Bei Anruf Tod - Sören Martens - E-Book

Bei Anruf Tod E-Book

Sören Martens

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Beschreibung

Ein vermisster Kurier, ein vertuschter Mordanschlag und eine verbrannte Leiche … der zweite Fall für das ungleiche Ermittler-Duo Jürgens und Alberts. Die Zeit drängt für die Kommissare Jürgens und Alberts, als der Lieferant einer Pizzeria plötzlich vom Erdboden verschwindet. Als wäre der Zeitdruck nicht genug, mischt sich auch der polizeikritische Journalist Piet Müller in die Ermittlungen ein und erhöht den öffentlichen Druck auf die beiden Kommissare. Je näher sie dem Vermissten kommen, desto tiefer verstricken sie sich in einem Geflecht aus Missgunst und abgrundtiefem Hass, bis sie selbst ins Visier des Täters geraten. Als dann noch ein Brandermittler auftaucht und in einem abgebrannten Haus eine Leiche findet, läuft ihnen die Zeit davon. Jürgens und Alberts müssen über ihre persönlichen Probleme hinwegsehen, um ihren bisher kniffligsten Fall zu lösen

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhaltsverzeichnis

1) Kapitel

2) Kapitel

3) Kapitel

4) Kapitel

5) Kapitel

6) Kapitel

7) Kapitel

8) Kapitel

9) Kapitel

10) Kapitel

11) Kapitel

12) Kapitel

13) Kapitel

14) Kapitel

15) Kapitel

16) Kapitel

17) Kapitel

18) Kapitel

19) Kapitel

20) Kapitel

21) Kapitel

22) Kapitel

Bei Anruf Tod

Copyright: 2019

Sören Martens

1. Auflage

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Handlung und alle Namen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen oder tatsächlichen Geschehnissen wäre rein zufällig.

1) Kapitel

Endlich die letzte Tour für heute. Die Idee als Pizzalieferant zu arbeiten war nicht unbedingt die schlechteste, wie Benny nun zugeben muss. Zunächst hatte er ja gezweifelt, doch jetzt ist er überzeugt davon, dass er sich richtig entschieden hat. Brauchbare Bezahlung, dazu ein Motorroller, den er auch privat nutzen darf. Nebenbei findet er ausreichend Zeit für sein Studium. Das Navigationsgerät reißt ihn aus seinen Gedanken. „An der nächsten Kreuzung rechts in die Straße 'Dorfrand' abbiegen“, plärrt ihn die elektronische Stimme an.

Er schaltet runter, bremst und biegt in die unbeleuchtete Nebenstraße ein. Nur noch wenige hundert Meter, dann würde er die letzte Pizza für heute ausliefern. Der junge Mann findet es zwar seltsam, dass hier in dieser einsamen Gegend jemand wohnen soll, aber das Navigationsgerät weiß es bestimmt besser als er. Hier ist er zuvor noch nie gewesen. „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, ertönt es aus dem Lautsprecher seines Kopfhörers. Verwundert stoppt der junge Auslieferungsfahrer seinen Roller, schaltet den Motor aus, bockt den Roller auf den Ständer auf und steigt ab.

Er zieht die Handschuhe aus, nimmt den Helm ab und stopft die Handschuhe hinein. Immer noch misstrauisch, legt er seine Ausrüstung auf der Sitzbank ab. Hier soll jemand eine Pizza wollen? Noch als er darüber nachdenkt, ob er wohl einem Witzbold aufgesessen ist oder ihn seine Kollegen kurz vorm Feierabend noch mal reinlegen wollen, sieht er in einigen Metern Entfernung eine Lampe aufflackern. Benny ruft in die Richtung der Lampe: „Haben Sie eine Pizza bestellt?“

Eine männliche Stimme antwortet: „Ja, kommen Sie rüber. Ich habe hier eine Autopanne und warte auf den Abschleppwagen. Da es wohl noch über eine Stunde dauern soll, will ich mir die Zeit mit einer leckeren Pizza vertreiben.“

Benny schaltet die Taschenlampen-App seines Smartphones ein und beleuchtet damit seine Auslieferungstasche auf dem Gepäckträger des Zweirades. Er nimmt die Lieferung heraus. Das löst eine leichte Bewegung des Fahrzeugs auf dem Ständer aus, wodurch der Helm von der Sitzbank zu Boden fällt. Leicht genervt geht Benny um den Motorroller herum, hebt den Helm vom Grasstreifen neben der Straße auf und legt ihn nun in den Fußraum des Rollers. Er greift erneut die Pizza und geht in die Richtung, in der eben noch die Lampe zu sehen war.

„Hallo? Sind Sie noch da?“, ruft Benny in die Dunkelheit.

Im schwachen Schein der Smartphone Lampe geht er weiter und sieht nach wenigen Metern das Auto stehen. Doch der Besteller scheint nicht mehr da zu sein. Benny bewegt das Smartphone, um einen größeren Radius auszuleuchten. Es ist niemand zu sehen. Langsam kommt es ihm etwas unheimlich vor. Erneut ruft er: „Hallo, wo sind Sie? Sie wollen doch Ihre Pizza haben – oder etwa nicht?“

In diesem Moment hört er hinter sich ein Geräusch und dreht sich abrupt um. Im gleichen Augenblick spürt er einen stechenden Schmerz am Kopf. Scheinbar hat ihn jemand mit einem harten Gegenstand geschlagen. Benny beginnt zu taumeln. Ein weiterer Schlag trifft seinen Kopf und er fällt bewusstlos zu Boden.

2) Kapitel

Kriminalkommissar Jürgens betritt sein Büro in der kleinen Polizeidienststelle in Öldenettel. Kollege Alberts sitzt bereits am Schreibtisch. Jürgens erwartet ein „Na verschlafen?“ von seinem Kollegen, denn auch heute ist er nicht pünktlich zu Dienstbeginn im Büro. Doch Alberts blickt nur kurz auf, nickt seinem Kollegen zu und widmet sich dann wieder seiner Arbeit. Diese scheint daraus zu bestehen, eine Auflistung durchzugehen.

Auch Jürgens verspürt am heutigen Morgen keine große Lust auf Konversation. Noch immer sind die Eindrücke des Erlebten der vorvergangenen Woche präsent. Jürgens setzt sich an seinen Schreibtisch, wählt, wie er es seit acht Tagen jeden Morgen tut, am Telefon die Nummer des Krankenhauses in Sande und lässt sich mit dem für seine Kollegin Femke Claaßen zuständigen Arzt verbinden.

„Es tut mir leid Herr Kriminalkommissar Jürgens, aber Ihre Kollegin liegt noch immer unverändert im Koma. Sie hat die erneute Operation sehr gut verkraftet, aber alles andere muss sich erst ergeben. Wir haben aktuell keinen weiteren Einfluss auf Frau Claaßens Genesung.“ Jürgens bedankt sich für die Information und legt den Hörer auf.

Er steht auf, geht wie üblich zum Kaffeeautomaten, wählt einen Kaffee mit Milch und blickt, in der unsinnigen Hoffnung seine Kollegin käme aus der Richtung auf ihn zu, den Gang hinunter. Ebenfalls wie üblich braucht der Kaffeeautomat einen festen Hieb von der Seite, bevor er unter seltsamen Geräuschen, scheinbar widerwillig das gewählte Getränk herausgibt.

Eigentlich kannte Jürgens Femke Claaßen nur wenige Tage, bevor der gesuchte Mörder sie niederstach. Scheinbar war sie ihm aber doch schneller ans Herz gewachsen als je jemand zuvor während seiner Laufbahn bei der Polizei. Sie war ihm sofort sehr sympathisch und nun vermisst er sie. Ein Rufen reißt ihn aus seinen Gedanken:

„Wil, kannst Du bitte mal nach vorne kommen?“ Es ist Polizeimeister Jannick Rosenbohm, der ihn ruft.

Jürgens geht zum Bereitschaftsraum. Dort steht eine junge Frau mit dunklen Haaren. Ihr Alter schätzt Jürgens auf Ende zwanzig. Ihr Kleidungsstil wirkt eher edel und es scheint, dass sie viel Wert auf ein optisch perfektes Auftreten als Frau legt. Neben ihr steht Kriminalrat Buchtmann. Als er Jürgens sieht, kommt er auf ihn zu, streckt ihm die Hand entgegen und sagt: „Guten Morgen Herr Kriminalkommissar Jürgens. Ich möchte Ihnen die Kollegin Vanessa van Aken vorstellen. Sie wird ab sofort hier ihren Dienst verrichten. Auf der Polizeischule hat sie als Jahrgangsbeste die Ausbildung beendet. Erste Erfahrungen konnte sie bereits in einem anderen Revier sammeln, in dem sie zuletzt sechs Monate mitarbeitete.

Nun möchte ich, dass Sie sie gemeinsam mit dem Kollegen Alberts weitergehend und tiefer in die Polizeiarbeit einführen. Langfristig soll sie zur Kommissarin ausgebildet werden. Setzen Sie sie bitte für einfache aber ebenso auch für anspruchsvolle Tätigkeiten ein. Es liegt in Ihrem Ermessen. Sollte, was ich allerdings nicht erwarte, ein erneutes Gewaltverbrechen geschehen, so lassen Sie sie auch an den Ermittlungen teilhaben. Auch darf sie gerne Einblick in die aktuelle Suche nach dem dritten Mann im Fall Harmsen bekommen.

Frau van Aken wird zunächst für sechs Monate hierbleiben und bis zu ihrer Genesung auch, sofern aufgrund ihrer Erfahrung möglich, die Arbeiten von Frau Claaßen übernehmen. Die Leitung der Dienststelle habe ich Ihnen ja bereits letzte Woche übertragen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Frau van Aken anfänglich in die tägliche Arbeit und die Abläufe in diesem Revier einführen und Ihre beruflichen Erfahrungen mit ihr teilen. Kollege Alberts wird ihr dann den Bereich der Einhaltung von Dienstvorschriften und die üblichen Vorgehensweisen erläutern und ihr alles Wichtige in dieser Richtung beibringen. Das ist ja nicht so ganz Ihre Stärke.“

Den letzten Teil von Buchtmanns Erklärung ignoriert Jürgens. „Dann herzlich willkommen bei uns im Revier. Ich denke, dass Sie bei uns einiges lernen können.“

„Guten Morgen Herr Kriminalkommissar Jürgens. Auch ich freue mich, dass ich hier meinen Dienst beginnen kann“, begrüßt Vanessa van Aken ihren neuen Vorgesetzten etwas sehr förmlich und zurückhaltend.

„Ich werde dann ja hier nicht mehr gebraucht“, merkt Buchtmann an. „Den Kollegen Alberts stellen Sie ihr dann bitte vor. Ich muss zurück ins Präsidium. Tschüss und einen angenehmen Tag.“ Buchtmann nickt beiden nochmals zu und verlässt dann den Dienstraum.

Jürgens bedeutet der jungen Frau, ihm in sein und Alberts Büro zu folgen. Als sie das Büro betreten, blickt Alberts zu ihnen auf.

„Herr Kollege Alberts, das ist unser Neuzugang Polizeimeisteranwärterin Vanessa van Aken. Sie soll langfristig Kommissarin werden und wir beide haben die Aufgabe, ihr die praktische Arbeit näherzubringen. Kriminalrat Buchtmann möchte, dass sie von uns beiden die jeweiligen Fähigkeiten und Tricks erlernt, um zukünftig sehr gute Polizeiarbeit machen zu können.“

„Von uns beiden?“, hakt Alberts nach.

„Ja, das waren die Worte von Herrn Buchtmann. Ihre genauen Kenntnisse von Vorschriften und entsprechend konformen Vorgehensweisen soll sie ebenso lernen, wie meine intuitiven und manchmal etwas außergewöhnlichen Varianten der Polizeiarbeit“, antwortet Jürgens.

Alberts schaut Jürgens verwundert an. Es ist das erste Mal, dass Jürgens selber zugibt, dass seine Methoden oftmals nicht der Norm entsprechen. An die neue Kollegin gerichtet sagt er: „Herzlich willkommen, dann werden wir mal sehen, ob wir Ihnen das praktische Grundwissen unserer Arbeit vermitteln können und Sie eines Tages eine Kommissarin sind, die unserer beiden Stärken in sich vereint.“

Nun ist es an Jürgens, verwundert zu schauen, denn es ist das erste Mal, dass Alberts Jürgens teilweise unkonventionelle Arbeitsweise, wenn auch nur indirekt, als Stärke darstellt. Vielleicht gibt es ja noch Hoffnung, dass sich Alberts ein wenig aus der Deckung der Vorschriften und ordnungsgemäßen Vorgehensweisen heraus bewegen wird.

„Ich weiß nicht, was Sie bevorzugen Frau Kollegin, ich halte die Verwendung des `Sie´ für die korrekte Anrede, Kollege Jürgens duzt die Kollegen gerne.“

„Ich passe mich dem an, was hier üblich ist, habe aber gegen das Duzen eigentlich nichts einzuwenden“, entgegnet van Aken schon etwas entspannter.

„Gut, ich bin Wilbur, kurz Wil. Kollege Alberts hat zwar auch einen Vornamen, dieser ist hier aber bisher niemanden bekannt. Vermutlich ist der noch seltsamer als meiner und deshalb neigt er zum 'Sie'“, stichelt Jürgens ein wenig in Richtung des Kollegen.

„Ich weiß nicht, was an dem Vornamen Roman seltsam sein soll. Ich halte es eben eher mit den weniger persönlichen Umgangsformen und fühle mich dabei besser. Aber, da sich hier alle mit dem Vornamen ansprechen, will ich es ausnahmsweise nicht verkomplizieren und bin ab sofort damit einverstanden, dass Sie mich mit Roman ansprechen.“

Jürgens ist sprachlos. Er fragt sich, was in dem sonst so steifen Kollegen vorgeht, dass er einen solchen Schritt macht. Jürgens beschließt aber nicht weiter darauf einzugehen, um diese winzige menschliche Annäherung ans Team nicht wieder zu zerstören.

„Vanessa, ich denke Du kannst in dem vorderen Büro, den Gang runter, links vor dem Dienstraum, Deinen Arbeitsplatz einrichten. Das Büro wird flexibel genutzt, aber aktuell ist es ja nicht besetzt. Jannick wird Dir helfen den PC für Dich einzurichten und Dir alles Weitere erklären.

Üblicherweise würde es an die eher langweilige Arbeit gehen. Wir bekommen einiges an Beschäftigungstherapie, solange hier nichts passiert. In solchen Fällen arbeiten wir Akten durch, suchen irgendwelche Informationen für die Kollegen in der Stadt oder ergänzen Datensätze. Alles nicht sonderlich spannend, aber wir sollen eben nicht nur sitzen und auf das nächste Verbrechen warten.

Insofern sind wir so eine Art Truppe für alles, was gemacht werden muss und keinen Präsenz in anderen Dienststellen bedarf, dem Internet sei Dank,“ erklärt Alberts. „Wir sind eben keine TV-Kommissare, die nur arbeiten, wenn ein Fall anliegt. Wir müssen auch abseits davon tätig werden.“

„Da wir aber aktuell nach einem Tatbeteiligten suchen, der gemeinsam mit zwei Komplizen eine Frau tötete oder zumindest ihren Tod billigend in Kauf nahm und einen seinen Kumpanen erschoss, gibt es reichlich „echte“ Polizeiarbeit zu erledigen“, klärt Jürgens über die aktuelle Lage auf. „Auch in diesem Fall soll Jannick Dir die vorhandenen Informationen zugänglich machen.“

Van Aken nickt verstehend. „Ich gehe dann nach vorne und melde mich bei Jannick. Er und Helge haben sich mir schon kurz vorgestellt, als Polizeirat Buchtmann und ich auf Wil warteten.“

„Eines noch“, fügt Alberts hinzu. „Sie, äh, Du weißt, dass alle Informationen streng vertraulich sind und zu keiner Zeit außerhalb der Dienststelle erwähnt oder besprochen werden dürfen. Weder mit Deinem Freund, Deiner Familie, Deiner besten Freundin noch mit Pressevertretern. Ich denke, Du hast eine entsprechende Erklärung unterschrieben, richtig?“

„Ja, diese wurde mir von Herrn Buchtmann vorgelegt und ich wurde über die Geheimhaltungspflicht aufgeklärt“, bestätigt die junge Frau.

Sie verlässt das Büro und geht den Gang hoch nach vorne.

„Roman, das ist doch kein schlechter Name“, meint Jürgens zu Alberts. „Also sind wir jetzt beim 'Du'.“

„Ja, ich denke, dass es in einem solch kleinen Team schon wichtig ist, etwas näher zusammenzurücken. Das bedeutet aber nicht, dass wir beide jetzt jeden Abend in der Kneipe sitzen und etwas gemeinsam trinken. Unser Aufenthalt im Nachtclub am vorletzten Freitag, auch wenn er nur beruflich begründet war, reicht mir zunächst für weitere Aktivitäten dieser Art. Wir werden weiterhin nur Kollegen sein, die miteinander arbeiten. Durch diesen etwas persönlicheren Umgang werden sich bestimmt auch bessere Ergebnisse erzielen lassen. Zumindest habe ich das gerade ihn einer Studie gelesen.“

„Ah, daher weht der Wind. Du bist so entgegenkommend, weil es in einer Studie steht. Wie auch immer, wenn es was bringt, soll mir der Grund egal sein. Hast Du aktuell was Neues bezüglich des durchgeknallten Tätowierers herausgefunden?“

„Ja und nein. Ich habe einige Informationen über ihn von den Kollegen aus Berlin erhalten, aber darin ließ sich nichts Neues finden. Allerdings haben die Kollegen ermittelt, dass er wohl irgendwo im Umland der Stadt einen Lagerraum gemietet hatte. Sie wollen den demnächst mal in Augenschein nehmen. Wenn sie was finden, dann melden sie sich bei uns und halten uns auf dem Laufenden. Sobald wir da weitere Informationen haben, können wir ihn damit konfrontieren und vielleicht bekennt er sich ja doch zu seinen Taten.“

„An letzterem zweifle ich ehrlich gesagt. Unser erstes Gespräch mit ihm war ja auch nur von Hass und Verachtung geprägt. Dennoch bin ich gespannt, welche weiteren grausigen Details noch herauskommen werden, denn schließlich haben wir bisher ja nur zwei von den Leichen, bei denen er die Tattoos herausgeschnitten hat, gefunden. Irgendwo müssen ja auch die sein, deren Tattoos bei ihm in seiner Sammlung an der Wand hingen.“

„Ich mache mich jetzt wieder an unsere zugeteilten Aufgaben und befürchte, dass wir die nächsten Jahre hier als Aushilfskräfte für unliebsame Arbeiten missbraucht werden“, sagt Alberts mit etwas genervten Unterton und schluckt vernehmlich, wie er es immer macht, wenn ihn was ärgert. Scheinbar hatte ihm der Einsatz trotz des unerwarteten Endes besser gefallen, als er bislang durchblicken lässt. Es ist immer ein Zwiespalt, in dem die Kommissare stecken. Natürlich will ein Kommissar ermitteln, andererseits ist es natürlich besser, wenn es nichts zu ermitteln gibt. Verbrechen sind für gewöhnlich kein Grund zur Freude.

„Bezüglich unseres „dritten Mannes“ gibt es keine neuen Erkenntnisse?“, hakt Jürgens nach.

„Nein, die Ermittlungen sind in einer Sackgasse. Auch Fischer hatte, wie Du ja weißt, bei der offiziellen Vernehmung letzte Woche nicht mehr über die Person zu erzählen als schon an dem Abend, als er bei uns seine Seele erleichterte. Ich bin die schriftliche Aussage nun schon dreimal durchgegangen, aber es gibt da keinerlei Anhaltspunkte, die uns zu „Louis Lustmolch“ führen könnten“, fasst Alberts zusammen. „Wenn sich nicht durch Zufall etwas ergibt, werden wir ihn wohl nie erwischen“, resigniert der Kriminalkommissar.

„Irgendwann macht er einen Fehler und wird wiederauftauchen, denn wer einmal bei solchen Sexpartys dabei war, der wird es auch in Zukunft nicht lassen können. Er weiß ja auch nicht, dass wir nach ihm suchen. Laut offizieller Pressemitteilung waren es ja nur zwei Täter und davon ist einer tot und der andere, Fischer, sitzt in Haft. Meine langjährige Erfahrung und mein Bauchgefühl sagen mir, dass wir in absehbarer Zeit wieder mit ihm zu tun haben werden“, ist sich Jürgens sicher.

Alberts schaut ihn an, überlegt, was er antworten will, besonders auf das Bauchgefühl bezogen, nickt dann aber nur bestätigend und meint: „Warten wir ab, ob Du richtig liegst.“

„Während Du Dich an die langweiligen, zugeteilten Arbeiten für die Zentrale machst, werde ich nochmal mit Fischer reden, eventuell ist ihm ja doch noch was eingefallen. Hatte er eigentlich eine Personenbeschreibung abgegeben?“, will Jürgens wissen. Alberts schaut in die Akte und sagt: „Nein, dazu hat er nichts gesagt. Meinst Du, dass er doch weiß, um wen es sich handelt und er uns Informationen vorenthält?“, wird Alberts nachdenklich.

„Er hat den Mann mindestens zweimal getroffen, einmal bei der bizarren Sexparty und später, als sie gemeinsam ihren Komplizen entsorgt haben. Louis Lustmolch wird kaum einen schwarzen Sack über dem Kopf getragen haben“, meint Jürgens.

„Wil, ich denke, dass die langweilige Arbeit warten kann und wir ihn gemeinsam erneut verhören. Vielleicht sollten wir ja auch seine weiteren Angestellten im Finanzamt nochmals unter die Lupe nehmen. Sie wurden zwar von einem Kollegen aus Wilhelmshaven befragt, aber der ist noch recht jung. Alte Füchse wie wir, können da eventuell mehr herausbekommen“, ist Albert hoch motiviert.

Jürgens schaut ihn an. „Echt, Du willst Dir zugeteilte Aufgaben einfach auf später schieben?“, fragt er mit leicht ironischem Unterton.

Alberts schaut ihn an und erkennt die Ironie. „Ja, denn aktuelle Ermittlungen, die unsere Fälle betreffen, sind definitiv vorrangig zu behandeln. Ich denke, ich finde dazu auch die passende Dienstvorschrift“, antwortet Alberts ungewohnt aufsässig.

„Du erstaunst mich immer wieder“, antwortet Jürgens. „Machen wir uns auf den Weg.“

„Ja, gleich. Ich werde unseren Besuch in der JVA ankündigen, dann geht es etwas schneller, wenn wir dort ankommen.“

3) Kapitel

Rund eine Dreiviertelstunde später erreichen sie die JVA in Wilhelmshaven. Auch wenn sie noch neu in der Gegend sind, so erkennen die Pförtner sie bereits. Optisch fällt das Kommissaren-Duo sofort ins Auge.

„Hallo, Sie kennen ja das Prozedere“, begrüßt sie einer der beiden Pförtner. „Herr Fischer ist bereit mit Ihnen zu sprechen. Einen Anwalt wollte er nicht hinzuziehen“, informiert er die beiden Beamten aus Öldenettel.

„Davon waren wir ausgegangen, da uns Herr Fischer vollste Unterstützung zugesagt hat. Er scheint noch etwas Anstand zu besitzen und versucht, seine Verfehlungen wenigstens ansatzweise wiedergutzumachen“, antwortet Alberts.

Die beiden Kommissare legen ihre Waffen, Telefone sowie Gürtel, Schlüssel und sonstige Sachen, die beim Durchschreiten der Sicherheitsschleuse einen Alarm auslösen könnten, in eine Kunststoffbox. Hinter der Schleuse nehmen sie bis auf ihre Dienstwaffen alles wieder an sich.

In einem Verhörraum wartet bereits Fischer in Begleitung eines Justizvollzugsbeamten auf sie. Er sitzt an der einen Seite eines in der Mitte des Raumes stehenden Tisches.

Jürgens und Alberts setzen sich ihm gegenüber an den Tisch.

„Guten Tag Herr Fischer. Wie geht es Ihnen hier?“, fragt Alberts.

„Guten Tag die Herren. Wie soll es einem im Gefängnis schon gehen? Mittlerweile ist mir in vollem Umfang bewusst geworden, an welchen üblen Dingen ich beteiligt war. Ich hatte viel Zeit nachzudenken und rückwirkend erkenne ich mich selber nicht wieder. Es war irgendwie, als würde ich von außen gelenkt und konnte mich nicht entziehen“, antwortet Fischer.

„Sie erwarten jetzt aber nicht, dass wir Ihr Vorgehen verstehen und Sie womöglich bedauern, oder?“, antwortet Alberts.

„Nein natürlich nicht. Ich stehe zu den Dingen, die ich gemacht habe und auch zu der Aussage, dass ich Sie bei der Suche nach Louis Lustmolch unterstütze.“

„Gut, genau deswegen sind wir hier. Sie sagten ja selber, dass Sie viel Zeit hatten, um nachzudenken. Können Sie uns nun doch nützliche Informationen zu seiner Person sagen? Aussehen, Sprache, Bewegungen, irgendwelche Auffälligkeiten?“, fragt Jürgens. „Vielleicht kennen Sie den Mann ja doch aus Ihrem Alltag. Oder wollen Sie etwa jemanden schützen?“

Fischer schüttelt vehement den Kopf. „Nein, ich will niemanden schützen, das sagte ich doch schon. Ich kenne den Mann nicht. Ich habe ihn zweimal gesehen. Einmal bei unserer Sexparty, das andere Mal, als wir gemeinsam Jack zur Rede stellten und Louis ihn letztlich tötete. An die Sexparty kann ich mich, außer an das Unglück, kaum und wenn, dann nur verschwommen erinnern. Ich hatte ja Alkohol und Kokain in großen Mengen intus. Louis trug, genau wie ich, während der gesamten Sexparty eine Maske vor dem Gesicht. Das waren solche Masken aus Papier, die man in jedem Spielzeugladen bekommt.“

„Die haben unsere Leute gefunden. An der Katzenmaske waren Ihre DNA-Spuren, an der Hundemaske die von Jack, dessen Identität wir ebenfalls noch nicht kennen. An der Eselmaske waren unbekannte DNA-Spuren, vermutlich die von Louis, sofern stimmt, was sie erzählt haben. Hieß Ihr Motto des Abends „Bremer Stadtmusikanten“ oder wie?“, will Jürgens wissen.

Fischer überlegt kurz und sagt dann: „Ja, im weiteren Sinn tatsächlich. Wir hatten den Account, über den wir gestreamt haben, tatsächlich „Bremer Stadtmusikanten“ genannt. Einer von den beiden anderen hatte die Masken besorgt und weil es vier Masken unter dem Motto waren, dachten wir uns, es wäre lustig und gleichzeitig unverdächtig, wenn wir die Übertragung so nennen würden. Ehrlich, das hatte ich vergessen. Es fiel mir eben erst wieder ein, als Sie das Motto erwähnten.“

Jürgens und Alberts schauen sich an. Dann poltert Alberts los: „So eine wichtige Sache haben Sie vergessen? Dennoch behaupten Sie, dass Sie uns helfen wollen. Was haben Sie sonst noch vergessen?“

Erschreckt rutscht Fischer etwas mit dem Stuhl zurück. Dann antwortet er kleinlaut: „Sie haben ja recht, ich hätte mich erinnern müssen, aber mein Gedächtnis hat bei all den Ereignissen dichtgemacht.“

„Gut, dann öffnen Sie Ihr Gedächtnis mal schnellstens wieder, sonst müssen wir annehmen, dass Sie doch vorsätzlich an einem Mord beteiligt sind“, fordert Alberts ihn mit harter Stimme auf.

„Können Sie mir sagen, bei welcher Plattform Sie sich angemeldet haben, um die Sexparty zu streamen?“, will Jürgens mit ruhiger Stimme von Fischer wissen.

„Nein, das hat alles Annegret organisiert. Sie kannte sich da besser aus als ich. Vielleicht hat sie ja was auf ihrem Rechner im Finanzamt gespeichert“, antwortet Fischer.

„Laut Aussage Ihrer Mitarbeiterin Frau Jacobi, soll das nicht möglich sein, da abends alle lokalen Daten wieder gelöscht werden“, entgegnet Jürgens.

„Ja, das ist richtig. Aber wir haben eine kleine Partition einrichten können, die das nicht betrifft. Das war zwar illegal, aber so konnten wir Daten behalten, die wir lokal dort gespeichert haben. Ich schreibe Ihnen den Pfad und das Passwort auf, dann bekommen Sie dort Zugriff. Eventuell sind dort ja auch noch Sicherheitskopien hinterlegt, die Annegret angefertigt hat.“

Jürgens hält Fischer sein Smartphone hin und fordert: „Tippen Sie das bitte in die Notizfunktion ein, da ich keinen Block und Schreiber dabeihabe.“

„Warum haben Sie uns das nicht gleich gesagt?“, will Alberts wissen. „Irgendwie habe ich immer mehr das Gefühl, dass Ihre Hilfe bei der Aufklärung immer nur so weit geht, wie es sich nicht verhindern lässt, weil wir Erkenntnisse haben, die Sie nicht leugnen können. Also, ich fordere Sie final auf, mit jeglicher Information rauszurücken, die Licht in diesen Fall bringt. Ansonsten werde ich mit dem Staatsanwalt reden und ihm mitteilen, dass Sie der Drahtzieher der ganzen Angelegenheit sind und entsprechend zwei Todesfälle zu verantworten haben“, herrscht Alberts Fischer erneut sehr laut an.

Jürgens schaut zu Alberts, sagt aber nichts, obwohl er denkt, dass Fischer bei so harscher Ansprache abblocken und es sich anders überlegen könnte. Mit etwas Einfühlungsvermögen besteht wenigstens eine geringe Chance weitere Informationen zu bekommen.

Fischer sieht Alberts an und sagt: „Wissen Sie was, Herr Kommissar Alberts, ich werde gar nichts mehr sagen.

---ENDE DER LESEPROBE---