Bereue & Anders Krimi two Go - Ina Kloppmann - E-Book

Bereue & Anders Krimi two Go E-Book

Ina Kloppmann

4,8

Beschreibung

Bereue Als Maren von der unehelichen Tochter ihres Mannes erfährt, beschließt sie ihn zu verlassen aber nicht ohne ihn vorher finanziell zu ruinieren. Sie beauftragt heimlich Judy und Saskia, zwei befreundete Immobilienmaklerinnen, die Villa in der das Ehepaar noch gemeinsam wohnt zu verkaufen. Bei einer Hausbesichtigung, die Saskia mit potentiellen Käufern durchführt, gerät diese in eine heikle Situation und Marens Mann erfährt dadurch von ihren Plänen. Niemand von ihnen ahnt, dass sie bald in einen kaltblütig geplanten Mord verstrickt werden, den eine Frau nur knapp überlebt hatte. Hauptkommissar Werner und Kommissar Lussano, die für diesen Fall zuständig sind, stoßen bei ihren Recherchen auf einen ungeklärten Mord der zwanzig Jahre zurückliegt. Anders Zwei Obdachlose werden von einer Gruppe Jugendlicher brutal überfallen, die bei der Tat unter Drogeneinfluss gestanden hatten. Einer der beiden Obdachlosen stirbt nach dem Überfall und der andere, der aus Berlin stammende Icke wird schwer verletzt. Hauptkommissar Werner bittet den schwulen Sozialpädagogen Oliver Hoffmann, der mit Saskias Mutter Lea befreundet ist, Icke zu helfen. Aus der anfänglichen Zweckgemeinschaft der beiden ungleichen Männer entwickelt sich bald eine herzliche Freundschaft. Die Jugendlichen, die den Überfall begangen hatten, rutschen immer tiefer in die Kriminalität ab. Bücher der Autorin Ina Kloppmann Aus der Reihe Short Storys to Go - Für zwischendurch und unterwegs: Band 1 Befreit - Psychokrimi 1. Auflage Band 2 Zur Sache, Mädels 1. Auflage Aus der Reihe Familie Schmidtke und Co.: Band 1 Bereue - Überarbeitete Neuauflage Band 2 Anders 2. Auflage Band 1 und 2 Bereue und Anders - Krimi two Go Band 3 Hassliebe - Krimi für Frauen 1. Auflage Band 1-3 als Trilogie unter dem Titel FAMILIE SCHMIDTKE UND Co. www.krimisfuerfrauen.de

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Ina Kloppmann: Bereue

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Ein Jahr später…

Epilog

Ina Kloppmann: Anders

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Ein Jahr später

Epilog

Ina Kloppmann

BEREUE

„In jedem Menschen leben zwei Wölfe, ein guter und ein böser. Siegen wird nur der, den man füttert. Welchen Wolf du in dir fütterst, das entscheidest du ganz allein.“(Eine alte Indianerweisheit)

Prolog

In der Ferne hörte sie einen Hund bellen. Sie wollte nach Hilfe rufen, aus ihrer trockenen Kehle kam aber nur ein heiseres Krächzen. Mühsam öffnete sie ihre Augen und schaute nach oben. Durch die hohen Tannen sah sie die vielen Sterne am Himmel leuchten. Es wirkte alles so friedlich. Vorsichtig versuchte sie sich aufzurichten, fiel aber sofort, vor Schmerzen wimmernd, zurück auf den kalten, nassen Boden. Sie zitterte nicht nur weil sie fror, sie hatte auch panische Angst vor weiteren Übergriffen. Etwas Feuchtes lief ihr über das Gesicht. Sie leckte sich das warme Blut von ihren wunden Lippen. Verzweifelt stöhnte sie auf.

Lauerten ihre Peiniger hier irgendwo in ihrer Nähe? Beobachteten sie sie heimlich, um sich an ihrer Hilflosigkeit aufzugeilen? Spielten sie ein grausames Spiel mit ihr und ließen sie in dem Glauben, allein zu sein, um dann plötzlich aus ihren Verstecken hervorzuspringen? Werden sie wieder wie wilde Tiere über mich herfallen? Panik breitete sich erneut in ihr aus. Wellenartige Krämpfe durchzuckten ihren geschundenen Körper. Sie erbrach sich in der Erinnerung an das Martyrium der letzten Stunden.

1

„Würdest du dich bitte mal beeilen? Wir kommen sonst zu spät zum Meeting“, rief eine ungeduldige Stimme aus einem der Schlafzimmer.

„Bin sofort fertig. Mach nicht immer so’n Wind.“ Saskia zog sich hastig einen engen schwarzen Rock über ihre braun gebrannten Beine und schlüpfte dann in ihre hochhackigen Pumps. Ein letzter kritischer Blick in den Spiegel ließ sie zufrieden lächeln. „Was ist, können wir endlich?“, rief sie ihrer Freundin zu, bevor sie sich ihre Tasche schnappte.

„Wow, siehst du seriös aus.“ Judy lehnte lässig im Türrahmen und musterte Saskia bewundernd. Sie konnte sich in ihrem eleganten Etuikleid ebenfalls sehen lassen. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie sich aus dem Gesicht gekämmt und zu einem Zopf gebunden.

„Danke, meine Süße. Dein Outfit finde ich auch toll“, gab Saskia ihr das Kompliment zurück. „Jetzt aber los, sonst kommen wir wirklich noch zu spät.“

Vor etwa fünf Jahren hatten sich Judy und Saskia als Immobilienmaklerinnen selbstständig gemacht. Seit einem halben Jahr wohnten sie gemeinsam in einer Dachgeschosswohnung mit vier Zimmern in einem der wunderschönen alten Häuser in der Südstadt Hannovers. Da sie nicht die Absicht hatten, „einem Vermieter seine Wohnung zu finanzieren“, entschlossen sie sich, sie zu kaufen. Ihre Freunde, die ihnen beim Umzug geholfen hatten, waren völlig erschöpft und hatten sie gebeten, bloß nie wieder umzuziehen. Das Treppenlaufen ersparte Judy und Saskia zumindest das Fitnesscenter.

Eines der Zimmer wurde von ihnen ausschließlich als Büro genutzt. Publikumsverkehr gab es nicht. Angebote wurden per Internet hereingeholt und über diverse Immobilienportale verbreitet. Mit den potentiellen Kunden verabredeten sie sich generell Vorort. Sie gingen auf ihre Bedürfnisse ein und durch den ehrlichen und vertrauensvollen Umgang mit ihnen konnten sie sich schon bald auf dem Immobilienmarkt etablieren. Zwischen den beiden Maklerinnen und Maren, einer ihrer Kundinnen, hatte sich im Laufe der Jahre eine lockere Freundschaft entwickelt. Maren Schuhmacher, die Frau eines sehr erfolgreichen Geschäftsmannes, lernten Judy und Saskia bei einer Vernissage im Sprengelmuseum kennen. Das Ehepaar plante zu diesem Zeitpunkt, von Hamburg wieder zurück in ihre Heimat nach Hannover zu ziehen. Als Maren erfuhr, dass Judy und Saskia als Immobilienmaklerinnen tätig sind, bat sie die beiden, sich nach einem geeigneten Objekt für sie und ihren Mann umzusehen. Schon bald darauf konnten Judy und Saskia ihnen eine traumhaft schöne Villa im Zooviertel anbieten. Unmittelbar nach ihrer ersten Besichtigung entschlossen sich die Schuhmachers, die Villa zu kaufen. Sie waren von der Professionalität der beiden Frauen so begeistert, dass sie sie an ihre gutsituierten Freunde und Bekannte weiterempfahlen.

Ein paar Wochen vor ihrem heutigen Termin hatte Maren angerufen. Bei dem Gespräch hatten Judy und Saskia von ihr erfahren, dass sie auch noch eine Eigentumswohnung besaß, die aber im Moment leer stand. Maren wollte sie so schnell wie möglich veräußern. Mittlerweile war die Wohnung schon so gut wie verkauft. Heute sollten sie zu ihr kommen, um die letzten Details mit ihr zu besprechen.

Saskias roter Mazda MX-5 Roadster bewegte sich keinen Millimeter vorwärts. Sie steckten mitten im Feierabendverkehr fest, die Hans-Böckler-Allee war mal wieder proppenvoll.

Judy tippte eine Nummer in ihr Smartphone.

„Hallo, Maren, wir verspäten uns ein bisschen, sind aber in etwa zehn Minuten bei dir… Okay… Ja, das ist lieb. Bis gleich.“ Sie beendete das Gespräch und wandte sich ihrer Freundin zu. „Sie setzt schon mal Kaffee auf, wir sollen bloß keine Hektik aufkommen lassen.“

Endlich ging es wieder flüssig weiter. Saskia fuhr kurz vor dem Zoo links ab in eine Sackgasse und hielt schließlich vor der Villa der Schuhmachers an.

„Ach, ist das schön“, seufzte Judy. „Wenn ich das Geld hätte, würde ich hier sofort einziehen.“

Maren erwartete sie bereits und öffnete das Eingangstor. Saskia fuhr den Kiesweg zur Villa hoch und parkte vor einer der Garagen. Die Frauen begrüßten sich herzlich und Maren führte sie durch einen großen Flur ins Wohnzimmer.

„Macht es euch doch schon mal bequem, ich bin gleich wieder zurück.“

Judy und Saskia nahmen jeweils auf einem der schweren Ledersessel Platz. Auf dem teuren Designertisch standen drei Tassen auf passenden Untertellern, ein Zuckerdöschen, ein Milchkännchen und eine Schale mit Keksen. Saskias Magen machte unerwünschte Geräusche. Bevor sie losgefahren waren, hatte sie auf die Schnelle nur einen Muffin gegessen.

Maren gesellte sich zu ihnen und goss Kaffee in die zierlichen Tassen. Sie war eine attraktive, elegante Frau, etwa Ende vierzig. Ihr wahres Alter konnte man aber nur schwer einschätzen.

„Dass ihr so schnell einen Käufer für die Wohnung gefunden habt, ist fantastisch. Ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet. Mein Kompliment!“

Judy und Saskia freuten sich über diese Anerkennung. Zu ihrem Beruf gehört sehr viel Fingerspitzengefühl, Menschenkenntnis und Geduld. Es gibt heute leider einige Makler, die nur auf den Profit aus sind. Dazu zählten sie sich nicht, zumal sie eine seriöse Ausbildung abgeschlossen hatten. Natürlich wollten auch sie viel Geld verdienen, dafür boten sie ihren Kunden selbstverständlich eine kompetente Beratung und individuelle Betreuung an.

Maren goss sich noch einmal Kaffee nach.

„So, dann lasst uns am besten gleich zur Sache kommen. Ich beabsichtige, nun auch die Villa zu verkaufen, und hoffe, ihr habt ein bisschen Zeit mitgebracht. Was ich euch jetzt erzählen werde, bleibt aber bitte unter uns. Ich gehe von eurer Diskretion aus.“ Judy und Saskia sahen sich erstaunt an. Was nun folgte, war spektakulär.

Marens holder Gatte war scheinbar ein lebenslustiger Draufgänger, der nichts anbrennen ließ. Zu Hause war er der Herr im Haus, sein Wort war Gesetz. Um des lieben Friedens willen hatte sich Maren bisher alles gefallen lassen. Jetzt hatte er den Bogen allerdings überspannt.

Konrad Schuhmacher begann Mitte der achtziger Jahre mit dem Verkauf von Jogginganzügen aus Ballonseide in grellen Farben. JEDER trug diese Sportbekleidung wie eine Designer-Klamotte. Später eröffnete er in Hamburg eines der ersten großen Fitnessstudios, expandierte und besaß schon nach kurzer Zeit mehrere Studios. Er wurde so erfolgreich, dass er Franchise-Rechte vergeben konnte und richtig, richtig reich wurde. Anfangs arbeitete Maren noch mit. Irgendwann meinte Konrad, dass sie es nicht mehr nötig hätten. Ihr war es recht, denn sie wünschte sich von ganzem Herzen ein Kind.

Nach einer Abtreibung und zwei Fehlgeburten riet ihr Frauenarzt zu einer Sterilisation. Eine erneute Schwangerschaft sei zu gefährlich für sie. Maren ertränkte ihren Kummer im Alkohol, wurde depressiv und versuchte sich zweimal das Leben zu nehmen. Konrad ignorierte ihre stummen Hilfeschreie und verletzte sie immer wieder aufs Neue mit seinen Weibergeschichten.

Eines Tages erhielten die Schuhmachers eine Einladung zu einer Benefizveranstaltung für in Not geratene Kinder. Maren traf sich später noch einmal mit der Gründerin des Fördervereins und wurde bald ein aktives Mitglied. Endlich bekam ihr Leben einen Sinn. Die Bettgeschichten ihres Mannes nahm sie, wie immer, stillschweigend hin. Einmal wagte sie es dann doch, das Thema Scheidung anzusprechen. Konrad flippte total aus. Er schrie sie an und drohte ihr, sie fertigzumachen, falls sie sich tatsächlich von ihm trennen würde. Sie hatte Angst vor ihm und sprach nie wieder darüber. Außerdem konnte und wollte sie nicht auf ihr finanziell abgesichertes Leben verzichten. Doch man kann nicht ewig seine Augen verschließen. Vor etwa einem Monat bekam Maren den für sie alles verändernden Anruf einer Frau, die eigentlich Konrad sprechen wollte.

Wahrscheinlich wieder eines deiner zahlreichen Flittchen! Verärgert versuchte sie die Anruferin abzuwimmeln. Doch dann überlegte sie es sich anders und gab sich als Sekretärin ihres Mannes aus. Als sie sich den Namen und die Telefonnummer notieren wollte, zögerte die junge Frau für einen Moment. Schließlich gab sie ihr doch die gewünschten Daten. Nachdem Maren den Hörer aufgelegt hatte, starrte sie noch eine Weile auf den Zettel. Dann zerknüllte sie ihn wütend und warf ihn in den Papierkorb. Konrad wollte sie nichts von dem Anruf erzählen, er würde sowieso erst in ein paar Tagen von einer Geschäftsreise zurückkommen.

In ihr brodelte es. Bisher hatte sie so getan, als wüsste sie nichts von seinen Affären. Sollte sie, wie immer, den Kopf in den Sand stecken? Sie fischte den Zettel mit der Telefonnummer wieder aus dem Papierkorb, strich ihn glatt und überlegte, ob sie sich auf ein Gespräch mit dieser Frau einlassen sollte. Vielleicht war die ganze Sache ja völlig harmlos. Wenn sich ihre Vermutungen allerdings bestätigen würden, war sie sich über die Konsequenzen im Klaren und wusste, dass sie sich diesmal mit ihnen auseinandersetzen müsste.

Die junge Frau an der anderen Seite der Leitung stand noch einen Moment lang da. Sie hielt das kabellose Telefon unschlüssig in ihrer Hand, bevor sie es wieder zurück auf die Ladestation steckte. Ihr war ganz schön mulmig zumute. Hatte sie womöglich einen Fehler begangen?

Wie in Trance bewegte sich Maren nach unten zum Weinkeller, nahm zwei Flaschen Barolo aus dem Regal und ging wieder hoch ins Wohnzimmer. Sie setzte sich auf ihren Lieblingssessel und goss sich den trockenen Rotwein in ein bauchiges Glas, in der Hoffnung, dass der Alkohol ihre Ängste betäuben würde. Sie fand aber keine Ruhe. Langsam wurde es dunkel. Maren stand auf und zündete alle Kerzen im Raum an. Dann hielt sie inne und fing hemmungslos an zu weinen.

Maren wachte am nächsten Morgen völlig erschlagen auf. Sie war immer noch betrunken. In ihrem Kopf hämmerte es unerträglich. Sie schlich sich in die Küche, füllte ein Glas mit kaltem Wasser und schaute zu, wie sich die Schmerztablette langsam darin auflöste. Dann trank sie es in einem Zug aus. Anschließend ging sie ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht war voller roter Flecke und ihre schönen Augen total verquollen. „So eine wie dich kann man ja auch nicht lieben!“, schrie Maren ihrem Spiegelbild entgegen und fing wieder an zu weinen. Energisch wischte sie sich die Tränen weg und stellte sich unter die Dusche. Sie drehte den Wasserhahn weit auf und ließ den heißen Strahl so lange über ihren Körper laufen, bis das Badezimmer im Nebel verschwunden war. Dann schlüpfte sie in ihren kuscheligen, weißen Bademantel. Um ihre nassen Haare wickelte sie geschickt ein Handtuch zu einem Turban. Abschließend trug sie noch eine teure Gesichtsmaske auf, ging in die Küche, goss sich heißen Kaffee in einen Becher und machte es sich auf der Couch bequem. Einen klaren Gedanken konnte sie aber immer noch nicht fassen. Sie nahm die Fernbedienung vom Tisch und zappte sich durch die Programme. „Mal wieder nur Schrott im Fernsehen“, sagte sie laut zu sich und blieb schließlich bei einer Talkshow hängen. Maren lehnte sich zurück und schloss müde ihre Augen.

„Du hast mich immer wieder belogen und betrogen“, brüllte ein weiblicher Talkgast ihren Freund an.

Interessiert setzte sich Maren auf. Das Thema passte ja perfekt zu ihrer derzeitigen Situation.

„Stimmt es, dass Jana dich auf einer Party beim Knutschen mit einer anderen erwischt hat?“, fragte die Moderatorin.

„Nein, so war das überhaupt nicht. Sie hat da was ganz falsch verstanden“, log der junge Mann mit dem fehlenden Schneidezahn. „Ich habe Tina nur auf die Wange geküsst. Das ist doch normal unter Freunden.“

Das Publikum johlte und die Moderatorin wandte sich grinsend um. „Solche Ausreden kennen wir schon, was Leute?“

Jana schluchzte leise vor sich hin.

Wie kann man sich nur so ungepflegt im Fernsehen präsentieren? Das Mädchen ist doch ganz niedlich, sie könnte bestimmt was aus sich machen. Den Typen mit seiner Hose ‚auf halb acht‘ sollte sie in den Wind schießen, sie hätte was Besseres verdient. „Ha, ha“, lachte ihr vernünftiges Ich hämisch, „das sagt nun eine, die sich scheinbar bestens auskennt!“ Ein Frösteln zog sich wie eine Gänsehaut über ihren gesamten Körper. Maren nahm sich eine dicke Wolldecke, kuschelte sich darin ein und wartete gespannt auf das Finale.

Nachdem der Fremdgeher mit dieser Tina konfrontiert wurde und sie den Kuss und noch weitere Intimitäten bestätigte, wurde nur noch herumgebrüllt. Die Moderatorin hörte sich vergnügt die Schreierei und die Kommentare des Publikums an. Dann bat sie energisch um Ruhe. Jana wurde gefragt, ob sie sich jetzt von ihm trennen wolle. Sie nickte verwirrt und der ganze Saal tobte vor Begeisterung. Ihr Freund begann nun zu betteln und zu flehen, wollte eine zweite Chance, da er sie doch über alles lieben würde.

„Ich weiß, dass du noch eine Überraschung für Jana vorbereitet hast. Na los, vielleicht verzeiht sie dir ja“, drängte die Moderatorin den jungen Mann. Wie auf Kommando betrat ein Mitarbeiter der Sendung das Studio, ging auf den Reuigen zu und drückte ihm einen riesigen Strauß Rosen in die Hand. „Nimm sie in den Arm!“, rief einer der Zuschauer. „Sei nicht so blöd. Der wird dich sowieso immer wieder betrügen“, war die Meinung eines anderen. Mit einem Dackelblick schlich er verlegen zu Jana, überreichte ihr den Blumenstrauß und fragte, ob sie sich mit ihm verloben würde.

„Tue es nicht!“, rief ihr eine Frau mit knallroten Haaren zu. Das Mädchen ignorierte sie, fiel ihrem Freund glücklich um den Hals und rief ganz laut „Ja.“ Die beiden knutschten vor laufender Kamera, als wollten sie sich gegenseitig auffressen.

Was für eine blöde Kuh. Wie ihre Zukunft aussieht, ist doch schon vorprogrammiert. Seufzend schaltete Maren den Fernseher aus und nahm einen Schluck von dem inzwischen kalt gewordenen Kaffee. Die blöde Kuh war sie selbst. Konrad hatte sich ihr gegenüber schon immer rücksichtslos verhalten. Damit war jetzt endgültig Schluss. Irgendwo tief in ihr steckte noch die alte Kämpferin von früher. Die holen wir jetzt aus ihrem Dornröschenschlaf heraus! Maren griff zum Telefon, wählte die Nummer, die auf dem zerknitterten Papier stand, und wartete, bis sich jemand meldete. Das Gespräch fiel sehr kurz aus. Sie verabredete sich für den folgenden Tag mit der jungen Frau, die sich ihr als Paula Winkler vorgestellt hatte.

Maren war schon nervös, bevor sie an dem vereinbarten Treffpunkt angekommen war. Die beiden Frauen begrüßten sich höflich. Anschließend gingen sie gemeinsam in den kleinen Biergarten einer gemütlichen Kneipe und setzten sich an einen runden Tisch. Der Biergarten war durch hohe Büsche vor den Blicken der vorbeieilenden Passanten geschützt. Am Nachbartisch saß engumschlungen ein verliebtes Pärchen und sah sich tief in die Augen. Die sind bestimmt verheiratet, aber nicht miteinander, dachte Maren zynisch. Dann sprach sie Paula direkt auf Konrad an und wollte wissen, seit wann sie ein Verhältnis miteinander hätten. Die junge Frau war so überrascht, dass ihr fast das Glas aus der Hand gefallen wäre.

„Sie glauben, ich hätte eine Affäre mit ihrem Mann? Der ist nun wirklich nicht mein Jahrgang.“

Maren sah sie irritiert an.

„Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Ich dachte, Sie sind die Geliebte meines Mannes und wollten mich zu einer Scheidung oder Ähnlichem überreden.“

Paula fing an zu lachen, wurde aber gleich darauf wieder ernst.

„Ich suche meinen Vater“, sagte sie leise.

Die Bombe war geplatzt.

Maren entschuldigte sich kurz, stand auf und ging zur Toilette. Sie stützte sich auf dem Waschbecken ab, ließ das Wasser laufen und sah eine Weile zu, wie es in den Ausguss floss. Dann bespritzte sie sich ihr Gesicht mit dem kalten Nass und drehte den Hahn wieder zu. Während sie sich ihre pochenden Schläfen massierte, überlegte sie fieberhaft, ob sie wirklich wissen wollte, was Paula ihr zu berichten hatte. Sie zog mit einem Lippenstift gedankenverloren die Konturen ihres schön geschwungenen Mundes nach. Anschließend öffnete sie mechanisch die Tür, begab sich auf den Weg zum Ausgang und wollte sich einfach davonschleichen…

Maren setzte sich dann aber doch wieder zurück an den Tisch. Sie wollte nicht mehr davonlaufen. Sie wollte sich dem Unabwendbaren stellen. Noch war sie jung genug, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und um noch einmal ganz von vorne anzufangen. Die junge Frau musste etwa Anfang zwanzig sein. Wenn sie tatsächlich Konrads Tochter war… Das wollte sie jetzt genau wissen.

„Was macht Sie so sicher, die Tochter meines Mannes zu sein? Haben Sie Beweise dafür?“, begann sie erneut das Gespräch.

Paula atmete tief durch.

„Das ist eine lange Geschichte“, antwortete sie zögernd.

„Ich habe Zeit“, erwiderte Maren.

Paula wuchs bei ihrer Tante und ihrem Onkel auf. Von ihren leiblichen Eltern wusste sie so gut wie nichts, das Thema war tabu. In der Pubertät forderte sie dann die unbeantworteten Fragen aus ihrer Kindheit energisch ein, bekam aber keine Antworten. Sie fing an zu rebellieren, zog nachts mit falschen Freunden um die Häuser, betrank sich und begann zu kiffen. Oftmals wurde sie von der Polizei nach Hause gebracht, bis sich irgendwann das Jugendamt einschaltete. Mit siebzehn landete sie schließlich in einer betreuten Wohngruppe. Anfangs hatte sie Probleme damit, sich den Regeln dort anzupassen. Die Pädagogin war aber eine geduldige und verständnisvolle Frau, die ihr half, den richtigen Weg für sich zu finden. Paula beendete die Realschule mit einem passablen Zeugnis und begann eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Durch den Erfolg wuchs auch ihr Selbstvertrauen. Mittlerweile hatte sie ihre Ausbildung abgeschlossen und durfte weiterhin in der Praxis arbeiten. Die Patienten mochten ihr angenehmes Wesen und unter den Kolleginnen fand sie in Kassandra eine gute Freundin. Mit ihr und einem anderen Mädchen gründete sie vor einem Jahr eine WG. Das Verhältnis zu ihrer Tante und ihrem Onkel war inzwischen ganz in Ordnung. Die freuten sich, dass sie sich so gut entwickelt hatte. Trotzdem sehnte sich Paula mit allen Fasern ihres Herzens nach ihrer Mutter, an die sie sich kaum noch erinnern konnte.

Vor ein paar Wochen waren Mom und Dad, wie sie die beiden nannte, nach Miami geflogen. Sie wollten mit einem Wohnwagen quer durch Florida bis nach Kalifornien fahren. Davon träumten sie schon seit Jahren. Sie hatten Paula gebeten, sich in ihrer Abwesenheit um ihre Katze zu kümmern und die Pflanzen zu gießen.

Eine Woche vor deren Rückkehr aus den Staaten machte sich Paula wie jeden Tag auf den Weg zu ihrem alten Zuhause. Sie schloss die Wohnungstür auf, betrat den Flur und hängte ihre Jacke an den Haken der Garderobe.

„Na, Minka, hast du Hunger?“, fragte sie die alte Katze, die ihr schnurrend um die Füße strich. Sie nahm sie auf den Arm, streichelte sie zärtlich, gab ihr einen Kuss auf die feuchte Nase und setzte sie zurück auf den Teppich. Dann ging sie in die Küche, holte das Katzenfutter aus dem Schrank und füllte den Fressnapf. Gierig verschlang das Tier seine Mahlzeit. Anschließend leerte Paula das Katzenklo und füllte es mit frischer Streu.

„So, mein Kleines. Alles wieder sauber. Bist du satt?“

Ein zufriedenes Maunzen war die Antwort. Nachdem die Katze gut versorgt war, goss sich Paula Milch in ein Glas und trank es in einem Zug aus.

„Was machen wir jetzt?“, überlegte sie laut, ging dann in ihr altes Kinderzimmer und sah sich darin um. Früher hatten rosafarbene Möbel in dem Raum gestanden. Auf dem Bett hatten ihre Puppen und Kuscheltiere gesessen. Nachdem sie ausgezogen war, wurde das Zimmer renoviert und nun als Gästezimmer genutzt.

Ihre Kindheit war schon schön gewesen und sie wusste, dass die Schwester ihrer Mutter sie wie eine eigene Tochter liebte. Sie selbst konnte keine Kinder bekommen. Ich hätte so gern einen großen Bruder gehabt. Paula legte sich auf das Bett und rollte sich wie ein Embryo zusammen. „Mama, warum hast du mich verlassen?“, schluchzte sie mit einem Male und weinte sich schließlich in den Schlaf.

Erst gegen Mitternacht erwachte sie wieder. Um nach Hause zu fahren war es schon zu spät. Sie ging ins Wohnzimmer und holte ein paar Fotoalben aus dem Schrank. Dann setzte sie sich im Schneidersitz auf den Fußboden und schaute sich die Bilder aus der Vergangenheit an. Als sie die Alben wieder zurück ins Fach legen wollte, stieß sie gegen eine kleine Schachtel. Neugierig holte sie sie hervor und öffnete den Deckel. In der Schachtel lagen lose ein paar alte Fotos. Mit zitternden Händen nahm sie eines davon heraus. Darauf war eine junge Frau mit halblangen, blonden Haaren zu sehen. Sie schaute traurig in die Kamera. Auf ihrem Schoß saß ein kleines Mädchen mit einem blauen Stoffhasen im Arm. Paulas Herz raste vor Aufregung. Den Hasen besaß sie immer noch, allerdings fehlte ihm inzwischen ein Ohr. Gespannt sah sie sich die anderen Fotos an. Auf dem einen war die junge Frau als Piratin verkleidet und auf dem anderen lehnte sie lässig an einem Motorrad.

Das letzte Bild ließ Paula erstarren.

Vor einem VW Cabrio stand ein Paar. Der Mann sah älter aus als die Frau, irgendwie kam er ihr bekannt vor. Er hatte seinen Arm besitzergreifend um ihre Schultern gelegt, sie schaute ihn ganz verliebt an. Die Frau war ihre Mutter, das war eindeutig. War der Mann an ihrer Seite etwa ihr Vater? Paula behielt das Foto noch lange in der Hand. Dann legte sie die Schachtel wieder in die hinterste Ecke des Regals und verschloss die Schranktür.

Aufgewühlt ging sie zurück ins Gästezimmer, kroch angezogen unter die Bettdecke und starrte das Foto weiter ungläubig an. Sie sah der jungen Frau sehr ähnlich. Vor allem an den Augen und der hohen Stirn erkannte sie die familiäre Übereinstimmung. Paula suchte nach Hinweisen in dem Gesicht des Mannes. Auch ihre Oberlippe war etwas schmaler und am Kinn hatte er, wie sie auch, ein Grübchen. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. Irgendwann schlief sie erschöpft ein. In ihrem Traum lief die Frau auf dem Foto mit weit geöffneten Armen auf sie zu und rief immer wieder ihren Namen…

Maren zeigte sich sichtlich bewegt, als sie von der Geschichte erfuhr. Paula erzählte ihr, dass es schon immer ihr größter Wunsch gewesen sei, zu wissen, was mit ihrer Mutter geschehen war und wer ihr Vater ist. Sie hatte aber keine Anhaltspunkte oder Unterlagen, um selbst nach ihnen zu forschen. An ihre Mutter konnte sie sich kaum noch erinnern. Außer an ein schemenhaftes Gesicht, ihren vagen Geruch und die Erinnerung an das Gefühl, wenn sie sie zärtlich in ihren Armen gewogen hatte. Paula war erst zwei Jahre alt, als sie für immer aus ihrem Leben verschwand.

„Wie kamen Sie darauf, dass es sich bei dem Mann auf dem Foto um Konrad handeln könnte?“

„Ich erinnerte mich an einen Artikel, den ich in einer Fitnesszeitschrift gelesen hatte. Es ging dabei um die Eröffnung des dreißigsten Schuhmachers Wonderland Gym. Da trainiere ich übrigens auch, deshalb interessierte mich der Bericht über diese Party.“

Maren erinnerte sich ebenfalls an die Veranstaltung im letzten Jahr, schließlich war sie für die Organisation zuständig gewesen. Sie hatte damals die Gelegenheit für eine Spendenaktion genutzt. Das Geld sollte bedürftigen Kindern zugutekommen. Viele Prominente waren unter den zahlreichen Gästen gewesen. Gefeiert wurde in einem von ihr angemieteten großen Saal. Je mehr getrunken wurde, desto großzüger floss auch das Geld. Es war dabei ein ansehnlicher Betrag zusammengekommen. Die Zeitungen, auch diverse Zeitschriften, schrieben später begeistert über eine der „glamourösesten Partys der Landeshauptstadt“. Die positiven Berichte über ihre Fitnessstudios erwiesen sich im Nachhinein als die beste Werbung „ever“. Die Flut an Neuanmeldungen hatten sie nicht erwartet…

Paula unterbrach Marens Erinnerungen und erzählte ihr weiter, dass sie im Internet recherchiert hätte und schnell fündig geworden wäre. Sie haderte eine Weile mit sich selbst, bevor sie den Mut fand, anzurufen. Dass der erste Kontakt dann mit Maren und nicht mit Konrad zustande kam, war von ihrer Seite nicht geplant gewesen.

Versonnen schaute sich Maren das alte Foto an, das Paula ihr überreicht hatte. Der Mann auf dem Bild war eindeutig Konrad, natürlich viel, viel jünger. Er musste so Ende zwanzig gewesen sein.

Ihr wurde auf einmal ganz heiß. Maren rechnete die Zeit zurück. Sollte er tatsächlich Paulas Vater sein, dann hätte er sie schon kurz nach ihrer Hochzeit betrogen. Dieses Schwein! Wenn das wirklich alles stimmt, war ich damals gerade schwanger. Tapfer schluckte sie ihre Tränen herunter.

„Vielleicht hatte mein Mann ja eine Affäre mit Ihrer Mutter, aber woher wollen Sie wissen, dass er sie auch geschwängert hat?“, brach es aus ihr heraus. Sie biss sich gleich darauf selbst auf die Zunge. „Entschuldigung. Aber mal im Ernst, das ist doch noch lange kein Beweis. Vielleicht war bei Ihnen eher der Wunsch der Vater des Gedankens.“

Paula schaute sie nur stumm und mit traurigen Augen an. Dann setzte sie ihre Geschichte weiter fort.

Nach der Rückkehr ihrer Pflegeeltern konfrontierte Paula sie gleich mit den Fotos. Sie wollte endlich Klarheit haben und sich nie wieder von ihnen abwimmeln lassen. Mom und Dad waren zuerst sehr erschrocken, als Paula ihnen ihren Fund präsentierte, aber sie versuchten nun nicht mehr, von dem Thema abzulenken. Endlich erfuhr Paula von ihnen alles, was sie über ihre Eltern wissen wollte.

Ihre Tante war ein paar Jahre älter als Paulas Mutter Anna. Mit achtzehn lernte Anna einen verheirateten Mann kennen und verliebte sich sofort in ihn. Die Bedenken ihrer Schwester, dass dieser Mann viel zu alt und auch noch anderweitig gebunden war, wurden von ihr einfach ignoriert. Lieber malte sich die junge Frau eine rosarote Zukunft mit ihm aus. Sie träumte von einem gemeinsamen Leben und den vielen Kindern, die in dem großen Garten ihres imaginären Hauses herumtollen würden.

Das Paar traf sich regelmäßig. Manchmal nahm er sie auf eine seiner Geschäftsreisen mit. Sie spielten dann in der Anonymität der Großstädte Mann und Frau. Er versprach Anna, dass er sich von seiner Frau endgültig trennen würde, schob die Aussprache mit ihr aber immer wieder vor sich her. Dann wurde Anna schwanger. Die Freude des Mannes über die ungewollte Schwangerschaft überraschte nicht nur sie, sondern auch ihre gesamte Familie. Anna glaubte ihm, als er sagte, dass er sich nun scheiden lassen würde. Allerdings wäre seine Frau, so wie er behauptete, psychisch krank und er wollte eine passende Gelegenheit abwarten, um es ihr schonend beizubringen.

Bei der Geburt von Paula konnte er nicht dabei sein, weil er mal wieder ein wichtiges Meeting vorzog. Als er dann überraschend für sie und das Baby eine Wohnung mietete, hoffte Anna, dass er jetzt endlich zu seiner kleinen Familie stehen würde. Konrad liebte Paula abgöttisch und er verwöhnte seine kleine Prinzessin mit viel zu vielen Geschenken. Das Thema Scheidung blockte er wieder ab oder lief den Diskussionen einfach davon.

Eines Tages bat Anna ihre Schwester, die Kleine übers Wochenende zu beaufsichtigen. Sie schien sehr aufgeregt zu sein und meinte, dass sie jetzt endlich am Ziel ihres größten Wunsches angelangt sei. Anna wollte sich mit Paulas Vater in Hamburg treffen, um mit ihm ihre gemeinsame Zukunft zu planen. Beim Abschied fiel sie ihrer Schwester ungestüm um den Hals und bat sie, ihr Glück zu wünschen. Bevor sie ging, drückte sie Paula ganz fest an ihre Brust, küsste sie auf die Stirn, auf die Nase und auf den Mund. Paula und ihre Tante standen anschließend am Fenster und winkten ihr so lange hinterher, bis sie außer Sicht war…

Anna war nie wieder zurückgekommen. Die Familie war krank vor Sorge gewesen. Paulas Vater wurde später von der Polizei verhört. Er erzählte ihnen von dem letzten Treffen, bei dem die beiden in einem unschönen Streit auseinandergegangen waren. Anna hatte sich nicht mehr länger von ihm hinhalten lassen wollen und wütend die für sie einseitige Beziehung beendet. Bevor sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ, drehte sie sich noch einmal um und rief ihm zu, dass sie ihr Leben von jetzt an selbst in die Hand nehmen würde. Da sie nach dem Streit auch noch Tage später von mehreren Zeugen lebend gesehen wurde, schloss die Polizei eine Straftat aus. Man vermutete, dass sie mit allem überfordert gewesen war und sich irgendwo eine neue Existenz aufbauen wollte. Bald glaubte auch ihre Familie, dass sie sich ihrer Verantwortung entzogen hatte.

Paulas Tante und ihr Onkel bekamen später das Sorgerecht für sie. Über das Verschwinden ihrer Mutter wurde nie mehr geredet. Eine Zeit lang nahm Paulas Vater immer wieder Kontakt zu ihr auf, den sich ihre Familie schließlich energisch verbat. Seine Versuche blieben irgendwann aus und auch er verschwand endgültig aus ihrem Leben…

Paula war zwar froh gewesen, dass ihre Tante ihr endlich alles erzählt hatte, sie fühlte sich aber von ihr und ihrem Onkel betrogen, weil sie erst jetzt mit der vollständigen Wahrheit herausgekommen waren. Sie konnte auch nicht begreifen, warum man aufgehört hatte, weiter nach ihrer Mutter zu suchen. Aufgewühlt hatte sie sich für eine Weile von ihnen zurückgezogen. Sie musste das alles erst einmal für sich allein verarbeiten. Dann fasste sie den Entschluss, selbst nach ihrer Mutter und ihrem Vater zu suchen.

Paula atmete tief durch.

„So, das war´s. Wie soll´s jetzt weitergehen?“

„Das, was geschehen ist, tut mir sehr leid für Sie. Ich möchte aber sichergehen, dass mein Mann auch wirklich Ihr Vater ist. Wenn sich das bestätigen sollte, werde ich meine Konsequenzen daraus ziehen müssen.“

Die Reaktion von Frau Schuhmacher kam für Paula völlig unerwartet.

„Bitte trennen Sie sich nicht von Ihrem Mann. Ich möchte doch nur endlich meinen Vater kennenlernen!“

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Wir sollten in der Sache chronologisch vorgehen. Sie geben mir von sich eine Haarprobe, die von meinem Mann zu bekommen, stellt für mich kein Problem dar. Ein befreundeter Arzt wird mir sicher dabei helfen, einen Vaterschaftstest durchzuführen. Bevor es aber nicht eindeutig geklärt ist, bitte ich Sie eindringlich darum, jede Kontaktaufnahme zu meinem Mann zu vermeiden.“ Paula versprach es ihr enthusiastisch. Sie sah Maren dankbar und voller Erwartung an. Endlich kam für sie der Stein ins Rollen.

Eine Woche später kehrte Konrad von seiner Geschäftsreise zurück. Er zog den Mantel aus und hängte ihn an der Garderobe auf. Nach einer kurzen Begrüßung begab er sich gleich ins Badezimmer.

„Was gibt es eigentlich zu essen?“, rief er aus der Dusche.

„Zyankali“, zischte sie leise. „Schnitzel mit Rotkohl“, antwortete sie dann laut.

Kurz darauf kam Konrad nackt aus der Dusche, Wassertropfen fielen auf das Parkett. Maren musterte ihn von oben bis unten. Sein muskulöser Körper erregte sie noch immer. Wütend drehte sich Maren um und bereitete weiter das Essen vor. Was ist bei uns nur schiefgelaufen? Uns geht es doch gut. Wir sind gesund, wohnen in einem wunderschönen Haus und an Geld mangelt es uns wahrhaftig nicht. Unsere Freunde beneiden uns sogar und sie halten uns für ein perfektes Paar.

Maren war noch ganz in ihren Gedanken versunken, als Konrad sich plötzlich von hinten an sie drückte. Sie konnte seine Erregung spüren.

„Was hältst du davon, wenn wir es gleich hier unten auf den Kacheln treiben würden?“, hauchte er ihr zärtlich ins Ohr. Sein heißer Atem raubte ihr fast den Verstand. Sie drehte sich langsam zu ihm um, immer noch das Tranchiermesser in der Hand haltend, mit dem sie zuvor das Fleisch angeschnitten hatte. Am liebsten hätte sie ihm damit die Kehle durchtrennt.

Konrad ließ sie vor Schreck wieder los.

„Meine Güte, Maren! Willst du mich etwa umbringen?“

„Hast du es denn verdient?“, fragte sie hinterhältig. Dann riss sie sich zusammen, gab ihm einen Kuss auf den Mund und sah ihn versöhnlich an. „Wir haben doch noch die ganze Nacht vor uns. Hol schon mal den Wein aus dem Keller und zieh dir endlich etwas an, sonst erkältest du dich noch.“

Er trottete gehorsam davon.

Am nächsten Morgen saßen Konrad und Maren draußen auf der Terrasse und tranken Kaffee. Konrad las den Wirtschaftsteil der Zeitung, während Maren ihren Gedanken nachhing. Dann stand sie auf und begann den Tisch abzuräumen. Sie brachte gerade das schmutzige Geschirr in die Küche, als ihr Handy klingelte. Anhand der Nummer erkannte sie sofort den Anrufer. Ihr Herz raste vor Aufregung. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie ihn wegdrücken sollte, nahm das Gespräch dann aber doch entgegen.

Jetzt war es also amtlich. Zu 99,9 % war Konrad Paulas Vater. Maren wurde speiübel, als der befreundete Arzt ihr das Ergebnis mitteilte. Sie tobte innerlich, versuchte aber einen klaren Kopf zu bewahren. Sie wusste nun, dass sie sich endgültig von Konrad trennen würde.

Judy und Saskia hatten sich Marens Geschichte bis zum Ende angehört, ohne sie dabei zu unterbrechen. Sie wussten vorerst nicht, was sie dazu sagen sollten.

„Na ja, ihr könnt euch jetzt vielleicht vorstellen, in welchem Gefühlschaos ich mich befand.“ Maren schaute die beiden Frauen unsicher an.

„So etwas ist niemandem zu wünschen“, begann Judy vorsichtig. „Wenn ich dich also richtig verstanden habe, willst du mit dem Verkauf der Eigentumswohnung und der Villa Konrad quasi enteignen. Was du weiterhin noch vorhast, kann ich mir nur vorstellen und kann dich auch irgendwie verstehen. Letztendlich ist es ja deine Sache, wie du mit der Angelegenheit umgehst. Durch unsere Maklertätigkeit hast du uns allerdings mehr oder weniger in deine privaten Probleme mit hineingezogen. Bevor wir uns dazu entschließen, weiter mit dir zusammenzuarbeiten, müssen wir erst klären, ob sich durch unsere Vermittlung rechtliche Konsequenzen ergeben könnten.“ Maren zeigte den beiden Frauen die Grundbuchauszüge, in denen sie als alleinige Eigentümerin eingetragen war. Nur aufgrund dessen erklärten sich Judy und Saskia dazu bereit, ihr zu helfen.

2

Der Besuch bei Maren lag nun schon ein paar Tage zurück. Judy und Saskia hatten bisher keine Gelegenheit gefunden, sich mit dem, was sie ihnen anvertraut hatte, auseinanderzusetzen. Die Leute rannten ihnen fast die Bude ein. So viele Immobilien hatten sie bisher noch nie in ihrem Repertoire gehabt. Die Anfragen dafür waren ebenfalls sensationell und der Terminkalender voll. Sie dankten im Stillen dem Erfinder des Internets und dem der Webseiten, die ihre Arbeit immens erleichterten, aber die Woche war einfach zu stressig gewesen. Heute konnten sie endlich ihren wohlverdienten Feierabend genießen.

„Lass uns irgendwo was essen gehen, ich komme um vor Hunger“, schlug Saskia ihrer Freundin vor, die sich sofort damit einverstanden erklärte. Sie fuhren zu einem griechischen Restaurant, das sich am Bischofsholer Damm befand. Nachdem ihnen ein Tisch zugewiesen worden war, bestellten sie sich gleich einen Ouzo.

„Brrrr…, der war nötig.“ Judy schüttelte sich, dann schaute sie Saskia nachdenklich an. „Marens Geschichte geht mir nicht mehr aus dem Kopf.“

„Ja, das ist wirklich heftig“, antwortete Saskia, „was hältst du eigentlich davon?“

Judy überlegte einen Moment.

„Wenn das tatsächlich alles stimmt, finde ich es ganz schön mutig, wie sie die Dinge angegangen ist. Ob ich mich das so getraut hätte? Ich weiß es nicht.“

„Was darf ich den Damen bringen?“, unterbrach sie ein gutaussehender Grieche. Saskia klappte die Speisekarte zusammen und legte sie zur Seite.

„Wir hätten gerne eine Grillplatte für zwei, eine doppelte Portion Zaziki, eine Flasche Imiglykos und bitte noch einmal zwei Ouzo. Ach, eine große Flasche Wasser können Sie uns auch noch bringen.“

Judy grinste über das ganze Gesicht.

„Da hat aber jemand richtig Durst.“

Kurz darauf kam der Kellner mit den Getränken zurück und goss ihnen den Wein in ihre Gläser.

„Na gut, ich mache mit. Dann lassen wir das Auto eben stehen und nehmen uns nachher ein Taxi.“

„So liebe ich dich!“

Sie stießen auf einen schönen Abend an. Saskia stellte ihr Weinglas ab.

„Ich verstehe das irgendwie nicht. Wie konnte Konrad Maren so etwas antun?“

„Es ist halt immer das gleiche Spiel. Diese Spezies von Mann meint das Recht zu haben, eine Frau unterwerfen zu dürfen. So wie damals bei unserer Nachbarin. Kannst du dich noch an sie erinnern? Das war doch schrecklich! Sie hatte sich erst von ihrem Mann getrennt, als er anfing ihr Kind zu schlagen… Es ist doch immer dasselbe Muster. Anfangs gibt er seinen miesen Charakter nicht zu erkennen und umwirbt seine Beute mit Charme. Wenn sie sich dann einfangen lässt, zeigt er ihr irgendwann sein wahres Gesicht. Nach der ersten Ohrfeige oder psychischen Verletzungen kommt er mit Blumen und Geschenken angekrochen. Er entschuldigt sich und verspricht ihr, dass so etwas nie wieder vorkommen wird. Sie glaubt und verzeiht ihm.“

Der Kellner kam und brachte ihnen das Menü.

„Guten Appetit. Lassen Sie es sich schmecken“, sagte er freundlich. Die beiden Frauen bedankten sich bei ihm und fingen an zu essen.

„Kannst du mir bitte mal den Korb ´rüber reichen?“ Judy nahm sich ein Stück von dem warmen Weißbrot. „Danke dir. Weißt du, das Problem bei solchen Verhältnissen ist, dass nach der Phase der Entschuldigungen, die Entgleisungen dieser Kerle immer schlimmer werden. Will sich die Frau dann endlich von ihm trennen, droht er ihr, sie finanziell ausbluten zu lassen oder ihr sogar die Kinder wegzunehmen, sofern welche vorhanden sind.“

Saskia schob wütend den Stuhl zurück und schmiss dabei fast ihr Glas um. Judy sah sie erschrocken an.

„Alles gut, nix passiert. Jetzt aber mal im Ernst. Wie kann man bloß so naiv sein? Meistens geht´s doch dann wieder von vorne los. In den schlimmsten Fällen wiederholen sich die Misshandlungen in immer kürzeren Abständen und die Entschuldigungen bleiben irgendwann aus.“ Saskia fehlte jegliches Verständnis dafür, sie würde sich so ein Verhalten von keinem Mann gefallen lassen. „Es gibt doch Frauenhäuser, in denen man anonym unterkommen kann“, warf sie in den Raum.

Judy trank ihr Glas aus.

„Könnten Sie uns bitte noch eine Flasche Imiglygos bringen?“, bat sie den Kellner, der gerade an ihrem Tisch vorbeigehen wollte. Er nickte. Sie wartete, bis er hinter dem Tresen verschwunden war.

„In ein Frauenhaus zu gehen, wäre im extremen Fall sicher die beste Lösung. Da erhält man die notwendige Hilfe und Unterstützung. Aber oft suchen diese Frauen die Schuld bei sich selbst, weil der Mann es ihnen immer wieder so eingeredet hat. Entweder geben sie sich dann irgendwann selbst auf oder kratzen ihren Rest Würde zusammen und trennen sich.“

Der Kellner kam mit einer Flasche Wein zurück an ihren Tisch. Judy nahm sie ihm ab und bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln.

„Dankeschön. Wir bedienen uns dann schon selbst.“

„Ich besauf mich heute“, flüsterte Saskia ihr zu, nachdem er gegangen war. „Man gut, dass wir morgen freihaben. Cheers, meine Süße.“

Eine Weile widmeten sie sich schweigend ihrem leckeren Essen. Marens Ehedesaster ließ ihnen aber keine Ruhe. Judy kaute nachdenklich auf einem Stück Fleisch, schluckte es dann schnell hinunter.

„Von ihm geschlagen wurde Maren ja nicht, so was würde ich Konrad auch ehrlich gesagt nicht zutrauen. Aber durch sein permanentes Fremdgehen und seine egoistische Lebensweise hat er sie jedenfalls dermaßen verletzt, dass sie durch den psychischen Stress ihre Babys verloren hat. So einen Verlust wird man nie ganz überwinden können.“

Saskia schüttelte sich angewidert.

„Er hat sie doch zu einer Abtreibung gezwungen! Meine Güte, ich würde so einem Typen in den Arsch treten, meine sieben Sachen packen und sofort verschwinden.“ Einige der Gäste drehten sich pikiert zu ihr um. „Ach, ist doch wahr. Sind wir Neandertaler, oder was? Mich schleift jedenfalls keiner an den Haaren in seine Höhle.“

Judy lachte laut auf.

„Gleich werden wir hier rausgeschmissen und bekommen ein lebenslanges Hausverbot.“

Saskia schob ihren Teller zur Seite und wischte sich mit einer Serviette den Rest vom Zaziki aus ihren Mundwinkeln.

„Eigentlich hat Maren doch selber schuld, sie hat sich bisher immer für den einfachen Weg entschieden.“

Judy lehnte sich seufzend zurück.

„Das stimmt. Wie viele kostbare Jahre sie dadurch verloren hat, wurde ihr wohl erst in dem Moment bewusst, als sie von Paulas Existenz erfahren hatte. Das Kind seiner außerehelichen Beziehung steht plötzlich vor ihr. Das muss man sich mal vorstellen.“

„Das sollte mal einer mit mir machen. Wer mich betrügt, hat mich nicht verdient. Maren hat ihre Toleranzgrenze allerdings auch ganz schön weit nach oben gesetzt und die ist jetzt erreicht. Nun bekommt Konrad eine saftige Rechnung von ihr präsentiert. Der Glaube an seine Unantastbarkeit lässt ihn jetzt in seine gerechte Strafe schliddern.“ Saskia erhob ihr Glas. „Prost, Mädel! Auf die Gerechtigkeit!“

3

Es war stockdunkel. Die kleinste Bewegung schmerzte bis ins Unerträgliche. Es war kalt, aber sie zitterte nicht nur deshalb am ganzen Körper. Ängstlich sah sie sich um. Du bist in Gefahr! Flieh, so schnell du kannst! Sie wollte die Stimme in ihrem Kopf einfach ignorieren, doch ihr Überlebenswille gewann schließlich den Kampf gegen den Wunsch, für immer hier liegen zu bleiben. Sie mobilisierte ihre letzten Kräfte, kroch auf allen vieren zu ihrer Jeans, die ein paar Meter von ihr entfernt auf dem Boden lag. Den Slip und ihr Handy konnte sie nirgendwo entdecken. Mühsam zog sie sich die Hose an. Ihre Bluse war zerrissen und bedeckte nur notdürftig ihre Brüste. Vorsichtig setzte sie einen Schritt vor den anderen. Von allen Seiten waren unheimliche Geräusche zu vernehmen. Immer wieder schaute sie sich in Panik um, fühlte sich beobachtet. Irgendwo knackte ein Zweig. Voller Angst versteckte sie sich hinter einem Baum. Dann setzte sie aber ihren Weg weiter fort und hoffte, endlich auf einen Menschen zu treffen, der sie aus ihrer Notlage befreien würde.

Plötzlich sah sie einen dunkel gekleideten Mann drohend auf sich zu kommen. Lieber Gott, bitte hilf mir! Sie ging so schnell, wie es ihr nur möglich war, wusste aber nicht, in welche Richtung sie gehen sollte. Während sie umherirrte, dachte sie an ihre Familie, an ihre Freunde. Würde sie sie jemals wiedersehen? Dabei übersah sie einen Baumstamm, verlor das Gleichgewicht und knallte mit dem Kopf auf einen großen Stein. Bevor sie in eine gnädige Ohnmacht verfiel, bemerkte sie noch, dass sich jemand über sie beugte…

Ein greller Pfiff hallte durch die Bäume. Die schwarze Gestalt unterbrach sofort ihr schreckliches Vorhaben. Von Weitem sah sie einen Hund auf sich zulaufen. Wütend klappte sie das Messer zusammen und verschwand schnell in der Dunkelheit.

„Baaascoo, hiiieer!“ Die Stimme des Mannes klang sehr ungeduldig. „Verdammt nochmal, wo läuft er denn jetzt hin?”

„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst ihn anleinen? Dann hoffen wir mal, dass der Förster nicht im Wald herumschleicht und deinen Hund gleich abknallt. Du weißt doch, dass man die Hunde in der Eilenriede nicht frei herumlaufen lassen darf.“

Verärgert drehte sich Claus zu Thomas um.

„Das hilft mir jetzt auch nicht wirklich weiter, du Schlaumeier.“ Er schob zwei Finger zwischen die Zähne und stieß einen kurzen Pfiff aus. Schwanzwedelnd kam ein dunkler Labradormischling auf die beiden Männer zugerannt.

„Braver Hund.“ Claus streichelte ihn und gab ihm ein Leckerli als Belohnung. Basco begab sich wieder auf Entdeckungstour. Er schnüffelte aber auf Sichtweite und hinterließ überall seine Duftmarke. Die beiden Männer vertieften sich in ein angeregtes Gespräch.

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, unterbrach Claus seinen Freund mitten im Satz. Basco lief erst auf sie zu und dann zurück zu einer Stelle hinter einem kleinen Hügel. Dort blieb er laut bellend sitzen. Claus rief ihn erneut zu sich, aber sein Hund rannte nun aufgeregt um den Platz herum. Thomas schaltete eine Taschenlampe an und leuchtete in seine Richtung.

„Da liegt irgendwas. Vielleicht ein totes Tier?“, mutmaßte er.

„Ach du Scheiße“, rief Claus erschrocken aus, als er erkannte, dass es sich bei dem Bündel um eine verletzte Frau handelte. Vorsichtig drehte er sie um. „Ruf sofort einen Krankenwagen“, rief er entsetzt.

Während Thomas dem Rettungsdienst den Weg erklärte, kniete sich Claus neben die bewusstlose Frau.

„Mein Gott, welches Schwein hat dich nur so zugerichtet?“, stieß er wütend hervor. Er konnte den Pulsschlag an ihrem Hals kaum spüren. Behutsam drehte er sie in die stabile Seitenlage, zog seine Jacke aus, legte sie um ihren geschundenen Körper und redete beruhigend auf sie ein.

Bald darauf sahen sie von Weitem das Blaulicht eines Krankenwagens auf sich zukommen. Thomas winkte die Helfer aufgeregt in ihre Richtung. Der Notarzt und die beiden Sanitäter sprangen aus dem Fahrzeug und rannten schnell zu der Stelle, an der die schwerverletzte Frau lag.

„Sie muss sofort in die Medizinische Hochschule“, befahl der Arzt, nachdem er sie kurz untersucht und notdürftig versorgt hatte. Als die beiden Johanniter gerade dabei waren, die Frau vorsichtig auf eine Trage zu heben, eilten zwei Polizisten heran.

„Ach, Herr Walther, was machen Sie denn hier?“, wurde Claus von dem einen angesprochen, während sich sein Kollege die Verletzte ansah, den Arzt kurz befragte und dann Verstärkung anforderte. Claus leitete ein Security Unternehmen und hatte schon oft die Hilfe der Kollegen von der Polizeistation Süd, die in der Albert-Niemann-Straße ansässig ist, in Anspruch genommen.

„Hallo, Herr Scheller“, begrüßte er ihn und stellte ihm Thomas kurz vor. „Wir haben die Verletzte gefunden. Das heißt, eigentlich eher Basco, der hat uns, Gott sei Dank, hierher geführt.“

„Vielleicht sollten Sie ihn bei der Hundestaffel der Polizei anmelden. Smarter Hund“, lobte der Polizist und begann den Tatort mit einem rot-weißen Kunststoffband abzusperren. „Wir müssen unsere Kollegen vom Kriminal- und Ermittlungsdienst dazu bitten. Das sieht mir hier nach einer Vergewaltigung mit versuchtem Totschlag aus. Ich hoffe, Sie haben nichts angerührt und womöglich Spuren verwischt.“

„Das weiß ich nicht so genau. Mein erster Gedanke galt der verletzten Frau. Als ich festgestellt hatte, dass sie noch lebt, habe ich gleich Erste Hilfe geleistet und mein Freund hat sofort den Notruf gewählt.“

„Sie haben das alles richtig gemacht. Ich nehme nur noch Ihre Personalien auf, dann müssen Sie bitte den Tatort verlassen.“

4

Judy und Saskia waren mit dem Essen fertig und warteten, bis der Kellner den Tisch abgeräumt hatte.

„Was hättest du eigentlich an Marens Stelle getan? Ich meine, nachdem sie den Anruf von Paula bekommen hat“, wollte Saskia von ihrer Freundin wissen.

„Also, ICH hätte mir sofort meinen treulosen Gatten gegriffen und ihn gleich zur Rede gestellt.“

„Sie wusste anfangs aber doch gar nicht, um was es eigentlich ging und wer die Anruferin überhaupt war. Dass Maren Paula später zurückgerufen und ihre wahre Identität preisgegeben hat, finde ich richtig. Um sich von Konrad zu trennen, brauchte sie für sich hieb- und stichfeste Beweise, ehe sie handeln konnte. Außerdem hatten sie in all den Jahren scheinbar genug Gespräche geführt, die am Ende meistens eskaliert sind. Paula muss es eine große Überwindung gekostet haben, bei den Schuhmachers anzurufen.“

Diesmal unterbrachen laute Polizeisirenen ihre Unterhaltung. Vom Fenster aus konnten sie beobachten, wie auf dem Bischofsholer Damm die Autos und ein Linienbus an die Seite fuhren, um mehreren Streifenwagen Platz zu machen.

„Die wollen ja unser Tatütata gegen den amerikanischen Sound austauschen. Mit ihren neuen Uniformen sehen unsere Polizisten jedenfalls schon mal ganz schnuckelig aus“, kicherte Saskia vor sich hin.

Judy runzelte ihre Stirn.

„Amerikanische Zustände herrschen bei uns ja bereits. Ob das so richtig war, die Rocker aus dem Rotlichtmilieu zu vertreiben? Der Kampf um das Viertel geht bereits los und wenn der Stärkere gewinnt, dann Gnade uns Gott.“

„Weißt du eigentlich, was du da gerade von dir gibst?“, erwiderte Saskia. „Das sind böse Engel. Nach außen der Anschein einer blütenweißen Weste, als Geschäftsleute getarnt, und im Kern sitzt eine schwarze kriminelle Seele. Ich mag mir nicht vorstellen, was für Grausamkeiten sich da im Untergrund abspielen. Der Teufel wird womöglich durch Satan ausgetauscht. Alles bleibt, nur der Name ändert sich.“

„Hast ja recht. Egal, wer letztendlich die Macht dort übernimmt, besser wird es in keinem Fall“, beschwichtigte Judy ihre Freundin. „Ist schon schlimm, in was für einer Welt wir leben. Die Schwachen sind jedenfalls immer die Verlierer, so wie Paula. Das Mädchen tut mir total leid. Was ist das nur für eine Mutter, die ihr Baby einfach verlässt? So ein hochgradiger Egoismus, das ist doch Kindesmisshandlung. Die Frau gehört in den Knast.“

„Nun mal langsam. Es kennt doch niemand den wahren Grund, warum sie damals so plötzlich verschwand. Sie übergab die Kleine ihrer Schwester, weil sie sie dort in guten Händen wusste“, antwortete Saskia.

„Nein! Es zeugt von innerer Kälte. Ein Kind muss immer wichtiger sein als alles andere auf dieser Welt. Es gibt dafür keine Entschuldigung. Du hast doch gehört, wie sehr Paula schon ihr ganzes Leben lang darunter leidet. Vielleicht hat sie sogar als Kind gedacht, es wäre ihre Schuld, dass sie nicht lieb genug gewesen ist oder ein böses Mädchen. Solche Gedanken können eine kleine Seele schon zerstören.“

„Aber so, wie sich das anhörte, hat sie sich inzwischen zu einer taffen Frau entwickelt und weiß jetzt genau, was sie will. Es sollte wohl so sein, dass durch ihren Anruf statt Konrad seine Frau von ihrer Existenz erfuhr. Nichts passiert umsonst. Maren hatte scheinbar auch die richtigen Verbindungen und Möglichkeiten, um herauszufinden, ob Paulas Vermutung überhaupt stimmt. Ist ja fast wie in einem Roman… Komm, wir gehen nach draußen, eine rauchen, frische Luft würde uns jetzt guttun.“ Saskia holte eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug aus ihrer Handtasche und sie gingen gemeinsam vor die Tür.

„Rauchen und frische Luft, das passt.“ Judy nahm sich eine Zigarette aus der weißen Box und Saskia gab ihr Feuer. „Wir sollten aufhören zu rauchen. Die Zigaretten werden immer teurer und sind auch nicht gut für unseren Teint.“ Sie blies den Rauch gen Himmel und schaute nach oben. „Was für eine sternenklare Nacht. Jetzt würde ich gern mal wieder mit einem leidenschaftlichen Mann am Strand liegen, das Meer rauschen hören und…“

Saskia stieß sie lachend an.

„Hey, und was ist mit mir?“

„Du kannst ja mitkommen, vielleicht hat er einen Freund.“

Sie prusteten los.

„Alles zu seiner Zeit, mein Schatz. Irgendwann kommt dein Traummann durch eine Tür und entführt dich ins Paradies der Liebe“, flüsterte Saskia ihrer Freundin ins Ohr. In diesem Moment ging die Tür vom Restaurant auf. Ein älterer Herr mit einem gemütlichen Bierbauch kam heraus und wunderte sich, warum die beiden so albern lachten.

„Na, da hat ja mal jemand gute Laune“, rief er ihnen zu. „Eine gute Nacht wünsche ich den zwei hübschen Damen. Aber nicht mehr so viel Ouzo trinken.“ Er schüttelte amüsiert den Kopf und schlenderte zu seinem Auto.

Die beiden Frauen gingen wieder hinein und bestellten sich noch zwei Espressi, bevor sie sich hinsetzten. Als der nette Kellner an ihren Tisch kam, nahm Judy ihm die kleinen Tassen ab und schenkte ihm noch ein verführerisches Lächeln.

„Lecker Kerlchen“, grinste sie, als er sich umdrehte.

„Du bist unmöglich! Das hat er bestimmt gehört“, ermahnte Saskia sie.

„Man darf doch mal gucken dürfen…“, antwortete Judy ihrer Freundin mit einem unschuldigen Augenaufschlag.

Der Bauch war voll, die Flaschen leer und beide ganz schön angeschickert. Sie ließen sich vom Wirt ein Taxi bestellen und tranken mit ihm noch einen Absacker, bevor sie endlich nach Hause fuhren.

Am nächsten Morgen erwachte Saskia mit tierischen Kopfschmerzen und auch Judy ging es nicht viel besser. Sie entschlossen sich, für heute einen Gammeltag einzulegen. Den halben Nachmittag verbrachte Saskia in einem duftenden Schaumbad, nickte immer mal wieder ein. Judys Vorschlag, ihren Kater mit Sekt zu bekämpfen, lehnte sie dankend ab und trank stattdessen literweise stilles Wasser, um den Alkohol aus ihrem Körper zu schwemmen. Abends bestellten sie sich Pizza und schauten bis tief in die Nacht die alten Serien von „Sex and the City“ auf DVD an. Alles, was mit ihrer Arbeit zu tun hatte, war als Thema für heute tabu. So war es eigentlich verabredet. Von Sarah Jessica Parker und ihren Mädels bekamen sie nicht allzu viel mit. War auch nicht so tragisch, schließlich hatten sie schon alle Folgen gefühlte hundert Male gesehen. „Meinst du, Maren kann wirklich ohne Einwilligung ihres Mannes die Wohnung und das Haus verkaufen? Der springt ja im Karree, wenn er davon erfährt“, griff Judy erneut das Gespräch von gestern auf.

„Du hast es doch schwarz auf weiß gesehen. Die Immobilien sind auf Marens Namen im Grundbuch eingetragen“, antwortete Saskia ihrer besorgten Freundin. ‚Vom Gesetz her‘ kann sie damit machen, was sie will. Ob das moralisch vertretbar ist, darüber kann man sich natürlich streiten. Letztendlich hat sich Konrad das alles selbst zuzuschreiben.“

Judy stieß einen tiefen Seufzer aus.

„So ’n bisschen Schiss bekomme ich aber gerade. Wer weiß, wie er darauf reagiert, wenn er von unserem ‚Komplott’ erfährt.“

„Na, hör mal“, antwortete Saskia empört, „das ist doch deren persönliches Ding. Wenn er sie nicht so verarscht hätte, würden die beiden noch ihre goldene Hochzeit zusammen feiern.“

Judy lächelte verträumt.

„Von der fetten Provision könnten wir uns eine richtig geile Kreuzfahrt leisten…“

„…Und uns dann zwei uralte Millionäre angeln“, ergänzte Saskia lachend ihren Satz.

„Jau! Dann haben wir endlich ausgesorgt. Für unser körperliches Wohlergehen besorgen wir uns ein paar junge Lover, reisen um die Welt und schlürfen Cocktails an idyllischen Sandstränden.“

Sie konnten sich nicht wieder einkriegen. So, wie sie heute aussahen, würde man sie noch nicht einmal an Bord lassen. Die gestrige Nacht hatte deutliche Spuren in ihren Gesichtern hinterlassen. Außerdem trug Saskia die von ihrer Mutter handgestrickten, bunt geringelten Socken und ihren ‚modellartig geformten Körper‘ verhüllte ein mit Bärchen verzierter Baumwollpyjama. Den jungen Pizzaboten mit der Zahnspange konnte sie damit vielleicht noch aus der Fassung bringen, aber sonst niemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Viel attraktiver sah Judy in ihrem alten pinkfarbenen Jogginganzug und den riesigen Leopardenhausschuhen auch nicht aus.

„Ich finde, wir sollten die Sache mit der Villa gleich morgen angehen“, meinte Saskia, „schließlich sind wir in erster Linie Geschäftsfrauen und wären dumm, uns solch eine Gelegenheit entgehen zu lassen.“

Judy deutete einen militärischen Gruß an.

„Yes, Ma´am. Immer zu Ihren Diensten!“

Saskia stand auf und zog ihre Freundin vom Sofa.

„Dann mal los und ab ins Bettchen, damit wir morgen wieder fit und schön sind.“

5