Zeugin des Schweigens - Wolfgang Wiesmann - E-Book

Zeugin des Schweigens E-Book

Wolfgang Wiesmann

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Wenn ein ganzes Dorf schweigt … Scaffolton, ein irisches Dorf, wird von einer Einbruchserie erschüttert. Eigentlich wollten die Täter sich nur heimlich in den Residenzen des alten irischen Adels vergnügen, doch dabei entdeckt einer von ihnen die Tagebücher der verstorbenen Lady Cameron. Den Camerons haftet ein dubioser Ruf an. Als die Tagebücher in die Hände von Chefreporter Jack Mitchell geraten, macht er es sich zur Aufgabe, das Geheimnis um die berüchtigte Familie zu lüften. Dabei stößt er auf einen unaufgeklärten Mord an einem jungen Familienvater und auch die IRA taucht im Dunkel der Vergangenheit auf. Die Dorfbewohner schweigen zu alledem. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und der mutige Reporter muss schließlich um sein eigenes Leben fürchten.

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Der AutorWolfgang Wiesmann absolvierte ein Ingenieursstudium, welches er mit dem Diplom abschloss. Später arbeitete er als Lehrer für Physik und Englisch an einer Gesamtschule in Castrop-Rauxel. Im Jahr 2000 wanderte er mit seiner Familie vom Münsterland nach Irland aus. Dort arbeitete er zunächst als Lehrer und Sozialarbeiter, bis er dann für zwei Jahre ein Restaurant im schönen Ausflugsort Mountshannon leitete. Heute ist Wiesmann als selbstständiger Therapeut und psychologischer Berater tätig. Seine Leidenschaft für Bücher hat er schon früh entdeckt, verbunden mit seiner Liebe zu Irland entstehen so sehr atmosphärische Werke. Sein erster Krimi erschien im Juni 2016. Wolfgang Wiesmann ist verheiratete und hat vier Kinder.

Das BuchWenn ein ganzes Dorf schweigt …  Scaffolton, ein irisches Dorf, wird von einer Einbruchserie erschüttert. Eigentlich wollten die Täter sich nur heimlich in den Residenzen des alten irischen Adels vergnügen, doch dabei entdeckt einer von ihnen die Tagebücher der verstorbenen Lady Cameron. Den Camerons haftet ein dubioser Ruf an. Als die Tagebücher in die Hände von Chefreporter Jack Mitchell geraten, macht er es sich zur Aufgabe, das Geheimnis um die berüchtigte Familie zu lüften. Dabei stößt er auf einen unaufgeklärten Mord an einem jungen Familienvater und auch die IRA taucht im Dunkel der Vergangenheit auf. Die Dorfbewohner schweigen zu alledem. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und der mutige Reporter muss schließlich um sein eigenes Leben fürchten.

Wolfgang Wiesmann

Zeugin des Schweigens

Ein Irland-Krimi

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.  Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin August 2016 (1) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016  Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95819-085-6  Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.  Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

HINTER DER ALTEN MOLKEREI

Ein Wagen schoss auf den Schotterplatz hinter dem verlassenen Molkereigebäude und kam mit blockierten Reifen zum Stillstand. Donnell sprang heraus und stieg hastig zu Jack ins Auto, der dort auf ihn gewartet hatte. Donnell sah gehetzt aus und blickte sich nervös nach allen Seiten um.

»Ich stecke in der Scheiße«, keuchte er, warf den Kopf nach hinten und holte tief Luft. »Die Polizei kann jeden Moment aufkreuzen.«

Jack grinste, als wäre das ein schlechter Scherz.

»Ich dachte immer, Lehrer wären stinklangweilige Typen.«

»Geh zum Teufel. Pat und die anderen wurden verhaftet.«

»Pat und wer? Wer sind die anderen? Wieso verhaftet?«

»Pat, Jenny und Dermot sind gestern Nacht beim Einbruch in die Villa des Scheichs geschnappt worden.«

Donnell wischte sich mit zittriger Hand den Schweiß von der Stirn. Jack blieb gelassen. Als Reporter kannte er hektische Situationen, eigentlich sein tägliches Geschäft.

»Was hat der Einbruch mit dir zu tun?«

»Wir sind davor in zwei andere Villen eingestiegen. Die Sache mit dem Scheich hat mich nicht gereizt. Sie werden mich verpfeifen. Sicher werden sie das.«

Jack erkannte, dass Donnells Lage ernster war, als er im ersten Moment gedacht hatte.

»Angenommen deine bescheuerte Geschichte stimmt, warum sollten sie dich verpfeifen?«

»Weil sie sauer sind, dass ich ungeschoren davonkomme.«

Jack schüttelte den Kopf und stöhnte vorwurfsvoll: »Ich fass es nicht. Du bist völlig durchgeknallt. Wie konntest du da mitmachen? Wer kommt auf eine so bescheuerte Idee?«

Donnell schaute nervös aus dem Seitenfenster, verzog die Mundwinkel und presste die Zähne aufeinander.

»Ich fass es selber nicht«, jammerte er. »Bierlaune. Wir standen vor Loughlin’s Bar und rauchten. Pat hat rumgescherzt, wegen Kate. Er meinte, ob ich schon wüsste, was sie drunter trägt und so. Dann erzählte er, dass ihn sein Dad mit auf eine Baustelle genommen hatte, eine pompöse Villa. Du kennst sie, das Schlösschen der Lady Gillford.«

»Das glaub ich jetzt nicht.«

»Ja, verdammt!«, schrie Donnell, als könnte er die Wahrheit durch sein Fluchen ungeschehen machen. »Dermot wollte in dem Luxus mal völlig austicken. Vielleicht war es auch sein Faible für Frauenkleider. Der war nur geil, denke ich. Jedenfalls ging es die ganze Nacht nur darum, wie es wäre, die Sau rauszulassen, im Reichtum zu baden wie die Könige. Ich habe mich breitschlagen lassen, dachte ans Fotografieren. Pat kam mit der verrückten Idee, die Fotos an Illustrierte und Magazine zu verhökern, na, die Klatschpresse in England, The Sun, News of the World und so weiter. Die würden Millionen springen lassen.«

Jack umfasste das Lenkrad und wünschte sich, er könnte für seinen Freund eine schnelle Lösung aus dem Ärmel schütteln.

»Hirnrissig, sich mit der Gillford anzulegen! Das kostet euch Kopf und Kragen.«

Donnell ignorierte die düstere Prognose.

»Geld und Luxus, das hat was. Da gehst du nicht einfach so in die Schlafzimmer, als wär das ein normaler Raum. Mit den Prominenten intim zu werden, pumpt dir das Blut in den kleinsten Zipfel. Jenny kam in einem Abendkleid und Perücke aus einem der Zimmer herausstolziert und strahlte. »Fühlen Sie sich wie zu Hause, meine Herren!«, spielte sie die Gastgeberin. »Lady Gillford lässt bitten.« Sie lehnte sich ans Treppengeländer und posierte vor der Kamera. Ich schoss sofort drauflos. Die Ähnlichkeit mit der echten Gillford war verblüffend. Als sie dann aus einem anderen Schlafzimmer kam und mich verschämt ansah, öffnete ich die Tür, und da stand Dermot in Strumpfhose, auf hochhackigen Schuhen und stieg gerade in einen roten Rock. Ich werde das Bild nie vergessen. Dermot schaute mich nur kurz an und zog dann in aller Ruhe den Reißverschluss zu. Er fand nichts dabei, stellte sich vor den Spiegel und bewunderte sich. Ach, Scheiße, Jack. Mir wird übel, wenn ich daran denke, was da noch kommt.«

»Das bringt euch in Teufelsküche. Die Gillford macht euch fertig.«

»Noch liegen die Fotos an einem sicheren Ort. Jenny ist über sich hinausgewachsen. Ich habe Bilder von der Gillford beim Schminken vor dem Badezimmerspiegel, wie sie sich auszieht, auf der Toilette sitzt und dann ins Bad steigt. Wir haben die Sau rausgelassen. Pat hat die edelsten Havanna geraucht und unbezahlbaren Cognac getrunken. Jenny und er haben sich später in eines der Schlafzimmer verzogen. Eigentlich hatten die nichts miteinander. Ich sag dir, Luxus, das ist ein Rausch, der alles andere in den Schatten stellt.«

Jacks Handy klingelte. Donnell zuckte zusammen. Jack ging ran und zog sofort die Augenbrauen hoch.

»Geh der Sache nach und sag Bescheid, sobald es was Neues gibt.«

»Wer war das?«, keuchte Donnell, er war schweißgebadet.

»Daniel, mein Bildreporter. Rate mal, wen sie statt deiner mit in die Villa des Scheichs geschleust haben?«

»Keinen Schimmer.«

»Anna.«

»Anna? Anna Fitzgerald, die Freundin von Dermot?«

»Anna Fitzgerald, die Tochter des Senators«, nickte Jack.

»Die hatten nur noch Sex in der Birne«, kommentierte Donnell reflexartig und kontrollierte mit einem umherschweifenden Blick die Umgebung.

Jack hatte Feuer gefangen, die Story würde sich zu einem Skandal ausweiten.

»Sag mal, ist Dermot nicht schwul, wenn er auf Frauenkleider steht?«

»Nee, er ist eigentlich stinknormal, aber ein scheiß Egoist. Er hat Anna bloß zum Vögeln mitgenommen. Jetzt hängt sie auch mit drin.«

»Verändert das deine Lage?«

»Wenn sie ordentlich Druck auf Anna machen, packt sie aus.«

Es wurde still im Wagen. Donnells Verzweiflung lag wie eine Dunstwolke in der Luft. Eine schnelle Lösung war nicht in Sicht.

»Diese Ungewissheit macht mich krank«, stöhnte Donnell. »Für dich ist es nicht ungefährlich, mit mir gesehen zu werden. Willst du mich nicht lieber rausschmeißen?«

»Quatsch. Inspektor Jenkins wird die Ermittlungen leiten. Der wird Anna schon nicht auffressen. Was hast du sonst noch verbrochen?«

»Die Villa der Camerons musste auch dran glauben.«

Jack schreckte zurück, riss die Augen auf und wusste im Moment nicht, wie er darauf reagieren sollte.

»Idioten! Die machen euch platt. Die Anwälte, alles schwere Bulldoggen. Die zerfetzen euch.«

Donnells verkniffenes Lächeln zeigte seine ganze Hilflosigkeit.

»Wir wollten nur unseren Spaß.«

»Ja, Scheiße. Der Jux kostet dich deine Pension und deine Zukunft.«

Donnell wurde noch blasser, was einen leichenhaften Schein in sein Gesicht warf. Jack sah seine üble Verfassung. Er versuchte Donnell abzulenken.

»Die Familie Cameron hat mich als Reporter immer interessiert. Die Villa wird von den Erben aus Amerika als Feriendomizil genutzt. Die Leute im Dorf machen gerne einen weiten Bogen um das Thema Cameron. Ich glaube, dass die Ursachen für die Abneigung tief in der Vergangenheit liegen.«

Donnell gewann Haltung. Jack kannte sich mit den lokalen Verhältnissen aus und pflegte als Reporter einen guten Draht zur Polizei. Eigentlich kannte jeder jeden, aber die alteingesessenen Bewohner blieben gerne unter sich.

»Nach den Familienfotos zu urteilen, wohnen dort zwei Familien«, erinnerte sich Donnell. »Ich weiß, wo sie ihre Pornos versteckt haben, welche Unterwäsche die Frauen tragen und welche Zigarrenmarke die Männer rauchen. Was mir aufgefallen ist: Es sah dort aus, als wären alle nur kurz für eine Sause zu McDonald’s gefahren. Sie haben alles stehen und liegen gelassen, bevor sie abgereist sind.«

Donnell verstummte und deutete nach draußen. Ein Auto kam auf die Molkerei zugefahren. Beide Männer lehnten sich zurück in ihre Sitze. Donnell hielt den Atem an. Angstschweiß perlte auf seiner Stirn. Der Wagen rollte gemächlich an der Molkerei vorbei. Jack blickte sich um.

»Keine Sorge«, wisperte er, »wahrscheinlich ein Farmer. Die fahren oft so langsam, weil sie sonst nichts zu tun haben. Die Camerons, erzähl mir mehr von der Wohnung! Was habt ihr dort getrieben?«

»Verdammt!«, schnaubte Donnell, dem der Schreck noch im Gesicht stand. »Ich bin doch kein Verbrecher. Muss ich jetzt in jedem Farmer einen Ermittler der Polizei sehen?«

»Das liegt ganz an dir. Fragt sich, wie lange du den Verfolgungswahn aushältst. Nun mach endlich weiter! Die Villa der Camerons. Ich würde was dafür geben, dort zu stöbern.«

»Wir waren oben in den Schlafzimmern. Ich habe drauflos gefilmt, während die anderen die Sau rausließen. Sie ergötzten sich an allem, was sie in die Finger kriegen konnten. Dermot stand vorm Schminktisch und verwandelte sich in eine Frau. Das hat er nicht zum ersten Mal gemacht. Er fährt völlig auf Kleider und Schuhe ab und hat sich überhaupt nicht stören lassen. Pat trug Mr Camerons Morgenmantel und nahm Jenny, die sich in Mrs Camerons Unterwäsche gehüllt hatte, auf dem Küchentisch und dann nach dem Champagner vor laufendem Porno auf der Großleinwand. Es hat denen nichts ausgemacht, dass ich sie dabei gefilmt habe. Dann ging das Ganze in den Zimmern der anderen Familie von vorne los. Ritzerhoff heißen die.«

Jack zog die Augenbrauen hoch.

»Ich kenne die Verhältnisse von früheren Recherchen. Die Villa gehört den Familien Cameron und Ritzerhoff zu gleichen Teilen. Stan Ritzerhoff hat das Sagen, was man so hört. Die Ritzerhoffs kommen aus Detroit und waren mal eine große Nummer im Automobilbau.«

Donnell setzte ein verklemmtes Lächeln auf.

»Da haben wir in den Badewannen der Superreichen Champagner und Bourbon getrunken und die feinsten Havanna gepafft und jetzt geht mir der Arsch auf Grundeis.«

Donnell zuckte, als Jacks Handy erneut klingelte. Jack ging ran und blinzelte Donnell zu. Eine Minute später beendete er das Gespräch.

»Daniel hat erfahren, dass sie den alten Jenkins mit dem Einbruch beauftragt haben. Also kein Grund zur Sorge. Ein scharfer Hund aus Dublin würde die arme Anna zerpflücken, und dann wärst du fällig.«

Donnell wurde trotz des Trostes nervöser. Jack sah ihm an, dass da noch eine Nachricht wartete, wollte ihn aber gewähren lassen.

»Warum hast du beim Scheich nicht mitgemacht?«

Donnell hielt einen Moment die Luft an, als stünde er vor seiner Verurteilung.

»Mach dich auf eine Sensation gefasst. Es gab einen verschlossenen Raum in der Cameron Villa. Dermot hat den Schlüssel zufällig unter einem Stapel Unterwäsche gefunden. Wir haben die Tür geöffnet, doch es war kein Lichtschalter zu finden. Dennoch war uns sofort klar, dass wir das Schlafgemach der alten Lady Cameron betreten hatten. Es war dunkel, kalt und es roch ranzig bitter. Mir blieb die Luft im Halse stecken. Die alten Möbel und das fein gemachte Bett erinnerten mich an eine Grabkammer, als hätte der Tod gerade noch auf der Bettkante gesessen. Dermot verließ den Raum als erster, dann die anderen. Etwas Magisches hielt mich zurück. Ich fasste an das hölzerne Gestell des Bettes und vergewisserte mich, ob es auch wirklich leer war. Ich kann dir sagen, in der Situation jagt dir der kleinste Luftzug das Blut bis in die Haarspitzen. Ich habe mich langsam durch das Zimmer getastet. Da fiel mir ein kleines Kästchen mit getrockneten Rosenblättern in die Hände. Ich habe es in meine Jackentasche gesteckt, dann habe ich wieder abgeschlossen und den Schlüssel zurück in den Wäscheschrank gelegt.«

»Hast du das Kästchen etwa mitgenommen?«

»Ich war fasziniert davon, ein Stück Zeitgeschichte in den Händen zu halten. Ich lag zu Hause im Bett und drehte das Kästchen hin und her. Da fiel plötzlich ein Schlüssel heraus. Ein dünnes Holzbrettchen hatte sich gelöst und einen doppelten Boden freigegeben. Fein säuberlich waren die Umrisse des Schlüssels in den massiven Boden eingefräst worden, ein todsicheres Versteck. Eine Lady würde den Schlüssel nicht weit von einem geheimen Ort aufbewahren, aber wo konnte der sein? Ich war überzeugt davon, dass die Lady in ihrem Schlafzimmer etwas Wertvolles versteckt haben musste, das bisher noch niemand gefunden hatte.«

»Bist du etwa zurück in die Villa?«

»Was blieb mir anderes übrig? Pat hatte die Alarmanlage wieder eingeschaltet, aber ich wusste genau, wo die Infrarotlaser und die Wärmedetektoren angebracht waren. Ich war dermaßen auf Adrenalin, versuchte keinen Laut zu machen, konnte kaum atmen, als ich mich die Treppe hochtastete. Im Zimmer der Lady überkam mich ein frostiger Schauer. Es war unwirklich, aber ich hatte das Gefühl, sie wäre dort, würde mich beobachten. Du glaubst nicht, wie oft ich mich umgesehen habe. Aber ich hatte ein Ziel und war überzeugt davon, etwas zu finden. Ich suchte nach einem Schloss, das in den Wänden verborgen sein musste. Zentimeter für Zentimeter klopfte ich vorsichtig über die Tapete, rückte die Möbel beiseite und tastete die Wände nach Unebenheiten ab. Dann entdeckte ich hinter einem Sideboard einen unscheinbaren Rahmen unter der Tapete. Es handelte sich tatsächlich um eine Tür. Ich kratzte die Tapete beiseite. Die Fugen zwischen Wand und Tür waren mit Gips zugeschmiert worden. Im Schlüsselloch steckte leider auch Gips. Der Schlüssel klemmte. Die harten Gipsstückchen waren in die Mechanik gefallen. Ich setzte den Schlüssel immer wieder von Neuem an, bis er sich langsam Stück für Stück weiterdrehen ließ. Und? Was glaubt der schlaue Chefredakteur des Munster Chronicle, fiel mir da in die Hände?«

»Berge alter, irischer Pfundnoten werden es wohl kaum gewesen sein«, scherzte Jack. »Schmuck kommt wohl auch nicht in Frage. Eine Frau würde vielleicht die Andenken an einen heimlichen Liebhaber aufbewahren. Aber deswegen machst du es doch nicht so spannend. Ich passe.«

»Scharf dran. In dem Schränkchen befanden sich die Tagebücher der Lady Cameron, insgesamt 18, zwischen den Jahren 1934–1951.«

In Jacks Augen war ein ungeheurer Fund. Es rankten sich die dubiosesten Geschichten um die Lady. Sie habe zwei Gesichter gehabt, sagten die alten Leute aus dem Dorf. Barmherzig und verstohlen. Lieblich und kalt. Was die Villa der Camerons betraf, so waren alle sehr abergläubisch. Sie trauten sich nicht in die Nähe oder gar durch das Tor einen Blick auf das Anwesen zu werfen.

Jack hatte trotz seiner aufwendigen Recherchen die Ursache für den negativen Ruf der Camerons nie herausgefunden. Er wusste nur, dass nicht Lady Cameron allein die Verantwortung für die mysteriöse Vergangenheit der Camerons trug, sondern das ganze Dorf daran beteiligt war.

Jacks ganze Leidenschaft bestand im Aufdecken der dunklen Machenschaften großer und kleiner Gauner. Das war seine Mission als Reporter, die nun eine Dimension der Superlative erleben würde. Die Tagebücher einer Frau waren an sich schon eine Delikatesse, denn eine Frau würde ihre Geheimnisse aufschreiben, anders als ein Mann, der sie in seinem Gedächtnis einschließen würde, um sie vor Diebstahl zu schützen. Jack ließ die Sensation durch seinen Körper rauschen, sah aber dann, wie sich alles auch ins Gegenteil kehren könnte. Sein Freund Donnell machte einen erbärmlichen Eindruck. Er hatte die Bücher illegal an sich genommen und bei seiner Festnahme würden sie konfisziert werden. Aber was sollte es, noch war Donnell nicht hinter Gittern. Er schlug ihm auf die Schulter.

»Du bist ein echter Meisterdieb, ein Mann mit dem richtigen Riecher für verstaubte aber geniale Fundstücke. Die Camerons und die Ritzerhoffs haben Geschichte geschrieben, aber niemand will sich damit befassen. Meine einst verfasste Chronik der Familie Cameron begründete sich nur auf zeitgenössische Dokumente, die aber zu keinem Zeitpunkt Anlass für eine Erklärung der zwielichtigen Verhältnisse gaben. Bis heute schweigen besonders die alteingesessenen Bewohner von Scaffolton. Die Lösung könnte in den Tagebüchern stehen. Die werfen bestimmt ein völlig neues Licht auf die Geschichte des Dorfes. Hast du sie schon gelesen?«

»Kann wohl kaum achtzehn Bücher in ein paar Stunden durchackern«, murrte Donnell.

Jack war außer sich. Sein journalistisches Gespür sagte ihm, dass er vor einer neuen Ära seiner Karriere stand.

»Okay, wie packen wir es an? Ich muss unbedingt einen Blick in die Bücher werfen.«

»Kein Problem. Das kannst du schneller haben, als du denkst. Sie sind bei mir im Auto. Dir ist klar, dass du dich mitschuldig machst?«

»Mich interessiert die Wahrheit, und ob ein so verrückter Vogel wie du ungeschoren aus der bekloppten Situation herauskommt.«

Donnell stieg aus und hievte einen Pappkarton aus dem Kofferraum seines Wagens. In dem Moment fuhr Pfarrer Egan an der alten Molkerei vorbei. Er grüßte Donnell mit einer Handbewegung.

»Auch das noch«, stöhnte Donnell. »Pfarrer Egan hat mich mit der Kiste gesehen.«

»Ruhig Blut. Egan hat über Jahre eine Beziehung zu einer Theologieprofessorin der Uni Cork gepflegt. Er kennt sich mit Schweigen aus.«

Jack verschloss den Karton mit den Tagebüchern im Kofferraum seines Wagens. Beide standen einen Moment sprachlos da. Die Sache, so verheißungsvoll sie für Jack aussah, hatte für Donnell einen makabren Beigeschmack. Lady Gillford und der Cameron-Ritzerhoff-Clan würden sich für die Einbrüche erbarmungslos rächen.

DAS POLIZEIREVIER VON SCAFFOLTON

Seit das irische Wirtschaftswunder, der Celtic Tiger, seine Pranken spielen ließ, war das Dorf Scaffolton zu einem Städtchen herangewachsen, weil es den Wohlhabenden aus Cork eine nahe Bleibe im Grünen bot. Am Kern der alteingesessenen Einwohner hatte sich allerdings nie etwas geändert. Immer blieben einige aus jeder Generation hängen. Die Familien kannten sich untereinander seit ewigen Zeiten.

Sergeant Monroe, der für Scaffolton zuständige Polizeibeamte, war Inspektor Jenkins wegen seiner örtlichen Kenntnisse zur Seite gestellt worden. Jenkins war an diesem Morgen aus Cork gekommen, um die Vernehmungen zu leiten. Er hatte Order von ganz oben erhalten. Es sollte untersucht werden, ob ein Attentat auf den Scheich geplant war. Aus politischen Kreisen wurde massiv auf eine lückenlose Aufklärung gedrängt.

Obwohl Jenkins die Festgenommenen Dermot, Jenny, Pat und Anna seit Stunden mit bissigen Fragen bombardierte, blieb das Motiv, nach dem er suchte, im Dunklen. Es hatte den Anschein, als wollten sich die Vier tatsächlich nur vergnügen. Er musste aber sicherstellen, dass keine terroristische Absicht dahintersteckte. Es passte nicht zum Verdacht eines geplanten Anschlags, dass keiner der Gauner vorbestraft war. Die Indizien am Tatort sprachen ebenfalls für die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen. Dermot hatte man nackt mit Anna in einem der oberen Schlafzimmer gefunden. Jenny und Pat hatten gerade eine Flasche Champagner geöffnet und wollten ins Jacuzzi steigen, als die Beamten die Tür zum Luxusbadezimmer aufstießen. Pat hatte erklärte, dass sie ihren eigenen Champagner mitgebracht hatten, weil sie befürchteten, dass es im Haus eines islamischen Besitzers keinen Alkohol gäbe.

Jenkins stand im Flur und rauchte eine Zigarette. Missmutig schaute er auf die Straße vor der Wache. Wie er es auch drehte, es wollte keine große Sache dabei herausspringen. Was aber, wenn er sich täuschte? Sein persönliches Risiko war nicht unbeträchtlich, falls er sich irrte, aber nach der bisherigen Ermittlung hatte er es mit harmlosen Kerlen zu tun. Er stammte selber aus einem kleinen, irischen Dorf und kannte sich mit den Gemütern der Leute aus. Er schnippte die Zigarette durchs Fenster und rief Anna zum Verhör ins Nebenzimmer.

»Kommen Sie, junge Frau, erzählen Sie mir nicht, dass Sie Ihre Karriere wegen einer so bescheuerten Idee aufs Spiel setzen. Sie sind bei einer schweren Straftat erwischt worden. Wann geht das endlich in Ihren Schädel?«

»Ich bin einfach nur mitgegangen. Dermot Reidy ist mein Partner.«

»Das ist keine Antwort. Sie und Mr Reidy sind dort nackt vorgefunden worden. Was war da los?«

»Spaß haben. Weiter nichts.«

»Wozu lag dort haufenweise Damenwäsche im Zimmer?«

»Warum stellen Sie diese Frage denn noch mal? Die hab ich doch eben schon beantwortet.«

»Ich möchte sehen, wie Sie reagieren.«

»Es ist mir unangenehm.«

»Unangenehm wird es erst im Gefängnis. Da müssen Sie und Ihr perverser Mr Reidy auf die feine Spitzenwäsche verzichten.«

»Dermot ist nicht pervers.«

»Ach, und warum wollte er sich dann einen BH anziehen? Genau das steht im Bericht über die Situation am Tatort. Sie erinnern sich nicht?«

»Er mag sich eben gerne so kleiden wie eine Frau, aber deswegen ist er nicht pervers.«

»Der verarscht Sie doch nach Strich und Faden, Mädchen.«

Anna blickte auf. Jenkins hatte einen harschen Ton angeschlagen. Sie musste schlucken, riss sich dann aber zusammen.

»Dermot, ich meine Mr Reidy, ist ein ganz normaler Mann, mit einem ganz normalen Sexleben.«

»Und Sie?«

»Seine Neigung stört mich nicht. Ich find das eher aufregend, aber das ist auch schon alles und außerdem geht Sie das nichts an.«

Jenkins ging mit gleichmäßigen Schritten im Raum auf und ab, beugte sich dann plötzlich über den Tisch und fixierte Anna, der er eine so resolute Haltung nicht zugetraut hätte, mit einem stechenden Blick.

»Wozu hatten Sie eine Kamera dabei?«

Anna tat, als überlegte sie.

»Wir dachten, schöne orientalische Kleider zu finden und wollten uns darin fotografieren.«

»Zu den Sauereien ist es leider nicht gekommen«, provozierte Jenkins sie.

»Was meinen Sie mit Sauereien?«

»Pornos ins Internet stellen und die reiche Kulisse umsonst bekommen.«

»Nein, das hatten wir nicht vor.«

»Genau, und deswegen muss es etwas anderes sein, Schätzchen!«, brüllte Jenkins. »Ich will das primäre Ziel dieser Aktion wissen. Warum hatten Sie die Kamera dabei?«

»Sagte ich doch schon«, jammerte Anna.

»Nein«, fauchte Jenkins, »ich will es Ihnen sagen. Das Haus sollte zwecks einer Geiselnahme oder eines Anschlags ausspioniert werden. Ich will von Ihnen wissen, wer an der Sache beteiligt ist. Wer sind die Hintermänner? Mit welchen Leuten haben sich die anderen drei getroffen? Gibt es jemanden, den Sie kennen, der von Ihrem Anschlag auf den Scheich wusste? Das Band läuft. Jede Falschaussage bringt Sie länger hinter Gitter.«

»Nein.«

»Was, nein?«

»Ich kenne niemanden. Dermot hat mich gebeten. Ich hab erst abgelehnt, aber er wollte eine Frau dabei haben, weil Jenny und Pat auch was miteinander hatten.«

»Also, Sie wollen mir weismachen, dass ihr vier dort zum Ficken eingebrochen seid?«

»Wir wollten Spaß haben.«

Anna schnupfte ihre Nase und jammerte nach ihrer Mutter.

Während Inspektor Jenkins immer frustrierter wurde, ging es Sergeant Monroe nicht anders. Die Wache in Scaffolton bestand lediglich aus zwei Räumen. Monroe sollte aufpassen, dass sich die drei anderen nicht absprechen konnten. Er hatte sie mit dem Rücken zueinander in ein Dreieck gesetzt und ihnen Stillschweigen auferlegt. Mitten in diese vermeintliche Ruhe hallte Jenkins krächzendes Gebrüll von nebenan. Pat war der Überlegene der drei Verdächtigen. Er versuchte, den anderen klammheimlich klarzumachen, was sie gemeinsam aussagen würden.

»Wie ist dein Chef so, Monroe, versteht er Spaß?«

»Halt die Klappe, Pat«, zischte Monroe.

»Ich mein ja nur. Gegen ein bisschen Sex ist doch nichts einzuwenden.«

»Du sollst dein Maul halten«, schnauzte Monroe. »Dein blödes Gerede wird dir schon vergehen. Das war kein Kavaliersdelikt. Und wenn du weiter die Ermittlungen behinderst, werde ich das zu Protokoll geben.«

»Du hast mich schon in der Schule nicht sonderlich beeindrucken können, auch wenn du eine Klasse über mir warst. Anna ist unschuldig. Wir haben sie überreden müssen mitzukommen. Sie sollte lediglich ein paar scharfe Fotos von uns schießen, so als Erinnerung für eine unvergessliche Nacht.«

»Jetzt ist Schluss. Du hältst die Schnauze. Ich hol Jenkins, der wird dir ins Gehirn blasen.«

Sergeant Monroe griff zum Handy und schaute Pat an, um dessen Reaktion zu beobachten. Monroe wirkte unbeholfen und konnte offensichtlich nicht verhindern, dass Pat ihm auf der Nase herumtanzte. Bei ihrer einheitlichen Aussage sollte es um zwei Dinge gehen. Sie hatten nur Sex im Sinn gehabt und Donnell musste aus der Sache herausgehalten werden, weil er ihnen als freier Mann mehr nutzen konnte.

»Okay, Monroe, ich geb nach«, lenkte Pat ein. »Wir waren immer zu dritt. Anna kann man nicht mitzählen. Sie ist ja noch ein halbes Kind.«

»Was heißt hier immer? Ihr habt also noch mehr verbockt. Wusste ich es doch!«

Pat war in seinem Eifer dieser kleine Fehler unterlaufen. Nun hoffte er inständig, Sergeant Monroe ließe ihm den Patzer durchgehen, aber da hatte er sich getäuscht. Jenkins war mit Annas Vernehmung fertig. Er hatte sie nicht in Widersprüche verwickeln können und brachte sie zu den anderen. Im Flur nahm Monroe Jenkins zur Seite und flüsterte ihm etwas zu. Dann führte er Pat zu Jenkins ins Nebenzimmer.

»Pat Carmody, Sergeant Monroe hat eine Bemerkung von Ihnen aufgeschnappt. Was meinten Sie mit ,immer zu dritt’?«’

»Wir sind Freunde, verstehen Sie, wir hocken zusammen, am Wochenende und so. Das ist alles. Das meinte ich mit ,immer’.«

»Ein ungewöhnlicher Club, möchte ich meinen, zwei Männer und eine Frau. Das passt doch hinten und vorne nicht. Wer von Ihnen ist der Boss?«

»Hören Sie, Inspektor, wir kennen uns hier in der Stadt. Die meisten sind zusammen zur Schule gegangen. Wir sind nur befreundet, schon immer befreundet. Es gibt keinen Boss, Quatsch.«

»Jetzt hören Sie mir gut zu, Carmody. Sie haben sich in ein Wespennest gesetzt. Ihnen wird der Arsch gehörig brennen. Wenn Sie jetzt ausspucken, werde ich mich persönlich für strafmildernde Umstände einsetzen. Was geht noch auf Ihr Konto? Die Aufdeckung der anderen Straftaten ist lediglich eine Frage der Zeit. Seien Sie vernünftig und retten Sie Ihre Kollegen vor einer satten Haftstrafe.«

Pat zögerte einen Moment. Jenkins hatte recht. Spätestens in ein paar Tagen würde die Polizei von den beiden anderen Einbrüchen erfahren. Sie würden Hunderte von Fingerabdrücken finden.

»Ich mach Ihnen einen Vorschlag, Inspektor. Einverstanden?«

»Sie kommen zur Vernunft. Schießen Sie los!«

»Ich kann mich mit meinen Freunden besprechen. Wir wollen keinen Anwalt. Das ist bestimmt in Ihrem Sinne. Nach fünf Minuten komme ich wieder zu Ihnen und werde Ihnen die Wahrheit sagen. Sie müssen verstehen, ich kann nur eine Aussage machen, wenn die anderen damit einverstanden sind, ist doch klar, Chef, oder? Wie klingt das für Sie?«

»Wie ein schlechter Scherz. Woher soll ich wissen, dass Sie Wort halten und die ganze Geschichte auspacken?«

»Kein Deal ohne Risiko. Was haben Sie groß zu verlieren? Wenn wir was abzusprechen gehabt hätten, wär das längst passiert. Sie glauben doch nicht, dass Monroe uns davon abgehalten hätte? Den rauch ich in der Pfeife. Außerdem kennen wir drei uns so gut. Da reicht ein Augenzwinkern.«

»Hör zu, Carmody, wenn du mich verarschen willst, zieh ich alle Register. Packst du nicht aus, werdet ihr vier heute noch zur Hauptwache nach Cork befördert.«

Pat hatte das ungute Gefühl, dass sie dort so oder so landen würden. Ihm wurde allmählich klar, wie tief sie in der Scheiße steckten. Auf einmal kamen ihm die Namen Gillford und Cameron so mächtig vor, als erstickten sie sein kleines armseliges Ich. David gegen Goliath. Ab jetzt könnte jeder Fehler fatale Konsequenzen haben. Er wollte das nicht allein entscheiden. Pat und Jenkins warfen sich prüfende Blicke zu.

»Wenn Sie ein Geständnis haben wollen, muss ich vorher mit meinen Freunden sprechen. Andernfalls werden wir schweigen. Wie schmeckt Ihnen das?«

Jenkins griff in seine Jackentasche und holte eine Packung Zigaretten heraus.

»Fünf Minuten und keine Sekunde mehr.«

Pat wurde zu den anderen geführt. Sergeant Monroe schloss die Tür ab und beobachtete durch das Sichtfenster, wie Pat erregt auf seine Freunde einsprach.

»Wir stecken knietief im Dreck. Kein Wort über Donnell. Er hat die Fotos. Die könnten, wenn es hart auf hart kommt, belegen, dass wir nur Spaß im Kopf hatten. Sie werden uns wegen der Einbrüche die Hölle heiß machen. Das ist nur eine Frage der Zeit. Ein Geständnis könnte unser Strafmaß vermindern. Außerdem hört das Zittern auf. Wir haben dann selber klare Sicht. Wir bleiben bei der Wahrheit, aber nicht bei der ganzen. Wenn wir darauf setzen, nur auf ein paar Sexspielchen ausgewesen zu sein, machen wir uns zwar zum Affen, aber wen stört das? Für mich ist das die beste Lösung.«

Dermot und Jenny schauten Pat aus bleichen Gesichtern an. Er hatte ihnen jegliche Hoffnung auf ein glimpfliches Ende genommen. Die Gillfords und die Camerons mit ihren Imperien wogen wie eine Zentnerlast. Anna begann zu weinen. Plötzlich sprang Jenny auf, stieß mit einem wütenden Tritt gegen den Stuhl und fing an, wahllos herumzuschreien.

»Klugscheißer! Warum reden? Ich will hier raus. Das bisschen Ficken, wen stört das? Diesen fettbackigen Bullen? Du redest wie die. Das kann nicht wahr sein. Gillford! Cameron! Damit hab ich nichts zu tun. Die gehen mir am Arsch vorbei. Wir haben nichts verbrochen. Der Bulle spielt sich auf. Ich will hier raus.«

Jenny riss wutentbrannt an der Türklinke. Sergeant Monroe blickte sie grinsend durch das Fensterchen an. Jenny flippte völlig aus, trat vor die Tür und schlug mit geballten Fäusten dagegen. Niemand griff ein, bis sie sich wieder beruhigte und erschöpft zu Boden sank. Pat half ihr auf die Beine. Anna saß wie erstarrt mit Händen vor dem Mund auf ihrem Stuhl und weinte. Dermot nahm Anna in die Arme und fluchte.

»Verdammt, mein Alter wird mich in Stücke reißen.«

Pat schrie ihn an.

»Du begreifst nicht, was hier gespielt wird. Deinen Alten brauchst du nicht zu fürchten. Der ist harmlos gegen die Lawine von fettleibigen Rechtsverdrehern, die auf uns zurollt. Die wird dich in Stücke reißen.«

Pat hatte bereits erkannt, dass die juristischen Vertreter der Superreichen ihnen gnadenlos das Leben zur Hölle machen würden. Seine Zeit war abgelaufen. Monroe schloss die Tür auf und Jenkins gab ihm ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Der jungen Dame sind wohl die Sicherungen durchgebrannt«, begann Jenkins, »steckt doch wohl mehr als nur Arsch und Titten in orientalischen Betten dahinter. Carmody, Ihr Versprechen! Sie sind dran.«

»Anna hat nichts damit zu tun. Was ich Ihnen jetzt sage, betrifft nur Dermot, Jenny und mich. Dermot hatte sich den Code für die neue Alarmanlage in der Gillford Villa besorgt. Dort sind wir am Montag eingestiegen. Es war ein Kinderspiel, und so kamen wir auf den Geschmack. Am Mittwoch verschafften wir uns Zugang zur Cameron-Villa und zogen das gleiche Ding ab. Wir haben nie was mitgehen lassen, haben uns nur amüsiert. Das ist alles.«

Jenkins sah ihn reglos an, als hätte ihn ein Schock gelähmt. Tatsächlich brauchte er einen Moment, um die volle Tragweite zu verstehen. Die Nachricht war ungeheuerlich.

»Mann, haben Sie den Verstand verloren!«

Jenkins eilte aus dem Zimmer und sprach hastig mit Monroe, der anschließend sofort zum Telefon griff. Monroe hatte Order erhalten, umgehend einen Einsatzwagen zum Abtransport von vier Gefangenen nach Cork zu bestellen. Zwei weitere Streifenwagen aus der Umgebung wurden zur Gillford und zur Cameron-Villa geschickt. Die Zentralen für die Überwachungssysteme wurden informiert.

Jenkins kehrte zurück und beugte sich über Pat, der zusammengesunken auf seinem Stuhl saß.

»Sie haben sich in Teufels Küche gebracht. Wie kann man so blöd sein? Sie werden in den nächsten Wochen mehr graue Haare bekommen, als Ihnen lieb ist. So, und nun raus mit der ganzen Wahrheit. Wer war noch dabei? Was ist wirklich passiert?«

»Kommen Sie mir jetzt nicht so«, brauste Pat auf. »Es ist alles gesagt. Den Rest werden Ihre Schnüffler herausfinden.«

In Anbetracht der neuen Situation musste Jenkins tatsächlich erst die Ergebnisse der Spurensicherung abwarten. Es war stickig in dem kleinen Raum. Er freute sich auf eine Zigarette und darauf, dass er sich später in den Villen der beiden prominenten Familien umsehen würde.

»Wir sehen uns auf der Hauptwache in Cork«, gab er Pat zu verstehen und wies ihn an, sich zu den anderen zu begeben.

Von draußen drangen Stimmen ins Innere der Polizeiwache. Jennys Mutter wollte ihre Tochter sprechen. Sergeant Monroe hatte alle Hände voll zu tun, die hysterische Frau vom gewaltsamen Eindringen abzuhalten. Als dann endlich der vergitterte Transporter kam, waren Monroe und Jenkins heilfroh. Jenkins ging erschöpft, aber mit einem süffisanten Grinsen um die Augen zu seinem Wagen.

TATORT: GILLFORD-VILLA

In wenigen Minuten würde er den Palast der Lady Gillford inspizieren. Eine lustvolle Neugier beschlich den kurz vor der Pension stehenden Inspektor. Das war ihm bisher noch nicht passiert, aber er musste sich eingestehen, es kaum erwarten zu können, die Zimmertüren aufzustoßen und hier und da Schränke und Schubladen aufzuziehen. Er wollte es nicht glauben, aber die Macht des Gillford-Imperiums weckte voyeuristische Neigungen in ihm. Er hatte Lust auf den Tatort.

Während er seinen alten Ford Mondeo auf die lange Allee lenkte und vor ihm das imposante Gebäude auftauchte, sah er, dass zwei Streifenpolizisten bereits auf ihn warteten. Sie hatten das Gebäude und die Einbruchstelle gesichert. Die Alarmanlage war deaktiviert worden, so dass Jenkins seine Untersuchung sofort beginnen konnte. Die Kollegen von der Spurensicherung waren unterwegs.