Beratung lehren im Studium Sozialer Arbeit - Christian Paulick - E-Book

Beratung lehren im Studium Sozialer Arbeit E-Book

Christian Paulick

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Beschreibung

Das hochschuldidaktische Lehrbuch gibt Lehrenden Anregungen, wie Studierenden der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik innerhalb der vorgegebenen und zeitlich eng gerahmten Studienstrukturen Beratungskompetenzen vermittelt und ihre ersten Schritte auf dem Weg zur Entwicklung beraterischer Professionalität begleitet werden können. Präsentiert werden dabei nicht nur Übungen zu spezifischen Beratungsmethoden und -techniken, sondern im Fokus steht v.a. die Entwicklung einer spezifischen Beratungshaltung, die insbesondere Selbstreflexion und Selbsterfahrung erfordert.

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Contents

Cover

Titelei

Geleitwort

Einleitung – Zu diesem Buch

Teil I Vermittlung von Beratungskompetenzen im Studium – Grundannahmen, Konzepte und Rahmenbedingungen

1 Vermittlung von Beratungskompetenzen in der Hochschullehre

1.1 Beratungslehre im Studium Sozialer Arbeit

1.2 Beispiele hochschulischer Beratungslehre

1.3 Spezifische Besonderheiten und Herausforderungen der Hochschullehre

Beratungslernen im »Korsett« des Curriculums

Räumliche Gegebenheiten und Settinggestaltung

Gruppenzusammensetzung und Gruppendynamik

Prüfungszwänge für Lehrende und Lernende

2 Lehrdidaktische Grundannahmen

2.1 Grundverständnis von Beratung

2.2 Beratungskompetenzen systemisch lehren – Die Beobachtung der*des Beobachter*in

2.3 Lernziele

2.4 Bild von Studierenden und leitende Überzeugungen

2.5 Rolle‍(n) von Lehrenden

2.6 Systemische Haltung‍(en)

3 Beraterische Professionalität – Das magische Dreieck professioneller Identität

3.1 Elemente beraterischer Professionalität

3.2 Theorie

3.3 Praxis

3.4 Selbstreflexion

3.5 Selbstsorge

3.6 (Selbst-)‌Erfahrung

Teil II Didaktische Zugänge zur Aneignung von Beratungskompetenzen

4 Theoretische Zugänge zu psychosozialer Beratung in der Sozialen Arbeit

4.1 Definitorische Annäherungen

4.2 Kurz gefasst: Spezifika von Beratung in Sozialer Arbeit und aktuelle Diskurse

4.3 Empfehlungen zum Weiterlesen

5 Beratungshandeln erfahren

5.1 Vorüberlegung: (Selbst-)‌Erfahrung als Berater*in und Klient*in als notwendige Bedingung guter Beratung

5.2 Rollenspiele

5.3 Videoaufzeichnung und Reflexion des (eigenen) Beratungshandelns

5.4 Umgang mit »Tabuthemen« und ethisch-rechtlichen Herausforderungen

6 Systemische Beratungsmethoden erproben und erlernen – Das systemische Erstgespräch

6.1 Vorüberlegung: Erstgespräche als besonders geeignete Lernfelder für Beratungshandeln

6.2 Settinggestaltung und »establishing of a yes-set«

Joining, establishing of a yes-set

Sich vorstellen

Feedbackvariante im Plenum – Wertschätzendes Tratschen über Anwesende

6.3 Auftragsklärung – Auftragsvereinbarung

Auftragsebenen

6.4 Problemexploration – Ressourcenorientierung – Interventionen – Lösungen

Lösungsorientiertes Problemverstehen

Eine Auswahl von Methoden und Techniken

Fragen nach Unterschieden – Ausnahmen, Prozentualisierungen, Skalierungen

Wunderfrage

6.5 Gesprächsabschluss

6.6 Prüfungsleistung – Rückmeldung

7 Praxiserfahrungen reflektieren

7.1 Vorüberlegung: Bedeutung von Praxisphasen im Studium Sozialer Arbeit

7.2 Erfahrungen aus Praxisphasen im Studium als Quellen für Beratungslernen

»Ein Mensch kommt zu mir in die Beratung«

Reflexion des Rollenhandelns in Beratungsbeziehungen

Reflexion von inneren Resonanzen

Reflexion subjektiver Theorien

Reflexion von Ressourcen

Formate zur Schilderung von Praxiserfahrungen

7.3 Ethnographische Praxisprotokolle

7.4 Kollegiale Fallberatung

7.5 Reflektierendes Team

Kleiner Exkurs zum Reflektierenden Team

8 Zugänge zu Biographie, Haltung und Überzeugungen eröffnen

8.1 Vorüberlegung: Selbstreflexionen als »Blind Date mit sich selbst« und ihre Bedeutung für die Entwicklung beraterischer Professionalität

8.2 Biographische Wege von Sozialarbeiter*innen und Berater*innen

8.3 Selbstreflexionsprozesse in hochschulischen Lerngruppen anregen

9 Selbstsorge kultivieren

9.1 Vorüberlegung: Die Sorge um sich – Ein Blick auf die Historie der Selbstsorge

9.2 Selbstsorge zwischen unabdingbarer Voraussetzung professionellen Handelns und Zwang zur Selbstoptimierung

9.3 Kultivieren eines Selbstsorge-Habitus

Schlussbetrachtungen

Anhang

Literatur

Anhang A: Zehn Bücher, die Ihre Professionalität bereichern können

1 Ein Mann seiner Klasse – Christian Baron

2 Das also ist mein Leben – Stephen Chbosky

3 Verbrechen und Strafe – Fjodor Dostojewskij

4 Erinnerung eines Mädchens – Annie Ernaux

5 Stiller – Max Frisch

6 Alle Tage – Terezia Mora

7 Die Wand – Marlen Haushofer

8 Der Prozeß – Franz Kafka

9 Intimitäten – Katie Kitamura

10 Ein wenig Leben – Hanya Yanagihara

Anhang B.1: Selbstreflexionen (besonders geeignet für Einzelarbeit)

Nähe und Distanz – Helfen als Beruf‍(ung) (→ Arbeitsblatt 1)

Verherztheiten – Affinität (Hingezogen-Sein zu Klient*innen) (→ Arbeitsblatt 2)

Selbstreflexion zu eigenen Resilienzfaktoren – Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben (→ Arbeitsblatt 3)

Das Leben nehmen – Selbstreflexion (→ Arbeitsblatt 4)

Soundtrack meines Lebens – Eine Autobiographische Methode

Anhang B.2: Selbstreflexionen (geeignet für Einzelarbeit oder dyadische Arbeit in Interview-/Gesprächsform)

Professionelle Beziehung‍(en) (→ Arbeitsblatt 6)

Selbstreflexion – Meine Schattenklient*in und ich

Selbstsorge (→ Arbeitsblatt 8)

Der Autor und die Autorin

Christian Paulick, Prof. Dr. phil., ist Professor für Sozialarbeitswissenschaft und Beratung an der Hochschule Merseburg. Er ist Sozialpädagoge, Systemischer Berater (SG/DGSF), Systemischer (Familien-)‌Therapeut (SG/DGSF) und Systemischer Supervisor (SG) sowie Mitglied im Forum Beratung der DGVT. In seiner Forschung und Lehre beschäftigt er sich mit Beratung, Systemischer Sozialer Arbeit, Professionalität und Professionalisierung, Täter*innenarbeit sowie Selbstsorge.

Sandra Wesenberg, Prof. Dr. phil., ist Gastprofessorin für Klinische Psychologie mit den Schwerpunkten Beratung und Therapie an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Sie ist Sozialarbeiterin, absolviert eine methodenübergreifende Weiterbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und ist Mitglied im Forum Beratung der DGVT. In ihrer Forschung und Lehre beschäftigt sie sich u. a. mit Beratung und psychosozialen Interventionen für psychisch hoch belastete Kinder, Jugendliche und Familien.

Christian Paulick,Sandra Wesenberg

Beratung lehren im Studium Sozialer Arbeit

Verlag W. Kohlhammer

Für Petra Franke

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-039262-5

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-039263-2epub: ISBN 978-3-17-039264-9

Geleitwort

Beratung ist spätestens seit dem Anfang der 1970er Jahre ausgerufenen »Beratungsboom« nicht nur in alle traditionellen Felder und Organisationen sozialer und psychosozialer Arbeit eingezogen und hat viele neue erschlossen und begründet. Sie wurde die zentrale Handlungsorientierung und Querschnittsmethode – symbolisiert z. B. in Seiberts Buch von 1978 »Soziale Arbeit als Beratung« – auch in ganz anderen Bereichen der Sozialen Arbeit in Gesundheit und Pflege, Prävention und Rehabilitation, Erziehung und Bildung, Arbeit und Beruf etc.

Gleichzeitig mit ihrem langsamen Eindringen in Hochschulausbildung und Weiterbildung wurde Beratung auch zu einem bedeutenden Professionalisierungsmotor der Sozialarbeit und Aufstiegsprojekt für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter – und das vor 50 Jahren! Und so scheint es fast ein schlechter Witz, dass erst heute im Jahr 2024 dieses wichtige Buch zur Theorie und Praxis der Vermittlung von Beratungskompetenzen im Studium Sozialer Arbeit erscheint – zum Glück erscheint!

Beratung in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik hat es lange verdient, endlich auch in der Hochschullehre (wie in anspruchsvollen wissenschaftsfundierten Weiterbildungen) gut konzeptionell – theoretisch begründet und reflektiert und ebenso gut methodisch –, praktisch und didaktisch kreativ vermittelt einen zentralen Platz zu finden. Dieser Band ist ein großer und wichtiger Schritt dorthin.

Im Gegensatz zu den existierenden Publikationen, die für Studierende Beratung theoretisieren oder Beratungsmethoden beschreiben und Beratungsübungen vorschlagen, finden wir in dem Band von Christian Paulick und Sandra Wesenberg erstmals (!) eine beratungstheoretische und beratungsprofessionelle, wie genau darauf ausgerichtete lehrdidaktische Grundlegung von Beratungs-Kompetenzerwerb, explizit im formalen Studienordnungsraster, im organisatorischen Rahmen sowie im räumlichen Setting Hochschule, mit all den damit und darin offenen Möglichkeiten wie auch (z. T. engen, z. B. zeitlichen) Grenzen.

In den didaktischen Zugängen zur Aneignung von Beratungskompetenzen offenbart sich eine bereits in den Grundlegungen dominante systemische Perspektive.

Ein Argument dafür: Systemisches Denken hat faktisch und praktisch früher herrschenden Beratungskonzepten (tiefenpsychologischen, humanistischen, behavioralen etc.) den ersten Rang abgelaufen, in der Weiterbildung, wie in der praktischen Arbeit gerade in sozialarbeiterischer, sozialpädagogischer und psychosozialer Tätigkeit. Ein empirisch fundiertes »allgemeines« oder »pluralistisches« Counselling-/Beratungsmodell hat sich (bisher) nicht durchgesetzt. Systemisches Denken und Handeln bestimmen heute die Arbeit vieler Beratungskollegen und -kolleginnen in Ausbildung und Beruf.

Man mag diese explizite Schwerpunktsetzung kritisch sehen, allerdings eröffnet diese Perspektive – so wie sie hier ausbuchstabiert wird – »inklusive« Orientierungsmöglichkeiten auch für Vertreter*innen aller anderen möglichen Beratungsrichtungen und für deren Studierende.

Zum zweiten: Die Autor*innen fokussieren dankenswerterweise Selbsterfahrung, Selbstreflexion und Selbstsorge im Beratungshandeln und Beratungslernen sowie biographische Einordnung, persönliche Überzeugung und Berater*innen-Habitus, und das Konzept übergreifend, jenseits einfach gestrickter Methodenübungen und -trainings. Andererseits lassen sie es hierbei nicht bei den so oft vorzufindenden Allgemeinplätzen bewenden, die diese komplexeren Haltungen scheinbar nahelegen. Nein – sie operationalisieren die empfohlene Vermittlung von Beratungskompetenzen detailreich und differenziert in konkreten und handlungsanleitenden Methoden – und Strategievorschlägen. Diese reichen von Klassikern wie dem Rollenspiel und Videoaufzeichnungen, der kollegialen Fallberatung und dem Reflecting Team bis hin zu ethnographischen Praxisprotokollen, Auftragsklärungen und »Self-blind-Dating« oder der Selbstsorgeentwicklung.

Es gelingt ihnen dabei, die von Beginn an postulierte untrennbare Verwobenheit von »Beratungsperson« und Beratungshandeln/Beratungsmethode nicht nur in der Beratungspraxis, sondern auch in der Beratungslehre zu verdeutlichen, ohne beides in die alte Dichotomie von »Kunst« oder »Wissenschaft« münden zu lassen.

Berater*innen wie auch Beratungslehrende sind immer aktive Subjekte, wirkmächtige »Werkzeuge«, wie anschauliche Modelle für Klient*innen oder Studierende in den jeweiligen Interaktionsprozessen. Und Vorgehensweisen müssen nicht nur zu einer Problemstellung, zu den Klient*innen- oder Studierenden-Bedürfnissen und zu den Interventions- oder Hochschulkontexten passen, sondern eben auch zu den professionellen Berater*innen und Beratungslehrer*innen.

Wer Beratung vermitteln will, muss sie »können« und sich darin »kennen«, wenn er*sie Studierende mit auf die spannende Reise nehmen und sie unterstützend dabei anleiten und begleiten will, selbst Beratungskompetenz zu entwickeln und professionelle*r Berater*in zu werden. Das vorliegende Buch von Paulick und Wesenberg bietet alle Voraussetzungen dafür, dass das gelingen kann.

Sie als Adressat*innen müssen es nur gewissenhaft lesen, kritisch reflexiv und in Beziehung zur eigenen Person verarbeiten und in Ihre Lehre der Beratung einmünden lassen – Sie werden davon profitieren und Ihre Studierenden auf der Beratungsreise werden es Ihnen danken.

Frank Nestmann

Einleitung – Zu diesem Buch

»Was ist schwer? ›Sich selbst erkennen.‹ Was leicht? ›Einem andern einen Rat erteilen.‹«Thales von Milet (ca. 600 v. Chr.), zit. in Diogenes Laertius (2008):Leben und Meinungen berühmter Philosophen, S. 19.

Beratung gehört zweifelsohne zu den zentralen Schlüsselkompetenzen in der Sozialen Arbeit. Gleichzeitig ist Beratung in postmodernen Vergesellschaftungen von Vielfalt, Feindifferenzierungen und stetigen Weiterentwicklungen gekennzeichnet. »Gute« Beratung in Sozialer Arbeit zu realisieren, ist eine hohe Kunst. In der Expertiseforschung verdichtet sich die Zahl von zehn Jahren bzw. 10.000 Stunden kontinuierliche Arbeit, die es braucht, um beraterische Professionalität im Sinne von höchster Meister*innenschaft herauszubilden. Die Erlangung dieser Expertise braucht neben einer umfassenden Qualifizierung insbesondere Erfahrungsbildung, Routinisierung und eine systematische Verknüpfung von Wissensbeständen und Erfahrungen. Das heißt vor allem also auch: Professionalisierung braucht Zeit! Dies stellt nicht unbedingt eine ideale Voraussetzung für die Vermittlung von Beratungskompetenzen innerhalb bolognarisierter Curricula des Hochschulstudiums dar. In einem Hochschulstudium können – aber sollten! – folglich »nur« Grundsteine gelegt und Weichen gestellt werden. Doch gerade diese Weichenstellungen, so unsere Beobachtung, sind von hoher Bedeutsamkeit für die Herausbildung einer beraterischen Grundhaltung und etwa der Frage, ob Selbstreflexionen und damit einhergehende Irritationen und Impulse zur Neuorientierung und individuellen Weiterentwicklung als punktuelle Elemente in einer Lehrveranstaltung vorkommen oder als Grundidee von Beratungsprofessionalität und über ein Hochschulstudium hinausgehend habitualisiert werden.

In dem von uns hier vorgelegten Buch werden folgende Fragen verfolgt:

Was macht Beratung in Sozialer Arbeit aus?

Was kennzeichnet eine*n gute*n Berater*in?

Was lässt sich unter Beratungsprofessionalität verstehen?

Wie bildet sich Professionalität heraus?

Wie lassen sich im Kontext von Hochschule zentrale Elemente von Beratungsprofessionalität vermitteln?

Inwieweit lässt sich Beratungsprofessionalität anregen oder gar auf Dauer stellen?

Kurz gesagt: Wie lässt sich Beratung im Studium Sozialer Arbeit lehren und lernen?

Wir möchten mit diesem Band ein hochschuldidaktisches Lehrbuch vorlegen, das Lehrenden Anregungen gibt, wie Studierenden der Sozialen Arbeit oder Sozialpädagogik innerhalb der vorgegebenen und zeitlich eng gerahmten Studienstrukturen Beratungskompetenzen nähergebracht und ihre ersten Schritte auf dem Weg zur Entwicklung beraterischer Professionalität begleitet werden können. Präsentiert werden dabei nicht nur Übungen zu spezifischen Beratungsmethoden oder -techniken, sondern im Fokus steht v. a. die Entwicklung und Reflexion einer spezifischen Beratungshaltung.

Aufbauend auf einer kurzen Einführung in die allgemeinen Bedingungen von Hochschullehre, die den Rahmen für Beratungslehre im Studium Sozialer Arbeit markieren, skizzieren wir die konkreten Grundannahmen, die unsere eigene Lehre zur Vermittlung von Beratungskompetenzen bestimmen. Unsere Haltung als Hochschullehrende orientiert sich dabei zentral an der systemisch-konstruktivistischen »Ermöglichungsdidaktik« (nach Rolf Arnold, vgl. u. a. Arnold 1999, 2007, 2012, 2018; Arnold & Schüßler 2003; Arnold & Schön 2017, 2019). Anschließend stellen wir ein Modell beraterischer Professionalität vor, welches als Hintergrundfolie für unsere Beratungslehre dient. Nach diesem Modell entwickelt sich Professionalität dynamisch und prozessual innerhalb eines selbstsorgerisch grundierten und von kontingenten (Selbst-)‌Erfahrungen beeinflussten Dreiecks von Theorie, Praxis- und (Selbst-)‌Reflexion (Paulick & Wesenberg 2020). In dieser Entwicklung spielen eben jene Faktoren, die in der Person der*des Professionellen selbst zu verorten sind und ihre Erstausprägung in biographisch-informellen Kontexten erfahren, eine zentrale Rolle, was sich im Wesentlichen schon dadurch begründet, dass – so Hans Thiersch (2004, S. 706) – »die Person das Werkzeug des Pädagogen und Beraters« ist. Entsprechend erscheinen Selbstreflexion und (Selbst-)‌Erfahrung – etwa in Form des Bewusstwerdens subjektiver Theorien, des konkreten Ausprobierens und Erlebens von Methoden etc. – sowie die damit assoziierte Förderung von größerer Selbstbewusstheit (»self-awareness«; also des Wissens und Verständnisses von sich selbst im Hinblick auf handlungsleitende Werte, Überzeugungen, Lebenserfahrungen und Weltanschauung) als wichtige Elemente der Entwicklung von beraterischer Professionalität.

Aufbauend auf der Vorstellung des Modells beraterischer Professionalität rückt im zweiten umfassenden Teil des Buches die Frage in den Mittelpunkt, wie die verschiedenen Komponenten – Theorie, Praxis, Selbstreflexion, Selbstsorge und (Selbst-)‌Erfahrung – innerhalb der Beratungslehre im Studium Sozialer Arbeit adressiert werden können. Die Ausführungen sind dabei nicht zu verstehen als lineares Handlungskonzept aufeinander aufbauender Kapitel, die nacheinander bearbeitet werden müssen. Vielmehr können je nach Lehrkontext, Vorwissen der Studierenden, spezifischer Zielsetzung des Moduls, Einbindung im Curriculum etc. einzelne angesprochene Aspekte in der Gestaltung konkreter Seminare besonders relevant sein, während andere möglicherweise schon als bekannt vorausgesetzt werden können und wieder andere an einem späteren Punkt im Studienablaufplan aufgegriffen werden.

Wir möchten unsere Überlegungen in der Gestaltung von Beratungslehrveranstaltungen nachvollziehbar machen, verdeutlichen, welche Überlegungen, Konzepte und Entwürfe anderer uns in der Lehre inspirieren und entscheidend beeinflussen, und unsere Ideen sowie Erfahrungen aus verschiedenen Seminarkontexten an verschiedenen Hochschulen als Vorschläge anbieten. Verbunden ist dies mit der ausdrücklichen Einladung an die Lesenden, mit den angebotenen Ideen zu experimentieren, individuell unpassend Erscheinendes zu verwerfen und Stimmiges aufzugreifen, zu modifizieren und weiterzuentwickeln. Letztlich ist nach unserer Erfahrung auch die Lehre von Beratung eng mit der Person der*des Lehrenden verknüpft. Es geht in Beratungsseminaren vorrangig nicht um die Weitergabe von deklarativem Faktenwissen, sondern um die Vermittlung und gemeinsame Erprobung von handlungspraktischem Wissen, die Anregung eines Rollenbewusstseins, die Förderung der Entwicklung einer eigenen Beratungshaltung und die Begleitung der ersten Schritte der Reise angehender Berater*innen, die sich für Studierende teilweise mühevoll und entmutigend anfühlen können, die zugleich aber auch das große Potential haben, eine gute Grundausrüstung für die weitere Reise zu legen. Dies alles bedeutet für Lehrpersonen auch, sehr viel stärker als in anderen Lehrveranstaltungen im Studium als Person in Erscheinung zu treten, als Modell zu wirken und für Studierende im unmittelbaren Tun erfahrbar zu werden. Entsprechend kann sich die konkrete Ausgestaltung von Beratungslehre zwischen einzelnen Personen deutlich unterscheiden, auch wenn sie auf ähnlichen didaktischen Konzepten, Methoden, Theoriebeständen etc. aufbaut. Auch wir beide haben schon deutliche Unterschiede in der Gestaltung unserer Lehrveranstaltungen bemerkt und ebenso bereits festgestellt, dass bestimmte Methoden, die sich für eine*n von uns sehr bewährt haben, für den*die andere keineswegs so erfolgreich umsetzbar waren. Dies mag immer auch mit anderen Parametern – Gruppengröße, -zusammensetzung, Studiensemester etc. – zusammenhängen, ist neben all diesem in unserer Erfahrung aber ebenso entscheidend mit der individuellen Person des*der Lehrenden verknüpft. Entsprechend war auch die Erstellung dieses gemeinsamen Buches zu Beratungslehre auf den ersten Blick ein Experiment mit ungewissem Ausgang, zumal wir trotz aller Nähen in Beratungsverständnis und -haltung ursprünglich in unterschiedlichen Beratungs-/Therapieansätzen sozialisiert sind (Christian Paulick als systemischer Berater, Therapeut und Supervisor, Sandra Wesenberg als angehende Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin im Richtlinienverfahren Verhaltenstherapie mit methodenübergreifender Ausbildung, u. a. im ergänzenden Verfahren Systemische Therapie), in verschiedenen Praxisfeldern tätig waren und zudem an zwei unterschiedlichen Hochschulen beschäftigt sind. Auf den zweiten Blick jedoch war es gerade diese Konstellation, die sich als besonders hilfreich erwiesen hat. Insbesondere durch die jeweils eigene Erfahrung von Beratungslehre an unseren Hochschulen ließen sich Parameter des Systems Hochschule und Herausforderungen besser verstehen, didaktische Ideen präzisieren, Komplexitäten verdichten und Gelingensprozesse erproben. Neben diesen Austauschprozessen zu unseren individuellen Erfahrungen sind es zudem die seit mehreren Jahren erprobten gemeinsamen Beratungsseminare im Co-Teaching, in denen sich unsere Ideen zu »Beratung lehren im Studium Sozialer Arbeit« entwickelten und letztlich zu diesem Buch führten.

Als zentrale Zielgruppe des Bandes werden Lehrende in Bachelor- und Masterstudiengängen von Sozialer Arbeit oder Sozialpädagogik an Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften sowie sozialpädagogische Fachkräfte in der Aus- und Weiterbildung für Sozialberufe angesprochen. Im weiteren Sinne gehören zu den Interessent*innenkreisen auch Dozierende in Studiengängen naher Bezugsdisziplinen (etwa Sonderpädagogik, Pflegewissenschaften etc.), deren Absolvent*innen ebenfalls beraterisch tätig sind. Zugleich richtet sich der Band explizit an Studierende der entsprechenden Fachrichtungen, die etwa in Form von Selbststudienanteilen, selbst organisierten Lerngruppen oder Wahlseminaren einem Tiefenverständnis von Beratung nachgehen wollen und Lust auf das Abenteuer beraterischer Professionalisierung verspüren.

Überlegungen zu Hochschullehre von Beratung und Sozialer Arbeit enden bestenfalls nicht am Ende des Curriculums oder mit dem Modulabschluss. Vielmehr ist es unser Anspruch und Wunsch, Impulse und Anregungen zu geben, die dazu beitragen, eine Idee von nachhaltigem Lernen und eine Professionalisierungslust auf Dauer zu stellen. Wir möchten den Versuch unternehmen, die Komplexitäten von Beratung, Professionalität, Lehren und Lernen im Kontext von Hochschule zu thematisieren, Ideen dazu anzubieten, Herausforderungen sichtbar zu machen, aber auch dazu einladen, dies als Anregungen zu verstehen, um die eigene Haltung als Lehrende*r, Lernende*r und Berater*in zu kultivieren. Wie im Buch zu sehen sein wird, kann sowohl Beratung als auch Professionalisierung und nicht zuletzt auch die Entwicklung als Lehrende*r als eine Form von Reise verstanden werden. Nach unserer Idee gehen Lehren und Lernen Hand in Hand. So wie wir in jeder Lehrveranstaltung immer selbst etwas Neues lernen (z. B. durch Fragen und Rückmeldungen von Studierenden oder über spannende Beobachtungen im Gruppengeschehen) war auch das Schreiben über Lehren ein unglaublich bereichernder Lernprozess. Insofern ist dieses Lehrbuch in vielerlei Hinsicht zugleich für uns ein »Lernbuch« geworden und markiert eine wichtige Etappe auf unserer weiter fortzusetzenden Reise als Lehrende und Lernende.

Teil I Vermittlung von Beratungskompetenzen im Studium – Grundannahmen, Konzepte und Rahmenbedingungen

1 Vermittlung von Beratungskompetenzen in der Hochschullehre

»Der Ursprung der Wissenschaft liegt im Wissen, daß wir nichts wissen.«Fernando Pessoa (1997 [Orig. 1988]): Die Stunde des Teufels, S. 55.

1.1 Beratungslehre im Studium Sozialer Arbeit

Beratung gilt als zentrale Querschnittsmethode (Sickendiek, Engel & Nestmann 2008) oder Kernkompetenz (Sauer 2012, S. 249) Sozialer Arbeit. Weitgehende Einigkeit herrscht ebenfalls dazu, dass

»Beratung in der hier gemeinten reflexiven Ausprägung (Nestmann et al. 2014b, 2014a) [...] mehr [sei] als eine hypertrophierte Form sozialer Alltagskompetenzen und auch kein bloßes Rat geben im Sinne einer Informationsweitergabe. Obwohl ihre höchste Expertiseform phänomenologisch oft als spielerisch-leichte Interaktion erscheint, ist diese Mühelosigkeit gemäß der Expertiseforschung einer hochkomplexen, stark verkörperlichten und implizit gewordenen Wissensbasis geschuldet (Strasser 2006; Strasser und Gruber 2015)« (Weinhardt 2019, S. 144).

Berater*innen, die in Beratungsstellen tätig sind, haben überwiegend einen umfassenden Qualifizierungsprozess zur Ausbildung beraterischer Fähigkeiten durchlaufen. Für viele, die einen der vor der Bologna-Reform existierenden Diplomstudiengängen in Pädagogik, Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Sozialer Arbeit oder Psychologie durchlaufen haben, schloss sich nach dem Studium und einer ersten Phase der Berufspraxis eine mehrjährige praxisnahe Beratungsweiterbildung an – parallel zur Tätigkeit in einem Beratungsfeld und begleitet durch Supervision und Intervision. »Eine solche Form der Beratungsprofessionalisierung vollzog sich vor Bologna ganz überwiegend berufsbiographisch spät und hatte sehr implizite Formen, die sich entlang der Strukturen der Beratungslandschaft ausrichteten« (ebd.).

Dem Qualifizierungsweg zum*zur Berater*in wird dabei nach Wolfgang Widulle (2016) von Sozialarbeiter*innen häufig subjektiv eine sehr hohe Bedeutung beigemessen: Die Beratungsweiterbildung wird als zentrale Etappe des beruflichen Entwicklungswegs und als hochbedeutsam für die eigene Berufsidentität beschrieben. Oft findet sich zur Beschreibung des Entwicklungsweges beraterischer Kompetenz auch die Metapher einer »Reise des Beraters« (McLeod 2004, S. 351). Die Metapher der Reise und damit assoziierte Wachstumserfahrungen werden prominent auch von Scott Peck und Irvin Yalom betont. Während Scott Peck in »Der wunderbare Weg« (1978) den Hilfeprozess und die Persönlichkeitsentwicklung als Wachstumserfahrung beschreibt, und Irvin Yalom Therapeut*in und Klient*in als »gemeinsam Reisende« (2010, S. 23) beschreibt, bezieht John McLeod die Reisemetapher auf die biographisch-reflexiv grundierte Professionalisierung von Berater*innen. Berater*in

»zu werden kann als eine Reise betrachtet werden, die oft einige Jahre dauert und in der viele Herausforderungen bewältigt werden müssen. Welche Fähigkeiten und Werkzeuge haben Sie bei dieser Reise mit dabei und wie können ihre Ressourcen am besten genutzt werden?« (McLeod 2011, S. 39).

Wie Widulle (2016, S. 23) treffend feststellt, beginnt allerdings »[f]‌ür Studierende der Sozialen Arbeit [...] die Reise zur Beratung recht unmystisch mit dem Regelstudium an Hochschule und Universität und dort mit den Pflichtveranstaltungen zur Beratung, die das Curriculum vorsieht«. Diese Lehrveranstaltungen sind vom Umfang und Stellenwert im Gesamtcurriculum eines Bachelorstudiengangs häufig sehr begrenzt und können allein im Vergleich gegenüber der »Reisezeit« einer Beratungsweiterbildung oder eines postgradualen Masterstudiums Beratung sicherlich nur einen sehr begrenzten Teil beraterischer Kompetenz vermitteln. Und dennoch stellt sich gerade in den (im Vergleich zu Diplomstudiengängen) verkürzten und modularisierten Bachelorstudiengängen Sozialer Arbeit die Frage, welche Aspekte von »Beratung« in welcher Form gelehrt und gelernt werden und wie diese »Kernkompetenz« Sozialer Arbeit bereits im grundständigen Studium erworben werden kann.

Petra Bauer und Marc Weinhardt (2014) kritisierten vor knapp zehn Jahren, dass die Frage nach dem Erwerb von Beratungskompetenz in der Hochschullehre in der deutschsprachigen sozialpädagogischen Diskussion bislang wenig bearbeitet und kaum thematisiert sei. »Die Fähigkeit, AdressatInnen zu beraten, erscheint als naturwüchsiges Nebenprodukt des Studiums bzw. der daran anschließenden feldspezifischen Einsozialisation in die Praxis, die häufig der Formel ›Learning by doing‹ folgt« (ebd., S. 86). Betrachtet man die heutige Situation, so gibt es inzwischen einige Überlegungen, erste Fachveranstaltungen (u. a. 2. Berner Tagung »Beratung lehren – Erfahrungen und Reflexionen aus Wissenschaft und Praxis« im Januar 2022) und verschiedene publizierte (und zum Teil umfassend evaluierte) Konzepte zur Beratungslehre im Hochschulkontext (u. a. von Marc Weinhardt, Petra Bauer und Kolleg*innen, Christine Kröger und Michael Vogt, Wolfgang Widulle), die beispielhaft im folgenden Kapitel skizziert werden. Insgesamt ist die Diskussion aber nach wie vor überschaubar und viele der Publikationen stellen sehr elaborierte und erfolgreiche, zugleich aber auch mit hohen Anforderungen an die personelle und organisationale Ausstattung verknüpfte Lehrformate vor. Insbesondere hinsichtlich der Ermöglichung von Lernprozessen in den Regelstudiengängen von Sozialer Arbeit und Sozialpädagogik, in denen die »Beratungs-Module« oft nur mit einer sehr überschaubaren ECTS-Zahl vorgesehen sind, bleiben nach wie vor viele Fragen offen.

»Welche Funktion soll die Beratungsausbildung in Regelstudiengängen haben: Primär die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens oder die Ausbildung grundlegender Beratungskompetenzen? Primär eine Vorbereitung auf und Zulieferfunktion für die postgradualen Beratungsausbildungen oder die Grundlegung praxistauglicher Beratungskompetenzen? Adressiert die Ausbildung ein generisches Modell von Beratung oder wird bereits arbeitsfeldspezifisch vertieft? Und schließlich trotz Abebbens der ›Schulenkriege‹: Favorisiert man einen schulenspezifischen Zugang oder bildet man im Rahmen eines transtheoretischen, integrativen Paradigmas aus?« (Widulle 2016, S. 25).

Die von Widulle (2016) angeführten Fragen verweisen auf verschiedene Kontroversen der Diskussion um Ziele und Inhalte hochschulischer Ausbildung allgemein wie im Besonderen auf den Stellenwert des Erwerbs von Beratungskompetenz in den Studiengängen Sozialer Arbeit und sind nur schwer und vermutlich immer noch einschränkend und differenzierend zu beantworten. Wenn Beratung als Querschnittsmethode Sozialer Arbeit verstanden wird, dann beginnt beraterisches Tun für nahezu alle Studierenden unmittelbar nach dem Studienabschluss bzw. unseres Erachtens schon studienbegleitend, etwa innerhalb des Praxissemesters oder in den verbreiteten (und mit zahlreichen Herausforderungen und Ambivalenzen hinsichtlich der Professionalisierung verknüpften, vgl. Weinhardt 2022a) Teilzeitbeschäftigungen in Einrichtungen der Sozialen Arbeit parallel zum Studium. Ein Erwerb grundlegender Beratungskompetenzen bereits im Studium erscheint uns daher unerlässlich. Hierfür ist wissenschaftliches Wissen unabdingbar, reicht aber allein nicht, wenn keine reflexive Verknüpfung mit Handlungsmethoden und Handlungspraxis (in ihren vielfältigen Formen) bereits im Studium erfolgt.

Anschließend an Widulle (2016, S. 26) verstehen wir Beratung zudem auch als »komplexe Handlungsform«, in der »sich biographische Erfahrungen, Menschenbilder, Werthaltungen, Motivlagen und Einstellungen [integrieren] – für die Beratung werden diese zu Grundannahmen über Menschen und menschliche Veränderungsprozesse.« Der Erwerb von Beratungskompetenz beinhaltet in unserem Verständnis zwingend die Berücksichtigung dieser biographisch-subjektiven Dimension und die Reflexion bisheriger Erfahrungen, subjektiver Theorien und eigener Handlungsmuster. In der Hochschullehre stellt gerade die Berücksichtigung dieser Dimension eine zentrale Herausforderung dar, wie Gunther Graßhoff und Cornelia Schweppe (2012) in einem Artikel zu »Fallarbeit – Studium – Biographie« verdeutlichen. Die Autor*innen beschreiben, dass Fallanalysen bzw. das Einbringen von Berichten aus der eigenen Handlungspraxis oft unmittelbar mit einer Thematisierung der eigenen Person verbunden sind:

»Denn das in den Fällen Thematisierte und das, was bei Fallanalysen zur Sprache kommt, ist oft an die Person des beziehungsweise der jeweiligen Studierenden geknüpft beziehungsweise oft schwer von der Person zu trennen: Eigene Alltagsdeutungen, Vorlieben, eigene Bedürftigkeiten und Sympathien, verkürzte Handlungsstrategien, ›blinde Flecken‹ etc.« (ebd., S. 246).

Einerseits erscheint es als notwendiger Bestandteil des Studiums, dass in den Lernprozessen alltagsweltliche und biographisch geprägte Deutungs- und Handlungsmuster hinterfragt und in fachlich begründete Argumentations- und Orientierungsmuster transformiert werden – ein Prozess, der selten ohne Irritationen, Enttäuschungen und Verunsicherungen verläuft. Andererseits muss die »Gefahr biographischer Zumutungen« (ebd., S. 248) nach Graßhoff und Schweppe (2012) im Kontext der Hochschullehre in einem überschaubaren und bearbeitbaren Rahmen bleiben. »Die zentrale Funktion von Hochschulen liegt in der Vermittlung von Wissen« (ebd., S. 246) und sie sehen Fallarbeit in einer besonderen »Gefahr, die Funktion der Wissensvermittlung von Universitäten zu überschreiten« (ebd., S. 247). Bezogen auf die oben angeführte Frage von Widulle (2016) – Welche Funktion soll die Beratungsausbildung in Regelstudiengängen haben: Primär die Vermittlung wissenschaftlichen Wissens oder die Ausbildung grundlegender Beratungskompetenzen? – würde die Antwort von Graßhoff und Schweppe also vermutlich weniger eindeutig ausfallen als unsere. Wir sehen wie beschrieben eine zentrale Funktion von Hochschulen, insbesondere in Regelstudiengängen Sozialer Arbeit und Sozialpädagogik (die als primärqualifizierende Studiengänge für eine Berufstätigkeit als Sozialarbeiter*in/Sozialpädagog*in qualifizieren), in der Vermittlung handlungspraktischen Wissens sowie grundlegender Beratungskompetenzen. Dies erfordert insbesondere die Thematisierung eigener Erfahrungen, subjektiver Theorien und Orientierungsmuster (vgl. u. a. auch Engel-Unterbrecher & Haselbacher 2019). Zugleich teilen wir die Bedenken von Graßhoff und Schweppe (2012), dass die Hochschule als Lernort mit besonderen Herausforderungen und Risiken hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der eigenen Person verbunden ist. Die Besonderheiten des Lernorts Hochschule, die die komplexen Rahmenbedingungen des Beratens, Lehrens und Lernens vorgeben, werden wir in Kapitel 1.3 (▸ Kap. 1.3) näher betrachten. Eine zentrale Anforderung an Lehrformate zur Vermittlung von Beratungskompetenzen liegt darin, Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit biographischen Erfahrungen zu schaffen und zugleich im Sinne Graßhoffs und Schweppes »unzulässige Zu- und Übergriffe auf das ›Private‹ der Studierenden« (ebd., S. 247) zu verhindern. Dies ist eine Gratwanderung und tatsächlich mit Zumutungen gegenüber Studierenden (wie auch Lehrenden), aber auch mit Zutrauen in die Möglichkeiten der Schaffung »starker Lernumgebungen« (Widulle 2016) und die Ressourcen der Lerngruppe verknüpft.

1.2 Beispiele hochschulischer Beratungslehre

In der Literatur finden sich Beschreibungen verschiedener Konzepte, wie die Vermittlung von Beratungskompetenz innerhalb des Studiums von Sozialer Arbeit, Sozialpädagogik oder anderer Studiengänge, die auf eine spätere Berufstätigkeit vorbereiten, in der beraterisches Handeln zum »Alltagsgeschäft« der professionellen Helfer*innen gehört (u. a. Lehramtsstudiengänge, Schulpsychologie), realisiert werden kann. Insbesondere in einer Arbeitsgruppe um Petra Bauer und Marc Weinhardt sind verschiedene Formen hochschulischer Lehre entwickelt, durchgeführt und in mehreren Begleitstudien evaluiert worden (u. a. Bauer 2014; Bauer & Weinhardt 2014, 2015a, 2016a; Blessing 2015; Harter 2015; Lauinger 2015; Maier-Gutheil & Weinhardt, 2020; Szeteli 2015; Weinhardt 2013, 2014a, 2014b, 2015a, 2019, 2021; Weinhardt & Kevala 2016; Weinhardt et al. 2022; Zürcher 2019). Begonnen haben diese Entwicklungen vor etwa 15 Jahren an der Universität Tübingen und in der Folge sind verschiedene Ausdifferenzierungen und Systematisierungen erfolgt. Zentraler Bestandteil des methodischen Konzepts ist – neben der Vermittlung relevanter Grundlagenkenntnisse zum zugrunde liegenden Beratungskompetenzmodell (vgl. u. a. Weinhardt 2013, 2015b) und einer Einführung in konkrete Beratungsmethoden – die Durchführung von Beratungsgesprächen in einer Simulationsumgebung. Das von Marc Weinhardt entwickelte »BeraLab« umfasst »eine hoch immersive Simulationsumgebung für psychosoziale Beratung, in der in einem stark realitätsangenäherten Setting (Voranmeldung der Fälle, Wartebereich, Beratungszimmer) Beratungsgespräche von Studierenden mit Simulationsklient*innen durchgeführt werden« (Maier-Gutheil & Weinhardt 2020, S. 47; vgl. weiterführend Bauer & Weinhardt 2015a; Weinhardt 2018a). Neben theoretischem Input spielt es in dem Lehrkonzept also eine zentrale Rolle, Lerngelegenheiten zu schaffen, »in denen die konkret-praktische Erprobung von Beratungshandeln ermöglicht wird« (Maier-Gutheil & Weinhardt, 2020, S. 47 f.) und theoretisches Wissen und eigene Handlungspraxis reflexiv verbunden werden kann. Über die Arbeit in einer Simulationsumgebung lässt sich dies nach Weinhardt (2018a) in hervorragender Weise realisieren:

»In der Lehrkomponente haben StudentInnen aller Erfahrungsstufen (also auch und gerade in ganz frühen Lernstadien) die Möglichkeit, unter ethisch unproblematischen Bedingungen echte Erfahrungen zu sammeln. Sind sie bereit, in der hoch immersiven BeraLab-Situation zu lernen, bekommen sie Voranmeldungen zum Fall, holen AdressatInnen im Wartebereich der Beratungsstelle ab und führen ein Beratungsgespräch mit trainierten SimulationsklientInnen, die sich verhalten, wie das echte AdressatInnen auch tun – mit dem Unterschied, dass es ausgebildete und supervidierte SchauspielerInnen sind, die prototypische Anliegen aus der psychosozialen Versorgung präsentieren«.

Die Beratungsgespräche mit den Simulationsklient*innen werden auf Video aufgezeichnet und das Beratungshandeln (über Selbst- und Fremdbeurteilung u. a. unter Verwendung der Tübinger Kompetenzentwicklungs-Skala) zu Lern- sowie Forschungszwecken systematisch reflektiert und ausgewertet. Das BeraLab-Konzept wird kontinuierlich (unter Verwendung der Ergebnisse der Begleitforschung) weiterentwickelt und aktuell etwa von einer Gruppe um Marc Weinhardt im TRIBS-Projekt (Trierer Beratungssimulation) an der Universität Trier realisiert (www.tribslab.de). Als Simulationsadressat*innen, die prototypische Fälle aus der Sozialen Arbeit darstellen, wirken im TRIBS-Labor Studierende mit, die in Kleingruppen die Rollen entwerfen, durch das TRIBS-Team und theaterpädagogische Fachkräfte für die realistische Darstellung der Rolle im Beratungsgespräch geschult werden, in dieser Rolle die 45-minütigen Beratungsgespräche mit den Berater*innen (Studierenden) durchführen und ihre Erfahrungen per Feedback-Bogen an die Berater*innen übermitteln.

Die Arbeit mit Simulationsklient*innen ermöglicht nach Bauer und Weinhardt (2014, S. 94) »das Üben unter weitgehend realistischen Bedingungen, die mit den üblichen Verfahren (z. B. Rollenspiele mit KommilitonInnen) nicht hergestellt werden können«. Die Durchführung von Beratungsgesprächen mit Schauspieler*innen in einer hochimmersiven Simulationsumgebung bildet unseres Erachtens ein Best-Practice-Beispiel, wie erste Beratungserfahrungen in hochschulischer Lehre ermöglicht werden können. Allerdings ist diese Form zugleich mit hohen Anforderungen insbesondere an die (dauerhaft notwendige) Finanzierung (Aufbau und Erhalt einer simulierten psychosozialen Beratungsstelle, Ausbildung und Bezahlung von Simulationsklient*innen) verknüpft, die an vielen Hochschulen nicht gegeben ist. Einerseits ergibt sich die klare Forderung, an mehr Hochschulstandorten die Arbeit mit Simulationsumgebungen nach dem BeraLab-Konzept zu etablieren (an einzelnen Standorten wird hierbei auch die Arbeit in Immersive Virtual Reality-Laboren erprobt, z. B. an der Berner Fachhochschule, vgl. Abplanalp & Bachmann 2019; Bachmann, Abplanalp & Born, 2019), andererseits besteht die Notwendigkeit für Lernkonzepte, die unter den bestehenden Bedingungen »gute« Beratungslehre ermöglichen. Hierfür scheint uns der Rückgriff auf Rollenspiele (etwa anhand von Fallvignetten) sowie das Einbringen eigener überschaubarer Beratungsanliegen von Studierenden in Beratungsgespräche auch eine gewinnbringende Möglichkeit, wie wir an anderer Stelle (▸ Kap. 5.2) noch ausführen.

Die Arbeit mit »›echte‍[n]‹ Beratungssituationen [...], in denen die Studierenden, die als Klient*innen in ein Übungsgespräch gehen, eigene Anliegen einbringen« (Kröger & Vogt 2020, S. 23) stellt ein Kernelement eines anderen didaktischen Konzept von Beratungslehre an einer Hochschule dar. An der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule Coburg haben Studierende die Möglichkeit, parallel zum Regelstudium ein Begleitstudium »Person- und erfahrungsorientierte Beratung« zu absolvieren und hierüber eine zusätzliche Qualifikation zu erwerben. Das Begleitstudium stellt ein optionales Angebot dar, welches Studierende nach Absolvierung des praktischen Studiensemesters wählen und über drei Semester (5. bis 7. Fachsemester) absolvieren können. Etwa 20 Teilnehmende arbeiten als feste Gruppe zusammen in den Seminareinheiten, die als Blockveranstaltungen an jeweils vier Wochenenden pro Semester realisiert werden. Das Begleitstudium beinhaltet im ersten Semester zudem ein Selbsterfahrungswochenende, das außerhalb der Hochschule am Institut für psychosoziale Gesundheit (ISPG), einem An-Institut der Hochschule Coburg, von einem externen Dozenten durchgeführt wird (ebd.). Das ist ein zentrales Merkmal dieses Begleitstudiums, welches einzelnen Herausforderungen vorbeugt, die aus Prüfungsnotwendigkeiten in Lehrveranstaltungen mit hohen Selbstreflexions- und Selbsterfahrungsanteilen resultieren, wie wir im folgenden Kapitel noch ausführen.

Im Begleitstudium Beratung steht insbesondere »die Entwicklung einer personorientierten professionellen Grundhaltung und der Ausbau von Kompetenzen, die ein Aufgreifen, einen Zugang und eine Bearbeitung des inneren Erlebens von Klient*innen ermöglichen« (ebd.) im Mittelpunkt. Ähnlich wie in den oben beschriebenen Lehrformaten, die auf dem BeraLab-Konzept basieren, gehen Christine Kröger und Michael Vogt (2020, S. 24) davon aus, »dass Beratungskompetenz über die drei Semester hinweg aus einer zunehmend engeren wechselseitigen Bezogenheit zwischen Theoriefundierung, selbstreflexiven Kompetenzen und dem konkreten Vorgehen in der Beratungspraxis erwächst«. Eine Besonderheit des didaktischen Konzepts besteht darin, dass »echte« Beratungssituationen zur Übung genutzt werden, in denen Studierende, in der Klient*innen-Rolle eigene Anliegen einbringen. Kröger und Vogt (2020, S. 24) beschreiben dieses Vorgehen für sehr wertvoll,

»weil die Studierenden auf der Basis des eigenen Erlebens einen Zugang zur Klient*innen'rolle' und den damit verbundenen Themen und Gefühlen – wie Erwartungen an eine Beratung, Angst, Scham, Ausgeliefertsein, Macht, aber auch Hoffnung und Zuversicht – entwickeln und das Potential einer personorientierten Grundhaltung direkt erfahren können. [...] [Zudem] gewinnt auch die Auseinandersetzung mit der Berater*innenrolle durch die Authentizität der Gesprächssituationen an Intensität und Tiefe (z. B. im Hinblick auf das Erleben der eigenen emotionalen Resonanz oder in Bezug auf Fragen der Nähe und Distanz, der Verantwortlichkeit etc.).«

Begleitet wird das Beratungsgespräch durch Studierende, die in der Rolle von Beobachter*innen die Interaktion verfolgen und anschließend die Reflexion des Gesprächs durch ihre Beobachtungen bereichern (auf die wertvolle Rolle von Beobachter*innen in Beratungsübungen gehen wir in ▸ Kap. 5.2 weiterführend ein). Das didaktische Element von »echten« Beratungsgesprächen wird von Kröger und Vogt (2020) dabei auch explizit hinsichtlich ethischer Vertretbarkeit reflektiert und an bestimmte Voraussetzungen gebunden: Die Arbeit erfolgt in einer festen Gruppe über einen Zeitraum von anderthalb Jahren, der Prozess wird von zwei Dozierenden mit langjähriger beraterisch-therapeutischer Berufserfahrung begleitet und die Studierenden absolvieren das (zusätzliche) Begleitstudium freiwillig.

Das Begleitstudium Beratung an der Hochschule Coburg stellt u. E. ein weiteres Beispiel gelungener Hochschullehre zur Vermittlung von Beratungskompetenzen dar, unterscheidet sich aber insbesondere hinsichtlich der langen Dauer, der festen Gruppenkonstellation und des Grades der Freiwilligkeit der Studierenden von den Modulen zu Beratung in grundständigen Studiengängen Sozialer Arbeit, die häufig nur ein oder zwei Semester umfassen und von allen Studierenden durchlaufen werden müssen. Auch wir hatten bereits die Gelegenheit, im Rahmen eines Projektmoduls zum Thema »Psychosoziale Beratung mit Kindern, Jugendlichen und Familien« an der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) über vier Semester hinweg mit einer (weitgehend) festen Studierendengruppe zu zentralen Aspekten beraterischer Professionalität zusammen zu arbeiten (Paulick & Wesenberg 2020). Die Themen der Projektmodule an der ASH werden von Studierenden angeregt und Aufbau sowie Durchführung gemeinsam geplant und gestaltet. Es stehen in jedem Semester mehrere Projektmodule zu verschiedenen Themen zur Auswahl und insofern ist bei den Studierenden, die das Projektmodul zu psychosozialer Beratung belegt haben, in ähnlicher Weise wie in dem von Kröger und Vogt (2020) beschriebenen Begleitstudium von einem hohen Interesse an psychosozialer Beratung und einer Bereitschaft zur Erprobung von Beratungshandeln ebenso wie zur Selbstreflexion auszugehen. Als sehr hilfreiches Gestaltungselement hat sich in unserem spezifischen Modul zu Beratungskompetenzen die Durchführung im Team Teaching (über die Dauer von vier Semestern in einem festen Team von zwei Dozierenden mit beraterisch-therapeutischer Qualifikation und Praxiserfahrung) erwiesen, welche im Projektmodul im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit an der ASH Berlin explizit vorgesehen ist. Zudem erfolgt an der ASH im Praxissemester eine supervisorische Begleitung der Praxiserfahrungen in Kleingruppen, wobei sich in unserer Erfahrung die Reflexionsprozesse in Supervision und Projektmodul sehr gut ergänzt und den (Selbst-)‌Erfahrungs- und Reflexionsraum für die teilnehmenden Studierenden erweitert haben. Zentrale inhaltliche und didaktische Elemente, die wir im Rahmen des Projektmoduls im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit an der ASH Berlin, aber auch unserer Lehrtätigkeiten in anderen Modulen und Studiengängen erprobt haben, werden in den weiteren Kapiteln dieses Buches vorgestellt.

Die bislang skizzierten Beispiele verdeutlichen einerseits vor allem, wie unterschiedlich didaktische Lehrformate zur Vermittlung von Beratungskompetenzen in der Hochschullehre aussehen können, und andererseits welche (sich zwischen den konkreten Konzepten überschneidenden) Elemente zu einer gelingenden Realisierung von Lernzielen (▸ Kap. 2.3) innerhalb des besonderen Settings Hochschule beitragen können. Bevor wir uns einzelnen Besonderheiten und Herausforderungen hochschulischer Beratungslehre nochmals vertieft zuwenden, möchten wir den Überblick über verschiedene existierende Lehrformate mit einer Darstellung eines didaktischen Konzepts von Widulle (2016) zur Vermittlung von Beratungskompetenzen innerhalb eines zweisemestrigen Pflichtmoduls »Grundlagen der Kommunikation, Gesprächsführung und Beratung« an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW (Fachhochschule Nordwestschweiz) abschließen. Dieses Modul entspricht hinsichtlich von Dauer und Umfang von 6 ECTS-Punkten (im Vergleich zu den längeren und umfassenderen Modellen von Kröger & Vogt 2020 und Paulick & Wesenberg 2020) und der zugrunde liegenden Ressourcen für die Gestaltung der Hochschullehre (im Vergleich zu den Lehrformaten, die auf dem BeraLab-Konzept nach Weinhardt beruhen) am ehesten den »üblichen« Bedingungen des Beratungslernen in Regelstudiengängen. Zudem beschäftigt sich Widulle (2016) explizit mit den besonderen Anforderungen der Lehre in eben solchen Regelstudiengängen und sein Text stellt damit eine wichtige Grundlage für die Vertiefung im folgenden Kapitel dar.

Das von Widulle beschriebene Modul vermittelte im ersten Semester Grundlagen der Kommunikation und professionellen Gesprächsführung (vgl. Widulle 2020) und im aufbauenden zweiten Semester Grundlagen der Beratung in der Sozialen Arbeit. Das didaktische Konzept kombinierte das Konzept der gemäßigt-konstruktivistischen Lernumgebung nach Diethelm Wahl (u. a. Wahl 2002, 2013) mit dem Flipped Classroom (Handke 2014; Kück 2014, zit. nach Widulle 2016). Mithilfe von Videolectures und Pflichtlektüre bereiteten sich die Studierenden auf die Präsenzlektionen vor.

Es wurde an beratungsbezogenen Fallsituationen Wissen konkretisiert, Berater*innen- und Klient*innenverhalten anhand von Inszenierungen oder Beispiel-Videos von Beratungssituationen analysiert sowie Modell-Lernen praktiziert. In festen (für je ein Semester gebildeten) Trainings- bzw. Prüfungsgruppen wurden Rollenspiele, standardisierte Beratungsübungen und »echte« Beratungsgespräche zu (kleineren) persönlichen Anliegen der Studierenden durchgeführt. Zudem vertieften die Studierenden ihre Kenntnisse bei Interesse und übten, sofern dies möglich war, in ihren Praxisfeldern die erworbenen Fertigkeiten. Widulle geht zudem umfassend (und kritisch) auf den Leistungsnachweis ein, mit dem das Modul abgeschlossen wurde. Der Leistungsnachweis bestand aus einem videogestützten Gruppenkolloquium der Prüfungsgruppe aus drei Personen. Alle Studierenden der Gruppe stellten hierfür die Reflexion eines durchgeführten und videographierten Beratungsgesprächs vor, in dem sie als beratende Person gehandelt haben. Insbesondere wählten sie eine kurze, ca. 5-minutige bedeutende Sequenz ihres Beratungshandelns aus, die sie einbringen und reflektieren. Nach der Präsentation (Beschreibung der Fallsituation, Problemrepräsentation, Überlegungen zum Vorgehen und wissensgestützte Reflexion der Videoaufzeichnung, Überlegungen zur Optimierung des Beratungshandelns) fand ein Prüfungsgespräch statt, in welches auch die beiden anderen Personen der Prüfungsgruppe (die innerhalb der Beratung als Klient*in und Beobachter*in involviert waren) einbezogen wurden. Als Modell für diesen kollegialen fachlichen Austausch dient das Konzept kollegialer Beratung oder Intervision.

Hinsichtlich des so genannten »Constructive Alignment« – der Passung zwischen Lernzielen, Lehrinhalten und Prüfung (▸ Kap. 1.3) – sieht Widulle (2016, S. 31 f.), insbesondere mit Blick auf den Leistungsnachweis, noch Optimierungsbedarf:

»Zurzeit können Studierende noch kleinere Methodenbausteine (›systemisches Fragen‹, ›Diskrepanzen entwickeln‹) oder Elemente aus dem Modul auswählen und diese in einer Beratungssequenz zeigen. Es wird nicht das Wissen des ganzen Moduls geprüft und die gezeigten Videoausschnitte sind sehr kurz, sie liegen im Bereich einer bedeutsamen Episode von fünf Minuten. Um Beratungshandeln im Video zu sehen, müssten die Videopräsentationen länger sein, was allerdings die Prüfungsdauer (bislang 30 Min. pro Student) erheblich verlängern würde – bei 330 Studierenden pro Jahrgang ist das auch eine Ressourcenfrage für die Hochschule«.

Wolfgang Widulle spricht hier eine zentrale Schwierigkeit von Beratungslehre an Hochschulen an: Beratungslernen muss hier nicht nur didaktisch ermöglicht, sondern auch die Erreichung des Lernziels des Erwerbs von Beratungskompetenzen in Form von angemessenen Prüfungsformaten (die von einer großen Anzahl von Studierenden absolviert werden) »messbar« gemacht werden. Dies stellt eine besondere Herausforderung sowohl hinsichtlich lehrdidaktischer Grundannahmen sowie potentieller Rollenkonflikte der Lehrenden als auch mit Blick auf die begrenzten Ressourcen zur Gestaltung von Lehr- und Prüfungsformaten in Regelstudiengängen dar.

1.3 Spezifische Besonderheiten und Herausforderungen der Hochschullehre

Wie in Kapitel 1.1 bereits kurz eingeführt, sind die Zielsetzungen und Bedingungen von Hochschullehre wesentlich im Zuge der Bologna-Reform verändert worden und gehen mit einem Paradigmenwechsel einher, der häufig als »Shift from Teaching to Learning« beschrieben wird. Kennzeichnend ist die Grundhaltung einer kompetenzorientierten Bildung, die

»das aktive, selbstgesteuerte und selbstverantwortete Lernen der Studierenden in den Mittelpunkt [rückt]. Der sogenannte ›Shift from Teaching to Learning‹ verlangt eine Abnabelung vom althergebrachten Verständnis von der Zentralisierung der Lehre auf die Lehrperson und ihren Inhalten, die diese für relevant und wichtig ansieht, hin zu den lernenden Personen und den von ihnen zu erwerbenden Kompetenzen und wie diese wiederum in Performanzen am Ende des Lernprozesses als Learning Outcome überprüft werden können« (Rohr, den Ouden & Rottlaender 2016, S. 22 f.).

Mit der Bologna-Reform sind neben dem Paradigmenwechsel in Richtung einer kompetenzorientierten Lehre verschiedene Umstrukturierungen in den Studiengängen (Bachelor- und Masterstudiengänge) und Studienstrukturen verknüpft, die auch die Möglichkeiten zum Erwerb von Beratungskompetenzen und die entsprechenden didaktischen Formate betreffen: »Alleine die gedrängte zeitliche Perspektive, die starke Modularisierung, aber auch mögliche Veränderungen in den Auswahlmotiven und dem antizipierten Gebrauchswert eines Studiums der Sozialpädagogik/Sozialen Arbeit lassen hier Veränderungen vermuten« (Weinhardt 2014b, S. 224). Zudem ist die Hochschullehre in den reformierten Studiengängen ganz zentral durch die Notwendigkeit von Prüfen und Bewerten bestimmt (s. u.).

Neben den spezifischen Veränderungen im Zuge der Bologna-Reform, die mit potentiell vorteilhaften sowie nachteiligen Veränderungen in den Studiengängen verknüpft sind, bringen auch grundlegende Strukturen und Rahmenbedingungen hochschulischer Lehre allgemein Herausforderungen für die Vermittlung von Beratungskompetenzen in einem Hochschulstudium und insbesondere grundständiger Studiengänge wie im Bachelorstudium Sozialer Arbeit mit sich. So unterscheiden sich beispielsweise Setting und Rahmenbedingungen in der Hochschullehre auf den ersten Blick deutlich von den Lehrbedingungen, die in Beratungsweiterbildungen gegeben sind (z. B. »sterile« Atmosphäre der Hochschulräume, Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Materialien, Arbeit mit größeren Gruppen, »Zwang« zur Teilnahme). Im Folgenden werden einzelne zentrale Bestimmungsmomente hochschulischer Beratungslehre skizziert, auf die Lehrende nur begrenzt Einfluss haben, die aber in Planung und Durchführung reflektiert berücksichtigt werden können.

Beratungslernen im »Korsett« des Curriculums

In den modularisierten Bachelor- und Masterstudiengängen an verschiedenen Hochschulen sind Seminare zum Beratungskompetenzerwerb in unterschiedlichen Fachsemestern vorgesehen. Die Einbettung in bestimmten Studienphasen kann dabei mit Potentialen wie besonderen Risiken verknüpft sein, wie Widulle (2016, S. 24 f.) verdeutlicht:

»Findet Beratungsunterricht zu früh im Studium statt, fehlen den Studierenden Vorwissen zu methodischem Handeln und Adressatengruppen – dafür gehen sie mit einigen Beratungsfertigkeiten in die Praktika oder zur Arbeit im praxisintegrierten Studium. Legt man Beratungsmodule später ins Studium, fehlen die Vertiefungsmöglichkeiten, die Theorie-Praxis-Integration wird erschwert und Beratungskompetenzen fehlen fürs Praktikum«.