Beste Bestien - Wolfgang Wiesmann - E-Book

Beste Bestien E-Book

Wolfgang Wiesmann

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  • Herausgeber: OCM
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
Beschreibung

Der zweite Fall für das Münsteraner Ermittler-Duo Fey Amber und Hanno Albers: Diesmal führt die Spur ins Drogenmilieu. Brutale Attacken auf Drogendealer deuten auf einen Bandenkrieg hin. Fey Amber hegt den Verdacht, dass ein einzelner Täter im Hintergrund operiert. Wie aus dem Nichts hetzt er abgerichtete Hunde präzise auf seine Opfer und bleibt bei jedem Angriff auf mysteriöse Weise im Verborgenen. Sein Motiv ist unklar und seine Identität ein Rätsel – bis neue Indizien belegen, dass es sich um einen wahren Hundeflüsterer handeln muss, der sich auch mit Schlangengift und Waranspeichel bestens auskennt.

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Seitenzahl: 245

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Das Cover zeigt einen, verlassenen und zerfallenen Güterbahnhof durch den ein überwuchertes Bahngleis liegt, das auf einen dunklen Tunnel zuführt. Neben dem Gleis steht ein Dingo. Über das Gleis läuft ein weiterer Dingo.

Impressum

©2025 OCM GmbH, Dortmund

ISBN 978-3-949902-23-9

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung des Verlags.

Der Verlag hält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche ­un­befugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Gestaltung, Satz und Herstellung: OCM GmbH, Dortmund

Verlag:OCM GmbH, Dortmund,www.ocm-verlag.de

Beste

Bestien

Wolfgang Wiesmann

Inhalt

Venezuela, 1990

Mordkommission Münster, Juni 2014

Einsatz

Wein

Ein Zeuge

Manöver

Das Piranha

Ahaus, 3:25 Uhr

Canis lupus familiaris

Casting

Wiedersehen

Keppler

Jesse Richardson

Olson und Brandauer

Leerlauf

Kreuzviertel

Mephisto

Feierabend

Chemie

Krisenwind

Auswärtiges Amt, Berlin

Visite bei Olson

Zuchtauswahl

Mommsen

Zoologie

Motivsuche

Frischer schwimmt

Observation

Steider Heck

Drohne

Raststätte

Lektion

Netz

Alter Knochen

Chefsache

Ring frei

Sammlung

Ballhoffs Hunde

Bluffchen

Friedrich

Indoors

Spaltprodukte

Fabiola

Kollateralschaden

Auswärtiges Amt, Berlin

York

Kaffeesatz

Erste Dosis

Zweite Dosis

Dritte Dosis

Im Uferlos

Auswärtiges Amt, Berlin, Juni 2014

Markierung

C.K.

Fährte

Auswärtiges Amt, Berlin

Norden

Der Kardinal

Vernetzung

St. Mauritz

Rache

Berlin

Konferenz

Alte Prominenz

Warten

Frühstück

Makkardo

Recht

Betriebsfeier

Venezuela, Caracas, Juli 2014

Über den Autor

Über den Verlag

Orientierungsmarken

Cover

Impressum

Inhaltsübersicht

Textanfang

Seitenliste

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Venezuela, 1990

Feinster Nebelregen flutete das Dach des Dschungels. Silbrig glänzendes Grün hing schwer an Büschen und Bäumen. Zweige bogen sich tief unter der getränkten Blätterlast. Tropfen rannen über seine Stirn und Wangen. Wie eine Gottesanbeterin verharrte er mit aller Kunst der Tarnung, die rechte Hand auf einen verrotteten Baumstamm gestützt, die andere umfasste den Bogen. Sein linkes Knie bohrte sich in die klumpige Erde unterhalb der Schichten aus Morast und Humus. Das andere Knie hatte er angewinkelt, um es ihm leichter zu machen, einen Grashalm weiter nach vorne zu kriechen. Ein vom Salz seiner Haut getränkter Tropfen glitt an seinen Lippen entlang. Eine Haarsträhne, die er verschwommen vor Augen sah, tarnte seine bronzene Gesichtshaut. Im fahlen Schein des Dickichts sah er Schatten in den Wipfeln sprunghaft huschen.

Der melodische Schrei eines Schapus durchbrach das Summen der Insekten – eine günstige Gelegenheit, die Lungen tief mit Sauerstoff zu füllen. Beim Ausatmen bogen sich filigrane Halme zur Seite und legten die Sicht frei. Seine Beute hangelte im Geäst der Bäume wild umher. Augen leuchteten auf, aber zogen ahnungslos an ihm vorbei. Er streckte seinen kleinen Finger nach außen, unübersehbar für seinen Begleiter, der den Flügelschlag eines Moskitos nicht überhört hätte und auf seinen Meister fixiert war, als hinge sein Leben von ihm ab. Das leise Rauschen eines Windstoßes strömte auf ihn zu. Buschige Farne woben sich sanft um ihn und seinen vierbeinigen Gefährten. Er spürte seine Pfote an der Innenfläche seines Fußes. Diese Berührung hatte er nicht gelernt, er machte es einfach, als wäre es ein verabredetes Zeichen. Sie standen zusammen, treu dem Vermächtnis von Wolf und Mensch.

Der Moment des Angriffs begründete sich nicht auf eine einzelne Entscheidung, sondern auf das talentierte Gespür der beiden Jäger. Alle Sinne waren bis aufs Äußerste vernetzt, bereit, ohne das Zutun eines Gedankens das Kommando zu geben. Intuition war eine Gabe der Natur, aber er hatte sie zur Kunst perfektioniert. Die Fehler der Vergangenheit hatten ihn gelehrt, voll und ganz auf das Spiel seiner Gefühle zu vertrauen, so wie es ihm sein Vater beigebracht hatte. Der Kampf ums Überleben bestand nicht im Kämpfen, sondern in der bewussten Anwendung von Erfahrungen und ihrer Verarbeitung in eine individuelle Klugheit. Er wusste, dass seine Beute ihn normalerweise hätte riechen können, aber es hatte geregnet und nach dem Regen kam die Sonne und legte berauschende Düfte frei. Die Luft roch süßlich, schwanger vom Nektar ausgewaschener Blütenstauden. Doch bevor sein Schweiß verdunstete und warnende Signale in die Höhe der Baumwipfel trieb, musste er handeln. Das Verharren kostete Kraft, aber die Ausdauer hatte sich bezahlt gemacht, und nicht zuletzt kam es auf den blitzschnellen Gebrauch seiner Waffe an. Sollte er auf ein Zeichen seines vierbeinigen Begleiters warten? Er traute ihm zu, das Kommando zu übernehmen. Das winzige Zucken eines Körperteils würde genügen. Vierzig Fuß trennten ihn von einem saftigen Abendmahl. Als plötzlich ein Schwarm Papageien aus den Kronen der Bäume in die Luft schoss, schnellte Makkardo in die Höhe. Das tosende Geräusch der Vögel hatte seine Beute abgelenkt. Reflexartig zog er einen Pfeil aus der Gurttasche und legte an. Die Durukulis reckten aufgeregt ihre Köpfe und schnupperten in die von den Papageien aufgefächerten Luftwirbel hinein. Einige waren bereits im Begriff, die Flucht zu ergreifen, da fiel einer von ihnen vom Ast. Mit ohrenbetäubendem Geschrei stoben die anderen auseinander. Allegro jagte los. Nach wenigen Sprüngen hatte er sein Ziel erreicht. Er tappte auf die zuckende Beute am Boden zu und apportierte sie gehorsam zu Makkardo, der den toten Affen über die Schulter warf und den Heimweg antrat.

Sieben Meilen quer durch den Dschungel lagen vor ihm. Voller Stolz würde er später in die Gesichter seiner jüngeren Geschwister blicken, wenn sie sich über den gerösteten Braten hermachten und seine Mutter würde schwärmen, was für ein toller Jäger er sei. Sein Vater aber würde stillschweigend zur Tagesordnung übergehen. Doch Makkardo war sich sicher, das Strahlen in den Augen seines Vaters zu sehen und das wäre seine größte Belohnung.

Allegro lief vor ihm her, verlangsamte aber plötzlich seinen Gang und schnupperte in den Wind. Makkardo beobachtete ihn argwöhnisch und setzte seinen Weg fort. Immer deutlicher stieß ihm ein beißender Geruch in die Nase und erfüllte ihn mit Schrecken, weil es so penetrant nach verkohltem Fleisch roch. Allegro trottete verängstigt hinter ihm her. Ein flehender Schrei ertönte aus der Ferne, ein Schuss fiel und dann sah er Rauch, der grauschwarz in den Himmel stieg. Er hielt inne. Waren das die Vorboten dessen, was sein Vater warnend prophezeit hatte, als er von der Invasion des Bösen sprach?

Makkardo ließ den Affen von seinem Rücken gleiten, warf den Bogen von sich und rannte los. Seine Befürchtungen nahmen Gestalt an. Fremde Männerstimmen kündigten ihm an, dass sein Stamm und seine Familie in Gefahr waren. Dann trat er aus dem Schutz des Regenwaldes auf die Lichtung und sah sein Dorf verwüstet. Einem Schlachtfeld gleich lagen die Hütten in Schutt und Asche, das Vieh war geflohen, Kinder hockten eingepfercht hinter einem Maschendrahtzaun. Frauen standen klagend um einen Mann herum, der am Boden lag und sich vor Schmerzen krümmte. Ein anderer Mann, der seinem Onkel ähnlich sah, lag reglos über der Tränke für die Kühe.

Makkardo ging mit gleichmäßigen Schritten auf die Männer zu, die eine Frau in ihrer Gewalt hatten. Es war seine Tante, die vor Verzweiflung schrie und nun in die Knie ging. Die raue Gewalt vor seinen Augen lähmte seinen Gang. Sein Herz bebte in seiner Brust und schlug pochend bis in seinen Kopf. Er wollte eingreifen, doch seine Knie versagten, zitterten, sodass ihm das Gehen schwerfiel. Die Männer lachten ihn aus und ergötzten sich an seiner Furcht. Da sah er plötzlich seinen Vater. Er saß an einem Tisch. Zwei der Banditen hatten seine Arme hinter die Stuhllehne gefesselt. Dann hörte er die Stimme seiner Mutter, die in einem der Jeeps mit anderen Frauen eingepfercht war, ihre Hände an die Scheiben drückte und immer wieder seinen Namen rief.

„Komm her Kleiner!“, befahl ein bärtiger Mann, der einen schmierigen Lederhut trug und einen Patronengurt um die Hüften geschnallt hatte. „Bist du der Sohn des Stammesführers?“

Makkardo sah in die rot unterlaufenen Augen seines Vaters, der vor Leid immer tiefer zusammensank. Er blutete aus dem Mund und wollte etwas zu ihm sagen, aber seine Sprache versagte. Makkardo hatte ihm damals gut zugehört, als er ihm von der Gier des weißen Mannes erzählt hatte und wusste nun seine Botschaft auch ohne Worte zu verstehen. Schweige und erdulde! Das war seines Vaters Rat gewesen. Und dass sie kommen würden, daran hatte er keinen Zweifel gelassen. Makkardo fühlte, wie sich ein zorniger Ungehorsam aufbäumte. Wie sollte er schweigen und erdulden? Trotzig gab er seine Antwort.

„Ich bin der Sohn des Häuptlings. Lasst meinen Vater gehen!“ Makkardo zeigte auf den schlaffen Körper des Mannes am Tisch. Einer der umstehenden Männer zog daraufhin ein Messer und schnitt dem Mann die Kehle durch. Das Blut spritzte aus beiden Halsschlagadern, sodass die Männer, die den Häuptling bewachten, zurückwichen. Auf dem Tisch ergoss sich eine Blutlache. Makkardo erstarrte. Durch seinen Körper schoss eine Kältewelle, die sein Herz vereiste. Ihm war, als verlören seine Füße den Kontakt zur geliebten Erde, ebenso wie seine Gedanken verblassten und Formen und Farben aus der Welt entwichen. Am Horizont zog eine schwarze Wolke auf. Schweigen und erdulden, hatte sein Vater gemahnt. Rache war ein Wort, das er nicht kannte, aber er fühlte, wie sich ihr Same in jede seiner Körperzellen einbrannte.

„Du führst von nun an den Stamm“, grölte der Mann mit Hut und zündete sich einen Zigarillo an. „Ihr werdet für uns arbeiten. Felder bestellen. Das Saatgut bekommt ihr von uns. Packt eure Sachen. Wir zeigen euch, wo ihr roden sollt. Hast du verstanden?“

Makkardo sah zu dem Mann auf, dessen zerfurchte Haut sich über seine Wangenknochen spannte und ihm eine mumienhafte Maske verlieh. Sollte er ihm das Messer in den Bauch rammen, das er unter seinem spärlichen Lendengurt trug? Makkardo schwieg und folgte dem Rat seines Vaters. Er würde mit dem Leben davonkommen, aber sein Weg in die Zukunft war von Stund an ein anderer. Er sah Allegro, wie er ängstlich unter einem Strauch kauerte. Der Abschied tat weh, aber sein treuer Freund würde sich durchschlagen. Da hatte er keine Sorge. Er schwörte, eines Tages zurück zu kehren. Und träfe er nicht auf Allegro, so kämen andere, die den Ruf des Wolfes in seiner Stimme erkennen würden. Der bestialische Mörder seines Vaters stieß ihn mit einem Gewehrkolben in den Rücken.

„Hast du verstanden? Wenn du nicht parierst, wirst du deine Mutter nie wiedersehen. Geh, und sage es allen. Eure Tiere braucht ihr nicht mehr. Wir werden für euch sorgen.“

Der Mann zeigte auf die Viehstallungen. Dort lagen verkohlte Kadaver von Kühen und Ziegen, denen die Flucht nicht gelungen war. Sie waren erschossen, mit Benzin übergossen und verbrannt worden. Makkardo warf einen scheinbar unbeteiligten Blick auf den leblosen Körper seines Vaters und ging zum Jeep, in dem seine Mutter verzweifelt auf ihn wartete. Ein Schuss fiel. Die Kugel schlug vor seinen Füßen in das staubige Erdreich.

„Deine Mutter kommt mit uns, bis du deinen Auftrag erledigt hast“, brodelte die Stimme eines Bandidos.

Makkardo blickte in das von lebloser Gleichgültigkeit gezeichnete Gesicht seiner Mutter. Er kannte diesen Ausdruck. Damit gab sie in Zeiten familiärer Unstimmigkeiten seinem Vater und ihm zu verstehen, in Ruhe gelassen zu werden. Ihre wahre Botschaft lautete allerdings, den Anweisungen der Männer zu folgen und sie zu vernachlässigen. Er spürte erneut den Aufschrei seines Ungehorsams. Der weitere Schritt auf den Jeep zu, würde sein letzter sein. Trotz und Stolz waren es nicht wert, dass er jetzt eine Kugel in seinem Rücken riskierte. Er sah tief in die Augen seiner Mutter und ging dann zu den anderen Dorfbewohnern, die sich zum Abtransport versammelt hatten. Er stieg mit ihnen auf den Lastwagen.

Sechs Monate später griff die Polizei Makkardo in Carmen de Cura auf. Bis dorthin war er der Spur des Jeeps, in dem seine Mutter verschleppt worden war, gefolgt. In der Stadt hatte er allerdings ihre Spur verloren. Einige Tage später war er bei einem Ladendiebstahl erwischt worden. Da er keinen festen Wohnsitz oder Verwandte vorweisen konnte, wurde er in ein staatliches Waisenhaus gesteckt. 1992 wurde er im Alter von dreizehn Jahren durch eine internationale Hilfsorganisation als Adoptivkind an ein deutsches Ehepaar in Münster vermittelt.

Mordkommission Münster, Juni 2014

Fey Amber blätterte im Buch von Wilhelm Busch. „Ritsche ratsche, eine Lücke in die Brücke“ hieß es in der Geschichte von den beiden Strolchen Max und Moritz, die dem alten Lehrer Lämpel ein ungewolltes Bad im Fluss bescheren wollten. Sie stellte das Buch zurück auf die Fensterbank und wünschte sich, dem schlitzohrigen Albers noch mal über den Weg zu laufen. Beim letzten Fall, als es um einen religiösen Fanatiker ging, war Albers für ihren auf Reisen befindlichen Kollegen Mörris eingesprungen. Mit Anfang siebzig war er nicht ihr Wunschkandidat gewesen und wie zu erwarten war, gab es deutliche Anlaufschwierigkeiten. Sie hatte sich nicht mit seinen scheinbar aus der Luft gegriffenen Ideen anfreunden können. An Fantasie ließ er es nicht mangeln und genau das war für sie sehr gewöhnungsbedürftig. Trotz ihrer Bedenken stellte sich heraus, dass sich wie von selbst ein Teamgeist entwickelte. Ohne Albers hätte sie den Fall nicht gelöst. Sie waren beide nach Irland gefahren, um dort nach den Motiven eines dreifachen Mörders zu recherchieren. Damals wehte ihnen wegen ihrer absonderlichen Ermittlungsmethoden herbe Kritik entgegen, doch allen Unkenrufen zum Trotz, strichen sie am Ende die Lorbeeren ein.

Lernen Sie mir die Menschen kennen, hatte Albers ihr vor neun Jahren auf den Rezeptblock geschrieben, als er seinen Posten bei der Kripo Münster räumte und sie an seine Stelle getreten war. Nun war sie dank seiner Raffinesse und seiner Neigung zu unkonventionellen Methoden befördert worden und bekam nicht nur 300 Euro im Monat Gehaltszuschlag, sondern hatte über Münsters Grenzen hinaus an beruflichem Prestige hinzugewonnen, wofür sie mancher männliche Kollege beneidete.

Ihr Chef Carstensen hatte ihren Antrag auf Beförderung mit überschwänglichen Worten des Lobes befürwortet und sie inständig gebeten, die Möglichkeit einer Versetzung an einen anderen Dienstort ihrer Wahl, nicht wahrzunehmen. Carstensen wollte sie behalten. Das tat gut, obwohl sie wusste, dass es ihm hauptsächlich ums persönliche Image ging.

Im Präsidium war es in letzter Zeit ziemlich still. Ausnahmsweise störte sie dieser Zustand, denn er ließ sie ihre unerklärliche Unruhe deutlicher fühlen. Ihre Romanze mit Trevor, ihrem irischen Eroberer, war nicht ohne Folgen geblieben. Hatte sie sich verliebt? Im Grunde war die Frage ohne Belang. Er war weit weg, hatte einen Job auf der grünen Insel und sie in Münster. Dennoch schwelte da ein Gefühl von Verlust oder gar Verlassenheit. Zärtliche Gedanken hatten bei der Arbeit keinen Platz und eigentlich konnte sie sich sehr gut kontrollieren. Dass sie überhaupt an eine Beziehung mit einem Mann dachte, hätte sie vor einigen Wochen mit einem müden Lächeln quittiert. Sie machte besser einen nicht so verliebten Eindruck, denn jeden Moment könnte Kollege Mörris aufkreuzen und würde einen Berg Erinnerungen von seiner Himalaja Reise vor ihr auftürmen. Mörris war nett, aber nicht der Typ Mann, mit dem sie Intimes teilen wollte.

Sie warf einen Blick auf Anneliese, die eine Schale frische Erdbeeren vor sich stehen hatte. Als könnte man den Takt einer Uhr danach stellen, wanderten die köstlichen Beeren in ihren Mund, ohne dass es sie beim Tippen störte. Fey ging in den Flur, holte sich einen Kaffee und setzte sich zu Anneliese ins Büro.

„Mörris hat gerade angerufen“, sagte Anneliese gedankenverloren, steckte eine Erdbeere in den Mund und schob Fey die Schale mit den Früchten hin. „Er hat den Everest nicht geschafft. Felsspalte! Da war’s vorbei mit dem Traum vom Gipfelstürmer.“

Anneliese war mit einem Landwirt verlobt. Zum Glück kein Schweinezüchter, hatte sie ausdrücklich betont, Pferde wären ihr am liebsten gewesen. Ihr Zukünftiger interessierte sich nicht wie Mörris für Paragliding, Cliffhanging oder Snowboarding, das sparte nach Annelieses Auffassung auch viel Geld. Er habe es zurzeit auf einen Zuchtbullen aus der Normandie abgesehen, erzählte sie stolz, schnappte Fey die letzte Erdbeere weg und reichte ihr das Münstersche Tagesblatt.

„Lies den Artikel neben dem Bild von den Dreharbeiten zum neuen Münster-Tatort. Es wurde zum zweiten Mal jemand von einem Hund angefallen. Der Liefers ist schon schnuckelig. Was meinst du, ob der privat auch so süß ist?“

Fey las sich in den Artikel ein. Auffällig an dem geschilderten Hergang war, dass es sich um einen umherstreunenden Hund gehandelt haben soll. Normalerweise rasteten die Hunde aus, die nicht artgerecht gehalten wurden, aber Straßenköter? Die waren mit allen Wassern gewaschen, hatten sich durchgeschlagen, machten ihr Ding. Dass sie spontan einen Menschen anfallen würden, kam ihr spanisch vor. Sie wurde neugierig.

„Du sagtest eben, dass es bereits zu einer Hunde­attacke gekommen war. Hast du darüber auch einen Zeitungsartikel?“

„Müsste im Altpapiercontainer liegen. Die Zeitung von gestern. Soll ich nachsehen?“

„Lass nur. Schreib du weiter.“

Fey griff nach der Zeitung, blätterte und fand die Textstelle. Zwei Tage zuvor war ein Mann nachts im Hafengebiet von einem mittelgroßen Hund attackiert worden. Der Passant habe schwere Verletzungen davongetragen, hieß es. Das Opfer beschrieb den Hund als kurzhaarigen Mischling. Er sei plötzlich aus einer Seitenstraße direkt auf ihn zu gelaufen und habe ihn, ohne Grund, bestialisch in Oberschenkel und Arme gebissen.

Fey überlegte, was den Hund zu einem solchen Verhalten veranlasst haben könnte. Er greift einen Mann an, dem er zuvor angeblich nie begegnet war, und zieht ab, als wäre nichts geschehen. Eine fragwürdige Situation. Tollwut? Davon hätte man gehört. Bleibt nur Auftragskillerhund, scherzte sie leise für sich, lächelte und legte die Zeitung beiseite.

„Was gibt’s zu schmunzeln?“, fragte Anneliese, die dafür bekannt war, dass ihr kleinste Regungen nicht entgingen.

„Ach, nur so eine Art Flashback. Albers würde anfangen, eine Geschichte um die Hundeattacken zu spinnen, Tiere als Waffe, dabei ist wahrscheinlich nichts dran. Obwohl, so dumm wäre das gar nicht. Der Täter könnte weit vom Tatort entfernt bleiben, während seine Bestie für ihn die Arbeit erledigt. Und wenn ein Hund draufgeht, beschafft er sich einen neuen und trainiert ihn. Er brauchte nicht mal einen Waffenschein.“

Anneliese lächelte, wobei ihre Grübchen zum Vorschein kamen, was sie augenblicklich um Jahre verjüngte, aber ihr irgendwie auch einen naiven Touch verlieh.

„Da kommt Mörris“, schnurrte sie, nahm die leere Schale vom Schreibtisch und ließ sie in den Papierkorb fallen.

„Auf Krücken!“, rief Fey laut aus. „Ich glaub’s nicht.“

Anneliese sprang auf und schob ihm einen Stuhl hinten in die Kniekehlen, sodass er beinahe rücklings in den Sitz gefallen wäre.

„Felsspalte!“, knurrte Mörris. „Die sind schlüpfrig, wenn’s Moos drüber gewachsen ist und du vor lauter Nebel die Hand nicht vor den Augen siehst. Schön, wieder im Lande zu sein. Ich würde euch gerne von meiner Fahrt von Kathmandu nach Lhasa erzählen und vom Dorje Drag Kloster, aber Carstensen meinte, ich solle mich nur kurz zurückmelden. Hab noch Physio; meine Lendenwirbel hat’s auch erwischt. Damit sollte man nicht spaßen. Ihr hattet mächtig Party, hab ich gehört. Dreifachmord. Der alte Albers feierte sein Comeback. Ich gönn’s ihm. Einmal sechs Richtige und immer berühmt. Er war es doch, der sich damals in Mogadischu einen Namen gemacht hat. Glück gehabt. Von 100 Fällen klären wir 84 % auf und das, weil wir unseren Job verstehen und nicht den Job zum Glücksrad machen. Ich muss los. Liegt was an?“

Mörris stützte sich auf seine Krücken. Anneliese hatte sich mit einer Pobacke auf die Ecke ihres Schreibtisches gesetzt und sprang nun auf, um Mörris behilflich zu sein.

„Nein, ich komme gut klar“, sagte Fey belanglos. Sie war froh, dass Mörris wieder abzog. Sein abfälliges Gequatsche über Albers hatte sie genervt und deswegen verzichtete sie auch gerne auf seine Urlaubsanekdoten.

Carstensen kam kurze Zeit später in ihr Büro, um ihr mitzuteilen, dass Mörris noch zwei weitere Wochen krankgeschrieben war. Fey ärgerte sich, dass Mörris zu feige gewesen war, ihr klipp und klar zu sagen, dass er fehlen würde und sie die Arbeit weiter alleine zu schultern hatte.

Einsatz

Auf dem Weg zu ihrem Wagen begegnete ihr Manfred Lütgenhaus im Treppenhaus des Präsidiums. Lütgenhaus war junger Kommissaranwärter im Drogendezernat. Er sprach sie übereifrig an.

„Guten Morgen, Frau Amber. Darf ich Sie kurz in einer dienstlichen Angelegenheit sprechen?“

„Nur zu. Um was geht es?“

„Es hat in der letzten Woche drei Hundeattacken auf Menschen gegeben. Vor einer Woche wurde ein Mann, der abends zur Tankstelle ging, um sich Zigaretten zu kaufen, von einem großen Hund angefallen. Das war in Gievenbeck. Diese Angelegenheit halte ich allerdings für weniger relevant.“

Fey staunte über den Zufall, dass auch Lütgenhaus auf die Hundeattacken aufmerksam geworden war.

„Was meinen Sie mit ‚weniger relevant‘?“

„Zwei Gründe: Erstens, der große Hund hatte sich von der Leine gerissen. Der Besitzer war also in der Nähe und ist jetzt dem Ordnungsamt bekannt. Der Hund war reinrassig, ein Kuvasz, ungarischer Hirtenhund. Zweitens, bei den jüngsten Fällen von gestern und vorgestern, handelte es sich um Mischlingshunde mittlerer Größe, die offenbar herrenlos herumstreunten.“

Lütgenhaus sah Fey abwartend an.

„Stellen Sie doch mal fest, ob es sich um ein und denselben Hund handelt. Wie auch immer, ich muss los, aber geben Sie mir gerne Bescheid, wenn es Neuigkeiten gibt.“

Der Kollege zögerte und bat um einen Moment.

„Die beiden ungeklärten Vorfälle ereigneten sich im Hafengebiet. Sie wissen ja, Drogenhandel und Straßenstrich. Vielleicht sind die Attacken milieubedingt und weisen auf andere Straftaten hin. Mein Chef gab mir den Auftrag in der Angelegenheit zu recherchieren, so als Einstieg, meinte er. Ich habe mir heute früh die Personendaten der beiden männlichen Opfer angesehen.“

„Das ist sicher sehr wichtig, Herr Lütgenhaus, aber ich muss jetzt wirklich weiter.“

„Verstehen Sie bitte, ich möchte meinen ersten selbstständigen Fall gerne erfolgreich lösen und da würden fachübergreifende Ermittlungen echt weiterhelfen.“

„Sie meinen, dass wir von der Mordkommission uns mit den Hundeattacken beschäftigen sollten, um die Kollegen vom Drogendezernat zu unterstützen?“

„Nicht direkt, aber es gibt vielleicht einen Zusammenhang, den man erst sieht, wenn man sich umfassend informiert. Es geht mir darum, Puzzlestücke zu sammeln, seien sie auch noch so klein. Am Ende ergibt sich eine Struktur und dann lassen sich neue Teile assoziieren und ergeben ein tragfähiges Gerüst.“

Fey lehnte sich ans Treppengeländer und schaute Lütgenhaus kopfschüttelnd und mit einem sympathischen Lächeln an.

„Albers Junior“, entglitt es ihr. „Nicht schlecht, Herr Lütgenhaus. Ich habe oft bedauert, dass der Informationsfluss unter uns Kollegen nicht optimal organisiert ist. Das ist Chefsache und wir sind im Münsterland. Da mahlen die Mühlen manchmal allzu langsam. Ich finde es aber gut, dass Sie mich angesprochen haben.“

Lütgenhaus strahlte.

„Ich habe recherchiert: beide männlichen Opfer sind vorbestraft. Brandauer wegen Körperverletzung und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und Olson saß wegen erpresserischer Nötigung und Drogen­besitz.“

„Das nenn ich eine Arbeitsbasis. Was haben Sie als Nächstes vor?“

„Ich werde mich bei Olson und Brandauer nach dem Grund für ihren Aufenthalt im Hafenbezirk erkundigen. Außerdem bin ich gespannt, ob ich Infor­mationen über den Hund erfahre und letztlich den ­Besitzer ausfindig machen kann.“

„Gut! So würde ich es auch machen. Vielleicht sollten Sie Ihre Verdächtigen für eine gewisse Zeit beschatten, bevor Sie mit der Vernehmung beginnen. Viel Glück!“

Wein

Drei Tage später, kurz nach Mitternacht, hielt ein Mercedes mit Anhänger vor einer Villa im Stadtteil St. Mauritz. Ein beleibter Mann, Mitte vierzig, stieg aus, zog seinen Hosenbund über die Hüftknochen und öffnete die Schlaufen an der Plane des Anhängers. Er warf den hinteren Teil aufs Dach und entriegelte die Ladeklappe. Anschließend ging er zum Haus, stieg eine seitliche Treppe hinab, öffnete die Tür zum Keller und stapfte mühsam wieder nach oben. Zurück am Wagen, strich er sich über die Stirn, zog erneut seinen Hosenbund über die Hüftknochen und begann mit dem Entladen des Anhängers. Er trug jeweils zwei Kisten, in denen sich, den Geräuschen zufolge Flaschen befanden, in den Keller. Erschöpft setzte er sich nach einer Weile auf die Ladefläche. Die Straße war von der mondhellen Nacht gut beleuchtet und so beobachtete er, wie ein Hund aus der Ferne in seine Richtung lief. Allem Anschein nach hatte der Hund es eilig und eigentlich war es nichts Besonderes, spät in der Nacht einem Hund zu begegnen. Auch in noble Wohnviertel verirrten sich die Streuner, obwohl dieser alles andere als verirrt wirkte.

Der Mann bemerkte verwundert, dass der Hund an Tempo zulegte und nun, da er auf zehn Meter an ihn herangekommen war, zum Endspurt überging, sodass sich der Schrecken des Mannes in Panik wandelte. Die Augen der Bestie strahlten wie Feuer, als sie zum Sprung ansetzte und wie von Sinnen über ihr Opfer herfiel.

Der Körper des Mannes prallte gegen die Weinkartons. Er streckte seine Arme abwehrend von sich, versuchte sein Gesicht zu schützen, doch der Hund packte zu wie eine tollwütige Furie. Immer wieder verbiss er sich in Arme und Beine, gierig, als wäre er aufs Töten aus. Die verzweifelten Schläge des wimmernden Mannes verfehlten ihr Ziel. Es war wie ein Wunder, als der Hund plötzlich aus dem Anhänger sprang und in die Richtung rannte, aus der er gekommen war. Fassungslos realisierte das Opfer, dass der Schrecken vorbei war. Blutverschmiert richtete der Mann sich auf und versuchte Haltung zu gewinnen. Ein überwältigender diffuser Schmerz durchzog seinen Körper. Er kroch auf allen Vieren aus dem Anhänger heraus, schaute sich um und schleppte sich zur Haustür.

Ein Zeuge

Ein Nachbar schellte am nächsten Morgen an der Haustür des Mannes, der nachts von dem Hund angefallen worden war. Die Tür blieb jedoch verschlossen und so entschied er sich, zur Polizei zu gehen. Auf dem Revier berichtete der Nachbar, was er gesehen hatte.

„Es war so um Mitternacht. Da hörte ich merkwürdige Geräusche. Sie kamen von der Straße. Als ich die Gardine beiseite zog, sah ich Kepplers Wagen mit Anhänger vor seinem Haus stehen. Keppler ist mein Nachbar gegenüber. Um den geht es. Plötzlich kletterte er aus seinem Anhänger heraus und humpelte zum Eingang. Na ja, dachte ich. Er lebt noch und ging wieder ins Bett. Als ich heute Morgen seinen Wagen unverändert vor der Tür stehen sah, ging ich rüber und wollte fragen, was los war. Er hat nicht aufgemacht.“

„Vielleicht schlief er noch“, meinte der Polizeibeamte.

„Ganz so harmlos sehe ich das nicht. Ich hatte den Eindruck, dass Keppler verletzt war. Wenn ich mich genau erinnere, krümmte er sich und tastete nach verschiedenen Stellen seines Körpers, als ob er sich dadurch Linderung verschaffen wollte. Das sah nicht gut aus.“

„Wir kümmern uns drum. Geben Sie mir die Adresse Ihres Nachbarn und wenn Sie hier bitte ihre Personalien eintragen.“

Der Beamte schob dem Mann ein Formblatt hin und verständigte die Streife. Kurz darauf fuhren zwei Polizisten zur besagten Villa in St. Mauritz, vor der ein Mercedes mit Anhänger stand. Die Plane war notdürftig verschnallt. Einer von ihnen ging direkt zur Haustür und schellte. Der andere sah sich den Wagen an und drückte die Plastikplane zur Seite. Der Anhänger war leer. Sein Kollege an der Tür wies ihn per Handzeichen an, in den Garten zu gehen und klingelte erneut. Da wurde ihm plötzlich geöffnet.

„Was wollen Sie?“, fragte Keppler, spreizte die Lippen und stöhnte leise. „Ich kann mich nicht erinnern, was verbrochen zu haben.“ Keppler hielt die Tür nur einen Spaltbreit offen. Der andere Polizist kam aus dem Garten zurück.