicht, dass das für mich jemals eine Rolle gespielt hätte. Ich habe mein eigenes Geld, und damit meine ich nicht das meiner Familie. Mit meinem Brautmodenfachgeschäft bin ich sehr erfolgreich. Zwar war es zuvor schon alles andere als unbekannt, doch seit ich es führe, hat seine Popularität ungeheuer zugenommen. Ich habe viel Zeit und Energie hineingesteckt, was sich vielfach ausgezahlt hat. Zu Recht bin ich stolz auf meine Leistung als Unternehmerin.
Doch in diesem Moment komme ich mir wieder vor wie die Achtzehnjährige, die beeindruckt war von dem vier Jahre älteren besten Freund ihres Bruders. Einem richtigen Mann, keinen von den blassen Jungs in meinem sonstigen sozialen Umfeld, von denen viele von Beruf Sohn waren, die Nachkommen des Adels und der Reichen und manchmal auch Schönen.
Es muss an dem ungewohnten Alkohol liegen, dem Pink Daiquiri, den ich vor dem Golden Cream getrunken habe. Nur das erklärt, warum ich es nicht nur zulasse, gegen ihn zu sinken, sondern auch meine Hand auf seine Brust lege. Sie fühlt sich muskulös an.
Schon damals war Liam sehr gut gebaut, doch jetzt ist er ein Bild von einem Mann. Umwerfend und absolut atemberaubend. Hinzu kommen die Ausstrahlung der Macht und ein beeindruckendes, unerschütterliches Selbstbewusstsein, das keinerlei Bestätigung von außen zu benötigen scheint.
Nebenbei bemerke ich den hochwertigen Stoff seines Smokings, die teure Uhr und seinen leichten Bartschatten, der seine markanten Züge betont. Seine Wärme hüllt mich ein, und seine Nähe berauscht mich.
Seine Stimme reißt mich aus den Träumereien. »Du bist betrunken, Patrice.«
Wie ertappt weiche ich vor ihm zurück. »Nein, ich hatte nur zwei Cocktails.«
»Du trinkst selten etwas außer deinem komischen Tee und den, soweit ich weiß, ohne Rum oder sonstigen Alkohol.«
»Du bist also über mich im Bilde. Spionierst du mir etwa nach?«
Er zuckt mit den Schultern. »Warum sollte ich? Das ergibt sich zwangsläufig, weil ich häufig mit deinem Bruder in Kontakt stehe. Der ist übrigens schwer beschäftigt.« Er blickt in Richtung Jake, der tatsächlich von meinem Aufeinandertreffen mit Liam bisher nichts mitkriegt, weil er nur Augen hat für seine Freundin Gracie.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Jake eine Frau aus eurer Gesellschaftsschicht findet, die keinen Stock im Hintern hat und sich nicht einbildet, etwas Besseres zu sein als die Leute, die nicht einem Grafen aus dem Arsch gehüpft sind.«
Ich habe den Eindruck, dass es sich um einen Seitenhieb in meine Richtung handelt. Wie sehr er sich täuscht! Aber mache ihm das mal einer begreiflich, denn der Kerl ist stur wie ein Maulesel.
Ich lächle zynisch. »Gossensprache wie früher. Warum überrascht mich das nicht? Daran ändert auch die teure Kleidung vom Nobel-Designer nichts.«
Lächelnd beugt Liam sich über mich. Seine Nähe macht mich schwindelig. Ich hasse es, dass er nach wie vor diese Macht über mich hat. Nach all der Zeit und allem, was vorgefallen ist.
Niemals darf er davon erfahren.
»Immer noch eingebildet wie damals. Wie ist es eigentlich, wenn es einem ständig in die Nase hinein regnet, weil man sie so hoch trägt?«
»Ich bin nicht eingebildet.«
»Warum hast du noch nicht deinen tollen Cousin geheiratet, um der alten Tradition des Inzests unter Adeligen willen? Sind deine Eltern nicht grenzenlos enttäuscht darüber? Sicherlich unterstützen sie diese Verbindung.«
»Du bist abscheulich. Außerdem ist er mein Cousin zweiten Grades. Unsere Großmütter waren Schwestern.«
»Trotzdem seid ihr miteinander verwandt. Wer nennt seinen Sohn Barclay, wenn er mit Nachnamen Bancroft heißt? Das hört sich an wie ein Bankhaus. Bestimmt wurde er in der Schule deswegen gehänselt.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Ach ja, ich vergaß. Bei euch haben sie fast alle so hochgestochene Namen. Nur deine Schwester nicht. Poopy, was für ein gewöhnlicher Name.«
»Ich weiß, dass du sie nicht magst, aber sie heißt Poppy. Das ist die Abkürzung ihres zweiten Vornamens Popine. Irgendwie kam es dazu, dass sie als Kind nur damit angesprochen wurde.«
Er nickt. »Ja, Jake hat mir mal gesagt, dass sie Etheldreda Popine Octavia heißt. Und er heißt mit vollständigem Namen Jacobus Archibald Rufus Montgomery, der IV. und zukünftiger Graf von Pembroke. Also muss es vor ihm schon mindestens drei arme Seelen in der Familie gegeben haben, die Jacobus hießen. Kein Wunder, dass er darauf besteht, nur mit Jake angeredet zu werden. Jacob ginge auch, aber warum Jacobus? Wie viele Drogen braucht man eigentlich, um sich solche Namen auszudenken?«
»Du bist charmant wie immer. Poppy wird nicht nur in England und Wales, sondern auch den USA häufig verwendet. Ich finde die Bedeutung Mohnblume recht schön.«
»Dann liegt es wohl an diesem gewöhnlichen Namen, dass ihre Ehe mit dem Grafen Koks nicht funktioniert hat. Gilt eine Scheidung in euren Kreisen nicht als eine entsetzliche Schande und ein Skandal?«
»Das kommt in den besten Kreisen vor. Niemand wünscht sich so etwas.«
»Du willst also Barclay tatsächlich heiraten?«
»Warum willst du das wissen? Bist du wohl eifersüchtig?«
Er winkt ab. »Natürlich nicht. Du bist immerhin die Schwester meines besten Freundes. Da will ich einfach informiert sein.«
»Barclay und ich werden nicht heiraten. Nicht, dass es dich etwas angehen würde.«
Für einen kurzen Moment glaube ich, Erleichterung über sein Gesicht huschen zu sehen, doch ich muss mich wohl täuschen.
»Deine Eltern wollen doch schon lange, dass ihr heiratet.«
Das stimmt allerdings.
»Die können viel wollen. Letztendlich sind es mein Leben und meine Entscheidung.«
»Was ist mit dem Übernahmevertrag deiner Grandma, das Brautmodenfachgeschäft betreffend, den du vor zwei, drei Jahren unterzeichnet hast?«
Erschrocken starre ich ihn an. Er weiß davon? »Jake hat es dir gesagt, oder? Eigentlich war das vertraulich. Hat er wohl Kopien des Vertrages auf dem Männerklo verteilt?«
Wut auf meinen Bruder steigt in mir auf, denn das geht Liam nun wirklich überhaupt nichts an.
Er zuckt mit den Schultern. »Warum sollte er mir nichts davon erzählen? Es steht keine Klausel drin wegen einer Schweigepflichterklärung oder so etwas.«
»Ich bringe ihn um!«
»Damit würdest du Gracie sehr unglücklich machen. Du magst sie doch sehr, nicht wahr?«
Ich nicke. »Ja, natürlich. Sie ist ein guter Mensch.«
»Außerdem will Jake sie heiraten.«
Schockiert starre ich ihn an »Heiraten? Oh Gott! Nein!«
Skeptisch betrachtet er mich aus seinen meerblauen Augen. »Dafür, dass du vorgibst, Gracie zu mögen, freust du dich jetzt aber herzlich wenig.«
»Das liegt daran, dass meine Eltern dann mehr Druck auf mich ausüben werden. Wegen Barclay. Sie wollen ihre Kinder alle unter die Haube bringen.«
Sein Gesicht ist ausdruckslos. »Also ist die Ehe doch bereits in Planung?«
»Das können die vergessen. Lieber heirate ich Troy.«
»Das hört sich nach einer Ehe an, die in der Hölle geschlossen wurde. Die pure Freude und Glückseligkeit. Du kannst es kaum erwarten, ihn zu heiraten.« Seine Stimme trieft vor Ironie. Am liebsten würde ich ihn erwürgen.
Empörung steigt in mir auf. »Troy ist mein bester Freund! Er ist intelligent, sieht gut aus und besitzt einen guten Charakter, was man von dir nicht sagen kann.«
»Dass er auf Kerle steht, ist offensichtlich.«
»Keineswegs.«
»Vergiss es. Er hat sich mal an mich ranmachen wollen. An Frauen hat er noch nie Interesse gezeigt. Was für ein Skandal für die hochwohlgeborene Familie der von und zu Beauchamp, deren einziger Erbe er ist. Dieses Dasein muss ebenso ein Fluch sein wie ein Segen.«
»Er ist nicht homosexuell«, lüge ich zugunsten meines Freundes, der sich noch nicht outen will, wofür er gute Gründe hat. Und um meiner selbst willen. Schließlich muss die geplante Fake-Ehe zwischen Troy und mir funktionieren.
»Das kannst du deinen Eltern und Poopy erzählen, aber nicht mir.«
Empört blicke ich ihn an, was ihn nicht zu beeindrucken scheint. »Nenn meine Schwester nicht so.«
»Wie? Poopy?«
»Ich gehe nicht davon aus, dass du damit den hinteren Aufbau eines Handelsschiffs meinst.«
»Wohl kaum. Troy kommt eure geplante Schein-Ehe auch sehr gelegen, nicht wahr? Weil er nicht das Rückgrat besitzt, zu sich selbst zu stehen und seinen Eltern zu sagen, dass er mit Frauen nichts anzufangen weiß, außer sich mit ihnen über Haarspülungen und Mode zu unterhalten.«
»Wir haben durchaus mehr Gesprächsthemen, als deine begrenzte Fantasie hergibt. Troy interessiert sich für Politik, Medizin, Literatur und noch vieles mehr. Dir wird niemand glauben.«
»Erstens: Warum sollte ich die Klappe halten? Zweitens würde dir deine Grandma das nicht abnehmen. Die wird eure Scharade durchschauen, selbst wenn es euch gelingen sollte, alle anderen zu täuschen.«
Ich erschrecke, versuche, mir das aber nicht anmerken zu lassen. Damit dürfte er sogar recht haben. Der Aufmerksamkeit meiner Oma entgeht so schnell nichts. Die lässt sich nicht linken.
Nicht, dass ich das gerne tue. Es ist wirklich ein Notfall. Ich würde das Brautmodenfachgeschäft verlieren, in dem ich die letzten sieben Jahre meines Lebens, zweieinhalb davon als Eigentümerin, hart gearbeitet habe, und das sehe ich überhaupt nicht ein. Es ist mir einfach zu wichtig.
»Außerdem hat ein Bekannter von mir Troy in einer Schwulenbar gesehen.«
»Das ist eine Lüge!«
»Mitnichten. Eure Scharade wird auffliegen. Ich glaub dir nie und nimmer, dass Troy dein Typ ist, sonst wärst du schon vor fünfzehn Jahren mit ihm zusammengekommen. Und sein Typ bist du erst recht nicht.«
»Es mag sein, dass manche Leute Zweifel an unserer Verbindung haben werden, aber wir können beide sehr überzeugend sein.«
Dann gehört das Geschäft endgültig und für alle Zeit mir.
»Es wundert mich, dass du dich auf so einen Deal eingelassen hast. Vermutlich dachtest du, du hättest noch genügend Zeit, und es würde sich schon noch etwas ergeben. Du wolltest Fenwick heiraten, diesen komischen Vogel, der der Enkel einer der Freundinnen deiner Oma ist. Ich frage mich, warum das nicht geklappt hat.«
Ich wollte Fenwick nie heiraten, aber das muss Liam nicht wissen. »Vielleicht wird meine Grandma nicht auf die Einhaltung dieser altmodischen Klausel bestehen. Ich weiß nicht, ob das überhaupt rechtens ist.«
»Wenn sie dir etwas ohne sonstige Gegenleistungen gibt, das noch dazu von beträchtlichem Wert ist, sollte es durchsetzbar sein. Du hättest es ja nicht annehmen müssen. Sicherlich hat dich niemand mit einer Waffe bedroht, als du den Vertrag unterschrieben hast.«
»Aber sie ist meine Oma. Es hätte von vornherein nicht an solche Bedingungen geknüpft sein sollen.« Ich sollte das nicht mit Liam diskutieren. Ausgerechnet mit ihm nicht. Aber ich hänge jetzt mittendrin. Der Alkohol lockert wirklich die Zunge, vor allem, wenn man ihn nicht gewohnt ist und zu wenig gegessen hat.
Er wirkt amüsiert. »Die alte Dame ist eisenbereift. Da mach dir mal nichts vor.«
»Sieh an, du kannst dich ja zumindest über ein Mitglied meiner Familie halbwegs respektvoll äußern. Wer hätte das gedacht?«
Er wirkt indigniert. »Über deinen Bruder habe ich mich nie anders als respektvoll geäußert. Zumindest nicht, seit wir Freunde sind.«
»Es ist eigenartig, zu einem Freund zu kommen, indem man sich bei der ersten Begegnung gegenseitig verprügelt.«
»Er ist in mein Revier eingedrungen, und so etwas dulde ich nicht.«
»Das hört sich irgendwie nach Straßenköter an.«
Sein Blick wird hart. »Etwas anderes war ich nie für dich, oder? Ein Straßenköter.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt. Ich bin nicht so.«
»Das sagst du immer wieder, aber ich habe im Leben gelernt, dass Worte unbedeutend sind. Die Taten zeigen mir, wer ein Mensch wirklich ist. Und du hast mich damals verraten. Das sagt mir alles, was ich wissen muss.«
»Das ist nicht wahr! Ich habe dich nicht verraten.«
»Mein Gedächtnis trügt mich nicht. Um auf das Thema zurückzukommen: Du willst also nicht den werten Barclay heiraten?«
»Nie im Leben!«
»Aber Troy?«
»Es wäre nicht das Schlimmste. Er ist ein feiner Mensch.«
Wie es aussieht, bleibt mir nichts anderes übrig. Zuvor will ich allerdings mal das Wasser bei meiner Oma ausloten.
Nein, das sollte ich lieber sein lassen. Dadurch würde sie nur noch misstrauischer werden, und das kann ich auf keinen Fall riskieren. Sie darf niemals erfahren, dass unsere Ehe nur ein Mittel zum Zweck ist.
Natürlich kann sie auf diese Idee auch kommen, wenn Troy sich eines Tages outen wird. Allerdings wäre er nicht der erste Mann, der sich lange Zeit über seine Veranlagung im Unklaren war oder diese verdrängt hat. Sicherlich gelingt es uns, das unseren Verwandten glaubhaft rüberzubringen. Auf jeden Fall werde ich Troy nicht hängenlassen und ihm zur Seite stehen. Durch dick und dünn. Dafür sind Freunde da.
Wir kennen uns schon lange, haben in der Schule nebeneinandergesessen und voneinander die Hausaufgaben abgeschrieben. Troy war oft bei den Mädchen. Eigentlich war es schon immer offensichtlich, dass er nicht der typische Junge war. Wobei es auch Männer gibt, die trotz einer starken femininen Seite nicht homosexuell sind.
»Das wird nicht funktionieren«, sagt Liam.
Indigniert blicke ich ihn an. »Natürlich wird es funktionieren. Troy und ich verstehen uns prima.«
»Wenn du ihn heiratest, werde ich das vereiteln.«
Im ersten Moment befinde ich mich in Schockstarre. »Das kannst du nicht tun.«
»Du wirst sehen, dass ich das kann. Troy wird nicht allzu viel passieren, oder glaubst du, dass seine Eltern den Titel, das Haus und das Geld einem entfernten Cousin vererben, nur weil Troy eine andere Veranlagung hat?«
Ich schlucke. »Zuzutrauen wäre es ihnen. Sie sind sehr konservativ, vor allem der Vater.«
»Dann ist sein Vater ein Idiot, denn das Glück seines Kindes sollte für ihn wichtiger sein als so etwas. Troy wird auf Dauer nicht glücklich, wenn er sich immer dem Urteil und den Vorgaben anderer Leute beugt. Denkst du nicht, dass es ihn nicht irgendwann von innen auffressen wird?«
Ich starre Liam an. Einerseits ist er so ein kalter Hund, das anzudrohen, andererseits ergeben seine Worte einen Sinn, und es wirkt auch so, als könne er Troys Dilemma voll und ganz verstehen.
»So viel Empathie hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
Sein Blick ist kalt. »Denkst du wohl, ich besäße keine Empathie?« Er lacht, doch es klingt freudlos. »Natürlich denkst du das. Du kennst mich nicht, hast dir nie die Mühe gemacht, mich wirklich kennenzulernen. Abgesehen von der körperlichen Ebene natürlich. Dafür war ich gut genug.«
Ich winke ab, von einem intensiven inneren Schmerz erfüllt, von dem ich glaubte, ihn überwunden zu haben. Falsch gedacht. »Bitte höre auf damit!«
Ich will an damals nicht erinnert werden. Ich will daran am liebsten überhaupt nicht mehr denken.
Für einen kurzen Moment flackert etwas in seinem Blick auf, von dem ich vermute, dass es Schmerz sein könnte, doch dann nimmt das Blau seiner Iriden wieder die Kälte der Arktis an. »Das hättest du wohl gerne? Dass ich alles unter den Teppich kehre, so tue, als wäre es nie geschehen. Als wären wir nie geschehen. Aber es hat wohl in Wirklichkeit nie ein Wir gegeben. Alles daran war eine Illusion, eine Lüge. Ich war dein schmutziges, kleines Geheimnis, mehr nicht.«
Empörung steigt in mir hoch. »Das glaubst du also oder behauptest du zumindest, zu glauben? Und jetzt willst du dich an mir rächen, indem du denkst, Troy verraten zu müssen? Du tust dem Falschen weh.«
»Troy wird es überwinden. Ich nehme nur vorweg, was er ohnehin irgendwann tun muss, wenn er wirklich glücklich werden will.«
»Was er tut und will, geht dich überhaupt nichts an.«
»Das mag sein, aber ich werde es trotzdem tun.«
»Aber mein Geschäft! Das kannst du nicht tun!« Wo kriege ich so schnell einen Ehemann her? Einen, dem ich vertrauen kann. Der mich nicht übers Ohr haut und sich nach einem Jahr ohne Probleme von mir scheiden lässt.
»Ich habe einen Vorschlag für dich, den du nicht ablehnen kannst.«
Skeptisch blicke ich ihn an. »Welchen denn?«
»Heirate mich!«
Mein Schock könnte nicht größer sein. Vor elf Jahren wäre solch eine Aussage von Liam die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches gewesen. Als ich noch jung, naiv, unerfahren war und nicht wusste, was für ein Mistkerl er wirklich ist. Als ich ihn noch geliebt habe, bevor mir auf die grausamste Art und Weise die Augen geöffnet wurden. Bevor ich erkennen musste, dass er mich nur benutzt und weggeworfen hat.
Und jetzt behauptet er das Gegenteil. Das ist nur eine Masche, die klassische Täter-Opfer-Umkehr.
»Jetzt bist du wohl völlig übergeschnappt! Natürlich heirate ich dich nicht! Das kann nur ein schlechter Scherz sein.«
In seine gletscherblauen Augen tritt ein lauernder Ausdruck. Warum ist mir die Verschlagenheit in seinem Blick nicht bereits damals aufgefallen? »Das ist kein Scherz. Dir liegt dein Geschäft doch am Herzen, oder nicht?«
»Ja, aber …«
»Kein Aber. Ja oder nein?« Seine Stimme ist kalt wie Eis.
»Du weißt, dass es mir am Herzen liegt. Was soll diese Frage? Das ist doch manipulativ.«
»Dann solltest du meinen Vorschlag aufgreifen. Dir wird in der Kürze der Zeit wohl kaum ein anderes geeignetes Angebot ins Haus stehen, nachdem Troy nun als Kandidat weggefallen ist. Wage nicht, jemanden von einem Escort-Service zu beauftragen. Auch das werde ich zu vereiteln wissen.«
Ich werde wütend. »Du bist niederträchtig.«
»Ich tue, was ich tun muss. Die Welt ist nicht fair, Patrice. Das solltest du inzwischen wissen. Du warst es mir gegenüber damals ebenfalls nicht.«
Abgrundtiefe Empörung und Hass machen sich in mir breit. »Das musst gerade du sagen! Ausgerechnet du, der mich verführt und weggeworfen hat.«
»Du hast ein schlechtes Gedächtnis. Ich gehe davon aus, dass Absicht dahintersteckt. Vielleicht hast du aber auch schon so viele Jungs aus der Gosse flachgelegt, dass du dich nicht mehr genau an jeden Einzelnen erinnern kannst.«
Wie von selbst fliegt meine Hand nach oben, um ihm eine Ohrfeige zu geben. Im letzten Moment fängt er sie ab, indem er mein Handgelenk umfasst.
Ich bin entsetzt über mich selbst. Bisher hat nur er mich so weit gebracht, so etwas zu tun.
Liam nimmt eine lange Strähne meines honigblonden Haares, wickelt sie sich um den Finger und zieht mein Gesicht damit zu sich heran. Sein Blick könnte nicht kälter sein. »Wenn du nicht mal dich selbst beherrschen kannst, wie willst du dann erfolgreich sein?«
»Aber ich bin erfolgreich! Ich bin eine sehr erfolgreiche Unternehmerin. Ich habe das Unternehmen aus der nostalgischen alten Zeit in die Moderne geführt, ohne den Charme der Tradition dabei zu verlieren. Und ganz nebenbei habe ich noch die Gewinne beträchtlich erhöht.«
All das entspricht der Wahrheit.
Spöttisch verzieht er die sinnlichen Lippen, die ich früher gar nicht häufig genug küssen konnte. Schnell verdränge ich die unerwünschten Erinnerungen an endlose, atemlose Küsse im Mondschein vor dem See des Ferienhauses meiner Eltern. Wie wir uns später zusammen auf den seidenen Laken gewälzt haben. Seine Lippen, sein Mund, seine Hände, mit denen er mir unaussprechliche Freuden bereitet hat. Ich konnte nie genug von ihm kriegen. Er hat mich entflammt, wie es keinem anderen Mann mehr nach ihm gelungen ist, und dafür hasse ich ihn.
»Das mag sein, aber letztendlich hast du das Business von deiner Oma geerbt, und ihr bist du jetzt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, weil du auf ihre Bedingungen eingegangen bist.«
»Sie hat lange in dem Geschäft gearbeitet. Es steht ihr zu, Bedingungen zu stellen.«
»Warum hat sie überhaupt gearbeitet? Ist das in euren Kreisen nicht verpönt?«
»Weil ihre Familie verarmter Landadel war. Aber auch später, als sie es nicht mehr musste, hat sie mit Stolz erfüllt, was sie sich aufgebaut hat. Sie hat ihre Arbeit geliebt.«
»Mich wundert es nur, dass deine Eltern es zulassen, dass du arbeitest wie der gewöhnliche Pöbel. Oder sitzt du dort nur im Chefsessel und lässt die Arbeit von anderen durchführen, die du herum scheuchst?«
Ich schnaube empört. »Ich arbeite hart.«
»Geld dürfte bei euch doch genug vorhanden sein.«
Ich nicke. »Genau deswegen hatten meine Eltern damals geglaubt, dass du nur hinter unserem Geld her wärst. Dass du Jake ausnutzen wolltest. Ich mag naiv gewesen sein, aber sie hatten dich durchschaut.«
Sein Blick flackert. »So tief werde ich niemals sinken, dass ich mir wegen ein paar Kröten deine versnobte Verwandtschaft antue.«
»Mein Bruder arbeitet auch. Meine Eltern sagen, du hättest ihn verdorben.«
Nun wirft Liam den Kopf in den Nacken und lacht laut los. Es ist ein höchst männliches Lachen, tief und durchdringend. Vor allem aber verwandelt es seine eisigen, harten Züge in ein attraktives Gesicht voller Wärme und Leben. Zumindest für eine Weile.
»Ich soll Jake verdorben haben? Glaube mir, das war nicht mehr möglich. Natürlich habe ich es versucht, aber er war bereits verdorben, als wir einander kennenlernten. Sonst hätte er sich nie in dem verrufenen Viertel herumgetrieben, in dem ich aufgewachsen bin.«
»Wohl kaum. Er besaß schon immer eine wilde Ader.«
Ein Feuer entflammt in seinen Augen. »Genau wie du. In gewissen Situationen.«
Etwas in seinem Blick sagt mir, dass er damit gewisse Tätigkeiten in der Horizontalen meint und dass er sich gerade in diesem Moment daran erinnert, wie wir es miteinander getan haben.
Ich spüre Hitze in meinem Gesicht aufsteigen und würde am liebsten im Boden versinken vor Verlegenheit und Scham. Wie gerne würde ich die Zeit zurückdrehen, um all das ungeschehen zu machen.
Liam war der größte Fehler meines Lebens.
Aber würde ich das wirklich wollen? All diese Ereignisse auslöschen?
Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass es mit ihm nicht etwas ganz Besonderes war. Er hat sich alle Zeit der Welt genommen und mich nach Strich und Faden verwöhnt. Manchmal war es wie eine Folter, als er meinen Körper an seine Grenzen gebracht hat.
Mein erstes Mal und das zweite und dritte und vierzehnte hat er zu unvergesslichen Erlebnissen gemacht. Unvergesslich in jeder Hinsicht. Wie könnte ich auch etwas vergessen, das sich mir derart ins Gedächtnis eingebrannt hat? Ich wünschte, es wäre anders, aber es ist nun mal so.
Er war der erste Mann in meinem Leben, und genau das wird der Grund dafür sein, warum ich ihn nie vergessen konnte. Vielleicht auch, weil er der Erste war, in den ich wirklich verliebt war. Nicht nur verliebt, es war richtige, alldurchdringende, allumfassende Liebe. Eine Liebe, die ewig hätte halten können, wenn er es ehrlich mit mir gemeint hätte. Doch leider war sie einseitig.
»Es ist eine verdammt schlechte Idee, dich zu heiraten.«
Gleichgültig zuckt er mit den Schultern. »Du willst also das Brautmodenfachgeschäft verlieren?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Meine Oma wird gewiss mit sich reden lassen. Vielleicht finde ich noch jemand anderen.«
»Wen denn? Irgendeinen armen Schlucker, der dich wegen deines Geldes heiratet? Wie würde das deinen Eltern gefallen? Troy hat zumindest die richtige Abstammung. Ich hingegen habe mittlerweile das richtige Geld und die richtigen Verbindungen.«
Wut und Verzweiflung steigen in mir auf. »Ich glaube, ich brauche einen Drink! Nüchtern ertrage ich das nicht länger.«
»Du sollst alles haben, was du willst, obwohl ich dir empfehlen würde, vielleicht nichts mehr zu trinken. Nüchtern bist du bereits jetzt nicht mehr.«
Ich ignoriere seine Worte, winke dem Barkeeper zu und gebe meine Bestellung auf. »Einen Golden Dream, bitte.«
»Ich wusste gar nicht, dass du an der Flasche hängst.«
»Das tat ich auch nicht – bis du gekommen bist. Du bist nur im Suff zu ertragen.«
»Wie schmeichelhaft. Ich fühle mich geehrt.«
Böse schaue ich ihn an. »Das solltest du auch, du mieser Erpresser!«
Er grinst amüsiert. »Gibt es auch Erpresser, die nicht mies sind?«
»Fahr zur Hölle!«
»Dort bin ich bereits, Patrice. Oder denkst du, ich will dich aus Spaß heiraten? Mit Sicherheit nicht.« Er wirkt empört.
»Dann hast du auch einen guten Grund dafür?«
»Sicherlich nicht den, dass du meine unsterbliche Liebe wärst. Das Thema hatten wir doch schon vor Jahren geklärt.«
»Allerdings.«
Als mein Golden Dream kommt, nehme ich gleich mehrere große Schlucke davon. Einige Momente später frage ich mich, ob das so klug war. Meiner geistigen Klarheit und meinem Urteilsvermögen dürfte dies nicht allzu zuträglich sein. Aber wie ich es drehe und wende, ich komme aus dieser Nummer ohnehin nicht mehr heraus.
Was vor elf Jahren mein größter Traum gewesen wäre, ist jetzt mein Albtraum. Ein Albtraum, der bevorsteht, sich zu entfalten. Ich spüre die Schlinge schon um meinen Hals.
»Wie lange?«, frage ich.
Verständnislos blickt er mich an. »Was meinst du damit?«
»Unsere Ehe natürlich. Wie lange soll die dauern?«
»Ein Jahr mindestens. Vielleicht ein paar Monate länger. So lange wie nötig, um sämtliche Vorteile aus dieser Verbindung zu ziehen.«
»Was ist für dich da drin?« Er muss einen triftigen Grund für diese Entscheidung haben. Jede Information über den Feind kann von Vorteil sein.
Er zuckt mit den Schultern, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass er innerlich so gleichgültig ist, wie er sich gibt. »Du weißt doch, dass ich diese Dating-App geschrieben habe.«
Ich nicke. »Ja, natürlich. Date oft my Love. Mit der hast du das ganz große Geld gemacht.«
»Ich habe ein paar Pressefritzen am Wickel, die mir unbedingt eins reinwürgen wollen, weil ich Single bin.«
Mit gespieltem Entsetzen sehe ich ihn an. »Welch Skandal es ist, Single zu sein.«
»Glaube mir, ich habe auch keine Lust, mich zu binden und ewig zu knechten.«
Das erinnert mich irgendwie an ›Herr der Ringe‹.
Ich verziehe das Gesicht. »Das ist ja wie bei ›Hot Shots – Der zweite Versuch‹ in der Folterszene: ›Ich sehe, dir sind Schmerzen nicht fremd.‹ – ›Ich war verheiratet. Zwei mal.‹«
Liam lacht. Es ist ein tiefer, männlicher Laut, der wie eine erotisierende Berührung über meine Haut gleitet. »Ich liebe dieses Filmzitat. Ich sehe schon. Wir sind uns einig.«
»Das dürfte das erste Mal sein, dass wir uns einig sind. Zumindest so halbwegs. Ich möchte keine Ehe, zumindest keine lieblose. Ich will aus Liebe heiraten.«
Liam schaut sich um. »Und wo ist der Kandidat dafür? Ich sehe weit und breit niemanden.«
»Der taucht schon noch auf.«
»Er hatte zwölf Jahre Zeit. Er wird wohl kaum in den nächsten zwölf Monaten aufkreuzen.«
»Das ist wohl eher unwahrscheinlich. Außerdem könnte auch diese Ehe in die Brüche gehen. Es wäre nicht meine erste Beziehung, die Schiffbruch erleidet. Mein Business hingegen bleibt mir erhalten. Das ist beständiger als eine Beziehung. Davon lebe ich.«
Er wirkt überrascht. »Nicht vom Geld deiner Eltern?«
Ich schüttle den Kopf, was ich sogleich bereue, denn dabei wird mir ein wenig schwindelig. »Nein, ich sagte doch schon, dass ich völlig selbstständig bin, oder hast du da etwas missverstanden? Es ist viel Arbeit, aber ich verdiene auch gut.«
»Dann weiß ich wenigstens, dass du mich nicht wegen des Geldes heiraten wirst.«
Nachdenklich sehe ich ihn an. Ich habe den Eindruck, dass er das nicht nur aus Spaß sagt. »Wollen das denn so viele?«
»Es gibt immer ein paar, denen das wichtiger ist als der Charakter der Person, mit der sie verheiratet sind.«
»Wie traurig.«
»Das ist deren Problem.« Liam blickt sich um. »Jake wird, glaube ich, so langsam misstrauisch.«
»Ach was. Der ist doch mit Gracie beschäftigt. Die beiden können kaum die Hände voneinander lassen, obwohl sie schon seit fast zwei Jahren zusammen sind. Bei manchen lässt das offenbar kaum nach.«
»Was dich und mich betrifft, ist er misstrauisch. Ich glaube, er befürchtet, wir gehen jeden Moment aufeinander los. Es wäre schließlich nicht das erste Mal.«
»Woran du nicht ganz unschuldig warst. Wärst du mir aus dem Weg gegangen.«
»Ich bin niemand, der Konflikten aus dem Weg geht. Das war ich noch nie. Wenn du davonlaufen willst, bitteschön.« Er grinst unverschämt.
Wütend starre ich ihn an. »Du liebst es, mich zu provozieren!«
»Es ist schön, zu sehen, dass die Eisprinzessin auch noch ein paar hitzigere Emotionen an den Tag legen kann.«
»Nenn mich nicht so!« Am liebsten würde ich ihm an die Gurgel springen.
»Jake kommt zu uns rüber, wenn wir uns nicht gleich beherrschen. Sicherlich willst du deinem Bruder nicht den Geburtstag verderben.«
Skeptisch werfe ich einen Blick in Jakes Richtung, da ich Liams Worten nicht ohne weiteres Glauben schenke. Die Erfahrung hat mich dies gelehrt.
In diesem Fall muss ich ihm leider recht geben. Jake wirft uns inzwischen Blicke zu, die seine Besorgnis darüber offenkundig machen, dass wir einander an die Gurgel gehen könnten. Was nicht mal weit hergeholt ist. Den Versuch einer Ohrfeige hatte er offenbar nicht mitgekriegt, sonst wäre er schon längst hier bei uns.
Ich lächle meinen Bruder, wie ich hoffe, beruhigend an und proste ihm mit meinem Getränk zu. Er erwidert die Geste sichtlich erleichtert darüber, dass die Situation nicht eskalieren wird. Natürlich wird sie das nicht. Liam und ich sind älter als damals. Wir können uns beherrschen.
Vor vier Jahren haben wir uns das letzte Mal gesehen. Dabei sind wir uns sprichwörtlich an die Gurgel gegangen. Alle Umstehenden waren ratlos über so viel aufgestaute negative Energie. Ich selbst auch, denn ich dachte, ich würde ihm nach all den Jahren gleichmütiger gegenübertreten können.
Seitdem ging ich ihm aus dem Weg. Er schien mit mir dasselbe zu tun. Selbst die Geburtstage meines Bruders hatte ich gemieden, irgendeine Ausrede vorgeschützt und alles in den darauffolgenden Tagen nachgeholt, Jake zum Essen eingeladen et cetera.
Ja, ich hatte mich schlecht gefühlt deswegen. Und ja, viel lieber wäre ich bei Jakes Feiern dabei gewesen, aber jetzt weiß ich, dass es besser so gewesen ist.
Glücklicherweise wirkt mein Bruder nun beruhigt, was auch Liam nicht entgeht. Er winkt Jake zu und prostet ihm zu. Liam trinkt irgendeinen Whiskey. Wahrscheinlich einen Kilbeggan. Den hatte er damals schon getrunken.
»Es überrascht mich, dass du dich daran erinnerst.«
Erschrocken blicke ich ihn an. Offenbar habe ich meine Gedanken laut ausgesprochen. Das passiert mir öfter, wenn ich zu viel getrunken habe. Dies ist ein weiterer Grund, normalerweise nicht so viel zu trinken, doch dieser Abend, oder besser gesagt Liams Gegenwart, ist nur im Suff zu ertragen.
»Warum warst du in den letzten vier Jahren nicht auf Jakes Geburtstagsfeiern?«, fragt er.
Ich versuche, mein Erstaunen zu verbergen. Er hat darauf geachtet und weiß, dass es vor vier Jahren das letzte Mal war?
»Ich hatte Migräne.«
Skeptisch blickt er mich an. Er scheint mir nicht zu glauben. Zu Recht. »Jedes Mal? Das glaube ich dir nicht.«
»Kann sein, dass ich auch einmal eine Lebensmittelvergiftung hatte.«
»Um Ausreden bist du nicht verlegen, oder?«
»Es geht dich nichts an, wie ich meine Zeit verbringe.«
»Das wohl nicht, aber Jake ist mein bester Freund, und er war sehr enttäuscht, dass du nicht gekommen bist. Es ist wegen damals, oder? Als wir einander so angeschrien hatten.«
Ich erröte, denn es handelt sich nicht um mein normales Verhalten. Liam holt wirklich das Schlimmste aus mir heraus. Es ist furchtbar.
»Weil du mich als eine eingebildete, arrogante, selbstgefällige Aristokratin, die denkt, die ganze Welt würde sich nur um sie drehen, bezeichnet hast.«
Ein kaltes Lächeln umspielt seine Lippen. »Du hattest mich einen aufgeblasenen Möchtegern-Casanova genannt, der skrupellos alles flachlegt, das nicht schnell genug auf die Bäume kommt.«
»Was auch stimmt. Du hast keine Freundinnen. Hattest nie welche gehabt.«
Etwas blitzt in seinen Augen auf bei meinen Worten. »Ach ja? Woher weißt du das so genau? Verfolgst du etwa die Presseberichte über mich?«
Kurz fühle ich mich ertappt. »Jake erzählte das eine oder andere über dich.«
»Tatsächlich? Tut er das? Mir hat er gesagt, dass er dies vermeiden will, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.«
Ich stöhne auf. »Vielleicht habe ich auch mal die eine oder andere meiner Freundinnen über dich berichten hören. Einige von ihnen verfolgen bedauerlicherweise, was man über dich schreibt. Letztens warst du sogar im Fernsehen. Was dich betrifft, gibt es kein Entkommen. Zumindest hierzulande nicht. Vielleicht sollte ich in den Kongo auswandern.«
»Gute Idee. Vielleicht sollte ich in den australischen Busch ziehen. Dann würde ich vielleicht auch nichts mehr von dir hören. Die attraktive Tochter des Grafen von Pembroke, tonangebend in der Mode, wurde wieder in Paris auf einer Shoppingtour gesichtet. Gerüchten zufolge hat sie sich einen roten Hut gekauft. Ich frage mich, wie langweilig und öde das Leben mancher Menschen sein muss, dass sie solche Schlagzeilen verfolgen.«
»So wie du? Denn sonst wüsstest du nichts davon.« Triumphierend blicke ich ihn an.
»Höchst unfreiwillig. Die Schlagzeilen werden dir regelrecht aufgedrängt. Sie prangen auf den Titelseiten der Klatschzeitschriften, die überall ausliegen. Dann die Berichte über dein Brautmodenfachgeschäft und das ganze Gedöns. Als würde sich die Welt für nichts anderes interessieren, als welche Kleidung du trägst oder verkaufst. Gibt es denn keine wichtigeren Themen?«
»Ich dachte, du wärst so gut darin, zu ignorieren, was dich nicht interessiert oder was du nicht hören willst?«
Er schnaubt. »Als wäre das möglich! Jake ist mein bester Freund. Bedauerlicherweise seid ihr miteinander verwandt.«
»Der seit einigen Jahren nichts mehr über mich berichtet.«
»Vergiss es. Ich kriege trotzdem so einiges von dir mit. Das lässt sich leider nicht ganz vermeiden.«
»Trotzdem willst du mich heiraten. Das widerspricht sich doch.«
»Was heißt wollen? Es ist für uns beide das Beste.«
Angelegentlich blicke ich auf meine Fingernägel. »Ich bezweifle, dass es dir gelingen wird, auch nur für ein paar Wochen den braven Ehemann zu spielen.«
»So ein schlechter Ehemann wäre ich gar nicht, aber brav? Ich bitte dich!«
»Du schaffst es doch nicht mal, für fünf Minuten deine Hose anzubehalten, wenn du eine hübsche Frau siehst, bei der du landen könntest.«
Er verzieht mit einem verdrossenen Ausdruck das Gesicht. »Von wegen fünf Minuten! Wenn es immer so einfach wäre, wie du es beschreibst, aber du kennst ja die Frauen. Sie wollen immer reden. Die labern dir über eine halbe Stunde das Ohr ab, bevor es endlich zur Sache geht.«
Wider Willen muss ich lachen. »Was für eine Zumutung. Also wirklich!«
»Ich muss dir selten beipflichten, aber damit hast du recht.«
»Nein, mal im Ernst. Ich habe keine Lust, der Mittelpunkt des nächsten Presseskandals zu sein über meinen Ehemann, der alles flachlegt, was nicht schnell genug die Bäume hinaufkommt.«
»Wenn du mich heiratest, werde ich keine schlechte Presse generieren. Zumindest nicht mit so etwas. Das verspreche ich dir. Denke von mir, was du willst, aber meine Versprechen halte ich. Du kannst Jake fragen. Er wird mir außerdem die Haut abziehen, wenn ich dir dies antäte.«
»Was hält er eigentlich davon, dass du mir die Ehe anbietest?«
Für einen Moment wirkt er verlegen. »Ich habe ihn nicht gefragt. Es ist eine Angelegenheit rein zwischen uns beiden.«
»Das ist eine Ehe nie. Man hat die bucklige Verwandtschaft immer mit am Hals.«
»Darum kümmere ich mich später. Aber auch für mich und mein Business wäre es nicht gut, wenn ich während unserer Ehe in diverse Skandale verwickelt wäre. Daher wird man mich nicht mit anderen Frauen sehen.«
»Hältst du das denn ein Jahr lang durch?«
»Ich habe schon Schlimmeres überlebt, Patrice. Das kannst du mir glauben.«
Skeptisch und misstrauisch beäuge ich Liam, der stets attraktiver aussieht, als gut für ihn ist. »Erläutere mir deine wahren Gründe für diese Ehe.« Ich nippe an meinem Cocktail.
»Wie ich bereits sagte, verfolgen mich zwei Reporter, die mir mein Business madig machen wollen. Ich, der ewige Junggeselle, der die berühmteste Dating-App verkauft mit der höchsten Rate an zustande gekommenen Beziehungen. Das sei ein Widerspruch in sich, denn ich würde das Paradebeispiel des bindungsunfähigen Playboys abgeben, der Frauen benutzt und dann wegwirft.«
Ich schenke ihm ein ironisches Grinsen. »Es gibt viele Zeitungsenten, aber in diesem Fall dürften die Reporter tatsächlich der Wahrheit auf der Spur sein.«
»So schlimm ist es gar nicht. Die Frauen wissen, worauf sie sich einlassen. Ich gebe keine falschen Versprechen.«
»Dann solltest du die Heerschar deiner Anwälte auf besagte Pressefritzen hetzen.«
»Die werden trotzdem nicht aufgeben.«
»Warum nicht?«
»Weil ich mal mit der Freundin von einem der Presseleute im Bett war. Ich wusste natürlich nicht, dass sie einen Freund hatte und es sich um eine monogame Beziehung handelte. Das hatte sie mir verschwiegen. Trotzdem hat mir das den ewigen Zorn dieses Herrn zugezogen, der nun seine Kollegen auf mich hetzt. Es scheint unter ihnen, zumindest, was diese Sache betrifft, eine gewisse Solidarität zu geben. Außerdem fühlen sich unsichere Männer, von denen es leider mehr als genug gibt, von meiner natürlichen Dominanz, meinem umwerfenden Aussehen, meinem großen Erfolg im Geschäft und bei den Frauen, meiner Persönlichkeit und meiner Ausstrahlung bedroht.«
»Du hast deine Bescheidenheit vergessen.«
Er grinst. »Danke, dass du mich daran erinnerst. Meine herausragende Bescheidenheit!«
Bei all seiner Arroganz ist Liam doch immer wieder amüsant mit seinem Sinn für Humor. Er trägt dermaßen dick auf, dass er es gar nicht so ernst meinen kann.
Ich blicke in seine unglaublich blauen Augen und weiß kaum, was mich dazu bringt, die nächsten Worte zu äußern. Es hat womöglich mit meinem für mich ungewohnt hohen Blutalkoholspiegel zu tun. »Dein Hochzeitsantrag ist alles andere als romantisch.«
»Soll ich vor dir auf die Knie fallen?«
»Um Gottes willen, nein! Jake würde dich hier hinausbefördern lassen. Ich glaube kaum, dass er eine Ehe zwischen uns befürworten würde.«
Liam lacht. »Wohl kaum, doch lass das meine Sorge sein. Der beruhigt sich wieder. Aber das mit der Romantik können wir nachholen. Flitterwochen und den ganzen Kram. Aber warum eigentlich? Ich meine, es ist doch eine Vernunftehe, von der wir beide profitieren werden.«
Ich schlucke. »Vernunftehe oder nicht.
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