Black Bird Academy - Liebe den Tod - Stella Tack - E-Book

Black Bird Academy - Liebe den Tod E-Book

Stella Tack

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Beschreibung

Der TikTok-Trend Dark Academia trifft auf fesselnde Fantasy-Romance! Das explosive Finale der »Black Bird Academy«-Trilogie!
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Nach dem dramatischen Ende der Exorzisten-Wettkämpfe in London muss Leaf die Flucht ergreifen. Gemeinsam mit ihren Mitstreitern taucht sie in Tokio unter. Dort stößt sie schließlich auf eine Untergrundbewegung aus Menschen und Dämonen, die ihre Sicht auf die Welt völlig auf den Kopf stellen. Während Leaf gegen die Dunkelheit ringt, die das letzte Stück ihrer Menschlichkeit zu verschlingen droht, entbrennt der Krieg der Exorzisten: Soll sie um Macht kämpfen oder für das Leben derer, die sie liebt? Eine falsche Entscheidung könnte den Untergang der Welt bedeuten …

Gefährliche Dämonen, heiße Exorzisten und eine schicksalshafte Liebe – die »Black Bird Academy«-Reihe von SPIEGEL-Bestsellerautorin Stella Tack:
Band 1: Black Bird Academy – Töte die Dunkelheit
Band 2: Black Bird Academy – Fürchte das Licht
Band 3: Black Bird Academy – Liebe den Tod

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 886

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Nach dem dramatischen Ende der Exorzisten-Wettkämpfe in London muss Leaf die Flucht ergreifen. Gemeinsam mit ihren Mitstreitern taucht sie in Japan unter. Dort stößt sie schließlich auf eine Untergrundbewegung aus Menschen und Dämonen, die ihre Sicht auf die Welt völlig auf den Kopf stellen. Während Leaf gegen die Dunkelheit ringt, die das letzte Stück ihrer Menschlichkeit zu verschlingen droht, entbrennt der Krieg der Exorzisten: Soll sie um Macht kämpfen oder für das Leben derer, die sie liebt? Eine falsche Entscheidung könnte den Untergang der Welt bedeuten …

Autorin

Stella Tack, 1995 in Münster geboren, wuchs im österreichischen Bad Gastein auf. Nach ihrem Schulabschluss absolvierte sie eine therapeutische Ausbildung, merkte aber bald, dass ihre wahre Leidenschaft im Schreiben von Geschichten lag. Mit ihren knisternden New-Adult-Romanen und ihren actiongeladenen Romantasy-Stoffen begeistert sie mittlerweile Tausende Leser*innen und stürmt die Spitzenplätze der SPIEGEL-Bestsellerliste. Nach zahlreichen Jugendbüchern erobert Stella Tack mit der »Black Bird Academy«-Reihe auch die fantastische Literatur für Erwachsene. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in Österreich.

Weitere Informationen unter: www.stella-tack.com

Von Stella Tack bereits erschienen

Black Bird Academy – Töte die Dunkelheit · Black Bird Academy – Fürchte das Licht

Stella Tack

BLACK

BIRD

ACADEMY

Liebe den Tod

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe 2025 by Penhaligon, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2025 by Stella Tack

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de)

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Redaktion: Ulrike Gerstner

Umschlaggestaltung und Artwork: © Isabelle Hirtz, Inkcraft, unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com (GoodStudio; NadezhdaShu)

Karte und Wappen: © Thilo Corzilius

DK · Herstellung: fe

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-29880-7V001

www.penhaligon.de

Für Christiane und Lukas, die meine Freunde wurden, als ich wirklich welche gebaucht habe, und es bis heute sind.

1. Lektion

Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.

Sokrates

1

Crain

Exorzisten/KlassenStufe 4 Monster

Hunter erhalten eine umfangreiche Ausbildung in Nahkampf und Waffen. Geschick, schnelle Reaktionen, rohe Kraft und Ausdauer sind hier vor allem erforderlich. Hunter werden, wenn nötig, auch bei Wiedergängern eingesetzt (hierbei ist im dritten Jahr erneut eine Spezialisierung nötig).

Hunter werden ausgesandt, um Kreaturen aufzuspüren und einzufangen. Dabei ist vor allem Geschick und Hinterlist unabdingbar sowie ein umfangreiches Wissen und Können im Fallenstellen.

Hunter sind essenziell wichtig und auch am weitesten verbreitet. Sie gelten als die Typen für das »Grobe« und arbeiten meist in Zweierteams.

Zwanzig Jahre zuvor

Nanny Gertrude hatte diese Art, die Bettdecke um ihn so festzustecken, dass er keine Luft mehr bekam. Sie packte beide Enden und rammte sie mit beängstigender Wucht unter die Matratze, bis sich der Stoff so stramm zog, dass es Crain die Luft abschnürte. Seine Füße kribbelten unangenehm von der abgeschnürten Blutzufuhr. Er war so eng ans Bett gefesselt, dass er es nicht schaffte, seine Sohlen aneinanderzureiben, um die Kälte darin zu vertreiben. Selbst seine Arme steckten unter der Decke. Er schaffte es kaum, den Kopf zu drehen. Bewegungsunfähig lag er auf dem Rücken, seine Zunge war taub von der scharfen Mundspülung. Ihm wurde jedes Mal schlecht davon. Er starrte an die Zimmerdecke. Die krächzende Stimme von Nanny Gertrude hallte dabei durch sein Zimmer.

»Dieser vermaledeite Baum. Wie oft habe ich dir gesagt, dass ihr da nicht raufklettern sollt? Dutzendfach! Er ist über hundert Jahre alt, natürlich sind die Äste morsch. Dein Vater wird mir zustimmen, dass wir den Baum morgen fällen müssen. Gott bewahre, du hättest dir das Genick brechen können. Was ist nur in dich gefahren, bis ganz nach oben zu klettern?«

Crain glaubte zwar nicht, dass sie tatsächlich eine Antwort darauf wollte, dennoch öffnete er den Mund und sagte: »Ich wollte nur schauen, ob dort oben Feen leben. Falco sagte, sie flattern in den höchsten Baumkronen und …« Er schaffte es nicht, den Satz zu beenden.

Sie schnaubte, was ihre lange, gekrümmte Nase seltsam aufblähte, und stopfte das Bettlaken noch einmal so fest, dass Crain für einen kurzen Augenblick die Luft wegblieb.

»Keine Lüge der Welt ist es wert, sich alle Knochen zu brechen. Du solltest aufhören zu träumen. Dein Vater hat das nie getan. Er hat immer gesehen, was getan werden muss, und hat nie mit Träumereien seine Zeit verschwendet. Wie soll aus dir der neue Intendant werden, wenn du Hirngespinsten nachjagst?«, blaffte sie.

Crain schwieg. Es war sicherer, darauf nichts zu sagen.

»Du wirst eines Tages ein sehr mächtiger Mann sein, Crain, aber bis dahin hast du noch viel zu lernen. Deine Aufgabe ist es nicht, Feen zu jagen, sondern die Monster unter dem Bett.«

Crain schauderte. Obwohl sein Genick schmerzte, wollte er das Gesicht weiter wegdrehen, um sich Nanny Gertrudes Blick zu entziehen. Er fand, sie sah wie eine Hexe aus.

Sie musste uralt sein. Im dämmrigen Licht wirkten ihre Falten wie Krater, die Augen lagen tief in den Höhlen, und unter der dünnen Haut darunter schienen sich Blutergüsse zu sammeln. Ihre Nase war krumm, die langen weißen Haare hatte sie zu einem unfassbar großen Knoten am Hinterkopf gebunden, und ihre Finger fühlten sich hart und kratzig an, wenn sie ihn anfasste. Crain hasste es, wenn sie das tat. Aber Vater sagte, Nanny Gertrude wüsste genau, was sie mit verzogenen, kleinen Bengeln tun musste, um aus ihnen richtige Männer zu machen.

An diesem Punkt wusste Crain nicht, ob er überhaupt je ein Mann werden wollte, wenn er deswegen so sein musste wie sein Vater.

»Deine Mutter ist zudem schwanger, weiß Gott, sie hat Besseres zu tun, als sich Sorgen wegen dir zu machen.« Nanny Gertrude schnalzte mit der Zunge, und es klang, als würde sie die Luft dabei spalten.

Crains Nase juckte. Der jähe Drang war so unangenehm, dass sich der Reiz bis in seine Nasenwurzel zog, aber er konnte und durfte seine Hand nicht aus dem Bettlaken ziehen, bis Nanny Gertrude verschwunden war. Darum kniff er die Augen zusammen in der Hoffnung, sie würde gleich gehen. Er wollte allein sein. Gleichzeitig hatte er schreckliche Angst davor, was passierte, wenn das schwache Licht neben der Tür erlosch und er völlig allein in seinem Zimmer zurückblieb, dessen Decke so hoch war, dass die Stimmen wie ein Echo nachhallten. Sein Herz pochte viel zu schnell, während Nanny Gertrudes kratzige Stimme ihm unter die Haut ging und jeden seiner Schritte kritisierte. Sie hatte ihm heute Abend als Strafe für die dunklen Ränder unter den Nägeln diese so tief heruntergeschnitten, dass seine Fingerkuppen noch immer brannten.

Schließlich drangen die erlösenden Worte zu ihm durch. »Gute Nacht, Crain!«

»Nanny Gertrude?«, fragte Crain. Seine Stimme klang viel zu dünn und schwach durch den Raum. Die alte Vettel ragte vor ihm auf wie ein Geist und starrte ihn aus Augen an, in denen immer das Licht zu fehlen schien. Als wäre da nur unendliche Dunkelheit.

»Ja, kleiner Paracelsus?«

Crain biss sich auf die Unterlippe, aber die Angst juckte unter seiner Haut wie der Schlafanzug, aus dem er sich winden wollte.

»Könntest du unter meinem Bett nachsehen?« Die Worte entschlüpften ihm, bevor er sie zurücknehmen konnte. Crain kam es vor, als würde sie ihn mit schwarzen Knopfaugen ansehen.

»Warum sollte ich das tun?«, fragte sie, obwohl sie den Grund genau kannte.

Er hätte ab diesem Punkt still sein sollen, die Lider schließen und diese erst wieder öffnen, wenn die Sonne durch den Spalt der viel zu hohen Vorhänge fiel. Doch er sagte es trotzdem: »Wegen des Monsters unter meinem Bett.«

Er spürte die Scham in ihm hochkommen, während Nanny Gertrude einfach nur auf ihn hinabstarrte. Ihre Falten schienen noch tiefer zu werden und die Haut von ihren Knochen abzusacken, als würde sie gleich wie flüssiges Wachs auf ihn hinabtröpfeln.

»Aber, Crain«, tadelte sie und beugte sich zu ihm hinab, sodass er ihren unangenehmen sauren Geruch einatmen musste. »Du bist ein Paracelsus und alt genug, das Monster unter dem Bett selbst zu töten. Solange du das nicht schaffst, wird es dir auch Gesellschaft leisten.« Sie lächelte und legte etwas neben ihm ab.

Ein Rosenkranz. Die Perlen waren schwarz und sahen abgerieben aus. Am Ende hing kein Kreuz, sondern ein seltsames Symbol. Es erinnerte Crain an den nackten Schädel eines Raben. Er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, doch er schluckte sie runter. Wenn er jetzt weinte, würde es nur schlimmer werden.

»Gute Nacht«, sagte Nanny Gertrude erneut, drehte sich um und verließ das Zimmer, dessen Dielen knackten wie morsche Knochen. In der nächsten Sekunde erlosch das Licht, und Crain blieb in der Finsternis zurück.

Sein Atem stockte, als sich die Angst schwer wie ein Stein in seinen Magen legte. Seine Finger und Zehen wurden kalt wie Eis, ehe er die Augen so fest zusammenkniff, wie es möglich war, und darauf hoffte, der Schlaf würde ihn schneller holen als das Monster unter dem Bett.

Stille kroch ihm entgegen. Das Haus seiner Familie wirkte in diesem Augenblick viel zu groß, leer und endlos. Er wünschte, er hätte noch Mister Bär, aber Nanny Gertrude hatte ihm das Kuscheltier direkt an dem Tag abgenommen, an dem er sechs geworden war. Es war Zeit, erwachsen zu werden, hatte sie gesagt. Der Ernst des Lebens würde jetzt beginnen.

Crain lauschte dem Knacken des Gebälks. Draußen heulte der Wind ein leises Klagelied. Der Ast des großen Kastanienbaumes, von dem er heute Nachmittag gefallen war, schlug gegen die Scheibe. Er klang beinahe, als würden die Finger von Geistern über das verzogene Glas streichen und versuchen, sich einen Weg zu ihm hindurchzukratzen.

Zitternd sank er so tief er konnte in sein Kissen hinein. Hoffte, die Daunen würden ihn verschlucken und die Welt aussperren. Er betete still, es würde ruhig bleiben. Manchmal tat es das.

Gerade als die Müdigkeit über die Angst zu siegen begann, hörte er es. Man hätte es für einen weiteren Windzug halten können, der durch das Geäst strich. Nicht mehr als ein Rasseln, beinahe ein Röcheln. Wenn man die Ohren stärker spitzte, erkannte man das Geräusch. Es war ein Atmen. Und es kam unter seinem Bett hervor.

Crain unterdrückte ein Schluchzen, auch wenn er hoffte, es würde einfach weggehen.

Manchmal tat es das auch.

Ab und zu blieb es einfach unter seinem Bett und atmete röchelnd.

Manchmal.

Heute war kein solcher Tag.

Im nächsten Augenblick spürte er es. Etwas war auf seiner Matratze. Er spürte die Bewegung auf seiner Decke.

Die Angst lähmte ihn, als er durch seine Wimpern linste. Eine viel zu lange Hand schob sich unter seinem Bett hervor. Die Haut war bleich wie bei einem toten Fisch, dunkle Venen hoben sich davon ab. Auch die Finger schienen zu lang zu sein, als hätten sie ein Glied zu viel und endeten in langen, gekrümmten Nägeln, die sich jetzt in seine Decke bohrten.

Das röchelnde Atmen wurde lauter. Hungriger. Etwas tropfte zu Boden, und Crain wusste, dass es Speichel war, der dem Monster von den Lippen troff.

Sein ganzer Körper rebellierte vor Angst. Seine Muskeln zuckten unkontrolliert und wollten ihn zur Flucht treiben, aber Nanny Gertrude hatte ihn praktisch ans Bett gefesselt. Er konnte nichts tun, außer mit wachsendem Entsetzen zu beobachten, wie auch ein zweiter Arm unter seinem Bett hervorkam. Langsam und gemächlich und viel zu lang. Beinahe wie das Bein einer Spinne, dessen spitzer Ellenbogen sich in unmögliche Richtungen biegen konnte.

Mit einem leisen Knirschen packte auch die zweite Hand die Decke. Das Blut pochte in Crains Ohren. Wie ein Nagetier, dessen Schwanz in einer Falle feststeckte, beobachtete er, wie sich ein kahler Schädel aus dem Schatten erhob. Sich Stück für Stück unter seinem Bett hervorschob und ihn mit leblosen schwarzen Augen und einem viel zu breiten Lächeln anstarrte. Das Monster lächelte immer. Die lippenlosen Mundwinkel bogen sich dabei von einem Ohr zum anderen.

Crain blickte das Wesen an. Wie beinahe jede Nacht, seit er denken konnte. Seine Angst verwandelte sich in etwas Seltsames. Es war so intensiv, dass es in seine Knochen einsank und ihn schwer wie Zement werden ließ. Das Monster knurrte, und Crain spürte, wie etwas Warmes und Nasses an seinen Beinen entlanglief und in die Matratze sickerte.

Morgen früh würde Nanny ihn dafür bestrafen. Sie machte keinen Hehl daraus, wie wenig sie davon hielt, dass Crain noch immer ins Bett machte. Mit einer bedauernden Stimme erzählte sie jedem davon, um dann hinzuzufügen, dass sie nicht wisse, was sie noch alles mit dem Bengel tun sollte.

Crain würde sich morgen dafür schämen. Im Augenblick spürte er jedoch nur den warmen Strom, der die Matratze unter ihm aufweichte, seine Pyjamahose durchnässte und wie der stechende Geruch sich mit dem von purer Angst in seinem Mund mischte.

Das Monster sagte nichts. Das tat es nie. Es kam Crain vor, als würde es wie ein lebendig gewordener Albtraum auf ihn herabsteigen. Auch der restliche Körper war bleich wie der eines Toten. Der Rücken gekrümmt, als hätte es einen Buckel, und es war so dünn, dass man jede Rippe und jeden Wirbel hervorstechen sehen konnte.

Wie eine Spinne krabbelte das Monster auf Crains Bett und hockte sich über ihn. Das Gesicht ragte vor ihm auf. Kahl, nackt, deformiert. Obwohl es so groß war, spürte Crain kaum dessen Gewicht. Als wäre das Wesen innen hohl – nicht mehr als Haut, die sich über Dunkelheit spannte.

Crain öffnete den Mund, um zu schreien. Es wünschte sich, sein Vater würde ins Zimmer kommen und ihn retten. Er hoffte, seine Mutter könnte ihn in den Arm nehmen und so lange wiegen, bis die Angst endlich wegging. Nichts davon passierte. Niemand kam ihn retten.

Und so blieb der Schrei stumm in seinem Mund zurück, während eine matte Hilflosigkeit seine Gedanken vernebelte. Die Mundwinkel des Wesens zogen sich noch weiter auseinander. Ein Rinnsal schleimigen Speichels floss hinab, traf Crain an der Stirn und tropfte träge weiter. Hätte er sich nicht bereits eingepinkelt, wäre es spätestens jetzt passiert.

Das Wesen beugte sich zu ihm hinunter und sperrte den Mund auf, enthüllte einen gigantischen Schlund. Eine lange, gespaltene Zunge schnellte hervor und leckte über Crains Haut. So rau wie die einer Katze. Crain wimmerte, und das Geräusch verhallte viel zu laut in dem großen, leeren Kinderzimmer. Mit eiskalten Händen packte es Crains Gesicht, um ihn ruhig zu halten, dann leckte das Monster über Crains Lippen, als wollte es die Stimme des Jungen kosten.

Crain heulte auf. Es klang spitz und schrill. Fast wie der Schrei eines sterbenden Tieres.

Am Rand seines Bewusstseins spürte Crain ein unangenehmes Kribbeln. Ein Ziehen, ein Zerren. Das Wesen schürte seine Angst, steigerte sie immer weiter und fraß sich damit voll.

Da war zu wenig Luft in seiner Lunge. Crain keuchte. Dunkle Flecken tanzten vor seinen Augen.

Der Junge starrte in den Rachen des Ungetüms, und in seinen Kopf bohrte sich kurz vor der drohenden Bewusstlosigkeit ein Gedanke wie eine Nadel. Einer, der ihm bisher fern gewesen war.

Es kam niemand in sein Zimmer, um ihn zu retten, weil sie ihn sterben sehen wollten.

Er würde sterben.

Langsam.

Tag um Tag.

Das Monster saugte ihm das Leben aus den Knochen wie sein Vater das Mark aus Hühnerbeinen. Und wenn es fertig war, würde von ihm nichts weiter zurückbleiben als ein Häuflein Haut und Knochen.

Und sein Vater rettete ihn nicht vor dem Monster unter dem Bett, weil er es nicht verdient hatte, zu leben, wenn er kein echter Dämonenjäger war.

Crain spürte die Pisse an seinem Bein und wusste mit absoluter Gewissheit, dass aus ihm niemals ein Exorzist werden würde. Er war nicht wie sein Vater.

Das wusste der auch.

Und darum ließ er Crain zum Sterben zurück.

Jede Nacht.

Crain würde nicht überleben.

Weil er schwach war.

Der Gedanke an sein Ableben hatte beinahe etwas Befreiendes an sich.

Etwas Erleichterndes.

Crain fragte sich, was passieren würde, wenn er das Maul des Monsters packte und seinen Kopf einfach hineinsteckte. Sich mit Haut und Haaren fressen ließ.

Würde es wehtun?

Oder wäre dann endlich alles vorbei?

Die Angst?

Das Gefühl, unzureichend zu sein?

Die Einsamkeit?

Der Schmerz … so viel Schmerz.

Vielleicht war dieses Monster gar kein Fluch, sondern seine Erlösung.

Die Angst in seinem Inneren erlosch wie eine Flamme, die man urplötzlich ausblies.

Das Monster hielt irritiert inne. Es klappte sein Maul zu und blickte auf den Jungen hinab, ohne zu blinzeln. In den leblosen Augen sah Crain sich selbst.

Er lächelte. Es würde alles gut werden. Wenn er jetzt starb, müsste er nie wieder Schmerzen haben.

Der Dämon neigte den Kopf zur Seite. Eine ruckartige Geste wie bei einem Vogel. Seine Zunge schnellte wieder hervor und schleckte über Crains Wange. Kostete.

Ein kleines Ächzen entwich dem Jungen.

»Wie … Wie heißt du?«

Es brauchte einen Moment, bis Crain begriff, dass er selbst gesprochen hatte. Er hatte noch nie etwas zu dem Monster gesagt. Zumindest nicht mehr als verzweifelte Schreie oder Schluchzer.

Das Monster schien genauso überrascht zu sein wie er selbst. Es wich zurück, als hätte es sich verbrannt. Ein Zischen entwich ihm.

Crain zog laut die Nase hoch. Rotz hatte sich darunter gesammelt. Es schmeckte salzig auf seinen Lippen, doch er sprach weiter. »Hast du einen Namen? M…meiner ist C…Crain.« Er schaffte es nicht ganz, das Zittern aus seiner Stimme zu vertreiben, aber er fand es wichtig, dem Monster seinen Namen zu sagen, bevor es ihn fraß oder aus seinem Bett raubte.

Vielleicht sah das Ungetüm nur schrecklich aus. Vielleicht musste es ihn gar nicht fressen, sondern konnte ihn mitnehmen. Weg von hier. Raus aus dem Haus. Fort von seinem Vater.

Sein Puls beschleunigte sich vor Aufregung, während das Monster zurückwich wie eine scheue Katze.

»Kannst du sprechen?«, fragte Crain.

Der Dämon zog die langen Gliedmaßen ein, sprang vom Bett und verschwand darunter.

»Warte!«, rief Crain, und endlich gehorchten seine Muskeln wieder. Er stemmte sich gegen die Decke, riss daran, bis sich die Enden endlich aus der Unterseite der Matratze lösten. Luft rauschte durch seine Lunge. So viel, dass ihm fast schwindelig wurde. Er blinzelte die schwarzen Flecken von seinem Blickfeld weg, ehe er vom Bett rutschte. Der Urin hatte seinen gesamten Rücken durchnässt. Der Pyjama klebte an seiner Haut fest.

Der Boden war eiskalt, als er sich auf den Bauch fallen ließ und unter das Bett blickte. Etwas, das er bisher immer vermieden hatte.

Sein Puls hämmerte. Das Wesen war noch da. Es klammerte sich wie eine Spinne an dem Lattenrost fest. Den Kopf seltsam verdreht, starrte es ihn an. Es zischte, als hätte es Angst vor Crain.

Der Junge streckte die Hand aus.

Das Monster zögerte, als wüsste es nicht genau, was es tun sollte.

»Hallo«, sagte Crain und unterdrückte den Drang, ein Geräusch zu machen, wie um eine Katze anzulocken. Die Zunge des Monsters schnellte hervor, als würde es die Luft kosten, ehe es schließlich eine lange Hand ausstreckte. Crain hielt angespannt die Luft an, als ihre Fingerspitzen sich berührten.

»Ich bin Crain«, flüsterte er erneut. Der Griff des Monsters verstärkte sich, und plötzlich hörte er etwas. Es klang verzerrt und rau, beinahe guttural, aber er verstand es dennoch.

»Ich … bin Zess.«

Und so erfuhr Crain Paracelsus, dass auch Monster Namen hatten.

2

Leaf

Exorzisten/KlassenStufe 2 Dämonen

Shintonisten gelten als die stärksten Kämpfer und Exorzisten, da sie nicht nur körperlich kraftvoll sind, sondern auch starkes Arcanum besitzen. Ihre Aufgabe ist es, den Dämon bei einer Besetzung auszutreiben, zu versiegeln oder zu töten.

Shintonisten opfern Teile von sich selbst, um Stärke zu gewinnen.

Kleine gängige Opfer können u. a. der Verlust einer der Sinne, die Farbe der Haare oder der Haut sein. Alte Shintonisten sind oftmals beinahe vollkommen farblos.

Ihre Verbindung zum Dämonenreich macht sie zudem höchst anfällig für Kontrollverlust.

»Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist …«

»Lore …«

»Nein, Dummerchen, du kannst mich nicht sehen. Es ist …«

»Lore!«

»Grau!«

»Lore, ich schwöre bei Gott, wenn du nicht aufhörst, finde ich einen Weg, von diesen Ketten loszukommen, erdrossel dich, und dann siehst du die Radieschen von unten!«

Ein kurzes, eindeutig beleidigtes Schweigen antwortete mir. Man hatte Lore und mich Rücken an Rücken aneinandergefesselt. Mein Po pochte von dem unbequemen Stuhl, auf dem ich seit einer gefühlten Ewigkeit saß. Alles schmerzte von den Ketten, in die sie uns gewickelt hatten wie ein perverses BDSM-Geschenk.

In meinen Beinen und Armen steckten so viele Spikes, dass ich mir vorkam wie ein Nadelkissen. Die langen, stricknadelähnlichen Stäbe bohrten sich durch mein Fleisch und sollten den potenziellen Dämon in mir daran hindern, den Körper zu verlassen.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht mehr genau sagen, ob die Exorzisten zu Tode verängstigt oder einfach nur dämlich waren. Ich wusste wirklich nicht, was ich noch tun musste, um zu beweisen, dass ich kein Lord-Dämon war. Aus mir gab es nichts, was entweichen könnte, außer vielleicht ein heißer Furz. Sie hatten mich völlig umsonst vollgespikt. Aber hörte jemand auf mich? Nein!

»Es ist die Wand«, sagte Lore hinter mir.

Ich seufzte.

»Die Wand ist grau! Das macht sechzig zu fünf für mich. Nimm’s mir nicht übel, aber du bist wirklich kacke in diesem Spiel.«

»Lore, wir sitzen hier in einer mittelalterlichen Gefängniszelle. Alles hier unten ist grau«, stieß ich zwischen meinen Zähnen hervor.

»Pardon? Hast du etwa das leuchtende Rot vorhin vergessen, als der nette Exorzist mir eins hart auf die Nase gegeben hat?«

»Nun, du hättest ihm vielleicht keine schnelle Nummer anbieten sollen, wenn er uns dafür rauslässt.«

»Fluchtversuche sind meine Spezialität. Die Erfolgsquote für eindeutig zweideutige Angebote steht fifty-fifty. Außerdem dachte ich, du würdest dich freuen, wenn ich mich selbst anstatt deiner dafür anbiete.«

»Ja, das war sehr nett.«

»So bin ich nun mal. Nett und verdammt gut in Ich sehe was, was du nicht siehst, und wenn er mein Angebot angenommen hätte, hätte uns mein Penis gerettet.«

»Ganz bestimmt.«

Einfach weil die Situation so absurd war, giggelten wir beide los, ehe ich meinen Hinterkopf an den von Lore lehnte und an die Decke starrte. Sie war in einem etwas dunkleren Grau gefärbt. Das würde ich in der nächsten Runde nehmen.

»Wie kannst du in dieser Situation nur so ruhig bleiben?« Ich ärgerte mich schon nicht mehr darüber, dass er die Gefahr so gar nicht ernst zu nehmen schien. Ich wunderte mich nur noch.

Lore rutschte auf dem Stuhl hin und her.

Seine nächsten Worte klangen allerdings weniger amüsiert, eher sanft. Seine Stimme floss über mich, als würde er mir über die Haut streicheln, und es war mir unmöglich, zu sagen, ob diese Geste die eines Liebenden oder eines Freundes war. Vielleicht beides. Vielleicht nichts davon. Es war schwer, Lore für mich in eine absolute Schublade zu stecken, denn er wechselte sie so schnell, dass es mich emotional noch mehr verwirrte als ohnehin schon.

»Weißt du, ich bin bereits auf jede erdenkliche Art und Weise gestorben. Ich wurde erschlagen, erstochen, verbrannt und gevierteilt. Ich wurde vergiftet, gehäutet, gekreuzigt. Man hat mich eingesperrt, bis ich verhungerte. Viele, viele Male habe ich den Verstand verloren. Ich wurde getötet, ich habe getötet. Manchmal war ich gut, manchmal war ich böse, manchmal war ich ein Star und manchmal ein verschrobener Einsiedler mit nicht mehr als einem Pappkarton, auf dem ich schlafen konnte. Meine Existenz ist grausam, erschreckend, wundervoll, berauschend. Aber irgendwann verliert man die Angst vor dem Tod. Man verliert die Angst vor den Schmerzen. Und irgendwann verliert man alles. Selbst den Sinn fürs Leben. Unsterblichkeit ist eine seltsame Sache. Was ich also eigentlich damit sagen will: Man gewöhnt sich daran zu sterben. Das wirst du auch.«

Seine Stimme verhallte wie ein Echo zwischen uns und sickerte zwischen die kalten Wände der Katakomben des Necromancer-Gebäudes, in das man uns eingeschlossen hatte.

»Du sagst das so, als wärst du dir sicher, dass ich unsterblich bin. Vielleicht bin ich das gar nicht«, warf ich ein und spürte, wie Lore hinter mir widersprechen wollte. »Das Q-Gen hat mich zu keinem Lord-Dämon gemacht, sondern zu einem Homunkulus, und jetzt wächst da ein Dämon in mir wie ein Geschwür, das sich selbst Q nennt. Soweit ich weiß, kann man Homunkuli töten, darum verstehe ich zwar, dass du entspannt bist, was das ganze Köpfen angeht, aber ich habe da so meine Zweifel. Am Ende bin ich vielleicht ebenfalls nur eine Hülle. Wer weiß, was das Ding da in mir wirklich ist!«

»Vielleicht bist du es selbst? Ein ganz, ganz böser Teil? Darf ich sagen, dass mich so ein paar multiple Persönlichkeiten anmachen?«

»Nein! Ich bin mir sicher, dass es nicht so ist! Verflucht Lore, kann es sein, dass du diese Q-Sache nicht ernst nimmst?«

»Du hast recht. Ich weiß nicht, ob das Gen in dir dich unsterblich gemacht hat, und die Sache mit Q irritiert mich. Ich habe von so was noch nie gehört, aber …«

Was auch immer nach diesem »Aber« hätte kommen sollen, wurde von einem quietschenden Geräusch unterbrochen. Wir sahen beide gleichzeitig auf. Da man uns eben erst etwas Wasser gebracht hatte, gab es vielleicht einen kleinen Happen zu essen. Ich war verdammt hungrig, wobei ich mir nicht sicher war, ob dieser Hunger sich auf Wurstbrot oder Seele bezog.

»Leaf? Lore?«, drang eine vertraute Stimme zu uns durch, und ich stieß erleichtert die Luft aus, als in der Sichtluke ein helles Paar Augen erstrahlte.

»Zero? Was machst du hier?«, fragte ich, darum bemüht, nicht ganz so zittrig zu klingen, wie ich mich im Augenblick fühlte.

»Ein Necromancer von hier schuldet mir noch einen Gefallen. Er hat mich zu euch gebracht, aber ich befürchte, ich kann nicht lange bleiben, bevor sie mich rausschmeißen. Ich stehe ohnehin schon unter Beobachtung.« Unruhige Bewegungen waren zu hören, ehe Zero so leise fortfuhr, das er kaum zu verstehen war. »Ich suche einen Weg für euch hier raus.«

»Kannst du das bitte schneller tun? Mein Hintern ist eingeschlafen«, sagte Lore.

Zero murrte etwas vor sich hin, ehe er lauter sagte: »Das ist wirklich nicht so einfach. Gerade ist wahrscheinlich jeder Exorzist in London scharf darauf, euch umzubringen.«

Ich stöhnte.

Lore lachte.

»Es gibt in London keine Katakomben, die besser gesichert sind als die, in denen ihr euch befindet. Um hier rauszukommen, müsstet ihr euch einen Weg praktisch frei sprengen, und ich weiß nicht, ob ich euch das empfehlen kann«, erklärte Zero.

»Können wir etwas tun, um hier herauszukommen?«, fragte ich mit sehr viel Nachdruck in der Stimme.

»Bestechung hat schon mal nicht funktioniert«, warf Lore ein.

»Ich befürchte, ihr könnt gerade nichts tun, außer durchhalten«, zerschmetterte Zero meine Hoffnungen.

»Sie bereiten sich gerade auf die letzten Spiele vor. Die Exorzisten werden eine Hetzjagd auf euch veranstalten. Crain ist gerade beim Intendanten, um euch mehr Zeit zu verschaffen, und ich versuche, hier einen Ausweg zu finden. Ihr müsst dafür nur etwas tun, um all das in die Wege zu leiten.«

»Was sollen wir tun?«, fragte ich noch nachdrücklicher.

Ein kurzes Zögern. »Kann vielleicht Q etwas tun?«

Ich verzog das Gesicht. »Das geht leider nicht.«

»Und warum?«

»Ich bin mir nicht sicher, sie will … nicht raus.« Ich biss mir auf die Zunge und suchte in mir nach dem Dämon, versuchte, sie die ganze verfluchte Zeit schon nach oben zu treiben und sie rauszulassen. Verflucht noch mal, ich war mir beinahe sicher, dass sie uns hier einen Weg durchsprengen könnte, und sosehr ich es vermeiden wollte, ein Blutbad zu veranstalten und die Kontrolle an diese Irre abzugeben, wollte ich es noch mehr vermeiden, in wenigen Stunden wie ein Karnickel von einer Horde Exorzisten durch London gejagt zu werden.

Aber etwas stimmte nicht …

Seit dem Vorfall in den Katakomben war Q still, ihre Präsenz so wenig wahrnehmbar, als hätte sie sich beinahe komplett aus meinem Verstand zurückgezogen. Was ich vor einem Tag noch begeistert willkommen geheißen hätte, sorgte jetzt in mir für einen halben Wutanfall.

Da brauchte man sie einmal, und sie weigerte sich vehement, das Ruder zu übernehmen. Ich biss mir wütend auf die Zunge und hasste es, wie schutzlos ich mich in diesem Augenblick fühlte. Wie nutzlos ich selbst war.

Ich spürte Lore hinter mir, als würde er seine Augen praktisch nach innen drehen, um mich viel intensiver anstarren zu können, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mehr ahnte, als er zugeben wollte.

»Na gut«, drang Zeros Stimme zu mir durch. »Haltet erst mal noch die Füße still. Soweit ich gehört habe, wird Gabriella Hall euch noch einen Besuch abstatten. Sie hat die Anweisung, ein Schuldeingeständnis aus euch herauszupressen.«

»Welche Schuld?«, fragte ich, und etwas an der Stille, die darauf folgte, gefiel mir nicht.

»Sie wollen euch den Tod an Tempest und Vane anhängen, die nach den Spielen in den Katakomben gefunden wurden. Allein das schon reicht aus, um euch ohne Konsequenzen zu töten. Zudem ist Lore wohl in die Academy eingebrochen, hat dort mit einem Komplizen andere Exorzisten getötet und sowohl Falco als auch Tahir gekidnappt.«

»Du hast was?«, blaffte ich.

»Das habe ich nicht!«, erwiderte Lore empört. »Zumindest die Sache mit der Entführung.«

»Um Gottes willen Lore, warum tust du so was?«

»Um dich zu retten, und die Exorzisten standen viel zu motiviert im Weg.«

»Ich kann nicht … Darüber reden wir noch. Was ist mit Falco?«, fauchte ich.

»Ich habe keine Ahnung, das letzte Mal als ich ihn gesehen habe, hat er Kain eingesackt und sah insgesamt sehr unentführt aus.«

»Warum glaube ich dir das nicht?«

»Wann hätte ich denn Zeit gehabt, die zwei zu entführen?«

»Ich traue dir alles zu.«

»Danke, aber in diesem Fall bin ich unschuldig.«

Ich verzog das Gesicht.

»Hört ihr mir bitte zu?«, warf Zero ein.

»Ja«, sagte ich.

»Nein«, sagte Lore.

Zero seufzte. »Wenn Gabriella bei euch ist, gebt nichts zu. Je weniger sie gegen euch in der Hand haben, desto länger können wir den Prozess in die Länge ziehen. Versucht, sie dazu zu bringen, Crain zu euch zu lassen.«

Aufmerksam hob ich den Kopf. »Warum …«, setzte ich an.

Zero unterbrach mich. »Ich hab keine Zeit mehr. Bringt sie einfach dazu, egal, wie. Den Rest lösen wir dann. Aber bis dahin baut keinen Mist.«

»Seit wann bauen wir denn Mist?«, fragte Lore.

Zero ging nicht darauf ein, stattdessen war das Scharren von Schuhen zu hören. »Ich muss jetzt los. Wartet auf weitere Anweisungen«, sagte er, und im nächsten Moment entfernten sich seine Schritte.

»Zero?«, rief ich, bekam aber keine Antwort mehr. Eine Weile war nichts weiter zu hören als Lore und mein Atem, bevor ich die Schultern straffte.

»Ich kann nicht fassen, dass du in die Akademie eingebrochen bist und Exorzisten getötet hast.«

Bevor er etwas erwidern konnte, erklangen erneut Schritte. Lauter, aggressiver diesmal. Da waren mehrere Leute unterwegs.

Die kleinen Härchen in meinem Nacken stellten sich auf, als ich mich fragte, seit wann mein Gehör so gut geworden war, dass ich Geräusche durch solch dicke Türen wahrnehmen konnte. Bevor ich mir allerdings das Hirn darüber zermartern konnte, knallte es.

Die Tür flog mit einem dramatischen Krachen auf.

Gabriella Hall betrat den Raum, flankiert von zwei Exorzisten, die wie die Men in Black hinter ihr aufragten. Die Präsenz der Exorzisten jagte mir einen so heftigen Schauer über den Rücken, dass meine Muskeln zu zittern begannen.

Obwohl diese Frau mit Sicherheit jede Emotion für Macht geopfert hatte, kam es mir so vor, als würde ein zufriedenes Lächeln über ihre Lippen huschen. Oho, sie genoss das hier jetzt schon.

Sie trug die volle schwarze Black-Bird-Montur. Mit gemächlicher Eleganz streifte sie sich Handschuhe über, während einer der Exorzisten etwas in den Raum rollte. Es schepperte, und ich erhielt freie Sicht auf einen Tisch, der mit einem strahlend weißen Laken zugedeckt war. Mein Magen rebellierte bei dem Anblick.

»Ich sehe was, was du nicht siehst, und das sieht schmerzhaft aus«, raunte Lore mir zu.

Ich wollte lachen und ihn gleichzeitig treten.

»Wie schön. Noch mehr Besucher. Bitte zieht die Schuhe aus, der Boden ist neu«, flötete der Dämon lauter.

»Ich weiß, du hast keinen Selbsterhaltungstrieb, aber in diesem Fall solltest du ganz schnell die Klappe halten«, flüsterte ich ihm zu. So wie Gabriella uns gerade musterte, stand sie kurz davor, uns in kleine Stücke zu zerhacken.

»Nun, Miss Young, wie es aussieht, habe ich Sie endlich dort, wo Sie hingehören.« Gabriella kam auf mich zu. Die Stiefel das dritten Ratsmitglieds des Paracelsus-Ordens verursachten bei jedem Schritt ein unangenehmes Klicken.

Ich musste mich daran erinnern, dass Gabriella wie Falco eine Shintonistin war. Und leider eine verdammt mächtige dazu. Diesmal war sie nicht hier, um zu reden, sondern um alles auszupacken, was ein Shintonist konnte, um einem Dämon das Leben schwer zu machen. Selbst wenn ich kein Lord-Dämon war, würde das, was gleich passierte, vermutlich sehr wehtun.

»Tertius Exekutivus Hall, was kann ich für Sie tun?«, fragte ich so freundlich, wie ich konnte.

»Sie können direkt anfangen zu reden. Tun Sie es nicht, bringen wir Sie dazu.« Sie deutete auf die Men-in-Black-Kerle in sich, die sich wie Bodyguards vor der Tür positioniert hatten. Sie starrten, ohne zu blinzeln, auf einen Punkt über meinem Kopf, die Schultern gestrafft, die Krawatte so festgezurrt, dass es mich wunderte, wie sie Luft bekamen.

»Was wollen Sie denn wissen?«, setzte ich an, aber Gabriella Hall wandte sich bereits von mir ab und trat zu Lore.

Ein Schmunzeln lag in seiner Stimme, als er sagte: »Sie sind also Gabriella Hall. Es freut mich, eine Exorzistin mit solch furchtbarem Ruf kennenzulernen. Man erzählt kleinen Lord-Dämonen von Ihnen als Schauermärchen, wissen Sie das? Kann ich ein Autogramm haben?«

Ich verdrehte den Kopf und schaffte es, Gabriella aus den Augenwinkeln zu sehen. Sie lächelte nicht, aber wieder lag da dieser beinahe zufriedene Ausdruck in ihrem Blick. Wie eine Katze, die einen Sahnetopf vor sich hatte.

»Ich muss zugeben, ich bin ebenfalls beeindruckt. Den Prinzen eines Dämonensyndikates hat man nicht jeden Tag zu Gast. Tatsächlich ist in der Geschichte des Ordens nur ein einziger Fall verzeichnet, in dem ein Prinz gefasst werden konnte. Das war 1970 in Nevada.«

Lore stieß ein Geräusch aus, das beinahe wie ein Lachen klang. »Das war mein Bruder Legion. Er prahlt bis heute damit. Habe allerdings gehört, die Sache ging nicht gut für euch aus.«

Überrascht schürzte ich die Lippen. Ich wusste, dass Lore neben Una noch Brüder besaß, nur hatte er bisher nie Einzelheiten dazu erwähnt.

Legion war mir neu, und es störte mich, dass Gabriella mehr darüber wusste als ich.

Diese schnalzte mit der Zunge. »Das ist korrekt. Allerdings hatten die Exorzisten damals keine Ahnung, wie sie mit einem Dämon von diesem Kaliber umgehen mussten. Nach nur einem Tag sprengte er die halbe Area 51 und konnte fliehen. An dem Tag starben über fünfzig Exorzisten.«

»Ein guter Tag«, stimmte Lore zu.

Es war amtlich. Der Dämon konnte selbst dann nicht seine Klappe halten, wenn sein Leben davon abhing. Aber er steckte im Körper meines Bruders, und den musste ich aus dieser Situation mit heiler Haut herausbekommen.

»Lore!«, warnte ich, aber Gabriella trat bereits nach vorn, und ich konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie sie Lores Gesicht grob packte.

»Wir haben ein paar Erkundigungen über dich eingeholt, Dämon. Ich musste dabei tief, sehr tief graben. Eine Arbeit, die schändlich von der Akademie in New York vernachlässigt worden ist, wenn du mich fragst. Wie es dazu kommen konnte, werden wir noch genauer untersuchen, aber wir haben ein paar sehr interessante Dinge über dich herausgefunden.«

»Sooo, habt ihr das?«, nuschelte Lore.

»In der Tat. Es war wie ein Puzzle mit Tausenden Teilen. Die Informationen über dich sind wirr und beinahe schon unzusammenhängend. Wirklich interessant wurde es jedoch erst, als wir auf einen Tagebucheintrag stießen – von Theophrastus Paracelsus selbst.«

Ihre Stimme hallte zwischen uns, als hätte sie etwas Superdramatisches preisgegeben. Ich selbst war noch verwirrt von dem komplizierten Namen, bis mir plötzlich ein Licht aufging. »Reden wir hier von dem Paracelsus, der die Exorzisten erschaffen hat?«

Gabriella trat von Lore weg und warf mir einen empörten Blick zu. »Er hat den Orden gegründet, nicht die Exorzisten erschaffen. Was bringen sie euch in New York eigentlich bei?«

»Soll ich ihr verraten, was Falco dir am liebsten beigebracht hat? Es reimt sich auf icken«, nuschelte Lore.

»Lass das«, gab ich brüsk zurück.

Die Exorzistin hingegen wirkte verwirrt. »Soll das ein Scherz sein?«, fragte sie.

»Ja!«, sagte ich, während Lore sagte: »Ficken! Reimen ist nicht deine Stärke, was? Sie haben es getrieben. Oft. Ich war meistens live dabei.«

Gabriella verengte die Augen, ihre Nasenflügel blähten sich ganz leicht.

Himmel … Konnte sich bitte ein Loch im Boden auftun, um mich zu verschlucken?

»Was war denn jetzt mit dem netten Paracelsus und Lore?«, versuchte ich verkrampft, das Thema von meinem Sexleben abzulenken.

»Das will keiner wissen«, wiegelte Lore schnell ab. Zu schnell.

Gabriella schnalzte mit der Zunge. »Oh, aber jetzt kommen wir erst zu dem interessanten Teil.«

»Ach, ich finde Falco hatte auch ein ganz interessantes Tei…« Ich knallte meinen Kopf, so fest ich konnte, nach hinten gegen Lores Schädel.

»Aua!«, stieß er hervor.

Mir tanzen Sterne vor den Augen.

»Bitte erzähl weiter. Wir sind gespannt«, knurrte ich.

Gabriella rückte irritiert ihre Handschuhe zurecht, aber sie sprach weiter. »Nun, der Gründer unserer Orden wurde laut Tagebucheintrag eines Nachts von grauenhaften Kreaturen angegriffen, ehe er von einem Fremden gerettet wurde, der sich mit dem Namen Lorenzius vorstellte.«

»Lorenzius?«, platze ich heraus.

Lore zuckte mit den Schultern. »Muss nicht zwingend ich gewesen sein.«

»Der Mann bestand darauf, Prinz Lore genannt zu werden«, präzisierte Gabriella.

»Lorenzius?«, prustete ich. Ich konnte es noch immer nicht fassen.

»Gibt keinen Grund, so zu lachen. Der Name war damals todschick«, erwiderte Lore, anscheinend nicht sehr motiviert, weiter so zu tun, als hätte er keine Ahnung, wovon Gabriella sprach.

»Wie auch immer.« Gabriella winkte ab, eindeutig am Ende ihrer Nerven. »Paracelsus schrieb davon, dass dieser sogenannte Lore nicht nur ein Prinz, sondern eine Kreatur der Dunkelheit sei, eine Ausgeburt der Hölle, dem er allerdings sein Leben verdanke. Und nicht nur das, laut den Tagebucheinträgen verbrachten beide viel Zeit miteinander. Paracelsus freundete sich mit jenem Dämon an, der ihm – und ich zitiere – sprichwörtlich die Augen für die Ungeheuerlichkeit der Welt öffnete und ihm die Idee mitgab, einen Orden zu gründen, um die Menschheit vor allem Übel zu bewahren.«

»Nein!« Entsetzt riss ich den Kopf noch weiter herum, bis mein Nacken schmerzte und ich ein wenig von Lore erspähen konnte. Er blickte schweigend zu Gabriella auf. Der Raum fühlte sich plötzlich an, als hätte jemand sämtliche Luft abgelassen.

Gabriella fuhr fort: »Laut den Aufzeichnungen gab es damals Probleme und Aufstände unter den Dämonen, zumindest bis Prinz Lorenzius Menschen mit besonderen Fähigkeiten um sich scharte, darunter Paracelsus, und diese zusammen die dämonischen Widerstände niederschlugen. Der Prinz verschwand anschließend, und Paracelsus gründete den Orden.«

Sie hielt inne, als erwarte sie, dass Lore etwas hinzufügte, aber dieser blieb sehr still.

Ich hingegen hatte Mühe, die beiden nicht mit offenem Mund anzuglotzen. »Lore, stimmt das? Hast du den Exorzistenorden gegründet?«

Lore zuckte mit den Schultern. »Höchstens aus Versehen. Aber um ehrlich zu sein, möchte ich mich dazu nicht äußern. Die Sache ist mir etwas peinlich.«

»Du hast aus Versehen einen Orden aus Exorzisten gegründet, der danach Tausende Dämonen getötet hat?«

Lore zuckte wieder mit den Schultern. »Jeder macht mal Fehler …«

Ich bekam spontan Kopfschmerzen. Gabriella Hall lächelte, aber es wirkte mehr wie ein Zähnefletschen. »Keine Sorge. Bis morgen früh haben wir noch eine Menge Zeit, miteinander zu plaudern, und angesichts der Umstände möchte der Orden sich etwas genauer mit euch unterhalten.«

»Wie nett, aber ich habe leider kein Interesse, mit euch ein Schwätzchen zu halten«, erwiderte Lore.

Gabriella sah zufrieden aus – ganz als hätte sie auf diese Antwort gehofft. »Das macht nichts. Ich habe es noch immer geschafft, jeden Dämon zum Reden zu bringen, und dich werde ich wie ein Vögelchen singen lassen. Ich schneide einfach jede Information Stück für Stück aus deinem Gehirn«, sagte sie beinahe liebevoll. »Morgen muss von dir gerade noch genug übrig sein, dass du davonlaufen kannst, und dann werden wir zusehen, wie der Prinz der Dämonen sprichwörtlich zur Hölle fährt.«

Ruckartig nickte sie jemandem hinter mir zu. In der nächsten Sekunde packte mich einer der Exorzisten und machte mit einem lauten Klirren die Ketten los.

»Hey, Griffel weg!«, blaffte ich den Kerl an, doch der verfrachtete mich einfach samt Stuhl ans andere Ende des Raumes, wo er mich wieder fachmännisch festkettete. Jetzt konnte ich Lore direkt ins Gesicht blicken. Oder vielmehr: musste.

Mir schwante Übles, als ich beobachtete, wie der dritte Exorzist den Wagen näher schob und das Tuch wegzog. Darunter kamen Instrumente zum Vorschein, die medizinisch anmuteten. Eines davon hob Gabriella an – ein feines Messer. Es war nicht viel größer als ein Skalpell, aber bei dem Anblick stieg mir die Galle hoch.

Lore blickte ihr desinteressiert entgegen, und ich musste mich an unser Gespräch erinnern. Er hatte bereits Schlimmeres erlebt.

Ich allerdings nicht.

»Also«, schnurrte Gabriella. »Fangen wir doch damit an, dass ihr mir erzählt, wie ihr Tempest umgebracht habt, und warum. Aber für jede kleine Lüge, die ihr mir auftischt, schneide ich ein Stückchen aus euch raus.«

Sie lächelte, und ich wusste, heute würde noch ein sehr beschissener Tag werden.

3

Falco

Exorzisten/KlassenStufe 1 Wiedergänger

Necromancer. Zu den Aufgaben der Necromancer gehört vor allem die Sicherung eines Geländes, das In-Sicherheit-Bringen von Zivilisten und das In-Schach-Halten von Wiedergängern. Darüber hinaus sind sie es, die den Ursprung von Wiedergänger-Nestern aufspüren, sie beseitigen bzw. zerschlagen, da Wiedergänger durchaus in größeren Gruppen auftreten können.

Hierbei ist zwar keine Begabung für Arcanum vonnöten, aber durch die starke Zusammenarbeit mit Wiedergängern ist eine Mithridatisation erforderlich, also eine Giftresistenz. Dabei werden jeden Tag Gifte in kleineren Dosen verabreicht, um den Köper des Necromancers resistent zu halten. Die Wirkungen davon sind mannigfaltig, und bei dem Tod eines Necromancers muss seine Leiche verbrannt werden, um zu verhindern, dass er/sie selbst als Wiedergänger wiedergeboren wird.

Necromancer nehmen durch den starken Kontakt des Wiedergänger-Gifts mehr von den Fähigkeiten eines Wiedergängers an und entwickeln dabei auch unmenschliche Stärke und Reflexe sowie bessere Nachtsicht. Jedoch auch ein starker Drang nach Blut kann auftreten, sodass sie eine tiefgreifende Selbstkontrolle benötigen. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der Necromancer umgehend getötet.

Luft presste sich durch meine Lunge, als hätte ich seit Stunden keinen Atemzug mehr getan.

Meine Muskeln brannten, und es fühlte sich an, als wäre jeder meiner Knochen im Leib gebrochen. Schmerz pochte in meiner Schläfe und verschleierte meine Sicht, als würde ich durch Milchglas blicken.

»Falco, du musst aufwachen.«

Die Stimme drang durch den Nebel in meinem Kopf wie ein leises Echo. Sie lockte mich aus der dumpfen Ohnmacht heraus.

»Leaf?« Meine Zunge fühlte sich schwer an. Ein Kloß saß in meiner Kehle, der die Worte beinahe zur Unverständlichkeit verzerrte.

»Falco! Wach auf.« Die Stimme wurde lauter. Eindringlicher. Eine Gestalt formte sich aus dem Nebel. Blass und von langen, dunklen Haaren umrahmt. Sie beugte sich über mich.

Etwas in meiner Brust zog sich heftig zusammen. Eine Mischung aus chaotischen Emotionen tobte dort, gefolgt von Verwirrung und Wut.

Die Umrisse schälten sich schärfer heraus, aber etwas stimmte nicht an dem Bild … etwas … jemand … Das war nicht Leaf. Meine Gedanken verknoteten sich, als ich mich fragte, warum es mich betroffen machte, nicht den kleinen Dämon vor mir zu sehen.

»Falco!«

»Tempest?« Meine Zunge fühlte sich noch immer viel zu schwer an, um Worte zu bilden, doch meine Gedanken fanden so weit in eine Position zurück, dass ich Stimme und Gesicht zuordnen konnte. Meine Verlobte hockte über mir. Ein gehetzter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Dennoch wirkte sie seltsam, beinahe konturlos.

»Tempest? Was ist passiert?«, murmelte ich, hob eine Hand, um ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu wischen. Im selben Moment glitten meine Finger einfach durch sie hindurch.

»Was …?« Der Schock versetzte meinem müden Hirn endlich genug Schwung, dass ich mich aufsetzen konnte. Doch etwas hielt mich fest.

Verwirrt sah ich mich um. Ich befand mich in einem unbekannten Raum, der seltsam steril wirkte. Graue Wände, die in hellerem Licht vermutlich weiß waren. Jemand hatte mich an eine Art Tisch geschnallt, der vage an einen Operationstisch erinnerte. Ich ließ den Blick schweifen, und etwas hinter Tempest erhaschte meine Aufmerksamkeit.

Beinahe verborgen in der Dunkelheit, standen große, gläserne Tanks. Schläuche stachen durch silberne Fassungen, beinahe wie gigantisch große Aquarien – nur dass in deren Innerem Menschen in einer hellen Flüssigkeit dümpelten. Die Schläuche, die von außen zu sehen waren, führten direkt durch ihre Kehlen und an jenen Punkt, an dem der Bauchnabel sein musste. Geisterhafte weiße Haare schwebten um ihre Gesichter. Es war zu dunkel, um mehr als ihre schwachen Schemen auszumachen, doch das genügte mir schon, um mir die Galle nach oben zu treiben.

»Wo bin ich hier?«, flüsterte ich und war mir kurz nicht sicher, ob ich tatsächlich wach war oder halluzinierte.

»Falco, hör mir zu«, zischte Tempest. Als sie ihre Hand ausstreckte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, fuhren ihre Finger erneut durch mich hindurch, als wäre da nicht mehr als Luft.

War ich die Luft? Oder sie?

»Was ist passiert?«, presste ich hervor.

Mit dunklen Augen sah sie mich durchdringend an. Traurig und gleichzeitig wütend. »Ich bin tot, Falco.«

Es dauerte in etwa drei Sekunden und einen Atemzug, bis die Bedeutung ihrer Worte bei mir ankam.

»Du bist was?«, war alles, was ich fragen konnte.

»Ich bin tot«, antwortete sie ungeduldig.

Ich starrte sie an und spürte, wie mein Herz schlug.

»Bin ich auch tot?«

»Nein. Zumindest noch nicht.«

»Was ist passiert?«, presste ich hervor.

Tempests Gesicht verzerrte sich schmerzlich. »Ich war unachtsam und eifersüchtig und dumm. Zu sehr damit beschäftigt, Leaf aus dem Weg zu räumen, um zu sehen, dass die Gefahr bereits mitten unter den Exorzisten ist. Una hat das ausgenutzt. Sie hat mir in den Katakomben das Genick gebrochen. Es ging schnell.«

Ich biss die Zähne so fest zusammen, bis ich Blut schmeckte.

»Ist das hier wirklich real?«

Ich hoffte, sie sagte Nein.

»Ja, Falco. Das ist es.«

Schmerz flammte in meiner Brust auf. Hässlich und roh, als ich sie anstarrte. Wie hatte das passieren können? Wie hatte meine Verlobte sterben können, ohne dass ich etwas tun konnte, ja nicht einmal etwas davon geahnt hatte?

Mein Selbsthass war bereits bodenlos, doch jetzt erreichte er einen neuen Tiefpunkt.

»Ich werde sie umbringen«, brachte ich tonlos hervor.

Tempest lächelte.

»Das hoffe ich doch. Aber wie es aktuell aussieht, werden sie schneller sein, dich zu töten als andersrum. Du steckst in Schwierigkeiten, Falco. Wir müssen dich hier rausbringen, bevor sie anfangen.«

»Anfangen? Womit? Tempest, wo bin ich hier? Was ist passiert?«

Tempests Blick wurde unstet, und ihre ohnehin schwachen Konturen flackerten.

»Du bist in Sunshine.«

»Sunshine? Was zum Teufel soll das sein?«

»Eine Homunkulus-Zuchtstation in Tokio.«

»In Tokio? Wie komme ich hierher? Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, ist …« Ich stockte mitten im Satz, als mir ein heißer Schmerz durch den Schädel jagte. Scheiße, was war das Letzte, an das ich mich erinnern konnte?

»Es war in London, ich habe dich gesucht, und dann gab es einen Angriff! Dämonen sind in die Academy eingebrochen, und danach …«

Die Schmerzen in meinem Kopf nahmen so schlagartig zu, dass meine Sicht verschwamm.

»Falco …«, setzte Tempest an. Bevor sie ihren Satz beenden konnte, war das Geräusch einer sich öffnenden Tür zu hören.

Tempest stieß einen Fluch aus und löste sich sprichwörtlich in Luft auf. Ich hatte schon viele Geister gesehen, und dennoch wirkte es in diesem Augenblick unwirklich. Wie konnte Tempest tot sein, und was hatte sie dazu gebracht, als Geist zurückzukommen?

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, kamen Schritte näher, und als ich den Kopf hob, blickte ich in zwei unfassbar vertraute Augen.

»Hallo, Brüderchen. Es freut mich, dass du endlich aufgewacht bist. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«

Mein Puls schnellte in die Höhe. In meinem Kopf klickte es, und die Erinnerungen, die im Morast meines Verstandes versunken waren, kamen mit einem Schlag zum Vorschein.

Wren, meine vermeintliche Schwester, stand im Raum, zusammen mit Tahir, meinem angeblichen Vater. Beide mit den Gesichtern von Menschen, die ich liebte, jedoch mit pechschwarzen Augen, aus denen mir hungrige Monster entgegenstarrten. Es war allerdings nicht der Anblick meines Vaters, der mich aus der Bahn warf. Es war sie. Wren.

»Was soll das? Warum bin ich gefesselt?«, fragte ich, so ruhig es mir möglich war.

Wren legte den Kopf schief. Sie lächelte, aber es erreichte nicht ihre schwarzen Augen.

»Wir sind hier in Sunshine, dem modernsten Labor für künstliches Leben. Es hat Milliarden an Geldern verschlungen und beinahe zehn Jahre benötigt, um aufgebaut zu werden, und ist auch das Labor, in dem ich damals das Q-Gen erfolgreich züchten konnte. Du wirst auf der Welt kein fortschrittlicheres Labor finden. Es ist mein ganzer Stolz. Wir kümmern uns hier um dich.«

Sie trat näher, legte eine Hand auf meine Schulter und drückte mich zurück auf den Tisch, bis mein Kopf gegen die Platte stieß.

Ich starrte in das schmerzlich vertraute Gesicht meiner Schwester hinauf.

»Ich bin nicht dein Bruder«, flüsterte ich mit rauer Stimme.

Sie runzelte die Stirn. »Wren würden diese Worte sehr verletzen. Sie hat dich sehr geliebt, weißt du? Und sie hat sehr darunter gelitten, dass du die Familie verlassen hast. Es war ihr wichtig, dich zurückzubringen, aber im Gegensatz zu dir war sie pflichtbewusst. Als ich sie als Hülle angefordert habe, hat sie keinen Moment gezögert.«

Krachend biss ich die Zähne zusammen. »Meine Schwester hätte das niemals getan! Sie war eine außerordentliche Exorzistin. Sie war stolz darauf, deinesgleichen zu töten.«

»Wren kannte ihren Platz und ihre Rolle«, blaffte sie mich genauso harsch an. »Sie wusste, was zu tun ist und was eure Familie uns schuldet. Es wird Zeit, dass du deinen Platz an unserer Seite einnimmst, Falco.«

Bei dem letzten Satz strich sie mir beinahe zärtlich über die Wange.

Ich wandte den Kopf ab, um ihrer Berührung auszuweichen, dabei landete mein Blick auf dem Monster, das sich in meinem Vater eingenistet hatte.

Ein Dämon, der den Körper meines Vaters trug, als wäre es ein Anzug. Das Schlimmste war allerdings, dass alles an ihm so war, wie ich es in Erinnerung hatte. Selbst seine Ausstrahlung war dieselbe. Im Grunde hatte ich den echten Tahir Chepesch nie kennengelernt. Ich war seit meiner Geburt von einem Dämon großgezogen worden wie ein Zuchtküken, das er später opfern konnte. Nur war ich als Teenager wie ein Feigling davongelaufen und hatte meine Schwestern im Stich gelassen. Jetzt blickten mir die Konsequenzen meiner Feigheit direkt ins Gesicht.

Meine Brust zog sich so heftig zusammen, dass mir das Atmen schwerfiel. Der Selbsthass saß in diesem Augenblick so tief, dass es in meinen Knochen schmerzte. Als hätte er meine Gedanken gelesen, stellte sich Tahir neben mich. Seine große Hand landete auf meiner anderen Schulter. Schwer, warm und vertraut.

»Mein Sohn. Du bist endlich da, wo du hingehörst. Ich weiß, all das kommt dir wie ein Verrat vor, aber wir waren immer eine Familie, und das werden wie auch immer sein. Komme, was wolle.«

Scharf sog ich die Luft durch die Zähne. »Was ist mit Mutter und Dove?«

»Sie sind in Kairo. Noch wurden ihre Körper nicht gebraucht. Es geht ihnen gut.«

Meine Kehle schnürte sich so heftig zusammen, dass es mir beinahe unmöglich war, die nächsten Worte auszusprechen. »Wissen sie es?«

Tahir nickte. »Sowohl deine Mutter als auch deine Schwester wissen, was ihre Pflicht ist, sollte es so weit sein.«

Die Erleichterung, die ich zuerst empfunden hatte, wurde von einer abgrundtiefen Leere abgelöst. Ich versuchte, mir meine Mutter vorzustellen. Das dunkle Haar, die großen Augen, die Fältchen um ihre Augen, wenn sie lachte. Der Geruch nach selbstgekochtem Essen in der Küche und der Duft von Lavendel, der sie immer umgab. Ihre sanften Hände, die mir über den Kopf strichen, gleichgültig, dass ich sie um beinahe dreißig Zentimeter überragte.

Ich bemühte mich, die Mutter aus meinen Erinnerungen mit der Frau in Einklang zu bringen, die willentlich eine Beziehung mit einem Dämon führte, ihre Kinder großzog, in dem Wissen, dass sie am Ende nicht mehr als Hüllen waren. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie diese Frau meine jüngste Schwester auf eine Liege schnallte und zuließ, dass sich ein Parasit in ihr einnistete.

So viel ergab für mich keinen Sinn, dass sich der Schmerz in meinem Kopf zu einem hellen Sirren verdichtete.

Etwas berührte meine Stirn. Ich sah auf. Wren ließ ihre Finger wie Spinnenbeine über meinen Schädel wandern.

»Etwas stimmt mit ihm nicht. Sein Verstand wurde beschädigt. Ich fühle tiefe Lücken, die sich wie Wunden durch seinen Geist ziehen.« Ihr Mund senkte sich zu meinem Ohr. Ihre Lippen berührten meine Ohrmuschel in einer unangenehm intimen Geste. »Armer Falco weiß nicht, wo ihm der Kopf steht. Sag mir, mein Schöner, wer hat dir das angetan?«

Eine Vene wölbte sich an meinem Hals vor, aber die Worte kamen aus meinem Mund, als würde sie sie einfach aus mir herausziehen. »Eine Dämonin hat mich angegriffen und meine Erinnerungen gestohlen.«

Leaf.

Wieder zog sich etwas in meiner Brust zusammen. Ich hasste den Effekt, den ihr Name auf mich hatte.

»Ach ja?« Wren stieß ein gackerndes Lachen aus und richtete sich auf.

Tahirs Stirn lag in Falten. »Ich habe mich bereits erkundigt, was mit seinen Erinnerungen passiert ist, aber die Spur verlief ins Leere.«

Wren winkte ab und schlich wie eine Katze um mich herum. »Lass es gut sein. In diesem Fall hilft es uns, wenn er so wenig Erinnerungen wie möglich an seine Vergangenheit hat. Letztendlich brauchen wir seinen Körper und nicht seinen Verstand. Sind wir bereit?«

Tahir nickte. »Ich hole es.« Er drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit des Labors.

Bereit wofür?, wollte ich fragen, doch ich blieb stoisch. Ließ meine Gesichtsmuskeln so locker wie möglich. Früher oder später würde ich es vermutlich ohnehin herausfinden. Im selben Moment ging erneut eine Türe auf, und drei fremde Personen in grünen OP-Klamotten betraten den Raum. Ich musste nicht ihre Augen sehen, um sie allesamt als Dämonen zu identifizieren. Ihr Geruch verpestete die Luft. Wren holte etwas aus ihrer Jackentasche hervor. Ein kleines, gläsernes Fläschchen, ähnlich einer Impfampulle. Die Flüssigkeit war kristallklar.

»Wir bereiten dich jetzt auf den Transfer vor, mein liebster Falco. Luzifer braucht endlich eine Hülle. Damit dein Körper jedoch so viel Macht in sich halten kann, müssen wir dich in einen Homunkulus umwandeln. Erinnerst du dich an das Q-Gen, das mein trotteliger Bruder entwendet und in seine kleine Freundin Leaf verpflanzt hat?«

Ich wusste nicht, ob sie auf eine echte Antwort hoffte, doch meine Nackenhärchen stellen sich auf. Eines nach dem anderen.

Sie seufzte theatralisch. »Das Gen war perfekt dafür, aber dass es in Leaf steckt, ist bedauerlicherweise nicht mehr zu ändern. Zudem ist das Q-Gen unfassbar instabil, und wir waren nicht in der Lage, es in dieser Form ein zweites Mal herzustellen. Die Grundlagen der Forschung blieben uns jedoch erhalten, und damit haben wir in unserem Labor das Gamma-Gen entwickelt. Wir waren zufrieden mit dem Ergebnis, denn mit diesem Gen konnten wir dem Körper zusätzlich Attribute anzüchten, die uns nützlich erschienen. In den letzten Wochen haben wir über tausend Homunkuli mit den Attributen von Wölfen angezüchtet. Sieh nur …« Sie packte mein Kinn und drehte es zu den Tanks. Das Licht darin wurde heller und beleuchtete das Labor.

Ich konnte das Ende des Raumes nicht ausmachen, doch was zuvor im dämmrigen Licht nicht genau zu sehen war, nahm jetzt grauenhafte Gestalt an. Es waren nicht nur ein paar Tanks, in denen leblose Körper schwammen. Es gab Dutzende davon. Hunderte, die sich in penibler Ordnung aneinanderreihten.

Die Ungeheuerlichkeit dessen, was hier unten gezüchtet wurde, sickerte in meinen Verstand, und ich ballte so fest die Fäuste, dass meine Fingerknochen knirschten.

»Sind sie nicht wundervoll?«, raunte Wren. »In den nächsten Tagen ist ihr Reifungsprozess abgeschlossen, und wir können sie sofort von niederen Lord-Dämonen besetzen lassen. Noch nie in der Geschichte hat es solch widerstandsfähige Homunkuli gegeben. Endlich wird es genug Körper für unsere Lord-Dämonen geben. Mit dir und mir an der Spitze.«

»Das soll ich also für euch werden? Ein Monster für eure Armee?«, fragte ich, doch Wren gab mir nur einen Kuss auf die Stirn, was in mir das Bedürfnis auslöste, die eigene Haut abzureißen.

»Aber nein, du wirst der Anführer dieser Armee, und das Gamma-Gen allein ist nicht stark genug. Es wird dich nur vorbereiten – deine Zellen aufreißen und etwas Neues daraus erschaffen, dann haben wir den perfekten Nährboden. Wir mussten dafür einen Prototyp entwickeln und haben ihn Eternity genannt. Ich habe diesmal große Hoffnungen, dass dieses Projekt ein Erfolg wird.«

Sie steckte das Fläschchen zurück in die Tasche. »Ich hätte mir gewünscht, wir hätten eine Chance gehabt, es zu testen, aber leider bekommt man nicht immer alles, was man will. Die Zeit drängt …«

Im selben Moment kam Tahir zurück. Er manövrierte sich zwischen den Tanks hindurch, in denen die deformierten Homunkuli dümpelten. In der Hand hielt er etwas, das von einem Tuch bedeckt wurde.

Endlich wich Wren von mir zurück und ging auf Tahir zu. »Lass mich dir deine neue Hülle vorstellen, Vater«, flüsterte sie. Erst wirkte es, als würde sie mit Tahir sprechen, bis sie das Tuch abnahm. Eine kleine Version der hinter ihm aufragenden Wassertanks kam zum Vorschein. Trübe rötliche Flüssigkeit füllte den Behälter, und darin … lag ein Herz. Oder zumindest ähnelte es einem. Das Ding hier war gräulich, mit lila Venen und flechtenartigen Gebilden, die daraus hervorwuchsen. Das Herz sah verformt und missgestaltet aus, dennoch pochte es in einem trägen Rhythmus.

Wren drückte das Glas an sich und blickte sehnsüchtig in die trübe Flüssigkeit. »Armer Vater. Das ist alles, was von seiner letzten Hülle übrig geblieben ist.« Mit ihren langen Nägeln strich sie über das Glas und sah mit tränenfeuchten, pechschwarz glänzenden Augen zu mir herüber. »Wir haben ihn beinahe verloren. Er ist inzwischen so schwach. Dein Herz wird stärker sein, Falco. Wir machen dich zur perfekten Hülle für ihn.«

Im nächsten Augenblick stach mich etwas in den Hals. Schmerz strömte durch meine Adern, als einer der Dämonen in OP-Klamotten den Kolben einer Spritze weiter hinabdrückte und den Inhalt direkt in mich pumpte.

»Was … Was tut ihr?«, gurgelte ich.

Wren tauchte wieder in meinem Blickfeld auf, das Glas mit dem unheimlichen Herzen umklammert. »Wir fangen an, mein geliebter Bruder. Die Prozedur wird eine Weile dauern, aber bald schon wirst du perfekt sein.«

Sie lächelte, und noch ehe ich etwas tun konnte, presste mir jemand ein Tuch auf die Nase. Es brauchte nicht mehr als zwei Atemzüge, ehe beißendes Chloroform meine Sinne flutete. Das Letzte, was ich sah, bevor ich das Bewusstsein verlor, war das schlagende Herz in einem Gefäß voll trüber Melasse.

4

Lore

Dämonen der Stufe 2Dämonen

Lords Sie zählen zu den stärksten Dämonen. Sie besitzen keinen eigenen Körper, dafür jedoch einen mächtigen Geist. Sie versammeln niedere Dämonen zu Gruppen unter ihrer Führung, auch Sippen genannt. Ihre größte Schwäche ist das Aufspüren eines geeigneten Wirtskörpers. Bleiben sie länger in einem Köper, töten sie den bestehenden Geist – ähnlich einem Parasit – ab. Der Lord-Dämon erhält den Körper am Leben; verlässt er ihn, stirbt auch der Körper. Im Laufe der Jahrhunderte gab es daher nur wenige Lords, die sich dauerhaft in der Welt der Menschen festsetzen konnten. Diese wenigen führen jedoch vehement Krieg gegeneinander.

Es war nicht das erste Mal, dass ich gefoltert wurde. Zur Hölle, ich hatte selbst mehr Menschen und Dämonen gequält, als ich mich erinnern konnte. Im Prinzip schien es mir fair: Wenn man folterte, musste man es aushalten können, selbst gefoltert zu werden.

Schmerz mochte hässlich sein, war aber letzten Endes doch nur eine Momentaufnahme. Ein Wimpernschlag angesichts der Unendlichkeit, die vor mir lag, und eher selten beschäftigte es mich länger, wenn eines meiner Leben einen grausamen Tod fand.

Aber diesmal war es anders.

Diesmal schlich sich in den Schmerz, den ich empfand, etwas Neues, das ich so bisher nicht gekannt hatte. Und das war Angst.

Nicht um mich, sondern um MJ.

Der Kleine lag so tief in seinem Bewusstsein begraben, dass ich die Hoffnung hatte, er würde von all dem, was Gabriella Hall hier mit uns anstellte, nichts mitbekommen. Ich machte mich so präsent in seinem Kopf, wie ich nur konnte. Nahm den Schmerz an mich, wickelte ihn praktisch um mich herum, um den Kleinen vor der Folter zu schützen, aber die nette Gabby wusste, was sie tat.