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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Riezlern im Kleinen Walsertal wurde von den Touristen sehr geschätzt. Die Einheimischen waren stolz auf ihre Heimat inmitten der grandiosen Bergwelt. Eine junge Frau aber begehrte sich jeden Tag von Neuem darüber auf, dass sie hier leben musste. Es war die achtundzwanzigjährige Ruth Fendt. Sie stammte aus Frankfurt und war durch ihre Ehe ins Kleine Walsertal verschlagen worden. Die schöne blonde Frau wollte nicht einsehen, dass sie hier leben musste. Sie hätte in München wohnen können, denn dort arbeitete ihr Mann als Staatsanwalt. Aber er war nicht dazu zu bewegen, sein Domizil in der Großstadt aufzuschlagen. Dr. Christian Fendt stammte aus Riezlern. Seine Eltern hatten hier einen Bauernhof gehabt, den inzwischen fremde Menschen bewirtschafteten. Denn der einzige Bruder von Dr. Fendt, der den Hof übernommen hatte, war im Winter beim Holzrücken tödlich verunglückt. Der junge Staatsanwalt hatte sich ein schmuckes Haus gebaut. Es stand etwas abseits auf einem Hang und wurde von vielen bewundert. Am Freitagnachmittag kam Dr. Fendt nach Hause und blieb bis zum Montagmorgen. Oft nahm er auch während der Woche die Fahrt von München ins Kleine Walsertal auf sich, weil er jede Stunde, die er zu Hause sein konnte, schätzte. Es zog ihn immer zu seiner Frau und zu seinem fünfjährigen Töchterchen Annelie. Dr.
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Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Riezlern im Kleinen Walsertal wurde von den Touristen sehr geschätzt. Die Einheimischen waren stolz auf ihre Heimat inmitten der grandiosen Bergwelt. Eine junge Frau aber begehrte sich jeden Tag von Neuem darüber auf, dass sie hier leben musste. Es war die achtundzwanzigjährige Ruth Fendt. Sie stammte aus Frankfurt und war durch ihre Ehe ins Kleine Walsertal verschlagen worden.
Die schöne blonde Frau wollte nicht einsehen, dass sie hier leben musste. Sie hätte in München wohnen können, denn dort arbeitete ihr Mann als Staatsanwalt.
Aber er war nicht dazu zu bewegen, sein Domizil in der Großstadt aufzuschlagen.
Dr. Christian Fendt stammte aus Riezlern. Seine Eltern hatten hier einen Bauernhof gehabt, den inzwischen fremde Menschen bewirtschafteten. Denn der einzige Bruder von Dr. Fendt, der den Hof übernommen hatte, war im Winter beim Holzrücken tödlich verunglückt.
Der junge Staatsanwalt hatte sich ein schmuckes Haus gebaut. Es stand etwas abseits auf einem Hang und wurde von vielen bewundert.
Am Freitagnachmittag kam Dr. Fendt nach Hause und blieb bis zum Montagmorgen. Oft nahm er auch während der Woche die Fahrt von München ins Kleine Walsertal auf sich, weil er jede Stunde, die er zu Hause sein konnte, schätzte. Es zog ihn immer zu seiner Frau und zu seinem fünfjährigen Töchterchen Annelie.
Dr. Christian Fendt war jetzt achtunddreißig Jahre alt. Er hatte die Hoffnung, bald eine Stelle auf einem der Gerichte der umliegenden größeren Orte zu bekommen. In den sechs Jahren seiner Ehe hatte er sich immer bemüht, seiner Frau Abwechslung zu bieten, weil er sehr bald erkannt hatte, wie unzufrieden sie war. Sie ließ sich jedoch nicht gern daran erinnern, wie schnell sie bereit gewesen war, ihm hierher zu folgen. Die Zeit des Verliebtseins war für Ruth schnell vorbei gewesen. Sie hatte sich das Leben an der Seite eines gutsituierten Mannes ganz anders vorgestellt. Dass auch das Gehalt eines Staatsanwaltes eingeteilt werden musste, wollte sie nicht einsehen. Sie kaufte das, wonach sie gerade Verlangen hatte, und murrte trotzdem, dass sie sich so wenig leisten könne. Außerdem vermisste sie die Gelegenheit, im Mittelpunkt großer Gesellschaften zu stehen. Den Bekanntenkreis ihres Mannes ignorierte sie. Es gab hier niemanden, mit dem sie Kontakt bekommen hatte. Aber das lag nur an ihr. Sehr überheblich stufte sie die Menschen hier als zu ländlich in ihren Ansichten und in ihrem Auftreten ein. Oft machte sie sich auch über ihren Mann lustig und mokierte sich darüber, dass er der Sohn eines Bauern war.
Doch das empfand Christian Fendt nicht als Kränkung. Er machte nirgends einen Hehl daraus, dass er auf einem bescheidenen Hof aufgewachsen war. Aber immer erinnerte er sich daran, welche Opfer seine Eltern gebracht hatten, um seinen Wunsch, Jura zu studieren, erfüllen zu können.
Am meisten hatte die kleine Annelie unter der Unzufriedenheit von Ruth Fendt zu leiden. Auch sie fühlte sich in Riezlern wohl und hatte hier gute Freunde. Aber auch diese gefielen ihrer Mutter nicht.
Das zeigte sich auch an diesem Tag, als die blonde, meistens sehr lebhafte Annelie aufgeregt zum gegenüberliegenden Hang winkte.
»Ich bitte dich, lass das bleiben, Annelie«, sagte Ruth Fendt gereizt, »sonst kommt dieser Bauernjunge wieder zu uns herüber.«
»Aber Daniel soll doch zu mir kommen, Mutti«, erwiderte Annelie. »Deshalb winke ich ja. Er war schon zwei Tage nicht mehr hier und nur deshalb, weil er jetzt einen Freund hat.« Die dunklen Augen des Mädchens wurden traurig. »Dabei hat mir Frau Moser versprochen, dass Daniel jeden Tag eine Stunde zu mir kommen kann, wenn er seine Arbeit getan hat.«
Jetzt lief die Kleine ein Stück durch den Garten. Sie blieb auf einem Platz stehen, von dem aus sie besser zu dem geduckten Bauernhof gegenüber sehen konnte. »Siehst du den Jungen, Mutti?«, rief sie zurück. »Das ist Henrik. Er tobt mit Daniels Hund herum. Jetzt hole ich mir auch meinen Florian. Er ist heute so faul und schläft den ganzen Tag.«
Als Annelie ins Haus laufen wollte, hielt die Mutter sie fest. »Aber treibe es nicht zu toll mit Florian. Es macht mich krank, wenn er so laut bellt.«
Annelie brauchte nicht ins Haus zu gehen. Gerade kam ein grauweißer zotteliger Terrier durch die offen stehende Terrassentür gelaufen. Er sprang gleich an Annelie hoch.
»Er hat gehört, dass wir von ihm reden«, sagte Annelie stolz. Wieder sah sie zu dem Hof hinüber. »Mutti, Florian muss aber laut bellen, damit man es auf dem Moserhof hört. Daniel soll wissen, dass ich ja noch meinen Florian habe, wenn er nicht zu mir kommt.«
»Du hast Sorgen«, sagte Ruth ohne jedes Verständnis für das gekränkte Kind.
Auf einmal klang von drüben der laute Ruf »Annelie!« herüber.
»Das ist Daniel. Er steht neben seinem neuen Freund.« Annelie zupfte vor Aufregung an ihrem roten Kleidchen. »Mutti, Daniel hat mich doch nicht vergessen.«
»Hallo, Annelie, wir kommen!«, schrie der Junge von drüben nun. Er stand mitten auf dem Hof und fuchtelte mit den Händen. Um ihn herum sprang ein Schäferhund.
Annelie formte die Hände zu einem Trichter vor dem Mund und trompetete zurück: »Ja, kommt schnell!«
»Hast du mich gefragt, ob ich das auch erlaube?«, fragte Ruth. Ihr feines schmales Gesicht hatte sich unwillig gerötet, ihre blauen Augen sahen Annelie sehr ärgerlich an. »Aber, Mutti«, sagte Annelie zerknirscht, »ich will doch nicht den ganzen Tag allein sein.«
»Das bin ich auch. Oder kümmert sich hier jemand um mich?« Ruth ließ sich in einen Korbsessel auf der kleinen Terrasse fallen.
»Du könntest auch Freundinnen haben, Mutti, aber du magst die Frauen hier ja nicht. Daniels Mutti fragt jedes Mal, warum du nicht mitgekommen bist. Ich glaube, sie würde sich auch die Zeit nehmen, mit dir Kaffee zu trinken.«
Ruth schob die Träger ihres leichten Sommerkleides zurück und machte ein sehr entrüstetes Gesicht. »Du bist von deinem Vater schon ganz verdorben. Er würde mir am liebsten auch zumuten, mit einer Bäuerin Freundschaft zu schließen.«
»Frau Moser ist ganz lieb, Mutti. Sie mag mich auch. Und Herr Moser hat mich schon oft nach Hause gebracht, wenn ich Angst hatte, weil es schon dunkel wurde.« Während Annelie sprach, schielte sie zu dem Hang hinüber. Die beiden Jungen waren inzwischen mit dem Schäferhund verschwunden. Hoffentlich sind sie schon auf dem Weg zwischen den hohen Sträuchern, dachte Annelie. Dann dauert es nicht mehr lange, bis sie den Hang hier zum Haus heraufkommen. Vielleicht schickt Mutti sie doch nicht weg, wenn sie erst hier sind.
Jetzt begann Florian so laut zu bellen, dass sich Ruth die Ohren zuhielt. Dann rannte er wie die wilde Jagd davon. Gleich darauf tauchte der Schäferhund Lipus auf. Nun wusste Annelie, dass Daniel nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Vorsichtshalber wollte sie ihm entgegenlaufen. Dann konnte sich die Mutter nicht mehr über diesen Besuch aufregen.
Ruth griff jetzt gelangweilt nach einem Modejournal, das sie am Tag zuvor aus Oberstdorf mitgebracht hatte. Dort kaufte sie meistens ein. Aber selbst die modernen Geschäfte des großen Kurortes sagten ihr nicht zu. Mit ihren Gedanken war sie auch bei ihren Einkäufen immer in der Großstadt. Sie sehnte sich danach, in Boutiquen wühlen zu können, um das zu finden, was ihrer Meinung nach als Letzter Schrei zu einer jungen Frau gehörte.
Auch das Modejournal verbitterte sie jetzt. Alles, was ihr darin gefiel, konnte sie hier doch nicht tragen. Dazu fehlten ihr die Gelegenheiten. Oder was würde Christian sagen, wenn sie hier im Haus so herumlaufen würde, wie sie es sich wünschte? In raffinierten glitzernden Hausanzügen, in Kaminkleidern mit orientalischem Einschlag? Nein, Christian konnte nicht verstehen, dass eine Frau mit allen Mitteln ihre Schönheit unterstreichen musste. Er behauptete, sie gefalle ihm immer. »Wahrscheinlich könnte ich auch in Sack und Asche gehen«, sagte Ruth ingrimmig vor sich hin, ohne zu überlegen, dass ihr Mann sie sehr lieben musste, wenn er ihr sogar noch das Kompliment machte, dass sie ihm immer gefalle.
Jetzt kam Annelie mit Daniel und dessen Freund Henrik auf die Terrasse zu. Alle drei sahen etwas verschüchtert aus. Die beiden Hunde scheuchten sie zurück.
Daraus machten sich der große Lipus und der kleine Florian jedoch nicht viel. Sie spielten außerhalb des Zaunes.
Daniel Moser war sechs Jahre alt. Er war ein mittelblonder, etwas schmächtiger Junge, der eine abgewetzte Lederhose und ein buntkariertes Hemd trug. Etwas verlegen gab er Ruth die Hand. Dann zeigte er auf den Jungen neben sich. »Das ist Henrik, Frau Fendt. Seine Mutti und er wohnen bei uns. Aber am Sonntagabend fahren sie schon wieder weg.«
Henrik, dem Daniel wohl unterwegs eingetrichtert hatte, dass er sich hier sehr zurückhaltend benehmen müsse, um nicht wieder weggeschickt zu werden, sagte jetzt etwas verschüchtert: »Ja, ich heiße Henrik von Schoenecker und komme aus Wildmoos. Das ist ein kleiner Ort.«
»Von Schoenecker?«, unterbrach Ruth ihn. Ihre Augen begannen zu glänzen. Das kleine von vor dem Namen Schoenecker übte auf sie sofort eine magische Kraft aus. Auf einmal galt Henrik etwas bei ihr. Für sie kam er aus einer Welt, in der sie sich in ihren Träumen bewegte. Sie fragte ihn sofort nach seiner Familie und nach seinem Leben aus. Er konnte ihr gar nicht schnell genug antworten.
Der achtjährige, sehr natürliche Henrik konnte dieses Interesse nicht begreifen.
Er hätte viel lieber mit Annelie und Daniel gespielt, als so brav auf der Terrasse gesessen und Rede und Antwort gestanden.
Annelie wurde auch immer unruhiger. Da kam Daniel endlich zu ihr und brachte noch einen Jungen mit, aber nun beanspruchte ihre Mutter ihn sofort für sich.
Annelie griff zu einem Trick. Sie sagte: »Mutti, heut Abend kommt doch Vati. Wenn Henrik dann noch bei uns wäre, könnte er ihn auch kennenlernen. Wir brauchten nur ins Hotel ›Nebelhorn‹ zu gehen und Henriks Mutti Bescheid zu sagen, dass Henrik etwas später zurückkommt.«
»Wieso ist deine Mutti im Hotel ›Nebelhorn‹? Ich denke, ihr wohnt auf dem Moserhof?«, fragte Ruth.
»In dem Hotel ist meine Mutti bei einer Tagung«, antwortete Henrik. »Über irgendetwas von Kindern. Ich habe den Namen vergessen.«
»Aber warum wohnt ihr dann nicht gleich im Hotel ›Nebelhorn‹? Dort würdet ihr doch viel besser hinpassen. Das Hotel ist sehr komfortabel eingerichtet und das beste, das es in dieser Gegend gibt. Ruth war ganz aufgeregt.
»Meine Mutti wollte aber lieber auf einem Bauernhof wohnen, und mir gefällt das auch viel besser.« Henrik ging allmählich aus sich heraus und benahm sich so frei, wie er sich sonst gab. »Ich finde es richtig dumm, wenn man in einem feinen Hotel wohnt. Da passen alle auf einen auf, ob man sich richtig benimmt, und die Ober sehen die Kinder immer an wie strenge Lehrer.« Jetzt kicherte er. »Wenn meine Mutti schon dafür gesorgt hat, dass ich zwei Tage nicht zur Schule gehen brauche, will ich auch von diesen Ferien etwas haben. Bei Daniel auf dem Hof langweile ich mich überhaupt nicht, wenn ich darauf warten muss, dass meine Mutti von den Vorträgen zurückkommt. Aber jetzt müssen wir schnell zum Hotel ›Nebelhorn‹ laufen, sonst ist meine Mutti inzwischen weggegangen.«
Henrik sah dabei die kleine Annelie an. Er hatte gut begriffen, was sie im Schilde führte.
Die Kinder verließen die Terrasse.
»Deine Mutti kann dich ja bei uns abholen, Henrik«, rief Ruth ihnen nach. Auf einmal hatte sie es eilig festzustellen, ob das Wohnzimmer auch ordentlich aufgeräumt war. Nur wegen der Heimkehr ihres Mannes hätte sie das nicht getan. Aber falls diese Frau von Schoenecker vorbeikommen würde, sollte sie hier nichts auszusetzen haben. Man wusste schließlich nie, wozu eine solche Begegnung führte. Vielleicht würde Henriks Mutter auf den Gedanken kommen, sie einzuladen.
Dabei stellte sich Ruth schon vor, wie sehr man sie hier im Ort beneiden würde, wenn sie bei so vornehmen Leuten zu Gast sein würde. Sie ahnte nicht, dass in ihre durch Geld und besondere Namen immer angeregte Fantasie das bescheidene Leben, das die Familie von Schoenecker in Wirklichkeit führte, nicht passte. Erst recht hätte sie nicht verstanden, dass Denise von Schoenecker sich mit dem Kinderheim Sophienlust eine Lebensaufgabe gestellt hatte.
Aber Ruths Wunsch, Henriks Mutter kennenzulernen, wurde erfüllt. Denise von Schoenecker kam am frühen Abend, um Henrik und Daniel abzuholen. Das hatte sie mit den Kindern abgemacht, als diese kurz bei ihr im Hotel gewesen waren. Danach hatten die drei noch mit anderen Kindern aus dem Ort übermütig gespielt, um davon zu Hause nicht wieder von Ruth Fendt abgehalten zu werden.
Die junge Frau hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wo die Kinder so lange blieben. Es war ihr lieber, andere hörten die Kinder lärmen, als dass sie selbst den Lärm in der Nähe des Hauses ertragen musste.
Ruth geriet ganz aus dem Häuschen, als sie in Denise von Schoenecker eine so schöne Frau vor sich sah. Aber schon nach den ersten Worten ihres Gesprächs wurden die beiden gestört. Dr. Christian Fendt kam nach Hause.
Annelie hatte den Wagen, der auf dem schmalen Weg von der Hauptstraße herunterkam, zuerst entdeckt. Sie lief ihm entgegen. Hinter ihr rannte Florian drein. Das war für den Schäferhund Lipus ein Grund, seinem Freund zu folgen. Ohne übermütiges Bellen ging das jedoch nicht ab.
Ruth schüttelte den Kopf und hielt sich die Ohren zu. »Annelie ist zu wild. Sie animiert die Hunde noch dazu, sich hier so auszutoben.«
Denise von Schoenecker lachte. »Ich finde es herrlich, wenn Kinder und Tiere in dieser Freiheit leben können. Ist es nicht entsetzlich, wie schlecht es dagegen die armen Großstadtkinder haben.«
Ruth hatte die Hände wieder fallen lassen, damit sie hören konnte, was Denise sagte. Aber sie konnte dem, was sie zu hören bekam, nicht zustimmen. »Ich bin auch in der Großstadt aufgewachsen, würde aber mit keinem Kind von hier tauschen mögen. Wenn ich denke, wie rückständig diese Kinder auf dem Land bleiben. Hier in den Bergen ist es wohl besonders schlimm. Ich lebe dauernd in der Sorge, dass Annelie genauso wird.«
Denise sah die junge Frau sehr erstaunt an. »Rückständig? Was soll das bei Kindern heißen? Sie können sich hier frei entwickeln. Es kommt eben auf die Menschen an, mit denen sie zusammenleben. Heute sind die Entfernungen zu den Städten durch die Verkehrsmittel kleiner geworden. Nein, nein, ich bin gar nicht der Meinung, dass Großstadtkinder gescheiter, moderner und weltoffener werden. Das finde ich auch in den Vorträgen bestätigt, die ich hier besuche. Sie werden von anerkannten Kinderpsychologen gehalten.«
»Dass Sie Ihre Zeit mit solchen Dingen verschwenden«, wunderte sich Ruth.
Denise konnte ihr darauf keine Antwort geben. Der junge Staatsanwalt Dr. Christian Fendt war vor der Terrasse aus dem Wagen gestiegen. Vorher war er im Schritttempo den leichten Abhang heruntergefahren und hatte sich dabei schon mit den Kindern unterhalten. Jetzt fasste er Annelie unter den Schultern, drehte sie im Kreis und drückte sie an sich, als er sie wieder auf die Füße stellte.
Denise wunderte sich, dass Ruth Fendt nicht aufstand, um ihren Mann zu begrüßen. Sie sah ihm entgegen, als sei sie gewöhnt, dass er jeden Abend nach Hause komme. Dabei hatte sie eben erst gesagt, dass er diesmal während der ganzen Woche nicht habe kommen können.
Christian Fendt war groß und schlank. Er hatte volles braunes Haar und ein Gesicht mit einer so gesunden Farbe, als halte er sich nicht die ganze Woche in der Großstadt auf. Seine braunen Augen sahen Denise forschend an, als seine Frau ihn mit ihr bekannt machte.
Die Kinder hatten ihm nur sagen können, dass die Besucherin Henriks Mutter sei. Nun schien er zu glauben, Ruth habe sich mit ihr angefreundet. Darüber hätte er sich gefreut. Doch etwas später hörte er, dass Denise zum ersten Mal hier war.
Denise brach nun auch gleich auf. »Frau Moser erwartet uns zum Abendessen«, sagte sie. »Ich freue mich schon darauf. Mir hat es schon lange nicht mehr so gut geschmeckt wie hier. Schade, dass wir übermorgen schon zurückfahren müssen. Ich wäre gern noch länger geblieben, aber am Montag muss Henrik wieder zur Schule gehen, und die Tagung ist dann auch zu Ende.«
Ruth hatte schon zweimal einen Anlauf genommen, um etwas zu sagen. Nun kam sie endlich dazu. »Ich möchte Sie gern für morgen Abend einladen, Frau von Schoenecker. Sie würden mir damit eine große Freude machen.« Ruth sah sehr erwartungsvoll aus.
Denise zögerte etwas. Sie sah die Kinder an. Dann fragte sie: »Könnte ich Daniel und Henrik mitbringen?«
Ruth war in großer Verlegenheit. Aber noch ehe sie antworten konnte, sagte ihr Mann: »Das ist doch selbstverständlich, Frau von Schoenecker. Während wir uns unterhalten, kommen die Kinder sicher auch auf ihre Kosten.«
»Und ich darf länger aufbleiben«, rief Annelie begeistert. »Ich muss ja die ganze Woche schon um sieben Uhr ins Bett gehen. Da war es doch noch ganz hell. Mutti, grillen wir morgen, wenn Daniel, Henrik und seine Mutti kommen? Ich kann das schon, Vati hat es mir doch gezeigt.«
»Wir werden sehen«, sagte Ruth etwas gedehnt. Sie ärgerte sich, dass ihr Mann ihr wieder einmal in den Rücken gefallen war, wie sie es nannte, wenn nicht alles nach ihrem Willen ging. Der Gedanke, dass die Kinder dabei sein würden, wenn Denise von Schoenecker zu Besuch kommen würde, war ihr unerträglich.
Wenig später schimpfte Ruth auch schon darüber. Sie stand im Wohnzimmer, während Annelie die beiden Jungen und Denise noch ein Stück begleitete. »Du kommst einmal in der Woche nach Hause, aber du bestimmst sofort, was hier zu geschehen hat, Christian. Schließlich bin ich hier die Hausfrau und habe zu bestimmen, wer eingeladen wird. Ich wollte mit Frau von Schoenecker morgen Abend allein sein. Die Kinder werden uns nur stören.«