Das Schiff, der Fluch und die Ratte - Inge Hirschmann - E-Book

Das Schiff, der Fluch und die Ratte E-Book

Inge Hirschmann

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Beschreibung

Das kriminellste Kreuzfahrtschiff der Welt ist wieder unterwegs! Teil 1: DAS SCHIFF UND DER FLUCH Sommer 2014, Islandfahrt der »Magic Symphony«. Schon wieder ist der Teufel los an Bord, und das könnte man diesmal wörtlich nehmen: Nach welchem Muster mordet der Täter? Sogar der Schiffspfarrer wird um Rat gefragt, denn nach dem dritten Opfer hat die Bordsecurity als Anhaltspunkt nur die Todsünden. Dann trifft ausgerechnet den Sicherheitschef Adam Asbeck ein fieser Fluch, und langsam schwinden seine Kräfte. Während auf anderen Schiffen Menschen spurlos verschwinden, häufen sich auf diesem wieder einmal die Leichen. Teil 2: DAS SCHIFF UND DIE RATTE Harald Raven, der in einem Nobelhotel in Florida seine Lebensgefährtin niedergemetzelt haben soll, wird per Schiff nach Deutschland überführt. Adam, verantwortlich für den Gefangenentransport, hat Zweifel an Ravens Schuld. Noch ist die Spur warm. Einer von Adams Mitarbeitern, Jochen Kornreder, nimmt gerade an einem Kongress in Miami teil und soll nun die Laufarbeit für seinen Chef erledigen, der aus der Ferne den Fall noch einmal aufrollen will. Aber sowohl an Bord als auch in Miami sind gefährliche Gegner unterwegs. Wer sitzt in der Zelle auf dem untersten Schiffsdeck - eine Mordbestie oder ein traumatisierter Mann, zu erschüttert, um sich zu verteidigen?

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Seitenzahl: 420

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Inge Hirschmann

Das Schiff, der Fluch und die Ratte

Schiffskrimi im Doppelpack

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Nachtrag

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Danksagung und Nachwort

HUNDSTAGE IN AMSTERDAM

Impressum neobooks

Kapitel 1

DAS SCHIFF, DER FLUCH UND DIE RATTE

Inge Hirschmann, Jahrgang 1962, hat viele Jahre als Apothekerin gearbeitet und sich in langen Notdienstnächten ohne Fernseher mit Schreiben beschäftigt. Der Liebe wegen sattelte sie beruflich um und ist nun in der familieneigenen Papeterie und Buchhandlung in Bad Griesbach tätig, wo sie neben ihrer Arbeit als Autorin und Kunstmalerin, unterstützt von Mann und Tochter, auch historische Altstadtführungen anbietet.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen, Schauplatz und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

INGE HIRSCHMANN

DAS SCHIFF, DER FLUCH UND DIE RATTE

SCHIFFSKRIMI

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Von Inge Hirschmann sind im Verlag Karl Pritzl oHG erschienen:

Mausetot auf hoher See (ISBN 978-3-9821368-0-6)

Löwenjagd und Rock 'n' Roll (ISBN: 978-3-9821368-2-0)

Signierte Exemplare des ersten Holzinger-Krimis

Bibergeil (ISBN: 978-3-7408-0010-9):

Bestelldaten unter www.kunstkartenundmehr.com

©Karl Pritzl oHG, Bad Griesbach

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv und Gestaltung: Inge Hirschmann

Satz und Bindung: Ortmaier Druck GmbH, Frontenhausen. Printed in Germany 2022

ISBN 978-3-9821368-3-7

Für meine Lektoren:

Was täte ich nur ohne euch?

Und für meine Leser:

Ganz herzlichen Dank für eure Treue!

Die Mitwirkenden

Passagiere:

Beata Krilic eine künstliche Schönheit

Otto Steinhaus Geizhals mit üblen Absichten

Leo Biber trinkt gern über den Durst

Thorsten Nebel lässt für sich arbeiten

Marlies Durdak von der Treppe gestürzt

Sicherheitsdienst:

Adam Asbeck Sicherheitschef mit Vergangenheit

Max Leitner sein heimlicher Onkel

Jochen Kornreder Adams bester Freund

Jonas Hauser Computergenie

Paul Krüger die Verstärkung, endlich

Josef Mühlbauer der mit dem okkulten Durchblick

Hilda Weber die Karate-Oma

und viel zu wenige weitere Kollegen

Weitere Besatzungsmitglieder:

Luc Barkeeper, oft leidgeprüft

Salvo Barkeeper, noch schlimmer dran

Ferdinand Moss Quartiermeister, also Hoteldirektor

Josh Reno Kreuzfahrtdirektor

Ruggiero DiMauro Barpianist

Jacques Bach Küchencholeriker

Pater Hagen Pflüger Schiffspfarrer mit Durchblick

Blinde Passagiere:

Die vier Apokalyptischen Reiter:

Wahn, Aversion, Macht, Sadismus

Die sieben Todsünden:

Geiz, Völlerei, Neid, Eitelkeit, Wollust, Zorn, Trägheit

Zusätzliche Darsteller in Teil 2:

Harald Raven Psychologe und Mörder

Sofia seine ermordete Freundin

Silvia Hutter auch Opfer, eher psychisch

Lars Hutter Silvias Witwer

Alan Beaver zweifelhafter Händler

Brad Woods Police Officer auf Schulung

Leanne Parker Zimmermärchen und Zeugin

Lea Behn Anwältin mit Zweifeln

Cinzio Pardi Hobbydetektiv und Musiker

Teil 1: Das Schiff und der Fluch

Schon seit längerer Zeit spielten Träume im Leben von Adam Asbeck, dem frischgebackenen Sicherheitschef auf der »Magic Symphony«, eine gewichtige Rolle. Im Sommer 2013 – also vor nicht einmal einem Jahr – hatte er geträumt, dass Biber sein Heim unterminierten und zum Einsturz brachten. Keine zwei Monate später war er gezwungen gewesen, Haus und Hof zu verlassen und sich auf dieses Kreuzfahrtschiff zu flüchten. Keine schlechte Wahl übrigens: Hier hatte er schnell eine neue Heimat gefunden, denn die alte war verbrannte Erde. Unwiederbringlich dahin, wollte er nicht den Häschern der Russenmafia zum Opfer fallen. Dahingegangen wie sein wahrer Name Karl Holzinger. Einst Polizeioberkommissar und Revierleiter in einem Bayerwaldstädtchen, das so friedlich nicht war, wie es die Prospekte und die Homepage des Tourismusbüros stolz verkündeten. Nach wie vor nicht, das wusste er von seinem Onkel Max Leitner, der hin und wieder zu kurzen Visiten heimfuhr, um sich immer schnellstens wieder davonzumachen, wenn die Luft zu dick, der Boden zu heiß wurde daheim in Hallerbach.

Auch Max lebte seit jenem Desaster, das weitgehend die Biber verschuldet hatten, auf dem Schiff: in pensionierter und reaktivierter Dauerstellung als Sicherheitsmann. Max hatte sein aktives Berufsleben als Hauptkommissar bei der Kripo beendet, im rüstigen Alter von fünfundsechzig Jahren und alles andere als begeistert von der Aussicht auf süßes Nichtstun. Es war nicht zu übersehen, wie sehr er diesen neuen Posten genoss, auch wenn er dafür in Kauf nehmen musste, dass ausgerechnet sein liederlicher Neffe sein Vorgesetzter war.

Tatsächlich hätte auch Adam sich nie und nimmer als integer bezeichnet, dafür hatte er noch zu viele Jugendsünden abzubüßen. Immerhin befand er sich neuerdings auf einem guten Weg. Wenigstens, sofern ihm das ganze Konzept, das er sich als sein individuelles Zeugenschutzprogramm zusammengezimmert hatte, nicht irgendwann achtkantig um die Ohren fliegen würde. Aber noch zeigte das Gebilde eine beruhigende Stabilität.

Nur nachts, in Adams Träumen, geriet die Statik gelegentlich gehörig ins Wanken. Ja, sie zitterte und bebte an allen Enden wie sein eigenes Haus in dem prophetischen Biber-Alptraum.

In dieser vorletzten Nacht vor dem Aufbruch in die nördlichen Meere, zum Polarkreis und darüber hinaus, träumte er von Drachen. Was mitunter, so versuchte er es sich am Morgen leicht durchgeschwitzt zu erklären, daran liegen mochte, dass er sich auf seinem uralten Discman eine neue CD einer italienischen Mittelalter-Rockband angehört hatte, weil er nicht hatte einschlafen können. Sein Halbbruder Cinzio Pardi hatte ihm die zukommen lassen, er war der aktuelle Sänger dieser Band, die sich in der Nachfolge von Rondò Veneziano und Angelo Branduardi verorten ließ. Nicht übel, aber schwere Kost zum Einschlafen offenbar...

Vielleicht sollte man doch erst die Einschlafstörung näher durchleuchten. Tatsache war, dass er sich ein wenig Sorgen um seine Beziehung zu Ellen machte. Ellen Vermeer, die Bordkrankenschwester, war seine absolute Traumfrau. Aber ob das umgekehrt genauso galt, war ihm nach wie vor nicht klar. Letztens eher weniger, weil nämlich: Sie wollte ihn ganz oder gar nicht, das kristallisierte sich immer deutlicher heraus. »Ganz« bedeutete, als Papa eines Stalles voll hübscher blonder Kinder, wahlweise lockenprächtig (wie er) oder glatthaarig (wie sie). Lieber Himmel!

Verdattert in seine Bettdecke gehüllt, die er immer noch in seiner Einzelkabine beschlafen musste, solange sie beide nicht verheiratet waren und damit ein Anrecht auf ein Doppelzimmer erwirken würden, konzentrierte er sich doch lieber wieder auf seinen jüngsten Alptraum als auf die Folgen, die seine etwaige Entscheidung zu Ungunsten der Nachkommenszucht zeitigen würde.

Mit einem Drachen, so erinnerte er sich schaudernd, war die Sache nicht vorbei gewesen. Der war kurz aus einem Riss im Himmel aufgetaucht und dann in der tosenden See verschwunden. Aber was danach gekommen war, hatte es erst recht in sich gehabt: Gleich sieben Köpfe auf einem schuppigen, dreckigen Viech, wie die Hydra aus der Perseus-Geschichte in ihrer fiesesten Gestalt. Auf den Köpfen Hörner, die Visage in der Mitte hatte mindestens drei auf dem borkigen Schädel getragen. Darunter Ziegenaugen mit waagerechten Pupillen. Das Monster war aufgestiegen aus dem kochenden Wasser, aus dem Strudel, den der Drache hinterlassen hatte, hatte sich hoch aufgerichtet und seine Reptilienbrust präsentiert.

Zu seinem größten Entsetzen hatte Adam von seinem Beobachtungsposten aus den Bug des Schiffes sehen können. Das Vorderdeck immer wieder vom Feuer roter Wellen überspült wie von Lava, war es direkt auf das Ungeheuer zugefahren...

Dann war er zum Glück aufgewacht.

Nachdem er ein Glas Wasser auf ex getrunken hatte, fiel ihm etwas ein. Nein, nicht die Stelle in der Bibel, denn die Offenbarung des Johannes hatte er seit seiner Kindheit geflissentlich gemieden, weil sie ihm zu gruselig war. Überhaupt war er kein großer Bibelleser und – obschon katholisch erzogen – kein eifriger Kirchgänger. Nachdem seine Mutter vergleichsweise jung an einer gemeinen Krebserkrankung gestorben war, hatte er sich mit dem Herrgott überworfen und wollte, nachdem damals so unzählige seiner flehentlichen Bitten ins Leere gelaufen waren, nicht mehr viel von ihm wissen.

Obwohl, in letzter Zeit... Ganz schön knapp war er manchmal mit dem Leben davongekommen, und Ellen, seine Liebste, erst. Man sollte das vielleicht einmal überdenken, dieses nihilistische Trotz-Gehabe...

Jetzt hatte er komplett den Faden verloren, laborierte aber immer noch an der Bestie mit den vielen gehörnten Häuptern. In seinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Der Gedanke, der ihm gerade noch glasklar das Hirn erleuchtet hatte, war abgetaucht in düstere Tiefen.

Hinter dem Bullauge herrschte noch finsterste Nacht. Er kroch wieder in seine einsame Koje, zog sich die Decke über den Kopf und versuchte, noch ein Stündchen zu schlafen. Heute Vormittag musste er topfit sein: Ein neuer Mitarbeiter hatte sich angemeldet, die Leute von der Reederei hatten ihn getestet und für gut befunden. Ihm, Adam, oblag es nun, ihn einzuarbeiten. Auf keinen Fall durfte er ihn in der Zielgeraden noch verschrecken und verscheuchen. Ein Neuer für das Sicherheitsteam bedeutete einen kostbaren Schatz. Allzu lange schon hatte sich niemand mehr auf die Stellenausschreibungen beworben, und sie waren kritisch unterbesetzt. Eigentlich hätte er bis zu drei Mann einstellen dürfen.

Andererseits... Andere Kreuzfahrtschiffe kamen mit gut der Hälfte an Mitarbeitern im Sicherheitsdienst aus. Zumindest war es das, was die Reederei den Leitern der »Magic Symphony« immer wieder vorhielt. Eine Führungsetage voller Sparfüchse und Aktionärsschleimer. Joster & Colani war eine AG, börsennotiert. Und, wie alles in dieser Branche, auf dem aufsteigenden Ast. Kreuzfahrten boomten. Aber die Großen fraßen allzu oft die Kleinen. Im Sommer 2014 waren nur wenige Megaliner unterwegs auf den Weltmeeren, etliche weitere jedoch bereits im Bau. Wenn die loslegen, dachte Adam bisweilen, dann können wir uns mit unserem mittelgroßen Schiffchen warm anziehen. Nur siebzehnhundert Betten plus 900 für die Besatzung – ein schwimmendes Hallerbach. Was war das im Vergleich zu einem Goliath wie der »Quantum«?

Ehe er einmal mehr von existenziellen Ängsten überwältigt werden konnte, dachte er ganz, ganz fest an Biber und versuchte, wieder einzuschlafen.

Das kleinere Übel!

Kapitel 2

Der Bewerber war pünktlich eingetroffen und stand praktisch stramm vor Adam. Dem war das peinlich, hatte doch seine letzte Führungsposition zumeist darin bestanden, zwei Polizeimeister mit ihren Radarfallen loszuschicken. Zumindest, bis die Biber angefangen hatten, ihm den Ärger seines Lebens zu machen. Jetzt hatte er so viele Leute unter sich wie in einem Polizeipräsidium. Immer noch fühlte er sich leicht benommen ob der Verantwortung, die sein invalider Vorgänger im Amt ihm hinterlassen hatte. Noch nie hatte er überhaupt je selbst jemanden eingestellt, so lief das im Beamtenleben nicht. Aber die Entscheidung schien ja auch schon auf Reederei-Ebene gefallen zu sein, was ihm die Sache leichter machte.

Einerlei, wahrscheinlich war er genauso aufgeregt wie Paul Krüger, der Aspirant, den er mit einem kräftigen Händedruck begrüßte und an Bord willkommen hieß. Dann ging er gleich zum praktischen Teil über.

»Wo fangen wir an? Ich denke, am besten zeige ich Ihnen erst einmal Ihren Arbeitsplatz. Kommen Sie.« Adam erhob sich von seinem Schreibtisch, der jüngere Mann gegenüber folgte seinem Beispiel. »Waren Sie schon je auf einem Schiff?«

»Nein, Herr Asbeck. Ich habe als Kaufhausdetektiv gearbeitet.«

»Steht ja auch in Ihren Bewerbungsunterlagen, klar. Aber sonst, privat? Mal eine Kreuzfahrt gemacht?«

»Nein, nie, muss ich gestehen.« Bei dieser Antwort sah der Bewerber aus, als fürchtete er, doch noch abgelehnt zu werden. Er wusste natürlich nicht, dass Adam Asbeck es sich gar nicht leisten konnte, ihn abzulehnen. Auch sprach nichts gegen ihn: Er war neunundzwanzig Jahre jung, also wohl noch lernfähig, auf eine drahtige Weise muskulös, hatte ein angenehmes Äußeres und gute Umgangsformen.

Letztere waren eminent wichtig auf einem Kreuzfahrtschiff der unteren Luxusklasse wie der »Magic Symphony«. Außerdem glaubte Adam, dass der Junge sich gut in die Truppe einfügen würde. Noch war er ein wenig schüchtern, aber das würde sich mit der Zeit sicher legen. Spätestens nach dem ersten Kapitalverbrechen, mit dem sicherlich zu rechnen war, sobald sie die offene See erreichten. Morgen früh würde das Schiff seine Tore für die Reisegäste öffnen. Eigentlich war das auch nur eines und nannte sich Passagierluke. Das zweite weiter hinten am Heck war einzig für das Bunkern von Lebensmitteln und anderen Verbrauchsgütern zuständig.

Von der Sicherheitszentrale auf Deck zwei fuhren sie hinauf bis Deck zwölf. Weiter nach oben kam kein Passagier.

Mit seiner Universal-Schlüsselkarte brachte Adam ein Schott dazu, sich aufzutun wie eine Tür, und führte seinen neuen Mitarbeiter über schmale Steige hinauf zum Schornstein. Krüger folgte ihm ohne Zögern die Leiter hoch zu der umlaufenden Galerie sieben Meter über dem höchsten Deck. Höhenangst schien für ihn kein Problem darzustellen.

»So, von hier oben können wir fast das ganze Schiff überblicken. Ganz schöner Brocken, was?«

»Ich hätt nicht gedacht, dass sie so groß ist!«, staunte Krüger.

»Ach, noch etwas: Wir Securityleute sind eher wie eine große Familie. Wir sagen hier alle du zueinander. Ist das für Sie – dich in Ordnung?«

»Ja, klar.« Der junge Mann lächelte leicht verlegen. »Ich bin Paul. Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffe, meinen Boss zu duzen.«

»Schaffst du bestimmt, Paul. Ich bin Adam.« Aufmunternd grinste er.

Zuweilen machte er auch ein ganz schön grimmiges Gesicht, was auf diesem Schiff und bei seinem Berufsbild kein Wunder war. Aber wenn er, so wie jetzt, freundlich lächelte, verwandelte ihn das in einen ganz anderen Mann. Grübchen erschienen dann auf seinen perfekt glatt rasierten Wangen und Lachfältchen um seine graublauen Augen unter dunkelblonden Brauen. Das streng zurückgekämmte und im Nacken zu einem buschigen, lockigen Pferdeschwanz gebundene überschulterlange Haar wirkte in dieser Version so seriös, wie überschulterlange blonde Locken nur wirken konnten. Wenn er die Mähne offen trug, sah er aus wie eine wilde Kreuzung aus Erzengel Michael und einem Überbleibsel vom Woodstock-Festival. Wobei er für letzteres nicht alt genug war und seine Rolle auf diesem Schiff tatsächlich eher dem Berufsbild des himmlischen Drachenjägers glich: Auch er lag im steten Kampf gegen das Böse, schaffte es aber im Gegensatz zu Michael nie, es gänzlich hinauszuwerfen.

»Also, Paul, los geht's: Unsere ›Symphony‹ ist ein Schiff der mittleren Größenordnung. Mittlerweile gibt es welche, die doppelt so viele Passagiere aufnehmen können wie wir. Aber die passen halt in viele Häfen nicht mehr hinein – und schon gar nicht durch den Panama-Kanal. Unser Heimathafen ist Hamburg, wir laufen also unter deutscher Flagge. Das ist für uns insofern von Bedeutung, als auch an Bord deutsches Recht gilt. Wir leben und arbeiten auf einer schwimmenden Kleinstadt mit zirka neunhundert Mann Besatzung. Unser Städtchen ist zweihundertachtzig Meter lang, neunundzwanzig breit und hat einen Tiefgang von zehn Metern. Damit liegt das Schiff knapp unter den Maximalmaßen für den Panama-Kanal. Panamax-Klasse nennt sich das. Ich hab mir aber sagen lassen, dass sie dabei sind, ihn auszubauen, den Kanal. Nicht mehr zeitgemäß wegen der Megaliner und der Riesentanker. Aber davon sind wir mit unserem Schiffchen weit entfernt. Wir haben zwölf Decks über der Wasserlinie und zwei darunter. Noch weiter unten sind nur noch der Ballasttank, das Schweröl, das wir hier verheizen, und ein Haufen Technik, von der ich nichts verstehe. Müllverbrennung und Meerwasserentsalzung, welche wir auf längeren transozeanischen Strecken dringend brauchen. Nachher treffen wir uns noch mit dem Chief, das ist der Erste Ingenieur. Wenn du genauer wissen willst, wie sich unsere Lady hier fortbewegt, kann er dir das erklären. Bei ruhiger See machen wir Höchstgeschwindigkeit neunzehn Knoten, das sind fünfunddreißig Stundenkilometer. Klingt nicht nach viel, aber wir fahren Tag und Nacht und meistens in direkter Linie, da kommt man schon gut vom Fleck.«

Adam vollführte eine weit ausgreifende Bewegung mit dem Arm. »Was du von hier oben siehst, dieser breite Balkon über dem Pooldeck, das ist Deck zwölf. Nach vorn hinaus liegen die Luxuskabinen, ganz an der Spitze – wir sagen, am Bug – die Brücke. Das Reich vom Käpten, seinem Ersten Offizier und dem Steuermann. Das Gehirn der ›Symphony‹. Ihr Herz schlägt unten auf Deck B, dort ist der Maschinenraum. Jetzt gehen wir eins tiefer, Deck elf. Nochmal Kabinen der Luxusklasse sowie der Pool. Und das Planschbecken für die Kleinkinder, außerdem vier Whirlpools. Der Pool kann in der Mitte abgeteilt werden, das ist bei schwerem Seegang notwendig, weil die Suppe sonst überschwappen und überhaupt das ganze Schiff unwuchtig werden würde. Aber bei wirklich rauer See lassen sie das Wasser sowieso komplett ab. Ach so, genau, erinnere mich daran, dass ich dir noch eine Packung Scopolamin-Pflaster geben muss, ehe wir ablegen. Gegen die Seekrankheit. Wird dir aber trotzdem passieren, also denk dir nichts. Die ersten fünf Tage auf meiner ersten Fahrt bin ich nur senfgrün im Gesicht rumgetorkelt.«

»Fährst du schon lange zur See, Adam?« Siehste, klappte doch prima mit dem Duzen!

»Nö, erst seit letztem September. War die Gelegenheit, einen langweiligen Job beim Ordnungsamt an den Nagel zu hängen.«

»Und da bist du jetzt schon Chef? Donnerwetter!«

»War ein Haufen komischer Zufälle dran schuld. Erstens, ein Piratenüberfall in Gewässern, wo man mit sowas normalerweise nicht rechnet. Zweitens, ein paar Ideen meinerseits, wie man mit dem Gesocks auf unblutige Weise fertig werden könnte. Hat funktioniert, zum Glück. Und drittens hat mein Vorgänger beim letzten Akt einen Herzinfarkt erlitten, weil er so viel Angst um mich und zwei meiner Kollegen hatte, die wir die Lockvögel spielen mussten. Ist aber alles gut ausgegangen, auch für den vorherigen Sicherheitschef. Sie haben ihm ein paar Stents gesetzt, und aktuell lebt er glücklich und zufrieden im tiefsten Niederbayern. Macht auch wieder einen Sicherheitsjob, aber jetzt in einem Krankenhaus. Weiß nicht, ob's da ruhiger zugeht, aber ich schätze, die ›Symphony‹ ist diesbezüglich so leicht nicht zu toppen.«

»Im Ernst? Ist hier schon so viel passiert?«

»Warum, denkst du, warst du der einzige Bewerber? Genau, das muss ich dir auch noch sagen: Dieser Job verpflichtet dich zu absoluter Geheimhaltung gegenüber allem, was nicht Securitymitglied oder Käpten ist. Wenn du dich nicht daran hältst, wirst du gnadenlos in Hammerfest oder Reykjavík ausgesetzt.«

»Klingt hart, aber gerecht«, erwiderte Paul Krüger. Adam fand, dass er sich ziemlich gut unter Kontrolle hatte. Aber vermutlich hatte man ihn schon bei seiner Bewerbung auf diese Linie eingeschworen. Die Reederei leistete ja auch Vorarbeit, insbesondere bezüglich der Schweigeklausel, die jeder Anwärter erst einmal unterzeichnen musste.

»Mhm, also weiter im Text: Deck zehn, immer noch Luxusklasse. Deck neun, Fitnessdeck. Neben etlichen Kabinen gibt es hier die Möglichkeit, das Schiff komplett auf einem Joggingparcours zu umrunden. Hier muss öfter kontrolliert werden, ob nicht jemand unterwegs schlapp gemacht hat. Auf manchen Fahrten, wenn die älteren Passagiere überwiegen, ist hier nicht allzu viel los, Versehrte werden sonst nicht rechtzeitig gefunden. Bei Herzanfällen oder Unterzucker zählt halt jede Sekunde. Ich geb dir dann noch eine Karte mit den wichtigsten Notruf-Nummern: Bordfeuerwehr, Sanitätsdienst und Krankenhaus. Und natürlich unsere. In der Zentrale ist immer jemand auf Wache.« Er machte eine weitgreifende Bewegung mit dem Arm.

»Hier sind auch das Fitness-Studio und der Wellnessbereich. Sauna, Massagen, Ayurveda und so. Eigentlich ist die Mannschaft von dort ja für den Joggingpfad zuständig, aber verlass dich besser nicht darauf. Wenn sie die Bude voll haben, kommen sie tagsüber kaum vor die Tür.«

»Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, gab Krüger eine Binsenweisheit von sich.

»Kluger Junge.« Adam war vierzig, also konnte er hier einem elf Jahre Jüngeren gegenüber schon den älteren Weisen spielen. Außerdem taute Paul allmählich auf. Dieser Mann schien willig und bereit, sich auf den neuen Job einzulassen. Man musste nur aufpassen, dass er nicht anfing, seinen zukünftigen Boss anzuhimmeln. Die Frage war, was sie ihm in der Reederei von dem neuen Sicherheitschef erzählt hatten, dem Mann, der mit einer Handvoll unbewaffneter Leute die Piraten überwunden hatte. »So, und jetzt schauen wir mal auf einen Sprung beim Käpten vorbei. Der dürfte schon an Bord sein.«

Aber klar war Kapitän Rudolf Klopstock da. Auf einem Schiff wie diesem durfte man nichts dem Zufall überlassen. Auch sein Erster Offizier war vor Ort. Beide begrüßten Adam mit Handschlag und absolut auf gleicher Augenhöhe. Bei dem Piratenüberfall war er ihr Schutzengel gewesen.

Rudolf Klopstock war ein großer, ernster Hanseate mit sandfarbenem Haar und einem Blick, der es gewohnt war, in endlose Fernen zu schweifen. Wortkarg, hochintelligent, von schneller Auffassungsgabe und ziemlich mutig, wie er letztens bewiesen hatte. Viel mehr war es nicht, was Adam über ihn wusste. Aber umgekehrt wusste der Kapitän auch nicht mehr über seinen Sicherheitschef. Und das konnte diesem Sicherheitschef nur recht sein.

Klopstock nahm sich reichlich Zeit für den Neuzugang. Niemand wusste besser als er, wie wichtig die Arbeit war, die die Männer von der Security tagtäglich leisteten. Und die Frauen, drei an der Zahl. Kein Wunder, dass diese Truppe zusammenhielt wie Pech und Schwefel!

Nachdem sie die Finessen der Kommandobrücke ausführlich bestaunt hatten, bestieg Adam mit Paul Krüger den Lift Nummer sechs. Noch hatten sie das Schiff ja praktisch für sich, da keine Passagiere an Bord waren und der Teil der Besatzung, der bereits eingetroffen war, sich damit beschäftigte, seine Siebensachen auf zehn Quadratmetern Personalkabine zu verstauen oder sich – die Neuzugänge – mit dem Arbeitsplatz vertraut zu machen.

»Lift sechs ist etwas Besonderes«, erklärte Adam seinem neuen Azubi. »Der einzige, der bis ganz nach unten geht. Wir nennen ihn deswegen ›Highway to Hell‹. Deck A erscheint für die meisten Menschen tatsächlich als so etwas wie die Hölle. Im Heck befindet sich auf Deck A und B der Maschinenraum, und wenn du je auf einem Live-Konzert warst und deine Ohrstöpsel vergessen hast, weißt du, wie sich das da unten anfühlt! Den machen wir ganz zum Schluss.« Paul machte ein ratloses Gesicht. Offensichtlich kein großer Konzertbesucher.

Auf Deck vier verließen sie den Aufzug und betraten ein weitläufiges Foyer, von dem links und rechts Korridore abzweigten, und zwar in beide Richtungen – bugwärts und heckwärts. Die Aufzüge lagen ungefähr in der Mitte des Schiffes. Beiderseits der acht Lifte befanden sich Treppenhäuser, ziemlich fad und nichtssagend. Die Reederei war immer noch dabei, Pläne für einen Ausbau zu schmieden, um einen zeitgemäßen Panoramablick zu schaffen. Diesbezüglich war die »Magic Symphony« nicht ganz auf der Höhe der Zeit, obwohl erst vor fünf Jahren in Dienst gestellt. Lediglich im vierstöckigen Foyer gab es großzügige Innentreppen. Ursprünglich war die Panoramaverglasung fest eingeplant gewesen, aber dann war das Spezialglas nicht rechtzeitig fertig geworden, und man hatte auf herkömmliche Weise weitergebaut. Als das Schiff nach der Jungfernfahrt in den Heimathafen zurückgekehrt war, um diese letzte Schönheitsoperation anzugehen, hatte das nicht gemacht werden können, weil der Schiffsarchitekt nicht mehr auffindbar gewesen war. Und sein Nachfolger sich bezüglich der Statik lieber auf keine Risiken einlassen wollte, weil der Designer vor seinem Verschwinden auch sämtliche Konstruktionspläne geschreddert hatte.

Eine seltsame Geschichte mehr, die sich um dieses Schiff rankte...

»So, hier sind wir am Brennpunkt der Ereignisse«, erklärte der Securitychef und konnte einen Seufzer nicht ganz unterdrücken. »Die breitere Tür hier vor dir führt zum Panamericana-Restaurant. Das ist eines der beiden großen Büffett-Restaurants, wo das Essen für die Passagiere im Fahrpreis schon inbegriffen ist. Es gibt noch etliche andere für die Gourmets, gegen Zuzahlung. Das Kosher Atlantic, ein Steak-House, einen Nobelitaliener und das Shangri-La, wo sie asiatische Küche servieren. Aber ohne Aufpreis geht's nur im Panamericana und im Caribic. Das liegt ein Deck tiefer, ist aber genauso eingerichtet. Den Ort hier musst du dir schnell einprägen, Paul, denn hier passiert immer wieder einmal was Verrücktes, weil zu den Essenszeiten entsetzliches Gedrängel herrscht. Auch wenn sie schon sieben, acht Wochen auf diesem Schiff sind, kapieren unsere Passagiere irgendwie nie, dass die Vorräte garantiert bis zum nächsten Hafen reichen werden. Vor den Restaurants hier geht's dreimal am Tag zu wie im Winterschlussverkauf. Und irgendwelche kriminellen Elemente sind immer mit dabei. Auf meiner ersten Fahrt hatten wir vor Ort eine Kindesentführung, wirklich dreist war das! Ist aber gut ausgegangen.«

Paul Krüger riss erschrocken die Augen auf.

»Hast du Kinder?« Paul schüttelte den Kopf.

»Ich auch nicht«, sagte Adam unaufgefordert. Klar, dass der Neue sich das nicht zu fragen getraut hätte. »Das hier ist ein Leben für einsame Wölfe. Aber irgendwo müssen die ja auch hin, nicht?« Das fragte er, um Krüger aus der Reserve zu locken. Betreffend Beziehungen. Aber da kam nichts. War eigentlich auch egal, solange er mit dem seltsamen Leben hier an Bord klarkam. Das würde sich zeigen. Die Islandfahrt war nicht einfach, hatte Adam, der sie selbst noch nicht mitgemacht hatte, sich sagen lassen. Kälte, oftmals schlechtes Wetter oder zuviel an Mitternachtssonne und schwere See...

Sie stiegen eine Treppe nach unten. Deck drei. »Da hinten ist der Eingang zum Grand Theater, es erstreckt sich von Deck drei bis hinauf nach Deck sechs, aber Eingänge sind nur hier herunten. Ein offizieller, einer hinter der Bühne, für die Künstler. Außerdem gibt es jede Menge Notausgänge, die sind aber nur von innen zu öffnen. Das Grand Theater ist unser größter Stolz. Bühnentechnisch ist hier praktisch alles machbar, vom Varieté bis hin zur großen Oper. Zuständig für den Laden ist der Kreuzfahrtdirektor. Er ist der Intendant und Mädchen für alles. Unserer heißt Josh Reno. Netter Kerl. Komm, ich zeig dir seinen Laden mal.«

»Ist das auch solch ein Brennpunkt wie das große Restaurant?«, wollte Paul Krüger schüchtern wissen.

Adam gab sich lässig, aber unter seiner Kopfhaut kribbelte es in der Erinnerung an den Schlag mit dem Bügeleisen, den ein hinterhältiger Gegner ihm erst kürzlich im Garderobengang verabreicht hatte. »Einen Mordversuch hatten wir hier herinnen schon mal. Das potenzielle Opfer... ein ziemlich bekannter Rocksänger aus Italien, der zufällig die Planung für einen Piratenüberfall auf unser Schiff belauscht hatte.«

»Was – was wollen Piraten überhaupt auf einem Passagierschiff? Normalerweise sind die doch hinter der Ladung her – Erdöl und andere kostbare Rohstoffe?«

Adam atmete tief durch. Das Thema war heiß, sehr heiß sogar. Besser hätte er es nicht angesprochen, aber hier war ihm der Gaul durchgegangen. »Auf dieser Fahrt hatten wir eine sehr spezielle und kostbare Fracht mit, das hätte sich schon gelohnt für die Gangster. Im Gegenwert von etlichen Millionen Euro. Hat uns die Reederei so nebenbei untergejubelt. Merken, Paul: Mit solchen Sachen musst du bei denen immer rechnen. Sie denken sehr gewinnmaximiert da oben!«

Paul Krüger erwiderte nichts: Dem hatte es offenbar die Sprache verschlagen.

»Also, Grand Theater: Jemand hat da versucht, den Hauptscheinwerfer auf unseren Star zu werfen – was dem Wort ›Scheinwerfer‹ eine völlig neue Dimension gibt. Aber ich war da und hab das Ding rechtzeitig fallen sehen. Dafür hat er mir später dann auch das Leben gerettet. Ist ein unheimlich liebenswerter Bursche, der Cinzio Pardi. Schade, dass du damals noch nicht bei uns warst: Die paar Stunden, die dieser Überfallversuch gedauert hat, hätten deinen Erfahrungsschatz unwahrscheinlich bereichert.«

Etwas ratlos fuhr Krüger sich mit der Hand durchs kurze Stoppelhaar. Ob er gerade erwog, seine Bewerbung zurückzuziehen?

»Hinter dem Grand Theater finden wir das Spielcasino. Ausgerechnet dort ist seltsamerweise noch gar nie irgendwas passiert, obwohl dieser Ort für viele unserer Mitmenschen der Inbegriff des Lasters sein sollte. Hier haben wir im Foyer auch einen Geldautomaten, weil das Casino nur Bargeld akzeptiert. Ebenso übrigens wie unser Borddoktor: Ärztliche Leistungen nur gegen Bares – es sei denn im akuten Notfall, selbstredend. Auf Wunsch gegen Quittung, damit man sich's – vielleicht – von seiner Krankenkasse zurückholen kann. Alle anderen Zahlungsvorgänge werden über die Bordkarte abgewickelt, die jeder Passagier am Anfang der Reise ausgehändigt bekommt. Diese wiederum ist an eine Kreditkarte gekoppelt. Ach so, und natürlich braucht unser Passagier auch Bargeld für die Landausflüge. Wenn wir uns aus dem Euroraum hinausbewegen, führen wir zudem in begrenztem Umfang Fremdwährung mit. Soviel zum Thema: Ein Kreuzfahrtschiff zu kapern, rentiert sich doch.«

Der Neue nickte langsam, offensichtlich schwer beeindruckt.

»Also, das Casino ist jetzt noch nicht zugänglich. Soll ja niemand rein können, um an den Spieltischen zu manipulieren oder so. Sie haben irgendeine raffinierte physikalische Einrichtung, damit die Kessel auch bei Seegang einwandfrei funktionieren, aber davon versteh ich nichts. Gehen wir erstmal runter auf Deck zwei.«

Sie benutzten die Treppe. Dann blieb Adam wieder stehen, in einem Foyer, das diese Bezeichnung von den Raummaßen her schon nicht mehr verdiente.

»Was haben wir hier? Richtung Bug liegen die Personalkabinen, weil's im Heck doch ein wenig vibriert vom Maschinenraum her. Das wollen wir dem Personal nicht zumuten. Nach hinten hinaus deshalb die Einkaufsmeile, wo immerzu Musik dudelt und das Stampfen der Dieselmaschinen übertönt. Gut, es sind eher nur ein paar kleine Läden, der Friseur, ein Mini-Supermarkt und eine Handvoll Boutiquen und Schmuckgeschäfte. Und, nicht zu vergessen, unsere Zentrale. Die Polizeiwache der ›Magic Symphony‹. Ganz weit im Heck noch etliche Lagerräume. Das überspringen wir jetzt, weil wir zuletzt sowieso hier landen werden, um dich offiziell in unsere Reihen aufzunehmen. Erst geht's noch tiefer runter.«

Wieder nahmen sie die Treppe, und Adam fuhr fort zu dozieren: »Deck eins: Bugseits nochmal Personalkabinen, weil neunhundert Mann auch ein Minimum an Platz brauchen – Minimum kannst du wörtlich nehmen! Heckseits zuerst die Arztpraxis mit Krankenhaus und Operationsraum. Hier hatten wir auch schon einen Mordversuch: an meiner Wenigkeit und der Bordkrankenschwester. Dieses Abenteuer hat uns beide so zusammengeschweißt, dass wir seither ein Paar sind. Zum Heck hin kommen wieder etliche Lagerräume und ganz hinten, gleich über den Schrauben – nein, eigentlich sind es Azipods, drehbare Propeller – der Wertstoffhof.«

»Wertstoffhof, echt jetzt?«

»Ja, tatsächlich. Dieses Schiff ist so sauber, wie ein Passagierschiff nur sein kann. Über Bord werfen wir nur die Abfälle, die den Haifischen auch garantiert nicht schaden, also die Essensreste aus den Restaurants. Soweit unsere findigen Köche die nicht wiederverwenden, hehe! Ich vermute, dass das meiste davon an die Mannschaft verfüttert wird, aber das hast du nicht von mir. Die Messe – also die Kantine halt – ist übrigens auf Deck drei, hinterm Caribic Restaurant. Ich würd dich ja zum Essen einladen, aber die Küche fährt erst in frühestens fünf Stunden hoch.«

Paul Krüger sah nicht aus, als würde er gerade von Appetit überwältigt. Dabei wusste er noch nicht einmal das mit den Mäusen. Auf den unteren Decks grassierte eine Mäuseplage. In früherer Zeit hatte man auf Schiffen deswegen meist Katzen gehalten, aber das ging hier nicht, weil Katzen ohne Sonnenlicht nicht existieren konnten. Sie würden elendiglich an Rachitis zugrunde gehen.

»Also der Wertstoffhof – hier hinten lagert alles, was auf dem Rohstoffmarkt was bringt, mit Ausnahme des Schrotts. Den bewahren wir tiefer auf, wegen des hohen Gewichts, gleich über dem Ballast. Hier haben wir nur Alu-, Glas- und Plastikabfälle, Leergut und Sperrmüll. Alles, was nach der Arztpraxis kommt, ist für Passagiere nicht mehr zugänglich. Jedenfalls, wenn keiner von uns vergisst, die Türen zuzumachen. Sonst kommen die Gäste überall hin, kannst dir nicht vorstellen, wie neugierig die sind. Also, zum Zusperren ist diese Schlüsselkarte da, die du jetzt gleich von mir bekommen wirst. Verlier sie nicht, oder der Käpten knüpft dich höchstpersönlich am Hauptmast auf.«

»Aber das hier ist doch gar kein Segelschiff«, wandte Krüger kleinlaut ein.

»Zur Not tut's auch der Schornstein«, meinte Adam munter und wandte sich zurück Richtung Aufzugsfoyer. Das war auf Deck eins winzig, man musste ja nicht mehr renommieren, weil die Passagiere hier nur herkamen, wenn sie Aua hatten und den kostenpflichtigen Doc aufsuchen wollten.

»So, und jetzt steigen wir wieder in den ›Highway to Hell‹.« Der Lift sank nach unten, die Mundwinkel des jungen Bewerbers taten ein Gleiches. »Das ist Deck B, das zweitunterste. Hier finden wir unter anderem Einrichtungen wie die Wäscherei und wiederum etliche Lagerräume. Menschen wohnen hier nicht mehr... außer vielleicht der Chief. Ich weiß nicht wirklich, wo der wohnt. Vielleicht schläft er in einem der Turbolader. Unser Chefmaschinist, du erinnerst dich? Den kann so leicht nichts erschüttern, nicht einmal die Schallwellen und Schwingungen der Motoren und Schrauben. Ich wundere mich immer wieder, dass er nicht komplett taub ist mittlerweile.«

»Jetzt kann ich die Vibrationen von den Motoren an den Fußsohlen spüren...«, bestätigte Paul, immer noch sichtlich eingeschüchtert von dem schieren Bombardement an Informationen.

»Ach was, das ist nur der Lütte, wie der Chief ihn nennt, unser Stromgenerator. Die richtigen Motoren laufen noch gar nicht, das würd sich anders anfühlen. Und den Generator werden wir im Hamburger Hafen auch bald nicht mehr brauchen, weil die Reederei plant, eine Art Riesensteckdose in den Schiffsrumpf zu bauen, damit wir Landstrom beziehen können. Ist umweltfreundlicher, als den Generator mit Schweröl zu betreiben, damit auf dem Schiff im Hafen nicht das Licht ausgeht. Leider sind noch nicht viele Häfen mit dem neuen System ausgerüstet, aber es werden immer mehr. Damit wird die Kreuzfahrt auch sauberer, das hat ja alles einen etwas schillernden Ruf momentan. So, Deck B gehört schon zu den richtig ungemütlichen Etagen. Hier finden wir die Lager für die ganz schweren Sachen, Konservendosen, Wein- und Bierfässer und am Heck die obere Ebene vom Maschinenraum. Mal sehen, ob der Chief schon da ist. Je tiefer wir gehen, desto schwerer sind die Waren, die hier gebunkert werden. Nichts wäre schlechter für ein Schiff, als wenn es kopflastig beladen würde. Deshalb sind ganz unten auf Deck A das Wasserreservoir sowie das Ersatzteil- und das Schrottlager untergebracht. Die Entsalzungsanlage und die Treibstofftanks liegen noch tiefer, da war selbst ich noch nie.«

»Nicht einmal du?«

»Würd ich nicht drauf wetten, dass meine Karte da sperrt. Nach den Piraten haben sie die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Damals musste sich die Mannschaft noch auf die altmodische Art verbarrikadieren. Ach halt, zuerst zeig ich dir noch was anderes.«

Er wandte sich Richtung Bug und schloss linker Hand eine schwere Tür auf. Dahinter öffnete sich ein langer Vorraum, möbliert mit nichts außer einem Tisch, zwei Stühlen und einem CD-Player. In die rechte Wand waren alle zwei Meter Gittertüren eingelassen, insgesamt acht an der Zahl.

»Das hier, Paul, das sind die Rattenkäfige. Die Bezeichnung hat sich eingebürgert, obwohl's hier an Bord eigentlich nur Mäuse gibt. Unsere Arrestzellen.«

»Wow – echte Gefängniszellen!« Paul war in Ehrfurcht erstarrt. »Hätt nicht gedacht, dass man sowas auf einem Schiff braucht...«

»Und wie wir die brauchen! Du kannst dir nicht vorstellen, wer hier schon alles gesessen hat. Mörder, Kidnapper, sogar einmal die besagte Piratenhorde... tja, für die war's ein bisschen eng, aber am anderen Tag haben wir sie ja schon der Polizei von San Sebastián übergeben. Die waren wir schneller wieder los, als sie sich das vorgestellt hatten.«

»Mir scheint, ihr seid hier eine ganz schön wilde Truppe!«

»Und jetzt gehörst du mit dazu, Paul. Also – sei willkommen auf der schwimmenden Braut des Klabautermannes.«

Kapitel 3

»Ich glaube, es geht schon wieder los, da bahnt sich was an«, stöhnte Adam nur wenige Tage später und geschätzte tausend Seemeilen weiter nördlich.

Worauf drei Mitarbeiter nahezu unisono fragten: »Schon wieder ein Mord?«

Ja, leider war es traurige Tatsache, dass dieses schöne Schiff mit knapp neunhundert Mann Besatzung und Platz für siebzehnhundert Passagiere das Verbrechen geradezu magisch anzog. Was Adam seinem neuen Mitarbeiter erzählt hatte, enthielt keinerlei Übertreibungen, eher vorsichtige Zurückhaltung, jedoch unter dem Aspekt, dass man Neulinge zumindest warnen musste, damit sie die Augen offenhielten. Manchmal beneidete Adam seine Kollegen, die auf anderen Schiffen Dienst taten und selten mit Schlimmerem konfrontiert waren als mit Diebstahl, randalierenden Säufern und gelegentlich einem Spanner.

Aber tatsächlich nur manchmal. Und vielleicht erzählten auch sie nicht die volle Wahrheit. Egal eigentlich. Immerhin konnte er hier die Arbeit tun, die er gelernt hatte. Wenn auch unter einer Tarn-Identität.

Noch wusste er nicht, ob er, nachdem die Strafsache gegen ihn in etwas mehr als vier Jahren verjährt sein würde, je zurück in seine Heimat gehen wollte. Dieses bildschöne, noch keine sechs Jahre alte Schiff hatte alles, was sein Abenteurerherz begehrte. Und mehr noch: Es hatte Ellen Vermeer, die Bordkrankenschwester. Die Dame seines Herzens.

Dabei war Adam, was Herzensangelegenheiten betraf, ein eher schwieriger Fall: Hatte doch ausgerechnet das falsche Spiel einer Frau, in die er einstmals unsterblich verliebt gewesen war, ihn der Russenmafia in die Arme getrieben. Aber dieses alte Leben war vorüber und Ellen ein solches Prachtmädel, dass die starken Bastionen seines inneren Widerstandes längst zu Staub zerbröselt waren. Gemeinsam hatten sie Entführer und Mörder gejagt und Kämpfe auf Leben und Tod gegen Piraten durchgestanden...

Allerdings hatte sie in letzter Zeit manchmal seltsame Anwandlungen, die mit seinen eigenen Zukunftsplänen nicht konform gingen. Er hätte wissen müssen, dass bei Frauen im gebärfähigen Alter mit derlei zu rechnen war!

»Also was nun, Adam?«, begehrte Max Leitner, sein heimlicher Onkel, zu wissen, während Jochen Kornreder und Frank Marek ihm heftig nickend zustimmten. »Mach's nicht so spannend, Mensch!«

Auf diesem Schiff durfte man mit dem Security-Chef so reden, der war ja bis vor wenigen Wochen nur ein Kollege wie jeder andere gewesen. Der Piratenüberfall hatte ihn sozusagen in die Chefetage katapultiert, und niemand war darüber nach wie vor verwunderter als er selbst. Auch wenn ihm einmal zu Ohren gekommen war, dass seine Leute ihn hinter vorgehaltener Hand als eine Mischung aus Asterix und Odysseus bezeichneten wegen seines Listenreichtums. Durchaus schmeichelhaft, fand er.

»Nein, kein Mord.« Adam grinste. »Bisher nur ein lästiger Passagier, der es offensichtlich darauf anlegt, den Reisepreis aufgrund von Mängeln zu drücken. Die Mängel denkt er sich selber aus, er mäkelt an allem rum und macht dem Service das Leben schwer. Die mit ihm öfter zu tun haben, meinen, er läuft sich erst warm. Wenn der so weitermacht, bringt er sogar noch die Mitternachtssonne zum Untergehen oder verklagt sie, weil sie seinen Schlaf stört.«

So nahe am Polarkreis wurde es im Sommer nie richtig dunkel, was dem Schurkentum an Bord – falls vorhanden – womöglich das Leben schwer machen würde. Für den morgigen Tag stand das Nordkap auf dem Plan, dann würde es weitergehen über die offene See nach Island. Das Sommer-Special der »Magic Symphony«. Wegen der Ferien waren auch viele Familien mit an Bord. Vier Wochen auf den Spuren der Wikinger, so lautete die Devise. Die Animateure hatten sich dazu ein paar lustige Spielchen einfallen lassen, um die Kleinen bei Laune zu halten und den Eltern ein wenig Luft zu verschaffen. Wickie und die starken Männer tobten sich auf einem Floß aus Schwimmnudeln im beheizten, durch Deckaufbauten, Überdachung und Plexiglaswände vor Zugluft geschützten Pool aus, ihre Eltern saßen in Decken gehüllt in ihren Liegestühlen oder an der Pool-Bar und schlürften Drinks oder strickten warme Schals für ihre Lieben.

Stricken war sehr beliebt auf dieser Tour durch den Polarsommer, der Supermarkt an Bord beklagte das viel zu rasche Schwinden seiner Wollvorräte, Strick- und Häkelnadeln hatte man auf den Lofoten zukaufen müssen. Der Lotse hatte sie freundlicherweise auf seinem Boot mit angeliefert, auf den Lofoten war man flexibel.

Die ganze Zeit seit dem Auslaufen schon war das Wetter über die Maßen gut, viele der Passagiere angenehm überrascht. Die Mitternachtssonne präsentierte sich in geradezu überirdischer Pracht. Es hätte so schön, ja perfekt sein können – warum also musste sich jetzt auf einmal dieser Stänkerer so unrühmlich hervortun?

»Und, Chef, was machen wir gegen den?« Onkel Max, der Witzbold. Eigentlich der Einzige, der Adam so titulierte. Auch wenn nicht noch mehr Leute wissen mussten, dass sie verwandt waren, fand Adam doch, dass er dieses Wort übertrieben häufig benutzte. Mochte aber auch daran liegen, dass er sich den neuen Vornamen immer noch schlecht merken konnte. Und dass Adam ein Straf-Sparschwein eingeführt hatte für jeden »Karl«, der Max entfleuchte. Der Bußgeldkatalog lautete auf fünf Euro pro Lapsus.

»Auf jeden Fall sollten wir ihn im Auge behalten. Typen wie der sind mit allen Wassern gewaschen, wenn's ums liebe Geld geht. Es soll schon vorgekommen sein, dass Mängel bewusst fingiert wurden, also müssen wir zum Beispiel aufpassen, dass er vom nächsten Landausflug keine Kakerlaken mitbringt oder noch schlimmeres Getier. Und dass er in seiner Kabine nichts kaputt macht. – Jochen, ruf doch bitte die Hausdame an, sie soll den zuständigen Reinigungstrupp mit Kameras ausrüsten und beim nächsten Saubermachen jede Ecke der Kabine fotografieren lassen. Mit Datumsanzeige. Wenn sich dann hinterher ein Mangel herausstellt, machen wir ihn dafür haftbar. Verarschen lassen wir uns von dem nicht!« Er dachte an so manchen Nachbarschaftsstreit in seinem alten, verlorenen Revier. Oft war da mit ähnlich harten Bandagen gekämpft worden. Unkrautsamen übern Zaun geworfen oder lebende Nacktschnecken oder gleich Maikäferlarven, so sich denn welche hatten finden lassen. Fehlte nur noch, dass man von ihm verlangt hätte, Fingerabdrücke zu sichern – auf den Käferlarven!

»Ja, schön und gut, äh, Adam – aber wenn er die anderen Passagiere aufhetzt?« Ha! Waren ihm seine »Chef«-Exzesse doch auch mal aufgefallen, dem Onkel Max! Adam zwinkerte ihm wohlwollend zu.

»Das tut er garantiert. Ich schätze, die meisten haben ihn längst durchschaut. Aber der eine oder andere wird sich sagen: Wow, gute Idee! Ihr glaubt nicht, wie viele Neidhammel und Geizhälse es auf dieser Welt gibt. Da werden zuvor noch Zufriedene schnell zu düpierten Passagieren, wenn sie Geld wittern.«

Falls Hallerbach, sein Heimatort, einen guten Durchschnitt repräsentierte, so hatte er Grund zu dieser Behauptung. Das beste Beispiel für solche unangenehmen Zeitgenossen waren die besagten Nachbarschaftsstreitigkeiten, beliebte Situationen, um die Polizei einzubestellen. Dabei war der Zankapfel oft tatsächlich nur ein solcher... oder stattdessen ein paar überreife Pflaumen, die die Einfahrt des Nachbarn besudelten. Handfester Hintergrund für derartige Stürme im Wasserglas: Der eine Nachbar glaubte stets, dass es dem anderen viel besser ging, als er verdiente. Oder dass er sich im Winter beim Gehsteigräumen zu wenig plagte.

»Ich hasse Neidhammel und Geizhälse!«, schnaufte Max.

»Wie wahr, und dabei hat unser Mann wahrlich keinen Grund, sich so aufzuführen – und schon gleich gar keinen, auf Deck drei zu wohnen. Ich hab mich beim Quartiermeister schlau gemacht: Sein Name ist Otto Steinhaus, wir haben hier einen Beamten der Besoldungsstufe Oberstudienrat, nicht verheiratet, nicht geschieden. Er kann alles, was er verdient, eigenhändig verprassen, und das ist nicht wenig.«

Mit Beamtenbesoldung kannte Adam sich aus, von seinem ersten Leben her.

»Geiz ist geil«, sagte Jochen. »Aber es ist eigentlich nicht toll, so zu leben.«

»Ach, der kennt es gewiss nicht anders, und gewieft ist er, Jochen. Nur fürchte ich, für so einen sind wir allesamt nicht schlau genug!«

»Auf jeden Fall gehört er kontinuierlich im Auge behalten. – Ha, das wär doch der ideale Einsteigerjob für unseren Kleinen«, schlug Max vor. Der »Kleine« war Paul Krüger. Und übrigens eine Handbreit größer als Max.

»Wie macht er sich denn, Max?«, fragte Adam seinen Undercover-Onkel, der sich bisher die meiste Zeit um Paul Krüger gekümmert hatte. In seiner aktiven Laufbahn hatte er auch immer wieder mal Nachwuchs ausgebildet. Einer seiner Zöglinge arbeitete jetzt sogar bei Interpol.

»Och, nicht übel eigentlich«, meinte der schulterzuckend. »Er könnte etwas offensiver sein. Meint immer, er muss sich im Schatten verstecken, dabei ist es gar nicht schlecht für die Moral an Bord, wenn die Leute merken, dass die Security präsent ist.«

»Das liegt wahrscheinlich daran, dass er zuvor jahrelang als Kaufhausdetektiv gearbeitet hat. Von denen wird ja eher das Gegenteil erwartet.«

»Hm, klar... aber einen mit ein bisschen mehr Drive hättest du schon aussuchen dürfen, Adam, wenn ich offen sein darf.«

»Du machst mir Spaß! Das war der einzige, der allereinzigste Bewerber für die Stelle. Dabei haben wir sie sogar im Internet ausgeschrieben, weil uns die Hamburger schon zu gut kennen.« Stirnrunzeln. »Kann es sein, dass sich schon richtig weit rumgesprochen hat, was auf diesem Schiff dauernd geboten ist?«

Wen würde das noch wundern?

Dass sich darüber hinaus bald herausstellen würde, wie abergläubisch sein Neuer war, sollte nicht zu Adams Beruhigung beitragen.

Nun, vielleicht hatte das erst angefangen, nachdem Paul sich ein paarmal im labyrinthischen Bauch der »Symphony« verlaufen hatte. Und daran war wiederum Adam schuld: Er hatte dem jungen Mitarbeiter geraten, sich, solange es noch ruhig war, gründlich auf dem Schiff umzusehen.

»Weißt du«, hatte er zu Paul gesagt, »ich selbst hab mich am Anfang recht oft verirrt, am häufigsten auf Deck A oder B. Das liegt zum einen daran, dass es keinen rechten Winkel in diesen Gängen gibt. Noch schlimmer ist, dass da nirgendwo Fenster sind. Allenfalls kannst du dich noch orientieren, wo vorn und hinten ist. Aber auch nur, solange das Schiff Fahrt macht und nicht auf Reede liegt.«

»Auf Reede?«, hatte Paul gefragt.

»Das bedeutet, in geschützten Gewässern verankert. Dann trudelt es nur ein wenig hin und her und dreht sich um die Ankerkette, aber das hilft einem dort unten nicht weiter. Die Übersichtspläne, die an jeder Ecke hängen, sind leider auch nicht so toll. Aber immerhin hast du überall Handy-Empfang. Wenn du nicht mehr weiterweißt, funkst du uns an und wir holen dich raus.«

Daran hatte Paul sich gehalten, wie auch an den Ratschlag, das Schiff zu erkunden. Aber unglücklicherweise war er bei seiner letzten Entdeckungstour im Schrottlager gelandet, und dann hatte eine tückische Welle auch noch die Tür hinter ihm zugeworfen. Natürlich hätte er die einfach nur wieder aufmachen müssen, aber er hatte sie in dem Wirrwarr nicht wiederfinden können – hier mochte die Panik eine dominante Rolle gespielt haben. Und sein Handy hatte gerade noch genug Saft für einen Anruf gehabt.

Adam höchstpersönlich hatte ihn anhand seiner Beschreibung der knisternden, knackenden, irgendwie umherkriechenden Metallteile aus der misslichen Lage befreit und ihm danach einen Schnaps für die Nerven gegeben. Alles schien wieder im Lot zu sein.

Aber kurz darauf hatte Paul diesen Tick mit dem Teufel ausgebrütet. Genau genommen nach der Nordkap-Visite, die diesmal etwas sonderbar verlaufen war.

Kapitel 4

Ein – wenn nicht das – Highlight dieser Fahrt stellte das Nordkap dar. Der nördlichste Punkt des europäischen Festlandes, eine Felsterrasse hoch über dem Meer, oft windumtost und bei jedem Wetter ein begehrtes Fotomotiv. Auch wenn es keine Heldentat war, dort hinaufzukommen, im Gegensatz zur gleichfalls berühmten Trolltunga, der Trollzunge, die man in einem wahren Gewaltmarsch von mehr als zwanzig Kilometern erobern musste. Aber die Trolltunga stand ja auch nicht auf dem Fahrplan. Früher schon, doch die Ausfälle an Passagieren, die sich mit dem Aufstieg zuviel zugemutet hatten und dann von der Bergwacht vor Ort hatten geborgen werden müssen, waren doch zu kostspielig geworden für die Reederei. Vor allem die an deren Rettung gebundenen erweiterten Liegezeiten.

Allerdings war Adam, der seine Ohren überall hatte, zugetragen worden, dass ein Passagier sich lautstark beim Quartiermeister beschwert hatte, weil dieses Naturwunder nicht mehr im Programm stand. Und dass der Quartiermeister ums Haar einen Kinnhaken einkassiert hätte. Weswegen der Passagier jetzt in der zweidimensionalen Gestalt eines Steckbriefes im Büro des Sicherheitsdienstes hing, was bedeutete, dass er beim nächsten Ausfall wohl seinen eigenen Ausfall generieren würde, den von Bord nämlich. In der Nähe eines Flughafens, von dem aus er sich nach Hause begeben konnte.

Paul Krüger hatte sich freiwillig gemeldet, den normalerweise weniger krisenanfälligen Abstecher zum Nordkap zu begleiten. Und nun war er zurück, um Bericht zu erstatten.

»Wie war's denn so dort oben?«, fragte Adam ihn und versuchte, sein eigenes Bedauern zu verbergen. Er selbst wäre auch gern mal hinaufgefahren, um diesen magischen Ort hautnah zu erleben, aber die Landausflüge durften immer nur ein paar Leute aus seiner Mannschaft mitmachen, denn sicherheitstechnisch hatte das Schiff Vorrang. Man brauchte für Landausflüge im Grunde gar keine Security, dafür genügten die erfahrenen Reiseleiter unter der Ägide des Kreuzfahrtdirektors. Für die aus Adams Mannschaft, die heute an Land gegangen waren, war es tatsächlich eine Art Urlaubstag gewesen. Die meisten seiner Leute hatten das Nordkap sowieso schon einmal gesehen, er selbst leider nicht. Aber für ihn als frischgebackenen Chef der Truppe waren Landgänge noch Zukunftsmusik. Erst musste er einmal ein Gefühl für diesen Haufen entwickeln, den er von seinem tüchtigen Vorgänger Edmund Sandtner übernommen hatte.

An die dreihundert Meter ragte das Nordkap in die Höhe, unangefochten von der stürmischen See zu seinen Füßen, doch selbst im Sommer windumtost und unwirtlich. Jahr für Jahr kam die »Magic Symphony« im Sommer hier des Weges, um scharenweise ihre Gäste auszuspucken und in die wartenden Busse zu packen, die sie dann durch karge Tundra-Mondlandschaft an den Ort hochkarrten, wo eine metallene Erdkugel den sagenhaften Punkt markierte, der früher das Ende der bekannten Welt bedeutet hatte.

Zu Zeiten der Wikinger, die stattdessen von der mystischen Stadt Ultima Thule geträumt hatten, war noch nicht bekannt gewesen, welch grandiose Bodenschätze unter dem eisbedeckten Nordpol schlummerten. Heutzutage, da das Eis sich zurückzuziehen begann, wetzten Russen, Amerikaner, Dänen, Kanadier, Briten, Schweden und Norweger ihre Messer, um sich demnächst in eine Art modernen Goldrausch zu stürzen und Claims abzustecken, die tief unter Wasser lagen.

Adam hatte ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, dass dort oben im höchsten Norden die Erdkruste bereits im großen Stil angebohrt werden sollte. Let the white land dream in peace, so der Refrain eines Songs aus den Achtziger oder Neunziger Jahren, wie er sich erinnerte. Auch wenn es darin um den Südpol gegangen war.

In die leicht melancholische Stimmung, die ihn befallen hatte, passte Paul Krügers seltsame Antwort auf die Frage seines Vorgesetzten wie die Faust aufs Auge. Und der Neue hielt sich nicht mit Vorreden auf, so aufgeregt war er.

»Ich weiß nicht, wie ich sagen soll, Adam – seltsam war's und unheimlich. Da oben war ein alter Mann in einem Pelzgewand, ich meine, in einem, das aussah, als hätte er dem zugehörigen Eisbären gerade erst eigenhändig das Fell über die Ohren gezogen.« Er machte eine Atempause, in die hinein Adam unbefangen fragte:

»Wohl ein Same? Das sind meines Wissens die Einzigen, die hier in Norwegen Rentiere halten dürfen, also dürfen sie vielleicht auch Eisbären jagen...« Genau genommen hatte er keine Ahnung, was Samen alles durften. Ein überschaubarer Haufen von Ureinwohnern. Sehr überschaubar. Im Bordkino hatte es kürzlich einen Film über diesen Volksstamm gegeben, aber er hatte keine Zeit gehabt, ihn sich anzusehen. Nach seiner abrupten Beförderung zum Sicherheitschef war er immer noch damit beschäftigt, die Security-Richtlinien auswendig zu lernen. Dieses Amt, zu dem er nach dem Piratenüberfall gekommen war wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind, barg ein großes Maß an Verantwortung. Obwohl er – wie er in einem früheren Leben bewiesen hatte, in das er wohl nie mehr unbeschadet zurückkehren konnte – durchaus Führungsqualitäten besaß, war es etwas anderes, eine zweiundzwanzigköpfige Truppe zu leiten, als einen winzigen Vorposten der niederbayerischen Polizei an einem Grenzort zu Tschechien. Dass dieses Schiff voll und ganz mit dem seit Schengen praktisch rechtsfreien Raum um den ehemaligen Eisernen Vorhang mithalten konnte, hatte er schon mehrfach erfahren müssen. Hier kam alles vor, was man sonst nur in Großstädten erlebte, zuzüglich Spielarten der Kriminalität, die tatsächlich nur auf Schiffen möglich waren.

Was die Security an Bord durfte, war genauestens festgelegt. Was nicht, galt als Grauzone. Schon mehrfach war es notwendig geworden, innerhalb dieser Grauzone zu operieren, um das Leben von Passagieren zu schützen. Immer wieder stieß Adam dabei auf die Frage, wie das wohl auf anderen Kreuzfahrtschiffen gehandhabt wurde. Wie oft dort eine Grauzone betreten werden musste, von deren Existenz um keinen Preis etwas nach draußen dringen durfte.