Bei Waldi und Co. - Gert Rothberg - E-Book

Bei Waldi und Co. E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Der Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn hielt mit seinem Wagen vor dem Ulmenhof, einem kleinen Gut am Rand von Bachenau. Er sah seine junge Frau fragend an. »Willst du wirklich nicht hineinkommen, Andrea? Im Wagen wird es dir zu langweilig werden. Du weißt, das Impfen der Kühe dauert geraume Zeit.« Andrea schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte nicht mitgehen. Ich weiß nicht, auf dem Ulmenhof fühle ich mich nicht wohl, seit Steffen Seibold im Krankenhaus liegt. Dieser Verwalter, der seitdem hier herrscht, ist ein so herausfordernder und arroganter Mensch, dass ich in Gefahr käme, ihm einmal gründlich meine Meinung zu sagen.« Sie strich sich über das dunkle Haar und lehnte sich zurück. Man sah ihr an, dass sie ein Kind erwartete. Hans-Joachim von Lehn streichelte zärtlich ihre Wange. »Meine kampfeslustige Andrea. Nein, bevor du mit Kurt Uhlen in Streit gerätst, bleibe lieber im Wagen. Ich könnte mir vorstellen, dass dir dieser Mann nichts schuldig bleibt. Das würde dich nur aufregen. Übrigens kann ich ihn auch nicht ausstehen. Bei Hilde Seibold aber scheint das anders zu sein.« »Ich weiß, Hans-Joachim.

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Seitenzahl: 150

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Sophienlust Extra – 36 –Bei Waldi und Co.

Ein kleiner Junge lernt das Staunen

Gert Rothberg

Der Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn hielt mit seinem Wagen vor dem Ulmenhof, einem kleinen Gut am Rand von Bachenau. Er sah seine junge Frau fragend an. »Willst du wirklich nicht hineinkommen, Andrea? Im Wagen wird es dir zu langweilig werden. Du weißt, das Impfen der Kühe dauert geraume Zeit.«

Andrea schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte nicht mitgehen. Ich weiß nicht, auf dem Ulmenhof fühle ich mich nicht wohl, seit Steffen Seibold im Krankenhaus liegt. Dieser Verwalter, der seitdem hier herrscht, ist ein so herausfordernder und arroganter Mensch, dass ich in Gefahr käme, ihm einmal gründlich meine Meinung zu sagen.« Sie strich sich über das dunkle Haar und lehnte sich zurück. Man sah ihr an, dass sie ein Kind erwartete.

Hans-Joachim von Lehn streichelte zärtlich ihre Wange. »Meine kampfeslustige Andrea. Nein, bevor du mit Kurt Uhlen in Streit gerätst, bleibe lieber im Wagen. Ich könnte mir vorstellen, dass dir dieser Mann nichts schuldig bleibt. Das würde dich nur aufregen. Übrigens kann ich ihn auch nicht ausstehen. Bei Hilde Seibold aber scheint das anders zu sein.«

»Ich weiß, Hans-Joachim. Man erzählt sich, dass sie ganz unter dem Einfluss des Verwalters stehe. Das wundert mich nicht. Hilde Seibold stammt aus Frankfurt. Sie wird immer Großstädterin bleiben und sich auf dem Land nie eingewöhnen können. Ja, ein Bauer sollte sich eben die Wahl seiner Frau noch besser überlegen als andere Männer. Solange Steffen Seibold gesund war, konnte seine Frau sich damit begnügen, nur Gutsherrin zu spielen. Verstünde sie aber etwas von der Bewirtschaftung eines Gutes, dann hätte sie jetzt keinen Verwalter einzustellen brauchen.«

»Du würdest das alles allein schaffen, Andrea, so zart und jung du auch bist.« Hans-Joachim von Lehn küsste seine Frau verliebt.

»Du brauchst dich gar nicht über mich lustig zu machen, Hans-Joachim. Erstens bin ich auf Gut Schoeneich aufgewachsen, zweitens hätte ich in meiner Ehe etwas gelernt, wenn ich die Frau eines Gutsbesitzers geworden wäre, und drittens würde ich nie auf einen solchen Menschen hereinfallen, wie es dieser Kurt Uhlen ist.«

»Nein, bestimmt nicht, Andrea, du bist nur auf mich hereingefallen.« Hans-Joachim von Lehn stieg aus.

»Das ist ein wahres Wort.« Andrea lachte und sah ihrem Mann nach. Er ging durch das offen stehende breite Tor und winkte noch einmal zurück. Dann verschwand er hinter dem schmucken kleinen Gutshaus.

Die gewohnten Geräusche eines Gutshofes waren bis zu Andrea zu hören. Die junge Frau stieg jetzt aus. Sie wollte die Zeit des Wartens zu einem kleinen Spaziergang nutzen. Der Arzt hatte ihr zu viel Bewegung geraten. Aber daran fehlte es ihr ja meist nicht. Noch immer tat sie die kleinen Arbeiten in ihrem Tierheim Waldi & Co., oft sehr gegen den Willen ihres Mannes und des Tierpflegers Helmut Koster.

Andrea ging an einer hohen Hecke entlang. Sie war noch nicht weit gekommen, als sie lautes Weinen und Schreien hörte. Es kam aus dem Garten hinter der Hecke.

Andrea blieb erschrocken stehen. Sie zweifelte nicht daran, dass es ein Kind war, das so furchtbar weinte. Jetzt schrie die Stimme: »Mutti! Muttiiii!«

Es musste ein Unglück geschehen sein. Nur vor Schmerzen konnte ein Kind so schreien.

Andrea ging den Weg zurück, den sie eben gekommen war. Sie konnte im Augenblick nichts anderes tun, als einen Blick hinter die Hecke zu werfen. Aber das war ihr von dieser Stelle aus nicht möglich. Also musste sie bis zum Tor vorgehen.

Als Andrea das Tor erreicht hatte, schrie das Kind immer noch. Andreas Herz klopfte aufgeregt, ihre Hand legte sich auf ihren Leib.

Diese Aufregung und diese Hast bekamen ihr in ihrem Zustand wirklich nicht. Aber konnte sie ruhig stehen bleiben, wenn sie fürchten musste, dass ein Kind Hilfe brauchte?

Andrea ging ein Stück die Auffahrt entlang, bis sie den Rasen vor dem Gutshaus überblicken konnte.

Vor der Terrasse hockte ein kleiner schwarzhaariger Junge. Er war es, der so laut weinte und jetzt wieder nach der Mutter schrie. Aber im Gutshaus wurde kein Fenster geöffnet. Es kam auch niemand heraus.

Das war Grund genug für Andrea, zu dem Jungen hinzulaufen. Als sie nahe vor ihm stand, richtete er sich auf und sah sie aus verweinten und entsetzten Augen an.

»Was ist dir passiert, Dirk?«, fragte Andrea. Dabei erinnerte sie sich, dass sie dem Jungen schon einmal begegnet war. Dirk war vor ungefähr einem halben Jahr mit seinem Vater in der Tierarztpraxis gewesen. Mit einer herrlichen Schäferhündin. Hans-Joachim hatte der Hündin einen Splitter aus dem Ballen ziehen müssen. Sie, Andrea, hatte dabei nur den kleinen Jungen beobachtet. Er war in großer Aufregung gewesen und hatte seinem Hund immer wieder gut zugeredet. Aufgefallen war ihr an dem lieben kleinen Burschen, dass er rabenschwarzes Haar und einen braunen Teint hatte, dazu große graue Augen.

Dirk schluckte und würgte, aber er brachte kein Wort hervor.

Andrea legte den Arm um seine Schultern. »Nun, so rede doch schon, Dirk! Eben konntest du doch noch schreien. Ist etwas passiert? Hast du dir wehgetan?«

Der Junge schüttelte den Kopf. Unaufhaltsam rannen die Tränen über seine Wangen. »Meine … meine … jungen Hunde«, stammelte er jetzt. Plötzlich warf er sich so heftig an Andrea, dass sie schwankte. »Er hat sie ersäuft. Alle!«

»Komm, Dirk, wir setzen uns auf den Rasen.« Andrea spürte, dass ihre Beine zitterten. »Da kannst du mir alles erzählen. Aber höre auf zu weinen. Davon wird nichts besser, und ich kann dich nicht verstehen.« Sie zog den Jungen mit auf den Rasen und legte wieder den Arm um ihn. »Sprich, Dirk. Es geht also um junge Hunde?«

»Ja, um Coras Junge. Sie hat gestern geworfen. Vier Stück.«

»Ist Cora die Schäferhündin, mit der du einmal bei uns warst? Erkennst du mich wieder? Ich bin die Frau des Tierarztes.«

Dirk nickte. Er wischte sich jetzt mit dem Hemdsärmel über die Augen und über die Nase. Aber das half nicht viel. Seine Augen standen schon wieder voll Tränen. »Es waren so schöne liebe Junge. Alle hatten ein schwarz-graues Fell wie Cora.«

Andrea wagte es kaum, die Frage zu stellen, aber sie musste es tun. »Und was ist jetzt mit den Jungen? Wer hat sie ersäuft?«

»Der Verwalter. Herr Uhlen.«

»Und warum?«

Dirk zuckte die Schultern. »Das weiß ich nicht. Er hat mir ja auch nichts davon gesagt. Am Vormittag waren die Jungen noch da. Jetzt sind sie alle weg. Cora rennt in der Scheune und im Stall herum und sucht sie. Die arme Cora.«

Andrea, die sich immer angegriffener fühlte, wollte Dirk trösten. »Vielleicht hat Herr Uhlen die Jungen gar nicht ertränkt, Dirk. Vielleicht ist alles nur ein großer Irrtum. Wer wird denn so etwas tun?«

»Er hat es aber getan. Die Jungen sind ja nicht mehr da. Und Laurenz hat gesehen, wie Herr Uhlen sie in einen Sack gesteckt hat und mit ihnen zum Bach hinuntergegangen ist.«

»Wer ist Laurenz?«, fragte Andrea. Ihr wurde ganz übel bei dem Gedanken, dass der Verdacht des Jungen stimmen konnte. Gerade sie, die in ihrem Tierheim jedes kranke und verlassene Tier aufnahm und pflegte, konnte eine solche Tat nicht begreifen.

»Laurenz ist unser Knecht. Er hat Herrn Uhlen noch gesagt, dass er das nicht tun dürfe. Aber das hat nichts geholfen. Herr Uhlen macht immer, was er will. Er ist sehr böse.«

»Wie alt bist du, Dirk?«, fragte Andrea, in der Hoffnung, den Jungen ein wenig ablenken zu können.

»Ich bin fünf.« Dirk zog ein schmutziges Taschentuch aus seiner Hose und schneuzte sich kräftig. »Das durfte Herr Uhlen gar nicht tun. Cora ist mein Hund. Mein Vati hat sie mir geschenkt. Er wartet doch auch so darauf, dass sie Junge hat.« Schon zuckte es wieder um Dirks Mund. »Aber ich werde Vati sagen, wie gemein Herr Uhlen ist. Wenn Vati dann aus dem Krankenhaus kommt, wird er den Verwalter fortjagen.« Der Junge lehnte sich an Andrea. Seine Rachegedanken waren schon wieder vergessen. Er klagte: »Meine arme Cora. Und meine jungen Hunde. Ich hatte schon Namen für sie ausgesucht.«

»Hallo, Dirk!«, erklang jetzt eine Frauenstimme.

Der Junge sprang auf und sah sich um. »Mutti!«, schrie er und rannte über den Rasen.

Andrea blieb sitzen. Sie hatte jetzt nicht die Kraft, aufzustehen und zum Wagen zurückzugehen. Ihr war elend zumute. Sie wünschte sich nur eines, dass Hans-Joachim sie hier abholen möge.

Andrea sah über den Rasen zur Auffahrt. Dort stand eine große blonde Frau. Sie war sehr gut angezogen und hatte eine Einkaufstasche in der Hand. Jetzt stellte sie sie ab und beugte sich zu Dirk hinab.

Andrea konnte verstehen, was der Junge sagte. Es war dieselbe Anklage, die sie eben schon gehört hatte. Wieder beschuldigte der Junge den Verwalter der gemeinen Tat.

Hilde Seibold richtete sich auf. Über ihr etwas volles, aber hübsches Gesicht lief glühende Röte. »Ich bitte dich, Dirk, reiß dich zusammen. Lass das niemanden sonst hören. Da hast du dir wieder etwas Feines ausgedacht, um Herrn Uhlen zu beschuldigen. Nie würde er so etwas tun. Er weiß doch, wie sehr du auf die Jungen von Cora gewartet hast.«

»Ja, und deshalb hat er sie getötet«, stieß der Junge hervor.

Hilde Seibold sah sich ängstlich um. Allem Anschein nach wusste sie nicht, was sie tun sollte. Schließlich entschloss sie sich, der Höflichkeit den Vorrang zu geben. Sie kam auf Andrea zu und sagte: »Guten Tag, Frau von Lehn. Warum sind Sie nicht ins Haus gegangen? Malwine hätte Ihnen gern eine Tasse Kaffee gemacht. Ich selbst war eben kurz in Bachenau.« Auf ihrem Gesicht lag Verlegenheit.

»Ich wollte im Freien bleiben, Frau Seibold.« Andrea stand auf und strich sich das Kleid zurecht. »Als ich Dirk so furchtbar weinen hörte, habe ich versucht, ihn zu trösten. Aber für einen solchen Schmerz gibt es wohl keinen Trost. Es sei denn, er kommt von Ihnen.« Andrea machte ein sehr ernstes Gesicht. »Ich werde jetzt in den Stall gehen, um zu sehen, ob mein Mann bald fertig ist.« Sie ließ Hilde Seibold und den Jungen einfach stehen, drehte sich aber gleich darauf noch einmal um und sagte: »Wenn du Lust hast, komm uns einmal besuchen, Dirk. Vielleicht nimmt dich jemand mit, wenn er im Ort etwas zu tun hat. Ich würde dir gern unsere Tiere zeigen. Das macht dir sicher Freude.«

Nun ging Andrea weiter. Als sie am Gutshaus vorbei war, stand sie auf dem Hof. Sie fragte eine Magd, wo der Kuhstall sei, und ging dann in die ihr angegebene Richtung.

Schon am Eingang des Kuhstalls hörte sie die Stimme ihres Mannes. Und nun sah sie ihn auch. Er stand im Mittelgang neben dem Verwalter.

Einige Sekunden zögerte Andrea noch, dann betrat sie den Kuhstall und ging auf die beiden Männer zu. Kurt Uhlen sah sie zuerst. Er war ein mittelgroßer, etwas untersetzter Mann mit schütterem blonden Haar und auffallend hellen Augen. Aber diese Augen hatten einen merkwürdig stechenden Blick.

Jetzt kam Kurt Uhlen Andrea einige Schritte entgegen. »Oh, gnädige Frau, habe ich Ihren Mann schon zu lange aufgehalten? Entschuldigen Sie, bitte. Er hat mir nichts davon gesagt, dass Sie mitgekommen sind. Kommen Sie schnell mit hinaus, der Kuhstall ist nicht der richtige Rahmen für so viel Jugend und Schönheit.« Seine Stimme klang sehr beflissen.

Andrea fand den Mann an diesem Tag noch unsympathischer als früher. Das kam wohl durch seine aufdringlichen Komplimente. »Oh, ich fühle mich überall wohl, wo Tiere sind. Auch im Kuhstall.« Ihre Stimme klang herausfordernd.

Hans-Joachim von Lehn seufzte in sich hinein. Er kannte seine Frau und wusste, wenn sie so kampfbereit dastand, kam entweder ein sehr gezielter Angriff oder sie zwang jemanden, zum Angriff überzugehen. Das brachte sie manchmal sogar bei ihm fertig. Was mochte sie nur dazu bewogen haben, hierherzukommen? Sie hatte doch Kurt Uhlen aus dem Weg gehen wollen.

Andrea war sich in dieser Minute noch nicht ganz klar darüber, wie sie Kurt Uhlen provozieren wollte. Doch da bekam sie unvermutet einen Helfer. Cora, die Schäferhündin, schlich in den Kuhstall. In geduckter Haltung, mit hängender Rute, die Schnauze auf dem Boden. So schnüffelte sie jetzt durch das Stroh einer leeren Box.

»Cora!«, rief Andrea. »Komm her!«

Die Hündin horchte auf. Sie hatte den freundlichen Ton in Andreas Stimme erkannt und jaulte jetzt. Leise, klagend und um Hilfe bittend.

Nun ging das Temperament wieder einmal mit Andrea durch. Sie ergriff den Arm ihres Mannes und sagte mit vor Zorn und Trauer funkelnden Augen: »Da, schau dir das arme Tier an! So sieht eine Mutter aus, der man alle Kinder weggenommen hat. Wozu gehst du noch auf den Ulmenhof, wenn man dich ruft? Hier kennt man doch nicht einmal das eiserne Gesetz, einer Hundemutter wenigstens einen ihrer Welpen zu lassen. Ich …«

Dr. von Lehn legte den Arm um die Schultern seiner jungen Frau. »Ich bitte dich, Andrea, rege dich nicht so auf.« Er sah sie sehr besorgt an.

Das Gesicht von Kurt Uhlen hatte sich bei Andreas Worten gerötet.

»Diese Aufregung könnte sich Ihre Frau wirklich ersparen«, erklärte er nun, um es danach noch einmal mit einem schmeichlerischen Ton zu versuchen. »Ich bitte Sie, gnädige Frau, denken Sie an Ihr Kind!«

Nun brauste Andrea erst recht auf. »Was geht Sie mein Kind an? Mit Ihnen möchte ich zu allerletzt über meinen Zustand sprechen. Sie sind ein roher, gewalttätiger und hinterlistiger Mensch. Wer kleine Hunde umbringt, bringt auch Kinder um.«

»Ich bitte dich, Andrea!« Hans-Joachim von Lehn führte seine am ganzen Leib zitternde Frau gewaltsam aus dem Stall. »Wie kannst du so etwas sagen?«

Andrea sah zurück. Kurt Uhlen stand noch immer auf seinem Platz. »Weil es die Wahrheit ist. Dieser Mensch hat vier junge Welpen getötet, obwohl er weiß, dass Cora jetzt zu viel Milch hat und darunter leiden wird und obwohl er weiß, dass er den kleinen Dirk mitten ins Herz getroffen hat.« Andrea lehnte sich fest an ihren Mann.

Nun kam Kurt Uhlen an den Ausgang. »Es ist selbstverständlich, Herr Doktor, dass ich diese Anwürfe dem Zustand Ihrer Frau zugute halte. Sie brauchen mich also deshalb nicht um Entschuldigung zu bitten.« Seine Stimme klang ölig.

»Das würde mein Mann ohnehin nicht tun, Herr Uhlen. Da kennen Sie ihn schlecht. Er denkt genauso wie ich. Und überhaupt – Sie brauchen nicht so gnädig zu tun und mich wie eine hysterische Person zu behandeln. Ob ich ein Kind erwarte oder nicht, Sie sind für mich ein Tierquäler, ein gefühlloser Mensch. Gehen Sie doch vor ins Gutshaus, und sehen Sie, was Sie angerichtet haben. So etwas vergisst ein Kind nie. Aber Sie können sich ja hier austoben, während Steffen Seibold im Krankenhaus liegt und seine Frau vor Ihnen zittert.« Andrea sah ihren Mann an. »Komm, Hans-Joachim, wenn du nicht willst, dass ich diesem Mann noch mehr an den Kopf werfe. Es würde nämlich auch nichts nützen.« Leise fügte sie hinzu: »Das Schlimmste ist, wer so gefühllos ist, stellt noch mehr an, um andere zu quälen.«

Hans-Joachim begleitete seine Frau. Er sah nicht einmal entschuldigend zu Kurt Uhlen zurück. Als das Ehepaar am Gutshaus vorbeiging, beschleunigte Andrea ihre Schritte. »Komm schnell, ich will dem kleinen Dirk nicht mehr begegnen. Ich kann ihn ja nicht trösten«, erklärte sie.

Erst als Andrea im Wagen saß und sich erschöpft zurücklehnte, erzählte sie ihrem Mann genau, was sie erlebt hatte.

Hans-Joachim startete den Wagen. »Das ist wirklich eine bodenlose Gemeinheit. Ich weiß, wie sehr Steffen Seibold an seinem Sohn hängt. Dirk ist ja auch ein sehr liebes Kerlchen. Er hat mir selbst gesagt, dass er Bauer werden will. Er liebt Tiere über alles.«

»Ist Steffen Seibold denn noch immer in Lebensgefahr, Hans-Joachim?«, fragte Andrea mit zitternder Stimme. »So viele Monate liegt er jetzt schon im Maibacher Krankenhaus,«

»Es soll ihm nicht gut gehen. Du weißt ja, als er damals vom Trecker stürzte, wurde er von einem Rad gestreift. Er hat außer den inneren Verletzungen, die ihn in Lebensgefahr brachten, auch einen Beckenbruch davongetragen. Und so etwas ist langwierig. Ich habe gerade vor einigen Tagen mit Frau Dr. Frey gesprochen, die ihm damals Erste Hilfe leistete. Sie besucht Steffen Seibold oft im Krankenhaus und sagt, ihm fehle der Lebensmut, weil er weiß, dass er das Gut nicht mehr so wie früher wird leiten können. Er redet sich ein, kein vollwertiger Mensch mehr zu sein, ja, er spricht sogar davon, nun ein Krüppel zu sein. Da fehlt es eben auch an der Zusprache von Seiten seiner Frau. Mir kommt es manchmal vor, als liebe Hilde Seibold ihren Mann überhaupt nicht. Vielleicht war es für sie nur interessant, als Großstädterin einen Gutsbesitzer zu heiraten. Davon träumen wohl manche Mädchen. Sie sehen sich als Gutsherrin, meistens hoch zu Ross, und wissen nicht, was in Wirklichkeit von einer solchen Frau gefordert wird. Gerade heute bei dem Mangel an Arbeitskräften.«

»Ja, und der Ulmenhof ist ein kleines Gut, das seiner Herrschaft nicht jenen Luxus erlaubt, den sich Hilde Seibold vielleicht wünscht. Trotzdem muss ich sagen, sie macht nicht den schlechtesten Eindruck, Hans-Joachim. Eher kommt sie mir sehr unselbständig vor. Als Dirk den Verwalter beschuldigte, sah sie sich ängstlich um. Sie scheint den Verwalter zu fürchten.«

*

Während das Ehepaar von Lehn auf der Heimfahrt nur dieses Thema kannte, stand Kurt Uhlen im Wohnzimmer des Gutshauses Hilde Seibold gegenüber. Eben hatte die Herrin von Ulmenhof den kleinen Dirk in die Küche zur Mamsell geschickt.

»Hast du das nicht verhindern können, Hilde, dass dieses hysterische kleine Ding alles mitbekommt?«, herrschte Kurt Uhlen Hilde Seibold an.

Sie erschrak und sah zur Tür. »Ich bitte dich, Kurt, sprich nicht so laut«, bat sie, lief ans Fenster und schloss es.

Kurt Uhlen warf sich in einen Sessel. »Also gut, wenn du schon wieder einem Nervenzusammenbruch nahe bist, nur weil ich dich nicht in aller Form als Frau Seibold anspreche, dann werde ich meine Stimme eben etwas dämpfen, obwohl mir das sehr schwerfällt. Ich bin erregt, Hilde. Maßlos erregt. Muss ich mir das bieten lassen, dass ich wie ein dummer kleiner Junge behandelt werde? Hast du Frau von Lehn in den Stall geschickt, oder war es Dirk?«