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Eine Leiche kommt selten allein… Der erste Fall für das Ermittler-Duo Jürgens und Alberts. Nach Jürgens Versetzung in eine idyllische Kleinstadt taucht auch schon die erste Leiche auf. Eine äußerst herausfordernde Woche für das Ermittler-Team und die SpuSi. Obendrein erschwert der Polizeikritiker Piet Müller die Ermittlungen. Als ob das nicht schon genug wäre, müssen die beiden die plötzlich verschwundene Polizeimeisterin Femke Claaßen finden, mit der Hoffnung, dass sie noch lebt. Die Geschehnisse überschlagen sich, als weitere Mordfälle bekannt werden…
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Inhaltsverzeichnis
1) Kapitel
2) Kapitel
4) Kapitel
5) Kapitel
6) Kapitel
7) Kapitel
8) Kapitel
9) Kapitel
10) Kapitel
11) Kapitel
12) Kapitel
13) Kapitel
14) Kapitel
15) Kapitel
16) Kapitel
17) Kapitel
18) Kapitel
19) Kapitel
20) Kapitel
21) Kapitel
22) Kapitel
23) Kapitel
24) Kapitel
25) Kapitel
26) Kapitel
27) Kapitel
28) Kapitel
Todeskunst: Mörderisches Ostfriesland
Copyright: 2019
Sören Martens
1. Auflage
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Handlung und alle Namen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen oder tatsächlichen Geschehnissen wäre rein zufällig.
„Na, verschlafen?“ Jürgens, der gerade sein neues Büro betreten will, schaut in die Richtung, aus der die Stimme kam. An einem der beiden Schreibtische in dem Raum vor ihm sitzt ein Mann und schaut ihn, auf eine Antwort wartend, an.
„Wie meinen?“, antwortet Jürgens. Dabei mustert er den Schreibtischmann ausgiebig. Dieser scheint knapp sechzig Jahre alt zu sein und trägt seine wenigen, recht kurzen Haare als Kranz um die markante Glatze. Was ihm auf dem Kopf fehlt, wächst als Bart und bildet das optische Gegenstück zur Haarlosigkeit des Kopfes. Scheinbar ist sein Gegenüber auch körperlich nicht unbedingt ein sportlicher Typ.
Das beweist der sich abzeichnende Bauch, welcher aber größtenteils durch den Schreibtisch verdeckt ist. Eindeutig zu erkennen sind die Ärmelschoner an seinem in die Jahre gekommenen Jackett. Dies zeugt davon, dass er wohl den größten Teil seines Arbeitslebens mit Büroarbeit verbracht haben muss.
„Die Arbeitszeit beginnt um acht Uhr, nicht um halb neun“, erläutert der Büromensch. Währenddessen mustert auch er sein Gegenüber ganz genau. Geschätzt Ende vierzig, wirre, schlecht frisierte, längere Haare und schlank. Unkonventionell in Jeans und T-Shirt gekleidet. Auf letzterem sind ein Motiv und ein Bandlogo zu sehen. Dazu trägt er ausgelatschte Turnschuhe.
„Wer will das wissen?“, entgegnet Jürgens. „Was machen Sie in meinem Büro und vor allem wer sind Sie?“
Am Tag zuvor hatte ihn der Dienststellenleiter hier empfangen, Jürgens seinen neuen Arbeitsplatz gezeigt und ihm die Schlüssel übergeben, bevor er sich wieder auf den Weg in die Zentrale in der mehr als dreißig Kilometer entfernten Stadt machte. Bei seinem neuen Arbeitsplatz handelt es sich eigentlich um eine kleine Polizeidienststelle mit drei Polizisten sowie zukünftig Jürgens als Kommissar.
Warum er allerdings so weit entfernt von der Zentrale eingesetzt würde, erschloss sich ihm bisher nicht. Wobei, wenn er genau darüber nachdachte, dann konnte er es sich doch denken. Womit er allerdings nicht rechnet, ist ein Pünktlichkeitsfanatiker, mit dem er sich scheinbar das Büro teilen muss.
„Ich bin Kriminalkommissar Alberts, Ihr neuer Kollege“, antwortet der Mann am Schreibtisch. „Hat Ihnen das der Kriminalrat Buchtmann nicht mitgeteilt?“. Tatsächlich hatte Buchtmann nicht von einem weiteren Kommissar als Kollegen gesprochen. Überhaupt war nicht sonderlich viel im Vorfeld besprochen worden, da Jürgens hierher zwangsversetzt wurde. Es war mehr oder weniger eine Gnade, dass er nicht aus dem Polizeidienst entfernt wurde.
Zwar hatte Jürgens zuvor alles im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bearbeitet, aber dabei eine klare Weisung seines damaligen Vorgesetzten ignoriert. Der ehemalige Vorgesetzte befindet sich nicht mehr im Dienst, da Jürgens ihm mit seinen Ermittlungen Korruption nachweisen konnte.
Dennoch war dessen Einfluss noch immer groß genug, um Jürgens in das kleinste und entfernteste Kaff zu versetzen, in dem es eine Polizeistation gibt: Öldenettel in den Tiefen Ostfrieslands, unweit der Nordseeküste. „Na dann, auf gute Zusammenarbeit“, murmelt Jürgens ironisch, dreht sich um und lässt seinen neuen Kollegen im Büro alleine zurück.
Auf dem Flur steht, dem Klischee eines TV-Krimis entsprechend, ein Getränkeautomat. Jürgens wirft ein fünfzig Cent Stück ein, wählt auf der Tastatur die Nummer für Kaffee mit Milch und wartet, dass sein Heißgetränk den Weg durch die verschlungenen Wege innerhalb des Automaten finden würde.
Als nach einer Minute noch immer nichts passiert, denkt Jürgens kurz darüber nach, dem Automaten mit einem Tritt zur Lieferung seines Kaffees aufzufordern, verwirft den Gedanken aber sofort wieder. Was in einem TV-Krimi funktioniert, funktioniert bestimmt nicht genauso in der Realität.
Vom Flur gehen vier Türen ab. Eine führt in Jürgens' Büro, eine weitere zu den Sanitärräumen, eine zum Bereitschaftsraum und die letzte zu einem weiteren Büro. Während Jürgens noch vor dem Automaten steht, tritt aus letzterer Tür eine junge, nicht unattraktive Frau. Sie kommt lächelnd auf ihn zu und sagt: „Hallo, Sie sind bestimmt unser neuer Kollege, Kriminaloberkommissar Jürgens?“.
Als sie den Automaten erreicht, verpasst sie diesem geschickt einen Fußtritt an die Seite und das Gerät beginnt unter seltsamen Geräuschen zu arbeiten. Kurze Zeit später steht im Entnahmefach ein Plastikbecher mit dampfendem Kaffee. „Guten Morgen. Ich bin Polizeimeisterin Femke Claaßen, Herr Kriminaloberkommissar Jürgens“, stellt sie sich freundlich vor.
Jürgens ist beeindruckt. Einerseits davon, dass die junge Kollegin genau wusste, wie sie mit dem Automaten umzugehen hat, anderseits, dass sie ihn mit seinem Dienstgrad und Namen anspricht. „Ich stelle Sie mal den beiden anderen Kollegen vor, wir werden ja wohl zukünftig alle zusammenarbeiten.
Wobei sich hier die Arbeit durchaus in Grenzen hält, schließlich sind wir eine Kleinstadt, die gerade den Sprung über die 20.000 Einwohnermarke geschafft hat. Außer ein paar betrunkenen Jugendlichen, die nachts gerne mal die Sau herauslassen, sowie einigen Falschparkern, passiert hier nicht sonderlich viel. Das letzte Gewaltverbrechen gab es vor 27 Jahren.“
„Ebenfalls einen guten Morgen, Frau Claaßen. Woran machen Sie fest, dass ich kein einfacher Besucher, sondern der neue Kollege bin?“.
„Ganz einfach, da Sie nicht durch den Vordereingang kamen und normale Besucher keinen Schlüssel für den Personaleingang haben, müssen Sie Herr Jürgens sein. Außerdem hat unser heutiger, zweiter Neuzugang, Kriminalkommissar Alberts, schon seit kurz vor acht Uhr vor dem Haupteingang gewartet. Somit mussten Sie es sein, der vor wenigen Minuten durch den Hintereingang kam. Des Weiteren gibt es hier im Gang eine Kamera, über die ich Sie hereinkommen sah. Kommen Sie doch bitte mit“, fordert Claaßen ihn auf.
Die junge Frau gefällt ihm. Nicht wegen des Aussehens, das zugegebenermaßen auch recht ansprechend daherkommt, sondern wegen ihrer Auffassungsgabe und ihrer freundlichen Art. Jürgens nimmt den Kaffeebecher aus dem Automaten und folgt der Kollegin, die eigentlich seine Untergebene ist. Einzig bezüglich seines Dienstgrades irrt sie, denn er war auf die Position des Kriminalkommissars zurückgestuft worden und steht somit auf einer Stufe mit seinem älteren, bisher eher unsympathischen Bürokollegen.
Gemeinsam betreten sie den Dienstraum, in dem zwei junge Männer in Polizeiuniformen an ihren Schreibtischen sitzen. Der Raum wird durch einen Tresen im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel getrennt. Hinter dem Tresen befindet sich vom Bürobereich aus gesehen der kleinere Bereich, der durch die Außentür zugänglich ist. Im Tresen selber befindet sich eine Vorrichtung zum Hochklappen eines Teils des Tresens, um so hindurch in den Dienstbereich zu gelangen.
„Das ist Helge Eilers.“ Die junge Polizistin zeigt auf einen noch jüngeren Mann mit neumodischem Undercut-Haarschnitt. „Er kommt frisch von der Polizeischule und wurde uns zugeteilt, damit er erste praktische Erfahrungen im Beruf sammeln kann. Wie gesagt, bei uns ist es ja nicht sonderlich gefährlich, darum beginnen viele Frischlinge ihre Karriere hier.“ Eilers nickt Jürgens höflich zu, dieser erwidert das Nicken.
„Wie lange sind Sie denn schon hier, Frau Claaßen?“, will Jürgens wissen.
„Seit drei Jahren bin ich in dieser Polizeistation. Ich leite hier den Betrieb, nachdem der vorherige Leiter vor einem Jahr in Pension gegangen ist. Ich weiß, dass das eher ungewöhnlich für mein Alter ist, aber die Entscheider trauen es mir zu.“
Der zweite Jungpolizist erhebt sich von seinem Platz am Schreibtisch und stellt sich selber vor: „Ich bin Polizeimeister Jannick Rosenbohm. Herzlich willkommen Herr Kriminaloberkommissar.“ „Guten Tag Herr Polizeimeister Rosenbohm. Bezüglich meines Dienstgrades bedarf es einer Korrektur, denn ich bin nur Kriminalkommissar.“
Von hinten naht Alberts, der die letzten Worte von Jürgens gehört hatte. „Somit wären wir dann gleichberechtigt und werden uns in allen Entscheidungen entsprechend der Vorschriften abstimmen.“
Jürgens dreht sich um, überlegt kurz, wie er antworten will und entscheidet sich für die höfliche Variante.
„Ah, Herr Kriminalkommissar Alberts, haben Sie den Weg aus dem Büro hierher nach vorne gefunden? Natürlich werden wir alles entsprechend der Vorschriften handhaben und uns genau daranhalten. Hatten Sie etwas anderes von mir erwartet?“.
Alberts schluckt hörbar. Er hatte aufgrund der Vita des Kollegen, der oftmals Alleingänge hingelegt hatte, eine andere Antwort erwartet. „Das ist schön, dass Sie das auch so sehen. Wir sollten uns gleich daran machen, die Dienstpläne zu optimieren.
Übrigens, ich lege sehr viel Wert darauf, dass man mich siezt und mit dem Dienstgrad anspricht. Schließlich ist das hier eine Polizeidienststelle und da bedarf es gewissen Respekt vor langjähriger Erfahrung. Auch entsprechende Hierarchien müssen zwingend eingehalten werden.“
Jürgens dreht sich in Richtung der anderen drei Kollegen und sagt: „Mich muss hier niemand aus der Truppe mit meinem Dienstgrad ansprechen. Ich sehe das als Teamarbeit, bei der jeder seinen Beitrag leistet. Auch Vorschlägen gegenüber bin ich offen, egal, von wem sie kommen. Gerne dürfen Sie mich auch duzen, das gehört in einem guten Team dazu.
Ich bin Wilbur oder besser kurz Wil. Wer über meinen Vornamen grinsen muss, der geht dann gleich zum Bäcker und holt das Einstandsfrühstück, das ich spendiere.“ Alberts schaut Jürgens hinter ihm stehend entrüstet an. Dann schüttelt er den Kopf und geht brummelnd zurück in das gemeinsame Büro.
Jürgens nimmt einen Zwanzig-Euro-Schein aus seiner Geldbörse. „Jannick, wärst Du so freundlich, eine große Auswahl an belegten Brötchen für uns alle zu holen?“. Rosenbohm nimmt das Geld und verlässt das Revier.
Im selben Augenblick klingelt das Telefon und Eilers nimmt das Gespräch an. Er hört, was auf der anderen Seite gesprochen wird und stammelt: „Ja, ja, wir schicken jemanden vorbei.“ Dann legt er auf, dreht sich zu Jürgens und Claaßen und sagt völlig schockiert: „Es wurde eine Leiche gefunden“. „Wie bitte?“, fragt Jürgens erstaunt.
„Eine Leiche wurde gefunden“, wiederholt Eilers monoton, noch immer nicht wirklich realisierend was er eben hörte. Jürgens erkennt, dass der junge Mann damit etwas überfordert ist.„Wo wurde die Leiche gefunden, Helge?“, redet Claaßen beruhigend auf ihren Kollegen ein. Eilers schaut sie an, antwortet aber nicht.
Claaßen geht zu ihm, nimmt seine Hand, schaut ihm ins Gesicht und wiederholt ihre Frage ganz langsam. Nach und nach erholt sich Eilers und besinnt sich auf das, was er in der Polizeischule lernte. „Eine weibliche Person wurde tot am Ententeich gefunden. Ein Gewaltverbrechen ist nicht auszuschließen.“
Jürgens schaut zu Claaßen und sagt: „Dann ist das jetzt unser erster Einsatz. Du fährst Femke. Sonderrechte sind zugelassen.“ Beide verlassen schnell die Polizeistation und steigen in den Polizeiwagen. Claaßen startet den Motor und aktiviert Blaulicht und Martin-Horn. Rasant fährt sie rückwärts vom Parkplatz, wendet geschickt und rast los.
Alberts hört in seinem Büro die Sirene und stürzt zum Fenster, von wo aus er nur noch den sich entfernenden Wagen sieht. Er rennt nach vorne in den Bereitschaftsraum und ruft Eilers zu: „Was ist los? Warum heizen die wie irre mit dem Polizeifahrzeug davon, Herr Polizeimeister Eilers?“.
Dieser schaut Alberts an und antwortet: „Leichenfund am Ententeich.“ Die Wut, die in Alberts aufsteigt, weil er nicht informiert wurde, ist klar zu erkennen.
„Polizeimeister Eilers, haben wir einen zweiten Einsatzwagen?“. „Ja Herr Kriminalkommissar Alberts, aber mit dem ist der Kollege Rosenbohm zum Bäcker gefahren.“
Alberts glaubt nicht, was er hört und geht im Geiste die Vorschriften durch, gegen die verstoßen wurde. Er würde wohl später im Polizeimeister Rosenbohms Dienstakte einen Vermerk notieren und ihn offiziell auf seine Verfehlung aufmerksam machen. Da Alberts bewusst ist, dass er nun Jürgens und Claaßen nicht direkt folgen kann, geht er zum Funkgerät.
„Polizeimeisterin Claaßen, bitte melden.“ Es knackt, rauscht und es erfolgt keine Reaktion. „Hallo, Polizeimeisterin Claaßen, melden Sie sich.“
„Die Kollegin hat jetzt keine Zeit, sie muss fahren. Wir sind gleich am Tatort und informieren Sie, soweit wir genaueres wissen. Jürgens Ende“, ertönt es aus dem Lautsprecher. Verärgert schüttelt er den Kopf und geht zurück in sein Büro. „Das wird Folgen haben. Gleich am ersten Tag wird eklatant gegen die Vorschriften verstoßen“, brummelt er vor sich hin.
Derweil stoppt Claaßen das Fahrzeug abrupt vor einem Schlagbaum. „Von hier aus müssen wir zu Fuß weiter“, erklärt sie, während sie den Motor abschaltet und die Fahrertür öffnet. „Wir haben leider keinen Schlüssel für die Schranke.“
Jürgens nimmt das mobile Funkgerät an sich und steigt ebenfalls aus. „Na gut, dann laufen wir eben.“
Der Ententeich ist keine drei Minuten Fußweg entfernt und schon von weitem sehen sie, wo sich der Tatort befinden muss. Eine Gruppe von Schaulustigen steht am Ufer des Teichs und blickt in Richtung der kleinen Insel.
Einer der Anwesenden entdeckt die Polizisten und kommt gestikulierend auf sie zu. „Hallo, ich habe Sie verständigt. Die Leiche liegt dort vorne auf der Enteninsel. Kommen Sie schnell.“ Als Claaßen und Jürgens das Ufer erreichen, können sie beim Blick zur kleinen Insel einen Körper erkennen, der halb im Wasser und halb am Ufer liegt. Da die Person auf dem Rücken liegt, lässt sie sich, auch über die Entfernung von rund 20 Metern, eindeutig als Frau identifizieren.
Zu seiner Kollegen gerichtet sagt Jürgens: „Femke, könntest Du bitte den Uferbereich hier absperren und dafür sorgen, dass sich die Leute mindestens fünfzig Meter von hier wegbewegen. Danke Dir.“
Femke läuft zum Wagen, holt das notwendige Absperrband und beginnt den Bereich abzusperren und dabei die Schaulustigen wegzuschicken. Jürgens geht zu dem Passanten, der die Leiche gefunden hat.
„Sie haben die Leiche gefunden, Herr …?“ „Eggert ist mein Name, Hans Eggert. Ich ging hier wie jeden Morgen und jeden Abend eine Runde mit meinem Hund. Als wir hier vorbeikamen, bellte Troubador plötzlich. Troubador ist mein Labrador, müssen Sie wissen.“
Jürgens wundert sich kurz über die bescheuerte Namensgebung für den Hund und meint dann: „Herr Eggert, wenn Sie bitte kurz warten würden, ich muss die Kollegen verständigen. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, geht er einige Schritte, um dann das Funkgerät zu bedienen: „Helge, kannst Du mich hören?“. Es dauert einige Sekunden, dann ertönt Helges Stimme. „Ja, klar und deutlich.“ „Perfekt. Ist Jannick mit dem Einsatzwagen wieder zurück?“.
„Ja, soeben angekommen. Ich habe ihn gerade informiert.“ „Okay. Dann hole mir bitte Herrn Alberts ans Gerät.“ „Einen Moment, bitte. “Kurze Zeit später meldet sich ein wütender Alberts. „Was fällt Ihnen ein? Sie können doch nicht einfach ohne, dass Sie mich informieren, losfahren. Schon gar nicht, wenn es um eine Leiche geht.“ Jürgens ignoriert den wütenden Ton und antwortet ruhig:
„Würden Sie bitte die Spurensicherung informieren und alle weiteren Maßnahmen einleiten, die in so einem Fall notwendig sind? Danke. Außerdem empfehle ich, dass Sie mit Herrn Rosenbohm hierherkommen. Er dürfte wissen, wo das ist. Und organisieren Sie einen Schlüssel für den Schlagbaum, damit wir dichter an den Tatort fahren können. Eilers kann dann ja die Stellung in der Dienststelle halten.“
Ohne die Antwort abzuwarten, schaltet er das Gerät aus. Bis zur Ankunft der Kollegen von der Spurensicherung kann er nicht viel Effektives tun. Zum Glück liegt die Leiche weit genug entfernt, sodass niemand den Tatort verunreinigen kann. Wobei Jürgens annimmt, dass der Tatort nicht inmitten des Teiches ist. Vermutlich wurde die Frau am diesseitigen Ufer des Ententeichs umgebracht, sofern es sich um einen Mord handelt. Sie konnte ja auch verunglückt sein, wofür aber bisher nichts spricht, besonders da sie mit nacktem Oberkörper daliegt.
Jürgens schaut sich ein wenig am Ufer um und entdeckt auf dem rund einen Meter breiten Grasstreifen zwischen Wasser und Weg, niedergedrücktes Gras. Scheinbar hatte hier jemand gelegen. Er winkt Claaßen zu sich.
„Femke, bitte sperr diesen Bereich zusätzlich ab und kennzeichne ihn für die Spurensicherung. Sie sollen hier auch Nachforschungen anstellen. Ich habe weder Handschuhe noch einen Tatort-Schutzanzug dabei. Wir müssen also warten, bis die Kollegen da sind.“ Claaßen nickt und beginnt den Bereich ebenfalls abzusperren, achtet dabei aber darauf, dem eventuellen Tatort nicht zu nahezukommen, um ihn nicht zu verunreinigen.
Jürgens nimmt die umsichtige Vorgehensweise erfreut zur Kenntnis. Die junge Frau weiß genau was sie tut und wie sie die Anweisungen professionell umsetzen muss. Aus ihr würde bestimmt eine erfolgreiche Polizistin, wenn nicht gar Kommissarin, werden. Jürgens wird aus seinen Gedanken gerissen, weil sich jemand rufend nähert. Ein etwas dicklicher Mann mit einer Fotokamera über der Schulter hängend kommt auf ihn zu. Etwas außer Atem sagt er: „Guten Tag, mein Name ist Piet Müller, ich bin von der »Umschau«.“
„Jürgens, Kriminalkommissar. Was ist denn die »Umschau«?“. „Sie sind nicht von hier? Die »Umschau« ist die Wochenzeitung für unsere Stadt und den Umkreis. Ich bin Herausgeber, Chefredakteur und Fotograf in einer Person.“
„Schön für Sie. Nun wollen Sie mal abseits der Kaninchenzüchter-Versammlungen und Kleingartenfesten über etwas Spannenderes berichten, richtig?“.
„Äh, ja, wenn Sie es so sehen, ja.“ Müller fühlt sich und seine Arbeit etwas herabgesetzt. „Haben Sie Informationen für mich?“. „Nein, gar nichts und nun muss ich Sie bitten, den abgesperrten Bereich zu verlassen. Sobald es offizielle Informationen gibt, werden wir eine Presseerklärung herausgeben.“
Verdutzt schaut Müller Jürgens an. „Wie bitte? Ich bin die Presse, so können Sie mich nicht abspeisen. Was ist passiert? Wer ist das Opfer? Wann ist es passiert? Früher wurde ich immer aus erster Hand informiert, wenn etwas passierte.“
„Wirklich? Randalierende Jugendliche und betrunkene Autofahrer bewegen sich allerdings auch auf einem niedrigeren Niveau, als ein vermutetes Gewaltverbrechen. Oder meinen Sie damals, als vor 27 Jahren aus Journalistensicht im Ort etwas Spektakuläres passierte?
Wenn Sie jetzt zwischen den Zeilen gehört haben, haben Sie ein paar Informationen bekommen, wenn nicht, Ihr Problem. Und nun bitte ich Sie erneut den abgesperrten Bereich zu verlassen.“
Müller will sich allerdings nicht abwimmeln lassen. „Wer sind Sie überhaupt, dass Sie hier so große Reden schwingen? Haben Sie hier überhaupt was zu sagen, Sie Wichtigtuer? Ihrer Kleidung nach sind Sie eher ein potenzieller Täter, als ein Ermittler.“
Jürgens ist bewusst, dass er nicht unbedingt wie einer dem Klischee entsprechenden Ermittler aussieht, aber dass sich ihm jemand so frech widersetzte, wo er sich als einziger an einem abgesperrten Tatort befindet und sich klar als Kommissar vorgestellt hat, war ihm zuvor auch noch nicht widerfahren.
Er greift in seine Gesäßtasche, holt seinen Dienstausweis heraus und hält ihn dem Journalisten in einem Abstand von zehn Zentimetern vor das Gesicht. „Reicht das als Legitimation?“.
Ohne eine Antwort abzuwarten, zeigt er mit der anderen Hand in die Richtung, in die sich Müller bewegen soll. Dieser murmelt: „Nicht zu fassen, was für seltsame Menschen heute bei der Polizei was zu sagen haben.“
Er entscheidet, dass es wohl zunächst besser ist, der Aufforderung Folge zu leisten. Jürgens steckt seinen Ausweis wieder ein und sieht Alberts und Rosenbohm kommen. Gerade übersteigt Alberts das Absperrband, als Müller ihn anspricht. „Sind Sie hier der leitende Ermittler?“, will Müller aufgebracht wissen. „Wer will das wissen?“.
„Ich bin Piet Müller, der Chefredakteur der »Umschau«. Als Mitarbeiter der Presse, erwarte ich, dass Sie mir alle relevanten Informationen mitteilen. Schließlich habe ich eine Verpflichtung meinen Lesern gegenüber.“ Alberts schaut ihn an, schüttelt kurz den Kopf und geht wortlos weiter. Müller bleibt verdutzt stehen. Gerade als er erneut auf Alberts einreden will, nimmt ihn Rosenbohm am Oberarm und führt ihn aus dem abgesperrten Bereich heraus. „Sie bleiben außerhalb der Absperrung, wie alle anderen Schaulustigen auch.“
„Ich bin kein Schaulustiger“, ereifert sich Müller. „Doch sind Sie, nur schreiben sie hinterher darüber. Das ist der einzige Unterschied.“
Alberts erreicht derweil seinen Kollegen. „Entsprechend der Vorschriften hätten Sie mich informieren müssen, Herr Jürgens.“
„Ja, worüber? Wir wussten ja gar nicht, was passiert ist und ob es falscher Alarm war. Da müssen wohl nicht beide Kommissare ausrücken.
Da Polizeimeister Eilers augenscheinlich von der gemeldeten Situation emotional überfordert war, konnte ich ihm nicht zumuten, dass er alleine zurückbleibt.
Deshalb entschied ich, mit der Leiterin der Station, Frau Polizeimeisterin Claaßen, hierher zu eilen. Alles entsprechend der Vorschriften und innerhalb meiner variablen Entscheidungskompetenz. Nun sind Sie ja auch hier und bisher haben Sie nichts verpasst. Wurden die Spurensicherung und der Pathologe informiert?“.
Alberts nickt. „Sie sind auf dem Weg hierher und sollten bald eintreffen. So lange müssen wir wohl warten.“
„Richtig, dann können wir uns jetzt mal den Brötchen widmen, die Kollege Rosenbohm sicherlich noch im Auto liegen hat.“ Jürgens geht in Richtung des Fahrzeugs. Augenscheinlich hatten sich Claaßen und Rosenbohm darum gekümmert den Schlagbaum zu öffnen, denn beide Einsatzfahrzeuge stehen nun nicht weit von der Tatortsabsperrung.
Alberts schluckt laut und vernehmlich und schließt zu Jürgens auf. „Wie können Sie denn jetzt an Brötchen denken?“. „Ganz einfach, es gibt aktuell nichts zu tun und da ich noch nicht gefrühstückt habe, werde ich die Wartezeit nutzen. Wer weiß, wann wir heute wieder zum Essen kommen werden, schließlich beginnen unsere Ermittlungen nach Eintreffen der SpuSi und des Pathologen. Gerne sind Sie auf ein Brötchen eingeladen.“
3) Kapitel
Rund eine halbe Stunde später treffen Mitarbeiter der Spurensicherung und der Pathologie ein. Ein sportlicher, braun gebrannter Mann, Anfang der vierziger kommt auf Alberts und Jürgens zu. „Moin, ich bin Udo Frost von der Spurensicherung.“ Zu Alberts gerichtet: „Sind Sie Kriminalkommissar Jürgens? Mir wurde gesagt, dass Sie hier verantwortlich sind.“
Alberts bewegt den Kopf leicht in Richtung Jürgens, der auf der Stoßstange des Einsatzfahrzeugs sitzt und gerade die letzten Bissen seines Brötchens verzehrt.
„Das ist der Kollege Jürgens, auch wenn er nicht nach einem Mitarbeiter unserer Behörde aussieht.“ Der Seitenhieb auf Jürgens' Kleidung musste sein, schließlich hatte man ihn statt seiner mit der Leitung des Falls betraut. Als Alberts vor einigen Minuten die Nachricht per Telefon erhielt, verbesserte das weder seine Laune noch seine Meinung über Jürgens.
Frost wendet sich Jürgens zu. „Was genau gibt es denn hier zu untersuchen? Eine Leiche sehe ich nicht.“ „Moin. Aus der Distanz wirkt das wie ein Gewaltverbrechen. Ihr Einsatzort befindet sich da drüben.“ Jürgens zeigt auf die kleine Insel im Teich. Frost schaut zur Insel, dann wieder zu Jürgens. „Wie sollen wir da bitte rüberkommen? Gibt es irgendwo ein Boot oder ähnliches?“. Von der Seite nähert sich Claaßen, die das Gespräch scheinbar mitgehört hat. „Der Teich ist nur 80 Zentimeter tief, da kann man hindurch waten.“
Frost schaut zu ihr, liest ihr Namensschild und sagt dann: „Und Frau Kollegin Claaßen, wie sollen wir dann mit nasser Kleidung den eventuellen Tatort absuchen, ohne die Spuren dabei zu verwischen?