Bilder aus der deutschen Vergangenheit - Gustav Freytag - E-Book

Bilder aus der deutschen Vergangenheit E-Book

Gustav Freytag

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Beschreibung

Gustav Freytag zeichnet in seinem Geschichtsklassiker »Bilder aus der deutschen Vergangenheit« die Zeit vom Mittelalter bis zur Märzrevolution 1848 nach. Freytag vermittelt auf anschauliche Art die großen geschichtlichen Zusammenhänge. Besonders prägnant stellt Freytag die kulturgeschichtlichen Fortschritte dar, etwa die Entwicklung von Märkten, Städten, Klöstern, Kunst, und Medizin. Die »Bilder aus der deutschen Vergangenheit« erschienen zwischen 1859 und 1862 ursprünglich in fünf Bänden, die in dieser Ausgabe vollständig enthalten sind: Band 1: Mittelalter und Völkerwanderung Band 2: Zeit vom Mittelalter bis ca. 1500 Band 3: Buchdruck, Reformation, Luther Band 4: Dreißigjähriger Krieg Band 5: Aufklärung und Revolution 1848

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Bilder aus der deutschen Vergangenheit

Bilder aus der deutschen VergangenheitDie Bilder 1. Aus dem Klosterleben 2. Aus dem Volke 3. Aus den Kreuzzügen 4. Aus der Hohenstaufenzeit 5. Das Rittertum 6. Aus deutschen Dörfern 7. Auf den Straßen einer Stadt 8. Besiedlung des Ostens 9. Krieg und Fehde 10. In den Turnierschranken 11. Die frommen Landsknechte 12. Die fahrenden Leute 13. Ein fahrender Schüler 14. Eine Bürgerfamilie 15. Aus einem Patrizierhause 16. Deutscher Landadel im 16. Jahrhundert 17. Der Dreißigjährige Krieg 18. Der Dreißigjährige Krieg 19. Der Dreißigjährige Krieg 20. Der Dreißigjährige Krieg 21. Der Dreißigjährige Krieg 22. Der Dreißigjährige Krieg 23. Aus dem Leben des niedern Adels 24. Aus deutschen Bürgerhäusern 26. Gauner und Abenteurer 27. Die Stillen im Lande 28. Es wird Licht 29. Aus der Garnison 30. Der erste Luftballon zu Nürnberg 31. Aus den Lehrjahres des deutschen Bürgers Impressum

Gustav Freytag

Bilder aus der deutschen Vergangenheit

Deutsche Geschichte anschaulich erklärt

1. Aus dem Klosterleben

Im zehnten Jahrhundert

Das älteste Mönchstum. – Hilarion. – Irische Mönche. – Die Benediktiner und der Einfluß der Angelsachsen. – Gründung eines Klosters, seine Reliquien und seine irdischen Gönner. Bau der alten Klöster. – Tätigkeit der Benediktiner. – Landbau, Schule, Handschriften. – Aristokratismus der alten Klöster. – Einwirkung der lateinischen Bildung auf die Laien. – Das Leben im Kloster; Kampf mit den Gelübden. – Die Frauenklöster. – Hroswitha. – Kurze Probe aus ihrem Drama Paphnutius. – Das Liebeskonzil im Kloster. – Verfall und Bedeutung der Benediktiner. – St. Gallen. – Bericht Ekkehards IV. aus den Schicksalen von St. Gallen: der Ungarneinfall, Graf Udalrich und Wendilgard und ihr Sohn Abt Purchard; Ekkehard der Hofmann und die Herzogin Hadawig. – Geschichtsschreibung in den Klöstern

Von Klöstern und Bischofsitzen verbreitete sich eine Bildung, die in ihrer Literatur noch fast ganz lateinisch, in ihren praktischen Forderungen fast ganz deutsch war. Mit neuer Kraft betätigte der Christenglaube seine Macht als Kulturträger. Allerdings auf eine Weise, welche uns fremdartig erscheint; denn es war Fügung, daß gerade die Richtung, welche unserer Bildung am wenigsten heimisch ist, die weltverachtende Aszese, den Völkern des Mittelalters weltliche Kultur und irdisches Heil begründen sollte.

Christus und die Apostel hatten nicht in der Einsamkeit härenes Gewand getragen, sondern ihr Leben darangesetzt, Lehrer der Völker zu werden. Aber aszetischer Eifer, in dem jüdischen Glauben wie in den heidnischen Kulten des Orients seit alter Zeit geschäftig, drang auch in die milde Christenlehre.

Aus den sittenlosen Städten Ägyptens, wo uralte Superstition sich mit griechischen und orientalischen Kulten widerwärtig gemischt hatte, wo raffinierte Sinnlichkeit auch die Christgläubigen verdarb, zogen sich die frommen Büßer hinweg in die Wüsten längs dem Niltal. Dort am Saum der bewohnbaren Welt errichteten sie ihre Zellen, um darin betend zu kauern, oder einen Säulenschaft, um zu Gottes Ehre darauf zu stehen.

Wer jetzt das Leben eines dieser Heiligen, wie es von seinen Verehrern aufgezeichnet ist, überschaut, wird widerwillig die große Hingabe an die Gottesidee anerkennen, aber auch einen Schauder nicht überwinden vor der furchtbaren Einseitigkeit solcher Devotion. Als Knabe wurde Hilarion von heidnischen Eltern nach Alexandrien in die Lehre eines Grammatikers gegeben, aber den Knaben trieb der Ruf des heiligen Antonius zu diesem in die Wüste. Er blieb einige Monate bei ihm als bewundernder Schüler; doch der Zudrang der Menschen und die Wut der Besessenen, welche um den großen Exorzisten brüllten, wurde dem Knaben zuviel, er kehrte nach Palästina zurück, verteilte die Habe seiner gestorbenen Eltern unter die Armen und ging, fünfzehn Jahre alt (um 310), in eine Einöde unweit dem Strande, die durch Räuber unsicher gemacht wurde. Er war ein zartes Kind, anfällig gegen Witterung, seinen Leib hüllte er in einen Sack, außerdem hatte er einen Überwurf von Fellen und einen Bauernmantel; so hauste er zwischen Meer und Sumpf, seine Tageskost waren fünfzehn Datteln, die er nach Sonnenuntergang aß, keine Nacht schlief er der Räuber wegen an derselben Stelle. Er sah Gesichte, Gestalten in Kriegswagen, welche über ihn wegfahren wollten und vor ihm in die Erde verschwanden, hörte Geschrei und Gebrüll von Geistern und dämonischen Tieren. Da dem Unschuldigen doch lüsterne Bilder kamen, so entzog er sich noch von der dürftigen Kost, arbeitete mit dem Grabscheit und flocht Binsenkörbchen. Gegen Sonne und Regen baute er sich eine Zelle, so klein, daß gerade nur sein Leib hineinging, einem Sarge ähnlicher als einer Wohnung. Das Haar schor er einmal im Jahre, am Ostertag; sein Lebtag schlief er auf einem Binsenlager; den Sack, den er einmal umgetan hatte, wusch er nie, weil Sauberkeit im Büßerhemd überflüssig sei; auch das obere Kleid wechselte er nie, bis es ganz zerrissen war. Er betete, sang Psalmen und sprach sich die Worte der Heiligen Schrift vor. Mit seiner Kost wechselte er nach den Jahren: durch drei Jahre aß er ein kleines Maß Linsen, die er in kaltem Wasser gequollen hatte, wieder drei Jahre trockenes Brot und Salz, wieder drei Jahre nur wilde Kräuter und Wurzeln; als er später fühlte, daß sein Augenlicht abnahm und die Haut an seinem ganzen Körper schuppig wie Bimsstein wurde, setzte er etwas Öl zu seiner Gemüsekost. Einst kamen Räuber, die von ihm gehört hatten; ihnen sagte er: »Ich bin nackt«; als sie antworteten: »Du kannst doch getötet werden«, versetzte er ruhig: »Ich kann, ja ich kann, ich bin bereit zu sterben«. Der Ruf seiner Frömmigkeit drang durch das Land, die Leute zogen zu ihm und flehten in der Not um sein Gebet, denn sein Gebet wirkte Wunder, heilte Kranke und vertrieb den Teufel, sogar aus einem ungeheuren baktrischen Kamel, das viele Menschen umgebracht hatte und von mehr als dreißig Männern an dicken Stricken zu ihm geführt wurde, er ließ es losbinden, und das Kamel stürzte kraftlos zu seinen Füßen nieder. Auch andere Einsiedler gesellten sich zu ihm, es wurde eine fromme Genossenschaft in der Wüste; aus weiter Ferne suchten Besessene seine Wunderkraft, unter diesen auch ein vornehmer Deutscher aus Byzanz. Ihm aber wurde der Zudrang der Menschen lästig, er fiel in Schwermut, weinte und sehnte sich nach seiner früheren Einsamkeit, die Gesellschaft der Büßer erschien ihm wie ein Kerker. Durch flehentliches Bitten suchte ihn die ganze Gegend zurückzuhalten; endlich zog ein großer Haufe mit ihm aus, er aber wählte vierzig Mönche, welche den Tag über wandern konnten, ohne zu essen, und entließ das übrige Volk. Er besuchte die Heiligen in den Städten Asiens und die Einsiedler in der Wüste und auf den Bergen; überall entfernte er sich wieder, durch den Zulauf der Menschen erschreckt. Endlich setzte er sich zu Schiff, kam nur mit einem Knaben nach Sizilien und bezahlte die Reise mit seinem Evangelienbuch; auch dort ging er, bereits ein alter Mann, an eine wüste Stätte, sammelte alltäglich Holz und schaffte es auf dem Rücken des Knaben nach der nächsten Stadt, um dafür Speise zu erhalten. Unterdes suchte einer der treuesten Schüler den großen Heiligen durch alle Länder, endlich erfuhr er in Sizilien, daß ein alter Jude in der Einöde Holz sammle. Er eilte zu ihm, warf sich ihm zu Füßen und wurde endlich von ihm aufgenommen.

Allein sogleich litt es den Alten nicht mehr in der Gegend; er fuhr nach Dalmatien, wo er fremd war; auch dort verriet ihn seine Wunderkraft. Denn wo er hinkam, schrien die Teufel ängstlich, daß Hilarion da sei, überall strömten die Menschen zu, und immer wieder dachte er auf Flucht. Endlich zog er nach Ägypten in eine grausige Einöde, zu einem Berge, den man kaum auf Händen und Füßen kriechend ersteigen konnte. Dort fand er Bäume und Wasserquellen und die Trümmer eines Heidentempels, um welche Tag und Nacht ein Heer böser Geister brüllte. Da freute er sich sehr, daß er seine Gegner in der Nähe hübsch beisammen hatte, und blieb dort fünf Jahre in hohem Greisenalter. Jetzt war er wieder allein, nur zuweilen kroch sein treuer Schüler zu ihm hinauf. Endlich störten ihn auch dort wundersuchende Fromme; die letzten fanden ihn sterbend. Er hatte einen Brief geschrieben an seinen Freund Hesychius und diesem seine Schätze vermacht, nämlich sein Evangelium, den Sack, den er auf dem Leibe trug, und die Mönchskutte. Seine letzten Worte waren: »Geh hinaus, meine Seele, was fürchtest du dich? was zauderst du?«

Es lag im Wesen der Zeit, genau die heiligen Muster nachzuahmen. Das Leben des heiligen Antonius, des heiligen Hilarion wurde für Hunderte ein Vorbild, und die Gestalten dieser großen Büßer die Ahnen aller Mönchsgenossenschaften im Morgen- und Abendland. Denn um die Zellen leidenschaftlicher Büßer erheben sich zahlreiche Hütten Frommer, welche gleich ihnen die arge Welt verlassen hatten, um in Entsagung dem Herrn zu dienen. Durch kluge Führer wurden diese zu einer sozialistischen Genossenschaft vereinigt, welche in der Einsamkeit zuerst den notdürftigen Lebensunterhalt aus dem Boden zog, bald neben den Andachtsübungen andere, Gott wohlgefällige Arbeit übte, zuströmende Arme und Kranke pflegte und die Kenntnis der Heiligen Schrift durch ihre Schreibekunst vermehrte. Ein strenges Gesetz regelte das Zusammenleben der Frommen; [...] und sie hielten ihr kleines Reich durch Zaun und Klausur von der Welt geschieden.

In Europa erlangten diese frommen Gesellschaften zuerst eine merkwürdige Bedeutung auf der entlegensten Weltinsel, in Irland. Sehr früh mußte das Mönchstum aus Ägypten dorthin gedrungen sein. In dem keltischen Volk von feurigem Sinn und leicht erregter Phantasie bildeten sich auf den Gebieten kleiner Landesherren tätige Genossenschaften von entsagenden Frommen, welche im Gottesfrieden das Land bauten, Gewerbe trieben und heilige Bücher kopierten. Uns ist überliefert, daß um das Jahr 600 das Kloster Bancor an der Grenze von Cornwallis sieben Abteilungen Mönche, jede von 300 Mann unter einem Vorsteher, gehabt habe. Sie lebten nach alter Regel und erkannten die Autorität des römischen Bischofs nicht an. Einst war die Mehrzahl von ihnen bei einem Kampf mit dem halb heidnischen, halb katholischen Angelsachsen in geschlossener Schar ausgezogen, um während der Schlacht gegen die Fremden zu beten. Der König Edilfried sah sie auf einem Hügel stehen und rief: »Wenn sie gegen uns zu ihrem Gott schreien, so schaden sie uns durch ihre Bitten, sie sind auch ohne Waffen unsere Feinde.« Und er ließ 1200 derselben niederhauen, nur fünfzig retteten sich durch die Flucht. Aus Bancor zog um 590 Columban nach dem Süden, den weltlich gesinnten Franken die Lehre der Entsagung zu verkünden, und wie er Haufen seiner Landsleute. Vom sechsten bis zwölften Jahrhundert bewahrten die irischen Mönche einen Wandertrieb wie sonst nur Germanen, sie pilgerten durch das ganze Abendland, gründeten überall Einsiedeleien und kleine Mönchsgenossenschaften und setzten sich fast in allen Klöstern fest.

Es waren Männer von altertümlicher Strenge und Einfalt, oft heftige und gewaltsame Naturen; sie lehrten in den Klöstern Frankreichs und Deutschlands, was sie von heimischer Kunst mitbrachten. Denn sie waren eifrige Musiker, zumal auf der Harfe, und große Künstler im Schreiben und Bilderzeichnen, die seltsamen Formen ihrer Arabesken und Initialen in erhaltenen Manuskripten verraten noch die alte Verbindung mit den Eremiten des Orients. Sie waren auch praktische Leute als Ackerbauer und Baumeister und verstanden viele geheime Künste des Fischfanges, welche die süddeutschen Mönche von ihnen lernten und noch Jahrhunderte später mit besonderer Freude anwandten. Selten reisten sie anders als truppweise. Sie führten lange Stöcke, lederne Quersäcke und Flaschen, trugen wallende Haare und waren häufig nach nordkeltischer Sitte an einzelnen Teilen des Leibes, zumal an den Augenlidern tätowiert. Als sie ihre Wanderfahrten begannen, waren sie noch nicht römisch-katholisch, aber sie wurden in den Germanenklöstern des Kontinents als geehrte Gäste freundlich empfangen, in der Folge, selbst als sie die Benediktinerregel angenommen hatten, nicht immer gut behandelt. Ihre Bedeutung für die Kultur des Mittelalters ist nicht gering anzuschlagen, denn fast überall fachten sie die ersten Funken christlicher Bildung in den Klöstern an. Aber in Wesen und Bräuchen blieb ihnen etwas Fremdländisches. Von ihnen stammen die Schottenmönche, welche in den Kreuzzügen noch einmal Bedeutung gewannen.

Unterdes war von Italien aus das Klosterleben in anderer Weise reformiert worden. Benedikt von Nursia gab den Mönchen auf Monte Cassino um 529 eine Regel, welche Vorbild für das gesamte Abendland wurde. Es war die germanische Idee der Gefolgeschaft, welche er in seiner Gesellschaft ausbildete; unter einem Häuptling, dem Abt, standen im Dienst des großen Himmelsherrn oder seines Heiligen die frommen Mannen in drei Abstufungen, wie Germanenbrauch war, als Priester, Diakonen und Knappen (pueri). Durch die drei Gelübde der Armut, des Gehorsams und der Ehelosigkeit waren sie an den Herrn gebunden; sie hatten außer dem geistlichen Dienst auch die Bundespflicht, Schüler zu unterrichten und mit der Hand zu arbeiten. In dieser Regel erblühte das Mönchsleben zuerst bei den neu bekehrten Angelsachsen. Während Kenntnis der Schrift und Literatur unter den letzten Merowingern gering wurden, war in den Klöstern der Angeln die größte Gelehrsamkeit jener Zeit, eine reine begeisterte Hingabe an die heilige Wissenschaft und emsiges Abschreiben aller wertvollen Bücher. Von Pippin Heristal bis auf Karl den Großen bewahrten Angelsachsen fast das gesamte Wissen, durch welches spätere Jahrhunderte gebildet wurden. Und wie 200 Jahre früher die Iren, so zogen seit dem achten Jahrhundert die angelsächsischen Mönche von ihrer Insel nach dem Süden als die großen Lehrer und Kulturträger des Abendlandes, mit Bonifazius und Alkuin andere in ungezählter Menge; sie gründeten überall Klöster, tauften die Heiden, besetzten Bischofstühle, wurden Ratgeber und Erzieher der Fürsten und der Völker.

Wollte ein deutscher Landesherr ein Kloster gründen, so verständigte er sich mit den Mönchen eines bestehenden Mutterklosters. Dann wurde der Platz sorgfältig überlegt, vielleicht war es ein alter Tummelplatz heidnischer Dämonen in tiefem Wald, wie bei Gandersheim, oder eine günstige Kulturstelle wie bei der zweiten Anlage (822) von Corvey, der Tochter des französischen Klosters Corbie. – Ackerscholle, Quell und Teich, das Gestein und Sonnenlicht auf Wald und Hügel, die Straße, der Ausblick in das Land und die Nachbarschaft wurden sorglich erwogen, Brüder wurden als Späher ausgesandt, bei den Frommen der Umgegend ward Kunde eingeholt, dann erst wurde eine Gesellschaft der Brüder abgesandt zur Gründung des Klosters. Die Gesandten begingen Flur und Tal, darauf knieten sie nieder, beteten und sangen die Psalmen, welche zu diesem Offizium gehörten, warfen die Richtschnur, steckten die Pflöcke und maßen den Grund der Kirche, dazu die Wohnungen der Brüder. Schnell wurden vorläufige Hütten gebaut, und der Bischof ward geladen, die Stätte zu weihen; an die Stelle, wo der Altar sich erheben sollte, wurde die heilige Kreuzfahne gesteckt, von dort die geweihte Umfriedung mit einem Namen begabt. An demselben Tage begann der Bau, die Mönche arbeiteten mit den Landleuten um die Wette an Balken und Steinen. Waren die nötigsten Gebäude aufgerichtet, dann siedelten die Brüder aus dem Mutterkloster über mit allem Hausrat, Männer, Greise und Knaben, sie begingen unter dem Notdach die erste Messe. Stand die Kirche vollendet, dann führte der Abt des neuen Klosters eine größere Anzahl der Brüder herzu. Ihm und den weltlichen Stiftern lag ob, die unentbehrliche Grundlage für das Gedeihen der neuen Stiftung, die Reliquien, zu finden.

Bescherte das Glück die Reliquien eines freundlichen Heiligen, welcher starke Neigung erwies, Wunder zu tun, so wurde die Übersiedelung seiner Gebeine der große Festtag des Klosters. Mit Weihrauch, Kerzen und Reliquien zog psalmensingend die Brüderschaft des Klosters ihm entgegen. Die Vornehmen und das Volk der Umgegend sammelten sich, zahllose Kranke wurden herzugetragen, Zelte erhoben sich rings um den Klosterzaun, und während das Gefäß mit den heiligen Überresten in der Kirche aufgestellt wurde, sangen die Männer und Frauen draußen in getrennten Chören das Kyrieeleison. Gesang und Gebet wechselten die ganze Nacht, die Aufregung wurde groß, zwischen die Lärmenden und Knienden auf der Wiese stürzte zuweilen ein Mönch oder ein Landmann mit der Verkündung eines neuen Wunders, das der Heilige soeben an einem der eindringenden Kranken getan. Jede solche Botschaft steigerte die Begeisterung und Opferlust der Menge. Unterdes war im Hause des Abtes festliche Bewirtung der Vornehmen und viel Heben der Becher, und der Bruder Küchenmeister geriet in Eifer und rief seinen Knaben zu: »Rasch, sputet euch, denn unser Heiliger wird gleich wieder ein Wunder tun.« – Aber schon um das Jahr 1000 gab es viele Zweifler, welche an die verkündeten Wunder nicht glauben wollten, und in der Tat lief für jene Zeit sichtbarer Betrug mit unter. Ein gewissenhafter Geistlicher hatte Wundertaten nicht zu suchen, sondern abzuwehren, denn Männer und Weiber machten ein Gewerbe daraus, an Kirchenfesten geheilt zu werden als Blinde, Lahme usw.; wer sich mit solchen Landläufern einließ, die bereits hundertmal geheilt waren und als Wunder berichteten, was sie gaukelten, hatte den Schaden. Und dergleichen Volk trieb sich überall umher. Auch die heiligen Gebeine liebten es, als Spezialitäten ihre Wunderkraft zu äußern, d. h. vorzugsweise in gewissen Leiden nützlich zu sein; das eine heilte mit größerer Kraft Lähmungen und verbogene Glieder, ein anderes Kröpfe, das dritte fallende Sucht, ein anderes war mächtig gegen Feuerschaden, Donner und Blitz. Und solche Vorliebe des Heiligen für einzelne Interessen der leidenden Menschheit war auch dem Kloster nützlich.

Gab der heilige Patron dem Kloster Ansehen, so war der Schutz der irdischen Gönner nicht weniger förderlich. Bedeutung und Wohlstand eines Klosters hingen davon ab, daß eine große Herrenfamilie ihre Interessen mit denen des geistlichen Stiftes vereinigten. Die weltlichen Gründer und Schützer: das Königsgeschlecht, ein Herzog oder Graf, betrachteten das Kloster als einen wertvollen Helfer für ihr irdisches und ewiges Heil. Durch die Mönche ordneten sie ihre Rechnung mit dem Himmel, der Klosterheilige war auch ihr Patron, ihm wurden Gelübde abgelegt, ihm bei beschwertem Gewissen Geschenke gemacht, ihm die Söhne und Töchter geweiht, welche nicht der weltlichen Lust und Versuchung teilhaftig sein sollten, an seinem Altar suchte man Frieden und Erhebung, bei seinen Reliquien die letzte Ruhestätte. Fast jedes der großen Klöster Deutschlands, welche vom achten bis elften Jahrhundert Bedeutung gewannen, war in solchem Sinne Besitz eines mächtigen Hauses und Vertreter seiner Interessen. Und es wurde in der Regel ein Verhältnis von großer Innigkeit. In der Einsamkeit des Klosters fand der wilde Krieger, der ränkevolle Politiker eine heilige Ruhe, welche ihm sein Leben nicht gönnte, in den Mönchen die treuesten Anhänger, die ihn als den großen Spender und Freund betrachteten, in den Weisen des Klosters stille Ratgeber, Verfertiger von Schriftstücken – zuweilen auch von unechten – und Verfasser der Annalen seines Hauses. Die Äbte wurden häufig aus seinem Geschlecht gewählt, unter den Brüdern oder Schwestern waren Kinder seiner Anhänger, er und die Seinen hatten im Kloster eine geweihte Heimat, und wenn ihr Glück auf Erden gescheitert war, die letzte Zuflucht.

Durch Spenden der Gönner mehrte sich allmählich das Eigentum des Klosters, seine Ackerstücke und Hufen lagen vielleicht über einen großen Teil Deutschlands verstreut, die Kultur der nahe liegenden Besitzungen wurde vom Kloster aus geleitet und die Klöster deshalb auch Wirtschaften im großen Stil.

Das Kloster selbst war eine kleine Stadt. Mittelpunkt die Kirche des Heiligen, an diese lehnten sich durch besondere Umfriedung eingehegt die Gebäude der Klausur: Schlaf- und Vorratsräume der Brüder, ihre Bibliothek, ihr Arbeitshaus, die innere Schule, der ansehnliche Speise- und Beratungsraum mit Kreuzgang. Außerhalb der verbotenen Räume aber lag eine ganze Welt von verschiedenartiger Tätigkeit eng zusammengeschachtelt in niedrigen Gebäuden, welche oft nach antiker Weise kleine Hofräume umschlossen. Dort war die stattliche Abtswohnung als Palast mit eigener Wirtschaft und Küche, dann die Außenschule, Gasthäuser für reisende Brüder, für Vornehme und für gewöhnliche Leute, die letztern mit gutem Grund ohne Ofen und Feuerstätte – ferner Krankenhäuser, dabei die Wohnung und Apotheke des Bruders Arzt. Dann die Werkstätten der Handwerker und Künstler, der Goldschmiede, Schwertfeger [*] [baut Schwerter und Seitengewehre zusammen und poliert sie; allg. Waffenschmied] , Sattler usw., sämtlich kleine Arbeitsräume mit Schlafzellen daneben. Endlich die Gebäude einer großen Landwirtschaft: Viehställe, Knechtwohnungen, Scheuern, Brauerei, Vorratsräume, Hühner- und Geflügelhöfe und Gärten für Blumen und Arzneikräuter und für Gemüse, als die gewöhnliche Kost der Mönche, zuletzt der Kirchhof als Obstgarten. Die Gebäude und einzelnen Anlagen waren durch kleine Gassen und Stege, durch Hecken oder Mauern geschieden; dieser ganze Wabenbau der geistlichen Bienen nach außen eine viereckige abgeschlossene Anlage, mit Pfahlwerk und Graben, später auch mit Mauern und Türmen kastellartig umschanzt. In dieser Klosterstadt waren die Mönche nur kleine Minderzahl, aber auch Dienstleute, Arbeiter, Schüler, Knechte und Gäste mußten sich der strengen Ordnung fügen, welche außerhalb der Klausur galt. In der Nähe endlich lag das Dorf mit pflichtigen Landleuten und darin andere Handwerker und Diener des Klosters und unweit die Burg eines reisigen Dienstmannes, welchem der nächste kriegerische Dienst und Schutz seiner Patrone oblag. Er war vornehmen Brüdern verwandt und ohne Zweifel einer der wohlhäbigsten Landgenossen.

Nächst den Meiereien des Königs waren die Klostergüter damals am sorgfältigsten bewirtschaftet; in den Gärten der Mönche hat die deutsche Sonne zuerst den Pfirsichen und Aprikosen rote Bäckchen gemalt, die weiße Lilie und die volle Rose der Römer wurden hier zuerst bewundert und in den lateinischen Versen zum Schmuck himmlischer Schönheit verwandt. Trotz der strengen Regel verstanden die Brüder auch für die seltenen Tage eines Konviviums und für den Tisch ihres Abtes gute Dinge zu bereiten, Kochkunst und Pflege des Weines wurden mit derselben pedantischen Sorgfalt geübt, welche alle Tätigkeit der alten Klöster bezeichnet. Aber auch höherem Künstlertalent bot die heilige Genossenschaft den sichersten Schutz, Maler und Baukünstler erlangten am leichtesten als Mönche Ruf, sie wurden zur Ausübung ihrer Kunst auch aus dem Kloster versendet und arbeiteten bei Bischöfen und in Fürstenhäusern zu Ehren ihres Heiligen.

Die segensreichste Tätigkeit der Benediktiner aber war die Einrichtung von Klosterschulen, überall waren die Angelsachsen als Lehrer tätig gewesen. Die Schule war stets eine zwiefache, eine innere und äußere. In der äußeren, der kanonischen, wurden die Söhne der Edlen und Freien aus der Umgegend in einer Pension unter strengster Zucht gehalten, die Schüler der innern trugen die dunkle Mönchskutte und lebten in der Klausur und unter dem Zwang der Klosterregel. Der weltliche Unterricht war Lesen, Schreiben und Rechnen, vor allem Latein; ein tüchtiger Lehrer hielt darauf, daß nicht nur in den Lehrstunden, sondern auch sonst von den älteren Schülern nur Latein gesprochen wurde. Das scheidende Altertum hatte seine zusammengeschrumpfte Schulweisheit in Lehrbüchern überliefert, welche das Material derselben in sieben »freien Künsten« zusammenschlossen: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, dann Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie. Dieser römische Lehrkursus dauerte durch das ganze Mittelalter, nur die Musik erhielt neue Gesetze in nationaler Entfaltung. Außerdem wurde noch manches andere gelehrt, das aus unseren Schulen geschwunden ist. Die Schüler lernten durch schnelles Zusammenlegen und Beugen der Finger Buchstaben, Worte und Zahlen in Zeichen ausdrücken. Als Verstandesübungen waren Rechenaufgaben und Rätselfragen beliebt, welche noch heute unser Volk unterhalten. Streng war die Schulzucht, viele Streiche wurden ausgeteilt, bisweilen die Fehler aufsummiert und zusammen an schwerem Streichtage auf die Rücken gemessen. In St. Gallen zündete im Jahre 937 an solchem Straftag ein Schüler, um den Schlägen zu entgehen, die Schule an, die Flamme verbreitete sich und verzehrte einen Teil der Klostergebäude.

Viele Mühe ward auf lateinische Verse verwandt; sie leicht und schön, wie der Zeitgeschmack war, zu verfertigen, galt für die rühmlichste weltliche Leistung des Gelehrten. Wie die letzten römischen Dichter unter Franken und Goten lateinische Lobgedichte auf ihre Gönner gemacht hatten, feierten jetzt auch fromme Mönche die Beschützer ihres Klosters durch Gedichte in Hexametern oder Distichen. Die Verse waren ein feines Mittel, sich Vornehmen zu empfehlen, von diesen Geschenke und unter den Brüdern Ansehen zu erwerben.

Zu den Pflichten der Benediktiner gehörte das Abschreiben alter Handschriften und wir haben Ursache, mit innigem Dank auf diese emsige Tätigkeit zu blicken, denn ihr verdanken wir fast unsere gesamte Kunde des Altertums. In seiner Klosterzelle saß der Schönschreiber der Abtei, glättete und liniierte sein Pergament, schrieb unermüdlich die Worte nach, die er nicht immer verstand, malte die Anfangsbuchstaben sauber aus mit Rot, Blau, Grün und Gold, zog mit Genuß seine Arabesken und schrieb vergnügt einen frommen Wunsch oder einen kleinen Klosterscherz an das Ende der Abschrift. Wer schön zu schreiben und die Anfangsbuchstaben zu malen vermochte, wurde sehr bewundert. Noch als neunzigjähriger Mann mit zitternder Hand und halb blind schrieb der Bayer Wikterb, Abt von Tours, an seiner letzten Handschrift, und solcher Fleiß war nicht selten. Die Pflicht zu schreiben schuf dem Kloster eine Bibliothek, außerdem halfen dazu Käufe und Geschenke wohlhabender Brüder und vornehmer Gönner. Die Klöster waren stolz auf ihre Handschriften, zumal auf die schön geschriebenen, sie wurden als viel begehrter Schatz sorgfältig gehütet und ungern verliehen.

In derselben Weise wurden Nonnenklöster gegründet. Noch enger war ihr Anschluß an das Geschlecht des Stifters, das Kloster erzog Töchter des Hauses bis zu ihrer Vermählung oder bis sie Nonnen und Äbtissinnen der Anstalt wurden. Mehr als ein bräutliches Kind erlauchter Familien verschmähte den angebotenen Gemahl und wählte das himmlische Rosenlager des Bräutigams Christus. Denn die geweihte Jungfrau faßte ihr Verhältnis zum Himmelskönig in weiblicher Weise als ein Verlöbnis an den geliebten Gott auf, und die Phantasie war schon im zehnten Jahrhundert tätig, die Himmelsfreuden dieses Bundes: Lager, Kuß und Umarmung, auszumalen, zuweilen mit einem Detail, das uns höchlich befremdet.

Mönchs- und Nonnenkloster aber waren damals aristokratische Stiftungen, und sie behielten diesen Charakter bis zu den Kreuzzügen und der Herrschaft der Bettelorden. Wohl bewahrte die Kirche der Germanen die hehre Lehre des Christentums, daß vor Gott alle Menschen gleich sind; sie weihte dem Unfreien wie dem Fürsten seinen Eingang in das Leben und den Ausgang; auch wer in Knechtschaft geboren war, konnte Geistlicher werden, und die Weihen befreiten ihn von dem Makel der Knechtschaft. Aber so weit entfernte sich die alte Kirche doch nicht von der volksmäßigen Anschauung, daß sie diese Vorschrift ihres demokratischen Glaubens konsequent durchgeführt hätte. Niedrige Geburt verurteilte auch zu niedrigem Dienst in der Kirche, dem größten Talent war sie ein Hemmnis, ungern duldeten die reichen Klöster einen unfrei Geborenen in ihrer Brüderschaft, auch unter den Mönchen hatte Geltung, wer von edlem Geschlecht war, obgleich er bei Übertretungen der Regel die Geißel des strafenden Bruders zu fühlen hatte wie jeder andere. Eine Stütze des Adels aber wurden die Klöster deshalb, weil sie in ihren Schulen die vornehme Jugend der Landschaft bildeten. Dem talentvollen Sohn eines Landmanns war die Schule nicht verschlossen, aber streng hielt die Zucht darauf, daß der Sohn den Beruf des Vaters übte, und die Mutter eines armen Bauernknaben wurde sicher nicht von der Kirche ermutigt, ihr Kind auf den Altar des Heiligen zu legen, damit es im Kloster erzogen würde. Wie einst die Hofschule Karls des Großen, so kamen auch die Klosterschulen der Ottonenzeit fast nur dem Fürstensohn, dem reichen Landbesitzer oder ansehnlichen Dienstmann zugut. Und dieser Umstand machte die Männer und noch mehr die Frauen erlauchter Familien ihren Zeigenossen wahrhaft überlegen. Nicht ganz selten waren in der Mitte des zehnten Jahrhunderts vornehme Laien, welche den Virgil lasen, lateinische Verse machten und von dem Trojanischen Krieg und der Dido zu erzählen wußten. Zwar nicht Kaiser Otto I., welcher der Schrift unkundig blieb, wohl aber sein Sohn Otto und dessen Mutter Adelheid, welche ihrem »Löwen«, wie sie den Kaiser nannten, die eingehenden lateinischen Briefe vorlasen. Daß einzelne Vornehme eine weit andere und höhere Bildung hatten als das Volk, gab ihnen zunächst ein Übergewicht, welches der hohe Adel seit dem dreizehnten Jahrhundert nie wieder in diesem Maße gewonnen hat; dieselbe antikisierende Bildung knüpfte sie aber auch an die undeutsche Fremde, an französisches und welsches Wesen, förderte die Abhängigkeit von Italien und bereitete damals in Europa eine Gemeinsamkeit in Interessen, Sitte und Verkehr der vornehmen Gesellschaft, wie sie etwa in neuerer Zeit die französische Literatur hervorgebracht hat.

Dies Exotische der vornehmen Bildung erschwert uns das Verständnis der Charaktere jener Zeit. Denn die stärksten Gegensätze stehen dicht beieinander. Während dem Vater ein Traum, der Flug eines Raben oder das Geschrei des Kuckucks den wichtigsten Entschluß zu kreuzen vermag, ist der Sohn frei von diesem Aberglauben, aber er steht dafür unter der Herrschaft einer römischen Hetäre, deren modisches Saitenspiel und elegantes Geplauder über ritterliche Liebespflicht ihm den Willen beugt. Kaiser Otto I. ist der große sächsische Häuptling, eine wuchtige massive Reitergestalt mit gesundem Menschenverstand und praktischer Schlauheit, aber volksmäßig in seinem Empfinden, seine Politik wird durch persönliche Neigungen beherrscht, er zwingt seine Mutter Mathilde durch Gewalt, den Schatz seines Vaters herauszugeben, und wird vielleicht mehr durch den Schatz und Ruf der schönen Adelheid gelockt, sich ihr anzutragen als durch die Politik; und nach ihm sein gelehrter Sohn Otto, der an lateinischen Disputationen mit Sachkenntnis teilnimmt, und wieder sein Enkel Otto, der bereits ganz italienisch gebildet ist. Derselbe Gegensatz wiederholt sich bei den Hohenstaufen.

Die Mönche waren ein friedliches Völkchen und wurden von Kriegsleuten mit einer Stimmung betrachtet, in welcher sich nicht geringe Scheu, gute Laune und zuweilen geheime Verachtung mischten. Aber auch die Brüder waren Söhne einer kriegerischen Zeit, und wenigstens die, welche aus der wilden Welt in das Kloster gekommen waren, vergaßen nicht ganz, wie sich die Faust über der Waffe ballte. Sie gingen gern für den Herrn Abt auf die Jagd, wußten Spieß und Keule gegen einen Räuber erfolgreich zu gebrauchen und krampten die Ärmel ihrer Kutte gegen die Dienstleute des Klosters so entschieden auf, daß sie sich und ihrer Abtei Gehorsam erzwangen.

Stark war der Korpsgeist im Kloster. Den Heiligen, dessen Mannen sie waren, und den Ruhm ihres Hauses verfochten die Mönche mit Leidenschaft. Vor der Welt hielten sie fest zusammen; die vornehmsten Brüder wurden gezwungen, die Kutte zu tragen, wenn sie in die Klausur traten. Der junge Salomon, später Bischof von Konstanz, damals Kaplan des Königs und Abt mehrerer Klöster, ein mächtiger glänzender Mann, war Schüler in St. Gallen gewesen und hatte durch große Schenkungen durchgesetzt, der Brüderschaft zugeschrieben zu werden. Demungeachtet wollten die Brüder von St. Gallen nicht leiden, daß er in dem weißen Linnenkleid eines Weltgeistlichen, das er als königlicher Kaplan trug, in die Klausur drang. Es gab heftige Stöße und unwilliges Gemurmel. Als er einst einem würdigen Mönch ein Geschenk machte, versetzte dieser: »Ich will dir das beste Gegengeschenk geben, ich habe zwei Kutten vom Abt bekommen, eine davon sollst du haben.« Und als Salomon antwortete: »Betritt doch Grimoald, euer Abt, auch in weißer Leinwand das Kloster«, da sagte der andere: »Wenn die Mönche des Klosters, in dem du Abt bist, sich das gefallen lassen, so magst du's dort tun; hat's auch nicht Schick, sie zwingt dein Glück; bei uns aber bist du Bruder, und du sollst dich in unsere Ordnung fügen.«

Aber im Innern der Brüderschaft wurde doch der Friede oft gestört. Die strenge Regel, welche durch einen Teil des Tages das Sprechen verbot, reichte nicht aus, den Ausbruch heftiger innerer Parteikämpfe zu verhindern. Auch den Guten gab das abgeschlossene Leben übergroße Reizbarkeit. Kleinigkeiten wurden sehr wichtig genommen, die Schwächeren waren neugierig und klatschsüchtig, und festere Naturen verhärteten sich in Bußübungen und dem Formelkram der Regel. Dennoch sind zur Sachsenzeit in den Klöstern lautere, pflichtvolle Menschen nicht selten, denen das Leben in Arbeit, Lehre und inniger Andacht verrinnt, und die Klöster enthielten damals nicht nur die gelehrtesten Deutschen, sondern auch nicht wenige der besten, freilich Männer von zarter Reinheit des Gemüts, welches nicht durch die Versuchungen eines bewegten Lebens geprüft war. Denn manche Brüder kannten von der Welt nur den Umkreis ihrer Mauern und die Stellen, an welche der Abt sie geschickt hatte. Sie waren vielleicht von ihren Eltern dem Heiligen geweiht, in der inneren Klosterschule aufgezogen, hatten nie einen anderen Rock getragen als die Kutte; schon als Knaben hatten sie sich auf die Erde gelegt und die Hände in Kreuzesform ausgestreckt und sich früh durch Bußübungen gequält, so daß die Lehrer ihnen steuern mußten. Schalt doch selbst Alkuin seinen Schüler Raganard, weil dieser trotz dem Befehl zu schlafen und Wein zu trinken, heimlich die Nacht im Gebet wachte und so lange vorgab, er habe seinen Wein getrunken, bis den geschwächten Körper ein Fieber befiel.

Die Ordnungsregel legte den Mönchen das Gelübde der Armut auf. Das wurde aber keineswegs so verstanden, daß der Mönch eigene Habe nicht besitzen und auf jeden Erwerb verzichten müsse. Was er hinterließ, blieb dem Kloster, aber jeder hatte in der Zelle einen Schrein, in dem er Eigentum bewahrte. Darunter Geld, von dem er Armen spendete und das er für Material zu seinen Arbeiten und, wie es scheint, auch für bescheidenen Genuß verwandte. Das war allerdings nicht der strengen Regel gemäß, aber es war auch in den besten Klöstern nicht zu verhindern. Als St. Gallen im Jahre 966 durch eine geistliche Kommission visitiert wird, werden die Mönche veranlaßt, aus ihrem Privatbesitz die Summe von 55 Pfund durch freiwillige Beiträge zum Nutzen des Klosters zusammenzuschießen, und die Weise, wie die Kommission diese Habe der einzelnen betrachtet, zeigt, daß der Brauch allgemein war. Wer vollends durch Talent und Kunstfertigkeit größeren Ruf erhielt, gewann auch Geld; der bedungene Lohn seiner Arbeit fiel, wie es scheint, dem Kloster zu, die Geschenke ihm selbst. Ja, es kam vor, daß Mönche, ohne Ärgernis zu geben, einen Schatz sammelten, wenn ihr Klosteramt dafür günstig war. So bestimmte um das Jahr 1000 Ekkehard der Rote, Vorsteher der Klosterschule zu Magdeburg, »sein Geld, das er seit langer Zeit angehäuft hatte«, in der letzten Krankheit nicht für sein Kloster des hl. Moritz, sondern zum Verteilen. Einem guten Sänger aus St. Gallen, der vor König Konrad seine Kunst übte und dem König zugeführt nach damaligem Mönchsbrauch auf die Knie fiel, wurden Goldunzen zum Geschenk auf die Füße des Königs gelegt, und er mußte sie von dort aufheben; als er dasselbe bei der Königin tun sollte, sträubte sich der Schüchterne, und er wurde unter dem Gelächter der anderen mit Gewalt vor die Füße der Herrin gezogen; auch die Schwester des Königs streckte ihm einen Ring an den Finger. Ebenso suchte, wer sich durch lateinische Lobgedichte bei Vornehmen empfahl, nicht nur Gunst, auch Spende.

Auch die beiden anderen Gelübde verursachten schwere Kämpfe. Gehorsam und demütig war der Mönch, gewaltig die Macht des Abtes, und ein kräftiger Abt, der selbst treu nach der Ordensregel lebte, vermochte mit den Brüdern zu schalten wie kein weltlicher Herr mit seinen Dienstleuten, durch Strafversetzung zu entlegenen Filialen des Klosters, durch Geißelhiebe und lebenslängliches Einsperren in eine Strafzelle. Aber der Abt wohnte außerhalb der Klausur und stand nicht ganz in der Klosterzucht. Ihm war schöne Wohnung, größere Bequemlichkeit des Lebens gestattet; er war als erster Repräsentant des Klosters zu häufigem Verkehr mit vornehmen Laien genötigt, und er war als Abt auch Vasall des Reiches oder seines Bischofs. Sehr locker wurde sein Verhältnis zum Kloster, wenn er von fürstlichem Geschlecht war und im Besitz mehrerer Abteien stand, oder wenn er gar ein Laie war, dem der König die Abtei wegen ihrer Renten zugeteilt hatte. Dann war die Klosterzucht schwer zu erhalten. Ein gewalttätiger Abt brachte sein Kloster zu offenem Aufruhr, und die meisten Klöster hatten unruhige Jahre, wo die Mönche sich gegen den Abt empörten, wohl gar in Masse auszogen.

Das Gelübde der Ehelosigkeit wurde – wie bekannt – damals nur von den Klosterbrüdern, nicht von den oft verheirateten Geistlichen der Kirche abgelegt. Die Mönche hielten mit diesem Gelübde haus, wie gerade Klosterzucht und Zeitgeschmack war; wer im Kloster außerhalb der Klausur schaffte, entbehrte wenigstens nicht ganz den Verkehr mit weiblicher Anmut. Der Maler Tuotilo aus St. Gallen kam um das Jahr 900 während der Weinlese nach Mainz in das Kloster St. Alban, er stieg in der Gastwohnung des Klosters ab und ertappte dort einen Mönch, welcher der Klosterwirtin hübsch tat. Da riß er ihm die Peitsche aus der Hand, hieb ihn damit auf den Rücken und rief: »Dies sendet dir St. Gallus, der Bruder St. Albans.« – Lehrreich ist es, nach dieser Richtung die Nonnenklöster zu mustern. Diese zartesten Blüten frommer Askese zeigen mit großer Empfindlichkeit jeden Wechsel der Zeitströmungen, in ihnen waren Erhebung und Rückfall größer. In den Frauenklöstern der Merowinger schwankte die Nonnenschar unablässig zwischen strenger Askese und wüster Unordnung. Zuweilen hob ein starker Frauencharakter, eine verwitwete Königin oder eine begeisterte Jungfrau die ganze Genossenschaft eines Stiftes zu strenger Frömmigkeit, öfter verdarb der Einfluß des Hofes, Haß wie Gunst der Könige. Die Königstöchter, welche durch Politik in das Kloster gebannt waren, wollten sich der Ordnung nicht fügen und erregten ärgerliche Händel. So unterhielten im Kloster von Poitiers um 590 Chrodielde, Tochter des Königs Charibert, und ihre Muhme Basina eine Schar von Mördern, Giftmischern und Landläufern, denen sie befahlen, die Äbtissin, mit der sie in Händel lebten, gewaltsam fortzuschleppen. Die Räuber stürmten in das Kloster, rissen die Äbtissin heraus, führten sie in ein Gefängnis und plünderten das Kloster. Es gab einen großen Aufstand und Menschen wurden ermordet, bis endlich das Volk von Poitiers selbst die Sache in die Hand nahm und summarische Justiz gegen den Anhang der Chrodielde übte durch Geißeln, Abschneiden der Hände, Ohren und Nasen. Ein Gericht der Bischöfe mußte über den ärgerlichen Fall entscheiden; die Äbtissin wurde von dem Verdacht, mit unzüchtigen Männern Gemeinschaft gehalten zu haben, losgesprochen; auch daß sie ihrer Nichte im Kloster eine Hochzeit ausgerichtet, eine Altardecke zu einem Kleide verschnitten, aus den Goldplättchen einen Kopfputz gemacht hätte, wurde gänzlich zurückgewiesen und die Königstochter [...] aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen.

Glänzend ist der Gegensatz frommer Frauenklöster in der Ottonenzeit. In Gandersheim z. B., einer Stiftung des sächsischen Königsgeschlechtes, unterrichtet die junge Nichte des Kaisers Otto I., die Äbtissin Gerberga, ihre Nonnen im Verständnis lateinischer Autoren. Ein Dichtertalent ihres Klosters, Hroswitha, schreibt als junges Mädchen schüchtern Legenden der Heiligen in lateinischen Hexametern, sie wagt sich später an historische Gedichte; ja sie hat den Terenz gelesen und schreibt in ihrer Zelle lateinische Dramen in gereimter Prosa, weil sie den jambischen Fall der römischen Verse nicht nachbilden kann. In allen Gedichten wird jungfräuliche Entsagung und Verzicht auf irdische Liebe zugunsten der himmlischen gefeiert. Es ist ein reines Herz und wahre Frömmigkeit, welche in hüpfenden Daktylen tönt, und man erkennt mit menschlichem Anteil, wie wohl die Nonne sich in der frommen Luft ihres Stiftes fühlt. Wenn aber die Nonne als Triumph ihres Glaubens feiert, daß eine Fürstentochter die Vermählung mit ihrem irdischen Bräutigam verweigerte und trotz dem Drängen des Verlobten und ihrer Familie die Entsagung des Klosters wählte, so dürfen wir selbst während der gläubigen Zeit der Sachsenkaiser diese Stimmung in den Frauenklöstern nicht für die allgemeine halten. Denn allzu häufig werden vornehme Nonnen erwähnt, welche ihre Gelübde brechen, dem Kloster entfliehen und sich verheiraten. Wer mächtig war, durfte hoffen, solchem Bunde nachträglich die Genehmigung des Kaisers und der Kirche durchzusetzen. Sogar Hadburg, die erste Gemahlin König Heinrichs, war eine Nonne, um die er als Herzog förmlich warb, die er sich nach alter Weise im Ringe der Seinen vermählte, als Herrin seines Hofes feiern ließ und gegen die Angriffe der Kirche behauptete. Herzog Miseco von Polen, durch seine erste Gemahlin bekehrt, erwies sein junges Christentum nach deren Tode dadurch, daß er um 977 eine deutsche Nonne aus ihrem Kloster entführte und heiratete, und Oda lebte geehrt an seiner Seite und sühnte als Wohltäterin der Kirche ihr Unrecht. Wenn uns von Nonnen aus niederem Stande Ähnliches nur gelegentlich berichtet wird, so wissen wir doch, daß entlaufene Nonnen zur Hohenstaufenzeit sogar in Dörfern hausten und sich unter den Bauern erhielten. Und es ist Mißtrauen erlaubt gegen die Berichte späterer Klosterschriftsteller, welche von Demut und Gehorsam vornehmer Nonnen ausführlich berichten, und die niedrigsten Dienste, zu denen sie sich drängten, wie nach feststehender Schablone herzählen – auch ist es wohl eine geheime Bosheit der heidnischen Göttin Poesie, daß die spärlichen Stellen in Hroswithas Dramen, bei denen die Darstellung lebhafter und bewegter wird, gerade nicht aus dem Kreise klösterlicher Situationen gewählt sind.

Sehr streng urteilte die fromme Hroswitha über die Liebe zwischen Mann und Weib, und die Stücke des Terenz waren ihr gerade recht, weil die leichtsinnige Verbindung römischer Jünglinge mit Hetären ein warnendes Exempel gegen weltliche Lust deuchte. Aber nicht lange war den Nonnen vergönnt, von stolzer Höhe die irdische Liebe zu betrachten. Als im zwölften Jahrhundert die gesamte Bildung verweltlichte, drang weltliche Poesie und höfischer Ritterdienst siegreich in die Nonnenklöster. Es kam vor, daß auch in den Klöstern das Spiel ritterlicher Liebeshöfe nachgeahmt wurde. Uns ist in lateinischem Gedicht die Schilderung eines solchen Hofes bewahrt, welcher in einem Kloster der Diözese von Toul an heiterem Maifest gehalten wurde. Es ist – wohlgemerkt – nicht die zornige Schilderung durch einen Frommen, sondern wohlwollende Darstellung durch jemand, der dabei war und der den Vorfall ganz in der Ordnung erachtet. Die Türen werden verschlossen, die alten Nonnen abgesperrt, nur einige verschwiegene Priester zugelassen. Statt des Evangeliums wird von einer Nonne Ovids Kunst zu lieben vorgelesen, zwei Nonnen singen Königslieder. Darauf tritt die Domina in die Mitte, als Mai gekleidet, in einem Gewande, das ganz mit Frühlingsblumen besetzt ist, und sagt, Amor, der Gott aller Liebenden, habe sie gesandt, um das Leben der Schwestern zu prüfen. Vor die Richterin treten einzelne Nonnen und rühmen die Liebe zu geistlichen Herren, welche Geheimnis zu bewahren verstehen; andere loben die Ritterliebe, aber ihre Auffassung wird von der Maigöttin höchlich gemißbilligt, weil die Laien nicht verschwiegen und allzu veränderlich sind. Zuletzt werden die Rebellinnen, welche Ritterliebe nicht meiden wollen, feierlich im Namen der Venus exkommuniziert, unter allgemeinem Beifall, und alle sprechen Amen. Daß die freie Hingabe an modische Spielereien nicht eine vereinzelte Erscheinung war, lehren die Klagen ehrbarer Geistlichen und Laien, welche seit Ende des zwölften Jahrhunderts zahlreich werden. Ein Geistlicher z. B. klagt nach 1200 bitterlich über die greuliche Entartung der Nonnen, sie wollten sich von ihrem geistlichen Beirat nichts sagen lassen, sind rachsüchtig, keifen und schelten; will man ihrer Liederlichkeit wehren, so wagt man sein Leben; die Nonnen wollen alles Ritterspiel so frei sehen, wie weltliche Frauen; und eßlustig sind sie, es gibt ihrer, die zehn Rebhühner oder ein jähriges Ferkel vertragen, überall ist in den Klöstern Zorn, Haß und Neid. Erregt schließt der Warner: »Ihr gebt so leicht Tränen bei euren Liebesgeschichten aus, seid nicht sparsam damit, mit den Tränen, die ihr aus bußfertigem Herzen weint, löscht ihr das Höllenfeuer.«

Noch einmal trat in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts eine fromme Reaktion gegen die frivole Verweltlichung ein, in den Frauenklöstern der Bettelorden wurde wieder strenge Askese geübt, mit härenem Hemd und der Geißel, mit Nachtwachen und auf Strohlager suchten die geängstigten Herzen wieder Versöhnung mit dem gekreuzigten Christus, diesmal in einer neuen Art der Devotion, mystischer, träumerischer und der Welt gegenüber härter und feindlich gespannt. Auch dieses Aufflackern strenger Zucht hatte keine Dauer. In dem weltlichen vierzehnten Jahrhundert verfielen die reich gewordenen Klöster der Bettelorden dem Geschick der Benediktiner, sie kamen allmählich in Mißachtung; als die Reformation sie aufhob, war ihre Bedeutung längst dahin.

Keiner aber der späteren Orden, welche sich so zahlreich und zudringlich unter das Volk setzten, reicht durch seine Ordenstätigkeit nur entfernt an die Bedeutung, welche die alten Benediktiner für Kultur und Erziehung des Volkes haben. Deshalb hat auch das Geschick mild über ihnen gewaltet. Sie wurden reich und bequem und vegetierten als vornehme Herren ruhig fort, während andere Kuttenträger den Kriegsdienst für die spätere Kirche übernahmen. Auch war hier und da immer noch ein Benediktinerkloster der alten Größe eingedenk und bot durch seine reichen Mittel gelehrten Brüdern behagliches Dasein und Förderung dankenswerter Arbeit. Bis in die Neuzeit haben sie in ihren großen Bibliotheken der Wissenschaft wertvolle Hilfsmittel aufbewahrt, und wer jetzt am Ufer der Donau oder in der Schweiz an dem Gebäude einer alten Abtei St. Benedikts vorübergeht und vielleicht die dunkle Gestalt eines frommen Bruders in der sonnigen Landschaft schaut, welche vor tausend Jahren durch die Vorgänger des Bruders mit Fruchtbäumen und Rebengeländen geschmückt wurde, der darf den Mauern und dem Mönch einen fröhlichen Gruß zuwinken. Wir bauen anders, und wir träumen anders als die alten Ordensbrüder und ihre Nachkommen, aber wir sind ihnen recht von Herzen dankbar für großes Gut, das sie dem deutschen Leben gewonnen haben.

Unter den stattlichen Klöstern, welche durch Jahrhunderte Mittelpunkte der Landeskultur gewesen sind, ist St. Gallen eines der ruhmreichsten. Gegründet von dem heiligen Gallus, dem Schüler des Columbanus, wurde es bei dem Tode Karls des Großen durch seine gute Schule, die Klosterzucht und eine große Anzahl talentvoller Männer eine hochberühmte Anstalt, in dem Jahrhundert der Sachsenkaiser wohl das beste der deutschen Klöster, welches seine Schüler den Rhein hinab bis tief in das deutsche Land sandte. Vieles von dem, was die fleißigen Mönche abschrieben, dichteten, zur Lehre verfaßten, ist uns erhalten. Zu den wertvollsten Überlieferungen gehört die Chronik des Klosters, welche durch verschiedene Verfasser bis in das dreizehnte Jahrhundert geführt, einen Schatz von Nachrichten über Lehre und Leben in der Klausur enthält. Unter diesen Verfassern der Klosterchronik ist einer, Ekkehard IV. (etwa von 980-1060), von einzigem Wert, nicht als wenn er zu den gelehrtesten seiner Zeit gehörte, auch nicht wegen besonderer Zuverlässigkeit seiner historischen Mitteilungen, sondern weil er mehr als irgendein anderer Zeitgenosse, von dem uns Kunde geblieben ist, wirkliches Darstellungstalent und die Gabe besitzt, Gehörtes und Erlebtes ausführlich, lebendig und mit wirksamem Detail zu berichten. Die Charaktere der Brüder, Sitten der Zeit, Schicksale einer geistlichen Brüderschaft treten in seiner behaglichen und frischen Erzählung lebendig hervor. Unsere Altertumswissenschaft meinte ihm noch anderen Dank schuldig zu sein, denn er galt lange für den Überarbeitet des Heldengedichts von Walthari und Hiltgund, dessen lateinischer Text (zuerst verfaßt von Ekkehard I., †973) uns für den Verlust einer deutschen Dichtung aus dem Kreis unserer Heldensage entschädigen muß. Ist dieses wertvollste lateinische Gedicht des deutschen Mittelalters aber auch nicht durch ihn selbst, so ist es doch durch seine Verwandten und Brüder in St. Gallen für uns bewahrt. Aus der Fülle des Stoffes, den er in seiner Chronik überliefert, ist die Auswahl schwer; was hier gegeben wird, soll einiges von den Schicksalen eines alten Klosters und der Stellung der Mönche zu den vornehmen Laien schildern. Ekkehard erzählt in dem Latein des zehnten Jahrhunderts, dem man sehr wohl die gute Klosterschule anmerkt, wie folgt:

Unser Abt Engilbert hatte vom König Heinrich die Abtei erhalten und ihm Treue geschworen, und kehrte in Ehren entlassen zu uns zurück, als ein großes Unglück über uns kam. Denn die Ungarn hatten von der Not des Reiches vernommen, fielen wütend in Bayern ein und verwüsteten es (im Jahre 924); sie lagen lange vor Augsburg, wurden dort durch das Gebet des Bischofs Udalrich, des allerfrömmsten Mannes seiner Zeit, verscheucht und drangen in Haufen nach Alemannien, ohne daß sie jemand hinderte. Da zeigte der tätige Abt Engilbert, wie gut er sich gegen Unglück zu wehren wußte. Denn als das Verderben herankam, mahnte er jeden einzelnen seiner Vasallen, befahl den stärkeren Brüdern, sich zu bewaffnen und ermutigte die Hörigen. Er selbst tat wie ein Riese des Herrn das Stahlhemd an, zog die Kutte und Stola darüber und befahl den Brüdern, ebenso zu tun. »Bitten wir Gott, meine Brüder«, sagte er, »daß wir mit der Faust gegen den Teufel ebenso stark werden, wie wir es bis jetzt im Gottvertrauen mit dem Geiste gewesen sind.« Es wurden Speere gefertigt und Brustpanzer aus dicker Leinwand, Schleudern wurden geschnitzt, feste Bretter und Weidengeflecht zu Schilden gemacht, Sparren und Stangen gespitzt und am Feuer gehärtet.

Aber im Anfang glaubten mehrere Brüder und Dienstleute dem Gerücht nicht und wollten nicht fliehen. Es wurde aber doch ein Platz ausgesucht, der wie von Gott dazu bereitet war, um einen Burgwall auszuführen am Flusse Sint-tria-unum, den einst der heilige Gallus so genannt haben soll um der heiligen Dreieinigkeit willen, weil drei Bäche zu einem zusammenfließen. Der Platz wurde auf schmalem Berghals durch abgehauene Pfähle und Baumstämme umschanzt, und es entstand eine sehr feste Burg, die der heiligen Dreieinigkeit würdig war. Eilig wurde der notwendige Bedarf dorthin gebracht und schnell eine Kapelle als Oratorium gebaut, in diese wurden die Kreuze und die Verzeichnisse der Spender in den Kapseln geschafft und dazu fast der ganze Schatz der Kirche außer den Büchern, welche auf den Gestellen standen. Diese hatte der Abt nach Reichenau gesendet, doch waren sie dort nicht ganz sicher. Denn als sie zurückgebracht wurden, stimmte zwar, wie man sagte, die Zahl, aber es waren nicht ganz dieselben. Die Alten mit den Knaben gab er unter Aufsicht des Thieto nach Wasserburg, das dieser mit den Dienstleuten, welche über dem See waren, sorglich befestigte. Er befahl diesen auch, Lebensmittel mit sich zu nehmen, damit sie längere Zeit auf den Schiffen bleiben konnten.

Die Späher strichen bei Tag und Nacht auf wohlbekannten Pfaden und verkündeten die Ankunft der Feinde, damit man in die Verschanzung fliehe (im Jahre 925); aber die Brüder hielten zu sehr für unmöglich, daß der heilige Gallus jemals von den Barbaren überfallen werden könnte. Engilbert selbst war dieser Meinung und trug fast zu spät die wertvollsten Sachen des heiligen Gallus in die Burg. Deshalb wurde auch das Ziborium des heiligen Otmar den Feinden zurückgelassen. Denn die Feinde zogen nicht gesammelt, sondern brachen in Schwärmen über Städte und Dörfer, weil niemand widerstand, raubten und brannten aus und sprangen unerwartet gegen Sorglose, wo sie gerade wollten. Auch in den Wäldern lagen ihrer zuweilen hundert und weniger, um hervorzubrechen; nur der Rauch und der rote Feuerschein am Himmel verrieten, wo gerade die Haufen waren.

Es war aber damals unter den Unsern ein recht einfältiger und närrischer Bruder, dessen Rede und Tun oft belacht wurde, mit Namen Heribald. Ihn mahnten erschrocken die Brüder, als sie nach der Burg flohen, daß er auch fliehe. Er aber sprach: »Meinetwegen fliehe, wer will, mir aber hat der Kämmerer in diesem Jahre kein Leder zu meinen Schuhen gegeben, ich werde niemals fliehen.« Da ihn aber die Brüder in der letzten Not mit Gewalt zwingen wollten, mit ihnen zu weichen, so sträubte er sich sehr und schwor, niemals den Weg zu machen, wenn ihm nicht sein jährliches Leder in die Hand gegeben würde. Und so erwartete er furchtlos die eintreffenden Ungarn. Endlich flohen fast zu spät die Brüder mit anderen Zweiflern, durch den Schreckensruf gescheucht: die Feinde dringen heran. Er selbst aber blieb unverzagt bei seiner Meinung und spazierte müßig auf und ab. Die köchertragenden Ungarn brachen ein, mit Wurfspeer und Lanze drohend. Eifrig suchten sie überall, kein Geschlecht oder Alter hatte auf Erbarmen zu hoffen. Da fanden sie den Bruder allein, der furchtlos in ihrer Mitte stand. Sie wunderten sich, was er hier wollte und warum er nicht geflohen war. Die Führer befahlen den Mördern, seiner noch mit dem Eisen zu schonen, und fragten ihn durch Dolmetscher, und als sie merkten, daß er ein großer Narr war, schonten sie lachend seiner. – Den steinernen Altar des heiligen Gallus hüteten sie sich zu zerwerfen, weil sie sich früher häufig durch ähnliche Versuche aufgehalten und nichts als Knochen und Asche darin gefunden hatten. Endlich fragten sie den Narren, wo der Schatz des Klosters liege; er aber führte sie rüstig zu dem verborgenen Türchen des Schatzhauses, sie erbrachen es und fanden dann nur Leuchten und vergoldete Kronleuchter, welche die Eiligen bei der Flucht zurückgelassen hatten, und gaben ihm Ohrfeigen, weil er sie getäuscht hätte. Zwei von ihnen bestiegen den Glockenturm, denn sie hielten den Hahn auf der Spitze für golden, weil der Gott eines Hauses, das nach ihm genannt sei, nur aus edlem Metall gegossen sein könnte. Und als sich einer heftig vorbeugte, um ihn mit der Lanze abzustoßen, fiel er von der Höhe in den Vorhof und kam um. Der andere stieg unterdes zur Schmach des Gotteshauses auf den Gipfel der östlichen Zinne und schickte sich an, den Leib zu entleeren, da fiel er rückwärts und wurde ganz zerschmettert. Diese beiden verbrannten sie, wie Heribald später erzählte, zwischen den Türpfosten, und obgleich der flammende Scheiterhaufen den Türbalken und die Decke heftig ergriff und mehrere von ihnen um die Wette mit Stangen den Brand schürten, vermochten sie doch nicht, die Kirche des Gallus, auch nicht die des Magnus anzuzünden. Es lagen aber in dem gemeinen Keller der Brüder zwei Weinfässer, noch voll bis zum Spund, die man so zurückgelassen hatte, weil in der Not niemand die Ochsen anzuschirren und zu treiben wagte. Diese Fässer öffnete keiner der Feinde, ich weiß nicht, aus welchem Zufall, vielleicht weil sie auf ihren Beutewagen Überfluß daran hatten. Denn als einer von ihnen den Eschenspeer schwang und einen Reifen durchschlug, da rief Heribald, der schon vertraulich mit ihnen verkehrte: »Laß das sein, guter Mann. Was denkst du denn, daß wir trinken sollen, wenn ihr weggegangen seid.« Als der Ungar dies durch den Dolmetsch vernahm, lachte er und bat seine Genossen, die Fässer seines Narren nicht zu berühren.

Die Ungarn schickten Kundschafter, welche die Wälder und Verstecke sorglich durchsuchen sollten, und warteten, ob diese neue Kunde bringen würden. Endlich breiteten sie sich über den Vorhof und die Wiese aus, um ihr Mahl zu halten. Ihre Führer setzten sich auf den Klosterplatz und schmausten reichlich. Auch Heribald wurde bei ihnen, wie er selbst später sagte, besser gesättigt als jemals in seinem Leben. Und als sie nach ihrer Sitte auf dem grünen Gras ohne Sessel sich zur Mahlzeit lagerten, trug er für sich und einen andern Geistlichen, der als Beutestück gefangen war, Stühlchen herzu. Die Ungarn aber zerrissen die Schulterstücke und die übrigen Teile der geschlachteten Tiere noch halb roh ohne Messer mit den Zähnen und verschlangen sie, die abgenagten Knochen warfen sie im Scherz einer auf den andern. Auch der Wein wurde in vollen Bottichen in die Mitte gesetzt, und jeder trank ohne Unterschied wie viel ihm beliebte. Als sie durch den Wein warm wurden, riefen alle greulich ihre Götter an und zwangen den Geistlichen und ihren Narren, dasselbe zu tun. Der Geistliche aber verstand ihre Sprache wohl, und sie hatten auch deshalb sein Leben geschont. Er schrie laut mit ihnen, und als er in ihrer Sprache zur Genüge Unsinn geschrien hatte, stimmte er die Antiphona vom heiligen Kreuz an, weil am nächsten Tage Kreuzerfindung war, und sang unter Tränen Sanctifica nos. Dies sang auch Heribald, obgleich er eine rauhe Stimme hatte, eifrig mit ihm ab. Alle, die da waren, versammelten sich bei dem ungewöhnlichen Gesang der Gefangenen, sie tanzten in überströmender Freude vor ihren Häuptlingen und rangen, andere kämpften auch mit den Waffen, um zu zeigen, wie gut sie das Kriegswerk verstünden. Bei dieser Lustigkeit hielt jener Geistliche die Zeit für günstig, um seine Befreiung zu bitten; der Unglückliche flehte die Hilfe des heiligen Kreuzes an und warf sich weinend den Häuptlingen zu Füßen. Diese aber in wildem Sinn gaben ihrem Gefolge durch Pfeifen und greuliches Grunzen einen Befehl. Die Krieger sprangen wütend herzu, packten den Menschen im Umsehen und zogen ihre Messer, um an seinem geschorenen Haupt den Mutwillen zu üben, welchen die Deutschen das Picken nennen, bevor sie ihn umbrächten.

Während sie sich dazu rüsteten, kamen die Späher aus dem Walde, der auf die Burg zu liegt, plötzlich heran und gaben Zeichen durch Horn und Ruf. Sie meldeten, daß eine Burg mit bewaffneten Scharen besetzt ganz in der Nähe sei. Da sprangen die Ungarn jeder für sich schnell aus dem Tor, ließen den Geistlichen und Heribald allein im Kloster zurück und ordneten sich nach ihrer Gewohnheit schneller, als jemand glauben sollte, zum Treffen. Als sie aber die Beschaffenheit der Burg erfuhren, daß sie nicht zu belagern sei, daß eine lange und schmale Höhe den Angreifenden nur mit dem größten Verlust und sicherer Gefahr zugänglich werde, und daß die Verteidiger, wenn sie Männer seien, niemals vor ihrer Menge weichen würden, solange sie Lebensmittel hätten, da standen sie endlich von dem Kloster ab, weil sein Gott Gallus Macht über das Feuer habe. Sie zündeten einige Häuser des Dorfes an, die sie noch sehen konnten (denn die Nacht brach herein), geboten durch Horn und Ruf Stillschweigen und zogen auf dem Wege nach Konstanz ab. Die Burgleute aber meinten, daß das Kloster brenne und verfolgten sie, als sie den Abzug erfuhren, auf Seitenwegen; sie bekamen ihre Späher, die dem Haufen weit vorauszogen, zu Gesicht, töteten einige und führten einen Verwundeten gefangen mit sich. Die übrigen retteten sich mit Mühe durch die Flucht und gaben dem Haufen durch das Horn ein Zeichen, man sollte sich wahren. Die Ungarn aber besetzten so schnell als möglich das Feld und die Ebene, rüsteten frisch zum Treffen, stellten Karren und den übrigen Troß im Kreise umher, teilten die Nacht in Wachen, lagerten sich im Grase und überließen sich schweigend dem Wein und Schlaf. Am ersten Morgen brachen sie in die nächsten Dörfer, suchten und raubten, was etwa die Flüchtlinge zurückgelassen hatten, und brannten alle Häuser aus, bei denen sie vorbeikamen.

Aber Engilbert, der die ausfallende Schar anführte, sandte die Mehrzahl der Seinen nach der Burg zurück, er selbst zog mit wenigen gleich beherzten vorsichtig zum Kloster zu spähen, ob Feinde im Hinterhalt zurückgeblieben waren. Ihn dauerte der närrische Bruder Heribald, der doch von guter Geburt war, und sie suchten eifrig nach seinem Leichnam, ihn zu bestatten. Doch sie fanden ihn nirgend, denn mit Mühe vom Geistlichen überredet, hatte er mit diesem den Gipfel des nächsten Berges erstiegen und lag dort in Wald und Busch verborgen. Da beklagte Engilbert, daß die Feinde den Einfältigen als Sklaven weggeführt hatten, er wunderte sich auch, daß die Weinfässer von den trunksüchtigen Feinden gemieden waren und dankte Gott. Darauf machten sie eilig den Morgengesang zum Lob des heiligen Kreuzes ab, so leise als sie konnten, staunten über die Türpfosten und die durchgebrannte Decke, wichen schnell von der Stätte und suchten schweigend die Klause der Wiborada auf, ob sie noch lebe, und als sie sahen, daß sie für den Glauben getötet war, wagten sie nicht zu zögern, überstiegen den nächsten Berg und kamen endlich durch gekannte Wildnis eilig in der Burg an, bereit, entweder tapfer zu sterben oder die Burg mannhaft durch ihre Hand zu verteidigen.

Aber der Geistliche nahm den Heribald mit sich, denn sie sahen die Burg von ihrem Berg; und sie kamen in der Morgenstunde an. Da die Wächter sie von fern noch in der Finsternis erblickten, hielten sie die beiden für Späher und riefen die Gefährten. Und sie brachen rüstig aus, erkannten den Heribald, waren aber zuerst wegen des Geistlichen bedenklich, doch sie nahmen ihn in die Mauer auf, und als sie seine ganze Tragödie gehört hatten, pflegten sie ihn gastfrei um Christi und ihres Gefangenen willen, dessen Sprache er verstand. Allmählich erfuhren sie durch diese beiden das ganze Verhalten der frevelhaften Feinde. Der Ungar wurde getauft, nahm ein Weib und zeugte Söhne.

Weil man aus Erfahrung wußte, daß die Ungarn zuweilen zurückkehrten, fällten die in der Burg die Bäume des Waldes auf dem Zugang zum Kastell, warfen einen tiefen Graben auf und gruben an einer Stelle, wo Binsen wuchsen und Wasser anzeigten, einen sehr tiefen Brunnen und fanden sehr reines Wasser. Auch den Wein, welchen die Ungarn dem Heribald zugeteilt hatten, trugen sie in Krügen und allerlei Gefäßen heimlich bei Tage und Nacht in schnellem Lauf herzu. So hausten sie und riefen den Herrn unablässig an. Aber unser Engilbert sah den Himmel in der Runde bei Tag und Nacht von Feuer gerötet, er wagte nicht mehr, Späher auszuschicken, hielt sich aber in seiner Burg mit den Seinen fest, nur zuweilen schickte er die Beherzten in das Kloster, dort Messe zu lesen, und bewahrte mit Mühe seine Ruhe, bis sie zurückkehrten.

Zwischen Furcht und Hoffnung ermutigte die Brüder sehr der eifrige Bericht des Heribald und des Geistlichen über die Feinde. Die klügeren Brüder freuten sich, daß der gute Gott so gnädig gegen die Einfalt gewesen war, und daß er auch die Toren und Schwachen mitten unter Schwert und Spieß der Feinde zu schützen nicht unterließ. Wenn sie in der Ruhezeit den Heribald fragten, wie ihm so zahlreiche Gäste des heiligen Gallus gefallen hätten, antwortete er: »Ei, sehr gut; glaubt mir, ich habe nie in unserem Kloster lustigere Leute gesehen, denn sie sind ausnehmend freigebige Spender von Speise und Trank. – Was ich bei unserem zähen Kellermeister kaum durch Bitten erlangen konnte, daß er mir auch nur einmal einen Trunk reichte, wenn ich durstete, das gaben sie mir, wenn ich bat, im Überfluß.« Und der Geistliche versetzte: »Und wenn du nicht trinken wolltest, zwangen sie dich durch Ohrfeigen dazu.« – »Das ist wahr«, bestätigte er, »dies einzige mißfiel mir sehr, daß sie so eine grobe Art hatten. Ich sage euch fürwahr, nie habe ich in dem Kloster des heiligen Gallus so grobe Leute gesehen, nicht nur in der Kirche und im Kloster, sondern auch draußen auf der Wiese trieben sie es wild. Denn als ich ihnen einmal mit der Hand ein Zeichen gab, sie möchten an Gott denken und in der Kirche schweigsamer wirtschaften, versetzten sie mir schwere Nackenschläge; aber sogleich machten sie gut, was sie gegen mich versehen hatten, denn sie boten mir Wein, was niemals einer von euch getan hat.« So unterhielten sich die Unsern furchtlos von ihrem Unglück, sooft sie Muße hatten, und riefen unablässig Gott an. Da aber das Gerücht, wie es zu geschehen pflegt, heranflog, die Feinde wären zurückgekehrt und schalteten wieder im Kloster, da bat der Narr flehentlich, man möchte ihn herauslassen, daß er zu seinen lieben Leuten käme.

Die Burgleute und die von Wasserburg, welche viel auf den Schiffen waren, weil die Feinde keine hatten, harrten einige Tage auf das Ende des feindlichen Unwetters. Endlich hörten sie, daß die Vorstadt von Konstanz niedergebrannt war, die Stadt selbst durch Waffen verteidigt wurde, daß auch Reichenau die Schiffe entfernt hatte und ringsum von Scharen Bewaffneter glänzte, und daß die wilden Feinde auf beiden Ufern des Rheins alles durch Feuer und Mord verwüstet hatten und über den Strom gesetzt waren. Da wagten sie endlich, sicher in das Kloster zurückzukehren. Sie säuberten die Oratorien, untersuchten die Werkstätten, luden den Bischof, baten ihn, alles mit geweihtem Wasser zu besprengen, und entfernten so alle Gewalt des Teufels. [...]

Vor jenem Ungareinfall hatte ein Graf Udalrich vom Stamme Karls zur Gemahlin die Wendilgard, ein Tochterkind des Königs Heinrich. Als Udalrich auf seinem Sitz Buchhorn Kunde erhielt, daß die Ungarn in Bayern, wo er Güter hatte, eingefallen waren, so griff er mit andern die Feinde an, wurde besiegt, gefangen und nach Ungarn geführt. (Wer aber die Ungarn für Awaren hält, irrt sehr.) Wendilgard nun wurde, da das Gerücht meldete, ihr Mann sei gefallen, als Witwe umfreit, wollte sich aber auf göttliche Eingebung nicht vermählen, sondern bat den Bischof Salomo um Erlaubnis, zum heiligen Gallus zu ziehen. Dort baute sie sich eine Kemenate neben der Wiborada, lebte von dem ihrigen und spendete den Brüdern und den Armen viel für die Seele ihres verstorbenen Gemahls. Da sie aber lüstern nach Leckereien war und immer nach Veränderung begierig, weil sie zärtlich erzogen und daran gewöhnt war, so wurde sie von der Wiborada gescholten, es sei einer Frau kein Zeichen von Zucht, mannigfaltige Speise zu begehren. Als sie nun an einem Tage vor der Klause der Jungfrau in Unterhaltung saß, bat sie diese um Äpfel, wenn sie süße hätte. »Ich habe sehr gute, wie die armen Leute essen«, sagte die andere, brachte ganz saure Holzäpfel heraus und gab sie der Begehrlichen, welche ihr die Äpfel aus der Hand riß. Die Witwe des Grafen aber hatte kaum einen halben hinuntergeschluckt, da verzog sie Gesicht und Augen, warf das übrige weg und sagte: »Du bist herb, und herb sind deine Äpfel«, und da sie gut unterrichtet war, setzte sie lateinisch hinzu: »Hätte der Schöpfer alle Äpfel so gemacht, sie hätten die Eva nie ins Unglück gebracht.« – »Richtig«, sagte die andere, »hast du die Eva genannt, sie war ebenso lüstern wie du nach guter Kost, und wie du hat sie beim Genuß eines Apfels gesündigt.« Die edle Frau ging davon, beschämt durch die niedrige Magd. Seitdem legte sie sich Zwang auf, enthielt sich der Leckerbissen, die ihr vorkamen, und wuchs bei dieser großen Mahnerin in kurzer Zeit so in der Gnade, daß sie den erwähnten Bischof bat, ihr mit Bewilligung der Synode den heiligen Schleier anzulegen, den sie vorher nicht gewollt hatte. Danach entäußerte sie sich so sehr ihres weltlichen Sinnes, daß sie selbst nach dem Tode der Rachildis, welche in der Büßerzelle auf die Wiborada folgte, eingeschlossen werden wollte.

Unterdes kam der vierte bittere Jahrestag, seit Wendilgard ihren Gemahl verloren, sie ging an diesem Tage nach Buchhorn, spendete und gab den Armen. Da, siehe, war Udalrich durch einen Zufall der Gefangenschaft entronnen; er barg sich mit heimlicher List unter den übrigen Zerlumpten und rief sie um ein Gewand an. Sie aber schalt ihn, daß er zuchtlos und zu keck bettle, und gab ihm doch unwillig ein Kleid. Er aber ergriff die Hand der Spendenden mit dem Kleid, zog sie an sich, umarmte und küßte sie, sie mochte wollen oder nicht. Und als ihm die andern mit Backenstreichen drohten, warf er die langen Haare über seinem Antlitz auf den Hals zurück und rief: »Laßt eure Backenstreiche, ich habe genug erhalten, und erkennt euren Herrn Udalrich.« Die Dienstmannen hörten erstaunt die Stimme des Herrn; sie erkannten das wohlbekannte Antlitz hinter den Haaren und begrüßten ihn mit lautem Ruf, die Dienerschaft schrie: »Heil!« Wendilgard aber sah starr zur Seite, sie meinte von einem Fremden Schmach erlitten zu haben. »Jetzt erst fühle ich«, rief sie, »daß mein Udalrich tot ist, da ich solche Gewalttat von einem Fremden erdulden muß.« Jener aber reichte ihr seine Hand, die durch eine sehr deutliche Narbe kenntlich war, zum Berühren; da wachte sie wie aus dem Traume auf und rief: »Mein Herr, du liebster unter allen Menschen! Sei gegrüßt, mein Herr, sei gegrüßt, du holder in Ewigkeit.« Und sie küßte und umarmte ihn und sprach: »Hüllt euren Herrn in ein Gewand und eilt, ihm zur Stunde ein Bad zu rüsten.« Als er aber gekleidet war, sagte er: »Komm zur Kirche!« und auf dem Wege: »Ich bitte dich, wer hat deinem Haupt diesen Schleier aufgesetzt?« Und da er hörte, daß dies der Bischof in der Synode getan hatte, sagte er leise zu ihr: »Ich darf dich nicht mehr umarmen, außer mit seiner Erlaubnis.« Unterdes wurden von den Geistlichen, welche zahlreich an diesem Gedenktag zusammengekommen waren, Lobgesänge angestimmt, von dem Volk der Schluß gesungen. In Freude feierten sie die Messe für den Lebenden, nicht für den Toten. Er aber ging in das Bad, die Kunde flog umher und führte, wie zu geschehen pflegt, viele herzu. Ein Gastmahl wurde angestellt, viele Tage dauerte die Freude.

Demnächst trat die Synode zusammen; Udalrich forderte seine Gemahlin, die er Gott entzogen hatte, von dem Bischof zurück, der Schleier wurde ihr durch die Hand des Bischofs abgenommen und nach Bestimmung der Synode im Kirchenschrein verwahrt, damit sie ihn als Witwe wieder anlege, wenn ihr Gatte vor ihr stürbe. Darauf wurde von neuem die Vermählung gefeiert. Die Frau wurde guter Hoffnung; in Begleitung ihres Gatten ging sie ihren Gallus und die heiligen eingeschlossenen Büßerinnen an und gelobte, wenn sie einen Sohn gebären sollte, ihn dem heiligen Gallus als Mönch zu weihen. Aber als die Zeit kam, wo sie sich der Geburt näherte, hatte sie ein Unglück und starb vierzehn Tage vor der rechtzeitigen Entbindung. Das Kind wurde gerettet und in den Speck eines frisch geschlachteten Schweines gewickelt, wo es seine Haut erhalten sollte; und da sich in kurzem zeigte, daß es von gutem Verstand war, so wurde es getauft und Purchard genannt. Als das Kind von der Brust der Amme entwöhnt war, legte es der Vater auf den Altar des heiligen Gallus, wie er mit der Mutter gelobt hatte, und weihte es diesem zugleich mit der Flur von Hosten (Höchst) und dem Zehnten und beweinte sehr die Mutter.