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P.C. Cast

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Beschreibung

House of Night Betrogen Der 2. Band der großen Vampyr-Serie. Zoey hat sich im House of Night eingelebt und gewöhnt sich an die enormen Kräfte, die ihr die Göttin Nyx verliehen hat. Endlich fühlt sie sich sicher und zu Hause, da passiert das Unfassbare: Menschliche Teenager werden getötet und alle Spuren führen zum House of Night. Als die Freunde aus ihrem alten Leben in höchster Gefahr schweben, ahnt Zoey, dass die Kräfte, die sie so einzigartig machen, eine Bedrohung sein können: für alle, die sie liebt. Die ganze Welt von House of Night auf www.houseofnight.de

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Seitenzahl: 494

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P.C. Cast | Kristin Cast

Betrogen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christine Blum

FISCHER E-Books

Inhalt

Wir widmen dieses Buch [...]DanksagungEinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnFünfzehnSechzehnSiebzehnAchtzehnNeunzehnZwanzigEinundzwanzigZweiundzwanzigDreiundzwanzigVierundzwanzigFünfundzwanzigSechsundzwanzigSiebenundzwanzigAchtundzwanzigNeunundzwanzigDreißigEinunddreißigZweiunddreißigEinsZwei

Wir widmen dieses Buch unserer Freundin und Presseagentin (Aunty) Sherry Rowland.

Danke, Sher, dass du dich unserer annimmst – so wartungsintensiv und nervtötend wie wir sind (und uns so verwöhnst). We love you!

Danksagung

Wie üblich danken wir unserem Vater/Großvater Dick L. Cast für seine unermesslichen biologischen Kenntnisse und seine große Hilfe bei tausend kleinen Dingen.

Einen Riesendank an unsere wundervolle Agentin Meredith Bernstein, von der die geniale Idee zu dieser Serie stammt.

Und vielen, vielen Dank an das Team von St. Martin’s Press, Jennifer Weis und Stefanie Lindskog, dass sie sich solche Mühe geben, diese Serie zu etwas ganz Besonderem zu machen. Vor allem ein DICKES DANKESCHÖN an die talentierte Design-Crew für die wunderschön gestalteten Buchcover!

Einen ganz besonderen Dank möchten wir Street Cats aussprechen, einer Katzenrettungs- und Adoptionsorganisation in Tulsa. Wir unterstützen Street Cats (Nala stammt übrigens von dort!) und sind immer wieder begeistert von der Liebe und Hingabe, mit der sich die Mitarbeiter ihren Schützlingen widmen. Auf der Website www.streetcatstulsa.org sind viele weitere Informationen zu finden. Wer mit dem Gedanken spielt, eine Tierhilfsorganisation zu unterstützen, kann sicher sein, dass seine Spende dort ehrlich und verantwortungsvoll verwendet wird!

P. C. und Kristin

 

Ich danke meinen Schülern dafür, dass sie 1) sich darum reißen, in diesen Büchern aufzutauchen und umgebracht zu werden, 2) mir ständig neue komische Situationen zur weiteren Verwertung liefern und 3) mich ab und zu sogar in Ruhe lassen, damit ich schreiben kann.

UND JETZT GEHT AN EURE HAUSAUFGABEN. Oh, und macht euch morgen auf einen Test gefasst.

Miss Cast

Eins

»Hey, ’ne Neue! Zieht euch das mal rein«, sagte Shaunee und ließ sich auf ihren Platz an ›unserer‹ rustikalen Eichen-Sitzgruppe gleiten, die wir bei allen Mahlzeiten im Speisesaal (mit anderen Worten: High-School-Mensa) als unsere beanspruchten.

»Ach, wie tragisch, Zwilling. Einfach tragisch.« Erin hatte genau den gleichen Tonfall drauf. Zwischen den beiden bestand eine Art psychischer Verbindung, jedenfalls waren sie sich abstrus ähnlich. Deshalb hatten wir sie auch ›die Zwillinge‹ getauft, obwohl Shaunee mit ihrer jamaikanischen Abstammung caffè-latte-farben ist und aus Connecticut kommt, die blonde, blauäugige Erin hingegen aus Oklahoma.

»Sie ist glücklicherweise mit Sarah Freebird in einem Zimmer.« Damien nickte zu dem zierlichen Mädchen mit den total schwarzen Haaren hin, das die verloren wirkende Neue durch den Speisesaal führte. Mit einem schnellen, geübten Blick hatte er die zwei schon modisch gescannt, von den Ohrringen bis zu den Schuhen. »Offenbar hat sie mehr Style als Sarah, ungeachtet dessen, dass sie gerade Gezeichnet wurde und den Schulwechsel durchmachen muss. Vielleicht kann sie Sarah von dieser eklatant unglücklichen Disposition abbringen, was die Wahl ihrer Schuhe angeht.«

»Himmel nochmal, Damien«, bemerkte Shaunee. »Du raubst mir schon wieder …«

»… den letzten Nerv mit deinem endlosen Fremdwortschrott«, ergänzte Erin.

Damien rümpfte gekränkt die Nase, was extrem hochnäsig und schwul aussah (er ist zwar definitiv schwul, aber normalerweise merkt man das nicht so). »Wenn dein Vokabular nicht so deplorabel wäre, müsstest du nicht ständig ein Wörterbuch mit dir rumschleppen, um mit mir mitzuhalten.«

Die Zwillinge holten schon Luft für die nächste Attacke, da ging meine Zimmergenossin dazwischen. In breitestem Oklahoma-Singsang warf sie ihnen die zwei Definitionen an den Kopf, als gebe sie Hilfestellung bei einem Rechtschreibwettbewerb. »Disposition – eine natürliche Neigung zu einem Verhalten. Deplorabel – bedauernswert, jämmerlich. Na bitte. Könnt ihr jetzt mal aufhören zu kabbeln und euch benehmen? Gleich rücken unsere ganzen Eltern an, sollen die uns etwa für gehirnamputierte Kleinkinder halten?«

»Oh, Mist«, sagte ich. »Das mit dem Besuchstag hatte ich total verdrängt.«

Damien stöhnte auf und ließ den Kopf einigermaßen unsanft auf die Tischplatte sinken. »Ich hab’s auch völlig vergessen.«

Wir übrigen schenkten ihm verständnisvolle Blicke. Damiens Eltern fanden es völlig okay, dass er Gezeichnet worden und ins House of Night gekommen war, wo er entweder zu einem Vampyr werden oder, falls sein Körper die Wandlung nicht verkraftete, elend zugrunde gehen würde. Überhaupt nicht okay fanden sie hingegen, dass er schwul war.

Tja, wenigstens fanden sie überhaupt irgendwas an ihm okay. Im Unterschied zu meiner Mutter und ihrem jetzigen Mann – John Heffer, meinem Stiefpenner. Die hassten absolut alles an mir.

»Meine Erzeugerfraktion kommt nicht. Keine Zeit. Waren ja letzten Monat da.«

»Da haben wir’s wieder, Zwilling! Gleicher geht’s nicht«, sagte Erin. »Meine Leute haben mir ’ne Mail geschickt. Sie machen wohl über Thanksgiving ’nen Trip nach Alaska mit Tante Alane und dem Schwallkopf Onkel Lloyd.« Sie zuckte mit den Schultern. Weder ihr noch Shaunee schien die Abwesenheit ihrer Eltern viel auszumachen.

Stevie Rae lächelte rasch. »He, Damien, vielleicht kommen deine Eltern ja auch nich.«

Er seufzte. »Doch, tun sie. Ich hab doch diesen Monat Geburtstag. Da werden sie mir was schenken.«

»Hört sich doch gar nicht so schlecht an«, sagte ich. »Du brauchtest einen neuen Skizzenblock, oder?«

»Den kriege ich garantiert nicht. Letztes Jahr hatte ich mir eine Staffelei gewünscht. Ich bekam eine Campingausrüstung und ein Abonnement für die Sports Illustrated.«

»Yäch!«, riefen Shaunee und Erin simultan. Stevie Rae und ich verzogen das Gesicht und gaben mitfühlende Laute von uns.

Da wandte Damien sich an mich, man merkte, dass er das Thema leid war. »Deine Eltern kommen ja heute zum ersten Mal. Was glaubst du, wie es wird?«

»Der totale Alptraum«, seufzte ich.

»Zoey? Ich dachte, ich stell dir mal meine neue Mitbewohnerin vor. Diana, das ist Zoey Redbird – die Anführerin der Töchter der Dunkelheit.«

Ich sah auf, froh, von meiner scheußlichen Familienkiste wegzukommen. Sarahs nervöser, zaghafter Tonfall brachte mich zum Lächeln.

»Wow, es stimmt wirklich!«, platzte das neue Mädchen heraus, noch ehe ich ›hi‹ sagen konnte. Wie üblich starrte sie meine Stirn an. Dann wurde sie puterrot. »Ich meine … sorry. Ich wollte nicht aufdringlich sein oder so …«, stotterte sie ganz betreten.

»Schon okay. Ja, es stimmt. Ich hab ein ausgefülltes Mal mit zusätzlichen Ornamenten.« Ich lächelte weiter, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen, obwohl ich es total hasste, dass ich (zum wievielten Mal eigentlich?!) so was wie die Hauptattraktion bei einer Freakshow war.

Zum Glück mischte sich Stevie Rae ein, bevor dieses stumme Anstarr-Grinse-Spielchen noch unerträglicher werden konnte. »Ja, das coole Spiralgeschnörkel im Gesicht und die Schultern runter hat Zoey gekriegt, als sie ihren Exfreund vor ’n paar scheißgrausigen Vampyrgeistern gerettet hat«, bemerkte sie fröhlich.

»Das hat mir Sarah schon erzählt«, sagte Diana schüchtern. »Es hat nur so unglaublich geklungen, dass ich … na ja, hm …«

»Dass du’s nicht geglaubt hast?«, kam ihr Damien hilfsbereit entgegen.

»Ja. Sorry«, sagte sie wieder und fummelte fahrig an ihren Fingernägeln herum.

Ich kriegte ein einigermaßen lebensechtes Lächeln zustande. »He, denk nicht mehr darüber nach. Mir kommt’s auch manchmal ziemlich verrückt vor – und ich war dabei.«

»Und hast den Laden aufgeräumt«, ergänzte Stevie Rae.

Ich warf ihr einen Blick à la du-hilfst-mir-nicht-gerade zu, aber sie nahm ihn gar nicht zur Kenntnis. Tja, eines Tages bin ich vielleicht Hohepriesterin, aber ganz bestimmt nicht der Boss von meinen Freunden.

»Und überhaupt – das alles hier kann einem erst mal ziemlich merkwürdig vorkommen«, erklärte ich dem Mädchen. »Aber das wird schon.«

»Danke«, sagte sie warm und ehrlich.

»Okay, vielleicht gehen wir jetzt besser, damit ich Diana zeigen kann, wo sie die fünfte Stunde hat«, sagte Sarah, und dann wurde es echt ultrapeinlich, weil sie plötzlich total formell wurde und mich, bevor sie sich abwandte, mit der traditionellen Vampyrgeste des Respekts grüßte – den Kopf geneigt, die Faust über dem Herzen.

Ich piekste in meinem Salat rum. »Ich hasse es total, wenn sie das machen.«

»Ich find’s nett«, sagte Stevie Rae.

»Du verdienst durchaus Respekt«, sagte Damien in seinem Oberlehrerton. »Du bist die einzige Untersekundanerin, die jemals Anführerin der Töchter der Dunkelheit wurde, und die einzige Jungvampyrin der Geschichte, die affin zu allen fünf Elementen ist.«

Shaunee zeigte mit ihrer Gabel in meine Richtung. »Sieh’s endlich ein«, nuschelte sie um einen Bissen Salat herum.

»Du bist was Besonderes«, ergänzte (wie üblich) Erin.

Im House of Night heißt die zehnte Klasse Untersekunda – die elfte Obersekunda, die zwölfte Unterprima und die dreizehnte Oberprima. Und ja, ich bin die einzige Untersekundanerin, die je Anführerin der Töchter der Dunkelheit war. Gratuliert mir, Leute!

»Apropos Töchter der Dunkelheit«, sagte Shaunee. »Hast du schon darüber nachgedacht, wie da in Zukunft die Aufnahmebedingungen sein sollen?«

Ich unterdrückte den Drang zu schreien O bitte nein, ich kann doch in dem Verein nicht wirklich das Sagen haben! Aber ich schüttelte nur den Kopf, und dann kriegte ich plötzlich die Idee – und die war hoffentlich meiner Brillanz zu verdanken – einen Teil des Drucks an sie zurückzugeben. »Ne, ich hab noch nichts Genaues überlegt. Eigentlich dachte ich, dass ihr mir vielleicht helfen könntet. Habt ihr denn irgendwelche Vorschläge?«

Wie vermutet verfielen sie alle vier in Schweigen. Ich wollte ihnen gerade für ihre enorme Unterstützung danken, da schallte gebieterisch die Stimme unserer Hohepriesterin durch die Schullautsprecher. Zuerst war ich froh über die Unterbrechung, da kapierte ich, was sie sagte, und mein Magen zog sich zusammen.

»Ich bitte alle Lehrer und Schüler, sich in der Eingangshalle einzufinden. Die Besuchszeit beginnt in fünf Minuten.«

Na toll. Auf in die Hölle.

 

»Stevie Rae! Stevie Rae! Omeingott, ich hab dich so vermisst!«

»Mama!«, schrie Stevie Rae und warf sich in die Arme einer Frau, die genauso aussah wie sie, nur dreißig Kilo schwerer und ähnlich viele Jahre älter.

Damien und ich standen ein bisschen unbeholfen am Rand rum. Die Eingangshalle füllte sich allmählich mit nervös wirkenden menschlichen Eltern, ein paar menschlichen Geschwistern, einem Haufen Jungvampyre und einigen unserer Lehrer.

Damien seufzte. »Okay, da sind meine Eltern. Dann bring ich’s mal hinter mich. Bis dann.«

»Bis dann«, murmelte ich und sah ihm nach, wie er auf ein total gewöhnlich aussehendes Ehepaar zuging, das ein eingepacktes Geschenk dabei hatte. Seine Mom umarmte ihn flüchtig, und sein Dad schüttelte ihm auf extrem männliche Art die Hand. Damien wirkte blass und angespannt.

Ich schlenderte zu dem langen Tisch, der an der Wand entlang aufgestellt war. Auf der weißen Tischdecke standen hübsch arrangiert Platten mit exklusiven Käse- und Wurstsorten und süßen Häppchen, dazu Kannen mit Tee und Kaffee und ein paar Karaffen mit Wein. Auch nach einem Monat im House of Night fand ich es noch ein bisschen krass, wie bedenkenlos hier Wein serviert wurde. Teilweise gibt es dafür einen ganz einfachen Grund: Die Schule ist den europäischen Houses of Night nachempfunden, und in Europa trinkt man Wein anscheinend so zum Essen wie hier Tee oder Cola – niemand denkt sich was dabei. Außerdem spielt auch noch eine genetische Tatsache mit rein: Vampyre können nicht betrunken werden – Jungvampyre müssen sich echt anstrengen, wenn sie sich die Kante geben wollen (das gilt für Alkohol – Blut ist da unglücklicherweise ein ganz anderes Thema). Also ist Wein hier echt nichts Besonderes. Ich dachte aber doch, es könnte spannend sein, wie Eltern aus Oklahoma auf Alk in der Schule reagieren würden.

»Mama! Du musst unbedingt meine Mitbewohnerin kennenlernen! Ich hab dir doch von ihr erzählt. Das ist Zoey Redbird. Zoey, das ist meine Mama.«

»Hallo, Mrs. Johnson. Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich höflich.

»O Zoey! Ich freue mich ja so, dass ich dich mal treffe! Und meine Güte! Dein Mal ist wirklich so wunderschön, wie Stevie Rae gesagt hat.« Und sie verblüffte mich total, indem sie mich plötzlich auf weiche, mütterliche Art in die Arme schloss. Dabei flüsterte sie: »Gut, dass du auf meine Stevie Rae aufpasst. Ich mach mir Sorgen um sie.«

Ich drückte sie auch ein bisschen und flüsterte: »Keine Sorge, Mrs. Johnson. Stevie Rae ist meine beste Freundin.« Und so unrealistisch es war, plötzlich wünschte ich mir, meine Mom würde mich auch in den Arm nehmen und sich Sorgen um mich machen, so wie Mrs. Johnson sich um Stevie Rae sorgte.

»Mama, hast du mir Schokoladenkekse mitgebracht?«, fragte Stevie Rae.

»Ja, Kind, hab ich, aber ich merke gerade, dass ich sie wohl im Auto vergessen hab.« Mrs. Johnsons breiter Okie-Singsang glich aufs Haar dem ihrer Tochter. »Komm doch mit raus und hilf mir, sie reinzubringen. Ich hab diesmal auch ein paar für deine Freunde gemacht.« Sie lächelte mich freundlich an. »Du kannst uns sehr gerne begleiten, wenn du magst, Zoey.«

»Zoey.«

Wie ein gefrorenes Echo ihrer warmen, herzlichen Worte hörte ich ein zweites Mal meinen Namen. Über Mrs. Johnsons Schulter hinweg sah ich, wie meine Mom und John die Halle betraten. Das Herz rutschte mir in den Magen. Sie hatte ihn mitgebracht. Himmel nochmal, konnte sie ihn nicht einmal zu Hause lassen, einmal allein mit mir sein, nur sie und ich? Aber ich kannte die Antwort auf die Frage. Das würde er niemals zulassen. Und folglich würde sie es niemals tun. Fertig. Aus. Basta.

Seit meine Mom John Heffer geheiratet hatte, musste sie sich keine Geldsorgen mehr machen. Sie wohnte in einem gigantofantösen Haus in einem gepflegten Vorstadtviertel. Sie war ehrenamtlich im Eltern-Lehrer-Ausschuss und natürlich ohne Ende in der Kirche aktiv. Aber in den drei Jahren dieser ›perfekten Ehe‹ war ihr alles, was sie selber ausmachte, komplett und vollständig abhandengekommen.

»Danke, Mrs. Johnson, aber meine Eltern kommen gerade. Ich sollte besser zu ihnen gehen.«

»Oh, Liebes, ich würde deine Eltern wahnsinnig gern kennenlernen.« Und als wären wir auf einer ganz normalen High-School-Veranstaltung, wandte sich Mrs. Johnson mit strahlendem Lächeln meinen Eltern zu.

Stevie Rae und ich sahen uns an. Sorry, gab ich ihr lautlos zu verstehen. Okay – nicht dass ich hundertpro sicher war, dass gleich die Katastrophe kommen würde, aber so, wie mein Stiefpenner auf uns zupflügte: wie ein testosteronbekiffter General an der Spitze eines Trauermarschs, schienen mir die Chancen ganz gut für ’ne kleine Horrorshow zu stehen.

Doch dann schwebte mein Herz wieder nach oben, und alles wurde plötzlich leicht und gut, denn da trat die Person, die ich am meisten liebte, hinter John hervor und kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

»Grandma!«

Und schon versank ich in ihren Armen und dem süßen Lavendelduft, der sie stets umgab, als trüge sie überall, wo sie war, einen Teil ihrer wunderschönen Lavendelfarm mit sich.

Sie hielt mich ganz fest. »O Zoeybird! Ich hab dich vermisst, U-we-tsi a-ge-hu-tsa.«

Unter Tränen lächelnd sog ich den vertrauten, geliebten Klang des Cherokee-Wortes für Tochter ein. In ihm lagen Geborgenheit, Liebe und bedingungslose Akzeptanz, alles Dinge, die es für mich in den letzten drei Jahren zu Hause nicht gegeben hatte – Dinge, die ich, ehe ich ins House of Night gekommen war, nur auf Grandmas Farm hatte spüren können.

»Ich hab dich auch vermisst, Grandma. Ich bin so froh, dass du hergekommen bist!«

Als wir uns voneinander lösten, sagte Mrs. Johnson: »Sie müssen Zoeys Großmama sein. Wie schön, Sie kennenzulernen. Ein klasse Mädel haben Sie da.«

Grandma lächelte herzlich und wollte etwas sagen, doch John kam ihr in seinem üblichen Die-Welt-gehört-mir-Ton zuvor. »Nun, um genau zu sein, wäre das wohl unser klasse Mädel.«

Wie eine von den Frauen von Stepford kam jetzt meine Mom endlich mit der Sprache heraus. »Ja, wir sind Zoeys Eltern. Ich bin Linda Heffer. Das ist mein Mann John und das meine Mutter, Sylvia Red –« Da fiel es ihr mitten in ihrer ach so korrekt-höflichen Vorstellungsrunde ein, mich überhaupt mal anzuschauen, und da blieb ihr die nächste Silbe im Hals stecken und sie rang nach Luft.

Es gelang mir, ein Lächeln aufzusetzen, aber mein Gesicht fühlte sich heiß und hart an, als wär es aus Gips und zu lange in der Sonne getrocknet, und wenn ich nicht aufpasste, würde es in Stücke zerfallen.

»Hi Mom.«

»Bei der Liebe Gottes, was hast du mit diesem Mal gemacht?« Das Wort ›Mal‹ betonte sie so, wie sie auch ›Krebs‹ oder ›Kinderporno‹ sagen würde.

»Sie hat das Leben eines jungen Mannes gerettet. Dabei hat sie unbewusst aus einer von der Göttin verliehenen Affinität für die Elemente geschöpft, und im Gegenzug hat Nyx sie auf eine Weise Gezeichnet, die bei einem Jungvampyr höchst selten vorkommt«, erklärte Neferet mit ihrer weichen, melodischen Stimme und schritt, die Hand meinem Stiefpenner zum Gruß entgegengestreckt, geradewegs mitten in unsere unbehagliche Versammlung hinein. Wie die meisten erwachsenen Vampyre war Neferet einfach so perfekt, dass es einem die Sprache verschlug. Sie war groß, hatte traumhaft dichtes, glänzendes kastanienbraunes Haar und mandelförmige, ungewöhnlich moosgrüne Augen. Sie bewegte sich mit übermenschlicher Anmut und Selbstsicherheit, und ihre Haut schimmerte auf ganz unbeschreibliche Weise, als hätte man in ihr drin ein Licht angezündet. An diesem Abend trug sie ein elegantes, königsblaues Seidenkostüm und Ohrringe in Form silberner Spiralen (das Symbol für die spirituelle Wanderung auf dem Weg der Göttin – nicht, dass das den Eltern normalerweise klar ist). Über ihrer linken Brust war – wie bei allen Lehrern – ein kleines silbernes Symbol der Göttin mit nach oben gereckten Händen eingestickt. Ihr Lächeln war atemberaubend. »Mr. Heffer, ich bin Neferet, Hohepriesterin des House of Night; aber betrachten Sie mich besser einfach als eine Art Rektorin wie bei einer gewöhnlichen High School. Es freut mich, dass Sie zum heutigen Besuchsabend gekommen sind.«

Dass er ihre Hand nahm, geschah rein automatisch. Ich war sicher, er hätte sich geweigert, wenn sie ihn nicht so überrumpelt hätte. Neferet schüttelte ihm kurz und energisch die Hand und wandte sich dann an meine Mutter.

»Mrs. Heffer, es ist mir eine Freude, Zoeys Mutter kennenzulernen. Wir sind so froh, dass Zoey ins House of Night gekommen ist.«

»Ja, äh, danke«, stotterte meine Mom – von Neferets Schönheit und Charme ebenfalls total erschlagen.

Als Neferet Grandma begrüßte, vertiefte sich ihr Lächeln und wurde echter. Ich sah, dass die beiden sich auf die traditionelle Art der Vampyre begrüßten, indem sie den Unterarm der anderen ergriffen.

»Sylvia Redbird, es ist mir immer ein Vergnügen, Sie hier willkommen heißen zu dürfen.«

»Neferet, auch ich freue mich von Herzen, Sie zu sehen. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie Ihr Versprechen gehalten und sich um meine Enkelin gekümmert haben.«

»Dieses Versprechen zu halten ist mir keine Bürde. Zoey ist ein so außergewöhnliches Mädchen.« Diesmal schloss Neferets Lächeln auch mich ein. Dann drehte sie sich zu Stevie Rae und ihrer Mutter um. »Das sind Stevie Rae, Zoeys Zimmernachbarin, und ihre Mutter. Soweit ich weiß, sind die beiden Mädchen praktisch unzertrennlich. Sogar Zoeys Katze hat sich mit Stevie Rae angefreundet.«

»Stimmt«, sagte Stevie Rae lachend. »Gestern hat sie sich beim Fernsehen doch tatsächlich auf meinen Schoß gesetzt. Und sonst mag Nala niemanden außer Zoey.«

»Eine Katze? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir Zoey erlaubt hätten, eine Katze zu halten«, sagte John. Ich hätte kotzen können. Als ob jemand außer Grandma es für nötig gehalten hätte, sich im ganzen letzten Monat überhaupt mal bei mir zu melden!

»Sie missverstehen das, Mr. Heffer. Im House of Night sind Katzen freie Wesen. Sie suchen sich ihre Besitzer aus, nicht andersherum. Zoey brauchte keine Erlaubnis dafür, dass Nala sich mit ihr zusammengetan hat«, sagte Neferet sanft.

John gab ein Schnauben von sich, das von allen ignoriert wurde. So eine Pissnelke.

Neferet machte eine anmutige Geste Richtung Tisch. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken oder zu essen anbieten?«

»Herrschaftszeiten! Das erinnert mich daran, dass wir ja die Kekse aus dem Auto holen wollten. Stevie Rae und ich waren gerade auf dem Sprung. Hat mich echt gefreut, Sie alle kennenzulernen.« Mit einer raschen Umarmung für mich und einem Winken in die Runde flüchteten Stevie Rae und ihre Mutter und ließen mich zurück. Ich hätte gern auch einen Grund gehabt, mich verdrücken zu können.

Auf dem Weg zum Tisch mit den Häppchen nahm ich Grandmas Hand und verschränkte die Finger mit ihren. Wie viel einfacher wäre es gewesen, wenn nur sie gekommen wäre! Verstohlen blickte ich zu meiner Mom. Das Stirnrunzeln schien ihr so richtig ins Gesicht gemeißelt. Sie war damit beschäftigt, die anderen Kids kritisch zu mustern, und sah kaum einmal in meine Richtung. Wieso kommst du dann überhaupt?, hätte ich sie am liebsten angeschrien. Was soll das? So tun, als ob du dir Gedanken machst, als ob du mich tatsächlich vermisst – und mir dann so klar zu zeigen, dass es doch nicht so ist?

»Wein, Sylvia? Mr. und Mrs. Heffer?«, fragte Neferet.

»Einen roten, gern, danke«, sagte Grandma.

Johns zusammengepresste Lippen verrieten deutlich seine Missbilligung. »Danke, nein. Wir trinken nicht.«

Dass ich nicht die Augen verdrehte, war schon eine übermenschliche Heldentat. Seit wann trank er nicht? Ich hätte meine letzten fünfzig Dollar verwettet, dass daheim im Kühlschrank genau jetzt ein Sixpack Bier stand. Und meine Mom trank ganz gerne einen Rotwein, wie Grandma auch. Ich sah sogar, wie sie Grandma einen verkniffenen, neidischen Blick zuwarf, als die an dem Wein nippte, den Neferet ihr eingeschenkt hatte. Aber nein, sie tranken nicht. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.

»Sie sagten, Zoeys Mal habe sich verändert, weil sie etwas Besonderes getan hat?« Grandma drückte mir liebevoll die Hand. »Sie hat mir erzählt, dass sie zur Anführerin der Töchter der Dunkelheit gemacht worden ist, aber nicht, wie es genau dazu kam.«

In mir wurde wieder alles starr. Ich hatte echt keine Lust auf die Szene, die es geben würde, wenn meine Mom und John hörten, was genau passiert war – dass die Exanführerin der Töchter der Dunkelheit in der Halloweennacht (im House of Night als Samhain bekannt, die Zeit, wo der Schleier zwischen unserer Welt und der der Geister am dünnsten ist) einen Kreis beschworen und einige verdammt unheimliche Vampyrgeister herbeigerufen hatte, über die sie die Kontrolle verloren hatte, als völlig unerwartet mein menschlicher Exfreund Heath aufgetaucht war, der auf der Suche nach mir gewesen war. Und auf überhaupt keinen Fall wollte ich, dass jemals jemand diese Sache erwähnte, die bisher fast niemand wusste: dass Heath deshalb nach mir gesucht hatte, weil ich von seinem Blut gekostet hatte und er sofort eine Art Besessenheit nach mir entwickelt hatte, etwas, was Menschen ziemlich leicht passiert, wenn sie was mit einem Vampyr anfangen – und, was das angeht, selbst mit einem Jungvampyr. Also, die Anführerin der Töchter der Dunkelheit, Aphrodite, hatte total die Kontrolle verloren, und die Vampyrgeister hatten sich darangemacht, Heath mit Haut und Haar zu verschlingen. Buchstäblich. Und noch schlimmer, es hatte so ausgesehen, als ob sie auch nichts gegen einen Bissen von uns anderen gehabt hätten, einschließlich Erik Night, des ultrageilen Vampyrtypen, der – wie ich erfreulicherweise sagen kann – nicht mein Exfreund ist, sondern vielleicht so was wie mein Fast-Freund, denn irgendwie läuft seitdem schon was zwischen uns … Na ja, kurz gesagt, ich musste etwas tun. Also hatte ich mit Hilfe von Stevie Rae, Damien und den Zwillingen die Macht der fünf Elemente (Wind, Feuer, Wasser, Erde und Geist) angerufen und einen Kreis beschworen. Dank meiner Affinität für die Elemente hatte ich es geschafft, die Geister wieder dahin zurückzuschicken, wohin sie gehörten (glaube ich zumindest). Und als sie weg gewesen waren, hatte ich plötzlich diese neuen Tattoos, ein zartes Ensemble spitzenartiger saphirblauer Ornamente um mein Gesicht herum – was bei einem Jungvampyr noch nie vorgekommen ist – und dazu passende Schnörkel mit runenartigen Symbolen dazwischen, die meine Schultern entlanglaufen – etwas, was selbst ausgereifte Vampyre eigentlich nicht kriegen. Durch diese Geschichte war aufgeflogen, was für eine grottenmiese Anführerin Aphrodite war, und Neferet hatte sie gefeuert und mich an ihre Stelle gesetzt. Was bedeutet, dass ich jetzt auch zur Hohepriesterin der Nyx ausgebildet werde, der Personifikation der Nacht.

Ich wusste genau, was John und meine Mom mit ihrer ultrareligiösen, kleinkarierten Einstellung zu alldem sagen würden.

»Nun, es gab einen kleinen Unfall. Es ist Zoeys schnellem Denken und ihrer Tapferkeit zu verdanken, dass niemand zu Schaden gekommen ist, und gleichzeitig hat sich herausgestellt, dass sie eine spezielle Affinität zu den fünf Elementen hat und aus ihnen Kraft ziehen kann.« Neferet lächelte stolz, was in mir ein richtigtes Hochgefühl auslöste. »Die Tätowierungen sind nur ein äußeres Zeichen der Gunst, in der sie bei der Göttin steht.«

»Was Sie reden, ist Blasphemie.« John sprach in gepresstem, zugleich herablassendem und zornigem Ton. »Sie gefährden ihre unsterbliche Seele.«

Neferet richtete die moosfarbenen Augen auf ihn. Sie wirkte nicht böse. Eigentlich eher belustigt. »Sie sind Kichenältester der Gottesfürchtigen, nehme ich an.«

Seine Hühnerbrust schwoll an. »Nun, jawohl, das bin ich.«

»Dann sollte ich wohl so schnell wie möglich etwas klären, Mr. Heffer. Ich würde niemals daran denken, zu Ihnen nach Hause oder in Ihre Kirche zu kommen und dort Ihre Überzeugungen schlechtzumachen, auch wenn ich sie aus tiefstem Herzen ablehne. Andererseits würde ich niemals Anspruch darauf erheben, dass Sie meinen Glauben teilen. Tatsächlich würde es mir nicht einfallen, zu versuchen, Sie zu meinem Glauben zu bekehren, so innige Treue ich meiner Göttin auch entgegenbringe. Daher bitte ich Sie einzig und allein darum: Erweisen Sie mir die gleiche Höflichkeit, die ich Ihnen entgegenbringe. Bitte respektieren Sie meinen Glauben, solange Sie sich sozusagen bei mir zu Hause befinden.«

Johns Augen verengten sich gehässig. Sein Kiefer spannte und entspannte sich abwechselnd. »Ihr Lebensstil ist sündig und falsch«, sagte er giftig.

Neferet lachte leise. Aber es lag kein Humor darin, sondern eine Warnung, bei der sich mir alle Härchen aufstellten. »So spricht ein Mann, der sich damit brüstet, einem Gott zu huldigen, der jedes Vergnügen verteufelt, Frauen in die Rolle von Dienstmägden und Zuchtstuten zwängt, obwohl sie das Rückgrat der Kirche bilden, und versucht, die Herrschaft über seine Anhänger mit Hilfe von Schuldgefühlen und Angst auszuüben. Seien Sie vorsichtig, wie Sie über andere urteilen. Vielleicht sollten Sie zuerst vor Ihrer eigenen Tür kehren.«

Johns Gesicht lief knallrot an, und er sog die Luft ein und öffnete den Mund, um eine widerliche Predigt vom Stapel zu lassen, wie richtig sein Glaube war und wie falsch alles andere, aber Neferet kam ihm zuvor. Nicht, dass sie die Stimme erhob – aber plötzlich lag darin die gebieterische Macht einer Hohepriesterin, und ich erzitterte vor Angst, auch wenn ihr Zorn gar nicht gegen mich gerichtet war.

»Sie haben zwei Möglichkeiten. Entweder Sie verhalten sich während Ihres Besuchs so, wie ein geladener Gast sich zu verhalten hat, was bedeutet, dass Sie unsere Art zu leben respektieren und Ihr Missfallen und Ihre Vorurteile für sich behalten. Oder Sie gehen jetzt und kommen niemals wieder. Niemals. Entscheiden Sie sich.« Bei den letzten Worten musste ich dagegen ankämpfen, mich nicht zu ducken. Ich sah, wie meine Mom Neferet anstarrte, wachsbleich und mit weit aufgerissenen, glasigen Augen. John hatte die gegenteilige Entwicklung durchgemacht: Augen wie Schlitze und das Gesicht potthässlich dunkelrot.

»Linda«, sagte er durch zusammengebissene Zähne. »Gehen wir.« Und dann warf er mir einen so feindseligen, angeekelten Blick zu, dass ich buchstäblich einen Schritt zurück machte. Okay, natürlich hatte ich gewusst, dass er mich nicht abkonnte, aber bis zu diesem Augenblick war mir nicht klar gewesen, wie sehr. »Du verdienst es nicht besser, als hier zu sein. Deine Mutter und ich kommen ganz bestimmt nicht wieder. Mach in Zukunft, was du willst.« Und er schnellte herum und marschierte auf die Tür zu. Meine Mom zögerte. Eine Sekunde lang dachte ich, sie würde vielleicht etwas Nettes sagen – zum Beispiel, dass es ihr leidtat – oder dass sie mich vermisste – oder dass ich mir keine Sorgen machen sollte, sie würde wiederkommen, egal was er sagte.

Da schüttelte sie den Kopf. »Zoey, ich kann einfach nicht fassen, wo du hineingeraten bist.« Und wie immer folgte sie Johns Beispiel und verließ den Raum.

Im nächsten Moment schlang Grandma die Arme um mich. »Ach Kind, das tut mir so leid«, flüsterte sie tröstend und hielt mich fest. »Ich komme wieder, mein kleiner Vogel. Versprochen. Und ich bin so stolz auf dich!« Sie hielt mich an den Schultern und lächelte mich durch Tränen an. »Genau wie unsere Cherokee-Ahnen. Ich kann spüren, wie stolz sie sind. Du bist von der Göttin berührt worden, du hast Freunde, die zu dir halten«, sie blickte zu Neferet auf, »und weise Lehrer. Vielleicht wirst du eines Tages sogar lernen, deiner Mutter zu vergeben. Bis dahin denk immer daran, dass du die Tochter meines Herzens bist, U-we-tsi a-ge-hu-tsa.« Sie gab mir einen Kuss. »Ich muss auch weg. Ich habe dir dein kleines Auto hergefahren, das heißt, ich muss mit ihnen zurückfahren.« Sie drückte mir die Schlüssel zu meinem Oldie-VW-Käfer in die Hand. »Aber denk immer daran, dass ich dich ganz, ganz lieb habe, Zoeybird.«

Ich gab ihr auch einen Kuss, umarmte sie fest und sog ihren Duft tief ein, als könnte ich ihn in meinen Lungen festhalten und über den nächsten Monat ganz langsam, in winzigen Dosen wieder ausatmen, um ihr nah zu sein. »Ich hab dich auch unendlich lieb, Grandma.«

»Bis dann, Kleine. Ruf mich an, wenn du kannst.« Sie gab mir einen letzten Kuss und ging hinaus.

Ich sah ihr nach. Erst als mir eine Träne von der Wange auf den Hals fiel, merkte ich, dass ich weinte. Neferet hatte ich schon total vergessen – daher fuhr ich überrascht zusammen, als sie mir ein Taschentuch reichte. »Das tut mir sehr leid für dich, Zoey«, sagte sie leise.

Ich putzte mir erst die Nase und wischte mir das Gesicht ab, ehe ich sie ansah. »Mir nicht. Danke, dass Sie ihm die Meinung gesagt haben.«

»Ich hatte nicht vor, auch deine Mutter wegzuschicken.«

»Das haben Sie nicht. Sie ist ihm freiwillig gefolgt. So wie sie’s schon drei Jahre lang ständig macht.« Tief in meiner Kehle spürte ich die Hitze von Tränen aufwallen. Ich redete schnell weiter, um sie zurückzudrängen. »Sie war mal anders. Ich weiß, es ist total dumm von mir, aber ich hoffe immer wieder aufs Neue, dass sie wieder so wird, wie sie war. Aber es passiert nicht. Als hätte er meine Mom getötet und jemand Fremdes in ihren Körper gesteckt.«

Neferet legte den Arm um mich. »Mir gefällt das, was deine Großmutter sagte – dass du vielleicht eines Tages fähig sein wirst, deiner Mutter zu vergeben.«

Ich blickte zur Tür, durch die die drei verschwunden waren. »Das kann noch lange dauern.«

Neferet drückte mir mitfühlend die Schulter. Ich sah zu ihr auf, unendlich froh, dass sie da war, und wünschte mir – ungefähr zum millionsten Mal –, sie wäre meine Mutter. Dann fiel mir ein, was sie mir vor fast einem Monat erzählt hatte: dass ihre Mutter gestorben war, als sie noch klein war, und ihr Vater sie körperlich und seelisch missbraucht hatte, bis sie Gezeichnet und so vor ihm gerettet worden war.

»Haben Sie je Ihrem Vater vergeben?«, fragte ich zaghaft.

Neferet sah zu mir herunter, mehrmals blinzelnd, als sei sie in Gedanken weit, weit fort gewesen und komme nur langsam wieder zurück. »Nein. Nein, ich habe ihm nie verziehen. Aber wenn ich heute an ihn zurückdenke, ist das so, als erinnerte ich mich an ein fremdes Leben. Was dieser Mensch getan hat, hat er einem menschlichen Mädchen angetan, nicht einer Hohepriesterin und Vampyrin. Und für die heutige Hohepriestern und Vampyrin ist er – wie die meisten anderen Menschen – ohne jede Bedeutung.«

Ihre Worte klangen stark und selbstsicher. Aber als ich in die Tiefen ihrer wunderschönen grünen Augen blickte, konnte ich etwas Uraltes, Schmerzliches und definitiv nicht Vergessenes aufblitzen sehen. Und ich fragte mich, wie ehrlich sie mit sich selbst war …

Zwei

Ich war unendlich erleichtert, als Neferet sagte, es gäbe keinen Grund, warum ich in der Halle bleiben müsse. Nach der Szene mit meiner Familie kam es mir nämlich so vor, als starrte mich jeder an. Tja, ich war halt die mit den komischen Tattoos und der Alptraumfamilie. Also nahm ich den kürzesten Weg nach draußen – den schmalen gepflasterten Fußweg, der sich durch den hübschen kleinen Ziergarten wand, auf den die Fenster des Speisesaals hinausgingen.

Es war kurz nach Mitternacht – ja, ich weiß, eine ziemlich komische Zeit für einen Elternbesuchstermin, aber hier fängt der Unterricht um acht Uhr abends an und endet um drei Uhr morgens. Im ersten Moment sollte man denken, dass es sinnvoller wäre, die Besuchszeit um acht anzusetzen oder sogar eine Stunde vor Schulbeginn, aber Neferet hatte mir erklärt, dass es darum ging, dass die Eltern akzeptieren mussten, dass sich das Leben für ihr Kind für immer geändert hatte. Ich persönlich fand, dass der ungünstige Zeitpunkt noch einen anderen Vorteil hatte: denn sicher war er für viele Eltern eine wunderbare Ausrede, um wegbleiben zu können, ohne ihrem Kind ins Gesicht sagen zu müssen: He, tut mir leid, aber ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, jetzt wo du dich in ein blutsaugendes Monster verwandelst.

Schade, dass meine Eltern das nicht kapiert hatten.

Ich seufzte und verlangsamte meinen Schritt. In aller Ruhe folgte ich dem gewundenen Pfad durch den Garten. Es war eine kühle, klare Novembernacht. Der Mond war fast voll, und sein gleißendes Silberlicht bot einen reizvollen Kontrast zu dem Schein der sanftgelben Gaslaternen, die den Garten beleuchteten. Ich konnte den Brunnen in der Mitte des Gartens hören, und unwillkürlich schlug ich den Weg dorthin ein. Vielleicht würde das sanfte Plätschern des Wassers mir helfen, wieder ruhig zu werden … und zu vergessen.

Langsam lief ich den Weg entlang und bog um die letzte Biegung vor dem Brunnen. Meine Gedanken waren zu Erik gewandert, meinem neuen total schnuckeligen Beinahe-Freund. Er war zur Zeit wegen des Shakespeare-Monologwettbewerbs, der jedes Jahr um diese Zeit stattfand, nicht da. Natürlich hatte er hier an der Schule den ersten Preis gemacht und nahm jetzt in der internationalen Endausscheidung aller Houses of Night teil. Heute war Donnerstag, und er war schon seit Montag weg. Ich vermisste ihn wahnsinnig und konnte es kaum erwarten, bis er Sonntag endlich wiederkommen würde. Erik war der tollste Typ an unserer Schule. Ach was, Erik Night wäre wahrscheinlich an jeder Schule der tollste Typ! Er war groß, dunkel und hatte eine Figur wie die Helden in den alten Filmen (ohne deren latent homosexuelle Neigung). Außerdem war er unendlich talentiert. Bestimmt dauerte es nicht mehr lange, bis er in die Riege der anderen Vampyr-Filmstars wie Matthew McConaughey, James Franco, Jake Gyllenhaal und Hugh Jackman (ich liebe ihn, auch wenn er schon älter ist!) aufsteigen würde. Und Erik war total lieb – was ihn nur noch unwiderstehlicher machte.

Also, ich gebe zu, ich war so vollständig in meine Träumerei von Erik als Tristan und mir als Isolde versunken (nur dass meine stürmische Lovestory ein Happy End hatte), dass ich überhaupt nicht bemerkte, dass in dem kleinen Garten noch andere Leute waren, bis plötzlich eine Männerstimme laut wurde. Ich war geschockt, wie grob und angewidert sie klang.

»Du bist eine einzige Enttäuschung, Aphrodite!«

Ich erstarrte. Aphrodite?

»Schlimm genug, dass du Gezeichnet wurdest und deshalb nicht nach Chatham Hall gehen konntest, nach allem, was ich getan habe, damit du auch auf jeden Fall dort aufgenommen würdest«, sagte eine eisige, schneidende Frauenstimme.

»Ich weiß, Mutter. Es tut mir leid.«

Okay. Besser, ich ging. Besser, ich drehte mich um und stahl mich ganz schnell und leise wieder aus dem Garten. Aphrodite war vermutlich an dieser Schule die Person, die ich am wenigsten leiden konnte. Oder die ich überhaupt am wenigsten leiden konnte. Aber es war trotzdem ganz, ganz falsch, hier zu stehen und absichtlich zuzuhören, wie ihre Eltern über sie herzogen.

Hm. Auf Zehenspitzen schlich ich zu einem großen Zierstrauch ein paar Schritte vom Weg entfernt, hinter dem man sich gut verstecken konnte und gleichzeitig einen besseren Blick auf das Geschehen hatte. Aphrodite saß auf der Steinbank direkt neben dem Brunnen. Ihre Eltern standen vor ihr. Also, eigentlich stand nur ihre Mutter vor ihr. Ihr Vater lief ungeduldig hin und her.

Himmel, hatte die attraktive Eltern. Ihr Vater war groß und extrem gut aussehend. Mit fitnessstudiogestähltem Körper und noch total dichtem Haar und strahlend weißen kräftigen Zähnen. Sein dunkler Anzug sah aus, als sei er Millionen wert. Irgendwie kam er mir seltsam bekannt vor, als hätte ich ihn schon mal im Fernsehen gesehen oder so. Und ihre Mom war atemberaubend. Ich meine, Aphrodite war ja blond und makellos schön, und ihre Mom war die ältere, teuer gekleidete und perfekt gestylte Version von ihr. Ihr Pulli war eindeutig aus Cashmere, und ihre Perlenkette war verdammt lang und sah verdammt echt aus. Jedes Mal, wenn sie die Hand bewegte, blitzte der riesige tropfenförmige Diamant an ihrem Finger auf, so kalt und schön, wie ihre Stimme klang.

»Hast du vielleicht vergessen, dass dein Vater Bürgermeister von Tulsa ist?«, fauchte Aphrodites Mom aufgebracht.

»Nein, natürlich nicht, Mutter.«

Ihre Mom schien das gar nicht zu hören. »Es war schon schwer genug, sich mit der Tatsache abzufinden, dass du jetzt hier bist und nicht an der Ostküste, um dich auf Harvard vorzubereiten. Aber wir haben uns damit getröstet, dass Vampyre auch zu Erfolg, Geld und Macht kommen können, und haben fest damit gerechnet, dass du dir auch in dieser ungewöhnlichen Umgebung«, sie zog eine angewiderte Grimasse, »einen Namen machen würdest. Und was hören wir jetzt? Du bist nicht mehr Anführerin der Töchter der Dunkelheit und wurdest von der Hohepriesterinnenausbildung ausgeschlossen! Was unterscheidet dich denn jetzt noch von dem anderen Abschaum an dieser erbärmlichen Schule?« Aphrodites Mutter machte eine Pause, als müsse sie sich erst mal wieder einkriegen. Als sie weitersprach, musste ich mich anstrengen, um ihre leise gezischten Worte zu verstehen. »So ein Verhalten können wir nicht dulden.«

»Du enttäuschst uns. Wie üblich«, erklärte ihr Vater zum zweiten Mal.

»Das hast du schon mal gesagt, Dad«, sagte Aphrodite in ihrem üblichen Klugscheißerton.

Blitzschnell wie eine zuschnappende Schlange versetzte Aphrodites Mutter ihr einen Schlag ins Gesicht, so hart, dass ich von dem Klatschen zusammenzuckte und die Augen zusammenkniff. Eigentlich dachte ich, Aphrodite würde von der Bank springen und ihrer Mom an die Kehle gehen (also bitte, wir nennen sie doch nicht wegen nichts und wieder nichts Hexe der Hölle!), aber das passierte nicht. Sie presste sich nur die Hand auf die Wange und senkte den Kopf.

»Jetzt heul nicht auch noch«, zischte ihre Mutter. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass Tränen Schwäche bedeuten? Tu uns wenigstens diesen einen Gefallen und hör auf zu heulen.«

Langsam hob Aphrodite den Kopf und nahm die Hand von der Wange. »Ich wollte euch nicht enttäuschen. Es tut mir wirklich leid, Mutter.«

»Deine Entschuldigungen helfen uns gar nichts«, sagte ihre Mom. »Was uns interessiert, ist, was du tun wirst, um deine Position zurückzugewinnen.«

Ich hielt den Atem an.

»Ich – dafür kann ich gar nichts tun«, sagte Aphrodite. Sie klang hoffnungslos und plötzlich sehr jung. »Ich hab’s vermasselt. Neferet hat mich erwischt. Sie hat mir die Töchter der Dunkelheit weggenommen und jemand anderem gegeben. Ich denke, dass sie sogar überlegt, ob sie mich nicht in ein anderes Haus der Nacht schicken soll.«

»Das wissen wir schon!«, sagte ihre Mom mit erhobener Stimme und so scharf, dass die Worte sich anhörten wie Eiskristalle. »Wir haben vorhin mit Neferet gesprochen, bevor wir zu dir kamen. Sie wollte dich auf eine andere Schule schicken, aber wir haben uns dagegen ausgesprochen. Du wirst auf dieser Schule bleiben. Wir haben auch versucht, sie davon zu überzeugen, dich nach einer gewissen Zeit der Suspendierung oder Beurlaubung wieder in deine Position einzusetzen.«

»Oh! Mutter, wirklich? Oh, nein.«

Sie klang entsetzt, und ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich konnte nur vermuten, was für einen Eindruck diese eiskalten, vordergründig perfekten Eltern auf unsere Hohepriesterin gemacht hatten. Falls Aphrodite auch nur die kleinste Chance gehabt hatte, je wieder in Neferets Ansehen zu steigen, hatten ihre grausigen Eltern sie ihr vermutlich gründlich ruiniert.

»Doch, natürlich! Hast du etwa geglaubt, wir sitzen still daneben, während du dir deine Zukunft zerstörst und als namenloser Vampyr in irgendeinem ausländischen House of Night endest?«, fragte ihre Mom.

»Wir müssen zumindest das Schlimmste verhindern«, fügte ihr Dad hinzu.

»Aber es geht doch gar nicht um mich und ob ich an eine andere High School geschickt werde«, sagte Aphrodite. Sie bemühte sich sichtlich darum, ihre Wut und Verzweiflung im Zaum zu halten und vernünftig zu argumentieren. »Ich hab’s vermasselt. Mit Pauken und Trompeten. Okay, das ist schlimm genug, aber hier gibt’s ein Mädchen, das stärkere Kräfte hat als ich. Selbst wenn Neferet mir irgendwann nicht mehr böse sein sollte, wird sie mir die Führung der Töchter der Dunkelheit nicht mehr überlassen.« Und dann sagte Aphrodite etwas, was mich total fassungslos machte. »Außerdem ist das andere Mädchen eine bessere Anführerin als ich. Das hab ich an Samhain gemerkt. Sie hat diese Position verdient. Ich nicht.«

Himmel aber auch. Was hatte man denn der in den Tee getan?

Aphrodites Mom trat auf ihre Tochter zu, und ich zuckte schon mal zusammen, weil ich dachte, gleich würde sie ihr wieder eine runterhauen. Aber ihre Mutter schlug sie nicht. Stattdessen beugte sie sich hinunter, bis ihr wunderschönes Gesicht auf gleicher Höhe mit Aphrodites war. Aus meinem Blickwinkel sahen sich die beiden so ähnlich, dass es schon unheimlich war.

»Nur eines: Sag nie, nie wieder, jemand verdiene etwas mehr als du. Du bist meine Tochter, und du verdienst immer das Beste.« Und sie richtete sich wieder auf und strich sich ihr perfekt frisiertes Haar zurecht, obwohl ich nicht den Eindruck hatte, als würde das jemals wagen, in Unordnung zu kommen. »Da wir Neferet nicht davon überzeugen konnten, dir deine Position zurückzugeben, musst du das nun tun.«

»Aber Mutter, ich habe euch doch schon gesagt –«, fing Aphrodite an, doch ihr Vater unterbrach sie. »Schaff diese Neue aus dem Weg. Dann wird Neferet vielleicht geneigter sein, dich wieder einzusetzen.«

Tja, Mist. ›Diese Neue‹ war ich.

»Bring sie in Verruf. Bring sie dazu, Fehler zu machen, und sorg dafür, dass nicht du es bist, die Neferet davon erzählt. Das wirkt glaubhafter.« Ihre Mutter sprach in so nüchternem Ton, als ginge es darum, was Aphrodite morgen anziehen sollte, und nicht um eine Verschwörung gegen mich. Himmel, so viel zu Hexen der Hölle!

»Und achte ganz besonders auf dein eigenes Verhalten. Das muss tadellos sein. Vielleicht solltest du etwas großzügiger mit deinen Visionen sein, wenigstens für eine Weile«, sagte ihr Vater.

»Aber du predigst mir doch seit Jahren, dass ich sie für mich behalten soll, weil sie die Quelle meiner Macht sind!«

Ich traute meinen Ohren kaum. Vor einem Monat hatte Damien mir erzählt, dass manche der Kids hier glaubten, Aphrodite versuche viele ihrer Visionen vor Neferet geheim zu halten, aber alle dachten, dass sie das aus Hass auf die Menschen tat. Aphrodites Visionen handelten nämlich immer von bevorstehenden tragischen Unglücken, bei denen Menschen starben. Wenn sie Neferet ihre Vision anvertraute, war diese fast immer in der Lage, das Unglück noch abzuwenden und die Leben zu retten. Die Tatsache, dass Aphrodite ihr Wissen absichtlich für sich behielt, war einer der Gründe, warum ich beschlossen hatte, sie als Anführerin der Töchter der Dunkelheit abzulösen. Ich bin nicht machthungrig, es war nicht so, dass ich die Position unbedingt gewollt hätte. Himmel, ich war mir auch jetzt noch nicht sicher, was ich damit eigentlich wollte! Ich hatte einfach nur ganz klar gemerkt, dass Aphrodite eine falsche Schlange war und ich was tun musste, um sie aufzuhalten. Und jetzt auf einmal kam raus, dass sie oft nur so fiese Sachen machte, weil sie sich von ihren ekelhaften Eltern in der Gegend herumschubsen ließ! Die waren es also, die es ganz okay fanden, Informationen zurückzuhalten, die Leben retten konnten. Dabei war ihr Vater der Bürgermeister von Tulsa! (Kein Wunder, dass ich sein Gesicht schon irgendwo gesehen hatte.) Das alles war so schräg, dass ich es kaum in den Kopf kriegte.

»Die Visionen sind nicht die Quelle deiner Macht!«, sagte ihr Vater gerade. »Hörst du eigentlich nie zu? Ich sagte, dass deine Visionen dir dabei helfen könnten, Macht zu gewinnen, weil Wissen immer Macht ist. Die Quelle deiner Visionen ist die Wandlung, die in dir stattfindet. Ein genetischer Vorgang. Mehr nicht.«

»Es heißt, es sei eine Gabe der Göttin«, sagte Aphrodite leise.

Ihre Mutter lachte frostig. »Sei nicht blöd. Wenn es so etwas wie eine Göttin gäbe, warum sollte sie jemandem wie dir besondere Kräfte verleihen? Dir, einem dummen Kind, das noch dazu nichts richtig machen kann, wie deine jüngste Eskapade mal wieder bewiesen hat. Versuch zur Abwechslung mal clever zu sein, Aphrodite. Benutz deine Visionen dazu, um wieder an Ansehen zu gewinnen, aber bleib dabei bescheiden. Neferet muss den Eindruck gewinnen, es täte dir leid.«

Sie flüsterte es so leise, dass ich es kaum hörte. »Es tut mir leid …«

»Nächsten Monat erwarten wir erfreulichere Neuigkeiten.«

»Ja, Mutter.«

»Gut, dann führ uns jetzt wieder in die Halle, damit wir uns noch ein wenig unter die Leute mischen können.«

»Kann ich bitte noch ein bisschen hierbleiben? Ich fühle mich nicht so gut.«

»Auf keinen Fall. Was sollen denn die Leute denken?«, widersprach ihre Mutter. »Reiß dich zusammen. Bring uns zurück in die Halle. Du wirst es uns noch danken. Komm schon.«

Langsam erhob sich Aphrodite. Mit so wild pochendem Herzen, dass ich fast Angst hatte, sie könnten es hören, flitzte ich den Pfad entlang zurück bis zu der Abzweigung, die aus dem Garten hinausführte. Hier fing ich fast an zu rennen, bis ich den Garten weit hinter mir gelassen hatte.

Den ganzen Weg zum Mädchentrakt dachte ich über das nach, was ich soeben gehört hatte. Und ich hatte geglaubt, meine Eltern seien der pure Alptraum – aber im Vergleich zu diesem eiskalten, machtgeilen Duo waren sie wie die Eltern der Brady Family (ja, ich geb’s zu, auch ich schau mir manchmal die alten Serien auf Nickelodeon an). Auch wenn ich das echt nicht gern zugab – durch das, was ich gerade mitbekommen hatte, verstand ich jetzt viel besser, warum Aphrodite so war, wie sie war. Ich meine, was wäre denn aus mir geworden, wenn ich nicht Grandma Redbird gehabt hätte, die mich liebte und unterstützte und mir geholfen hatte, in den letzten drei Jahren ein bisschen Rückgrat zu kriegen? Und da war noch was. Meine Mom war früher ganz normal gewesen. Okay, gestresst manchmal, überarbeitet, aber die ersten dreizehn Jahre meines fast siebzehnjährigen Lebens war sie normal gewesen. Sie hatte sich erst verändert, nachdem sie John geheiratet hatte. Also hatte ich eine gute Mom und eine geniale Großmutter. Aber wenn ich die nicht hätte? Was, wenn mein Leben immer so gewesen wäre wie in den letzten drei Jahren – wenn ich mich in der eigenen Familie immer als ungeliebte Außenseiterin gefühlt hätte?

Vielleicht wäre ich dann auch so geworden wie Aphrodite. Vielleicht ließe ich meine Eltern auch so total über mich bestimmen, in der verzweifelten Hoffnung, einmal gut genug für sie zu sein, ihnen einen Grund zu geben, stolz auf mich zu sein, damit sie mich eines Tages vielleicht lieben würden.

Ich sah Aphrodite plötzlich mit ganz neuen Augen. Und darüber war ich nicht gerade glücklich.

Drei

»Schon klar, Zoey, ich versteh, was du meinst und so, aber he! Die haben zum Teil auch davon geredet, dass Aphrodite dir eine reinwürgen soll, damit du wieder aus den Töchtern der Dunkelheit rausgeschmissen wirst. Also muss sie dir bitte nich unendlich leid tun!«, schimpfte Stevie Rae.

»Ich weiß. Ich weiß. Ich werd sie schon nicht herzen und küssen. Ich sag doch nur, dass ich bei den Psycho-Eltern irgendwie verstehen kann, dass sie so ist, wie sie ist.«

Wir waren auf dem Weg zur ersten Stunde. Um ehrlich zu sein, rannten wir fast. Wie üblich waren wir extrem spät dran. Ich hätte mir die zweite Schale Count-Chocula-Schokoflocken echt verkneifen sollen.

Stevie Rae verdrehte die Augen. »Und du sagt mir immer, ich wär zu nett.«

»Ich bin nicht nett. Ich hab nur Verständnis. Aber mein Verständnis ändert nichts an der Tatsache, dass sie sich benimmt wie eine Hexe der Hölle.«

Stevie Rae schnaubte und schüttelte den Kopf, dass ihre blonden Locken flogen wie bei einem kleinen Mädchen. Hier im Haus der Nacht, wo jeder, sogar die meisten Jungs, lange Haare hatte, fiel ihre Kurzhaarfrisur ziemlich auf. Okay, ich hatte schon immer lange Haare gehabt, aber es war trotzdem krass, als ich frisch hierhergekommen war und überall, wohin ich blickte, nur Haare sah. Inzwischen war mir klar, warum: Es gehört zur körperlichen Wandlung, dass die Haare und Nägel bei uns Jungvampyren unnatürlich schnell wachsen. Mit ein bisschen Übung kann man genau sagen, in welchen Jahrgang ein Jungvampyr gehört, ohne auf die Stickerei auf seiner Jacke zu schielen. Da Vampyre sich äußerlich von Menschen unterscheiden (nicht negativ gemeint – sie sind einfach nur anders), ist es ja nur logisch, dass ein Jungvampyr diese Veränderungen nach und nach durchmacht.

»Zoey, du hörst mir überhaupt nich zu.«

»Hä?«

»Ich hab gesagt, du darfst Aphrodite gegenüber nicht unvorsichtig werden. Okay, dann hat sie halt grausige Eltern, und die machen ihr Vorschriften und bestimmen über sie. Aber sie ist trotzdem voller Hass, böse und rachsüchtig. Sei wachsam!«

»He, keine Sorge, das bin ich doch.«

»Okay. Gut. Wir sehen uns in der dritten Stunde.«

»Bis dann«, rief ich ihr nach. Mannomann, was die sich immer für Sorgen machte!

Ich hatte es gerade noch so auf meinen Platz neben Damien geschafft, der mit einer hochgezogenen Augenbraue bemerkte: »Wieder zwei Schüsseln Count Chocula gehabt, was?«, als es klingelte und Neferet ins Klassenzimmer rauschte.

Ja, ich weiß, es ist schon komisch (oder vielleicht sollte man ›grenzwertig‹ sagen), wenn man als Frau die ganze Zeit davon schwärmt, wie toll eine andere Frau aussieht, aber Neferet ist einfach so wunderschön, dass sich alles Licht im Zimmer sofort auf sie zu richten scheint, wenn sie hereinkommt. Sie trug heute ein schlichtes schwarzes Kleid und zum Umfallen schöne schwarze Stiefel, dazu die silbernen Göttinnenspiralohrringe. Wie immer war über ihrem Herzen das silberne Göttin-Mond-Symbol eingestickt. Neferet sah der Göttin nicht wirklich ähnlich (ich würde immer noch schwören, dass ich Nyx an dem Tag, als ich Gezeichnet wurde, in einer Vision gesehen habe!), aber sie war von der gleichen Aura der Kraft und Selbstsicherheit umgeben. Ich geb’s zu – ich wäre unendlich gern sie gewesen.

Heute lief ihre Stunde nicht nach dem üblichen Muster ab. Statt wie normalerweise den Lehrstoff vorzutragen (und erstaunlicherweise waren Neferets Vorträge nie langweilig!), gab sie uns eine einfache schriftliche Aufgabe. Es ging um die Medusa, mit der wir uns die ganze Woche über beschäftigt hatten. Wir hatten erfahren, dass sie in Wirklichkeit überhaupt kein Monster gewesen war, das Menschen durch einen Blick zu Stein erstarren ließ, sondern eine große Hohepriesterin der Nyx, deren von der Göttin verliehene Gabe eine Affinität oder besondere Verbindung zur Erde gewesen war. Daher kam wohl auch dieser Versteinerungsmythos. Ich bin ziemlich sicher, dass eine Hohepriesterin mit magischer Verbindung zur Erde kein Problem damit hat, jemanden mal rasch in Stein zu verwandeln, wenn sie so richtig angepisst ist. (Steine sind schließlich auch Teil der Erde!) Unsere Aufgabe war also, ein Essay über die Mythen- und Symbolbildung bei den Menschen zu schreiben und darüber, welche Bedeutung hinter der Fiktionalisierung der Medusenstory wirklich stand.

Aber ich hatte überhaupt keine Ruhe zum Schreiben. Ich hatte ja schließlich noch das ganze Wochenende Zeit, den Essay fertig zu machen. Ich machte mir viel mehr Gedanken um die Töchter der Dunkelheit. Sonntag war Vollmond. Da würde ich zum ersten Mal das Ritual leiten müssen. Außerdem war mir klar, dass auch von mir erwartet wurde, dass ich die Änderungen ansprechen würde, die ich bei den Töchtern der Dunkelheit vornehmen wollte. Puh. Ich musste mir endlich über diese Änderungen klarwerden. Erstaunlicherweise hatte ich tatsächlich eine Idee. Aber ich brauchte dringend noch ein paar Informationen.

Ohne mich um Damiens erstaunten Blick zu kümmern, klappte ich mein Heft zusammen und ging nach vorn zu Neferets Tisch.

»Probleme, Zoey?«, fragte sie.

»Nein. Das heißt, doch. Also, ich wollte Sie bitten, ob Sie mich für den Rest der Stunde ins Medienzentrum gehen lassen würden. Dann wäre das Problem gelöst.« Ich merkte, dass ich ganz schön nervös war. Ich war erst einen Monat im Haus der Nacht und wusste noch nicht genau, wie das hier lief, wenn man sich vom Unterricht befreien lassen wollte. Ich meine, ich hatte in diesem Monat nur mitgekriegt, wie zwei Schüler krank geworden waren. Und beide waren gestorben. Beide. Ihre Körper hatten die Wandlung nicht verkraftet, das eine Mal passierte es direkt vor meinen Augen in der Literaturstunde. Es war total furchtbar. Aber außer wenn ab und zu jemand starb, kam es anscheinend kaum vor, dass jemand eine Stunde versäumte. Neferet musterte mich eingehend, und mir fiel ein, dass sie intuitiv begabt war und wahrscheinlich spürte, was für ein lächerliches Chaos sich in meinem Kopf abspielte. Ich seufzte. »Es geht um die Töchter der Dunkelheit. Ich will mir Gedanken um ein paar Neuerungen machen.«

Sie machte ein erfreutes Gesicht. »Kann ich dir dabei irgendwie helfen?«

»Ja, aber zuerst muss ich ein bisschen was recherchieren und Klarheit in meine Ideen kriegen.«

»Verstehe. Komm zu mir, wenn du so weit bist. Und du darfst gern so viel Zeit im Medienzentrum verbringen, wie du brauchst.«

Ich zögerte. »Brauche ich eine schriftliche Erlaubnis?«

Sie lächelte. »Ich bin deine Mentorin, und ich habe es dir erlaubt. Mehr ist nicht nötig.«

»Danke.« Ich eilte aus dem Klassenzimmer und kam mir ziemlich dumm dabei vor. Ich wünschte mir sehnlich, endlich lange genug hier zu sein, um all die kleinen internen Regeln zu kennen. Übrigens hatte ich mir ganz umsonst Sorgen gemacht. Die Korridore waren wie leergefegt. Anders als an meiner früheren High School (die South Intermediate High School in Broken Arrow, Oklahoma, einem megaöden Vorort von Tulsa) gab es hier keine übertrieben solariumgebräunten stellvertretenden Rektoren mit Napoleonkomplex, die nichts Besseres zu tun hatten, als durch die Gänge zu schleichen und den armen kleinen Schülern, die sie erwischen konnten, das Leben schwerzumachen. Ich drosselte mein Tempo und befahl mir, mich ein bisschen zu entspannen – Himmel, setzte ich mich die letzte Zeit unter Stress.

Das Medienzentrum mit Bibliothek und Computerraum lag im vorderen mittleren Teil des Schulgebäudes. Es nahm die verschiedenen Ebenen des Rundturms ein, der an das Gebäude angebaut worden war wie bei einer Burg. So sah die Schule übrigens auch insgesamt aus – wie eine Burg oder ein Schloss aus alten Zeiten. Wahrscheinlich war das einer der Gründe dafür, dass vor fünf Jahren die Vampyre begonnen hatten, sich dafür zu interessieren. Damals war es ein versnobtes Privatinternat für High-Society-Kids gewesen, aber ursprünglich war es als Kloster für die Augustinermönche der Gottesfürchtigen erbaut worden. Ich weiß noch genau, wie ich Neferet gefragt hatte, wie sie die Privatschule dazu gebracht hatten, an die Vampyre zu verkaufen. Neferet hatte nur gesagt, dass sie der Schule ein Angebot gemacht hatten, das diese nicht hatte ausschlagen können. Bei der Erinnerung an den gefährlichen Unterton, der dabei in ihrer Stimme gewesen war, bekam ich noch jetzt eine Gänsehaut.

»Mi-ie-ef-au!«

Ich zuckte so zusammen, dass ich mir fast in die Hose gemacht hätte. »Nala! Du hast mich zu Tode erschreckt!«

Völlig unbeeindruckt sprang mein Kätzchen an mir hoch, und ich hatte große Mühe, mein Heft, meine Tasche und die kleine (aber pummelige) Katze gleichzeitig festzuhalten. Die ganze Zeit über beklagte sich Nala bei mir mit ihrer grantigen Altweiber-Katzenstimme. Dass sie mich liebte und mich definitiv als ›ihren‹ Vampyr auserwählt hatte, hieß nicht, dass sie immer der reinste Sonnenschein war. Ich verlagerte sie auf den anderen Arm und drückte die Tür zum Medienzentrum auf.

Ach, ja – was Neferet meinem blöden Stiefpenner erzählt hatte, stimmte übrigens genau. Katzen hatten überall in der Schule freien Zugang. Oft folgten sie ›ihren‹ Kids in den Unterricht. Nala war eher so drauf, dass sie mehrmals täglich zu mir kam. Sie bestand darauf, dass ich sie eine Weile lang kraulte, während sie sich ausführlich bei mir beklagte und dann wieder verschwand, um den geheimnisvollen Freizeitbeschäftigungen einer Katze nachzugehen (ich frage mich wirklich, was sie die ganze Zeit machen. Die Weltherrschaft vorbereiten?).

»Soll ich sie dir abnehmen?«, begrüßte mich die Bibliothekarin. Ich hatte sie während meiner Orientierungswoche hier nur einmal kurz kennengelernt, aber ich erinnerte mich noch daran, dass sie Sappho hieß. (Also, natürlich war sie nicht die echte Sappho – die Vampyrdichterin war schon vor etwa tausend Jahren gestorben. Gerade nahmen wir ihr Werk in Literatur durch.)

»Nein, Sappho, danke. Nala mag so richtig niemanden außer mir.«

Sappho, eine kleine, zierliche Dunkelhaarige, deren Tattoos Damien zufolge aus griechischen Buchstaben bestanden, lächelte Nala freundschaftlich an. »Katzen sind so wundervolle, erstaunliche Wesen, nicht?«

Ich hob mir Nala auf die Schulter, und sie maunzte mir genervt ins Ohr. »Jedenfalls sind sie definitiv keine Hunde«, sagte ich.

»Der Göttin sei Dank!«

»Kann ich mich an einen der Computer setzen?« Der größte Teil des Medienzentrums bestand aus einer Unmenge von Bücherregalen mit Tausenden von Büchern, aber es gab auch einen genialen Computerraum, der technisch auf dem allerneuesten Stand war.

»Natürlich, mach es dir bequem und frag mich ruhig, wenn du etwas nicht findest.«

»Danke.«

Ich suchte mir einen Computer aus, der auf einem schön geräumigen Schreibtisch stand, und klickte mich ins Netz. Das war auch ein gewaltiger Unterschied zu meiner alten Schule: Hier gab es weder Passwörter noch gesperrte Seiten. Hier wurde von den Schülern erwartet, dass sie selbst genug Verantwortungsbewusstsein hatten, um sich ordentlich zu benehmen – und wenn nicht, fanden die Vampyre es garantiert heraus. Vampyre zu belügen war so gut wie unmöglich. Ich bekam schon Magenschmerzen, wenn ich nur versuchsweise daran dachte, Neferet anzulügen.

Mann, konzentrier dich endlich und hör auf, anderen Mist zu machen. Das hier ist wichtig!

Also. Ja, ich hatte da so eine Idee im Kopf, und es wurde Zeit, dass ich herausfand, ob sie überhaupt umzusetzen war. Auf der Google-Seite tippte ich »private weiterführende Schule« ein und bekam ungefähr eine Million Treffer. Ich fing an mich ranzutasten. Ich wollte exklusive Eliteschulen (keine dieser bescheuerten ›Alternativschulen‹, die in Wirklichkeit doch nur dazu da waren, zukünftige Verbrecher noch ’ne Weile wegzuschließen – brrr!), und es sollten alte Schulen sein, die schon ein paar Generationen lang bestanden. Schulen, die sich bewährt hatten.

Eine der ersten war Chatham Hall, die Schule, die Aphrodites Eltern eigentlich für sie vorgesehen hatten. Es war ein teures Internat der gymnasialen Oberstufe an der Ostküste – Himmel, wirkte das etepetete! Ich klickte zurück. Etwas, was Aphrodites Eltern gut fanden, war garantiert nicht das, was ich brauchte. Ich suchte weiter. Exeter … Andover … Taft … Miss Porter’s (wirklich, so hieß die! Hihi) … Kent …

»Kent. Das hab ich doch schon mal gehört«, sagte ich zu Nala, die sich auf der Tischplatte zusammengerollt hatte und mich schläfrig beäugte. Ich klickte die Schule an. »Sie ist in Connecticut. Ach natürlich – das war die Schule, an der Shaunee gewesen war, bevor sie Gezeichnet wurde.« Ich schaute mir die Homepage näher an. Ich war neugierig zu sehen, wo Shaunee den ersten Teil der zehnten Klasse (beziehungsweise Untersekunda) verbracht hatte. Nette Schule, das musste man zugeben. Klar, ein bisschen elitär war sie schon, aber irgendwie sympathischer als die Schulen, die ich mir bisher angesehen hatte. Vielleicht lag es nur daran, dass ich Shaunee kannte. Ich klickte mich weiter durch – und plötzlich richtete ich mich kerzengerade auf. »Das ist es«, murmelte ich. »Genau das brauche ich.«

Und ich nahm Kuli und Notizblock und fing an, mir Notizen zu machen. Eine ganze Menge Notizen.

 

Hätte Nala nicht warnend gefaucht, ich wäre gestorben vor Schreck, als hinter mir plötzlich eine tiefe Stimme erklang.

»Du bist ja völlig versunken.«

Ich warf einen Blick über die Schulter – und erstarrte.

O mein Gott.

»Entschuldigung, ich wollte dich nicht unterbrechen. Es ist nur so ungewöhnlich, dass eine Schülerin eifrig mit der Hand schreibt, statt auf die Tasten einzuhacken. Ich dachte, du schreibst vielleicht ein Gedicht. Ich schreibe nämlich Gedichte am liebsten mit der Hand. Computer sind so unpersönlich.«

Hör auf, so idiotisch zu glotzen! Sag was zu ihm!, schrie mich meine innere Stimme an. »Ich, äh, nein, das ist kein Gedicht.« Himmel, war das geistreich.

»Ah, na dann. Ich war nur neugierig. War nett, mit dir zu reden.«