Bibergeil - Inge Hirschmann - E-Book

Bibergeil E-Book

Inge Hirschmann

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Beschreibung

Biber sind im Markt Hallerbach an der bayerisch-tschechischen Grenze als neue Mitglieder der Dorfgemeinschaft nicht allzu beliebt. Als mitten auf der Burg der Nagetiere ein Toter gefunden wird, gerät nicht nur die Verbrecherwelt vor Ort in Bedrängnis, sondern auch Polizeikommissar Karl Holzinger: Es stellt sich heraus, dass dieser bizarre Mord gerade für ihn besonders existenzgefährdend ist.

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Inge Hirschmann, Jahrgang 1962, war nach ihrem Pharmaziestudium fünfzehn Jahre als Apothekerin tätig. Die langen Notdienstnächte versüßte sie sich mit Schreiben. Seit dem Jahr

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

©2016 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: mauritius images/Andrew Kandel/Alamy Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch Lektorat: Susann Säuberlich, Neubiberg eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-96041-106-2 Originalausgabe

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Für meine Familie und meinen herzensguten, stets humorvollen und allzu früh verstorbenen Chef, der mich vor vielen Jahren mit dem Bibergeil bekannt gemacht hat.

1

Die Zahl potenzieller Naturfrevler nahm rasch zu. Freilich würden letzten Endes nur die wenigsten unter ihnen ihren feurigen Worten auch Taten folgen lassen, aber in jeder Untergrundgruppierung fanden sich in schöner Regelmäßigkeit ein paar Radikale, die nicht mehr lange fackeln würden.

Bald schon würde die Gartenhütte, in der sich der Zirkel der Verschwörer jetzt regelmäßig einfand, zu klein werden, um alle geheimen Mitglieder aufzunehmen. Dabei war sie wirklich geräumig mit der zusätzlichen überdachten Laube– diente sie doch sonst dem Zwecke zünftiger Geburtstagsfeiern und Spanferkel-Essen. In letzter Zeit allerdings musste sie einem finsteren Haufen Obdach gewähren.

Die Hütte samt Laube gehörte dem Weidingerbauern, der eigentlich nicht diesen Namen trug, sondern laut Personalausweis und Geburtenregister Franz Koberer hieß. In Hallerbach war es, wie in ganz Bayern, ein schöner alter Brauch, den Namen des Hofgründers über Generationen beizubehalten. Was bei neu rekrutierten Postboten stets für Verwirrung sorgte.

Erst kürzlich hatte Franz Koberer den Hof samt Partyhütte und Laube von seinem Vater übernommen, der ohne seinen Unfall mit dem Traktor wahrscheinlich so schnell noch nicht übergeben hätte.

»Irgendwas muss passieren mit diesen Biestern. Mein Vater dreht sonst noch komplett durch«, stellte der Hoferbe bekümmert fest.

»Ich bin für Abschießen«, forderte der Ledererbäck, der– zumindest vom Mundwerk her– Radikalste unter ihnen. Eigentlich hieß er gar nicht so, vielmehr hörte er auf den Namen Erwin Maxbauer. Seine Bäckerei hatte er schon vor zehn Jahren zusperren müssen, aber der Namenszusatz -bäck war ihm geblieben, und auf dem Anwesen lag seit Jahrhunderten der Name des Erbauers, Lederer eben.

»Abschießen geht nicht«, widersprach Frieder Maunz, der Revierförster. Er hätte eigentlich gar nicht hier sein dürfen, weil es seine Aufgabe war, die Biosphäre zu schützen, anstatt sein Fachwissen dem üblen Plan zur Verfügung zu stellen, eine Tierspezies auszurotten– wenn auch nur vor Ort.

»Traust dich nicht«, ätzte der radikale Ledererbäck.

»Nein, schießen trau ich mich ganz bestimmt nicht. Aber nicht aus Angst davor, erwischt zu werden. Wenn man einen Biber erschießt, sind alle anderen sofort im Wasser. Und wenn du ins Wasser reinschießt, sind die Querschläger absolut unberechenbar. Deshalb trau ich mich nicht, du Maulaffe!«

Allgemeines Gelächter. Sowohl der Förster als auch der Ledererbäck waren hitzige Naturen, und die Aussicht auf eine zünftige Rauferei war ein Lichtblick vor dem düsteren Hintergrund der Versammlung. Aber beide besannen sich. Keiner von ihnen wollte schuld sein, dass diese wichtige Konferenz scheiterte.

»Wie wär’s denn mit Giftködern?«, schlug der Behammer Martl vor.

»Gern– wenn du mir erklärst, wie man Baumrinde vergiften soll, und zwar so, dass nur die Biber sie fressen und nicht die Rehe und andere Tiere.« Nein, seine kostbaren Rehe wollte der Maunz sich nicht vergiften lassen: Was er so an die Wirtshäuser der Umgebung lieferte, brachte ihm ein ordentliches Zubrot.

»Und wenn wir versuchen würden, sie zu vergrämen? Mit irgendwas Stinkigem zum Beispiel…« Dieser Vorschlag kam vom Weidingerbauern.

Auch hiergegen hatte der Förster leider ein Argument. »Vergrämen? Das sind im Prinzip große, fette Ratten. Denen graust’s so leicht vor nichts.«

»Dann mach du halt mal einen Vorschlag, Frieder. Du bist hier der Experte«, raunzte der Ledererbäck zunehmend unzufrieden.

»Ja nun, man könnte einen Versuch mit hoch dosierten Östrogenen im Wasser machen. Aber dafür bräuchten wir Unmengen…«

»Die Antibabypille für Bibermädels?«, sagte laut auflachend ein anderer, der sonst nicht viel beizusteuern hatte, sich aber gern über alles Mögliche lustig machte.

»Bei manchen Fischen funktioniert es schon, obwohl es nicht soll.« Maunz ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Heute hielt er sich mit dem Bierkonsum stark zurück. Vielleicht hatte ihm doch endlich einmal wer gesagt, dass er nach der zweiten Halben sozial unverträglich wurde. Sein armes Eheweib wusste ein Lied davon zu singen. »Die Abbauprodukte der Pille im Urin der Frauen rutschen durch jede Kläranlage durch und machen die Fischmännchen unfruchtbar. Glaub schon, dass das auf lange Sicht auch bei Bibern funktionieren würde. Das Problem ist nur: Hormone sind verschreibungspflichtig. Ich fürchte, da versteht unser Heini keinen Spaß.« Gemeint war der Apotheker.

»Nein, der Baumer Heini ist biberneutral. Für so was riskiert der nicht seine Zulassung«, meinte der Heimatpfleger Hartwig, dem die Biber große Sorge bereiteten wegen einer denkmalgeschützten Kapelle, die das Pech hatte, zu nahe an der Biberburg zu stehen. Ohnehin lagen im Markt Hallerbach die Nerven blank in diesem verrückten Sommer des Jahres 2013, ein paar Wochen nach den jetzt schon als Jahrhunderthochwasser bezeichneten Überschwemmungen an Donau und Inn, die den ufernahen Städten und Siedlungen schlimme Wunden geschlagen, Menschen um ihr Hab und Gut gebracht und zahlreiche Betriebe in den Ruin getrieben hatten. Auch der Hallerbach hatte sich da in einen reißenden, strudelnden Strom verwandelt, allein der vor etwa drei Jahren von einem vorausschauenden Bürgermeister errichtete Uferdeich hatte den Ort vor Schlimmerem bewahrt. Und jetzt waren da die Biber und wühlten in dem Schutzwall herum!

»Und selbst wenn«, wandte der Förster ein. »Der Massinger hat da einen Fischweiher weiter bachabwärts.« Die Rede war vom Postwirt. »Wenn dem seine männlichen Fischesser auf einmal einen Mordsbusen kriegen, fliegt die Sache irgendwann auf.« Auffliegen durfte da nichts, wenn man als Förster seine Hände im Spiel hatte. Beamtenstatus in höchster Gefahr!

»Ach was, den Busen bekommen sie eh schon vom Bier«, winkte Hartwig ab, der überzeugter Abstinenzler war. »Da fällt ein bisschen mehr Brustgewebe auch nicht mehr auf.«

Allgemeines Gelächter. Manch einer jedoch begann jetzt im Stillen, seinen Bierkonsum zu hinterfragen. Was dem Gastgeber nur recht sein konnte, obwohl er noch einen Reservekasten im Keller vorrätig hielt.

»Was immer wir gegen die Biester unternehmen, wir müssen da sakrisch aufpassen. Der Holzinger Karl kommt uns sonst garantiert dahinter. Und der arbeitet als Polizeikommissar schon von Rechts wegen für die Gegenseite.«

»Ja, der bringt eine Aufklärungsquote wie der Derrick, heißt’s. Und eine Geheimwaffe hat er auch noch: seinen Onkel«, murrte der Förster.

Max Leitner, der Onkel von besagtem Oberkommissar Holzinger, war ein ganz besonderes Kaliber. Schon die Tatsache, dass er als Polizist ausgeharrt hatte bis zum Erreichen des Pensionsalters, machte ihn zu einem Ausnahmefall. Davor war er in der Hauptsache als Personenschützer tätig gewesen, ein kräftezehrender Job, der die Fitness eines Marathonläufers, die Kampfkunst eines Ninja-Kriegers, die Nervenstärke einer Kindergärtnerin und alle die Fähigkeiten voraussetzte, die Psychologen und Profiler auszeichneten.

Und doch hatte es den Anschein, dass ihm immer noch zu viel Kraft übrig geblieben war. Jeden Tag und bei jedem Wetter sah man ihn den Hallerbach hinauf- und hinunterjoggen, und das zu Zeiten, zu denen sich die eingefleischtesten Frühaufsteher noch den Schlaf aus den Augen rieben. Darüber hinaus organisierte er in den Sommerferien Gelände- und Orientierungsläufe für Jugendliche, die von solchen Exkursionen im Gegensatz zu Max Leitner immer völlig erledigt und ausgepumpt zurückkehrten. Dennoch war sein Ferienprogramm beliebt– insbesondere bei jenen, die eine Karriere beim Bund anstrebten. Jungs aus Hallerbach und Umgebung wurden vom Militär gern genommen. Die Grundausbildung war für sie meist ein Klacks.

»Ja, Geheimwaffe hin oder her«, sagte da der Ledererbäck, immer noch stänkerig gestimmt. »Mit dem Gesindel, das Tag für Tag über die Grenze kommt und uns beklaut, wird nicht mal dein Bayerwald-Derrick fertig. Wir sollten uns endlich das trauen, was sich andere schon lange getraut haben: Schlagbaum quer über die Straße, Grenze wieder dichtmachen. Dann könnten die ihr Diebesgut auf Rückenkraxen heimtragen. Und überhaupt: Mit dem stimmt’s doch eh hinten und vorn nicht, oder?«

»Was… mit dem Max? Du, pass fein auf, Bürscherl, was du sagst!«, ereiferte sich jetzt ausgerechnet der biedere Heimatpfleger Matthias Hartwig, ein leicht rundlicher kleiner Mann Ende sechzig mit einem kurz geschorenen weißen Haarkränzchen und einem Mordstrumm von Schnauzbart.

Der Ledererbäck war zwar etliche Jährchen jünger als er, aber rein vom Typus her schon längst kein »Bürscherl« mehr.

»Schmarren, ich red doch nicht von deinem heiligen Max. Seinen Neffen mein ich, den Superbullen. Oder soll ich besser sagen, den Rauschgoldengel?«

Ein paar Lacher erntete er schon für diesen Ausdruck. Die äußere Erscheinung von Oberkommissar Karl Holzinger war vom guten alten Derrick ungefähr so weit entfernt wie die Erde vom Mond. Schon als Kind war Karl ein ausnehmend hübscher Bursche gewesen, mit großen blauen Augen und einem sonnenblonden Lockenköpfchen, weswegen er beim Krippenspiel zu seinem Verdruss auch immer die Rolle vom Engel Gabriel zugeteilt bekommen hatte.

Woher die Locken kamen, wusste in seiner Familie keiner so recht, denn seine Mutter war alleinerziehend. Karl war in den frühen Siebzigern entstanden, sozusagen im Hochmittelalter der Hippiekultur. Ein Jahr oder so zuvor hatte seine Mutter, eine gelernte Krankenschwester, einfach ihr Bündel geschnürt, sich beim Roten Kreuz freiwillig zu einem Auslandseinsatz im Sudan gemeldet und war mit dem Bauch voll lustiger Sachen zurückgekommen– also, schwanger halt mit dem Karl.

Max hatte sich der ledigen Mutter, die seine Cousine war, angenommen, sie und den Buben immer unterstützt und jedem, der nachfragte, erzählt, dass die Vera eigentlich eine Kriegswitwe war. Weil nämlich der Erzeuger von ihrem Buben im heldenhaften Einsatz für die Verwundeten einfach so erschossen worden sei. Und das nur einen Tag, bevor sie vor dem Feldpriester den Bund der Ehe schließen wollten.

Die Geschichte war zum Heulen tragisch und der halb verwaiste Junge so lieb und anständig, dass ihn einfach jedermann gernhaben musste.

Am allergernsten hatte ihn sein Onkel Max. Wie ein Vater. Und wenn die beiden nicht von der Optik her so völlig verschieden gewesen wären, man hätte glatt meinen können, er und die Vera… Aber es gehörte sich nicht, so etwas Unanständiges überhaupt zu denken.

»Was hast du eigentlich gegen ihn? Dass er besser aussieht als du? Weißt, mit dieser Tatsache müssen die meisten von uns leben. Er hat halt italienische Wurzeln, und die Italiener, die sind schon von Haus aus viel schöner und eleganter als wir Bajuwaren.«

»Blödsinn! Aber findest du das vielleicht normal, dass er keine Frau hat und nicht mal eine Freundin? Immer noch nicht, obwohl er stramm auf die vierzig zugeht.«

»Wieso? Der Max hat doch auch keine…« Blödes Argument, fiel Hartwig jetzt ein.

Prompt fing auch der Behammer Martl recht frotzelig zu kichern an, während der Förster gleich richtig dreckig loslachte.

»Er ist doch erst seit ein paar Jahren wieder aus Nürnberg zurück. Was dort war, wissen wir alle nicht. Vielleicht haben sie seine Liebste vor seinen Augen erschossen, oder was. So traurig, wie der manchmal schaut…« Es war nicht zu überhören, dass Matthias Hartwig den Neffen seines Stammtischbruders Max Leitner gern leiden mochte. »Also noch mal: Auf den Jungen lass ich nichts kommen, der ist schon in Ordnung. War selbst als Teenager grundanständig. Seine Mama hat ihn schließlich sogar in einen Karatekurs gesteckt, damit er sich endlich Ellenbogen zulegt.«

»Falsch. Der Max hat ihn in den Karatekurs gesteckt. Der war immer dahinterher, dass der Junge endlich zum Kerl wird.«

»Ist doch eh wurscht. Aus dem ist ein guter Polizist geworden, sexuelle Ausrichtung hin oder her. Obwohl ich nach wie vor glaub, dass er eher auf Frauen steht. Nur weil er deine Tochter hat abblitzen lassen, heißt das ja wohl noch lange nichts.«

»Lass meine Tochter aus dem Spiel!«, brüllte der Ledererbäck, dass die Bierflaschen auf dem Tisch nur so wackelten. »Und guter Polizist– von wegen. Der kriegt die Lage hier vor Ort einfach nicht in den Griff.«

»Wegen der Biber, oder was jetzt?«

»Er meint, wegen der Diebesbanden aus dem Osten«, korrigierte der Förster überraschend konzentriert und unaggressiv.

»Das bringt uns jetzt aber zu weit vom Thema ab«, wandte der Weidingerbauer ein, der von den landschaftsbaulichen Veränderungen durch die Biber mit am schlimmsten betroffen war.

»Aber sagen wird man’s ja wohl mal dürfen«, beharrte der Ledererbäck. Er war Frührentner und hatte kein anderes Hobby, als ständig aktiv gegen irgendwas zu sein. In Wahrheit hatte er durch die Biber nicht den geringsten Schaden erlitten.

»Es geht ja nicht nur um Kleinigkeiten wie Fernseher und Autoradios, sondern um ganz handfeste Luxuskarossen, die uns diese Banden von drüben vor der Nase wegklauen. Und als Ausgleich überschwemmen sie uns mit ihrem Rauschgift, das unseren Kindern die Birne weichkocht.« Womit er ausnahmsweise gar nicht so unrecht hatte.

So hübsch sich der idyllische Markt Hallerbach auch für den Fremdenverkehr präsentierte: Hinter den Kulissen sah es weniger schön aus. Die tschechische Grenze– und somit die berüchtigten Vietnamesenmärkte mit ihren Drogenküchen, die so üble Gemeinheiten wie Crystal Meth ausbrüteten– lag nur einen Steinwurf weit entfernt. Um die Jugendlichen des Zweieinhalbtausend-Seelen-Ortes musste man sich ernstlich Sorgen machen. Mehr noch als um die Autos, weil die meisten ja sowieso vom Hof des steinreichen Gebrauchtwagenhändlers Joachim Rapp weggeklaut wurden, den hier am Ort schon aus purem Neid niemand so recht leiden konnte. Es ging allerdings auch das Gerücht, dass ihm die Diebstähle bisher nicht wirklich geschadet hatten, weil er gut versichert war.

Der Weidingerbauer rammte seinen Bierkrug auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit der Versammlung zurückzugewinnen, die drohte, in kleine separate Diskussionsrunden auszufransen, statt produktive Vorschläge in dieser so wichtigen Sache auszubrüten. »Zurück zum Thema, Leute! Was machen wir nun gegen die Biester? Hat wer einen Plan?« Das traute er sich jetzt einfach mal. Schließlich war es seine Laube. Und sein Bier.

2

Es war jetzt gerade eben nicht mehr stockdunkel, dennoch wollte ein jeder Schritt genau erwogen sein. Die Böschung war tückisch schlüpfrig, und er durfte auf keinen Fall stürzen. Dann nämlich würden im besten Falle sechs Monate Planung für die Katz gewesen sein sowie zwei Tausender vertan, schlimmstenfalls aber er selbst mausetot und seine sterblichen Überreste in einem Zustand, der zur Bergung eher ein Sieb erfordern würde als eine Trage.

Dazwischen lagen Möglichkeiten in allen Schattierungen. Zum Beispiel diese: »Mysteriöses Fischsterben im Hallerbach– Ermittler stehen vor einem Rätsel.« Oder: »Angler von Unterwasserbombe zerfetzt.« Oder: »Kinder finden Plastiksprengstoff im Hallerbach– drei Todesopfer.«

Bei näherer Betrachtung war der schlimmste Fall, den er sich vorstellen konnte, längst nicht der schlimmste. Besser, es zerrisse ihn selbst als unschuldige Kinder.

Und trotzdem machte er weiter. So gründlich, wie er alles geplant hatte, durfte einfach nichts schiefgehen.

Linker Hand konnte er jetzt die unscharfen Umrisse der Burg ausmachen. Rechts davon, ungefähr zehn Meter flussabwärts, lag der Damm. Auf der Seite, wo das Wasser aufgestaut war, musste es gut zwei Meter tief sein. Unmöglich, hier einen Sprengsatz anzubringen, obwohl die Schockwelle da vielleicht auch die vermaledeite Burg zerstört hätte. Noch unmöglicher, die Burg selbst anzugreifen: In ihr wohnten wehrhafte Gesellen, das hatte der Hund von der Bichlerin ja schon auf drastische Weise erfahren müssen. Und dieser Köter war wahrhaftig eine Kampfmaschine!

Langsam, jeden Schritt tastend ergründend, watete er in den Fluss, der laut Wasserwirtschaftsamt eigentlich noch ein Bach war und an dieser Stelle, knapp hinterm Damm, auch so aussah, indem der Wasserspiegel gerade eben Kniehöhe hatte. Inbrünstig hoffte er darauf, dass kein Wächter-Biber in der Nähe war, der nicht nur sein Tun vereiteln, sondern ihm auch noch eine wichtige Beinarterie durchbeißen würde, wie unlängst anderswo einem Mann geschehen, der diesen Ungeheuern versehentlich zu nahe gekommen war. Verblutet war der, keiner hatte ihm mehr helfen können.

Ja, das war auch noch ein möglicher Ausgang dieser Aktion.

Es schien ihm eine Ewigkeit, bis er die ungefähre Mitte des Gewässers erreicht hatte. Wenn, dann musste der Schlag von hier ausgehen, nur im Herzen des Dammes würde eine Explosion genug Schaden anrichten, um die Invasoren zu vertreiben. Es hieß, dass sie ihre Burgen aufgaben, sobald der Eingang nicht mehr von Wasser bedeckt war. Aber es hieß ja auch, Biber seien harmlos und würden keinen Schaden anrichten.

Was ihm gerade durch den Kopf ging, verzerrte Firmian Koberers wettergegerbtes Gesicht zu einer unschönen Grimasse. Sein Traktor– liebevoll »Hubert« genannt nach dem Onkel, der ihm seinerzeit den Hof vererbt hatte– war nur noch ein Haufen Schrott, nachdem er damit in einen Bibergang geraten und gekentert war wie ein Fischerboot auf hoher See. Ein Wunder, dass ihm selbst nichts Schlimmeres passiert war als der Verlust seines rechten Ohres. Männer sind ja zum Glück nicht allzu eitel, schon gleich gar nicht, wenn sie deutlich über sechzig sind. Aber wenn sie über sechzig sind und frisurtechnisch nur mehr das Modell »Skinhead« zur Debatte steht, dann ist es schon blöd ohne Ohr auf der einen Seite. Neben Hubert also noch etwas, das Koberer den Bibern sehr, sehr übel nahm.

Am schlimmsten aber war das mit dem Bulldog… und dass er ungefähr ein Viertel seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche praktisch nicht mehr mit seinen Maschinen befahren konnte. Wegen der Instabilität des Untergrundes, verursacht durch die Machenschaften der Biber.

Weg mussten sie, diese Teufel!

Alten Bauern wird ja manchmal boshafterweise nachgesagt, sie seien ein wenig hinterkünftig und eigentlich Technikverweigerer, wenn es sich nicht gerade um eine landwirtschaftliche Maschine handelt. Sollte das statistisch nachweisbar sein, so fiel Koberer da ziemlich aus dem Rahmen.

Zugegeben, erst hatte ihm sein Sohn Franz eine kleine Einweisung erteilen müssen, aber von da an hatte der Altbauer Feuer gefangen wie der Heustadel nach dem Blitzschlag und war vom Computer nicht mehr wegzukriegen. Das ging so weit, dass der Sohn schon zu radikalen Mitteln greifen musste, um auch einmal ans Internet zu kommen. Was hieß, dass er seine Tochter Julia– die Enkeltochter vom Firmian also– vorschickte, und die musste dann zum Gotterbarmen betteln, weil sie kindergartentechnisch auf die Webseite von der Sendung mit der Maus gehen und was recherchieren sollte. Und was da an Ausreden ihrem Papa noch so einfiel. Hinterher hockte dann nämlich immer der Franz vor dem Gerät. Der Sohn, nicht die Enkeltochter. Die hatte es sowieso eher mit völlig unvirtuellen Barbies und Frisierköpfen.

Spätestens nach Mitternacht jedoch gehörte das World Wide Web wieder Firmian, dem Altbauern. Sein Sohn und dessen Frau Margit mussten früh raus, die Tiere versorgen. Der Opa hingegen hatte seit der Tragödie mit dem abgerissenen Ohr Schonzeit. Und überhaupt: Jeder, der einigermaßen rechnen konnte, und insbesondere ein Landwirt, hatte Nachtstrom. Da kostete das Surfen gleich noch viel weniger.

Den Plastiksprengstoff hatte er auch ersurft. Inland, versteht sich. Man schaut sich ja manchmal im Fernsehen »Achtung, Kontrolle« und dergleichen an, nicht wahr. Woher das Zeug kam, war dem Koberer wurscht. Vielleicht von irgendeinem Möchtegern-Extremisten, der zuletzt doch noch kalte Füße gekriegt hatte.

Terror gegen Biber? Wenn er dazu aufgerufen hätte, hätten mindestens fünfzig Leute im Ort »Hurra« geschrien. Aber auf diese Weise ging das nicht. Als Landwirt hatte man schließlich Erfahrung mit den Behörden. Meistens keine gute. Sein Sohn war ihm da auch keine Hilfe, der traute sich sowieso nie, gegen die Ämter aufzumucken, und schien schlichtweg resigniert zu haben.

Also das Ross keinesfalls von hinten aufzäumen wie der Heimatpfleger, der sich so leidenschaftlich gegen die Biber echauffierte, dass es schon zuweilen peinlich war, ihn bei den Bürgerversammlungen immer wieder das gleiche Klagelied herunterleiern zu hören. Und das nur, weil er eine halb verrottete Holzkapelle retten wollte, von der er befürchtete, die Biber könnten sie mit einem Baum verwechseln und versehentlich fällen.

Aber ja, wahrscheinlich müssen Heimatpfleger so sein, dachte Koberer, während er vorsichtig seinen Sprengsatz im Gezweig des Dammes verstaute, so tief drin, wie es nur ging.

An dieser Stelle war das Bauwerk einen Meter höher als er. Jeden Augenblick rechnete er damit, dass ihn eines der Biester von oben anspringen und ihm das Genick durchnagen würde. Nie in seinem Leben hatte er etwas getan, was so viel Mut erforderte.

Als er den Wecker stellen musste, der die Zündung aktivieren sollte, zitterten seine Hände so heftig, dass er fürchtete, er würde es nicht schaffen und so kurz vor dem Ziel noch scheitern.

»Ich bin wichtig– ich bin wichtig– ich bin wichtig…«, murmelte er vor sich hin. Diesen Trick hatte er irgendwann einmal in so einem Frauenblättchen gelesen, wie sie in den Wartezimmern der Ärzte herumlagen, Mantra nannte sich das. Und siehe da, das Zittern verlor sich. Da behaupte noch mal einer, die Psychofritzen würden nichts taugen!

Nach vollbrachter Tat watete er zurück ans Ufer, so schnell, als würden böse Dämonen ihn hetzen. Und rannte und rannte, dass seine nicht mehr gar so geschmeidigen Gelenke knackten, bis zu einem großen Findling, hinter dessen Deckung er sich sicher wähnte. Denn zuschauen wollte er schon bei dem, was er da in Gang gesetzt hatte.

Langsamer als gedacht verstrich die Zeit. Schon begann er zu fürchten, der verdammte Wecker hätte vorzeitig den Geist aufgegeben, da ging es auf einmal los. Und wie!

Ein Krachen, das das ganze Feld erzittern ließ, ein Feuerball, brennende Zweige und auch größere Teile, die in alle Richtungen katapultiert wurden– sogar bis zu dem Findling und darüber hinaus. Koberer sah sie kommen und verharrte fasziniert fast einen Augenblick zu lang bei der Beobachtung dieses scheinbar schwerelosen Schwebens riesiger Leuchtkäfer, duckte sich gleichsam im allerletzten Moment noch weg. Brennendes Reisig flatterte über ihm davon wie aufgescheuchte Rebhühner.

Ein Treffer hätte ihn leicht das zweite Ohr kosten können oder gleich den ganzen Schädel.

Zum Glück hat es die letzten Tage geregnet, sonst hätte ich meinen Mais wohl vergessen können, dachte Koberer. Aber nein, das war ja mittlerweile der Mais seines Sohnes. Seit er den Hof übergeben hatte halt. Aber auch wenn er mit dem Franz um die Benutzung des Computers gelegentlich in Streit geriet: Sohn war Sohn– und ohne Maisernte konnte der vielleicht auch den Austrag nicht mehr zahlen.

Und der alte Koberer sparte auf einen plastischen Chirurgen, weil ihm das mit dem Ohr schon irgendwie zuwider war.

Ja, wie auch immer: Die Explosion war vom Feinsten, der verfluchte Biberdamm flog praktisch senkrecht in die Höhe. Zumindest in der Mitte, denn insgesamt war das Gebilde eher bogenförmig. Und dann fiel das meiste davon brennend ins Wasser, das ja jetzt eine ordentliche Strömung hatte, weil es das Gefälle von zwei Metern auf einen halben schnell wieder ausgleichen wollte. Wie ein Floß riss es das ganze Gelumpe talwärts, richtig schön war das anzuschauen.

Der Altbauer bedauerte einen Moment lang, dass der Franz und seine Margit und die kleine Julia nicht bei diesem Spektakel zuschauen konnten, aber die hatte er aus kriminaltechnischen Gründen lieber aus der Sache herausgehalten, denn: Einer verplappert sich immer. Insbesondere im Kindergarten wollte er mit seinem schönen Feuerwerk nicht zum Superstar werden. Die Kindergärtnerinnen waren ja allesamt ziemlich grün angehaucht und somit auch bibergeil. Eleganter ausgedrückt: dem Biber als Wiederbesiedler eines verloren geglaubten Habitats extrem freundlich gesonnen.

Es verlangte ihn jetzt nach einer ordentlich starken Zigarre. Er hatte keine Ahnung, warum er wie andere Altbauern so gern Zigarren rauchte. Vielleicht, weil auch sein Vater und Großvater und der besagte Onkel Hubert es schon so gehalten hatten. Es gehörte einfach dazu, zumindest beim Koberer.

Genüsslich stellte er sich vor, er hätte eine zwischen den schmalen Lippen hängen, und schaute dem Damm beim Davonschwimmen zu…

Einen Sekundenbruchteil später stürzte er keuchend querfeldein hinterher.

Was war das, was da aus dem ganzen Gemenge hervorstach wie eine Heugabel? Auf jeden Fall etwas mit fünf Fingern dran!

Der Altbauer lief so schnell wie die letzten zehn Jahre nicht mehr. Ein Glück, dass er dabei nicht versehentlich in einen Bibergang trat, bei der Geschwindigkeit hätte es ihn wahrscheinlich den Oberschenkelhals gekostet. Was wahrlich schlimmer war, als nur ein Ohr zu verlieren.

Zwei-, dreimal noch erhaschte er einen Blick auf das, was da aus dem verbrannten Geäst ragte. Kein Zweifel, es war eine menschliche Hand– daran ein Stück Armknochen, etwas wie Fleischreste…

3

Martin Krammer war sechzehneinhalb Jahre alt und ein Paradebeispiel für die gefährdete Hallerbacher Jugend. Crystal Meth hatte er zwar wohl noch nicht probiert– dafür sah er nicht heruntergekommen genug aus. Martin hatte es mehr mit dem Wodka. Vorzugsweise auf dem Kinderspielplatz, wo der Bayerwald-Derrick ihn schon diverse Male aufgesammelt und eingebuchtet hatte, um ihn auszunüchtern, ehe seine Eltern ihn auf dem Revier abholen durften.

Oberkommissar Karl Holzinger hatte sich auch immer ordentlich um den Jungen gekümmert, wenn der in seiner Arrestzelle saß, ihm ein gesundes und reichhaltiges Frühstück gemacht und ihm ein übers andere Mal gut zugeredet. Aber nie hatte er dafür einen anderen Dank geerntet als die kühle, über allen Dingen stehende Verachtung eines Menschen, der meint, alles von der Welt zu wissen, und in Wahrheit nur das wusste, was seine falschen Freunde ihm beigebracht hatten.

Ein paar von ihnen kannte Holzinger besser, als ihm lieb war. Zwei schlugen sich mit Gelegenheitsjobs durch, meistens auf dem Autohof von Joachim Rapp. Der Gebrauchtwagenhändler war überhaupt ein richtiger Lumpensammler, selbst seine fest angestellten Mitarbeiter Wassili Kurow und dieser Boris Bobrow machten auf viele den Eindruck, als sollte man ihnen besser nicht im Finstern begegnen. Mit solchen Leuten hing Martin Krammer herum.

Kein Wunder also, dass Gammeln, Saufen und Party machen sein Lebenszweck waren. Sein Vater, der Sägewerksbesitzer, hatte schließlich Kohle genug für sie alle, wozu sollte Martin da einen Beruf erlernen? Wäre auch schwierig geworden ohne Schulabschluss. Richtig gut konnte er eigentlich nur zweierlei: chillen und andere unter den Tisch saufen. In letzterer Disziplin war er in seiner Altersklasse unschlagbar, nur gegen die beiden Deutschrussen kam er nicht an.

Warum der Krammer Martin dann schon so früh auf den Beinen war? Falsche Frage: Er war so spät noch auf den Beinen. Auf dem Heimweg von dem geilen Wetttrinken auf dem Spielplatz, wo er und seine Bande wieder einmal mit dem Holzinger Karl Verstecken gespielt hatten. Obwohl der Kommissar schon mit den Autoschiebern genug Stress hatte. Da er nun einmal in Hallerbach wohnte, fiel es ihm schwer wegzuschauen, wenn die Jugendgang den Spielplatz verwüstete, und ihre Aktivitäten kosteten ihn so manche Stunde seines Nachtschlafes.

Martin hatte das heutige Wettsaufen gewonnen– Wassili und Boris waren nicht dabei gewesen–, aber jetzt auf einmal fühlte es sich an wie ein Pyrrhussieg. Nicht dass der Junge gewusst hätte, wer Pyrrhus gewesen war. Aber als er den Feuerball gewahrte, der mit einem ohrenbetäubenden Knall viel zu nahe an seinem Heimweg hochstieg, und Augenblicke später eine gewaltige Druckwelle ihn von den Füßen riss, wie es der stärkste Wodka nicht zustande brachte, da dachte er einen Moment lang, er würde gleich die Englein singen hören. Und dass es nicht übel wäre, wenn er jetzt noch ein wenig mehr Gewalt über seine Beine hätte. Zum Weglaufen halt.

Zum Aufrappeln immerhin reichte es gerade noch. Und das verschaffte ihm einen besseren Ausblick auf die riesige lodernde Masse, die den Hallerbach herab auf ihn zugeschossen kam. Vor Schreck fiel er erneut hin und krabbelte panisch rückwärts wie ein Krebs davon, vom Uferweg fort hinein ins hohe Gras der Wiese. Normalerweise mochte er hohes Gras nicht, er ekelte sich vor all dem Getier, das darin hauste, allem voran Zecken und Spinnen. Aber wenn ein massiver Wall aus Ästen, Zweigen und weiß der Teufel was noch alles in grellen Flammen auf dich zurast, da kannst nicht wählerisch sein mit deinem Fluchtweg.

Wenn ich das überlebe, dachte der Martin in einem Anfall von Wahnsinn, dann geh ich nie wieder zum Komasaufen. Lieber Gott– mach, dass mich das Ding da nicht grillt oder platt walzt!

Vernünftig wäre jetzt gewesen, wenn er sich flach auf den Bauch gelegt hätte, so hätte er sogar eine weitere Explosion überleben können. Noch sinnvoller, wenn er schnell davongelaufen wäre. Aber an Laufen war nach eineinhalb Flaschen Wodka nicht zu denken.

Da er auf die erste Möglichkeit nicht kam und die zweite undurchführbar war, blieb er wie festgebannt im hohen Gras knien, während der Matsch in seiner kunstvoll durchlöcherten Jeans hochkroch, und schaute der Feuerwalze zu, wie sie an ihm vorbei den Hallerbach hinuntertrieb.

Nicht an allen Stellen brannte es, an den Seiten schien die amorphe Masse zu nass dafür zu sein. Und an einer dieser nassen Regionen ragte etwas daraus hervor, das dem sonst keiner Autorität zugänglichen Jungen den Ausruf entlockte: »Jessas, Maria und Josef!«

Was er sah, war eine bleiche menschliche Hand mit gespreizten Fingern und etwa zwanzig Zentimeter Armknochen dran. Den Rest verbarg gnädig das Gewirr der Zweige.

Martin hatte nicht mehr die Kraft, von diesem unheilvollen Ort zu fliehen. Der Alkohol traf ihn in seinem Schockzustand mit voller Wucht, er rollte sich im feuchten Gras zusammen und fiel in einen nahezu komatösen Schlaf.

4

Zuweilen arbeiten Behörden auch schnell. Es dauerte gerade mal einen Tag und einen halben, da tauchte auch schon der Biberbeauftragte vom Landratsamt auf. Ein drahtiger Schönling Mitte dreißig in Designerjeans und perfekt gebügeltem Poloshirt einer Edelmarke nahm da am späten Nachmittag Quartier im Postgasthof– und nicht im ebenfalls vorhandenen Drei-Sterne-Hotel, das sich in der momentanen Tourismusflaute auch über ihn gefreut hätte.

Also entweder war das Amt zwar schnell, aber spesenmäßig wenig spendabel, oder der Herr Ermittler hatte sich einfach ausgerechnet, dass er in einem Postgasthof eher dahinterkommen würde, wie dieser Ort tickte.

Wenn man bedachte, was überhaupt seine Anwesenheit erforderte, war diese Frage aber eigentlich schon im Vorfeld beantwortet, und er hätte somit nicht auf das Drei-Sterne-Haus verzichten müssen: Hallerbach tickte »anti-Biber«.

Dabei sah der idyllisch gelegene Marktflecken wahrlich nach einem Ort aus, wo auch kleines und wenig wehrhaftes, dafür aber überall auf der Welt verfolgtes Getier ein sicheres Asyl finden konnte. Eingebettet in ein weites Hochtal, in grauer Vorzeit von dem Bach geschaffen, dem der Ort seinen Namen verdankte, zogen sich die Häuser der Bayerwaldgemeinde malerisch die Hänge hinauf, am oberen Ende bekrönt vom Hallerbacher Hof, besagtem Hotel. Oberhalb kamen nur noch Wanderwege mit atemberaubender Aussicht bis hinüber zum Großen Arber und ein Schlepplift, der im Winter den Hausberg von Hallerbach beleben half. Der übrigens sinnigerweise den Namen Hallerberg trug.

Das eigentliche Ortszentrum lag tiefer im Tal, wenn auch längst nicht am tiefsten Punkt– der Hallerbach war ja von jeher wegen seiner Hochwasser gefürchtet–, und bestand im Wesentlichen aus dem Kirchplatz samt Wirtshaus sowie dem lang gezogenen, leicht ansteigenden Marktplatz, an dem immer noch ein paar Einzelhandelsgeschäfte tapfer die Stellung hielten.

Aber auch an diesem letzten Fleckchen Bayern vor der Grenze war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Das Einkaufserlebnis spielte sich jetzt hauptsächlich außerhalb ab, am Stadtrand des nächstgrößeren Ortes Brombach zum Beispiel, der sich nicht nur Stadt nennen durfte, sondern dazu auch einen ansehnlichen Speckgürtel aus Bau- und Verbrauchermärkten und Fast-Food-Ketten besaß. Was zur Folge hatte, dass der Marktplatz von Hallerbach nach und nach genauso verödete wie andere Ortszentren ähnlicher Größe. Allein beim Postwirt Fritz Massinger tobte nach wie vor das pralle Leben, sogar außerhalb der Saison. Er kochte gut, das Ambiente war so schön retro-bayerisch…

Und wenn man beim Postwirt einkehrte, konnte man sich glatt die Tageszeitung sparen. Einfach Ohren spitzen, zuhören, worüber der Stammtisch gerade debattierte, und bei andauernden Unklarheiten zur Not den Wirt fragen.

Der Tag war ein wenig regnerisch, weshalb sich alles, was sonst im großen Biergarten unter den Kastanien zu sitzen pflegte, in der urigen Gaststube aufhielt. Als da wären: Matthias Hartwig, Heimatpfleger; Heinrich Baumer, Apotheker und in praktisch jedem Verein zu Hause, den Hallerbach aufzuweisen hatte– mit Ausnahme der Geheimgesellschaft zur Entfernung der Biber; Erwin Krammer, stolzer Besitzer eines florierenden Sägewerkes und weniger stolzer Vater eines Problemteenies; Max Leitner, der gewaltsam in den Ruhestand beförderte Polizeihauptkommissar und beratende Nothelfer seines noch aktiven Neffen Karl Holzinger. Der fehlte noch in der geselligen Runde, jagte wahrscheinlich wieder mit fliegendem Pferdeschwanz Spielplatz-Vandalen, der arme Teufel.

Am Nebentisch saßen zwei ältere Landwirte, denen anzusehen war, dass sie schon länger auf einen dritten warteten. Wegen des gemeinsamen Kartenspiels, zu dem sie sich traditionell jeden Samstag hier einfanden. Und sich jetzt wunderten, dass der Koberer so lange nicht daherkam.

So also war die Situation, als der Biberbeauftragte Gerold Sattler von Amts wegen in die bekanntermaßen gar nicht so heile Welt dieser Dorfgemeinschaft einbrach und sich daranmachte, alle aufzuscheuchen. Und das bloß wegen des blöden Biberdamms.

Kurioserweise war der gerade eben noch das Gesprächsthema am Stammtisch gewesen. Aber als der Fremde auftauchte und sich im Wirtshaus durchfragte, weil an der zugehörigen Rezeption am Nebeneingang keiner war, verstummten schlagartig die aufgeregten Diskussionen.

Stranger in town: Klappe halten, erst mal schau’n!

Der Mann trieb also die Kellnerin auf, und die holte den Wirt aus der Küche, und der fischte den Schlüssel für das vorbestellte Zimmer vom Haken. Und schon war’s fürs Erste gut. Einen Hausdiener zum Gepäck-Rauftragen hatte die »Post« nicht, und gar so einen großen Koffer hatte wiederum der Gast nicht. Klar, dass der den selbst hochschleppen konnte.

Sowie das Knarzen seiner Schritte auf den Dielen im ersten Stock verklungen war, stieg der Geräuschpegel in der Gaststube um geschätzte dreihundert Prozent.

»Was is’n des für einer?«

»Hat der koa Frau dabei?«

»Also, für mi hat der irgendwie amtlich ausg’schaut.«

Der stillgelegte Kommissar kriegte auf einmal einen langen Hals und ganz große Ohren. »Wissts, vielleicht ist der wegen dem Biberdamm da.«

Darauf der Heimatpfleger: »Aber geh, wegen einem Biberdamm, den’s in die Luft reißt, kommt doch nicht gleich ein Amtlicher.«

»Hast du eine Ahnung!« Wieder der Leitner. »Die Biber, die sind denen da oben jetzt ganz wichtig, weißt. Weil sie ja keine problematischen Übersiedler sind, sondern eigentlich Teil unserer Fauna, leider vorübergehend ausgerottet und jetzt auf bestem Wege, die Fehler der Menschheit zu korrigieren. Ausgestorben sind die ja überhaupt nur wegen der Fastenzeit, weil die früher so viel strenger gehandhabt worden ist als heute.«

»Du meinst, die Mönche…?«, nahm Heinrich Baumer, der umfassend gebildete Apotheker, das Thema auf.

»Nein, eher die Äbte. Die wollten ja auch in der Fastenzeit mal einen saftigen Braten auf den Tisch kriegen. Und da die Biber nun einmal Schwimmhäute an den Hinterläufen haben und im Wasser leben, hat man sie kurzerhand zu Fischen umgetauft. Das muss die armen Tierchen schon ganz schön dezimiert haben. Dazu später noch die Flurbereinigung, die Gewässer wurden begradigt und reguliert. Eigentlich müssten wir uns jetzt freuen, dass doch noch ein paar übrig geblieben sind.«

»Ach, Schmarren!« Der Heimatpfleger war nicht gut auf die Biber zu sprechen und hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. »Die Mistviecher… fast bis an die Kapelle haben sie sich schon durchgegraben. Wieso, frag ich mich, müssen Biber Deiche unterminieren? Sollen sie halt im Wasser bleiben, wo sie hingehören! Wenn beim nächsten Starkregen der Uferdamm bricht, ist die Marienkapelle nur noch Geschichte.«

»Du immer mit deiner Kapelle!«, rief Simmermeier, einer von den Landwirten, herüber. »Die ist eh schon halb zusammengefallen. Ein wenig mehr Schnee als letztes Jahr, und das Dach drückt’s ein wie Pappendeckel. Wenn einer Grund zum Schimpfen hat, dann doch wohl wir Bauern! Im Frühjahr hat der Koberer seinen Bulldog versenkt wie die Titanic in so einem scheiß Biberstollen. Weißt, da vergeht dir schon der Tierschutz, verstehst!«

»Was hast denn du auf einmal? Ich bin eh auf der gleichen Seite wie du. Wegen was, ist doch wurscht.«

Das musste selbst Simmermeier einsehen, der schon ein paar Obstler gebechert hatte und leider– ähnlich wie der Förster Maunz– nicht zu der Sorte gehörte, die der Alkohol in kichernde Weltumarmer verwandelt. Grummelnd wandte er sich wieder seinem Tischgenossen zu.

»Und du, Heinrich, hast du dazu gar keine Meinung?«, fragte Hartwig seinen bisher ungewohnt schweigsamen Stammtischbruder.