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Lars Urbach findet auf einem Campingplatz in Kroatien eine Leiche. Die Recherchen führen ihn bis in die deutsche Vergangenheit zur Zeit der DDR und die Folgen.
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2021
Harbke, 2. November 1986
Punat/Krk, 4. Juni 2017
Punat, 4. Juni 2017
Punat, 5. Juni 2017
Triest, 6./7. Juni
München, 16. Juni 2017
München, 26. Juni 2017
München, 7. Juli 2017
München, 15. August 2017
München, 17. August 2017
München, 17. August 2017
München, 17. August 2017
München, 25. August 2017
München, 25. August 2017
München, 28. August 2017
Bremen, 4. September 2017
München, 5. September 2017
Lützen, 8. September 2017
Im Harz, 8. - 10. September
Berlin, 11. September 2017
München, 19. September
Gießen, 22. September 2017
München, 23. September 2017
München, 27. September 2017.
München, 6. Oktober 2017
München, 8. Oktober 2017
Zagreb, Rijeka 11. Oktober 2017
Haldensleben, 17. Oktober
München, 12. November
Unterföhring, 15. November
München, 16. November
Lützen, 21. November
Die Nacht zum 2. November 1986.
Lützen, 21. November 2017
München, 21. November 2017
Im RJ 111 am 3. Dezember 2017
Zagreb, 3. Dezember 2017
Im EN 40414, 4. Dezember 2017
München, 5. Dezember
München 11. Dezember 2017
München, 12. Dezember 2017
München, 14. Dezember 2017
München, 15. Dezember 2017
Stockfinstere Nacht. Die elf Menschen, vier Erwachsene und sieben Kinder, die im Raum versammelt waren, konnten sich nur ahnen. Oder den Nachbarn spüren. Sie hatten in den letzten zwei Stunden auf dem Boden gekauert. Geredet wurde kaum. Und wenn, dann geflüstert.
Nur die Kinder fragten manchmal, wann es endlich losgehe? Sie wurden mit einem »Schlaft noch ein bisschen!« abgespeist. Jetzt war es kurz nach Mitternacht. Nachdem sich der erste erhoben hatte, waren alle aufgestanden.
Ein Mann flüsterte: »Noch einmal: Die Lampen werden nur im äußersten Notfall benutzt. Ist das klar?«
Ein leises Murmeln war die Antwort.
»Seid ihr bereit?«
Jetzt wurde es fast laut, weil alle antworteten und sogar ein Kichern zu hören war: »Immer bereit!«. Der Gruß der Jungen Pioniere war hier allen geläufig. Und den älteren war bewusst, dass es hier ein höhnischer Abschiedsgruß sein soll.
»Dann Gott mit uns!«, sagte der Anführer wieder.
Ihm war sicher nicht bewusst, dass dieser Spruch schon bei den Preußen und sogar bei Hitlers Wehrmacht die Uniformgürtel zierte.
Zuerst dachte ich an ein Elektrokabel. Ja, einfach eine Verlängerungsschnur. Schon aus der Entfernung war der dunkle Strich, der sich quer über den Fußpfad zog, deutlich zu sehen.
Nicht ungewöhnlich auf einem Campingplatz, wo die Zelte und Caravans von zentralen Verteilerkästen mit Strom versorgt werden.
Doch das Kabel lebte. Beim Näherkommen erkannte ich einen unaufhaltsam vorwärtsdrängenden Zug roter Waldameisen. Die eine Hälfte marschierte mit vollen Kieferzangen links unter ein Gebüsch. Die andere Hälfte, noch unbeladen, krabbelte rechts vom Pfad auf ein kleines Plateau, wie sie hier als Zeltplatz terrassenartig in den Hang gearbeitet worden waren, und verschwand durch eine Öffnung unterhalb des Reißverschlusses in einem Zelt. Dahinter musste etwas verborgen sein, was die Ameisen anlockte: verschütteter Wein oder Bier, vergessenes Obst, Reste vom Frühstück. Jedenfalls geheimnisvoll.
Ich glaube, es war Albert Einstein, der einmal gesagt hat, dass er Uhrmacher geworden wäre, wenn er die Folgen geahnt hätte. Ich sage heute: Wenn ich die Folgen der Geschichte geahnt hätte? Natürlich hätte ich weitergemacht.
Es war wie die Eröffnung einer Schachpartie. Jeder Zug hatte Konsequenzen.
Ich war privat hier. Ich war Privatdetektiv. Ich war Polizist gewesen – aber jetzt kam er wieder in mir hoch. Der Ermittler. Ich betrat vorsichtig die Terrasse und ging bis zum Zelteingang. Schaute mich noch einmal um und versuchte, mir jedes Detail einzuprägen. Eventuelle Spuren wollte ich nicht übersehen oder gar zerstören. Das liegt mir im Blut. Oder in den Genen. Mein Vater war schon Polizist.
Der Platz war sauber und aufgeräumt. Lediglich ein paar Kronenkorken, die zwischen den Piniennadeln blinkten, störten das Bild. Und unter einem Salbeistrauch lag ein Einwegfeuerzeug. Verloren oder achtlos weggeworfen. Umso auffälliger dieser Ameisenzug.
Das Zelt war nicht besonders groß. Ein helles Tunnelzelt als Schlafplatz für zwei Personen. Mit kleiner Apsis. Davor ein normaler Faltpavillon, in Blau, mit der Aufschrift, rund um die Bordüre: »Hasseröder – Harzer Braukunst seit 1872«. Zwei Campingstühle, auf dem Rückengurt warb KROMBACHER. Ein Klapptisch. Alles sehr spartanisch und nur als Ruheplatz eingerichtet. Der Eigentümer war offenbar ein Freund deutschen Bieres. Ein Antialkoholiker scheint er jedenfalls nicht zu sein.
Merkwürdig: Vor dem an allen Seiten hochgezogenen Gummiboden hatten die Insekten bereits eine kleine Rampe geschaffen, um die etwa fünf Zentimeter bis zur Öffnung zu überbrücken.
Ich nahm ein Hölzchen vom Boden, führte es durch die Öse im Reißverschluss am Zelteingang und zog den Schlitten vorsichtig nach oben.
Da ich hier am Meer meine Unterarmprothese abgelegt hatte, musste ich neu ansetzen, um mit zwei Fingern eine Bahn anzuheben. Hätte ich sie jetzt wieder fallen lassen, wäre ich raus aus dieser Geschichte.
Ich hielt sie hoch.
Vor mir, auf einer Luftmatratze, lag ein nackter Mann. Nicht ungewöhnlich, denn es war ein FKK-Campingplatz. Naturist, wie die Kroaten sagen. Auch ich war nackt. Ungewöhnlich war ein Berg Sand, der über seinem Kopf ausgeschüttet war. Der Mann war tot. Das war eindeutig. Eine Schrift zog sich über Brust und Bauch: »Enttarnt: BLACKY!«, stand da. Deutsch. Mit dickem Pinsel und schwarzer Farbe aufgetragen. Enttarnt: BLACKY! Mehr nicht. Doch: Auf dem Punkt unter dem Ausrufezeichen klebte ein Aufkleber, den ich vom Eingang aus nicht entziffern konnte. Ich glaubte, ein DDR-Symbol zu erkennen. Platz war eigentlich genug da, denn der Tote schien zu Lebzeiten ziemlich beleibt gewesen zu sein. Seine Lenden warfen dicke Falten. Sein Alter konnte ich nicht erkennen. Seine Schamhaare allerdings waren ergraut. Die Unterschenkel zeigten dicke Krampfadern. Ein älterer Herr. Das war gewiss. Der beige Schimmer der Zeltbahn ließ die Leiche besonders tot wirken. Als läge sie schon im Leichenschauhaus.
Das alles sah eindeutig nach Mord aus. Nach Rache oder Vergeltung.
Neben dem Toten lag die BILD-Zeitung vom Freitag, was ihn wohl endgültig als Deutschen auswies. Heute war Pfingstsonntag. Auf der anderen Seite stand ein Eimerchen, wie es die Kinder am Strand benutzen. Daneben ein kleines Glas mit Farbe, ohne Deckel. Der Pinsel steckte drin. Im Dämmerlicht der Apsis erkannte ich das Ziel der Ameisen: eine aufgeschnittene, aber fast vollständig aufgefressene Honigmelone.
Ich ließ die Zeltbahn fallen und zog den Reißverschluss wieder zu.
Was tun? Auf dem Weg zu meinem Zelt und zu meinem Handy überlegte ich die Folgen:
Ich war privat hier. Aber meine Freundin, Hauptkommissarin Cornelia Böse-Lange vom LKA Niedersachsen, war inzwischen zur Kriminalrätin befördert und von der Zentralstelle für politisch motivierte Kriminalität zum Dezernat 35 für Schleuserkriminalität versetzt worden. Jetzt nahm sie über Pfingsten an einer europäischen Konferenz zu diesem Thema teil.
Kroatien hatte die Teilnehmer in ein Hotel in Punat auf der Insel Krk geladen. Vermutlich, weil sie dort einfacher zu beschützen sind, und weil die Insel einen Flughafen besitzt.
Als Conny mir davon erzählte, beschloss ich spontan, mitzufahren. Privat, mit dem Auto und meiner Campingausrüstung. Abends holte ich sie heraus und wir verbrachten herrliche Stunden am Meer und auf der Luftmatratze. Sie hatte sich noch eine Woche freigenommen und wollte unbedingt mit mir zurück gondeln. Über Triest, Udine und den Großglockner.
Bevor ich die Kroaten informierte, musste ich erfahren, ob ich Connys Existenz erwähnen durfte. Oder ob sie außen vor bleiben wollte. Sicher war es für die Kroaten interessant, bei einem deutschen Mordopfer auch gleich deutsche Polizei vor Ort zu haben.
Es war jetzt kurz vor zwölf. In der Mittagspause rechnete ich mit ihrem Rückruf, der auch prompt kam.
Ich hatte mich inzwischen wieder angezogen und meine Prothese angelegt.
Sie riet zur Vorsicht. Nur das Nötigste sagen. Wir wüssten ja nicht, wie die kroatische Polizei auf einen Mord an einem Ausländer reagiert. Sollte ich mich bis zum Ende ihrer heutigen Sitzung um 17 Uhr nicht gemeldet haben, würde sie auf den kroatischen Justizminister zugehen, der hier heute an einer Podiumsdiskussion teilnimmt.
»Er hat schon mit mir geflirtet.«
»Dann werden wir ihn gefälligst aus dem Spiel lassen.«
Sie kicherte: »Mal schauen. Ich kenne ihn ja kaum.«
»Das sollte auch so bleiben.«
»Ciao bis heute Abend.«
Ich rief erst jetzt die Camp-Verwaltung an und gab die Platznummer durch.
»Hier ist etwas Schreckliches geschehen«, erklärte ich. »Sie müssen die Polizei rufen.«
»Bleiben Sie dort. Ich schicke jemand.«
Bevor ich wieder zum Tatort ging, stieg ich hoch zur Straße, wo man sein Auto abstellen konnte. Ich suchte ein deutsches Kennzeichen, fand aber keins in der näheren Umgebung. Ein Mann im Overall tuckerte auf seiner Vespa heran.
»Sie haben angerufen?«, rief er schon von Weitem.
»Ja. Kommen Sie.«
Wir begrüßten uns. Ich kannte ihn und wusste, dass er Marian hieß. Auf dem Weg zum Zeltplatz erklärte ich ihm, dass wir möglichst wenig Spuren verwischen sollten. Es ginge wohl um Mord. Am besten, er bliebe hier am Rand stehen. Ich würde das Zelt noch einmal vorsichtig öffnen, damit er einen Blick auf die Leiche werfen könne.
Er schaute misstrauisch. Als ich aber versicherte, dass ich bei der deutschen Polizei gewesen war und Erfahrung mit solchen Dingen hätte, nickte er zustimmend.
Ich wiederholte die behutsame Öffnung mit dem Hölzchen. Er zuckte zurück, als er den Toten unter dem Sandberg erblickte.
»Ui, ui, ui. Katastrophe«, entfuhr es ihm.
»Ja. Katastrophe. Polizei muss kommen.«
Er griff zu einem Walkie-Talkie und informierte sein Büro. Dann zog er aus der Gesäßtasche eine Liste. Offenbar ein Belegungsplan, denn nach stillem Studium verkündete er: »Peter Weiss. Aus Zagreb.«
»Aus Zagreb? Nicht aus Deutschland?«
Er schüttelte den Kopf.
»Warten Sie hier. Ich hole Band!«
Er ging wieder zu seiner Vespa und kam mit rot-weißem Absperrband, das er wohl sonst für Reservierungen benutzte, zurück. Gemeinsam spannten wir es weiträumig um die Mordterrasse.
Zum Glück war die Zeit der Siesta. Alles döste irgendwo am Strand. Niemand war bisher neugierig geworden.
Von Ferne tönte die Sirene.
Sie werden ja hoffentlich nicht mit vollem Tatü-Tata bis hier herunter kommen, dachte ich. Von meiner Zeit als Polizist wusste ich um die Versuchung, so bedrohlich laut aufzukreuzen. Gleich mal zeigen, wer das Sagen hat.
Sie kamen langsam und leise.
Sogar das Blaulicht war ausgeschaltet. Zwei Männer stiegen aus, als sie uns entdeckt hatten. Sie riefen etwas. Marian antwortete und winkte sie herunter.
Hellblaues Polohemd mit Namensschild auf der Brust und Staatswappen auf dem kurzen Ärmel. Dunkelblaue Hose. Am Gürtel: Pistolentasche und Handy. Gummiknüppel und Handschellen waren wohl im Auto geblieben. Während des Abstiegs setzten sie ihre Dienstmützen auf. Offenbar, um ordnungsgemäß grüßen zu können. Beide führten ihre Rechte zum Mützenschirm.
»Žic, Andrija«, stellte der Ältere sich vor. Dann sprach er nur mit Marian kroatisch.
Schließlich gingen sie zum Zelt. Dabei weniger vorsichtig als ich. Der Jüngere zog den Reißverschluss auf und hob die Eingangsplane. Beide erstarrten zunächst, beeindruckt von dem Anblick, der sich ihnen bot. Dann fiel die Plane wieder runter. Ich bat Marian, sie auf die Ameisenstraße aufmerksam zu machen, die ja der Auslöser meiner Neugierde war. Sie schauten interessiert zu Boden und folgten der Spur in die Büsche.
Der Ältere kam zurück und sprach auf Marian ein. Ich verstand nur Rijeka. Auch von mir schien die Rede zu sein.
Marian übersetzte mir dann sinngemäß, dass die Kriminalpolizei aus Rijeka den Fall übernehmen müsse. Das könne zwei Stunden dauern, bis sie vor Ort seien. Ich soll mich zur Verfügung halten.
Ich hinterließ meine Handynummer.
Um 16 Uhr wurde ich in die Verwaltung gerufen.
Marian führte mich in ein Hinterzimmer. Drei Männer in Zivil sahen mir gespannt entgegen. Alle drei rauchten. Zum Glück stand das Fenster weit offen. Einer hatte ein Notebook vor sich.
Der in der Mitte hatte eine Akte vor sich. Er grüßte mit einem »Dobar dan! Ich bin Detektiv Inspektor Goran Blaschko. Ist wie Kriminalkommissar in Deutschland. Ich kann ein wenig Deutsch. Wenn Sie nicht verstehen, wird Marian helfen. Okay?«
Die beiden anderen schwiegen.
»Alles okay. Mein Name ist Lars Urbach. War früher bei der Kripo in München.« Ich hob meine Prothese. »Bin dann ausgestiegen und privater Ermittler.«
Sie schauten alle drei auf meinen künstlichen Unterarm.
»Arbeitsunfall?«
Ich nickte. »Eine Bombe. Gerade noch rechtzeitig aus dem Fenster gehalten. Konnte sie nicht fallen lassen, weil unten ahnungslose Menschen gingen.«
Sie schwiegen beeindruckt.
Endlich fragte Goran: »Sind Sie beruflich hier? Als Ermittler?«
»Nein. Ganz privat. Zu dem Toten kann ich wenig sagen. Er soll ja in Zagreb gelebt haben? Ich habe lediglich den Reißverschluss auf- und schnell wieder zugezogen. «
»Warum?«
»Weil mich diese Ameisenstraße neugierig gemacht hat.«
»Wir prüfen das noch. Was wir bisher wissen, dass er bereits seit 1987 in Zagreb angemeldet war. Da war das alles noch Jugoslawien. Kommunistisch. Sie verstehen?«
»Verstehe. Sie haben keine Unterlagen, warum er sich als Deutscher hier angesiedelt hat.«
»Was bei ihnen im kommunistischen Deutschland die STASI war, hieß auch bei uns Staatssicherheitsdienst, Uprava dravne sigurnosti oder nur SDB. Herr Weiss war offiziell zunächst Berater beim Fußballklub Dinamo Zagreb. Aber das ging nur mit Zustimmung des SDB. Leider wurden nicht, wie bei ihnen, Stasi-Akten gerettet. Hier wurde 1991 bei der Trennung alles vernichtet. In seinem Ausweis steht nur geboren am 22. Februar 1953 in Wittenberg. Dort ist aber ein Peter Weiss unbekannt. Sein deutscher Pass wurde immer verlängert. Man hat nie nachgefragt. Aber die deutsche Botschaft in Zagreb konnte heute auch nicht mehr sagen.«
»Die Werbung auf seiner Camping-Ausrüstung klingt aber nicht so sportlich.«
»Herr Weiss war zuletzt Importeur von deutschem und tschechischem Bier.«
»Die Schrift auf seiner Brust deutet ja auf einen Täter aus Deutschland?«
»Das glauben wir auch.« Er legte mir ein Foto vor. Ich glaubte, den Aufkleber auf der Leiche zu erkennen.
»Haben Sie das schon einmal gesehen?«
»Ich erinnere mich. Heute Vormittag auf der Leiche.«
Es war tatsächlich das Wappen der DDR. Darüber zwei blutige Dolche und die Aufschrift DIE GERECHTEN.
»Sagt es Ihnen etwas?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nie gesehen. Da scheint ein Racheklub von Stasiopfern unterwegs zu sein. Habe aber noch nie davon gehört. Die These von deutschen Tätern oder Täter wird aber gestärkt.«
»Richtig. Deshalb werden alle Deutschen im Camp zur Zeit registriert. Die Ausweise haben wir in der Verwaltung beschlagnahmt. Mindestens bis wir das Ergebnis der Autopsie haben.«
»Meinen auch?«
»Ihren auch!« Er zog ihn zum Beweis aus seiner Akte und hob ihn hoch.
»Ich werde aber am Dienstag abreisen.«
Er blieb ganz freundlich. »Sie werden nicht über die Grenze nach Slowenien kommen. Noch sind wir kein Schengenland.«
»Aber ein Rechtsstaat, der in die EU will. Da kann niemand willkürlich festgehalten werden.«
»Mordverdacht! Das reicht auch in der EU.«
»Schaun mer mal!«
Es war jetzt halb fünf geworden. Ich zog mein Handy und wählte Connys Nummer. Nach dem dritten Ruf ging sie schon dran.
»Gibts Probleme?«
»Sie wollen mich bis zur Autopsie hier behalten. Das könnte Tage dauern.«
»Wo bist du?«
»Noch in der Camp-Verwaltung.«
»Okay. Ich melde mich. Die Sitzung ist gerade zu Ende.«
»Jetzt machen wir schönes Protokoll«, sagte der Polizist ungerührt. »Mit Name, Adresse, wie Sie die Leiche entdeckt haben und so. Sie kennen das ja.«
Ich gab dem mit dem Notebook meine Karte zum Abschreiben der Daten. Dann erzählte ich alles noch einmal. Wie ich zuerst an ein Elektrokabel glaubte, es aber Ameisen waren, die mich dann Verdacht schöpfen ließen. Wie ich vorsichtig den Reißverschluss geöffnet habe, um keine Spuren zu verwischen, …
»Oder keine zu hinterlassen?« Das klang fast wie eine Drohung.
»Jedenfalls waren ihre Leute nicht so vorsichtig!« Langsam wurde ich gereizt.
Ein Mädel aus der Verwaltung kam herein und reichte dem Detektiv Inspektor einen Telefonhörer.
»Da? - DI Blaschko!«
Zunächst hörte man wenig. Man spürte nur, dass eine mächtige Bedrohung aus dem Hörer drang. Blaschko wurde immer kleiner, stotterte nur »Da, da!«
Endlich legte er mit einem flauen Ciao den Hörer hin.
Er sah mich lange an. Dann warf er mir meinen Ausweis zu. »Ist alles wie früher. Protektion hilft.«
»Ist nicht wie früher. Das war keine Protektion, sondern eine Lehrstunde für Rechtssicherheit«, gab ich zurück. »Im Übrigen bin ich gern bereit, ihnen bei der Aufklärung zu helfen. Rufen Sie an, wann immer Sie wollen.«
»Danke!«
Ich unterschrieb das Protokoll, gab jedem die Hand und ging. Draußen rief ich Conny an und verabredete mich mit ihr in einem kleinen Fischlokal in der Altstadt.
Als wir zurückkamen, waren einige Polizisten am Tatort zugange. Die Leiche war schon abtransportiert. Ein paar Gaffer standen wie lebende Fragezeichen in der Nähe.
Wir sprangen bereits um sechs ins Meer und fuhren dann in die Stadt, um am Hafen zu frühstücken. Conny musste um neun wieder auf der Tagung sein. Sie wollte den Justizminister über den Mord informieren und ihm, wenn nötig, Unterstützung aus Deutschland anbieten. Auch eine Geschäftskarte von mir wollte sie ihm – für alle Fälle - mitgeben.
Ich war skeptisch. »Vermutlich werden wir von diesem Herr nie mehr hören.«
»Wen meinst du? Den Minister oder den Toten?«
»Beide!«, gab ich etwas barsch zurück. Conny grinste. Nachdem ich sie am Hotel abgesetzt hatte, fuhr ich zurück. Der Tatort war schon ziemlich aufgeräumt. Der Pavillon abgebaut, Tisch und Stühle zusammengeklappt. In zwei großen Taschen hatte man die Habseligkeiten des Toten eingepackt. Nur das Zelt stand noch etwas verloren auf der Terrasse.
Wahrscheinlich wollte man den Platz so schnell wie möglich wieder freimachen. Schließlich hatte die Saison gerade begonnen.
Aus alter Gewohnheit machte ich noch ein Foto.
Ganz relaxed fuhren wir am Dienstag Richtung Heimat. Quer durch Istrien über Koper nach Triest. Vor zwanzig Jahren war ich hier mal mit dem Motorrad herumgekurvt und erinnerte mich an schöne Landschaft und wenig Verkehr.
Unterwegs sprachen wir natürlich über den Mord.
»Sieht doch aus, als ob das Motiv in der Stasizeit zu finden ist«, meinte Conny.
Ich nickte. »Da dieser Blacky schon vor dem Mauerfall nach Jugoslawien - ich sag jetzt mal 'abgehauen' ist, hatte er sicher schon damals Dreck am Stecken. Seine Identität hat er wohl auch geändert. In Wittenberg ist er unbekannt.«
»Das ging aber nur unter Mithilfe höchster Stasistellen.«
»Und jetzt hat ihn ein ehemaliges Opfer gefunden und Rache genommen.«
»Heißt: Der Mörder muss ein Deutscher älterer Bauart sein.«
»Oder der Sohn eines Deutschen älterer Bauart«, ergänzte ich.
Conny sah mich von der Seite an: »Den Töchtern traust du wieder einmal gar nichts zu?«
Ich grinste: »Es war ein FKK-Platz. Eine nackte Frau bringt keinen nackten Mann um. Das schickt sich nicht.«
Sie seufzte: »Was für eine verquere Männerlogik.«
»In meinem Beruf muss man auch den Mut zu verqueren Gedanken haben. Jedenfalls würde ich zunächst alle Deutschen, die am Sonntag abgereist sind, unter die Lupe nehmen.«
»Warum denn die?«
»Weil ich als Täter Angst hätte, dass die kroatische Polizei zunächst alle Deutschen, die gerade im Camp sind, unter die Lupe nimmt. Und das kann dauern und dir den Urlaub vermasseln.«
»Gar kein verquerer Gedanke.« Conny tippte mich von der Seite an. »Heißt aber, dass die Kroaten die Ermittlungen nach Germany verlegen. Wo war der Tote angeblich her?«
»Wittenberg. Trifft dich nicht. Der Fall geht nach Sachsen-Anhalt.«
Inzwischen näherten wir uns Slowenien.