Bereue - Ina Kloppmann - E-Book

Bereue E-Book

Ina Kloppmann

4,5

Beschreibung

Als Maren von der unehelichen Tochter ihres Mannes erfährt, beschließt sie ihn zu verlassen aber nicht ohne ihn vorher finanziell zu ruinieren. Sie beauftragt heimlich Judy und Saskia, zwei befreundete Immobilienmaklerinnen, die Villa in der das Ehepaar noch gemeinsam wohnt zu verkaufen. Bei einer Hausbesichtigung, die Saskia mit potentiellen Käufern durchführt, gerät diese in eine heikle Situation und Marens Mann erfährt dadurch von ihren Plänen. Niemand von ihnen ahnt, dass sie bald in einen kaltblütig geplanten Mord verstrickt werden, den eine Frau nur knapp überlebt hatte. Hauptkommissar Werner und Kommissar Lussano, die für diesen Fall zuständig sind, stoßen bei ihren Recherchen auf einen ungeklärten Mord der zwanzig Jahre zurückliegt... Bücher der Autorin Ina Kloppmann Aus der Reihe Short Storys to Go - Für zwischendurch und unterwegs: Band 1 Befreit - Psychokrimi 1. Auflage Band 2 Zur Sache, Mädels 1. Auflage Aus der Reihe Familie Schmidtke und Co.: Band 1 Bereue - Überarbeitete Neuauflage Band 2 Anders 2. Auflage Band 1 und 2 Bereue und Anders - Krimi two Go Band 3 Hassliebe - Krimi für Frauen 1. Auflage Band 1-3 als Trilogie unter dem Titel FAMILIE SCHMIDTKE UND Co. www.krimisfuerfrauen.de

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„In jedem Menschen leben zwei Wölfe, ein guter und ein böser. Siegen wird nur der, den man füttert. Welchen Wolf du in dir fütterst, das entscheidest du ganz allein.“(Eine alte Indianerweisheit)

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Ein Jahr später…

Epilog

Prolog

In der Ferne hörte sie einen Hund bellen. Sie wollte nach Hilfe rufen, aus ihrer trockenen Kehle kam aber nur ein heiseres Krächzen. Mühsam öffnete sie ihre Augen und schaute nach oben. Durch die hohen Tannen sah sie die vielen Sterne am Himmel leuchten. Es wirkte alles so friedlich. Vorsichtig versuchte sie sich aufzurichten, fiel aber sofort, vor Schmerzen wimmernd, zurück auf den kalten, nassen Boden. Sie zitterte nicht nur weil sie fror, sie hatte auch panische Angst vor weiteren Übergriffen. Etwas Feuchtes lief ihr über das Gesicht. Sie leckte sich das warme Blut von ihren wunden Lippen. Verzweifelt stöhnte sie auf. Lauerten ihre Peiniger hier irgendwo in ihrer Nähe? Beobachteten sie sie heimlich, um sich an ihrer Hilflosigkeit aufzugeilen? Spielten sie ein grausames Spiel mit ihr und ließen sie in dem Glauben, allein zu sein, um dann plötzlich aus ihren Verstecken hervorzuspringen? Werden sie wieder wie wilde Tiere über mich herfallen? Panik breitete sich erneut in ihr aus. Wellenartige Krämpfe durchzuckten ihren geschundenen Körper. Sie erbrach sich in der Erinnerung an das Martyrium der letzten Stunden.

1

„Würdest du dich bitte mal beeilen? Wir kommen sonst zu spät zum Meeting“, rief eine ungeduldige Stimme aus einem der Schlafzimmer.

„Bin sofort fertig. Mach nicht immer so’n Wind.“ Saskia zog sich hastig einen engen schwarzen Rock über ihre braun gebrannten Beine und schlüpfte dann in ihre hochhackigen Pumps. Ein letzter kritischer Blick in den Spiegel ließ sie zufrieden lächeln. „Was ist, können wir endlich?“, rief sie ihrer Freundin zu, bevor sie sich ihre Tasche schnappte.

„Wow, siehst du seriös aus.“ Judy lehnte lässig im Türrahmen und musterte Saskia bewundernd. Sie konnte sich in ihrem eleganten Etuikleid ebenfalls sehen lassen. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie sich aus dem Gesicht gekämmt und zu einem Zopf gebunden.

„Danke, meine Süße. Dein Outfit finde ich auch toll“, gab Saskia ihr das Kompliment zurück. „Jetzt aber los, sonst kommen wir wirklich noch zu spät.“

Vor etwa fünf Jahren hatten sich Judy und Saskia als Immobilienmaklerinnen selbstständig gemacht. Seit einem halben Jahr wohnten sie gemeinsam in einer Dachgeschosswohnung mit vier Zimmern in einem der wunderschönen alten Häuser in der Südstadt Hannovers. Da sie nicht die Absicht hatten, „einem Vermieter seine Wohnung zu finanzieren“, entschlossen sie sich, sie zu kaufen. Ihre Freunde, die ihnen beim Umzug geholfen hatten, waren völlig erschöpft und hatten sie gebeten, bloß nie wieder umzuziehen. Das Treppenlaufen ersparte Judy und Saskia zumindest das Fitnesscenter.

Eines der Zimmer wurde von ihnen ausschließlich als Büro genutzt. Publikumsverkehr gab es nicht. Angebote wurden per Internet hereingeholt und über diverse Immobilienportale verbreitet. Mit den potentiellen Kunden verabredeten sie sich generell Vorort. Sie gingen auf ihre Bedürfnisse ein und durch den ehrlichen und vertrauensvollen Umgang mit ihnen konnten sie sich schon bald auf dem Immobilienmarkt etablieren. Zwischen den beiden Maklerinnen und Maren, einer ihrer Kundinnen, hatte sich im Laufe der Jahre eine lockere Freundschaft entwickelt. Maren Schuhmacher, die Frau eines sehr erfolgreichen Geschäftsmannes, lernten Judy und Saskia bei einer Vernissage im Sprengelmuseum kennen. Das Ehepaar plante zu diesem Zeitpunkt, von Hamburg wieder zurück in ihre Heimat nach Hannover zu ziehen. Als Maren erfuhr, dass Judy und Saskia als Immobilienmaklerinnen tätig sind, bat sie die beiden, sich nach einem geeigneten Objekt für sie und ihren Mann umzusehen. Schon bald darauf konnten Judy und Saskia ihnen eine traumhaft schöne Villa im Zooviertel anbieten. Unmittelbar nach ihrer ersten Besichtigung entschlossen sich die Schuhmachers, die Villa zu kaufen. Sie waren von der Professionalität der beiden Frauen so begeistert, dass sie sie an ihre gutsituierten Freunde und Bekannte weiterempfahlen.

Ein paar Wochen vor ihrem heutigen Termin hatte Maren angerufen. Bei dem Gespräch hatten Judy und Saskia von ihr erfahren, dass sie auch noch eine Eigentumswohnung besaß, die aber im Moment leer stand. Maren wollte sie so schnell wie möglich veräußern. Mittlerweile war die Wohnung schon so gut wie verkauft. Heute sollten sie zu ihr kommen, um die letzten Details mit ihr zu besprechen.

Saskias roter Mazda MX-5 Roadster bewegte sich keinen Millimeter vorwärts. Sie steckten mitten im Feierabendverkehr fest, die Hans-Böckler-Allee war mal wieder proppenvoll.

Judy tippte eine Nummer in ihr Smartphone.

„Hallo, Maren, wir verspäten uns ein bisschen, sind aber in etwa zehn Minuten bei dir… Okay… Ja, das ist lieb. Bis gleich.“ Sie beendete das Gespräch und wandte sich ihrer Freundin zu. „Sie setzt schon mal Kaffee auf, wir sollen bloß keine Hektik aufkommen lassen.“

Endlich ging es wieder flüssig weiter. Saskia fuhr kurz vor dem Zoo links ab in eine Sackgasse und hielt schließlich vor der Villa der Schuhmachers an.

„Ach, ist das schön“, seufzte Judy. „Wenn ich das Geld hätte, würde ich hier sofort einziehen.“

Maren erwartete sie bereits und öffnete das Eingangstor. Saskia fuhr den Kiesweg zur Villa hoch und parkte vor einer der Garagen. Die Frauen begrüßten sich herzlich und Maren führte sie durch einen großen Flur ins Wohnzimmer.

„Macht es euch doch schon mal bequem, ich bin gleich wieder zurück.“

Judy und Saskia nahmen jeweils auf einem der schweren Ledersessel Platz. Auf dem teuren Designertisch standen drei Tassen auf passenden Untertellern, ein Zuckerdöschen, ein Milchkännchen und eine Schale mit Keksen. Saskias Magen machte unerwünschte Geräusche. Bevor sie losgefahren waren, hatte sie auf die Schnelle nur einen Muffin gegessen. Maren gesellte sich zu ihnen und goss Kaffee in die zierlichen Tassen. Sie war eine attraktive, elegante Frau, etwa Ende vierzig. Ihr wahres Alter konnte man aber nur schwer einschätzen.

„Dass ihr so schnell einen Käufer für die Wohnung gefunden habt, ist fantastisch. Ihr habt wirklich gute Arbeit geleistet. Mein Kompliment!“

Judy und Saskia freuten sich über diese Anerkennung. Zu ihrem Beruf gehört sehr viel Fingerspitzengefühl, Menschenkenntnis und Geduld. Es gibt heute leider einige Makler, die nur auf den Profit aus sind. Dazu zählten sie sich nicht, zumal sie eine seriöse Ausbildung abgeschlossen hatten. Natürlich wollten auch sie viel Geld verdienen, dafür boten sie ihren Kunden selbstverständlich eine kompetente Beratung und individuelle Betreuung an.

Maren goss sich noch einmal Kaffee nach.

„So, dann lasst uns am besten gleich zur Sache kommen. Ich beabsichtige, nun auch die Villa zu verkaufen, und hoffe, ihr habt ein bisschen Zeit mitgebracht. Was ich euch jetzt erzählen werde, bleibt aber bitte unter uns. Ich gehe von eurer Diskretion aus.“ Judy und Saskia sahen sich erstaunt an. Was nun folgte, war spektakulär.

Marens holder Gatte war scheinbar ein lebenslustiger Draufgänger, der nichts anbrennen ließ. Zu Hause war er der Herr im Haus, sein Wort war Gesetz. Um des lieben Friedens willen hatte sich Maren bisher alles gefallen lassen. Jetzt hatte er den Bogen allerdings überspannt.

Konrad Schuhmacher begann Mitte der achtziger Jahre mit dem Verkauf von Jogginganzügen aus Ballonseide in grellen Farben. JEDER trug diese Sportbekleidung wie eine Designer-Klamotte. Später eröffnete er in Hamburg eines der ersten großen Fitnessstudios, expandierte und besaß schon nach kurzer Zeit mehrere Studios. Er wurde so erfolgreich, dass er Franchise-Rechte vergeben konnte und richtig, richtig reich wurde. Anfangs arbeitete Maren noch mit. Irgendwann meinte Konrad, dass sie es nicht mehr nötig hätten. Ihr war es recht, denn sie wünschte sich von ganzem Herzen ein Kind.

Nach einer Abtreibung und zwei Fehlgeburten riet ihr Frauenarzt zu einer Sterilisation. Eine erneute Schwangerschaft sei zu gefährlich für sie. Maren ertränkte ihren Kummer im Alkohol, wurde depressiv und versuchte sich zweimal das Leben zu nehmen. Konrad ignorierte ihre stummen Hilfeschreie und verletzte sie immer wieder aufs Neue mit seinen Weibergeschichten.

Eines Tages erhielten die Schuhmachers eine Einladung zu einer Benefizveranstaltung für in Not geratene Kinder. Maren traf sich später noch einmal mit der Gründerin des Fördervereins und wurde bald ein aktives Mitglied. Endlich bekam ihr Leben einen Sinn. Die Bettgeschichten ihres Mannes nahm sie, wie immer, stillschweigend hin. Einmal wagte sie es dann doch, das Thema Scheidung anzusprechen. Konrad flippte total aus. Er schrie sie an und drohte ihr, sie fertigzumachen, falls sie sich tatsächlich von ihm trennen würde. Sie hatte Angst vor ihm und sprach nie wieder darüber. Außerdem konnte und wollte sie nicht auf ihr finanziell abgesichertes Leben verzichten. Doch man kann nicht ewig seine Augen verschließen. Vor etwa einem Monat bekam Maren den für sie alles verändernden Anruf einer Frau, die eigentlich Konrad sprechen wollte.

Wahrscheinlich wieder eines deiner zahlreichen Flittchen! Verärgert versuchte sie die Anruferin abzuwimmeln. Doch dann überlegte sie es sich anders und gab sich als Sekretärin ihres Mannes aus. Als sie sich den Namen und die Telefonnummer notieren wollte, zögerte die junge Frau für einen Moment. Schließlich gab sie ihr doch die gewünschten Daten. Nachdem Maren den Hörer aufgelegt hatte, starrte sie noch eine Weile auf den Zettel. Dann zerknüllte sie ihn wütend und warf ihn in den Papierkorb. Konrad wollte sie nichts von dem Anruf erzählen, er würde sowieso erst in ein paar Tagen von einer Geschäftsreise zurückkommen.

In ihr brodelte es. Bisher hatte sie so getan, als wüsste sie nichts von seinen Affären. Sollte sie, wie immer, den Kopf in den Sand stecken? Sie fischte den Zettel mit der Telefonnummer wieder aus dem Papierkorb, strich ihn glatt und überlegte, ob sie sich auf ein Gespräch mit dieser Frau einlassen sollte. Vielleicht war die ganze Sache ja völlig harmlos. Wenn sich ihre Vermutungen allerdings bestätigen würden, war sie sich über die Konsequenzen im Klaren und wusste, dass sie sich diesmal mit ihnen auseinandersetzen müsste.

Die junge Frau an der anderen Seite der Leitung stand noch einen Moment lang da. Sie hielt das kabellose Telefon unschlüssig in ihrer Hand, bevor sie es wieder zurück auf die Ladestation steckte. Ihr war ganz schön mulmig zumute. Hatte sie womöglich einen Fehler begangen?

Wie in Trance bewegte sich Maren nach unten zum Weinkeller, nahm zwei Flaschen Barolo aus dem Regal und ging wieder hoch ins Wohnzimmer. Sie setzte sich auf ihren Lieblingssessel und goss sich den trockenen Rotwein in ein bauchiges Glas, in der Hoffnung, dass der Alkohol ihre Ängste betäuben würde. Sie fand aber keine Ruhe.

Langsam wurde es dunkel. Maren stand auf und zündete alle Kerzen im Raum an. Dann hielt sie inne und fing hemmungslos an zu weinen.

Maren wachte am nächsten Morgen völlig erschlagen auf. Sie war immer noch betrunken. In ihrem Kopf hämmerte es unerträglich. Sie schlich sich in die Küche, füllte ein Glas mit kaltem Wasser und schaute zu, wie sich die Schmerztablette langsam darin auflöste. Dann trank sie es in einem Zug aus. Anschließend ging sie ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht war voller roter Flecke und ihre schönen Augen total verquollen. „So eine wie dich kann man ja auch nicht lieben!“, schrie Maren ihrem Spiegelbild entgegen und fing wieder an zu weinen. Energisch wischte sie sich die Tränen weg und stellte sich unter die Dusche. Sie drehte den Wasserhahn weit auf und ließ den heißen Strahl so lange über ihren Körper laufen, bis das Badezimmer im Nebel verschwunden war. Dann schlüpfte sie in ihren kuscheligen, weißen Bademantel. Um ihre nassen Haare wickelte sie geschickt ein Handtuch zu einem Turban. Abschließend trug sie noch eine teure Gesichtsmaske auf, ging in die Küche, goss sich heißen Kaffee in einen Becher und machte es sich auf der Couch bequem. Einen klaren Gedanken konnte sie aber immer noch nicht fassen. Sie nahm die Fernbedienung vom Tisch und zappte sich durch die Programme. „Mal wieder nur Schrott im Fernsehen“, sagte sie laut zu sich und blieb schließlich bei einer Talkshow hängen. Maren lehnte sich zurück und schloss müde ihre Augen.

„Du hast mich immer wieder belogen und betrogen“, brüllte ein weiblicher Talkgast ihren Freund an. Interessiert setzte sich Maren auf. Das Thema passte ja perfekt zu ihrer derzeitigen Situation.

„Stimmt es, dass Jana dich auf einer Party beim Knutschen mit einer anderen erwischt hat?“, fragte die Moderatorin.

„Nein, so war das überhaupt nicht. Sie hat da was ganz falsch verstanden“, log der junge Mann mit dem fehlenden Schneidezahn. „Ich habe Tina nur auf die Wange geküsst. Das ist doch normal unter Freunden.“ Das Publikum johlte und die Moderatorin wandte sich grinsend um.

„Solche Ausreden kennen wir schon, was Leute?“

Jana schluchzte leise vor sich hin.

Wie kann man sich nur so ungepflegt im Fernsehen präsentieren? Das Mädchen ist doch ganz niedlich, sie könnte bestimmt was aus sich machen. Den Typen mit seiner Hose „auf halb acht“ sollte sie in den Wind schießen, sie hätte was Besseres verdient. „Ha, ha“, lachte ihr vernünftiges Ich hämisch, „das sagt nun eine, die sich scheinbar bestens auskennt!“ Ein Frösteln zog sich wie eine Gänsehaut über ihren gesamten Körper. Maren nahm sich eine dicke Wolldecke, kuschelte sich darin ein und wartete gespannt auf das Finale.

Nachdem der Fremdgeher mit dieser Tina konfrontiert wurde und sie den Kuss und noch weitere Intimitäten bestätigte, wurde nur noch herumgebrüllt. Die Moderatorin hörte sich vergnügt die Schreierei und die Kommentare des Publikums an. Dann bat sie energisch um Ruhe. Jana wurde gefragt, ob sie sich jetzt von ihm trennen wolle. Sie nickte verwirrt und der ganze Saal tobte vor Begeisterung. Ihr Freund begann nun zu betteln und zu flehen, wollte eine zweite Chance, da er sie doch über alles lieben würde.

„Ich weiß, dass du noch eine Überraschung für Jana vorbereitet hast. Na los, vielleicht verzeiht sie dir ja“, drängte die Moderatorin den jungen Mann. Wie auf Kommando betrat ein Mitarbeiter der Sendung das Studio, ging auf den Reuigen zu und drückte ihm einen riesigen Strauß Rosen in die Hand. „Nimm sie in den Arm!“, rief einer der Zuschauer. „Sei nicht so blöd. Der wird dich sowieso immer wieder betrügen“, war die Meinung eines anderen. Mit einem Dackelblick schlich er verlegen zu Jana, überreichte ihr den Blumenstrauß und fragte, ob sie sich mit ihm verloben würde.

„Tue es nicht!“, rief ihr eine Frau mit knallroten Haaren zu. Das Mädchen ignorierte sie, fiel ihrem Freund glücklich um den Hals und rief ganz laut „Ja.“ Die beiden knutschten vor laufender Kamera, als wollten sie sich gegenseitig auffressen. Was für eine blöde Kuh. Wie ihre Zukunft aussieht, ist doch schon vorprogrammiert. Seufzend schaltete Maren den Fernseher aus und nahm einen Schluck von dem inzwischen kalt gewordenen Kaffee. Die blöde Kuh war sie selbst. Konrad hatte sich ihr gegenüber schon immer rücksichtslos verhalten. Damit war jetzt endgültig Schluss. Irgendwo tief in ihr steckte noch die alte Kämpferin von früher. Die holen wir jetzt aus ihrem Dornröschenschlaf heraus! Maren griff zum Telefon, wählte die Nummer, die auf dem zerknitterten Papier stand, und wartete, bis sich jemand meldete. Das Gespräch fiel sehr kurz aus. Sie verabredete sich für den folgenden Tag mit der jungen Frau, die sich ihr als Paula Winkler vorgestellt hatte.

Maren war schon nervös, bevor sie an dem vereinbarten Treffpunkt angekommen war. Die beiden Frauen begrüßten sich höflich. Anschließend gingen sie gemeinsam in den kleinen Biergarten einer gemütlichen Kneipe und setzten sich an einen runden Tisch. Der Biergarten war durch hohe Büsche vor den Blicken der vorbeieilenden Passanten geschützt. Am Nachbartisch saß engumschlungen ein verliebtes Pärchen und sah sich tief in die Augen. Die sind bestimmt verheiratet, aber nicht miteinander, dachte Maren zynisch. Dann sprach sie Paula direkt auf Konrad an und wollte wissen, seit wann sie ein Verhältnis miteinander hätten. Die junge Frau war so überrascht, dass ihr fast das Glas aus der Hand gefallen wäre.

„Sie glauben, ich hätte eine Affäre mit ihrem Mann? Der ist nun wirklich nicht mein Jahrgang.“

Maren sah sie irritiert an.

„Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr. Ich dachte, Sie sind die Geliebte meines Mannes und wollten mich zu einer Scheidung oder Ähnlichem überreden.“

Paula fing an zu lachen, wurde aber gleich darauf wieder ernst.

„Ich suche meinen Vater“, sagte sie leise.

Die Bombe war geplatzt. Maren entschuldigte sich kurz, stand auf und ging zur Toilette.

Sie stützte sich auf dem Waschbecken ab, ließ das Wasser laufen und sah eine Weile zu, wie es in den Ausguss floss. Dann bespritzte sie sich ihr Gesicht mit dem kalten Nass und drehte den Hahn wieder zu. Während sie sich ihre pochenden Schläfen massierte, überlegte sie fieberhaft, ob sie wirklich wissen wollte, was Paula ihr zu berichten hatte. Sie zog mit einem Lippenstift gedankenverloren die Konturen ihres schön geschwungenen Mundes nach. Anschließend öffnete sie mechanisch die Tür, begab sich auf den Weg zum Ausgang und wollte sich einfach davonschleichen…

Maren setzte sich dann aber doch wieder zurück an den Tisch. Sie wollte nicht mehr davonlaufen. Sie wollte sich dem Unabwendbaren stellen. Noch war sie jung genug, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und um noch einmal ganz von vorne anzufangen. Die junge Frau musste etwa Anfang zwanzig sein. Wenn sie tatsächlich Konrads Tochter war… Das wollte sie jetzt genau wissen.

„Was macht Sie so sicher, die Tochter meines Mannes zu sein? Haben Sie Beweise dafür?“, begann sie erneut das Gespräch.

Paula atmete tief durch.

„Das ist eine lange Geschichte“, antwortete sie zögernd.

„Ich habe Zeit“, erwiderte Maren.

Paula wuchs bei ihrer Tante und ihrem Onkel auf. Von ihren leiblichen Eltern wusste sie so gut wie nichts, das Thema war tabu. In der Pubertät forderte sie dann die unbeantworteten Fragen aus ihrer Kindheit energisch ein, bekam aber keine Antworten. Sie fing an zu rebellieren, zog nachts mit falschen Freunden um die Häuser, betrank sich und begann zu kiffen. Oftmals wurde sie von der Polizei nach Hause gebracht, bis sich irgendwann das Jugendamt einschaltete. Mit siebzehn landete sie schließlich in einer betreuten Wohngruppe. Anfangs hatte sie Probleme damit, sich den Regeln dort anzupassen. Die Pädagogin war aber eine geduldige und verständnisvolle Frau, die ihr half, den richtigen Weg für sich zu finden. Paula beendete die Realschule mit einem passablen Zeugnis und begann eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Durch den Erfolg wuchs auch ihr Selbstvertrauen. Mittlerweile hatte sie ihre Ausbildung abgeschlossen und durfte weiterhin in der Praxis arbeiten. Die Patienten mochten ihr angenehmes Wesen und unter den Kolleginnen fand sie in Kassandra eine gute Freundin. Mit ihr und einem anderen Mädchen gründete sie vor einem Jahr eine WG. Das Verhältnis zu ihrer Tante und ihrem Onkel war inzwischen ganz in Ordnung. Die freuten sich, dass sie sich so gut entwickelt hatte. Trotzdem sehnte sich Paula mit allen Fasern ihres Herzens nach ihrer Mutter, an die sie sich kaum noch erinnern konnte.

Vor ein paar Wochen waren Mom und Dad, wie sie die beiden nannte, nach Miami geflogen. Sie wollten mit einem Wohnwagen quer durch Florida bis nach Kalifornien fahren. Davon träumten sie schon seit Jahren. Sie hatten Paula gebeten, sich in ihrer Abwesenheit um ihre Katze zu kümmern und die Pflanzen zu gießen.

Eine Woche vor deren Rückkehr aus den Staaten machte sich Paula wie jeden Tag auf den Weg zu ihrem alten Zuhause. Sie schloss die Wohnungstür auf, betrat den Flur und hängte ihre Jacke an den Haken der Garderobe.

„Na, Minka, hast du Hunger?“, fragte sie die alte Katze, die ihr schnurrend um die Füße strich. Sie nahm sie auf den Arm, streichelte sie zärtlich, gab ihr einen Kuss auf die feuchte Nase und setzte sie zurück auf den Teppich. Dann ging sie in die Küche, holte das Katzenfutter aus dem Schrank und füllte den Fressnapf. Gierig verschlang das Tier seine Mahlzeit. Anschließend leerte Paula das Katzenklo und füllte es mit frischer Streu.

„So, mein Kleines. Alles wieder sauber. Bist du satt?“ Ein zufriedenes Maunzen war die Antwort. Nachdem die Katze gut versorgt war, goss sich Paula Milch in ein Glas und trank es in einem Zug aus.

„Was machen wir jetzt?“, überlegte sie laut, ging dann in ihr altes Kinderzimmer und sah sich darin um. Früher hatten rosafarbene Möbel in dem Raum gestanden. Auf dem Bett hatten ihre Puppen und Kuscheltiere gesessen. Nachdem sie ausgezogen war, wurde das Zimmer renoviert und nun als Gästezimmer genutzt.

Ihre Kindheit war schon schön gewesen und sie wusste, dass die Schwester ihrer Mutter sie wie eine eigene Tochter liebte. Sie selbst konnte keine Kinder bekommen. Ich hätte so gern einen großen Bruder gehabt. Paula legte sich auf das Bett und rollte sich wie ein Embryo zusammen. „Mama, warum hast du mich verlassen?“, schluchzte sie mit einem Male und weinte sich schließlich in den Schlaf.

Erst gegen Mitternacht erwachte sie wieder. Um nach Hause zu fahren war es schon zu spät. Sie ging ins Wohnzimmer und holte ein paar Fotoalben aus dem Schrank. Dann setzte sie sich im Schneidersitz auf den Fußboden und schaute sich die Bilder aus der Vergangenheit an. Als sie die Alben wieder zurück ins Fach legen wollte, stieß sie gegen eine kleine Schachtel. Neugierig holte sie sie hervor und öffnete den Deckel. In der Schachtel lagen lose ein paar alte Fotos. Mit zitternden Händen nahm sie eines davon heraus. Darauf war eine junge Frau mit halblangen, blonden Haaren zu sehen. Sie schaute traurig in die Kamera. Auf ihrem Schoß saß ein kleines Mädchen mit einem blauen Stoffhasen im Arm. Paulas Herz raste vor Aufregung. Den Hasen besaß sie immer noch, allerdings fehlte ihm inzwischen ein Ohr. Gespannt sah sie sich die anderen Fotos an. Auf dem einen war die junge Frau als Piratin verkleidet und auf dem anderen lehnte sie lässig an einem Motorrad. Das letzte Bild ließ Paula erstarren. Vor einem VW Cabrio stand ein Paar. Der Mann sah älter aus als die Frau, irgendwie kam er ihr bekannt vor. Er hatte seinen Arm besitzergreifend um ihre Schultern gelegt, sie schaute ihn ganz verliebt an. Die Frau war ihre Mutter, das war eindeutig. War der Mann an ihrer Seite etwa ihr Vater? Paula behielt das Foto noch lange in der Hand. Dann legte sie die Schachtel wieder in die hinterste Ecke des Regals und verschloss die Schranktür.

Aufgewühlt ging sie zurück ins Gästezimmer, kroch angezogen unter die Bettdecke und starrte das Foto weiter ungläubig an. Sie sah der jungen Frau sehr ähnlich. Vor allem an den Augen und der hohen Stirn erkannte sie die familiäre Übereinstimmung. Paula suchte nach Hinweisen in dem Gesicht des Mannes. Auch ihre Oberlippe war etwas schmaler und am Kinn hatte er, wie sie auch, ein Grübchen. In ihrem Kopf wirbelte alles durcheinander. Irgendwann schlief sie erschöpft ein. In ihrem Traum lief die Frau auf dem Foto mit weit geöffneten Armen auf sie zu und rief immer wieder ihren Namen…

Maren zeigte sich sichtlich bewegt, als sie von der Geschichte erfuhr. Paula erzählte ihr, dass es schon immer ihr größter Wunsch gewesen sei, zu wissen, was mit ihrer Mutter geschehen war und wer ihr Vater ist. Sie hatte aber keine Anhaltspunkte oder Unterlagen, um selbst nach ihnen zu forschen. An ihre Mutter konnte sie sich kaum noch erinnern. Außer an ein schemenhaftes Gesicht, ihren vagen Geruch und die Erinnerung an das Gefühl, wenn sie sie zärtlich in ihren Armen gewogen hatte. Paula war erst zwei Jahre alt, als sie für immer aus ihrem Leben verschwand.

„Wie kamen Sie darauf, dass es sich bei dem Mann auf dem Foto um Konrad handeln könnte?“

„Ich erinnerte mich an einen Artikel, den ich in einer Fitnesszeitschrift gelesen hatte. Es ging dabei um die Eröffnung des dreißigsten Schuhmachers Wonderland Gym. Da trainiere ich übrigens auch, deshalb interessierte mich der Bericht über diese Party.“