Bekannte aus Moskau beim Detachement - Lew Tolstoi - E-Book

Bekannte aus Moskau beim Detachement E-Book

Lew Tolstoi

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Beschreibung

In einer kurzen, schonungslosen Geschichte blickt Tolstoi hinter die elegante Maske der russischen Oberschicht. Als unser Erzähler, Fürst Nechljudow, auf eine Mission in den Kaukasus geschickt wird, kommt ihm das Gesicht eines zerlumpten Soldaten seltsam bekannt vor. Hinter dem einfachen Gefreiten versteckt sich ein alter Bekannter aus Moskau, der für eine unschöne Episode degradiert und enterbt wurde. Im Laufe einer Nacht bemüht sich der Erzähler, dem gefallenen Freund einen neuen Weg zu öffnen. Aber waren es wirklich bloß die Umstände, die ihn von der Bahn haben kommen lassen? -

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Lew Tolstoi

Bekannte aus Moskau beim Detachement

Übersezt von L.A. Hauff

Aus den Kaukasischen Memoiren des Fürsten Nechljudow

Saga

Bekannte aus Moskau beim Detachement

 

Übersezt von L.A. Hauff

 

Titel der Originalausgabe: Разжалованный

 

Originalsprache: Russisch

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1857, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728017548

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Wir waren einem Detachement zugeteilt. Unsere Aufgabe war schon ausgeführt, wir hatten einen Durchhau im Walde gemacht und erwarteten jeden Tag aus dem Stab den Befehl, in die Festung zurückzukehren. Unsere Division von Batteriegeschützen stand am Abhang eines steilen Bergrückens, der von dem reißenden Bergflüßchen Metschik bespült wurde, und sollte die sich vor uns ausbreitende Ebene bestreichen.

In dieser malerischen Ebene erschienen zuweilen außerhalb Schußweite, besonders gegen Abend nicht feindliche Gruppen von Bergbewohnern zu Pferd, welche aus Neugierde gekommen waren, um das russische Lager anzusehen.

Der Abend war hell, ruhig und frisch, wie die Dezemberabende im Kaukasus gewöhnlich sind. Die Sonne neigte sich zum Untergang hinter der steilen Bergwand zur Linken und warf rosige Strahlen auf die Baracken, welche am Abhang zerstreut lagen, auf die beweglichen Soldatengruppen und auf unsere Geschütze, welche zwei Schritte von uns in einer Erdbatterie standen, wie mit lang hervorgestrecktem Hals.

Ein Infanteriepikett auf einem Hügel zur Linken erschien deutlich in der Abendbeleuchtung mit seinen Gewehrpyramiden, mit der Schildwache und einer Gruppe von Soldaten davor und dem Rauch des Lagerfeuers.

Rechts und links am Abhang auf der festgetretenen Erde sah man Baracken und hinter denselben die dunklen kahlen Stämme des Platanenwaldes, in welchem fortwährend Axtschläge ertönten und die halbabgesägten Bäume krachend zur Erde stürzten. Der bläuliche Rauch der Schornsteine erhob sich von allen Seiten zum frostigen, hellblauen Himmel. An den Baracken vorbei und am Bache abwärts zogen sich die Kosaken. Dragoner und Artilleristen, welche von der Tränke zurückkehrten mit Geräusch, Hufschlägen und Wiehern der Pferde.

Es fing an, etwas zu frieren, jedes Geräusch war dem Ohre deutlicher vernehmbar, und in der reinen, scharfen Luft sah man weithin über die Ebene. Feindliche Trupps, welche kaum die Neugier der Soldaten erregten, ritten langsam über die hellgelben Stoppeln der Kukuruzfelder und da und dort sah man hinter den Bäumen hohe Säulen von den Begräbnisplätzen hervorragen und in der Nähe rauchende Dörfer.

Unsere Baracke stand nicht weit von den Geschützen an einem trockenen und hochgelegenen Ort, von welchem aus man eine besonders weite Aussicht hatte. Neben der Baracke und unmittelbar bei der Batterie war ein geebneter Platz für unser »Städtchen«- oder »Schweinchen«-Spiel hergerichtet. Dienstfertige Soldaten hatten daselbst für uns geflochtene Bänke und einen kleinen Tisch hergerichtet.

Wegen aller dieser Bequemlichkeiten liebten die Artillerieoffiziere, unsere Kameraden und einige Infanterieoffiziere, sich abends in unserer Batterie zu versammeln und nannten diese Stelle den Klub.

Der Abend war herrlich, die besten Spieler waren anwesend und wir spielten »Städtchen«. Ich, der Fähnrich B. und Leutnant O. verloren zwei Partien hintereinander, und zum allgemeinen Gaudium und Gelächter der zuschauenden Offiziere, Soldaten und Denschtschiken 1 , welche neugierig aus ihren Baracken herausschauten, trugen wir die Gewinner zweimal auf unseren Schultern von einem Ende zum andern.

Besonders spaßhaft war die Lage eines ungeheuer dicken Stabskapitans.Scha., welcher schnaufend und gutmütig lächelnd mit auf der Erde schleifenden Beinen auf dem kleinen schwächlichen Porutschik 2 O. vorbeiritt. Aber es war schon spät, die Denschtschiken brachten uns, im ganzen unserer sechs, drei Gläser Tee ohne Untersätze, und nachdem wir das Spiel beendigt hatten, gingen wir zu den Ruhebänken. In der Nähe derselben stand ein uns unbekannter Mensch von kleinem Wuchs mit krummen Beinen, mit einem Pelz ohne Tuchüberzug und einer Pelzmütze mit lang herabhängendem, weißem Wollhaar. Als wir ihm nahekamen, nahm er wiederholt unentschlossen seine Mütze ab und setzte sie wieder auf. Mehrmals machte er eine Bewegung, wie um sich uns zu nähern, hielt aber immer wieder an. Doch endlich schien er zu dem Entschluß gekommen zu sein, nicht länger unbemerkt bleiben zu wollen, nahm die Mütze ab, und nachdem er uns rings umgangen hatte, schritt er auf den Stabskapitan Scha. zu.

»Ach, Guscantini! Nun, wie geht's, Väterchen?« sagte Scha., gutmütig lächelnd, noch unter dem Einfluß des vorherigen Scherzes.

Guscantini setzte sogleich seine Mütze auf und machte einen Versuch, seine Hände in die Taschen seines Halbpelzes zu stecken. Aber an der Seite, wo ich stand, befand sich keine Tasche, und seine kleine, rote Hand blieb daher in unbequemer Lage.

Es interessierte mich, zu wissen, wer dieser Mann war, ein Junker, oder vielleicht ein Degradierter, und ohne zu bedenken, daß der Blick eines unbekannten Offiziers ihn in Verlegenheit setzen mußte, betrachtete ich aufmerksam seine Kleidung und sein Äußeres.

Er schien etwa dreißig Jahre alt zu sein. Seine kleinen, grünen, runden Augen blickten wie verschlafen, dabei aber unruhig unter dem schmutzigen weißen Lammfell seiner Mütze hervor, die er tief ins Gesicht gerückt trug. Eine dicke, unregelmäßige Nase inmitten der eingefallenen Wangen diente als Ersatz für die krankhafte unnatürliche Magerkeit. Seine Lippen, welche von einem dünnen, fahlen Schnurrbart nur wenig bedeckt waren, befanden sich unaufhörlich im Zustand der Unruhe, als ob sie sich fortwährend bemühten, bald diesen, bald einen andern Ausdruck anzunehmen, der aber immer nicht zur Vollendung kam. Sein Gesicht trug dabei beständig den vorherrschenden Charakterzug der Furchtsamkeit und Hast. Um seinen mageren, geaderten Hals trug er eine grünseidene Schärpe, deren Enden sich unter seinen Halbpelz verloren. Dieser war beschmutzt und kurz, mit einem eingenähten Hund am Kragen und an den falschen Taschen. Die Beinkleider waren kariert und aschfarbig und die Stiefel mit kurzen ungeschwärzten Soldatenschäften.

»Bitte, bemühen Sie sich nicht,« sagte ich ihm, als er mich wieder schüchtern anblickte und die Mütze abnehmen wollte.