Berauschende Wüstennächte (2 Miniserien) - Kate Hewitt - E-Book

Berauschende Wüstennächte (2 Miniserien) E-Book

Kate Hewitt

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Beschreibung

SEHNSÜCHTIGE TRÄUME IM WOLKENPALAST von Kate Hewitt
Als Scheich Malik al Bahjat nach zehn Jahren wieder in ihr Leben platzt, fühlt die alleinerziehende Grace für den Bruchteil einer Sekunde das gleiche feurige Prickeln wie bei ihrer ersten romantischen Begegnung. Nur wird sie sich diesmal nicht von der sinnlichen Aura des Thronfolgers blenden lassen. Schließlich hat er sie damals mit Geld nicht nur eiskalt abserviert, er wollte auch von ihrem gemeinsamen Sohn nichts wissen. Malik jetzt in seinen Wolkenpalast folgen? Für Grace undenkbar … bis der Wüstenprinz ihr ein schockierendes Geständnis macht …

HEISSER WÜSTENWIND AUF NACKTER HAUT von Kate Hewitt
Schicksal besiegelt? Auf Befehl ihres Vaters soll die junge Johara den Sultan von Alazar heiraten. Schon seit Kindertagen ist sie Azim al Bahjat versprochen, den sie noch nie gesehen hat. Trotzdem versucht sie, vor ihrem Bräutigam nach Paris zu fliehen, aber Azim findet sie auch dort. Sein heißer Kuss ist Strafe und sinnliche Verheißung zugleich! Johara ist hin- und hergerissen zwischen der Furcht vor dem Wüstenprinzen mit den eiskalten Augen – und einer brennenden Sehnsucht, die nur er stillen kann …

DIE BRAUT DER WÜSTE von TARA PAMMI
Leise huscht Prinzessin Zohra durch den nächtlichen Palast. Ihr skandalöses Ziel: der Gästeflügel, in dem der Kronprinz von Dahaar residiert. Keine Frau ist dort erlaubt! Doch sie muss etwas Dringendes mit Ayaan Al-Sharif besprechen: Ihr Vater verlangt, dass sie heiraten. Sie und der Prinz mit der dunklen Vergangenheit? Eine Hochzeit im Namen der Pflicht? Das will Zohra nicht - aber dann steht sie vor Ayaans Bett. Und als er langsam seine Augen öffnet, blickt sie in das Feuer der Wüste! Würde er jetzt befehlen, dass sie sich zu ihm legt, sie würde sie gehorchen …

DAS FEUERHERZ DER WÜSTE von TARA PAMMI
"Azeez lebt." Schockiert erfährt die schöne Ärztin Nikhat Zakhari die Neuigkeit. Azeez, der Kronprinz von Dahaar, hat den schrecklichen Anschlag überlebt? Wo ihn alle verloren glaubten? Ein eiskalter Hauch durchfährt ihr Herz, gefolgt von überwältigender Hitze. Denn nie hat sie Azeez und seine feurige Leidenschaft vergessen. Seine Liebe war wie ein mächtiger Wüstensturm, der sie mitgerissen hat. Und doch hat sie ihn damals verlassen. Erstarrt hört sie jetzt, was ihr Azeez‘ Bruder noch zu sagen hat: "Er braucht dich, Nikhat. Ich flehe dich an - kehr zu ihm zurück!"

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Seitenzahl: 803

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Kate Hewitt, Tara Pammi

Berauschende Wüstennächte (2 Miniserien)

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Kate Hewitt Originaltitel: „The Secret Heir of Alazar“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 2305 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Helga Meckes-Sayeban

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733708689

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Sie verzauberte ihn. Malik al Bahjat, Thronfolger von Alazar, beobachtete das Mädchen aus der Ferne. Sie war keine Schönheit im klassischen Sinn, doch gerade das machte sie so aufregend. Das goldbraune Haar fiel ihr in lockigen Wellen wild über den Rücken, die Nase zierten lustige Sommersprossen, und ihre grünbraunen Augen funkelten übermütig. Sie wirkte lebenssprühend und glücklich … auf eine Weise, die Malik nicht kannte.

In modisch zerrissenen Jeans, weißem Schlabbertop und knallroten Turnschuhen, die langen gebräunten Beine angezogen, saß sie gelöst auf der Armlehne eines Sofas. Und natürlich war sie von Männern umringt, die mit ihr flirteten und sie mit Blicken verschlangen. Sie sprühte vor Temperament, alles an ihr wirkte unglaublich lebendig und mitreißend.

Während Malik sich seit Jahren wie ein ferngesteuerter Roboter fühlte. Gebannt kam er näher, bewegte sich langsam auf das Mädchen zu. Er ging sonst nicht zu Partys. Zurzeit hielt er sich in Rom auf, um seinen Großvater bei Verhandlungen über ein neues Wirtschaftsabkommen mit der Europäischen Union zu unterstützen. Alazar legte Wert auf starke Beziehungen zu Europa, um die schwächelnde Wirtschaft seines Landes und der gesamten Arabischen Halbinsel zu stabilisieren.

Die Besprechungen waren überaus wichtig für sein Land, das wusste Malik. Seit Jahren hatte Asad al Bahjat ihn darauf programmiert, dass der Frieden und Wohlstand Alazars von Konferenzen wie dieser abhing.

Heute hatte ein Freund aus der Militärakademie aus heiterem Himmel angerufen und ihn zum Essen eingeladen. Und da Malik sich solche Gelegenheiten selten boten, hatte er die Einladung spontan angenommen. Endlich ein Abend, der nur ihm gehörte – an dem er tun und lassen konnte, was er wollte. War das zu viel verlangt? Nach jahrelanger Rücksicht auf das Staatswohl hatte er einen freien Abend mehr als verdient.

Malik tat noch einen Schritt auf das Mädchen zu, dann wieder einen. Obwohl er noch einige Meter von ihr entfernt war, drehte sie sich um. Ihre Blicke trafen sich – es war, als hätte ihn ein Stromstoß getroffen. Er konnte nicht atmen, wagte nicht einmal zu blinzeln, weil er fürchtete, die Fremde könnte sich abwenden.

Sie wirkte fast erschrocken, öffnete überrascht die Lippen. Auch sie blinzelte nicht. Wie hypnotisiert ging Malik auf sie zu.

Wie konnte er sie ansprechen, sie in ein Gespräch verwickeln? Was sollte er ihr sagen? Sein Erfahrungsschatz mit Frauen ließ zu wünschen übrig. Zu seinem Schutz waren stets Sicherheitsleute zur Stelle. Er war im Palast aufgewachsen, umgeben von Luxus und Überfluss, doch letztlich völlig isoliert – bis auf die Jahre in der Militärakademie, wo strengste Disziplin mit eigenen Herausforderungen und Regeln herrschte. Zum ersten Mal besuchte er eine private Party, musste Malik sich ironisch eingestehen – abgesehen von diplomatischen Pflichtauftritten und Wohltätigkeitsveranstaltungen.

„Hallo.“ Es kam etwas heiser heraus, und er räusperte sich.

Kein toller Anfang … doch sie strahlte ihn so offenherzig an, es war, als träfe ihn ein goldener Sonnenstrahl.

„Hallo.“ Sie hatte eine dunkle, melodische Stimme.

Einen Moment lang sahen sie sich einfach nur an. Malik wurde bewusst, dass er verlegen lächelte. Keiner von ihnen schien eine gute Anmache auf Lager zu haben.

Dann lachte das Mädchen schallend, und ihre Augen funkelten übermütig. „Wollen Sie mir nicht endlich Ihren Namen verraten?“

„Malik.“ Er überlegte blitzschnell. Es tat ihm gut, dass sie sich ihm nun voll widmete. „Und wie heißen Sie?“

„Grace. Aber alle nennen mich Gracie. Damit ging es schon los, als ich noch ein Baby war. Und irgendwie hatte ich den Spitznamen dann weg. Eine Weile habe ich versucht, die anderen auf Grace umzupolen, aber keiner spielte mit. Ich bin einfach nicht der kultivierte aristokratische Typ wie Grace Kelly.“ Sie machte ein betrübtes Gesicht, doch das schalkhafte Funkeln in ihren Augen verriet sie.

Gracie. Malik ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Selbst den mochte er. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Gracie. Und Ihr Name gefällt mir sehr.“

„Sie haben einen leichten Akzent.“ Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte ihn prüfend. „Sind Sie Italiener?“

„Nein.“

„Was dann?“

„Ich bin …“ Wieder hielt er inne. Heute Abend wollte er nicht der Thronfolger sein, der darauf getrimmt wurde, Sultan zu werden. Thronanwärter war er seit seinem zwölften Geburtstag.

Azim gibt es nicht mehr. Also hör auf mit den Knabenspielen. Jetzt musst du deinen Platz an der Spitze einnehmen und ein Mann sein.

„Ich stamme aus Alazar.“

„Alazar?“ Sie krauste die Nase. „Nie gehört. Ist das in Europa?“

„Im Mittleren Osten. Nicht verwunderlich, dass Sie noch nicht davon gehört haben. Es ist ein kleines Land.“ Schulterzuckend tat er sein Land, seine Erziehung, sein ganzes Leben einfach ab. „Und Sie? Ich vermute, Sie sind Amerikanerin?“

Wieder das Aufblitzen in ihren Augen. „Woran merken Sie das? An meinen schrecklichen Dialekt?“

„Ihr Akzent ist bezaubernd.“

Wieder lachte sie schallend. „Also das höre ich wirklich zum ersten Mal! Heute Morgen habe ich Leute nach dem Weg gefragt, und die schauderten.“

„Dann waren die Leute nicht nur dumm, sondern auch beleidigend.“

Wieder lachte sie, und es gefiel ihm, dass er Gracie erheitern konnte. In ihrer Gesellschaft brauchte er keinen Drink. „Was machen Sie in Rom?“

„Ich reise mit dem Rucksack durch Europa, ehe ich im Herbst in Illinois aufs College gehe.“ Sie schnitt ein Gesicht und lächelte keck. „Ich wollte schon immer möglichst viel von der Welt sehen, aber das verstehen meine Leute zu Hause nicht.“

„Nein?“

„Nein. Die meisten halten mich sogar für verrückt.“ Nun legte sie mit dem Slang so richtig los: „Warum in der Weltgeschichte rumgondeln, Gracie? Da draußen lauern nur Gefahren.“ Sie warf den Kopf zurück, sodass ihr die Locken wie ein Wasserfall über den Rücken flossen. „Yep. Das bin ich: Verrückt, weil ich ein bisschen von der Welt sehen will.“

„Ich halte das überhaupt nicht für verrückt.“

„Dann sind wir schon zwei.“ Sie lächelte übermütig. „Und was machen Sie in Rom?“

„Ich bin geschäftlich mit meinem Großvater hier. Ziemlich langweilig.“ Er wollte nicht über sich reden. „Wo wohnen Sie in den Staaten?“

„Addison Heights. Was da hoch sein soll, ist mir schleierhaft“, setzte sie lachend hinzu. „Alles dort ist so platt wie Pfannkuchen. Wunschdenken, würde ich sagen.“

„Sie sind also anders als Ihre Freunde“, stellte Malik fest. Ihm war noch keine Frau begegnet, die so voller Leben war. Er wollte mit ihr zusammen sein, einfach nur, um ihr unbändiges Temperament, ihr Interesse zu genießen.

Nein … er wollte mehr als das. Er wollte ihre seidige Haut berühren, diese zartroten Lippen küssen. Die Erkenntnis schockierte ihn. Sexuelles Verlangen hatte er seit Jahren verdrängt. Jetzt, mit zweiundzwanzig, spürte er seine unwiderstehliche Macht.

„Hi Gracie.“ Ein junger Mann in zerknittertem Polohemd mit zwei Bierflaschen in den fleischigen Fingern bahnte sich einen Weg durchs Gedränge auf sie zu.

Malik spannte sich an. Der Störenfried gefiel ihm nicht. Gut, dass Gracie das auch so sah, denn sie machte ein abweisendes Gesicht.

Der Mann bedachte Malik mit einem Blick, der ihn aus dem Feld schlagen sollte, baute sich vor ihm auf und drückte Gracie eine Flasche in die Hand. „Hier. Dein Bier.“

„Danke.“ Widerstrebend nahm sie die Flasche, ohne einen Schluck zu trinken.

Malik verlagerte das Gewicht so, dass er den Mann mit der Schulter streifte. Der zuckte zusammen. Mit fast einem Meter neunzig überragte Malik den Kerl beachtlich und war entsprechend kraftvoller und schwerer gebaut. Bisher hatte er seine Körperkräfte nur beim Training eingesetzt, doch jetzt hielt ihn nichts davon ab, sie hier buchstäblich an den Mann zu bringen. Das schien Gracie auch zu erkennen, denn in ihren Augen blitzte es auf. Ermunternd lächelte sie ihm zu.

„Also … eigentlich habe ich keinen Durst“, erklärte sie dem Störenfried, der nun sichtlich schwitzte. Sie gab ihm die Flasche zurück und wandte sich Malik zu. „Jetzt brauche ich dringend frische Luft.“

„Ich auch“, gab er ihr umgänglich recht und reichte ihr die Hand.

Als Gracie sie ergriff, zuckte er wie elektrisiert zusammen.

„Gehen wir.“ Sie lächelte ihm zu und folgte ihm.

Was war nur auf einmal in sie gefahren?

Mit aufgeregt kribbelndem Magen folgte Gracie dem Fremden aus dem Stadthaus zum Trevi-Brunnen. Im Juni war die Luft wunderbar warm und mild, die Nacht erfüllt von lebendigen Stadtgeräuschen: in der Ferne knatterte ein Moped, aus einem Café in der Nähe scholl Gläserklirren und Gelächter zu ihnen herüber.

Vor dem Stadthaus blieben sie stehen, umfächelt von samtiger Luft und dem unvergleichlichen Lebensgefühl der Ewigen Stadt.

Ohne ihre Hand freizugeben, wandte Malik sich ihr zu. Im nächtlichen Wechselspiel von Licht und Dunkel konnte Gracie nur seine irisierend hellen Augen, die stolzen Umrisse seiner Züge ausmachen. Er war der umwerfendste Typ, den sie je gesehen hatte. Vom ersten Moment an hatte er sie fasziniert – ein Mann, wie er im Buch stand: groß, breite Schultern, athletisch gebaut. In blütenweißem Hemd und anthrazitgrauer Hose wirkte er in der bunt zusammengewürfelten Menschenmenge – Studenten und Multikultis in abgewetzten Jeans und T-Shirts – geradezu atemberaubend. Königlich. Und ausgerechnet sie, Gracie, hatte er aus dem bunten Völkchen herausgepickt …

Unwillkürlich erschauerte Gracie. Normalerweise war sie nicht so forsch und direkt. Sie war Gracie Jones aus dem Dreitausendseelennest Addison Heigths in Illinois und hatte noch nie einen Freund gehabt. War durch die High School gegangen, ohne geküsst zu werden. Doch das war in Ordnung. Schon immer hatte sie auf den Einen gewartet, mit dem das wahre Leben erst beginnen würde.

War das jetzt?

„Wohin möchten Sie?“ Seine dunkle Stimme ging ihr durch und durch.

„Keine Ahnung. Ich bin erst gestern in Rom angekommen und hier noch fremd.“ Sie zuckte die Schultern. „Schlagen Sie etwas vor.“

Er lächelte entschuldigend. „Leider kenne ich die Stadt so wenig wie Sie. Auch ich bin erst seit gestern hier.“

„Dann sind wir hier beide Neulinge“, stellte Gracie heiter fest.

„Wie sind Sie auf der Party gelandet?“, wollte Malik wissen.

Gracie schnitt ein Gesicht. „Ich habe den Typ mit dem Bier bei einer Sightseeingtour getroffen. Und als er mich einlud, dachte ich, warum nicht?“ Sie hatte es aufregend gefunden, ins wahre Leben der Großstadt einzutauchen – doch dieses Abenteuer mit Malik war entschieden besser. „Wie wär’s mit einem Café?“, schlug sie ihm vor.

Amüsiert betrachtete er sie. „Ich dachte, Sie hätten keinen Durst.“

„Hab ich auch nicht“, gab sie zu. „Aber irgendwohin müssen wir doch gehen – oder?“ Ihr wurde heiß, als ihr bewusst wurde, dass dieser Malik sich ehrlich für sie zu interessieren schien. Nun fiel ihr alles Mögliche ein, was sie unternehmen könnten …

Was lächerlich war, weil sie keine Erfahrung besaß. Außerdem kannte sie den Mann kaum. Zu leichtsinnig durfte sie am ersten Tag in Europa auf keinen Fall werden. Dennoch fühlte sie sich stark zu dem Unbekannten hingezogen – was auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien. Zwischen ihnen hatte es gefunkt. Sollten sie etwas daraus machen?

„Da haben Sie natürlich recht.“ Unternehmungsvoll drückte er ihre Finger und zog sie auf ein kleines Café am Trevi-Brunnen zu, hinter dem sich majestätisch der Palazzo Poli erhob.

Das Straßencafé war voll besetzt, doch nachdem Malik einige Worte mit dem Ober gewechselt hatte, wurden sie an einen Tisch abseits der turbulenten Menge geführt, wo sich ihnen ein ungestörter Blick auf den berühmten Brunnen bot.

Gracie setzte sich und genoss den Anblick des berühmten Brunnens, der von unsichtbarer Unterwasserbeleuchtung erhellt wurde. Doch noch überwältigender war der umwerfende Mann mit den silberhellen Augen, der den Blick nicht von ihr abwenden konnte. Ihr war, als jage Feuer durch ihre Adern.

Wieso interessierte dieser aufregende Fremde sich so offensichtlich für sie? Zugegeben, er war der bestaussehende Mann, der ihr je begegnet war. Zwischen ihnen knisterte es gefährlich, aber da war mehr als Seelenverwandtschaft oder sexuelle Anziehung. Oder lag das an der unerwarteten, romantischen Situation, in der sie sich befanden? Noch vor zwei Tagen hatte sie bei einem Familienbarbecue im beschaulichen Addison Heights einen gegrillten Hamburger gegessen – und jetzt saß sie in einem Café in Rom und war hingerissen von einem fabelhaft aussehenden Fremden, der gerade eine Flasche sündhaft teuren Champagner bestellt hatte.

„Ich liebe Champagner“, erklärte sie ihm impulsiv. Dabei hatte sie die Marke erst zweimal probiert – die unverschämt teuer war, soweit sie wusste.

„Gut. Ich finde nämlich, wir haben etwas zu feiern.“

„Und das wäre?“

Er sah sie eindringlich an. „Unsere Begegnung.“

„Na ja … wir kennen uns doch eigentlich gar nicht“, wiederholte Gracie atemlos, und ihr Lachen fiel etwas matt aus. Sie hatte das Gefühl, jeden Moment vom Hochseil abzustürzen. Doch obwohl sie unsicher war, fühlte sie sich herrlich lebendig. „Eigentlich kenne ich nur Ihren Namen.“

„Und woher ich komme.“ Malik spreizte die Hände. „Aber Sie können mich alles fragen.“

„Alles?“

Seltsam eindringlich sah er sie an. „Alles.“

Natürlich fiel ihr ausgerechnet jetzt nichts ein. Wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf. In diesem Moment gab es für sie nur diesen Mann …

„Hm …“ Gracie lachte verlegen. „Wie alt sind Sie, Malik?“

„Zweiundzwanzig.“

Zweiundzwanzig? Irgendwie wirkte er älter und sehr viel vornehmer und kultivierter. Er strahlte selbstverständliche Autorität, fast so etwas wie Arroganz aus, was sie faszinierte. War das angeboren oder anerzogen? Was, um alles in der Welt, sah er in ihr?

„Und wie alt sind Sie?“, fragte er.

Fast ein wenig entschuldigend lächelte Gracie. „Neunzehn.“

„Und Sie wollen aufs College gehen, sagten Sie?“

„Ja. Im September. Um Sonderpädagogik zu studieren.“ Aber vorher wollte sie ein bisschen leben.

Erstaunt sah Malik sie an. „Sonderpädagogik?“

„Ja, es geht da um Kinder mit Lernschwierigkeiten und Behinderungen“, klärte Gracie ihn auf. „Mein kleiner Bruder Jonathan leidet unter dem Down-Syndrom und hat dank guter Lehrer und fachlicher Unterstützung erstaunliche Fortschritte gemacht. Das Gleiche möchte ich später für andere Kinder tun.“

„Ich finde es bewundernswert, dass Sie sich aus Dank für das, was andere für Ihre Familie tun, auf die gleiche Weise einsetzen wollen“, erwiderte Malik ernst. „So denke ich auch.“

„Ja?“ Etwas geschah mit ihr … der Mann wurde ihr immer sympathischer. „Was machen Sie denn beruflich?“ Sie wusste praktisch nichts von ihm, hatte keine Ahnung, wo Alazar lag. Im Mittleren Osten … hatte er gesagt.

„Ich unterstütze meinen Großvater“. Er schien seine Worte jetzt sehr sorgfältig zu wählen. „In verschiedenen Bereichen und verantwortlichen Funktionen. Er ist … ein bedeutender Mann in Alazar.“

„Aha.“ Das erklärte vielleicht, wieso Malik so würdevoll wirkte. Was mochte sein Großvater sein? Geschäftsmann? Diplomat? Ein Scheich?

Wie aufregend!

In diesem Moment brachte der Ober die teuer aussehende Champagnerflasche, öffnete sie mit einem Knall und schenkte mit elegantem Handschwung perlende Flüssigkeit in zwei Kelche.

„Auf was wollen wir trinken, Gracie?“, fragte Malik und reichte ihr ein Glas.

Sie überlegte einen Moment. „Auf die Zukunft“, schlug sie dann vor, weil ihr nichts Besseres einfiel. „Auf unsere Zukunft!“

Nun lächelte er, sah ihr in die Augen und hob das Glas an die Lippen. „Auf unsere Zukunft“, wiederholte er bedeutsam und trank einen Schluck.

Gracie tat es ihm nach. Der perlende Champagner ging ihr sofort ins Blut, sie fühlte sich herrlich beschwingt und übermütig. Die ganze Situation war lustig – völlig unglaublich und verrückt. Doch mit einem Mal wurde Malik ernst und fragte sie seltsam eindringlich: „Empfinden Sie auch so wie ich?“

Gracies Herz führte einen wilden Tanz auf, mit unsicherer Hand stellte sie das Champagnerglas auf den Tisch zurück. „Ja“, flüsterte sie. „Ich denke schon.“ Obwohl das alles nur ein Traum sein konnte.

Malik lachte leise. „Jetzt frage ich mich, ob meine Fantasie mit mir durchgeht. Ich kenne Sie doch überhaupt nicht.“

„Nein …“

„Dennoch ist da etwas zwischen uns …“

„Ein magisches Band.“

Einen Moment lang sah Malik sie nachdenklich an, und Gracie schluckte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht …?

„Ja“, sagte er endlich. „Ein magisches Band. Eine Art Seelenverwandschaft.“

Malik hatte seinen Champagner kaum angerührt, doch etwas geschah mit ihm … seine Haut prickelte, er fühlte sich beschwingt, alles in ihm erwachte zum Leben. Wann war er das letzte Mal so erregt, so voller Tatendrang und Hoffnung gewesen?

Eigentlich nie. Dennoch …

Ein flaues Gefühl im Magen schien ihn zu warnen. Er wusste, dass es mit Gracie nur eine kurze, flüchtige Begegnung geben konnte – einen One-Night-Stand –, wenn überhaupt. Sein Leben gehörte ihm nicht. Darüber zu entscheiden, stand ihm nicht zu. So war es seit seinem zwölften Geburtstag gewesen, als er aus der Schule genommen, seines unbeschwerten Lebens beraubt worden war und auf seine Bücher und die Modellflugzeuge verzichten musste.

Hart und erbarmungslos hatte sein Großvater ihm eröffnet: Azim ist tot. Jetzt bist du der Thronfolger.

In diesem Augenblick hatte sein Leben sich radikal verändert. Aus dem scheuen Bücherwurm Malik, der jederzeit tun und lassen konnte, was er wollte, war der zukünftige Sultan geworden, der stets unter der Knute des Hofprotokolls und im Fokus der Medien stand, entrückt von all den Dingen, die er geliebt, den Menschen, an denen er gehangen hatte.

Nach zehn Jahren Pflicht pur konnte er sich wenigstens einen Abend gönnen ….

Mit einer Frau …

Malik beugte sich vor, er musste Gracie einfach berühren, herausfinden, wie sie sich anfühlte.

Ihre Augen blitzten unternehmungslustig. „Und wohin gehen wir?“

„Irgendwohin.“ Er wollte nur mit ihr zusammen sein.

„Wir könnten eine Münze in den Trevi-Brunnen werfen.“ Unbekümmert strich sie das Haar über die Schultern zurück und lächelte verheißungsvoll. „Ein bisschen leben.“

Genau das wünschte Malik sich auch. Mehr blieb ihm nicht. Ein bisschen … leben.

„Na gut.“ Er stand auf und bezahlte den Champagner, dann zog er Gracie unternehmungslustig mit sich in die Nacht hinaus. Er würde sie erst gehen lassen, wenn ihm nichts anderes übrig blieb.

Die Plaza war voller Menschen und Musik, dennoch kam es ihm vor, als bewegten sie sich in einer eigenen Welt, als sie am lichtschimmernden Brunnen vorbeischlenderten.

„Kennen Sie die alte Tradition, Malik?“, fragte Gracie ihn vergnügt.

Er schüttelte den Kopf.

„Sie müssen sich mit dem Rücken zum Brunnen hinstellen und mit der rechten Hand eine Münze über die linke Schulter werfen.“ Lachend machte sie es ihm vor, und er beobachtete sie fasziniert.

„Was passiert dann?“

Sie lächelte verheißungsvoll. „Dann kehrt man nach Rom zurück, heißt es. Aber da gibt es noch eine Tradition …“ Nun zögerte sie.

„Noch eine?“, fragte er erwartungsvoll.

„Man muss drei Münzen in den Brunnen werfen“, erklärte sie ihm geheimnisvoll. „Eine zweite, damit einem die große Liebe begegnet, und eine dritte …“ Sie wurde verlegen.

„Drei? Wozu drei?“

„Damit man nach Rom zurückkehrt. Zwei, um die große Liebe zu finden. Und drei, um sie zu heiraten.“ Das Lachen gelang ihr nicht ganz. „Verrückt, finden Sie nicht?“

Prompt griff Malik in seine Tasche, und Gracie verfolgte, wie er sich mit dem Rücken zum Brunnen aufstellte und eine Münze über die Schulter warf. Aufspritzend landete sie im Wasser. Er ließ ihr eine zweite folgen, und Gracie atmete tief ein.

Ihr Herz begann stürmisch zu pochen, gespannt stand sie da, als er sich wieder zu ihr umdrehte.

Dann tat Malik, was er schon den ganzen Abend tun wollte.

Er zog sie in die Arme und küsste sie.

2. KAPITEL

Die Berührung seiner Lippen elektrisierte Gracie, alles in ihr erwachte zum Leben, als Malik mit der Zunge in ihren Mund eindrang und sie leidenschaftlich küsste. Überwältigt ließ Gracie sich an ihn sinken.

Malik löste sich atemlos von ihr und sah sie fragend an.

„Das war mein erster Kuss“, gestand sie ihm leise.

Einen Moment sah er sie erstaunt an, dann lächelte er entschuldigend. „Meiner auch.“

„Wie bitte?“ Sie richtete sich auf und tastete nach dem Brunnenrand. „Das ist doch nicht möglich!“

„Und warum nicht?“

„Aber … Sie sind… du bist so …“ Verwirrt betrachtete sie seine athletische Gestalt. „Du musst doch so viele Frauen …“ Sie war völlig durcheinander, suchte nach den richtigen Worten.

„Ich habe sehr zurückgezogen und bewacht gelebt – notgedrungen.“ Malik atmete tief aus. „Heute bin ich zum ersten Mal ausgebrochen und habe mir ein bisschen Freiheit gestohlen.“

„Aber wieso …?“

Er zuckte die Schultern. „Dafür gibt es viele Gründe …“

Ihm war anzumerken, dass er jetzt nicht darüber sprechen wollte – während Gracie vor Neugier brannte. Seine verschlossene Miene hielt sie davon ab, mit Fragen in ihn zu dringen. „Wenn das dein erster Abend in Freiheit ist, sollten wir das Beste daraus machen“, schlug sie ihm kühn vor. „Meiner ist es übrigens auch.“

„Wieso das?“

Jetzt war es an ihr, die Schultern zu zucken. „In unserer amerikanischen Kleinstadt im Mittleren Westen habe auch ich sehr behütet gelebt. Außerdem war ich das jüngste von sechs Kindern. Bei uns zu Hause ging es herrlich verrückt zu. Aber natürlich fehlte uns das Geld, um in Restaurants zu gehen und Urlaub zu machen – oder gar in der Weltgeschichte herumzuziehen. Meine Eltern waren glücklich und zufrieden mit der Vorstellung, in Addison Heights zu leben und zu sterben. Für sie war der übliche Jahrmarkt das Höchste an Vergnügen und Luxus. Und obwohl ich das in Ordnung fand, träumte ich von jeher davon, Abenteuer zu erleben.“

Und Malik kennenzulernen, war das größte Abenteuer. Sie wollte ihn noch einmal küssen. Jetzt … vor dem Brunnen. Vor ganz Rom.

Er musste spüren, was in ihr vorging, denn er blickte auf ihre Lippen. „Gracie …“, sagte er heiser und küsste sie. Und sie klammerte sich an ihn, wollte mehr …

Ein Mann in der Nähe pfiff bedeutsam und lachte.

Fast erschrocken löste Malik sich von ihr. „Nicht hier“, sagte er leise.

Gracie wagte kaum, es auszusprechen: „Wo dann?“

Einen Moment lang blickte er starr auf seine Hand, dann strich er Gracie behutsam über die Wange. „Würdest du mit mir ins Hotel kommen?“, schlug er ihr zögernd vor. „Ich habe eine Suite im Hassler … ganz in der Nähe.“

Ihr Herz pochte wie verrückt. Die Vorstellung, die Nacht mit ihm zu verbringen, war berauschend – und machte ihr gleichzeitig Angst.

Und kam ihr so richtig vor …

Aber lief es nicht auf das dumme Klischee hinaus: Romantische Träumerin verliebt sich in geheimnisvollen Fremden? Die Familie wäre entsetzt – oder hielte sie für verrückt.

Hatte sie nicht schon immer von Verrücktheiten geträumt?

Reisen, Gracie? Wozu denn das? Alles, was du dir wünschst, kannst du auch hier haben.

Ihre Eltern hatten Illinois seit zehn Jahren nicht verlassen. Und Jenna, ihre beste Freundin aus der High School, wollte nur studieren, um mit ihrem Jugendfreund zusammen zu sein. Niemand hatte verstanden, wieso Gracie Sehnsucht nach der großen weiten Welt und dem prallen Leben hatte.

„Gracie?“ Wieder streichelte Malik ihre Wange, und sie erschauerte. „Du musst das nicht tun. Wir können auch hier bleiben.“

„Ich möchte es aber.“ Sie lächelte kokett. „Vergiss nicht: Du bist der Erste, den ich geküsst habe. Ich habe keine Erfahrung in diesen Dingen …“

„Ich auch nicht“, erinnerte er sie. „Ich möchte einfach mit dir zusammen sein. Wir müssen die Grenzen nicht überschreiten …“

Doch als Malik sie küsste, wollte sie alles Mögliche …

„Na gut“, flüsterte sie und ließ sich von ihm entführen.

Maliks Hand bebte leicht, als er die Schlüsselkarte in die Tür seiner Hotelsuite schob. Er konnte es kaum erwarten, Gracie wieder in den Armen zu halten. Nur gut, dass sein Großvater ungestört sein wollte und bei der Ankunft auf getrennten Suiten bestanden hatte. Und gut, dass ihnen in der Hotelhalle nur eine Handvoll müder Sicherheitsleute über den Weg gelaufen war. Jetzt hätte ihm gerade noch gefehlt, dass sein Großvater eiskalt dazwischenfunkte.

Staunend betrat Gracie die Luxussuite. „Das ist entschieden besser als die Jugendherberge, in der ich untergekommen bin.“

„Und nachdem du jetzt hier bist, sollten wir jeden Moment genießen.“ Malik bediente eine versteckte Musikanlage in einer Wandpaneele, und die dunklen, sehnsuchtsvollen Töne eines einsamen Saxofons erfüllten den Raum. Gracie lächelte, doch er sah, dass sie sich unsicher fühlte.

Mit einem Lachen, das etwas gezwungen ausfiel, begann sie, im Takt der Musik zu tänzeln. Lächelnd versuchte Malik, es ihr nachzutun, doch es gelang ihm nicht recht. Auch tanzen hatte man ihm nicht beigebracht.

Schulterzuckend hielt Gracie inne. „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, was ich jetzt tun sollte“, gestand sie ihm verlegen.

Er lachte leise. „Ich auch nicht.“

„So?“ Verwundert schüttelte sie den Kopf. „Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.“ Sie lachte und spreizte die Hände. „Du bist so … fit.“

„Danke“, erwiderte Malik trocken. An sein Aussehen dachte er kaum, höchstens, wie er in der Öffentlichkeit ankam, ob er als zukünftiger Sultan von Alazar würdig genug wirkte. Na ja, hier und da hatte er bewundernde Blicke der Damenwelt aufgefangen, wenn er öffentlich auftrat – doch Gracies erfrischend ehrliche Bemerkung tat ihm gut. Es war ihm wichtig, wie sie ihn sah, was sie von ihm dachte.

Ihre Augen leuchteten so warmherzig, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, sie an sich zu ziehen. Willig, ein wenig atemlos schmiegte sie sich an ihn. Und es war wunderbar, ihre biegsame Gestalt an seiner harten Brust, den Schenkeln zu spüren …

Auf einmal war er unglaublich erregt. Doch er küsste Gracie noch nicht, wollte sie einfach in den Armen halten. Ihr Blick, ihr Lächeln sagte ihm, was er wissen wollte.

Jetzt war er nicht mehr der unsichere, unerfahrene, von Zeremoniell und abschirmenden Sicherheitsleuten umgebene Thronfolger – er wusste genau, was zu tun war. Was er tun wollte! Und er tat es … liebkoste ihr Gesicht, das herrlich ungebändigte Haar, ließ die Fingerspitzen zart über ihre Nase, die Augenbrauen gleiten, bis Gracie sehnsüchtig seufzte.

„Ich fühle mich so wacklig wie ein Geleepudding“, flüsterte sie.

„Und ich brenne wie ein ausgetrockneter Baum.“ Mutig wagte er sich zu ihrem Hals, dem verführerischen Ausschnitt vor und zögerte einen Moment, ehe er die Finger tiefer zur schattigen Mulde zwischen ihren Brüsten gleiten ließ. Als Gracie leise aufstöhnte, sah er sie forschend an.

„Ist es für dich …?“

Sie nickte, ihre Augen waren unnatürlich groß. „Ja.“

Er hatte sie kaum berührt, doch alles in ihm tobte und pulsierte vor Verlangen. Und er spürte, dass Gracie ebenso empfand, denn sie spannte sich an und bog sich ihm ungeduldig entgegen.

Ermutigt ließ er die Finger zu ihrer Taille gleiten, begann, die Geheimnisse ihres erregenden Körpers zu erkunden.

Gracie lachte schüchtern. „Das ist so …“

„Ich weiß.“

Hilflos barg sie den Kopf an seiner Schulter, sodass ihm ihr seidiges Haar über die Brust floss. „Ich zittere richtig …“

„Hast du Angst?“

„Nein. Ich empfinde nur so viel …“

„Ich auch.“ Er legte den Arm um sie, und sie wiegten sich selbstvergessen im Takt der Musik. Als Gracies Brüste ihn dabei streiften, war er wie verzaubert. Was gäbe er dafür, diesen wunderbaren Augenblick für immer festzuhalten.

Gracies Nähe hatte eine berauschende Wirkung auf Malik, er sehnte sich nach mehr. Hungrig zog er sie enger an sich, sodass ihre Hüften sich berührten. Gracie seufzte verklärt. Als die Musik mit einer wehmütigen Schlussnote endete, sah sie ihn erwartungsvoll an … Und er konnte nicht anders, er musste sie küssen, wieder und wieder …

Sehnsüchtig drängte sie ihm entgegen und klammerte sich an ihn. Und auf einmal wollte Malik nichts mehr, als sich in ihr zu verlieren.

Aufstöhnend legte sie ihm die Hand auf die Brust und flüsterte: „Malik …“

Es kostete ihn alle Willenskraft, ihr anzubieten: „Wenn du aufhören möchtest …“

„Aufhören? Ach nein, nein …“ Ihre Lippen bebten, sie lächelte verheißungsvoll und schüttelte den Kopf. „Im Gegenteil …“

Erleichterung durchflutete ihn. „Dann ist es ja gut.“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich ins Schlafzimmer.

In der gedämpften Beleuchtung des Raumes wirkte Gracie unglaublich unschuldig und rein, überließ ihm vertrauensvoll, wie es weitergehen sollte. Und obwohl Malik unerfahren war, wusste er genau, was er jetzt tun musste. Was er mehr als alles auf der Welt wollte.

Er zog Gracie an sich, suchte ihre Lippen und erforschte die Tiefen ihres Mundes, ließ die Hände unter ihr T-Shirt gleiten. Ihre nackte Haut war herrlich warm und seidig. Sie hatte kleine, feste Brüste, und er streichelte sie, umfasste die harten Spitzen mit den Daumen.

Als Gracie lustvoll erschauerte, war der Stoff der Kleidung nur noch störend. Mit einer entschlossenen Bewegung riss Malik sich das Hemd herunter.

„Meine Güte!“ Leise lachend betrachtete Gracie seinen muskulösen Oberkörper.

„Darf ich …?“ Schon hatte er sie vom T-Shirt befreit. Ihre gebräunte Haut war mit lustigen kleinen Sommersprossen gesprenkelt. Er konnte es nicht mehr erwarten, jeden Zentimeter dieses Wunders zu erkunden. Mit einem kurzen Griff löste Gracie den Verschluss ihre BHs und ließ ihn zu Boden fallen, sodass ihre Brüste sich Malik stolz und lockend darboten. Nun bedurfte es keiner Ermutigung mehr. Begehrend streichelte er die vollkommenen Rundungen und spürte, wie Gracie unter den Berührungen erbebte.

Als sie ihm die Hand auf die Brust legte, war es um ihn geschehen. Aufstöhnend riss er sie an sich und küsste sie … nichts konnte sie mehr aufhalten.

Unter Küssen und Liebkosungen bewegten sie sich eng umschlungen auf das Bett zu. Die Welt um sie her versank …

Und Malik verlor sich in der unglaublichsten Erfahrung seines Lebens.

Gerade hatte ich Sex mit einem Fremden …

Die Vorstellung wirbelte Gracie im Kopf herum, doch das stimmte nicht ganz. Malik war kein Fremder. Und sie hatten auch nicht einfach nur Sex gehabt. Was sie gerade erlebt hatte, war das Intimste und Stärkste, das Unglaublichste, das sie je getan oder empfunden hatte. Sie wollte es wieder tun. So bald wie möglich. Jetzt …

Und Malik? Scheu ließ sie an sich vorbeiziehen, was sie getan hatten, und wandte sich ihm zu. Er lag auf dem Rücken, nach dem unglaublichen Kraftakt glänzte seine Haut feucht. Und er lächelte … Stolz. Zufrieden.

Malik spürte ihren Blick und betrachtete sie besorgt. „Bist du …? Ist alles in Ordnung? Habe ich dir wehgetan?“

Nun lächelte Gracie gelöst. Dem anfänglichen Schmerz war unsägliche Lust gefolgt, Empfindungen, die sie nicht einmal erträumt hätte. „Es hätte nicht schöner sein können.“

Wie Malik sie anlächelte, machte sie glücklich. „Für mich auch.“ Verlangend zog er sie wieder an sich, und sie schmiegte sich an ihn – als sie Tür krachend aufflog.

Wie versteinert hielten sie inne.

„Was zum …“ Malik verstummte.

Ein grimmig dreinblickender älterer Mann im arabischen Gewand stand gebieterisch an der Schlafzimmertür. Unwillkürlich rutschte Gracie halb unter das Laken und streckte Hilfe suchend die Hand nach Malik aus. Zu ihrem Entsetzen zog er sich blitzschnell von ihr zurück.

„Aha!“, erklärte der Alte ihm kalt. „Ich lasse dich eine Nacht allein, und dann das!“ Verächtlich betrachtete er Gracie. „Prompt schleppst du ein Flittchen hier an.“

Ehe sie auch nur blinzeln konnte, hatte Malik sich vom Bett gerollt und die Hose übergestreift.

„Gehen wir nach nebenan, um die Sache zivilisiert zu besprechen“, erklärte er dem Araber. Ohne Gracie eines Blickes zu würdigen, befahl er ihr: „Zieh dich an!“

Starr vor Schreck verfolgte sie, wie Malik das Zimmer verließ und dem Mann folgte. Sie war wie betäubt, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Benommen lag sie einfach nur da, nachdem sie sich notdürftig in ein Laken gehüllt hatte. Erst nach einer Weile hatte sie sich etwas gefangen und verließ auf unsicheren Beinen das Bett.

Am ganzen Körper bebend sammelte sie ihre Sachen auf, zog sich an und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

Ein Blick in den Badezimmerspiegel zeigte ihr eine verstörte junge Frau mit großen Augen und hoffnungslos zerwühltem Haar. Im Nebenraum fand ein scharfer Wortwechsel statt. Was Malik sagte, konnte sie nicht verstehen. Versuchte er, sie in Schutz zu nehmen, dem Alten zu erklären, wer sie sei … dass sie sich auf unglaublich romantische Weise kennengelernt hatten?

Sicher nicht … das war wohl zu viel erhofft.

Seit der Araber ins Schlafzimmer geplatzt war, hatte Malik sich schlagartig verändert – sich in einen unnahbaren Fremden verwandelt.

Wenige Minuten später öffnete Malik die Tür.

Unwillkürlich wich Gracie zurück, als sie den kalten Ausdruck in seinen Zügen sah.

„Du musst gehen. Auf der Stelle.“

Das war’s?

Gracie wollte etwas sagen, doch die Stimme gehorchte ihr nicht. „Malik …“

„Tut mir leid“, verabschiedete er sie scharf. Von Entschuldigung keine Rede. „Es war ein … denkwürdiger Abend. Aber das ist alles.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Das wusstest du auch.“ Wirklich? Und die magische Verbindung? „Ich rufe dir ein Taxi.“

Auf einmal packte Gracie die Wut. War das seine Art, sie loszuwerden? „Nein, danke“, brachte sie mühsam hervor und schlüpfte in die Turnschuhe, ohne sie zuzubinden. Sie war den Tränen nahe, doch die Genugtuung würde sie Malik nicht gönnen. Heulen könnte sie auch später. Jetzt galt es nur, würdevoll und erhobenen Hauptes an Malik und dem Alten vorbeizumarschieren, dessen verächtlicher Blick sie vernichtend streifte.

„Hoffen Sie nicht, auch nur einen Penny aus mir herauspressen zu können, indem Sie drohen, Ihre Geschichte an die Sensationsblätter zu verkaufen“, warnte der Mann sie unmissverständlich.

Gracie drehte sich um und konnte ihn nur ungläubig ansehen. „Wie bitte …?“

„Das ist nicht notwendig, Großvater“, warf Malik schneidend ein, als gäbe es sie gar nicht.

„Du bist noch unerfahren, Malik“, hier der Alte ihm vor. „Frauen wie sie …“

„Warum sollte ich meine Geschichte verkaufen wollen?“, mischte Gracie sich ein, ehe der Araber sie weiter beleidigen konnte. „Wer sind Sie überhaupt?“

Der Alte richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Ich bin Asad al Bahjat, der Sultan von Alazar und Abkömmling einer tausendjährigen Folge von Prinzen und Königen. Während Sie …“, er kniff die Augen zusammen, die nun wie boshafte Schlitze wirkten, „nur eine billige Hure sind.“

Die Beleidung ließ Gracie zurückweichen. Sie sah Malik an, der keinen Versuch machte, sie in Schutz zu nehmen. Dennoch war sie entschlossen, sich keine Blöße zu geben. Obwohl sie Malik am liebsten empört zur Rede gestellt hätte, drehte sie sich um und ging.

„So kalt hättest du sie nun wirklich nicht abservieren müssen.“

Nachdem die Tür hinter Gracie zugeschlagen war, wandte Malik sich seinem Großvater zu. Die nun folgende Stille wirkte wie das Nachspiel nach einem Orkan – in einem Trümmerfeld zerschmetterter Gefühle.

Malik verspürte nur noch eine grenzenlose Leere.

„Du weißt nicht, zu was sie fähig gewesen wäre“, hielt Asad ihm vor.

„Da sie keine Ahnung hatte, dass ich der Thronfolger des Sultanats bin, hätte sie nicht gewusst, dass es eine Geschichte zu verkaufen geben könnte“, versuchte Malik, sich zu rechtfertigen. So etwas hätte er Gracie nie zugetraut. Aber natürlich wusste er, dass er sich als zukünftiger Sultan romantische Abenteuer nicht leisten konnte. Sich mit einer Fremden in einer Weltstadt auf eine Affäre einzulassen, wo jeder ihn erkennen konnte, war schlichtweg leichtsinnig. Leichtsinnig – aber es war so wunderbar gewesen …

Und jetzt war es vorbei.

„Sie hätte es schnell herausgefunden“, höhnte Asad.

„In deiner Arroganz hast du ihr etwas verraten, das besser verschwiegen geblieben wäre.“

„Fordere mich nicht heraus“, wies sein Großvater ihn zurecht, doch Malik unterbrach ihn aufsässig.

„Und du hör auf, über mich bestimmen zu wollen“, hielt er scharf dagegen. „Ich bin kein Junge mehr, den du nach Lust und Laune herumkommandieren kannst. Eines Tages bin ich Sultan.“ Er warf seinem Großvater einen warnenden Blick zu und wandte sich ab. Nicht nur auf den Alten war er wütend – auch auf sich selbst, weil er die Dinge so weit hatte kommen lassen.

Natürlich war ihm klar gewesen, dass es bei einem One-Night-Stand bleiben würde. Doch so hätte es nicht enden dürfen. Aber wie sonst? Mit Gracie Jones, einem Mädchen aus einer amerikanischen Kleinstadt, konnte es für ihn keine Zukunft geben – die er auch gar nicht gewollt hätte.

„Hat eine Nacht mit einer Frau einen Rebellen aus dir gemacht?“, höhnte Asad. „Vielleicht hast du sogar verrückte Ideen im Kopf – und glaubst, sie zu lieben.“

Malik presste die Lippen zusammen. „Natürlich nicht.“ Was Liebe betraf, hatte er keine Illusionen. Sie hatte seinen Vater schwach, zum traurigen Versager gemacht. Das würde ihm nicht passieren.

„Du hast doch hoffentlich Vorkehrungen getroffen?“, fragte Asad zynisch.

Wie vom Donner gerührt, fuhr Malik herum.

Asad gab einen Laut der Verachtung von sich. „Du bist wirklich sträflich dumm! Wie dein Vater lässt du dich von Gefühlen und Romantik leiten, statt praktisch und vernünftig zu denken.“

„Ich bin nicht wie mein Vater!“, brauste Malik auf. „Nicht im Geringsten.“

Asad schüttelte den Kopf. „Wenn Azim noch lebte, wären wir nie in diese missliche Lage geraten …“

Die Klage hatte Malik in den letzten Jahren oft genug gehört. Wenn Azim, sein älterer Bruder, der vorbestimmte Thronfolger, noch am Leben wäre …

Ihn hatte Asad gezielt zum Sultan erzogen, dem damals Zehnjährigen, den er für den idealen Thronfolger und Erben hielt, due Jugend gestohlen. Nach Azims Verschwinden war er, Malik, für Asad nur ein Ersatz gewesen, eine leidige zweite Wahl – wie einst sein Vater: Verweichlicht. Zu schwach …

Im Laufe der Jahre hatte Asad alles darangesetzt, Malik zu formen, ihn auf die Militärakademie geschickt, ihm bei jeder Gelegenheit Pflichtgefühl eingetrichtert. Mit der Zeit hatte Malik diese Lektionen gelernt. Doch diesmal dachte er nicht daran, klein beizugeben. Nicht jetzt. Nie mehr. Vielleicht war das Gracies Vermächtnis von diesem One-Night-Stand.

„Aber leider lebt er nicht mehr“, erinnerte Malik seinen Großvater kühl. „Und daran lässt sich auch nichts ändern – es sei denn, du verfügst über ungeahnte Kräfte.“

„Und wenn sie schwanger geworden ist?“, hielt Asad ihm vor. „Hast du das bedacht?“

Malik presste die Lippen zusammen. Teufel noch mal! Da hatte sein Großvater leider recht! Wenn Gracie ein Kind erwartete …

Warum hatte er diese Möglichkeit nicht bedacht? Unerfahren, wie sie waren, hatten sie sich von der Leidenschaft hinreißen lassen.

„Es ist unwahrscheinlich, dass sie gleich beim ersten Mal schwanger geworden ist“, wehrte er wenig überzeugend ab. „Falls doch, wird sie sich garantiert melden. Dann nehme ich die Dinge in die Hand.“

„Und wie?“, spottete Asad. „Indem du dein uneheliches Kind der Presse vorführst – unsere jahrhundertealte reine Abstammungslinie mit einem amerikanischen Halbblut kreuzt?“

„Genug!“ Malik atmete tief durch. „Ich werde tun, was ich für das Beste halte.“

„Ist dir klar, wie Publicity dieser Art sich auf unser Land auswirken könnte?“, hielt der Alte ihm matt vor. Auf einmal war ihm anzumerken, dass er gesundheitlich angeschlagen war. „Unsere Handelsabkommen, die Beziehungen zu den Beduinenstämmen … alles beruht auf unserem Ansehen, der Stärke unserer Monarchie. Alazar ist ein traditionsbewusstes Land und kann sich keinen Sultan leisten, der sich wie ein westlicher Playboy aufführt. Wenn du etwas tust, das unser Volk zweifeln oder gar meutern lässt …“

Malik schwieg. Widerstrebend musste er seinem Großvater recht geben. Er kannte seine Pflichten und würde sie erfüllen. Natürlich durfte er sich keine Blöße geben, indem er einer Frau nachjagte, die lebendiger und aufregender war, als er je für möglich gehalten hätte. „Das werde ich nie tun, Großvater“, versicherte er dem Alten gefasst. „Niemals.“

Rom hatte seinen Zauber verloren.

In die Jugendherberge zurückgekehrt, wo Gracie ihr Gepäck vor einer Ewigkeit zurückgelassen hatte – wie es ihr erschien –, duschte sie, zog sich um, schnallte den Rucksack an und bezahlte, ehe sie in die schwüle Sommerhitze hinaustrat. Was ihr vorher so wunderbar romantisch und exotisch vorgekommen war, wirkte auf sie jetzt schmutzig und laut.

Ein Moped brauste mit einer stinkenden Dieselwolke an ihr vorbei, und jemand rammte rücksichtslos ihre Schulter. Gracie stolperte einige Schritte zurück, ehe sie sich wieder gefangen hatte. Tief durchatmend zurrte sie den Rucksack zurecht und stapfte auf den Hauptbahnhof zu.

Am späten Nachmittag war sie in Venedig und hatte einen Schlafplatz in einer anderen Jugendherberge ergattert. Ziellos wanderte sie am Canal Grande entlang und versuchte, sich vom Zauber der berühmten, dem Zerfall erliegenden alten Handelsmetropole mit ihren unzähligen Wasserstraßen einfangen zu lassen. Vergeblich. Sie fühlte sich hohl und benommen. Wieder und wieder lief vor ihr ab, wie Malik sie von sich gestoßen und kalt, fast verächtlich weggeschickt hatte …

Zwischen ihnen gab es kein magisches Band, keine Seelenverwandschaft. Mit solchen Sprüchen versuchte Malik es vermutlich bei jeder Frau. Und dass es sein erster Kuss gewesen sei … Lachhaft! Sie hätte ihn von Anfang an durchschauen müssen. Wie er sie geküsst, ihr versichert hatte, ebenso unerfahren wie sie zu sein, bewies nur, wie routiniert und gerissen er in Wirklichkeit war. Er hatte genau gewusst, wie er sie herumkriegen konnte.

Und dann die Nummer mit dem Thronfolger … Als bedeutenden Mann hatte er seinen Großvater hingestellt. Ha! Jetzt war ihr alles klar: Malik hatte seinen Spaß mit einer naiven Amerikanerin gehabt, die dumm genug gewesen war, auf seine Sprüche hereinzufallen.

Da sie nun schon mal auf Europatour war, reiste Gracie lustlos weitere Wochen herum, doch die Freude daran war ihr vergangen, ihre Abenteuerlust verpufft. Irgendwann wollte sie eigentlich nur noch nach Hause – zu ihrem einzig sicheren Zufluchtsort, wo sie sich verstanden und akzeptiert fühlte – wo die Menschen lebten, die sie liebten.

Doch letztlich hielt der Gedanke an die triumphierenden Reaktionen ihrer Familie und Freunde sie dann doch davon ab: Ich hab’s dir ja gleich gesagt, würden sie auftrumpfen. Wozu in die Ferne reisen – sieh, das Gute liegt so nah …

Nein, sie würde noch bleiben … und über Malik al Bahjat, den angeblichen Thronfolger von Alazar, hinwegkommen. Er hatte sie um ihren Stolz, ihre Unschuld gebracht. Aber ihr Herz war unversehrt …

Doch dann – in einem deutschen Dorf, Regenschwaden ergossen sich über den Schwarzwald – musste Gracie sich morgens vor dem Frühstück übergeben. Stöhnend beugte sie sich über die Klosettschüssel, ihr Magen rebellierte, das lärmende Treiben der Jungendherberge hallte ihr in den Ohren. Kalter Schweiß brach ihr aus, sie schloss die Augen. Eine Grippe fehlte ihr gerade noch auf der Rucksacktour durch Europa …

Auch am nächsten Morgen musste sie sich übergeben. Ebenso am Tag darauf. Ihre Brüste wurden empfindlich, bei der kleinsten Anstrengung ermüdete sie.

Es dauerte noch eine Woche, bis Gracie klar war: Sie erwartete ein Kind.

3. KAPITEL

Zehn Jahre später

„Tut mir leid, Euer Hoheit.“

Malik blickte auf und sah den Arzt gespannt an, der den Untersuchungsraum betrat. „Wie sieht es aus?“

„Die Testergebnisse sind eindeutig.“ Der Mediziner, ein ernster Mann, der die Königsfamilie seit Jahrzehnten behandelte, senkte den Kopf. „Sie sind unfruchtbar.“

Malik schwieg, versuchte fieberhaft, das Urteil des Arztes zu verarbeiten. „Unfruchtbar …“, wiederholte er benommen.

Ernst sah der Leibarzt ihn an. „Sie hatten draußen in der Wüste lange hohes Fieber – was zu Zeugungsunfähigkeit führen kann.“ Ergeben senkte er den Kopf, als erwartete er sein Todesurteil.

Doch nicht für ihn war es das Todesurteil, nur für Malik: Zeugungsunfähigkeit. Lebenslang. Als einziger Thronanwärter konnte er dem Sultanat Alazar keinen Erben schenken. Seine Verlobung mit Johara Behwar, einer tugendhaften, gebildeten jungen Frau aus bester Familie, war damit zur sinnlosen Farce geworden. Und die Stabilität des Landes, das seit zehn Jahren am Rande eines Bürgerkriegs taumelte, geriet erneut in Gefahr.

Neben all den politischen Problemen hatte er nun mit einer persönlichen Krise zu kämpfen, die er irgendwie bewältigen musste. Malik wandte sich ab und versuchte, sich zu fangen.

„Sind Sie sich ganz sicher?“, fragte er den Arzt beherrscht.

„Absolut sicher, Euer Hoheit.“

Malik schloss kurz die Augen. Zwei Wochen hatte er im gnadenlos heißen Wüstenklima bei den Beduinen im Landesinneren Alazars verbracht, um die Leute zu beruhigen, den Frieden zu retten, der in Chaos und Zerstörung umzuschlagen drohte. Das war ihm fürs Erste gelungen. Doch dafür hatte er einen hohen Preis bezahlt. Zu hoch.

Er erinnerte sich kaum noch an das Wüstenfieber, das ihm die Zukunft gestohlen hatte. Im Fieberwahn hatte er in einem primitiven Zelt dahingedämmert, betreut vom Beduinen Hakim, der sich mit heimischen Kräutern und Heilmitteln nicht gut genug auskannte, um das Fieber herunterzubringen. Irgendwann hatte der Mann ihn in ein nahegelegenes Dorf gebracht, von dem sein Großvater ihn zu einem Krankenhaus in Teruk transportieren ließ. Vier Tage lang hatte Malik das Fieber geschüttelt und zeugungsunfähig gemacht …

Minutenlang überließ er sich der Hoffnungslosigkeit, die ihn zu übermannen drohte. Er würde keine Erben haben, keine Kinder, die er lieben, denen er seine Ideale vermitteln konnte.

Der Augenblick verstrich, und Malik riss sich zusammen. In seinem Leben war kein Platz für Gefühle und Regungen. Schon seit Jahren nicht mehr. Liebe war eine Schwäche, und die konnte er sich nicht leisten.

„Danke, dass Sie mir Bescheid gegeben haben.“

Nachdem der Arzt sich zurückgezogen hatte, verließ Malik den Raum, um seinem Großvater die niederschmetternde Diagnose zu übermitteln.

Er traf Asad im kleinen Thronsaal über Staatspapiere gebeugt an. Einen Moment lang blieb Malik an der Tür stehen und betrachtete das vom Leben gezeichnete Gesicht des Alten, dessen Finger beim Durchgehen der Papiere leicht zitterten. Asad war jetzt sechsundachtzig, was die Falten in seinem Gesicht, seine gebeugte Haltung deutlich zeigten.

Während der letzten zehn Jahre hatte Malik zunehmend mehr Verantwortung in der Regierung übernommen, nachdem sein Großvater immer weniger in der Lage war, Alazar zu bereisen und die Stabilisierung des Landes diplomatisch voranzutreiben. Einen Großteil seiner Zeit hatte Malik im Hubschrauber verbracht, um unzugängliche Wüsten- und Bergregionen zu besuchen, er war es gewöhnt, unter unwirtlichen Bedingungen mit Menschen zu verhandeln, die den Aufstand probten. Langsam, aber stetig versuchte Malik, Alazar ins einundzwanzigste Jahrhundert zu führen, ohne alte Traditionen und Sitten zu verletzen. Seine Ehe mit Johara und zukünftige Erben hätten seine Macht und die Sicherheit des Sultanats, der gesamten Arabischen Halbinsel gefestigt.

Und jetzt? Wie würden die traditionsverhafteten Beduinen, die einen Großteil der Wüsten- und Bergregionen behaupteten, auf einen zeugungsunfähigen Sultan oder einen entfernten Verwandten der Königsfamilie reagieren, der nicht darauf vorbereitet war, die Geschicke des Landes zu lenken?

„Nun?“ Asad blickte auf, als Malik nähertrat. „Was sagt der Arzt? Das Wüstenfieber hat hoffentlich keine Spuren hinterlassen?“

Malik atmete tief durch und bereitete sich auf die Aussprache vor, vor der ihm grauste. „Leider doch.“ Seufzend schob er die Hände in die Taschen seiner westlichen Hose. Er hielt es für wichtig, das Land zu modernisieren und auf westliche Entwicklungen einzustimmen. „Ich bin zeugungsunfähig“, erklärte er seinem Großvater schonungslos.

Entsetzt sah Asad ihn an, brachte eine Weile kein Wort hervor. „Zeugungsunfähig? Aber wie ….?“

Malik betrachtete das bleiche Gesicht seines Großvaters, aber er empfand nichts. Seit Jahren hatte es für ihn nur die Anforderungen und Pflichten des Staates gegeben. Für Vergnügungen oder gar Beziehungen war in seinem Leben kein Platz gewesen. Und er hatte auch nichts vermisst. „Länger anhaltendes, hohes Fieber kann unfruchtbar machen.“ Gleichmütig zuckte er die Schultern, obwohl sie beide wussten, was die Diagnose bedeutete. „Somit erledigt sich das Wie – meinst du nicht?“

„Nein.“ Asad schwieg, und Malik fragte sich, was dem Alten im Kopf herumgehen mochte. Was sollte nun werden? Sein Bruder Azim war tot, und er, Malik, der einzige Thronfolger. Hatte er keinen Sohn, ging das Sultanat an einen Cousin in Europa über, der sich kaum in Alazar aufgehalten hatte und die Stabilität des Landes möglicherweise nicht aufrechterhalten konnte. Im Gegensatz zu Malik war er nicht zum Thronfolger erzogen worden und hatte ein sorgloses Playboyleben in Luxus und Freiheit geführt.

Betroffen lehnte Asad sich zurück und blickte in die Ferne. „Das ist ein echtes Problem“, sagte er mehr zu sich selbst.

Malik lachte ironisch. „Danke, dass du es so messerscharf ausdrückst, Großvater.“

Der Alte sah ihn an, und in seinen Augen erschien ein listiger Ausdruck. „Zufällig gibt es da eine Lösung.“

Die Malik nicht sah. „Und welche?“, fragte er ironisch. Ein Kind ließ sich nicht herbeizaubern, obwohl er es gern getan hätte. Und einen fernen Verwandten würde sein Großvater kaum als Nachfolger einsetzen, nachdem er ihn, seinen Enkel, zehn Jahre lang auf die Thronfolge eingeschworen hatte.

Asad atmete tief durch. „Du hast einen Sohn.“

Verständnislos sah Malik ihn an. „Einen Sohn? Davon müsste ich doch wissen.“

„So?“ Asad lächelte geheimnisvoll.

Malik ließ sich nicht beirren. In den letzten zehn Jahren hatte er zahllose One-Night-Stands gehabt, flüchtige Sexabenteuer, ohne Gefühle – jedoch nie ohne Kondom. Bis auf das eine Mal …

Einen Moment lang stand Malik reglos da, er begann etwas zu ahnen. „Was sagst du da?“, fragte er rau.

„Das Mädchen in Rom …“ Asad presste die Lippen zusammen. „Sie wurde damals schwanger.“

Das Mädchen …

Gracie. Zehn Jahre lang hatte Malik sich verboten, an sie zu denken. Nicht einmal eine bittersüße Sekunde. Anfangs hatte es ihn größte Selbstbeherrschung gekostet, Erinnerungen an jene Nacht zu löschen. Nach einer Weile war ihm das zunehmend leichter gefallen … dann hatte Gracie ihn nur noch in Träumen verfolgt. Damals war er ein naiver, hoffungsvoller junger Mann gewesen, aber das gehörte der Vergangenheit an. Gracie hatte keinen Platz in seiner Gegenwart – und schon gar nicht in seiner Zukunft.

„Schwanger“, widerholte er benommen und ballte die Hände zu Fäusten.

„Ist sie damit zu dir gekommen – um mich ausfindig zu machen?“ Zumindest das konnte Malik sich vorstellen.

„Sie hat eine Mail an die Regierung geschickt, die mir vorlegt wurde. Daraufhin habe ich mich in Prag mit ihr getroffen.“

„Wozu?“ Malik konnte kaum atmen, geschweige denn sprechen.

„Du brauchtest nichts davon zu wissen.“

„Darüber hätte ich entscheiden müssen.“

Schulterzuckend bemerkte Asad nur: „Du kennst mich doch.“

Malik zwang sich ruhiger zu werden. Aus Erfahrung wusste er, dass mit seinem Großvater nicht zu reden war. Es gab andere Möglichkeiten, an den Alten heranzukommen. „Und was war in Prag? Hast du sie abblitzen lassen?“

„Ich habe mir ihr Schweigen gekauft. Mit fünfzigtausend Dollar.“ Asad lächelte verächtlich. „Sie war sofort einverstanden.“

„So?“ Seit einer Ewigkeit hatte Malik nicht mehr an Gracie gedacht. Er wusste nicht einmal, wie er zu ihr stand. Sie war schwanger gewesen … und hatte es nicht für nötig gehalten, ihn zu benachrichtigen …

„Gleich am nächsten Tag hat sie den Scheck eingelöst“, fuhr Asad fort. „Sie hat einen Sohn. Ich habe die Sache überprüfen lassen.“

Malik wandte sich ab, um seinen Schock zu überspielen. Er hatte einen Sohn! Unvorstellbar! Seit zehn Jahren zog Gracie seinen Sohn auf. „Wie konnte sie mir das verheimlichen?“, fragte er aufgewühlt.

„Das fragst du noch? Verständlicherweise musste ich es vor dir geheim halten. Die Nachricht hätte deinen Ruf und das Ansehen des Königreichs infrage gestellt. Der Junge ist unehelich – nicht von reiner Abstammung.“

„Er ist mein Sohn“, brach es förmlich aus Malik heraus. So hatte er noch nie empfunden.

„Und jetzt dein Erbe“, gab Asad ihm kühl recht. „Deshalb musst du ihn nach Alazar holen. Hoffen wir, dass die westliche Erziehung ihn nicht schon zu sehr verweichlicht hat. Noch bleibt uns Zeit, ihn zu formen.“

„Und was ist mit seiner Mutter?“, fragte Malik.

Abschätzig verzog Asad die Lippen. „Was soll mit ihr sein?“

„Sie wird nicht mitspielen.“

„Ihr wird keine andere Wahl bleiben. Dein Thronerbe kann nicht unehelich aufwachsen. Du musst sie heiraten.“

Die Forderung seines Großvaters traf Malik wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sein Herz schlug schneller, wildes Verlangen stieg in ihm auf – selbst nach all den Jahren. Irritiert verdrängte er die Regung. Dafür hatte er keine Zeit. Falls er Gracie heiratete, dann weil die Umstände es erforderten, nicht aus Zuneigung. Er durfte sich nicht von Gefühlen leiten lassen wie sein Vater.

„Und wenn das Volk gegen eine amerikanische Braut rebelliert?“, gab er zu bedenken.

Asad machte eine wegwerfende Handbewegung. „Halte sie in einem unserer entlegenen Paläste unter Verschluss – verschleiert. Was immer nötig ist, du musst an deine Verpflichtungen denken.“

„Daran brauchst du mich nicht zu erinnern“, fuhr Malik auf. „Und hör auf, mir zu sagen, was ich tun soll.“ Er straffte sich und bedachte Asad mit einem warnenden Blick. „Meine Entscheidungen treffe ich selbst“, setzte er schroff hinzu und verließ den Raum.

In seinem Privatbüro blickte Malik aus dem Fenster auf die Kuppeln und Türme der Altstadt von Teruk, ohne etwas wahrzunehmen. Wie konnte sein Großvater ihm etwas so Essenzielles eiskalt verheimlichen?

Und Gracie? Einen Moment lang sah er sie vor sich, mit dem ungebändigten braunen Haar, den blitzenden goldbraunen Augen, ihrem strahlenden Lächeln – dann verbannte er das Bild und verbot sich, über sie nachzudenken. Das lag zehn Jahre zurück. Es lohnte sich nicht, sich damit zu befassen.

Jedenfalls hatte Asad ihm bewusst verschwiegen, dass er, Malik, ein Kind hatte. Für ihn war Gracie lediglich die Mutter seines Kindes … die Frau, die er aus Staatsgründen heiraten musste.

„Wie heißt die Hauptstadt der Mongolei?“

Gracie überlegte angestrengt, doch es fiel ihr nicht ein. „Keine Ahnung, Sam. Tut mir leid“, gab sie heiter zu. „Aber du wirst es mir gleich verraten.“

„Ulan Bator“, klärte er sie triumphierend auf.

Gracie unterdrückte ein Lächeln. Ihr Sohn besaß einen unstillbaren Wissensdurst, und den sollte sie ständig befriedigen. Wenn ihr keine Fragen mehr einfielen, begann er sie mit Fragen zu bombardieren und erstaunte und beschämte sie mit immer wieder mit seinen Kenntnissen.

„Zähneputzen, dann ab ins Bett“, erklärte sie ihm.

Dramatisch seufzend stand Sam vom Esstisch der beengten Küche auf. Seit zehn Jahren wohnte Gracie in der umgebauten kleinen Wohnung über der Garage ihrer Eltern. Ihr „Reich“ bestand aus einer winzigen Küche, dem Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern und Bad, aber es war gemütlich. Dafür war sie ihren Eltern unendlich dankbar, die sie liebevoll aufgenommen hatten.

Vor zehn Jahren hatte sie ihnen gestehen müssen, schwanger zu sein – obendrein von einem Fremden. Verständlicherweise waren sie schockiert und, ja, enttäuscht gewesen – aber sie hatten sich schützend hinter sie und Sam gestellt. Gracie hatte ihre Entscheidung nie bereut, obwohl sie den beengten Lebensumständen manchmal am liebsten entflohen wäre. Aber das war wohl normal. Wer sehnte sich nicht nach Abenteuern? Nein, sie war zufrieden in der heimischen Kleinstadt und versuchte nicht auszubrechen.

Daran konnte sie auch nicht einmal denken. Als Lehrassistentin an einer Grundschule war sie auf die Unterstützung ihrer Eltern und den Verdienst durch den Teilzeitjob angewiesen, seit sie als „gefallenes Jones-Mädchen“ schwanger aus Europa zurückgekehrt war … Als lebende Warnung an alle jungen Frauen, die wie sie auf Abenteuer aus waren.

Während Sam sich widerstrebend fürs Bett fertig machte, räumte Gracie summend die Küche auf. Vom Fenster über der Spüle konnte sie das weiße Schindelhaus ihrer Eltern mit der runden Frontveranda, der amerikanischen Flagge und den säuberlich angelegten Begonien- und Geranienbeeten sehen.

Wie einfühlsam von ihren Eltern, ihr eine eigene Wohnung über der ehemaligen Garage einzurichten …

Es war kein Luxusleben, dennoch war sie besser dran als manch andere, sagte sie sich, während sie den Tisch abwischte und Spülwasser einlaufen ließ. Sie hatte eine Arbeit, die ihr Spaß machte, ein eigenes Zuhause, ihren Sohn und Freunde, mit denen sie gelegentlich ausging. Ihr Leben war ein bisschen still, geruhsam und langweilig, aber das war zu ertragen. Viele dachten ebenso.

Gerade hatte Gracie Sam ins Bett gebracht, als es an der Haustür klopfte.

„Gracie?“

Die Stimme ihres Bruders klang beunruhigt. Sie öffnete und sah ihn überrascht an. „Ist alles in Ordnung?“

„Da ist jemand, der dich sprechen möchte, Gracie.“

„So?“ Zu Hause besuchte sie kaum jemand. Da ihre Wohnung sehr klein war, traf sie sich lieber mit Freundinnen in der Stadt. „Wer denn?“ In Addison Heights kannte jeder jeden.

Jonathan zuckte die Schultern. „Ich habe ihn noch nie gesehen. Aber er sieht irgendwie … seltsam aus.“

„Ein seltsam aussehender Mann will mich sprechen?“ Gracie wusste nicht, ob sie das lustig oder alarmierend finden sollte. Keith von der Tankstelle sah manchmal seltsam aus. Vorige Woche hatte er mit ihr ausgehen wollen, doch sie hatte abgelehnt. Verabredungen interessierten sie nicht – schon gar nicht mit Keith! Sie musste an Sam denken. Aber dass der Mechaniker sie schon zu Hause besuchte …

„Tja, mal sehen, wer es ist“, erwiderte Gracie locker und klopfte ihrem geistig zurückgebliebenen Bruder auf die Schulter. Er war siebenundzwanzig, lebte bei den Eltern und arbeitete im Supermarkt halbtags als Einpacker an der Kasse. Nachmittags half er in einem Behindertenheim und war mit seinem Leben zufrieden. Nur Veränderungen und Unberechenbares vertrug er nicht, und Gracie versuchte, ihm solche Situationen zu ersparen.

Die Dunkelheit brach herein, und die Grillen begannen, ihr Zirpkonzert anzustimmen, als sie über den Hof gingen. Für Anfang Juni war es schon sehr heiß, doch die Dämmerung brachte die ersehnte Kühle. Gracie bog um die Ecke und blieb wie angewurzelt stehen, als sie den Mann erkannte, der auf der Veranda ihrer Eltern stand.

Malik.

Im teuren dunklen Anzug wirkte er inmitten von Begonien und wettergegerbtem weißen Holz wirklich seltsam und irgendwie fehl am Platz. Er lächelte nicht, sah sie nur an und sagte kein Wort.

Die Welt schien stillzustehen. Gracie fühlte sich zehn Jahre zurückversetzt. Fast konnte sie das Plätschern des Trevi-Brunnens hören, während Malik sich einen Penny über die Schulter warf …

Energisch zwang sie sich zurück in die Gegenwart. Sie waren nicht in Rom und begannen keine verrückte One-Night-Stand-Romanze, die nicht sein durfte. Sie befanden sich in Addison Heights, und zehn Jahre waren verflogen. Alles hatte sich geändert, und nur für Sekunden war die Vergangenheit wieder vor ihr zum Leben erwacht.

Warum war Malik hier?

„Malik …“, konnte sie nur verwirrt flüstern.

„Du kennst ihn, Gracie?“ Nun betrachtete Jonathan den Fremden mit unverhohlener Neugier.

Ja, dachte sie, Malik passt wirklich nicht hierher.

Er blickte zu Jonathan. „Ist das dein Bruder?“

Der Klang seiner dunklen Stimme traf Gracie mitten ins Herz. Er hatte sie nicht vergessen … wurde ihr bewusst.

„Ja“, erwiderte sie etwas atemlos. „Was … tust du hier, Malik?“ Es kam ihr seltsam vor, seinen Namen auszusprechen. Bittersüße Erinnerungen stürmten auf sie ein, schmerzlich und schockierend: Händchenhalten … Lachen und Küsse … Tanzen unter dem Sternenhimmel… Gracie atmete tief durch. „Ich hatte nicht erwartet, dich je wiederzusehen.“

„Auch nicht gehofft?“

Die Anspielung tat weh. Dann wurde ihr klar: Er wusste von Sam. Natürlich. Und sie wusste nicht, ob ihr das gefiel.

Jonathan zupfte sie am Ärmel. „Wer ist das, Gracie?“

„Das ist ein alter Freund von mir … nur ein Freund. Wir würden uns gern ungestört unterhalten, weißt du, Jonathan.“ Ihr war eiskalt, sie versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht. Wenn Malik wegen Sam hier war …

Was wollte er?

Unschlüssig blickte ihr Bruder von einem zum anderen, dann stapfte er die verwitterten Verandastufen hinauf und verschwand im Haus.

Plötzlich hatte sie alles wieder vor sich: Seine kraftvolle Gestalt. Die breiten Schultern. Die irisierenden hellen Augen, sein Lächeln …

Jetzt lächelte er nicht. Seine markanten Züge waren ausdruckslos – und erschreckend hart.

„Hier draußen können wir nicht reden“, eröffnete sie ihm.

„Gibt es einen Raum, wo wir ungestört sind?“

In ihre beengte Wohnung wollte sie ihn nicht führen, aber ihr blieb nichts anderes übrig. Sie konnte Sam nicht zu lange allein lassen. „Ich wohne im Hinterhof“, bot sie ihm an. „Dort können wir reden.“

Malik nickte nur, und Gracie ging zu ihrer Wohnung voraus.

Vor der Garage blieb er stehen. „Du lebst in einem Schuppen?“

„Darüber. Hinten führt eine Treppe nach oben.“ Sie führte ihn zur Außentreppe, die entlang der Mauer verlief. Mit bebenden Fingern versuchte Gracie, den Türknauf zu drehen, der nicht gleich nachgab. Als die Wohnungstür aufschwang, atmete sie auf.

Zögernd betrat Malik die Küche, die durch seine mächtige Gestalt noch kleiner wirkte. Er ließ den Blick über ihre blühenden Topfpflanzen, die leuchtend gelben Wände schweifen. Halt suchend wich Gracie zurück und lehnte sich an die Spüle. Sie wusste nicht, was sie denken, empfinden sollte …

Malik war gekommen. Die Situation kam ihr unwirklich vor, sie war erregt und wütend zugleich. Ihn wiederzusehen, brachte so viele Erinnerungen zurück … obwohl das verrückt war. Er hat mich damals brutal weggeschickt, ermahnte sie sich hilflos.

Malik verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hättest mir Bescheid geben müssen.“

„Über was?“ Herausfordernd ahmte sie seine Haltung nach. Mit seiner kalten, arroganten Art konnte er sie nicht einschüchtern. „Vielleicht hättest du mich aufklären sollen, dass du ein Sultan bist.“

„Thronfolger“, berichtigte er sie ironisch.

„Von mir aus …“

Malik zog eine Braue hoch. Er war so ganz anders, als sie ihn in Erinnerung hatte – gefühllos, unnahbar, ohne jede Herzlichkeit oder Zärtlichkeit. Unverschämt gut sah er immer noch aus. Aber das war damals nur Schau gewesen, sagte Gracie sich. Hier hatte sie den wahren Malik vor sich. Wie er wirklich war, hatte er ihr bewiesen, als er sie aus seinem Bett gejagt hatte.