So tot jetzt - Lifka Werner - E-Book

So tot jetzt E-Book

Lifka Werner

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Beschreibung

Ein Fall für Lars Urbach Oren Wallach, israelischer Staatsbürger und bedeutender Software-Entwickler, wird unter ominösen Umständen tot in seiner Sauna in München aufgefunden. Sein Geschäftsführer gerät schnell in Verdacht, den Tod herbeigeführt zu haben. Als Privatdetektiv Lars Urbach den Fall übernimmt, ahnt er noch nicht, dass er sich sehr bald in seine Auftraggeberin verlieben wird, dass er es noch schneller mit Neonazis und dem israelischen Mossad zu tun bekommt - und dass er am Ende verloren hat, obwohl er den Fall lösen konnte.

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Seitenzahl: 267

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

November

August

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

2. Block!

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

3. Block

Kapitel 8

September

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Schluss

Dezember

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November

»Schreiben Sie!«

Es war mehr eine Bitte als ein Befehl: »Schreiben Sie alles auf, Herr Urbach! Wer solche Schläge hinnehmen musste, sollte sich alles von der Seele schreiben.«

»Kommando Ahmed Bouchiki stieß ich hervor. »Klingt doch wie Hohn. Ein marokkanischer Kellner in Norwegen muss seinen Namen hergeben für eine anonyme Bande, die wiederum eine Tragödie über dem Atlantik auslöst. Das nennt man dann wohl Globalisierung.«

Mein Gegenüber lächelte: »Wenigstens finden Sie langsam ihren Humor wieder.«

»Der Name quält mich. Kommando Ahmed Bouchiki. So hochtrabend und doch so wenig, an das man sich halten kann. Manchmal möchte ich aus dem Fenster springen.«

Frau Dr. Dorer, die Polizei-Psychologin, nickte: »Alles verständlich und alles wird in die Reihe kommen. Nach solchen traumatischen Erfahrungen ist es ganz natürlich, dass körperliche und psychische Funktionen aus dem Ruder laufen. Die Erinnerung an das Trauma ist im Gedächtnis nicht in der richtigen Form abgespeichert worden. Da läuft vieles durcheinander. Deshalb wollen wir in der Psychotherapie das Gedächtnis ordnen und die Erinnerungen neu verarbeiten. Wir versuchen also ein kontrolliertes Wiedererinnern durch ein detailliertes Ablaufprotokoll der Ereignisse. So können Sie das Erlebte noch einmal verarbeiten und damit weiter leben.«

Ich kannte sie von meinem Unfall. Sie hatte schon damals meinen Schock therapiert. Ziemlich erfolgreich. Jetzt bin ich wieder ihr Patient. Sie schob mir einen Stift und einen Papierblock über ihren Schreibtisch. So einen mit Drahtspirale am oberen Rand. Ich ließ unschlüssig meinen rechten Daumennagel darüber gleiten. Es gab ein schnarrendes Geräusch.

»So sieht ´s in meinem Kopf aus. Nur endlos«, sagte ich.

»Ich glaub´s Ihnen. Deshalb müssen Sie ein Ende finden. Und einen Anfang. Damit aus der Spirale wieder ein Band wird. Ihr Problem ist nicht das Verdrängen, sondern das Nicht-Verdrängen-Können. Nach Freud ist gesund, wer negative Gedanken an Vergangenes oder an Schmerzliches wegzuschieben vermag und aktiv unterdrückt. Fangen Sie einfach von vorne an. Erzählen Sie sich die ganze Geschichte noch einmal. Chronologisch. Mit allen Details, die Ihnen einfallen. Auch wenn Sie meinen, das und jenes gehört gar nicht dazu. Sie kennen das doch aus Ihrer Polizeiarbeit.«

Und dann sagte sie noch: »Erleben hat viele Dimensionen. Jede ist wichtig.«

»Wenn sich aber die Erinnerung an das Erlebte dem direkten Zugriff verweigert? Wenn alles chaotisch abläuft?«

»Sie sollen nicht erinnern, sondern wieder holen. Zunächst jedenfalls.« Und auf meinen fragenden Blick erklärte sie: »Kierkegaard hat das einmal trefflich beschrieben: Wiederholen und Erinnern sind dieselbe Bewegung - nur in entgegengesetzter Richtung.« Sie kreuzte die flachen Hände vor ihrer Brust. »Verstehen Sie? Bei der Erinnerung gehen die Gedanken nach rückwärts und geraten immer wieder aus der Spur. Beim Wiederholen wird von einem Punkt vorwärts erinnert.« Sie seufzte. »Ich weiß, das klingt kompliziert, ist aber einfach.«

»Nein, nein - ich habe alles verstanden. Kein Problem!«, sagte ich rasch. »Wenn man einen Weg rekonstruieren soll, geht man ja auch nicht vom Ziel zum Startpunkt, sondern umgekehrt.«

Sie nickte. Irgendwie schaffte sie es immer wieder, dass man ihr keine Sorgen bereiten wollte. Klein und rundlich strahlte sie, trotz des weißen Kittels, eine gewisse Mütterlichkeit aus, die beruhigend wirkte und vielleicht auch offen machte. Erst im Gespräch wurden ihre Klugheit und ihre Kompetenz deutlich.

Ich schaute wieder auf den Block. »Kann ich nicht an meinem Computer, wie gewohnt -?«

Sie schüttelte den Kopf. »Auch wenn ihre Linke dabei etwas vernachlässigt wird - schreiben Sie mit der Hand! Holen Sie Wort für Wort aus sich heraus.«

Ich schrieb in Versalien AUGUST auf den Block.

»Genau so!« nickte sie. »Diese Arbeit müssen Sie jetzt verrichten. Ich hab noch ein anderes Bild: Wie ein Mikado-Spiel. Erst wenn Sie das Chaos der Stäbchen auseinander geklaubt haben, wenn alle säuberlich neben Ihnen liegen, ist der Fall abgeschlossen - hätten Sie als Polizist gesagt.«

Ich sah sie an. »Sagen Sie das noch einmal.«

Sie fasste an ihre Brille und schaute mich fragend an: »Dass Sie kein Polizist mehr sind, ist doch nicht Ihr Problem. Oder?«

»Nein, das Bild, das Bild, das Sie brauchten ...«.

»Das Mikado-Spiel?«

»Das Mikado-Spiel. Ich habe das schon einmal gehört.

Vor der Tragödie. Aber es gehört zu dem Fall. Es war ganz am Anfang ...«.

Sie lächelte wieder: »Schreiben Sie es auf! Erinnerung wird nur über eine Ordnung möglich. Zwingen Sie Ihre ständig kreisenden Gedanken in eine geordnete Bahn.«

Sie führte mich in eine Art Ruheraum. Eine Ärzteliege, ein Tisch, ein Stuhl.

»Hier werden Sie nicht abgelenkt. Keine Fluchtmöglichkeiten für den unruhigen Geist. Sie können bleiben, solange Sie wollen. Wenn Sie müde werden, hören Sie auf und machen morgen weiter.«

»Zu welchem Ende?«, fragte ich.

Jetzt nahm sie ihre Brille ab und ließ sie am Band vor ihrer Brust baumeln. »Das wird man sehen, Herr Urbach. Warten Sie einfach ab. Sie sollen nur verarbeiten, nicht verdrängen. Auch was man aus seinem Gedächtnis verbannen will, muss man erst einmal verstanden haben.

Erst dann können Sie auch wieder mit sich umgehen.«

»Vielleicht will ich keine Sekunde verbannen?«

Sie blieb bei ihrem freundlichen Ton: »Dann bleibt eben jede Sekunde in ihrer Erinnerung - aber unter Kontrolle. Geführt wie ein folgsamer Hund.«

Ich fuhr wieder mit der Hand über die Spirale. »So ein Block wird da nicht reichen«, suchte ich noch einen Ausweg.

«Daran herrscht hier kein Mangel. Irmgard wird Ihnen jeden Morgen einen neuen hinlegen. Ich freue mich auf Ihre Geschichte.«

Sie war gegangen. Und ich werde die Geschichte schreiben. Von Anfang an. Keine Angst Frau Doktor. Die Details sind alle gespeichert. Ich muss sie nur ordentlich abrufen. Und während draußen vor meinem Fenster der Novemberregen vergeblich versucht, sich als Schneeflocken auszugeben, muss ich mich an schönere Tage erinnern. Nein, nicht erinnern - wieder holen. Im wahrsten Sinn des Wortes. Ich werde mich in die Zeitmaschine setzen und den Schalter auf Zurück setzen.

Ich werde noch einmal wie ein fremder Beobachter zuschauen, wie Lars Urbach seinen ersten Fall als Freiberufler erlebte.

August

1

München machte Sommerferien. Weg waren sie. Obwohl es auf Kreta oder Mallorca auch nicht heißer war.

Läppisch, dieser Anfang. Aber es stimmt: Man sprach längst vom Jahrhundertsommer. Und ich saß im Büro. Nichts auf meinem Anrufbeantworter. Nichts in der Mailbox. Nichts im Fax. Nur Parkplätze - die gab´s satt. Den neuen Job hatte ich mir spannender vorgestellt. Ich überlegte schon, ob ich mein abgebrochenes Studium wieder aufnehmen sollte. Zugegeben, es fing ja erst an. Der August und das Leben unter dem schönen Logo: Lars Urbach. Privatdetektiv. Seit fünf Wochen stand die Kleinanzeige in sämtlichen Münchner Zeitungen: Ermittlungen, Überwachungen, Recherchen etc.

Das Ergebnis bisher: Zweimal sollte ich Unfallflüchtige aufspüren, und einmal fragte einer vom Supermarkt, ob ich ihren Hausdetektiv im Urlaub vertreten könnte. Ferienzeit ist schlecht für einen Neustart. Trubel herrscht nur zu bestimmter Stunde auf dem Marienplatz, wenn sich sämtliche Touristen gleichzeitig unter der Rathausuhr treffen, um das Figurenspiel hoch über ihren Köpfen zu bewundern.

Während ich auf irgendein Zeichen eines potenziellen Auftraggebers wartete, versuchte ich zum x-ten Mal so ein blödes Ballermann-Spiel am PC. Wenigstens hält es die Finger fit.

Mit der neuen Linken komme ich schon gut zurecht. Schneller konnte ich im Leben vor der Prothese auch nicht tippen. Die Ärzte und Techniker haben das so gut hingekriegt, dass ich mich immer noch zu den Primaten zählen kann - also zu den Säugetieren, die mit Fingern und Daumen eine Griffhand bilden können. Das ist mindestens gut für die Nahrungsaufnahme oder um einen Ast als Waffe gebrauchen zu können. Sogar meine Waffe kann ich zur Not auch wieder mit der Linken ziehen. Und beim Doppelgriff im Schießstand bringe ich es schon zu respektablen Ergebnissen. Meinen Waffenschein habe ich jedenfalls wieder.

Nur meine Leidenschaft, meine BMW, die ihre beiden Zylinder unter der breiten Brust der Verkleidung stolz nach außen stellt und es gar nicht nötig hat, den Konkurrenten den Auspuff zu zeigen, weil sie ihre fünf Zentner am liebsten mit mir durch enge Kurven schlängelt, an sie traute ich mich in jenen Tagen noch nicht wieder ran. Hatte einfach Schiss, dass ich den Kupplungshebel mit der Linken nicht mehr so gefühlvoll bedienen kann, um mit dem Gasgriff einen sensiblen Gleichklang herzustellen und die beinahe hundert Pferdestärken im Zaum zu halten. Es war mir so in Fleisch und Blut übergegangen, seit ich während meiner Ausbildung auch mal ein halbes Jahr bei einer Motorrad-Staffel schnuppern durfte. Jetzt fehlt mir der direkte Hautkontakt. Unterbrochen durch eine Hand aus Metall und Leder. Hatte ich mir früher nie überlegt, wie viel Gefühl über die Haut vermittelt wird.

Früher. Zwei Jahre ist das erst her. Und vor wenigen Monaten wusste ich noch nicht, dass ich einmal am eigenen Schreibtisch sitzen werde - als mein eigener Chef. Kurz vor Ostern wurde ich selbst noch zum Chef gerufen: Nach einer salbungsvollen Vorrede von beispielhaft und so, kam er zur Sache: »Anspruch auf dicke Fälle hat niemand, Urbach! Das muss ich jetzt mal so deutlich sagen.« Dabei warf er seinen Schreibstift wild entschlossen auf seine Schreibtischunterlage. Als sei mit dieser Geste alles geregelt.

»Ich bin immer noch Kriminalhauptkommissar. Das muss ich mal so deutlich sagen.« Betonung auf ich.

Ich spürte, wie er fasziniert auf meine Hände schaute, mit denen ich einen Papierflieger faltete. Eine Übung aus der Rehabilitation. Irritiert stand er auf und schaute aus dem Fenster.

»Ts, ts, ts!« - Er stieß die Luft aus. »Urbach, machen Sie´s mir nicht so schwer. Sie wissen selbst, dass Sie mit dieser - mit dieser Hand kein vollwertiger Polizist mehr sein können. Sag ich was Falsches?«

»Mit dieser Hand -«. Wütend war ich aufgesprungen und hatte den Flieger in die Luft gestoßen. Das Papiergebilde machte einen Looping, knallte dann gegen die Scheibe und trudelte zu Boden. Ich hielt die Prothese hoch, ließ sie aber gleichfalls unwirsch sinken. Der Präsident schaute immer noch nach draußen.

Grimmig sagte ich in seinen Rücken: »Pampelmusen kann ich auch zerteilen! - Ich dachte, wir arbeiten hier mit Köpfchen - und nicht mit der Faust.«

Er drehte sich wieder zu mir.

»Ts, ts, ts - Urbach, hören Sie zu: Niemand spricht Ihnen Intelligenz und Entschlossenheit ab. Ihre Analysen sind brillant. Ihre Spürnase ist gefürchtet. Doch ich muss mehr bedenken. Was, wenn Ihre Hand ein einziges Mal nicht richtig funktioniert? Wenn dadurch Menschenleben gefährdet werden? Was glauben Sie denn, was die dann mit mir machen?« Er sagte nicht, wer die da waren, rollte aber vielsagend die Augen.

Ich nahm Boxerhaltung ein.

«Bin Rechtsausleger. Da kommt der linke Haken jetzt doppelt hart.«

Er schüttelte den Kopf. »Im Ernst, Urbach. Mir bleibt doch nur, Sie in die Verwaltung abzuschieben. - Sag ich was Falsches?«

»Sie sagen`s genau richtig, Chef: Abschieben! Aber ich hab was gut.« Ich hielt meine Prothese wie eine Schwurhand hoch.

»Okay - das haben Sie. Aber ich muss es allen Recht machen.« Wieder blieb offen, wer alle sind.

Er ging zurück zu seinem Schreibtisch und hob eine dünne Akte hoch.

»Die Beschaffung braucht einen guten, erfahrenen und absolut integren Polizisten. Für eine sehr korruptionsanfällige Behörde. - Und ich schlage Sie vor!«

Ich warf mich wütend zurück auf meinen Stuhl. »Ein Sesselfurzer, der mit Lieferanten schachert? Ohne mich!«

«Lehnen Sie nicht gleich ab. Dieser Posten ist mir ein persönliches Anliegen. Wie gesagt, er riecht nach Korruption - und das stinkt mir.«

»Das haben Sie jetzt aber schön gesagt«, sagte ich anerkennend und meinte es ernst, denn Wortspiele war ich nicht von ihm gewöhnt.

Er ging nicht darauf ein: »Ich will stets sicher sein, dass dieser Bleistift hier am Lager ist, weil uns sein Hersteller das günstigste Angebot gemacht hat und nicht, weil er dem zuständigen Beamten einen Massageurlaub in Thailand spendiert hat. Sie verstehen, was ich meine?«

Ich verstand. »Aber Chef, wo denken Sie hin?« spielte ich den Entrüsteten.

Er witterte Erfolg: »Also?«

Ich lehnte ab.

Damals musste ich auf die Toilette - nur für Personal - und mich übergeben. Ich spülte meinen Mund mit lauwarmem Wasser aus und spie meinen ganzen Frust in den Ausguss. Gegen den Spiegel formte ich mit Daumen und Zeigefinger meiner Prothese ein schönes rundes O.

Jetzt sitze ich hier. Wieder einigermaßen zufrieden. In einem modernen Bürohaus am Hauptbahnhof. Fast in Blickweite der alten Kollegen. Zentrale Lage, gut erreichbar, Tiefgarage und mehrere Treppenhäuser mit Aufzügen. Das erlaubt verschiedene Fluchtwege - wenn´s mal ernst wird. Auch daran muss man denken. Immerhin sieht das Büro um einiges schnittiger aus, als mein ehemaliges Kabuff bei der Mordkommission in der Bayerstraße. Schicke Stahl/Glas-Kombination in der Grundfarbe schwarzweiß. Mein privates Appartement ist eine Höhle dagegen. Das alles hat mich aber auch fast die gesamte Abfindung gekostet. Zum Glück hatten mich meine Exfrauen in Ruhe gelassen. Die beiden Scheidungen waren erledigt. Immer das gleiche Spiel. Erst sind sie stolz, einen Beamten zu haben, noch dazu einen, der eine Pistole tragen durfte, und wenn der dann seinen Job ernst nimmt, werden sie sauer und fühlten sich vernachlässigt. Viele Kollegen könnten das gleiche Lied singen. Wir werden einsame Wölfe, wenn wir gut sind.

Dafür kann ich jetzt, als Freiberufler, auch mal einen Klub oder einen Puff besuchen - ohne gleich unter Korruptionsverdacht zu geraten.

Dann klingelte es. Aber noch nicht in meinem Kopf. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass es tatsächlich mein Telefon war.

»Urbach. Privatdetektiv. Was kann ich für Sie tun?«

»Ah, ja -, ich spreche mit Herrn Urbach? Persönlich, meine ich.«

Eine etwas verwirrte junge Dame. »Persönlich - am Apparat«, sagte ich sanft.

»Also, ich habe ein Problem. Oder, nein, mein Cousin, also eigentlich - « Sie stockte. »Der hat das Problem -.«

»Der Cousin?«

»Nein!« - Sie atmete einmal tief durch: »Also eigentlich sind wir gar nicht verwandt, aber das ist eine andere Geschichte. Er steht mir sehr nahe.« Sie überlegte: »Mindestens wie ein Cousin.«

»Möchten Sie andeuten, dass Ihr Cousin das Problem ist?« half ich ihr.

»Um Gottes Willen, nein! Warten Sie. Ich fang noch einmal an. Ich muss ja völlig verwirrt auf Sie wirken.«

Ich sagte, das sei ganz normal. »Lassen Sie sich ruhig Zeit. Es kann doch nichts anbrennen. Oder?«

»Also, von vorne ...« Und dann erzählte sie ziemlich flüssig, dass sie Hannah Braun sei und ihr Cousin, ein gewisser Morten Arvasohn, in U-Haft saß. Immerhin wegen Mordverdacht. Sie glaube aber fest an seine Unschuld und brauche Hilfe. Ob ich der Richtige sei?

Ich wollte erwidern, dass die beste Hilfe ein guter Strafverteidiger sei, konnte mich aber noch rechtzeitig stoppen und ihr versichern, dass sie keine bessere Wahl hätte treffen können. Die alte Beamtenmentalität, drohende Arbeit erst einmal abzuwimmeln, musste ich mir auch ganz schnell abgewöhnen.

»Apropos: Wahl - wie kamen Sie auf mich?«

»In der Abendzeitung - da stand die Anzeige.«

Na also!

Wir verabredeten uns um elf Uhr in meinem Büro. Zeit also, um noch einen Happen zu essen. Zweites Frühstück sozusagen, denn seit sechs war ich schon munter. Ich stellte mein Telefon aufs Handy um und ging runter. Das Bistro unten im Haus war um diese Zeit bereits gut besucht. Es hatte eine Klimaanlage. Ein paar Touristen saßen sogar draußen, obwohl es schon wieder knallheiß war, auch unter den Schirmen.

Im letzten Moment entschied ich mich gegen die Cabonara - man konnte ja nie wissen, wie nah einem die Dame kommen würde. Schließlich war ich frei, und ihre Stimme klang angenehm. Also ein Chefsalat. Dazu ein Mineralwasser. Während ich wartete, rief ich Bandmann an. Mein alter Kumpel und Partner bei der Kripo war sogar an seinem Schreibtisch.

»Du kannst im Bistro sitzen, während ich hier Statistik machen muss! Kennst du ja noch: Wie viel Jugendliche, wie viele Ausländer, wie viele Frauen? - Wollen die wieder alles wissen!«

»Und hauptsächlich, wie viele jugendliche Ausländer - stimmt´s? - Erinnere mich. Und nicht, um über Verbesserungen nachzudenken, sondern um Stammtisch-Parolen damit zu garnieren!«

»Larry, ich bin im Dienst.«

»Dafür kriegst du später auch deine Pension.«

»Weiß ich doch.«

»Will auch was Dienstliches von dir, Tommy. Schau doch mal in den Computer: Arvasohn, Morten - kommt da etwas?« Ich buchstabierte den Namen. »Morten also nicht wie der Mord ...!

»Sekunde!« Dann hörte ich ihn durch die Zähne pfeifen.

»Was willst du damit?«

»Weiß ich noch nicht. Soll mich vielleicht drum kümmern.«

»Larry, lass die Pfoten weg. Das Ding liegt im Giftschrank! Der Oberstaatsanwalt will täglich Bericht.«

»Wieso?«

»Der Mossad, der israelische Geheimdienst, schnüffelt da rum. Mord an einem israelischen Staatsbürger. Ein gewisser Oren Wallach. Zischler hat den Fall an sich gezogen.«

»Karriere-Zischler? - Wird ihm das gut tun?«

«Er nimmt es sicher an, sonst hätte er die Finger davon gelassen«, sagte Bandmann trocken.

Zischler war ein Kotzbrocken. Ein junger, ehrgeiziger Beamter, der sein Selbstbewusstsein aus seiner Mitgliedschaft bei der staatstragenden Partei zog. Und der Tatsache, dass sein Vater noch beim seligen Franz Josef Strauß im Sicherheitsbereich tätig war. Das zählte in Bayern immer noch was. Da ihm eine Karriere in München als »rote« Stadt verbaut war, herrschte allenthalben die Meinung, dass er einmal im Innenministerium landen wird. So viel zu Zischler.

»Was ist mit Arvasohn?«

»Sein Adoptivsohn - oder so etwas. Am Tatort verhaftet. Mordverdacht!«

»Sonst nix?«

»Noch nicht. Wird verhört.«.

»Klingt gut. - Nachher kommt jemand - jetzt kommt auch mein Essen - nachher will mich jemand für den Fall interessieren.«

»Ich warne dich, weiß aber schon, dass es nichts nützt.«

»Du sagst es, Tommy!«

«Erzähl mir mal, was dabei raus gekommen ist, ja?«

»Wenn´s meinem Mandanten nicht schadet.«

Bandmann lachte. »Hast die neuen Regeln ja schnell begriffen. Lass dir´s schmecken!«

Doch bevor ich damit anfangen konnte, piepste mein Handy. Ich sagte meinen Spruch. Es meldete sich ein Dr. Haller, der wissen wollte, ob ich schon einmal mit einem Fall von Anlagebetrug zu tun gehabt hatte. »Ich meine so ´ne Sachen wie Schneeballsystem und so, wissense, wat ich meine?«

Sein Dialekt verriet den Kölner.

Ich sagte erst einmal »Ja!«, man konnte dann immer noch sehen, ob die Geschichte was hergibt.

»Ich hätte da vielleicht einen Job für Sie. Wann könnte ich denn mal vorbei gucken?«

War denn heute mein Glückstag? Die Urlaubsstimmung schlug ja fast in Stress um.

»Wie wär´s gleich morgen früh um neun?«

«Einverstanden. Das geht in Ordnung. Und Sie sitzen da am Elisenhof?«

«Exakt. Eingang Luitpoldstraße. Dritter Stock.«

»Dat find ich. Keine Bange. Tschö, bis denn!« Endlich kam ich zum Essen.

Sie kam relativ pünktlich. Wenn man bei siebzehn Minuten noch tolerant ist. Freischaffende müssen so tolerant sein. Wieso hatte ich sie mir dunkel vorgestellt? Der Name war´s wohl. Dabei fiel ihr langes, blondes Haar bis auf die Schultern. Hohe Backenknochen und helle, blaue Augen machten das Gesicht groß und offen, gaben ihm etwas apart Fremdes.

»Sie haben es genau beschrieben und doch bin ich prompt an der Einfahrt vorbei gefahren«, entschuldigte sie sich. »Dabei kann man den Justizpalast kaum übersehen.«

»So hat man ihn gebaut. Ein Palast, der einschüchtern sollte: Hier stehe ich - Gott helfe dir!«

«Ja, komisch.« Sie dachte darüber nach. »Dass Gerechtigkeit so pompös auftreten musste.«

«Es war wohl eher als Machtdemonstration gedacht: Justitia als unabhängige Herrscherin.«

Sie schaute hoch. »So lässt es sich ertragen, ja.«

Die Nachdenklichkeit passte nicht. Sie schien aufgeregt. Wie häufig Menschen, die zum ersten Mal mit der Polizei zu tun haben. Ich registrierte einen leichten Silberblick, der sie trotz Ernst und Angst schelmisch wirken ließ.

Zunächst bot ich ihr einen Espresso an. Die Maschine war ein Schmuckstück in meinem Büro.

»Au fein, sehr nett!«

Es gehörte zum Repertoire: Während ich die Zutaten einfüllte, gab ich ihr die Zeit, sich zu beruhigen und mir die Gelegenheit, sie zu mustern. Ich sehe heute noch jedes Detail vor mir: Blaues T-Shirt, ärmelloses Leinenjäckchen, kein BH, weiße Jeans, blaue Riemchensandalen. Zierlich. Sportlich. Ende dreißig. Kein Ehering. Sie gefiel mir.

Ich balancierte mit der Rechten das Tablett und stellte mit der Linken Tasse und Zucker vor sie Hin. Meine Prothese registrierte sie mit einem einzigen Wimpernschlag. Sie nahm zwei Löffel Zucker.

»So - das war der Service«, begann ich. »Jetzt zur Sache. Erzählen Sie einfach drauflos. Ich lass meinen Recorder mitlaufen. Einverstanden?«

»Natürlich. Wo soll ich anfangen?« Die Frage war mehr an sich selbst gerichtet. Sie hatte sich also noch keine Geschichte zurechtgelegt. Oder war eine perfekte Schauspielerin.

»Wo Sie wollen.«

«Es ist immer noch wie ein Albtraum.« Jetzt schaute sie konzentriert zu mir herüber. »Kennen Sie die Firma SOFTWAL?«

»Nein.«

»Müssen Sie auch nicht. Ein Software-Unternehmen. Gehört meinem Onkel. Bruder meiner Mutter. Gehörte, muss ich jetzt -.«

Sie stockte. Ich schwieg.

»Oren Wallach.« Sie sah mich wieder an. »Der ist jetzt tot. Er kam Anfang der Sechziger aus Israel nach Deutschland. Beide Eltern waren Deutsche, die gerade noch rechtzeitig rauskamen, bevor die Nazis...« Sie stockte und begann neu: »Meine Großeltern. Oren hatte sich schon früh für Computertechnik interessiert und entwickelte schließlich Software-Programme. Dabei muss ihm eine geniale Idee gekommen sein. Seither verdient er Millionen. Er baute die Firma aus. Heute hat sie 40 Mitarbeiter.

Noch in Israel hat er, weil seine Ehe kinderlos blieb, aus einem Waisenhaus einen Säugling adoptiert. Unbekannte Eltern. Heute ist mein Cousin Geschäftsführer und sollte die Firma einmal übernehmen. Schon deshalb - .«Ihre Gedanken schweiften ab.

»Wissen Sie etwas über das Erfolgsprogramm?« holte ich sie zurück.

»Nur, was man mir als Laien so erzählte. Es heißt CASUS.«

«Casus, im Plural Casus mit langem U, lateinisch: der Fall!« Ich sagte es fast automatisch, wie damals in der Lateinstunde.

Sie schüttelte den Kopf: »Ich kann zwar kein Latein, aber hier muss es wohl mehr Zufall heißen, denn der spielt eine große Rolle. Eigentlich ist es die Abkürzung von - Moment, ich krieg´s zusammen: Computer Aided System for Ultimate Safety. Das Programm dient der Verschlüsselung. Der Code ist praktisch nicht zu knacken. Alle großen Firmen verschlüsseln damit ihre wichtigen Daten. Mein Onkel hat es so erklärt: Normalerweise müssen die Datenspeicher formatiert werden, damit sie nach bestimmten Regeln beschrieben werden können. Mit CASUS verlässt der Computer die Regeln und schreibt scheinbar völlig chaotisch - also ohne formatiertes System speichert er die Daten. Total willkürlich - denkt er.« Sie hob die Hand, um sich selbst zu korrigieren. »Ich weiß, ein Computer denkt ja nicht. Das hab ich auch begriffen. Also bei CASUS gibt ihm ein Quellcode eine bestimmte Ordnung vor. Und nur, wer diesen Code - also den Schlüssel zum Programm hat, kann die Ordnung erkennen und wieder herstellen. Der Witz ist: ein Passwort lässt sich irgendwann knacken, bei einem Programm, das praktisch selbst das Passwort ist, muss das schier unmöglich sein. Haben Sie etwas verstanden?«

»Wenig«, gab ich zu. »Muss ich hoffentlich auch nicht, um Ihrem Cousin helfen zu können. Ich denke jedenfalls an so was wie Zufallsprinzip, dem man an bestimmten Schnittstellen nachhilft.«

Sie nickte anerkennend. »Genau. Mein Onkel hat es so erklärt: die Daten werden gespeichert, wie Blätter, die vom Baum fallen oder wie Mikado-Stäbchen, die auf den Tisch fallen. Und an bestimmten Stellen werden Kameras postiert, die den Moment der Datenspeicherung festhalten -.« Sie suchte nach passenden Worten: »Gewissermaßen wird die Speicherung aus allen möglichen Blickwinkeln fotografiert. Wie lauter einzelne Schnappschüsse. Nur wenn man diese Blickwinkel wieder erzielt, also die Kameras wieder exakt an diese Stelle postiert, können die Daten nach der alten Ordnung gelesen werden.«

»Das Bild gefällt mir. Ähnlich arbeite ich auch. Einen Fall lösen, indem ich ihn aus allen möglichen Blickwinkeln betrachte. Auch ich versuche, die Welt davor zu rekonstruieren.«

Sie dachte nach: »Sie versuchen aber, die Wahrheit zu finden. Hacker finden bei CASUS aber nur die einzelnen Blätter, niemals das System, sie zu ordnen. Das Programm wird weltweit eingesetzt. Bei Banken und Militärs, bei Autoherstellern und Wissenschaftlern. Jeder bekommt sein individuelles Programm, sozusagen. Es ist ein Chip - oder so, der irgendwie beim Booten ins BIOS eingreift. Wenn ich das richtig verstanden habe.« Sie sah mich fragend an.

»Also, ich verstehe ganz wenig von diesen Dingen, habe aber einen guten Freund, wenn es nötig wird. BIOS ist der kleine Mikroprozessor, der dem Kasten sagt, wie es überhaupt losgeht und Booten heißt einfach das Starten des Computers.«

»Genau. Mikroprozessor - den Ausdruck hat mein Cousin oft benutzt. Wichtig ist ja nur, dass die Mitarbeiter bei SOFTWAL immer nur mit Teilprogrammen arbeiten. Außer Onkel Oren - der hatte den Urcode in der Hand.

Er war der Herr des Zufalls. So nannte er sich manchmal selbst.«

Ihr Blick folgte wohl ihren Gedanken in eine imaginäre Ferne. Ich ließ ihr etwas Zeit. Mit Sicherheit Nichtraucherin, ging es mir durch den Kopf. Spätestens jetzt hätte ein Raucher eine Packung hervor gekramt.

»Und Ihr Cousin?«, fragte ich endlich.

Sie legte entschlossen ihre linke Faust in ihre rechte Hand: »Es gibt in einem Banktresor eine Sicherheitskopie. Auf ihr ist das Basisprogramm gespeichert. Mein Cousin hat als einziger eine kleine Speicherkarte, ein sogenannter Golden-Key, mit der er dieses Basisprogramm jederzeit simulieren kann.«

»Und den Zugang zu diesem Tresor?«

»Natürlich auch!«

»Und das Know-how?«, fragte ich.

»Und das Know-how!«

»Demnach kann er jetzt die Firma weiterführen?«

»Er stand als Nachfolger schon bereit.« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Deshalb ist ja alles so absurd.«

Bevor sie sich wieder in Gedanken verlieren konnte, fragte ich direkt: »Was ist also genau passiert?«

»Ich durfte noch nicht mit ihm sprechen. Kann also nur berichten, was unser Anwalt mir gesagt hat: Gestern Mittag sollte eine Konferenz stattfinden. Um was es ging, weiß ich nicht.«

»Am Sonntag?«, fragte ich.

Sie wischte das weg: »Es war ein Abschluss-Treffen vor dem Urlaub. Onkel Oren, mein Cousin und der Justiziar, Herr von Hostiz, wollten sich gegen 14 Uhr im Hause meines Onkels treffen. Das ist auch der Firmensitz. Als Morten hinkam, so gegen halb zwei, stand die Haustür offen. Vom Onkel keine Spur. Er ging suchend durchs Haus. Nichts. Schließlich ging er außen herum in den Keller - «

Ich verstand nicht.

Sie erklärte: »Über einen Treppenturm, der früher für die Dienstboten da war. Irgendwer hat irgendwann die Verbindung zum Haupthaus zugemauert. Da unten gibt es jetzt einen Fitnessraum mit Sauna, die aber mein Onkel seit seinem Herzanfall nicht mehr benutzt hatte. Sie stand den Mitarbeitern zur Verfügung. Jetzt aber waren Betriebsferien. Als Morten unten angekommen war, sah er, dass die Sauna angeheizt war. Und als er die Tür öffnen wollte, klemmte sie. Ein kleiner Holzkeil war untergeschoben. Von außen. Er fand Onkel Oren hinter der Tür. Nackt und tot.«

Sie machte eine Pause und sah mich an. Ich sagte nichts und ließ sie fortfahren: »Morten stürzte nach oben und genau in die Arme von zwei Polizisten. Angeblich hat ein anonymer Anrufer Hilferufe aus dem Haus gehört. Weil mein Onkel israelischer Staatsbürger war, stand er auf der Liste. Sie waren wohl im Nu da. Damit belasten sie jetzt Morten.«

Sie musste einmal schlucken und sich erneut sammeln. Ihre Augen schimmerten feucht, schließlich brachen die Tränen hervor. »Entschuldigung. Ich weine mehr um meinen Onkel. Morten wird sicher bald wieder frei sein.« Sie tupfte sich mit einem Tempo-Tuch. »Sie beschuldigen ihn, unseren Onkel eingesperrt zu haben. Absichtlich soll er ein Herzversagen herbeigeführt haben.«

»Herzversagen wurde doch sicher nur als vorläufige Todesursache festgestellt?«

Sie nickte.

»Das heißt doch lediglich, dass er keine äußeren Merkmale aufwies - also Einschuss, Stichverletzung, Würgemale oder so.«

Sie schluchzte wieder auf.

»Sie sagten, jemand habe die Polizei angerufen? - Wie war das?«

»Nur zwei Sätze am Telefon: Bitte kommen Sie. Ich höre Hilferufe bei Oren Wallach! - Dann hat er aufgelegt.«

»Wie erklärt die Polizei den Anruf?«

«Fingiert. Um ein Alibi zu haben.«

»Ts, ts, ts - sagte mein alter Chef immer. Wie das?«

»Die Polizei war so schnell da, dass Onkel Oren in dieser kurzen Zeit gar nicht mehr um Hilfe gerufen haben konnte. Er musste also schon tot gewesen sein, als der Anruf kam. Es konnte auch niemand so schnell das Haus verlassen haben. Sie sagen, Morten war der Einzige am Tatort. Er habe selbst angerufen, um völlig unverdächtig zu erscheinen. Er wollte zum Schein mit den Polizisten den Toten finden. Nur, weil die Polizei so schnell dort war, ging der Plan nicht ganz auf. Behaupten sie. So ein Irrsinn.« Die Tränenflut war wieder versiegt. Sie stopfte das Taschentuch weg.

Ich musste nachdenken.

»War denn alles sonst wie ein Saunabesuch arrangiert? Mit Handtüchern und so?«

»Eben nicht. Nur seine Kleider lagen im Vorraum. - Einfach verrückt das Ganze.«

»Wirkt denn ihr Cousin so hirnrissig?«

Damit hatte ich sogar erstmals ein Lächeln bei ihr auslösen können.

»Sie sagen es. Die Umstände sind doch eine Beleidigung für jeden halbwegs intelligenten Menschen. Er hätte doch mindestens die Blockade der Saunatür verschweigen können, wenn er selbst der Täter gewesen wäre.«

»Gut bemerkt«, lobte ich. »Jedenfalls sieht das alles nicht nach einem genau kalkulierten Plan aus. Gibt es denn keine weiteren Zeugen? - Was ist mit den übrigen Mitarbeitern? Oft sind doch Kreative auch sonntags im Büro?«

Sie schüttelte den Kopf. »Betriebsferien. Seit Freitag. Nach dieser Sitzung wollten Morten und Oren auch in den Urlaub.«

Ich glaubte der jungen Frau. Die Story wirkte irgendwie hanebüchen. Klang doch viel logischer, dass jemand ihrem Cousin eine Falle gestellt hat. Der alte Mann musste also schon vorher tot gewesen sein. Höchstwahrscheinlich war er gar nicht in der Sauna gestorben? Oder hatte Zischler noch ein Ass im Ärmel?

»Hat man die Todeszeit festgestellt?«

»Noch nicht eindeutig. Wegen der Hitze läuft alles anormal ab, sagte der Arzt.«

»Eine Obduktion findet automatisch statt. Wir sollten aber alles dransetzen, dass nicht nur die Todesursache, sondern auch die Todeszeit so genau wie möglich festgestellt wird. Wer ist Ihr Anwalt.«

»Dr. von Hostiz ist Rechtsanwalt. Er hat schon mit meinem Cousin gesprochen.«

»Sie brauchen jetzt aber einen guten Strafverteidiger.«

»Ich möchte, dass auch ein guter Detektiv die Sache übernimmt!«

Wir einigten uns. Unabhängig von der Polizeiermittlung, sollte ich möglichst schnell den wirklichen Täter finden.

»Das ist die beste Verteidigung«, resümierte sie. »Ich setze auf Sie, Herr Urbach!« Dabei erhob sie sich.

»Sagen Sie Larry! Klingt nicht so förmlich.«

»Einverstanden. Ich heiße Hannah.« Sie gab mir die Hand.

Ich stellte fest, dass sie mir gerade bis zur Schulter reichte. Mindestens der Beschützer in mir war erwacht.

»Hannah Braun - ein sehr dunkler Name für eine so blonde Frau!«

»Urbach - ein sehr musikalischer Name für so einen harten Job!« gab sie zurück.

»Das ist eine andere Geschichte.«

Sie kniff die Augen zusammen: »Oder wundern Sie sich nur über eine blonde Jüdin?«

»In meinem Job wundere ich mich nicht, ich registriere. Muss aber zugeben, dass ich Sie auf den ersten Blick eher nach Grönland als nach Israel gesteckt hätte.«

Jetzt lachte sie richtig. »Wie Fräulein Smilla, was?«

»Stimmt. Aber die aus dem Buch, nicht die aus dem Film.«

»Vorsicht, ich bin in der Branche tätig. - Meine Großmutter Wallach war tatsächlich Friesin. Sie ist aus Liebe zum jüdischen Glauben konvertiert. Bei meiner Geburt soll ich übrigens ganz schwarz gewesen sein. Und dass mein Ex ausgerechnet Braun heißt - naja.«

»Auch geschieden?«

»Auch geschieden.«

Ich brachte sie zum Fahrstuhl.

Eine halbe Stunde später stand ich nebenan im Kaufhaus-Basement und aß ein paar Sushi-Röllchen, die man dort einfach von einem Laufband nehmen kann. Dazu einen Chardonnay. Dann war ich unterwegs zum Tatort. Gute Gegend. Über die Isar, hinterm Friedensengel links rein. Eine Straße mit langer Geschichte. Um die Jahrhundertwende angelegt, als Bogenhausen ein Stadtteil von München wurde. Reiche Bürgerhäuser waren damals entstanden. Professoren, Brauereibesitzer, Bankiers, Architekten hatten sich hier niedergelassen. Später residierten Himmler und Freunde unter dieser Adresse. Nach dem Krieg wurde die Straße zu einem der berüchtigtsten Schwarzmärkte in Süddeutschland. Erst nach und nach warf sie diese dunklen Flecke ab. Heute, im architektonischen Mischmasch, findet man hier Konsulate, Anwälte und sauberes Gewerbe - nur keine Parkplätze. Selbst in der Ferienzeit musste ich zweimal ums Karree bis ich eine Lücke erwischte. In manchen Vorgärten hingen Staatsflaggen träge am Mast. Die Tricolore, weiter hinten das Weiß-Blau von Griechenland erkannte ich. Dann was mit grünrot-weiß. Das war doch nicht Italien? Am Torpfosten hing ein Schild, das eine Burschenschaft namens ATESIA als Bewohner auswies.

SOFTWAL - eine glänzende Aluminiumtafel hing gegenüber am alten schmiedeeisernen Gitter. Signalisierte Hightech hinter dem Gemäuer aus der vorigen Jahrhundertwende. Die Zaunstäbe endeten in abweisende Speerspitzen, doch das Tor war nicht abgeschlossen. Es quietschte unangenehm, als ich es aufdrückte. Als wollte es mich warnen.

Hannah Braun hatte mir den Hintereingang über den Treppenturm beschrieben. Hier stand die Tür sogar einen Spaltbreit offen. Schlampige Kollegen? Doch dann sah ich