Biografie eines 68er-Linken - Walter Simon - E-Book

Biografie eines 68er-Linken E-Book

Simon Walter

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Beschreibung

In der vorliegenden Biografie beschreibt der Autor seinen lebenslangen Streifzug durch die Politik, die Stationen des Weges und die dabei gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse. Er beschraenkt sich auf die Sphaere des Politischen. Wesentliche Lebensbereiche, so etwa Familie, Beruf und Freizeit bleiben ausgeklammert. Der Autor bekennt sich zu seiner linkssozialistischen Weltanschauung und beschreibt die dazugehoerigen Aspekte. Dazu gehoeren Mitgliedschaften in SPD und DKP, Engagements in der Ausserparlamentarischen Opposition, der Kommunalpolitik und Buergerinitiativen, um nur die wichtigsten zu nennen. Über alle Kapitel hinweg beschreibt er seine Rolle und sein Wirken in diesen Organisationen und benennt auf der Basis eigener Erfahrungen Ursachen deren Niedergangs, so beispielsweise der DKP und der APO. Dieser wird durch viele Einzelbeispiele und Beschreibungen des eigenen und des Wirkens von Weggefaehrten angereichert. Auch sein parteipolitisch ungebundenes kommunalpolitisches Engagement findet Raum in diesem Buch. Zwei Buergermeisterkandidaturen in Bad Nauheim gehoeren zu seinem Erfahrungsschatz.

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Prolog

In der vorliegenden Biografie beschreibt der Autor seinen lebenslangen Streifzug durch die Politik, die Stationen des Weges und die dabei gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse. Er beschränkt sich auf die Sphäre des Politischen. Wesentliche Lebensbereiche, so etwa Familie, Beruf und Freizeit bleiben ausgeklammert.

Der Autor bekennt sich zu seiner linkssozialistischen Weltanschauung und beschreibt die dazugehörigen Aspekte. Dazu gehören Mitgliedschaften in SPD und DKP, Engagements in der Außerparlamentarischen Opposition (APO), der Kommunalpolitik und Bürgerinitiativen, um nur die wichtigsten zu nennen.

Viel Raum widmet er der APO und der DKP. Die mit ihm befreundete APO-Aktivistin und spätere RAF-Terroristin Christa Eckes konnte er nicht von ihrem Irrweg abbringen. Interessant ist auch seine Darstellung der Anbahnungsversuche von Geheimdiensten. Der Hamburger Staatsschutz informierte ihn offiziell, dass er, mittlerweile siebzigjährig, weiterhin der Überwachung obliegt.

Über alle Kapitel hinweg beschreibt er seine Rolle und sein Wirken in diesen Organisationen und benennt auf der Basis eigener Erfahrungen Ursachen deren Niedergangs, so beispielsweise der DKP und der APO. Dieser wird durch viele Einzelbeispiele und Beschreibungen des eigenen und des Wirkens von Weggefährten angereichert. Auch sein parteipolitisch ungebundenes kommunalpolitisches Engagement findet Raum in diesem Buch. Zwei Bürgermeisterkandidaturen in Bad Nauheim gehören zu seinem Erfahrungsschatz.

Der Autor betont, dass er seinen linken Grundüberzeugungen treu geblieben ist. Den bis 1989 praktizierten Realsozialismus betrachtet er im Nachhinein als globalen Irrtum. Der Partei DIE LINKE oder dem Bündnis Wagenknecht ist es nicht beigetreten, schließt aber letzteres nicht aus. Er empfiehlt, sich programmatisch an der Losung der französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ zu orientieren.

1. Kindheit und Jugendzeit

Der Sozialstatus meiner Familie wurde an mich weitergegeben. Wir waren das, was man Underdogs nennt. In dem fünfstöckigen Mietshaus im Stadtteil Hamburg-Eimsbüttel, in dem wir wohnten, gab es Bau- und Hafenarbeiter, zwei Angestellte und kriegsversehrte Invaliden, die mit nur noch einem Arm oder Bein leichten Tätigkeiten nachgingen. Die lautstarken Ehekonflikte meiner Eltern beförderten den schlechten Ruf der Familie. Leider färbte dieser auch auf mich ab. Nachbarskinder wurden angehalten nicht mit mir zu spielen. Deren Eltern befürchteten negative Einflüsse auf die lieben Kindlein. Die Scheidung meiner Eltern hat meinen ohnehin niedrigen Sozialstatus in diesem Umfeld noch tiefer heruntergedrückt.

Die vierköpfige Familie lebte in einer ausgebauten 2-Zimmer-Dachgeschosswohnung auf 42 Quadratmetern eines Altbaus. Dieses Haus stand inmitten der Hamburger Trümmerlandschaft. Das Bombeninferno von 1943 hatte ehedem einfache, aber dennoch stillvolle Wohnhäuser, in einsturzgefährdete Ruinen verwandelt. Die Mauerreste der zerbombten Markuskirche auf der anderen Straßenseite waren so etwas wie ein Abenteuerspielplatz, aber ein sehr gefährlicher.

Mein Vater, ein Hamburger Werftarbeiter, war bis 1956 Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands. Aufgrund der politischen Säuberungsaktionen der SED um 1956 herum und wegen der unterstützenden Haltung der KPD, verließ er die Partei. Nach seinem Bruch mit der KPD engagierte er sich als Juniorenbetreuer beim Hamburger Sportverein. 1969 verunglückte er tödlich mit seinem Moped auf dem Weg zur Arbeit. Mit einem Sturzhelm gesichert, hätte er ein längeres Leben haben können.

Nach der Scheidung meiner Eltern trat meine Mutter der evangelischen Kirche bei. Sie ließ mich unverzüglich taufen. Eine Taufe hätte mein Vater aus seiner atheistischen Weltsicht heraus stets abgelehnt. Der Kircheneintritt steigerte unseren Sozialstatus und ermöglichte meiner Mutter, dank der Fürsprache des Pastors, einen Erholungsaufenthalt in einem Haus des Müttergenesungswerkes. 1966, kurz nach meiner Volljährigkeit, trat ich schleunigst wieder aus der Kirche aus. „Eine freche Zunge macht keinen frommen Mann“, lautet ein geflügeltes Sprichwort. Das konnte ich sowieso nicht werden. Mein Grundschullehrer attestierte mir schon 1955 im Zeugnis: „Walters Benehmen war nicht immer zufriedenstellend. Er führt schlechte Reden gegen Erwachsene“. Das passte zu einem milieugeprägten Volksschüler, wie man Hauptschüler damals nannte.

Meine Mutter wünschte für ihren Sohn eine Beamtenlaufbahn bei der Post oder Bahn. Ich bestand zwar die Aufnahmeprüfung bei der Bundesbahn, aber der Berufsberater beim Arbeitsamt überzeugte meine Mutter von einer Ausbildung zum Drogisten. So kam es dann auch. Statt eines ölverschmierten Blaumanns trug ich von 1962 bis 1965 einen weißen Kittel. Das war eine Art sozialer Aufstieg.

2 Reckwitz, Andreas: Das Ende der Illusionen: Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne (edition suhrkamp), 2019

Jugendzeit und Politisierung in Geesthacht

Nach der Scheidung meiner Eltern und der Neuvermählung meiner Mutter lebte ich in Geesthacht/Elbe. Während meiner Drogistenlehre hatte mich ein Mitschüler in der Berufsschule „linkswärts“ politisiert. Darum trat ich im Alter von 17 Jahren der SPD und damit den Jungsozialisten bei. Zeitgleich wurde ich Mitglied der „Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen“. SPD und Gewerkschaft, das gehörte zu jener Zeit in „Klein-Moskau“, so die Charakterisierung Geesthachts vor 1933, irgendwie zusammen. Meine politische Sozialisation war eingeleitet.

Die Dönitz-Affäre am Geesthachter Gymnasium 19633 beförderte meinen Beitrittsentschluss. Schulsprecher Uwe Barschel, späterer CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, hatte den Großadmiral und kurzzeitigen Stellvertreter Adolf Hitlers mit Unterstützung der Schulleitung zu einem «Geschichtsunterricht in höchster Vollendung» verpflichtet. So urteilte die Geesthachter/Bergedorfer Zeitung in ihrer begeisterten Bericht- erstattung. Die Kleinstadt an der Elbe fühlte sich durch den Besuch von Hitlers Stellvertreter geehrt, die europäischen Partnerstädte in Frankreich und Holland waren entsetzt.

Seit dem Schulbesuch einer Ausstellung mit großformatigen Bildern über die Gräueltaten des deutschen Faschismus verspürte ich, obwohl erst 15 Jahre alt und ohne tieferes historisches Verständnis, eine tiefe Abneigung gegen Nazis. Der Besuch dieser Ausstellung ist das Wenige, was mich im Sinne von „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ (Seneca) positiv an meine Hamburger Hauptschulzeit erinnert.

Von 1964 bis 1967 war ich Vorsitzender der Geesthachter Jungsozialisten und Mitglied im Juso-Kreisvorstand Herzogtum Lauenburg. Es gab zwar Jungsozialisten, aber keine organisatorische Gliederung. Ich stieß die Gründung an und wurde so fast automatisch Vorsitzender.

3https://www.spiegel.de/geschichte/affaere-um-hitlers-nachfolger-a-947398.html

2. Streit mit dem Ministerpräsidenten in spe Uwe Barschel (CDU)

In dieser Zeit hatte ich wiederholt mit dem späteren Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Uwe Barschel, Kontakt. Es ging um die Verteilung staatlicher Zuschüsse an den Ring Politischer Jugend. Barschel war Vorsitzender der Jungen Union in Geesthacht. Die „Staatsknete“ ermöglichte uns polittouristische Gratisreisen nach Berlin mit Pflichtbesuch und obligatorischer Betroffenheitsmiene an der Berliner Mauer. Das Geld wurde auch für unsere jährliche, gut bezuschusste „Inspektionsfahrt entlang der Zonengrenze“ von Lauenburg bis Büchen mit einem anschließenden Gelage im romantischen Gasthaus „Dückerschleuse“ am Elbe-Trave-Kanal benötigt.

Am Grenzübergang BRD/DDR in Lauenburg/Elbe, auf der Bundesstraße 5, mussten wir an der Stelle, die mit einem weißen Strich markiert war, eine staatspolitische Lektion über uns ergehen lassen. Jedes Jahr neu informierte uns Zoll-Oberinspektor Rosin, dass wir an jener Stelle stehen, an der sich die Welt in gut und böse, in Kommunismus und Demokratie teilt. Ich schritt immer mal 30 Zentimeter vorwärts, 30 Zentimeter rückwärts und wechselte so von der BRD in die DDR und umgekehrt.