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Eine halbe Leiche, Nervenkitzel und eine Influenzer Messe… der dritte Fall für das ungleiche Ermittler-Duo Jürgens und Alberts. Kaum tritt die Mannschaft des Polizeireviers in Öldenettel in voller Stärke an, wird eine Leiche mit abgetrennten Beinen gefunden. Im dritten Fall des Ermittler-Duos Jürgens und Alberts gibt es keinerlei Ermittlungsansätze! Damit stehen sie trotz ihrer langen Erfahrung im Polizeidienst völlig ratlos dar. Auch die Erkenntnisse der KTU und der Spurensicherung bringen kein Licht in das Mysterium des halben Toten. Als wäre das nicht schon ausreichend, geschieht eines der größten Unglücke der letzten Jahre. Dies ruft die internationalen Medien auf den Plan. So wächst der Druck auf das Team der Ermittler, unter der Beobachtung internationaler TV-Teams, die Verursacher zu finden. Als dann auch noch private Befindlichkeiten der Kolleginnen ins Spiel kommen und Öldenettel als Veranstaltungsort für eine YouTuber- und Influenzer-Messe auserkoren wird, kommen die Beamten an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Jetzt liegt es an Jürgens und Alberts, um diesen kniffligen und mysteriösen Fall zu lösen
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
1) Kapitel
2) Kapitel
3) Kapitel
4) Kapitel
5) Kapitel
6) Kapitel
7) Kapitel
8) Kapitel
9) Kapitel
10 )Kapitel
11) Kapitel
12) Kapitel
13) Kapitel
14) Kapitel
15) Kapitel
16) Kapitel
17) Kapitel
18 )Kapitel
19) Kapitel
Tod im Display
Mörderisches Ostfriesland
Ein Fall für Jürgens & Alberts
von Sören Martens
Copyright: 2021
Sören Martens
1. Auflage
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Handlung und alle Namen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen oder tatsächlichen Geschehnissen wäre rein zufällig.
„Bro, alles gucci?“
„Ja, Dude, ich bin hier“, antwortet der Angesprochene leise. „Hast Du die Kamera gecheckt?“
„Klar Bro, bin doch kein Beginner. Alles cool.“ Während er das sagt, schaltet der dunkel gekleidete, junge Mann seine Action Cam, die er an einem speziellen Stirnband befestigt hat, ein. „Läuft, kann losgehen“, fordert er seinen ebenfalls dunkel gekleideten Begleiter auf, die geplante Aktion zu starten.
„Cool Dude. Meine GoPro läuft auch. Das wird eine krasse Aktion werden“, bestätigt er. Dann bekräftigen sie ihr Vorhaben mit einem typischen Faustgruß, bei dem sie die Fäuste jeweils eine Faust gegen die des anderen drücken.
Geschützt durch die Dunkelheit dieser Neumondnacht, rennen die beiden Männer geduckt über eine Wiese in Richtung eines mehr als mannshohen Zaunes. Dort angekommen, nimmt derjenige, der mit Bro angesprochen wird, einen Bolzenschneider aus seinem Rucksack und beginnt die Maschen des Zaunes zu durchtrennen.
„Krass, da hängt ein Schild, das aussieht wie eine Warnung. Ich leuchte das mal kurz an und filme das für das Intro.“ Dude schaltet eine kleine, aber dann dennoch sehr hell leuchtende Taschenlampe ein und richtet sie auf das Schild, auf dem zu lesen ist: 'Vorsicht Lebensgefahr. Betreten strengstens untersagt. Bei Zuwiderhandlung Strafanzeige'.
Er hält seine Kamera für zehn Sekunden auf das Schild gerichtet und filmt es ab. Anschließend schaltet er die Taschenlampe wieder aus und steckt sie in seine rechte Hosentasche.
Inzwischen schneidet Bro den Zaun soweit auf, dass sich die beiden Gestalten nacheinander einigermaßen problemlos hindurchzwängen können.
Auf der anderen Seite des Zaunes bewegen sie sich schnell in geduckter Haltung die wenigen Meter über das Rasenstück zur Hauswand. Dort gehen sie einige Meter nach rechts an der Wand entlang, bis sie einen schmalen, asphaltierten Abstellplatz für Müllcontainer erreichen. Einer dieser Container steht direkt an der Hauswand.
„Da hoch?“, fragt Dude.
Bro nickt. Anschließend klettert er auf den Container, um von dort weiter auf das Flachdach des Gebäudes zu klettern. Sein Begleiter tut es ihm gleich.
Vorsichtig huschen sie auf der mit Dachkies bedeckten Bedachung in Richtung eines Oberlichtes. Dieses ist leicht nach außen gekippt, sodass die beiden Einbrecher durch den Spalt ins Gebäude sehen können. Unter ihnen befindet sich ein Sanitärraum.
„Yessss, sie haben es nicht verschließen können“, flüstert Bro seinem Kumpanen begeistert zu. „War eine gute Idee, es gestern während der Öffnungszeiten zu manipulieren“, ist er stolz auf sich.
Dude nickt und macht sich dann daran das Oberlicht hochzuklappen. Dazu muss er es mit erhöhter Kraftanstrengung nach außen ziehen. Als das Oberlicht endlich der Krafteinwirkung von Dude nachgibt, ertönt ein zwar nicht sonderlich lautes, aber dennoch gut vernehmbares Geräusch. Er hält inne. Hatte sie jemand gehört?
Geräuschlos verharren sie in geduckter Haltung neben dem Oberlicht, bis sie sich sicher sind, dass niemand etwas von ihrer Aktion mitbekommen hat. Dann klappen sie das Oberlicht ohne weitere Schwierigkeiten hoch. Sie klemmen den Bolzenschneider zwischen der geöffneten Lichtkuppel und dem Rahmen fest, sodass der hochgeklappte Teil nicht wieder in den Rahmen zurückkippen kann.
„Sollte gehen“, befindet Bro und klettert über die Öffnung. Während er sich mit den Händen am Rahmen des Oberlichtes festhält, bewegt er seine Beine langsam in die Öffnung, macht seinen Körper so lang wie es ihm möglich ist und der Abstand zwischen seinen Füßen und dem Boden nur noch einen halben Meter beträgt. Dann lässt er los und landet auf dem Boden des Sanitärraumes.
Er schaut nach oben und wispert Dude zu: „Los, jetzt Du, ist einfacher als gedacht. Ich gehe zur Seite.“
Kurz danach landet Dude, der ebenso verfährt wie Bro zuvor, auch auf dem Boden des Sanitärraumes neben Bro. „Jau, das war easy“, bestätigt er, nachdem er unten angekommen ist.
Sie öffnen die Tür, gehen hindurch und stehen dann in einer Art Halle. Eine gedimmte Beleuchtung erhellt den gesamten Raum. Die beiden Einbrecher sehen einen großen, mit hohem Glas umrandeten Bereich, der den größten Teil des Raumes, der geschätzte 700 Quadratmeter groß ist, einnimmt. Außerhalb des Bereiches befindet sich ein umlaufender Gang von rund drei Metern Breite, der für die Besucher gedacht ist. Durch das Glas können diese in den inneren Bereich, der einer Sumpflandschaft nachempfunden wurde, auf die andere Seite der gläsernen und dadurch durchsichtigen Begrenzung schauen. Des Weiteren gibt es auf der gegenüber liegender Seite der Toilettentür, aus der sie gerade traten, eine Empore, auf die der Gang über eine Treppe auf der einen Seite hinauf und auf der anderen Seite wieder herunterführt. Auf diese Art und Weise wird es den Besuchern ermöglicht, die Perspektive zu verändern und auch über die Glasscheibe, die die Empore nur bis auf Brusthöhe eines Erwachsenen begrenzt, zu schauen.
Dude und Bro gehen, darauf bedacht, sich möglichst lautlos zu bewegen, zu der Empore. Dabei passieren sie ein Warnschild auf dem steht: 'Werfen Sie im eigenen Interesse nichts über die Glasbegrenzung. Irgendwer wird es wieder herausholen müssen und das wird niemand von uns sein. Vielen Dank für Ihre Rücksichtnahme.'
Dann beginnen sie den Bereich auf der anderen Seite mit ihren Kameras zu filmen. „Reicht das Licht?“, will Bro wissen.
„Ja, geht. Gut, dass wir die teure Variante der Kamera gekauft haben. Sie ist eindeutig lichtempfindlicher“, zeigt sich Dude erfreut.
„Kannst Du da irgendwas außer dem Sumpf sehen, Dude?“
Dude löst die Kamera von seinem Stirnband, hält sie so vor sein Gesicht, dass er das Display sehen kann und betätigt den fünffachen Zoom. Langsam schwenkt er die Kamera über die künstliche, durch das diffuse Deckenlicht kaum ausgeleuchtete Sumpflandschaft, kann aber keine Lebewesen entdecken.
„Mist, ich sehe sie nicht“, ärgert er sich. „Die müssen doch irgendwo sein.“
Dann sieht er einige Meter entfernt, ganz am rechten Rand der Empore, eine in die Umrandung eingelassene Tür. Auch diese ist nur brusthoch, aber mit einem einfachen Schloss gesichert. Die Betreiber der Anlage gehen augenscheinlich davon aus, dass kein Besucher auf die Idee käme, über die Glasbegrenzung zu klettern und die rund sechs Meter nach unten zu springen. Auch erwarten sie nicht, dass ein an den Attraktionen Interessierter die Tür überklettert und so auf die kleine Plattform innerhalb des abgesperrten Bereichs gelangt. Hinzu kommt, dass während der Öffnungszeiten immer Personal anwesend ist und darauf achtet, dass niemand über die gläserne Absperrung steigt oder auf andere dumme Ideen kommt. Doch während der Nacht stellt sich die Situation anders dar, denn kein Personal würde die Eindringlinge an irgendwas hindern.
Dude geht zu der Tür und überklettert diese mit Leichtigkeit. Nun steht er auf der rund einen Quadratmeter großen Plattform oberhalb der Sumpflandschaft.
„Alter, was machst Du?“, fragt Bro besorgt.
„Ich versuche nur eine bessere View zu bekommen“, antwortet dieser. Dann schwenkt er seine Kamera erneut über das eingegrenzte Areal. Nachdem er nichts von Interesse entdecken kann, meint er enttäuscht: „Ey, das wird nie was. Wie wollen wir denn so die Para für unseren Clip bekommen, Alter? Was 'ne abgefuckte Idee, hier den Sieger-Clip machen zu wollen.“
„Ich konnte nicht wissen, dass die sich verstecken. Du hast sie doch gestern gesehen, die müssen doch irgendwo sein“, antwortet Bro mit etwas unterdrückter Stimme, da er noch immer Angst hat, es könnte sie jemand entdecken.
Dude schaut in die künstliche Sumpflandschaft hinunter und entdeckt, dass es an der Plattform eine Leiter gibt, die nach unten führt. Er fährt den Zoom an der Kamera zurück, schaltet sie auf Aufnahme und befestigt sie wieder an seinem Stirnband. Dann beginnt er langsam die Leiter herabzuklettern.
„Ey, Alter, was soll das? Du willst doch nicht da reinklettern?“, zeigt sich Bro besorgt.
„Nur ein Stück weit. Vielleicht bekomme ich dann doch was gefilmt. Die Aktion soll ja auch was bringen, vor allem will ich, dass wir den big price gewinnen.“
Während er das sagt, schaut er zu seinem Kumpel nach schräg oben und nimmt so nicht wahr, dass sich unter ihm etwas bewegt.
Langsam klettert er die Leiter weiter herunter und dreht den Kopf wechselnd von links unten nach rechts unten und wieder zurück. Dude erreicht mit seinen Schuhen die letzte Strebe der Metallleiter, die ungefähr einen Meter über dem Grund endet. Erneut schaut er sich um und übersieht dabei wieder die Bewegung im künstlich angelegten Wasserbecken der Sumpflandschaft.
Bro hingegen sieht, dass etwas langsam, aber stetig im Wasser auf die Leiter zu schwimmt. Dude schätzt gerade ab, ob es ihm gelingen würde, auf einer trockenen Stelle, einem der herum liegenden Felsbrocken oder einem der ebenfalls auf dem Grund liegenden Bäume zu landen, würde er sich langsam von der Leiter herunterlassen. Die Leiter wieder zu erklimmen, erscheint ihm als nicht sonderlich schwierig, da der Abstand zum Boden nicht zu hoch ist, um die unterste Sprosse zu erreichen und sich hochzuziehen.
Er hängt sich an die Sprosse der Leiter auf der Höhe seines Gesichtes und hangelt sich die Sprossen weiter herunter, sodass seine Beine fast den Boden berühren. Dabei schaut er, immer noch in der Hoffnung, nun endlich das gewünschte Objekt vor die Kamera zu bekommen, wieder in die Runde. Dann geschehen mehrere Dinge gleichzeitig.
Bro ruft ihm zu: „Pass auf, unter Dir! Komm hoch, schnell!“
Im gleichen Moment schaltet jemand die Beleuchtung in der Halle an, sodass alles taghell erleuchtet ist. Von irgendwo ist eine Stimme zu hören, die in Richtung Bro ruft: „Hallo, was machst du da? Wie kommst du hier rein?“
Dude überlegt kurz, was er machen soll. Hochklettern und entdeckt werden oder lieber an der Leiter hängen und hoffen, dass ihn keiner sieht. Unerkannt flüchten würde er nicht können, denn bis er die Leiter wieder hochgeklettert wäre, wäre die Person bestimmt auch schon auf der Empore angekommen.
Die Entscheidung wird ihm auf tragische Weise abgenommen, denn plötzlich spürt Dude, wie unter ihm etwas angeschossen kommt und nach seinem Fuß packt. Er spürt einen plötzlichen, unsagbaren Schmerz, als sich zwei Reihen Zähne von beiden Seiten in seinen rechten Unterschenkel bohren. Gleich darauf nimmt er ein starkes Reißen wahr und er versucht sein Bein instinktiv nach oben zu ziehen. Doch das Gewicht des daran hängenden Untiers ist zu groß, als dass sich Dude aus dem Biss befreien könnte. Es beißt noch kräftiger zu und beginnt stärker an seinem Bein zu zerren und zu reißen. Irgendwann halten Dudes Knochen, Muskeln und Sehnen den Zug nicht mehr aus und unter großen Schmerzen reißt Dudes Bein ab. Von oben hört er das entsetzte Schreien und Rufen von Bro, der alles beobachtet hat.
Erstaunlicherweise gelingt es Dude, den Schmerz auszublenden, was aber eher an seinem Schockzustand als an einer Willensleistung liegt, und beginnt sich die Sprossen langsam wieder hochzuziehen. Tatsächlich schafft er es, zwei Sprossen nach oben zu überwinden. Das Untier hat von ihm abgelassen und widmet sich dem abgerissenen Bein.
Durch das Blut und die Bewegungen angelockt, bewegen sich zwei weitere riesige Exemplare in Dudes Richtung. Sein linkes Bein hängt noch in der Luft und innerhalb von wenigen Sekunden verbeißt sich das nächste Reptil in diese Gliedmaße. Erneut durchfahren ihn Schmerzen wie er sie bisher nicht kannte und er beginnt laut vor Schmerz zu schreien. Gleichzeitig verkrampft er, in der Hoffnung so zu verhindern, in die Tiefe gezogen zu werden, seine Hände um die Leitersprosse. Durch dieses panische, sich mit aller Gewalt an der Leiter Festklammern, gelingt es ihm, nicht nach unten gerissen zu werden. Aber auch sein zweites Bein hält dieser Belastung nicht stand und gibt unter lautem Knacken der brechenden Knochen, dem Reißen der Sehnen und dem Zerfetzen der Beinmuskeln schließlich nach.
Nun hängt sein blutender verstümmelter Rumpf ohne Beine wie angeklammert an der Leiter und lockt weitere Tiere an. Doch sie können Dude nicht erreichen, was ihn, völlig die Situation verkennend, erleichtert. Schnell macht sich Schwindel breit und er versinkt in einem Strudel aus Vergessen und ersehnter Ruhe ohne Schmerzen.
Das Blut läuft aus seinem Körper wie aus einem geöffneten Wasserhahn und bildet unter ihm auf dem Grund eine stetig wachsende Lache. Die nun zur vollen Wildheit erwachten Bestien gebärden sich wie toll, um das vermeintliche Futter an der Leiter zu erreichen. Als das nicht gelingt, gehen sie im Blutrausch aufeinander los. Davon bekommt Dude aber nichts mehr mit.
Auch dass oben drei Männer aus verschiedenen Richtungen zur Empore laufen und seinen Kumpel Bro stellen und ihn gewaltsam an der Flucht hindern, nimmt er nicht mehr wahr. Wenige Minuten nachdem er die verhängnisvolle Entscheidung traf, die Leiter in die künstliche Sumpflandschaft hinunterzuklettern, ist er tot.
„Na, verschlafen?“, begrüßt Kriminalkommissar Wilbur Jürgens seinen Kollegen Roman Alberts mit genau den Worten, mit denen dieser ihn vor elf Wochen, als sie sich zum ersten Mal im Dienst begegneten, empfing.
Alberts dreht sich in Richtung Jürgens um. Der steht auf dem Flur der kleinen Polizeiwache in Öldenettel neben dem Kaffeeautomaten. Dieser verdeckte Jürgens beim Hereinkommen von Alberts. Nun ist Jürgens einen Schritt hervorgetreten, sodass Alberts ihn sehen kann.
Kurz überlegt er und entgegnet dann, nicht ohne vorher vernehmlich zu schlucken: „Tatsächlich habe ich verschlafen. Etwas, dass mir in meiner gesamten Dienstlaufbahn noch nie passiert ist. Aber der lange Krankenhausaufenthalt, die weiteren fünf Wochen in der Reha-Klinik und das vergangene Wochenende bei meiner Schwester in Hannover haben mich etwas undiszipliniert werden lassen.“
Jürgens schaut den Kollegen mit großen Augen an. Dann beginnt er lauthals zu lachen. Auch aus dem Büro, das Alberts gerade betreten will, ertönt lautes Lachen. Alberts dreht sich um und sieht, dass die Kollegen Jannick Rosenbohm, Helge Eilers und Vanessa van Aken im Büro vor seinem Schreibtisch stehen. In den Händen halten sie ein kleines Banner auf dem zu lesen steht: 'Willkommen zurück, Roman!'
Verwirrt schaut er von Jürgens zu den Kollegen und dann wieder zurück. Er schluckt vernehmlich, wie er es immer tut, wenn er unsicher ist, sich ärgert oder einfach nicht weiß, wie er in der Situation reagieren soll.
Dann passiert etwas, dass es während seiner Zeit in Öldenettel so noch nicht gegeben hat: Alberts lächelt die Kollegen an und zeigt eine positive Gefühlsregung. „Danke, das freut mich wirklich. Ich weiß ja, dass ich nicht so einfach im Umgang bin, aber scheinbar kommt Ihr damit ja ganz gut klar. Dieser Empfang bedeutet mir wirklich etwas, denn so eine Reaktion gab es in den annähernd vierzig Jahren meiner Arbeit bei der Polizei noch nie. Vielen Dank. Die Runde Brötchen geht auf mich“, sagt er zur Verwunderung aller Anwesenden.
Die drei jungen Polizisten begrüßen ihn noch mit Handschlag und gehen dann wieder in den vorderen Bereich des Reviers zu ihren Arbeitsplätzen zurück.
Jürgens folgt Alberts ins gemeinsame Büro. Dort setzen sich beide an ihre jeweiligen Schreibtische und Alberts meint, noch immer etwas emotional berührt: „Dies ist das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, die Menschen, mit denen ich arbeite, akzeptieren mich und meine Art und schätzen meine Arbeit und meine Fähigkeiten. Das gilt auch für Dich, Wilbur.“
Dann wechselt er schlagartig das Thema, sodass Jürgen keine Zeit für eine Antwort bleibt. „Gab es etwas während meiner Abwesenheit, wovon ich wissen müsste?“
„Jede Menge Kleinkram, denn die großen Verbrechen blieben wie erwartet aus. Das ist ja auch nicht verwunderlich, denn statistisch gesehen sollten wir, was Gewaltverbrechen betrifft, locker für 54 Jahre unsere Ruhe haben“, antwortet Jürgens und spielt darauf an, dass vor ihrer beider Versetzung nach Öldenettel 27 Jahre seit dem letzten Kapitalverbrechen vergangen waren. Innerhalb von nur drei Wochen gab es dann gleich zwei große Verbrechensserien, die Alberts und Jürgens aufklären mussten. Der Leiter der Spurensicherung, Udo Frost, bezeichnete die beiden Kommissare deshalb bereits als „Verbrechensmagneten“.
„Wir waren in der »Umschau« auf der Titelseite“, fährt Jürgens fort. „Wir konnten ja leider vom Krankenwagen aus nicht verhindern, dass der Möchtegern-Star-Journalist Piet Müller unseren Unfall ausschlachtet und entsprechende Fotos von den Trümmern aufnimmt und in seinem Blatt veröffentlicht.“
„Geschenkt“, antwortet Alberts, noch immer ganz entspannt. „Ich habe während meiner langen Abwesenheit ausreichend Zeit gehabt, über viele Dinge nachzudenken. Dabei habe ich den Beschluss gefasst, mich nur noch über Dinge aufzuregen, die mich womöglich in zehn Jahren noch ärgern könnten. Das dürften nicht so viele sein.“
Jürgens ist verwundert. Sollte aus Alberts nun doch noch ein Mensch geworden sein, der sich nicht gleich aufregt, ein wenig umgänglicher und weniger bürokratisch ist? So hätten der Unfall und Alberts daraus folgende, knapp sechswöchige Abwesenheit doch etwas Gutes bewirkt. Jürgens beschließt, erst einmal abzuwarten, ob sich Alberts wirklich geändert hat.
„Sollte Femke heute nicht auch wieder zurück im Dienst sein?“, fragt Alberts.
Jürgens, der in den vergangenen Wochen die Kollegin regelmäßig im Krankenhaus und in der Reha-Klinik besucht hat und entsprechend mit ihr in Kontakt steht, antwortet: „Sie hat heute Morgen einen Termin bei Kriminalrat Buchtmann und wird etwas später kommen. Auf jeden Fall hat sie nicht verschlafen, vermute ich mal.“
Vermutlich würde Alberts die Frage an Jürgens, ob er verschlafen habe, noch sehr lange anhängen, weswegen er diese erneute Anspielung ignoriert.
„Auch für Femke haben wir einen kleinen Empfang vorbereitet. Wir werden heute Abend alle gemeinsam in ihr Lieblingsrestaurant gehen und eure Rückkehr ein wenig feiern. Bist du mit dabei?“, fragt Jürgens.
„Ausnahmsweise werde ich dabei sein, denn du weißt ja, dass ich eher nicht so der Typ bin, der nach Feierabend mit Kollegen unterwegs ist“, entgegnet Alberts.
„Das freut sicherlich alle. Wann willst du denn ins Haus einziehen?“, will Jürgens von Alberts wissen? „Ich habe deine Räume entsprechend deiner Wünsche gestrichen und so weit vorbereitet, sodass du eigentlich umgehend einziehen kannst.“
Während Alberts im Krankenhaus lag, hat Jürgens das von Jan-Hendrik van Aken angebotene Haus zur Miete angenommen. Van Aken, der Vater ihrer Untergebenen, seines Zeichens Immobilienmakler, hatte in Absprache mit den beiden Kommissaren ein Objekt gefunden, in das die beiden zunächst gemeinsam einziehen.
Aufgrund der wenigen verfügbaren, zu mietenden Wohnungen und Häusern in und im Umkreis von Öldenettel haben die beiden Kommissare sich bereit erklärt, eine Wohngemeinschaft auf Zeit zu gründen. Da Alberts selber nicht aktiv werden konnte, musste er sich notgedrungen auf Jürgens verlassen. Jürgens zeigte Alberts bei einem Besuch im Krankenhaus Fotos der Zimmer und Alberts stimmte sich mit ihm ab, wer welchen Bereich bewohnen würde.
„Am Ende der Woche kommen meine eingelagerten Möbel aus Hannover. Ich habe ein Umzugsunternehmen beauftragt, deren Mitarbeiter sich um alles kümmern werden. Eventuell müsste ich an dem Tag etwas früher gehen, sofern das für dich in Ordnung ist.“
„Klar, es liegt ja außer den ausgelagerten Hilfsarbeiten aus dem Präsidium und den anderen Dienststellen sowieso nichts Wichtiges an, insofern kein Problem“, meint Jürgens.
Alberts und Jürgens sind aus unterschiedlichen Gründen „in die Mitte von nirgendwo“ nach Öldenettel versetzt worden. Hier sollen sie eigentlich bis zum Rest ihrer Dienstzeit langweilige Routinearbeiten durchführen, da keiner der Verantwortlichen damit rechnete, dass die beiden Kommissare hier jemals etwas anderes zu tun bekämen. Als es dann doch darum ging, mehrere schwere Verbrechen aufzuklären, brillierten sie dabei und lösten die Fälle innerhalb kürzester Zeit. Auch wenn Alberts und Jürgens komplett unterschiedliche Charaktere mit weit voneinander entfernten Einstellungen und Interessen sind, so ergänzen sie sich als Team jedoch perfekt.
Beide widmen sich ihrer langweiligen Arbeit und wechseln dabei kaum Worte. Alberts findet sich schnell wieder in die Aufgaben ein, da sie sich nicht von denen unterscheiden, die er vor seiner Abwesenheit zu erledigen hatte.
Gegen elf Uhr kommt Rosenbohm in ihr Büro. „Kriminalrat Buchtmann ist da, er möchte mit euch sprechen“, informiert der junge Polizist die beiden Kommissare. Dass Alberts sich duzen lässt ist auch noch nicht lange der Fall. Zunächst bestand er darauf, gesiezt zu werden, war aber, nachdem er eine entsprechende Studie gelesen hatte, in der es um optimierte und erfolgreichere Teamarbeit ging, bereit, sich duzen zu lassen.
„Vielen Dank Jannick. Wir kommen nach vorne“, antwortet Jürgens.
Im vorderen Dienstraum steht Kriminalrat Buchtmann und neben ihm Femke Claaßen, die beim ersten Einsatz der beiden Kommissare schwer verletzt worden war. Es war lange Zeit nicht klar, ob sie überleben und wenn, jemals in den Dienst zurückkehren würde.
„Guten Morgen, die Herren“, begrüßt Buchtmann die beiden Kommissare. „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass Kriminalmeisterin Claaßen weiterhin auf diesem Revier ihren Dienst tun wird. Die Ergebnisse des erneuten Gesundheits- und Tauglichkeitstest sind sehr gut ausgefallen.“
„Guten Morgen, Herr Kriminalrat, und hallo, Femke. Das freut uns wirklich sehr“, antwortet Jürgens. „Herzlich willkommen zurück.“ Alberts ergänzt: „Ja, auch von mir herzlich willkommen. Schön, dass du wieder zurück bist.“
Femke bedankt sich und gibt den beiden Kommissaren zur Begrüßung die Hand. Etwas verwundert realisiert sie, dass auch Alberts sie nun duzt, erinnert sich aber daran, dass Jürgens ihr von der neuen Umgangsform mit Alberts bei einem seiner Besuche erzählt hatte.
„Doch damit nicht genug, es gibt einige Änderungen in dieser Dienststelle. Diese würde ich zunächst gerne nur mit Ihnen besprechen. Gehen wir in Ihr Büro“, schlägt Buchtmann vor.
„Sicherlich, kommen Sie mit“, fordert Jürgens Buchtmann auf. Zu Femke gerichtet sagt er: „Wir sprechen uns dann später. Schön, dass du wieder dabei bist.“
Dann gehen sie in das am Ende des Flures auf der linken Seite befindliche Büro. Dabei passieren sie den Kaffeeautomaten. „Möchten Sie einen Kaffee, Herr Kriminalrat?“ erkundigt sich Alberts.
„Nein danke, ich will Sie nur in kurzen Worten informieren und muss dann zum nächsten Termin. Die Einzelheiten dessen, was ich Ihnen gleich mitteile, gehen Ihnen dann auch noch ausführlich in schriftlicher Form zu.“
Als sie im Büro sind, verschließt Buchtmann die Tür hinter ihnen und beginnt ohne große Vorrede: „Zunächst darf ich Ihnen mitteilen, dass Ihre ursprünglichen Dienstgrade aufgrund der erbrachten Leistungen in den gelösten Mordfällen mit dem Tätowierer und dem verwirrten Zweitakterhasser mit sofortiger Wirkung wieder hergestellt sind. Ab sofort sind Sie beide wieder Kriminaloberkommissare. Meinen Glückwunsch. Aktuell werden Ihre beiden persönlichen Fälle hinsichtlich der angeblichen Verfehlungen Ihrerseits neu aufgearbeitet und entsprechend wird eine neue Bewertung dazu stattfinden.“
Alberts und Jürgens schauen sich an. Dann sagt Alberts: „Damit hätte ich nicht gerechnet, denn irgendwer wollte mich ja unbedingt loswerden, und bei Kollege Jürgens gestaltete sich das ja ähnlich.“
„Inwieweit das alles korrekt gelaufen ist, wird aktuell untersucht. Ungeachtet dessen habe ich noch einige Änderungen für Sie. Nur in kurzen Worten: Die Leitung der Dienststelle wird Ihnen beiden gleichberechtigt übertragen. Sie haben die Freiheit, den jeweiligen Verantwortungsbereich in Eigenregie zu definieren. Diese Entscheidung wurde auch hinsichtlich dessen getroffen, dass diese Dienststelle für eine Art Pilotprojekt ausgewählt wurde“, fährt Buchtmann fort.
Fragend schauen die beiden Kommissare den Kriminalrat an. Dieser erläutert weiter: „Aufgrund Ihrer guten Ergebnisse in den beiden Mordserien wurden Sie und Ihr Team für ein Pilotprojekt ausgewählt. Dabei geht es darum, dass Sie als eine Art mobile Sonderkommission für regional erweiterte Einsätze vorgesehen sind. Da es aus Kostengründen nicht möglich ist, in allen relevanten Orten dieser Region ein Team von Ermittlern ständig in Bereitschaft zu haben, wurde der geografische Bereich, für den Sie im Falle von Gewaltverbrechen zuständig sind, erweitert.
Dieses Gebiet umfasst neben den Nordseeinseln den gesamten Bereich von hier bis zur niederländischen Grenze.