Blind Marriage - Lilian Dean - E-Book
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Blind Marriage E-Book

Lilian Dean

3,0

Beschreibung

Megan hat ihren Job verloren, die Schulden häufen sich und sie weiß nicht mehr weiter. Da entdeckt sie eine Annonce in der Zeitung. Jung, gut aussehend, Millionär sucht Frau zum Sofort-Heiraten. Melde dich, mit Foto. Sehr gute Entlohnung! Aus Verzweiflung schreibt sie ihm. Eine Entscheidung, welche ihr Leben völlig auf den Kopf stellt.

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Blind Marriage
Über die Autorin
Impressum
DIE ANZEIGE
ÜBERFALL
NEUE HORIZONTE
DER ANRUF
TICK TACK
(ALB)TRAUM
BLIND MARRIAGE
MRS UNBEKANNT
ÜBERGABE
ERKENNTNISSE
BLAKE BOOKS
GRAFFITI
HAWAII
GRENZEN
ABENTEUERLAND
EIN HIMMEL AUF ERDEN
ZURÜCK
PRICKELND
STÜRMISCHE ZEITEN
SEITENWIND
ZAHLTAG
EINE FRAGE

Lilian Dean

Blind Marriage

Heirate mich auf den ersten Blick

Passion Fruit Verlag

Über die Autorin

Schon als Kind liebte es Nadine Stenglein sich Geschichten auszudenken und diese niederzuschreiben. Unter ihrem Klarnamen und mit dem Pseudonym Lilian Dean hat sie bereits zahlreiche Bücher in den Genres Liebesromane, Fantasy und Krimi veröffentlicht und konnte sich so ihren Traum, Autorin zu werden, erfüllen. »Zur Schokoladen-Symphonie« ist ihr erster Roman unter dem neuen Pseudonym Cecilia Lilienthal. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Bayern.

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.deabrufbar.

Print-ISBN: 978-3-98752-000-6

E-Book-ISBN: 978-3-98752-500-1

Copyright (2022) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH, Gröpelinger Heerstr. 149, 28237 Bremen

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

DIE ANZEIGE

Ich winkte meinem metallicgrünen Beetle-Käfer-Cabrio nach. »Ich werde dich vermissen, Kleiner«, flüsterte ich. Da fuhr er hin und mit ihm verschwand ein weiteres Stück, das mich an meine Eltern erinnerte. Thelma, für mich die beste Freundin der Welt, küsste mich auf den Scheitel. »Ach Süße!«

Ich lächelte schwermütig. »Danke, dass du gekommen bist, um dich mit mir von meinem geliebten kleinen Roadrunner zu verabschieden, Thelma. Er wird mir sehr fehlen. Genau wie Mum und Dad mir fehlen.«

Thelma legte einen Arm um mich. »Ich weiß. Das Schicksal ist oft nicht fair.«

Eine Locke ihres schulterlangen haselnussbraunen Haares kitzelte meine Nasenspitze.

Arm in Arm liefen wir auf mein Elternhaus mit der weißen Fassade und den grünen Fensterläden zu. Mein Herz hing daran, vollgepackt mit Erinnerungen. Manchmal, wenn der Wind um die Fassade des Hauses und über die umlaufende Veranda wehte, glaubte ich, die Stimmen meiner Eltern und mein eigenes Lachen aus Kindertagen darin zu hören.

Ich seufzte tief. Die dringend nötigen Sanierungsmaßnahmen für den Dachstuhl, der einen massiven Holzwurmbefall hatte, die größtenteils undicht gewordenen Fenster und die Fassade hatten viel Geld gekostet. Laut einem Gutachter war es höchste Zeit für eine Sanierung und Renovierung gewesen, die nicht aufgeschoben werden konnte. Da mein Erspartes nicht reichte, hatte ich mich dazu verleiten lassen, einen Kredit aufzunehmen. Nun hoffte ich inständig, dass die Leute, die mir diesen schnell ermöglicht hatten, mit dem Geld aus dem Verkauf meines Roadrunners erst einmal zufrieden waren. Schon zermarterte ich mir wieder den Kopf, wie ich denen den Rest zurückzahlen sollte. Ich setzte auf das Verständnis der Kreditgeber, wenn ich dazu noch eine Weile brauchte. Verdammte Bank! Hätten die mir damals, das war nun circa ein halbes Jahr her, einen Kredit gewährt, hätte ich jetzt diese dubiosen Kerle nicht am Hals. Ja, ich war selbst schuld, trat mir in meiner Vorstellung deswegen regelmäßig selbst in den Hintern und schimpfte mich naiv, bescheuert, gutgläubig. Anfangs hatte ich gedacht, die Kerle wären nett und mein Schicksal läge ihnen, wie sie sagten, am Herzen. »Ehrlich, Miss. Sie können sich so viel Zeit mit der Rückzahlung lassen, wie Sie brauchen. Kein Problem. Zahlen Sie in bequemen Raten mit den vereinbarten Zinsen«, hatte mir ein grauhaariger Spargeltarzan, der mir das Geld gegeben hatte, gesagt. Ich hatte mich daraufhin überschwänglich bei ihm und seinem Partner bedankt. War den beiden Männern in dem windigen Londoner Restaurant, in das sie mich für die Übergabe eingeladen hatten, sogar um den Hals gefallen. Ich war froh, dass die vereinbarten Zinsen soweit erträglich waren und sie mir Zeit für die Rückzahlung ließen. Den Kontakt zu den beiden hatte ich in meiner Verzweiflung aus dem Internet gefischt. Inzwischen gab es die Seite nicht mehr. Wahrscheinlich hatten sie ihre Namen geändert. Damals nannten sie sich nur S&S.

Thelma wusste nichts von dieser Aktion mit dem Kredit, obwohl ich ihr sonst alles erzählte. Für mich war sie wie eine Schwester, die ich nie hatte. Dass ich das Auto dringend verkaufen musste, weil S&S ihre Zinsen doch erhöht hatten und den Restbetrag von damit dreißigtausend Pfund doch schnell wiederhaben wollten, hatte ich vor Thelma mit ein paar offenen Rechnungen für die Renovierungen begründet. Wir gingen durch das kleine Tor, das in den Garten führte. Ein seltsamer Anblick, dass die Doppelgarage daneben nun bis auf ein paar Kartons leer stand. Früher hatte dort der weiße Ford meiner Eltern geparkt, daneben mein Roadrunner. Auf einem Foto, das den

Ford nach dem Unfall meiner Eltern zeigte, glich er einem großen Stück Papier, das man zerknüllt und in die Ecke geworfen hatte. Ich hatte wieder die Stimme des Polizisten im Ohr, der vor meiner Tür gestanden und mir mitgeteilt hatte, dass Mum und Dad einen tödlichen Unfall hatten. Ein LKW hatte ihr Auto erfasst. Meine Eltern waren bei dem Aufprall aus dem Wagen geschleudert worden. Nach Meinung der Ärzte waren sie sofort tot gewesen. Ein eiskalter Schauer kroch meine Wirbelsäule hoch, wenn ich daran dachte. Was waren ihre letzten Gedanken gewesen? Waren sie glücklich in ihren letzten Minuten vor dem Unfall? Hatten sie Schmerzen, wenn auch nur kurz? Die Fragen folterten mich.

Mit Tränen in den Augen ließ ich meine Blicke über den Garten streifen, der allmählich zu einem kleinen wilden Dschungel mutierte. Sanft strich der Wind über das inzwischen hohe Gras hinweg. Ich konnte mir Dad bildhaft vorstellen, wie er die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, könnte er den Garten jetzt so sehen. Irgendwann würde ich mir Zeit nehmen müssen, um all das Durcheinander zu beseitigen. Und das betraf nicht nur den Garten. Mich fröstelte, obwohl die Julisonne heiß auf unsere kleine Stadt Canterbury brannte.

»Schön, dass du noch bleibst«, sagte ich zu Thelma.

»Sehr gern. Ich muss erst morgen wieder zurück. Meeting mit ein paar Leuten aus China wegen eines Werbespots. Vielleicht bringt mir die Sache endlich eine Beförderung ein«, erzählte sie, womit sie mich vermutlich ablenken wollte. Sie war eine kreative Seele, arbeitete in einer Werbeagentur. »Wir könnten uns also betrinken und deinem Roadrunner nachtrauern. Bis morgen bin ich garantiert wieder fit«, fügte sie hinzu und lachte.

»Wenn der Alkohol die dunklen Gedanken wegschwemmt, gern«, erwiderte ich.

Thelma warf mir einen Blick zu, der mir wohl Mut machen sollte, und zog die Eingangstür auf. An den Wänden im Flur hingen Bilder von Dad, Mum und mir. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, den Unfall ungeschehen machen. Nach dem Tod meiner Eltern hatte ich eine ganze Weile lang alles wie in Trance erlebt, während die raue Realität unerbittlich an meiner Seele wetzte, als säße ich auf einer Rutschbahn, die unweigerlich nach unten führte. Unwillkürlich befühlte ich den kleinen Herzanhänger meines goldenen Armkettchens, das ich am rechten Arm trug, mit den Fingern. Meine Eltern hatten es mir geschenkt. Auf der Vorderseite war mein Name eingraviert.

Meine Eltern und ich waren ein richtiges Team gewesen. Ohne sie kam ich mir wurzellos vor, besonders auch nach der Trennung von meinem Ex Philip. Die einzige Medizin dagegen war dieses Haus. Hier fühlte ich mich geborgen. Es war meine Oase. Mum und Dad hatten es mit viel Schweiß erbaut, sich quasi jeden Stein abgespart.

Thelma und ich steuerten die Küche an.

»Magst du auch was essen?«, fragte ich sie und deutete auf den silbernen amerikanischen Kühlschrank.

»Nein. Weißt du, worauf ich jetzt Lust hätte? Ein Cocktail wäre super.« Thelma lächelte mir zu.

»Meinetwegen. Den mixt du uns dann aber«, sagte ich ihr.

Sie zwinkerte mir zu. »Uns? Also doch keinen Kaffee mit Schuss, sondern einen Cocktail mit Schuss. Richtig?«

»Einen Schuss haben wir wahrscheinlich selbst. Ich zumindest ganz sicher.« Ich tippte mir an den Kopf.

Thelma verdrehte die Augen und lächelte. »Ein bisschen vielleicht. Aber so gefällst du mir schon besser.«

»Was, mit Schuss?«

»Ich mixe jetzt lieber mal die Cocktails. Aber nicht, dass du dann noch mehr Blödsinn redest.«

Ich erwiderte ihr Lächeln nur ansatzweise, denn das Lasso der dunklen Gedanken hatte mich wieder eingefangen. »Danke.«

Thelma winkte ab. »Ach was! Mach ich doch gern.«

Ich neigte den Kopf ein wenig zur Seite und schürzte die Lippen.

»Für das auch. Aber du weißt, was ich vor allem meine. Dafür, dass du immer da bist.«

Thelma wurde ernst, strich sich ein paar ihrer Locken hinter die Ohren und sah mich direkt an. »Du findest schon wieder einen Job, Meggie.«

Erneut packte mich die Wut, wenn ich daran dachte, was passiert war und warum ich aus dem Verlag geflogen war. Ich und meine Eltern waren so stolz gewesen, als mich Charlson Books vor zweieinhalb Jahren nach dem Germanistikstudium als richtige Lektorin eingestellt hatte. Charlson Books war ein renommierter mittelgroßer Verlag mit exzellentem Ruf. »Ich hab gewusst, dass Alice Surrenton ständig im Internet surfte. Ich selbst hab sie noch gewarnt. ›Wenn das einer der Chefs sieht, fliegst du‹, hab ich ihr gesagt. Und was macht sie? Bedient sich an meinem Computer, sobald ich unser Büro für ein Meeting verlassen habe. Ich hätte es wissen sollen. Sie war schon die ganze Zeit hibbelig, weil ihr Computer morgens abgestürzt war und der Techniker in Aussicht stellte, dass er erst gegen Mittag kommen kann. Das konnte sie nicht abwarten. Ja und dann hat sie der Chef erwischt, als er Unterlagen brachte.«

Keine Ahnung wie oft ich Thelma die Story schon erzählt hatte. Als würde sie sich dadurch ändern. Aber es wühlte in mir. Thelma schüttelte den Kopf. »Tzzz. Es war mehr als eine bodenlose Dreistigkeit und Frechheit, dass die dann auch noch behauptet hat, du hättest die Pornoseite aufgerufen und vergessen sie wegzuklicken, bevor du raus bist.«

Ich nickte. Hitze stieg in mir auf. »Und dann stellt sie sich auch noch als Helferin in der Not hin, die sie nur schnell schließen wollte, damit ich keinen Ärger bekomme. Ich habe sofort klargestellt, dass das nicht stimmt. Aber es brachte nichts. Sie glaubten ihrer Version. Verdammt, dabei war ich kurz davor, Cheflektorin zu werden. Verdammt, verdammt, verdammt.« Meine Hände ballten sich vor Wut und Verzweiflung wie mechanisch zu Fäusten. »Und nun sitzt Miss Surrenton seelenruhig in unserem Büro und freundet sich sicher gerade mit meiner Nachfolgerin an.«

»Vielleicht solltest du noch einmal mit dem Senioroder Juniorchef reden«, schlug Thelma vor.

Ich schüttelte den Kopf. »Das hab ich schon versucht. Die bleiben bei ihrer Meinung. Ich würde zu gern wissen, woher Alice mein Passwort hatte. Außerdem ist sie sehr überzeugend. Und es war ja auch mein Computer, der erwischt wurde.« Wieder einmal steigerte ich mich zu sehr in die Sache rein, die nicht mehr zu ändern war.

Thelma pustete Luft aus. »Sie hat zwei pralle Argumente im Vorbau und deine Chefs, entschuldige Ex-Chefs, ein Hirn, das jedenfalls nicht im Kopf sitzt. Aber ich bin sicher, dass die Herren noch aufwachen werden. Und bis dahin wirst du wieder einen Spitzenjob haben. Ich hab mich auch schon umgehört.«

Hoffnungsvoll sah ich sie an. »Danke …« Sie seufzte. »Leider brachte es noch nichts.«

Ich atmete durch. »Mit der Vergangenheit in den Akten wird es auch verdammt schwer, einen neuen guten Job zu kriegen, Thelma.«

Meine Freundin zeigte mit dem Shaker auf mich. »Aber es ist nicht unmöglich. Also Kopf hoch. Und dann kannst du dir auch einen neuen Roadrunner kaufen. Außerdem bin ich überzeugt, dass du auch bald wieder eine neue Liebe findest. Was sage ich! Du wirst endlich die wahre Liebe finden. Nicht so einen … einen selbstverliebten Idioten wie Philip. Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Ein bisschen Geld …« Vehement winkte ich ab. »Vergiss es, Thelma. Ich nehme keinen Cent von dir. Du brauchst das Geld selbst. Für deine eigene kleine Werbeagentur. Hast du oder Eric denn inzwischen einen Namen dafür gefunden?«

»Noch nicht! Aber die Eröffnung steht ja noch in den Sternen, also hab ich dafür noch Zeit. Der Name ist das kleinste Problem.«

»Ich wünsche es euch von Herzen, dass es irgendwann klappt«, sagte ich. Thelma warf mir ein Luftküsschen zu.

Eric war Thelmas Mann. Die beiden hatten vor zweieinhalb Jahren geheiratet und waren glücklich wie am ersten Tag. Beneidenswert. Ich gönnte es ihnen von Herzen, sie hatten es verdient. Thelma war eine Kämpferin. Sie musste schon so manche Pleite einstecken. Sie und Eric wohnten am anderen Ende von Canterbury, mir praktisch parallel gegenüber, in einer kleinen, aber feinen Dachgeschosswohnung eines Miethauses.

»Aber wenn es bei dir noch knapper wird, dann …«, legte Thelma nach. Wieder musste ich sie unterbrechen. »Ich komm schon klar. Schluss jetzt. Und was Philip angeht: Reden wir nicht über ihn. Ich will ihn vergessen. Okay?«

Thelma nickte. »Ja, da hast du recht. Er ist es auch nicht wert.«

Philip Wales und ich waren fast zwei Jahre ein Paar. Im Grunde hatte ich schon seit Längerem gespürt, dass es nicht mehr rund lief bei uns. Unsere Liebe hatte Herzrhythmusstörungen bekommen, die wir beide nicht wirklich beachtet hatten, bis sie sich zu einem tödlichen Infarkt entwickelten. Er hatte mich drei Monate nach dem Tod meiner Eltern gegen eine andere ausgetauscht, die gerade achtzehn geworden war. Damit war sie zehn Jahre jünger als ich. Ihr Name war Lucy. Es ärgerte mich, dass er mir die Schuld für die Trennung in die Schuhe geschoben hatte. Seiner Meinung nach, die er nicht nur vor mir kundtat, um sich seine Weste wieder reinzuwaschen, war er praktisch zum Fremdgehen genötigt worden. Wie er behauptete, hätte ich stark nachgelassen, mich nach dem Tod meiner Eltern gehenlassen und vor allem ihn vernachlässigt. Seine Ansichten machten mich wütend und traurig zugleich. Viel zu spät lernte ich den wahren Philip kennen. Keine Frage! Die Sache mit dem Haus interessierte ihn nicht. Es machte ihn höchstens wütend, als er erfuhr, dass meine Eltern mir nur das renovierungsbedürftige Haus hinterlassen hatten.

Das Haus lag am südlichen Ende der Stadt, in der Grafschaft Kent. Vom Küchenfenster aus konnte ich einen Blick auf die weite Naturlandschaft werfen, die Canterbury umgab. Hier sagten sich Hase und Fuchs noch Gute Nacht. Zumindest hatten mir Mum und Dad das als Kind gerne erzählt. Ich erinnerte mich, dass Dad einige Male mit mir in der Dämmerung spazieren gegangen war, damit ich es hören konnte. Eine Weile hatte ich das wirklich gedacht. Als ich älter wurde, dämmerte mir, dass Dad Mum dafür engagiert hatte. Fuchs und Hase allerdings hatten wir tatsächlich ein paarmal aus der Ferne beobachten können.

Nachdem Thelma die Cocktails gemixt hatte, verzogen wir uns ins Wohnzimmer auf die Couch. Es tat gut, mit Thelma die Seele baumeln zu lassen und die Beine hochzulegen. Das Brainstorming und die über die Jahre gewohnten Gerüche der Räume, nach Kindheit und Geborgenheit, halfen, die dunklen Gedanken wenigstens ein Stück weit zurückzudrängen. Ed Sheeran leistete uns dabei mit seinen Songs Gesellschaft. Thelma und ich waren Ed-Fans der ersten Stunde. Als er »Perfect« sang, ertappte ich mich dabei, dass ich doch in Sehnsucht nach Mr Right schwelgte. Vor Philip waren es immer nur kurze Beziehungen gewesen, die ich gehabt hatte. Allesamt Pleiten! Ja, natürlich. Ich war auch nicht perfekt. Philip jedenfalls war definitiv mein längster Freund gewesen und eine Weile hatte ich echt geglaubt, wir könnten miteinander glücklich und alt werden. Ich stoppte die Gedanken. Verdammt noch mal, ich wollte doch weder über ihn reden noch an ihn denken. Mein Blick fiel auf eines der Ölgemälde an der gegenüberliegenden Wand und lenkte meine Gedanken zum Glück in eine neue Richtung. Mum hatte das Bild gemalt. Ein kunterbuntes modernes Feuerwerk auf Leinwand. Man glaubte beinahe, es würde einem die intensiven Farben entgegenspucken. Ab und zu malte ich auch. Bevorzugt moderne Landschaften, in die ich kleine selbst gereimte Verse und Lebensweisheiten einstreute.

Mum hatte mir das Malen beigebracht. Sie hatte früher Kunst an einer Universität studiert und nach erfolgreichem Abschluss des Kunststudiums einen kleinen Laden in der Stadt eröffnet, wo sie ihre Bilder verkauft und Kurse gegeben hatte. Als der Laden nicht mehr gut lief, hatte sie ihn aufgeben müssen und nur noch für mich, Dad und sich gemalt. Dad hatte in einer Bank gearbeitet, was ihm mehr Ansehen bei der Verwandtschaft einbrachte als Mums Versuch als Künstlerin Fuß zu fassen. Ich mochte die Verwandtschaft meines Vaters nicht. Ich wusste, dass seine zwei Schwestern und ihre Männer hinter vorgehaltener Hand behaupteten, Mum und ich wären Träumerinnen. Das hatten auch Dads Eltern gesagt, als sie noch gelebt hatten. In ihren Augen war ich nur eine kleine unbedeutende Lektorin. Gut, dass die Familie nicht wusste, dass ich meinen Job verloren hatte. Sie selbst hatten alle studiert und Jobs, bei denen sie sehr gut verdienten. Wir pflegten kaum Kontakt. Das letzte Mal war ich ihnen bei der Beerdigung meiner Eltern begegnet, bei der sie nur ein Händeschütteln für mich übriggehabt hatten. Die Eltern meiner Mutter waren früh an Krebs gestorben. Meine Mutter war ihr einziges Kind. Auch wenn mir klar war, dass ich im Grunde niemandem etwas zu beweisen hatte, außer mir selbst, würde ich Dads Geschwistern und Anhang dennoch zu gern einmal zeigen, dass ich mehr konnte, als ich bisher zustande gebracht hatte (oder eben nicht). Auf alle Fälle würde ich eines nie tun: diese bucklige, hochnäsige Verwandtschaft um Hilfe bitten. Eher fror die Hölle zu.

»Hör dir das an. Das ist ja echt frech, aber es hat auch was«, sagte Thelma und tippte auf eine Seite in einer kleinen Londoner Zeitung.

»Was?«, faselte ich verschlafen.

Thelma las vor, wobei ihre Stimme immer schriller klang. »Jung, gutaussehend, Millionär sucht Frau zum Sofort-Heiraten. Melde dich, mit Foto. Sehr gute Entlohnung!«

Sie schielte zu mir rüber und schüttelte lachend den Kopf.

»Hast du dir das gerade ausgedacht? Wäre ein gutes Thema für ein Buch«, erwiderte ich grinsend.

»Nein! Das steht da. Wort für Wort! Der ist ja ulkig. Oder verrückt. Oder beides. Oder er meint es ernst.«

Ich blinzelte ein paarmal, griff nach der Zeitung und las selbst. Tatsächlich. Es stand da. Schwarz auf Weiß.

»Das ist doch … Blödsinn. Sehr gute Entlohnung. Wenn er also reich ist, kann er doch sicher viele haben und muss nicht über eine Annonce suchen«, erwiderte ich.

Ich war überzeugt, dass an der Sache etwas faul war. Wer war schon so verrückt und würde einen fremden Menschen heiraten? Nur aus Abenteuerlust.

»Bestimmt ist das nur ein dummer Scherz«, legte ich nach.

Thelma zuckte mit den Schultern. »Oder aber der Kerl meint es ernst und hat die Richtige noch nicht gefunden. Dass sich die Suche nach der großen Liebe schwierig gestaltet, davon können wir beide ein Lied singen.«

»In deinem Fall nicht, du hast immerhin Eric getroffen«, erinnerte ich sie.

Ein strahlendes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. »Ja, stimmt. Mein Eric. Der beste Ehemann der Welt. Vielleicht sucht Mister Unbekannt eine, die genauso verrückt ist wie er. Eine Frau, die etwas wagt.«

Ich legte die Zeitung beiseite und stand auf. »Ich hole mir mal ein Glas Wasser. Mir schwirrt der Kopf vom Cocktail. Der war doch ein wenig stark.«

»Ach was.«

Als ich zurückkam, hatte Thelma die Zeitung wieder in den Händen.

»Ich würde ja zu gern wissen, wie der Kerl so ist, der hinter so einer Anzeige steckt. Was das für ein Mensch ist«, flüsterte sie und kaute auf ihrer Unterlippe, wobei sie mich ein bisschen an Mrs Marple erinnerte. Ich setzte mich neben sie auf die Couch. »Woran denkst du?«, fragte ich. Mrs Marple spitzte die Lippen. »Schreib ihn doch an. Ich bin sicher, er schreibt zurück, wenn er ein Foto von dir sieht. Jung, schlank, sportlich, haselnussbraune große Augen, seidige Haut, nur dezent geschminkt, weil du auch ohne tonnenschweres Make-up hübsch bist, lockiges Haar … Ein guter Fang, wenn du mich fragst. Heiratsmaterial.« Thelma kicherte.

Ich musste schmunzeln. »Du bist ja betrunken.« Thelma nickte lächelnd. »Ja, kann sein.«

Wir stießen an. »Auf uns.«

»Auf uns.«

»Was ist nun mit Mister Unbekannt? Schreibst du ihn nun an? Und wie stellst du ihn dir vor?«, fragte sie nach einer Weile des Schweigens. Ich rollte mit den Augen. »Zu Frage Nummer eins: Mit ihm wird nie was sein, weil ich ihn nicht anschreiben werde. Und zu Frage Nummer zwei: anders als du.«

Thelma riss die Augen auf und grinste: »Wie denn? Knollennase, klein, Bierbauch, Glatze …?«

»Nein, das nicht. Ach komm, das ist …«

»Na los, Meggie! Schreib ihn an. Wer weiß, vielleicht ist er nett, sieht gut aus, ist wirklich Millionär. Jackpot! Schicksal! Es klopft an. Ich höre es deutlich! Das Geld kannst du zudem sehr gut gebrauchen«, stieß Thelma aus.

»Deine Neugierde klopft da. Und ich brauche keinen Mann mehr, Thelma«, widersprach ich vehement. Auch wenn das mit dem Geld natürlich einiges erleichtern würde.

»Du willst für den Rest deines Lebens allein bleiben? Das kann nicht dein Ernst sein, Meggie. Das meine ich jetzt unabhängig von dieser Annonce.«

»Nein, das nicht. Aber auf so eine Anzeige antworte ich nicht«, sagte ich bestimmt.

Kurzerhand knüllte Thelma die Zeitung zusammen und warf sie in hohem Bogen auf den gegenüberliegenden Sessel, beobachtete mich aber dabei mit Argusaugen.

Ich lächelte und kuschelte mich an sie. »Gute Entscheidung.«

ÜBERFALL

Am nächsten Tag plagte mich Übelkeit. Alles drehte sich. Dennoch wollte ich die viertausend Pfund, die ich für meinen Käfer bekommen hatte, bei der angegebenen Adresse der Kredithaie vorbeibringen, schaffte es aber nicht. Mein Körper streikte. Mir wurde noch übler, wenn ich daran dachte, dass ich so gut wie pleite war. Das sogenannte Büro dieser dubiosen Kerle befand sich in der Elm Street, im East End Londons, in einem mehrstöckigen Backsteingebäude. Jedenfalls hatten die Typen es mir so via Handy erklärt. Sie hatten gebeten, dass ich zweimal klingeln sollte, nachdem ich das Geld bis spätestens zwölf Uhr, in den Briefkasten mit der Aufschrift »3A Elm Street« gesteckt hätte. Danach sollte ich auf dem Absatz kehrtmachen und verschwinden. Was dachten die denn? Dass ich zu Kaffee und Kuchen bleiben wollte? Leider hatte ich keine Telefonnummer, sonst hätte ich die Haie angerufen und ihnen erklärt, dass ich krank geworden war. Damals hatten sie darauf bestanden, dass ich ihnen meine Nummer aushändigte, während sie ihre stets unterdrückten. Auch das war dumm von mir gewesen. Aber sonst hätte ich das Geld nicht bekommen. Anhand meiner Ausweiskopie, die sie ebenfalls verlangt hatten, war ihnen bekannt, wo ich wohnte. Einen schriftlichen Vertrag gab es nicht. Vielleicht sollte ich Thelma doch von allem erzählen. Sie war gegen Mittag gegangen und hatte versprochen, abends vorbeizuschauen. Wahrscheinlich war ihr wieder etwas dazwischengekommen. Inzwischen war es fast Mitternacht. Ich ließ mich ins Bett fallen.

Sobald es mir halbwegs wieder gutging, würde ich den Haien das Geld vorbeibringen und dann nach weiteren Jobangeboten schauen. Für die letzten Bewerbungen trudelten bereits Absagen ein. Es brachte nichts. Ich musste einen Gang tiefer schalten, durfte nicht mehr nur nach Arbeiten in Verlagen Ausschau halten. In London gab es eine ganze Reihe von Kellnerjob-Angeboten. Aber London war von hier aus mehr als eine Stunde entfernt. Für mich wenig lukrativ. Plötzlich hörte ich einen dumpfen Knall, der von der hinteren Veranda zu mir ins Zimmer drang. Kurz darauf klapperte etwas in der Küche. Mein Herz machte einen Satz, während ich angespannt lauschte. Meine Güte, jemand war im Haus. Ich rappelte mich auf, wankte auf die Tür zu. Mein Puls jagte. Heißkalte Wellen überliefen meinen Körper. Nur das Licht des Vollmondes warf einen silbernen Schein ins Zimmer. Wo hatte ich das Handy hingelegt? Mir fiel die große Schere ein, die in der Schublade meines Schreibtisches lagerte, der nur zwei Schritte von mir entfernt war. Rasch, aber so leise wie möglich, zog ich die Schublade unter der Tischplatte auf. Sie quietschte kurz. Die Schere befand sich unter einem Stapel Papierkram. Sobald sie sicher in meiner rechten Hand lag, kehrte ich zu meinem Bett zurück. Kaum, dass ich es erreicht hatte, flog die Tür auf. Licht aus dem Flur flutete das Zimmer ein wenig. Im Zwielicht standen zwei dunkle, offensichtlich männliche

Gestalten, die schnell auf mich zukamen. Mein Atem stockte.

»Maul halten«, zischte einer der beiden. Er war groß, breitschultrig und trug eine Skimaske über Augen und Nase. Der andere Typ wirkte wie sein Zwilling. Mir schnürte sich die Kehle zu, als mich einer der beiden an der Schulter packte. Instinktiv hatte ich die Schere zücken wollen, war aber zu erstarrt, wie gelähmt. Der Typ stieß mich zurück. Ich landete rücklings auf meinem Bett und schnappte nach Luft. Meine Lider flatterten, ich musste würgen.

»Wo ist das Geld?«, blaffte der Zweite mit dunkler, rauer Stimme, die für mich dennoch jung klang.

Ich musste etwas sagen. Mach schon, Meggie.

»Ich konnte nicht. Mir war so übel«, bekam ich gepresst heraus.

»Das hast du unseren Auftraggebern schon in einer Mail aufgetischt«, knurrte der, der mich gestoßen hatte. Die beiden handelten also im Namen der Kredithaie. Die machten ernster denn ernst, wenn sie sogar schon gewaltbereite Geldeintreiber auf mich ansetzten.

Einer der beiden kniete sich neben mich, während der andere sich über mich beugte, eine Hand an meine Kehle legte und leicht zudrückte.

»Los, rück die Kohle raus, Süße. Wäre doch schade, wenn wir noch handgreiflicher werden müssten«, sagte der, der neben mir kniete und den Kopf schief legte.

Ich räusperte mich ein paarmal, bis ich meine Stimme einigermaßen wiedergefunden hatte. Mein Herz überschlug sich und mein Magen krampfte.

»Im Wohnzimmer. In meiner Tasche. Ich wollte es abgeben. Wirklich. Aber … Und … Ich brauche …« Meine Gedanken schwirrten durcheinander und rissen mich mit sich in einen Strudel, der mir zusammen mit meiner Angst den Verstand zu rauben drohte.

»Los, Tiger. Hol dir die Tasche«, befahl der Typ, der sich über mich beugte, seinem Kumpan.

Der sprang sofort auf. Tiger? Was war das denn für ein Name?

»Bin gleich wieder da, Raven.«

Raven? Ich runzelte die Stirn.

»Was glotzt du so blöd?«, rief Raven.

»Bitte … Bringen Sie mich nicht um«, flehte ich.

Raven seufzte. »Mal sehen. Wenn du weiter schön brav bist. Und anschließend nicht zu den Bullen gehen, Kleine. Sonst bist du wirklich tot«, mahnte er.

Ich nickte energisch.

Schon kam Tiger zurück und stieß ein Knurren aus, wobei er das Kuvert mit dem Geld aus meiner Tasche hochhielt und die andere Hand krallenartig ausfuhr.

»Was bedeutet das, Tiger? Hat sie uns angeschmiert?«, wollte Raven sofort wissen. »Ja, da fehlt eine Menge Kohle, Raven. Da drin ist nur ein kleiner Teil«, antwortete Tiger höhnisch. »Dann können wir sie also doch umlegen«, legte er nach und verzog den Mund zu einem Grinsen. Ich sah es, weil er näherkam und mich direkt anglotzte.

Mein Herz pochte so wild gegen die Rippen, dass ich glaubte, es würde sie jeden Moment durchbrechen.

Raven hielt Tiger zurück, als der sich auf mich stürzen wollte.

»Hey, schalt dein Hirn ein. Denk an die Vereinbarung. Wie sollen wir an unser restliches Geld kommen, wenn wir sie jetzt umlegen?« Raven drückte ein wenig mehr zu, was mich kurz röcheln ließ.

»Ich zahle alles zurück. Alles!«, bekam ich zittrig über die Lippen.

»Wo ist der Rest?«, raunzte Tiger, wobei ein paar Tropfen seiner Spucke mein Gesicht benetzten.

»Ich … ich hab den Rest noch nicht. Aber bald«, antwortete ich abgehackt. Seine Finger schlossen sich ein Stückchen enger um meinen Hals. Ich begann zu husten. So gerne hätte ich mir mein Versprechen an diese Gangster selbst geglaubt. Wenn ich keine Bank ausraubte oder kein Wunder geschah, würde ich für die vollständige Rückzahlung des Restbetrages wohl noch ein ganzes Weilchen brauchen. Allerdings behielt ich das lieber für mich.

»Wann ist bald?«, fauchte Tiger und riss an meinem Haar. Autsch!

»Vier Wochen«, stammelte ich flehend.

Die beiden tauschten Blicke. Tiger tippte sich an die Stirn. Dann sahen sie wieder auf mich hinab.

»Bitte!«, bettelte ich. Wie armselig und schwach ich mir doch dabei vorkam.

»Du bleibst liegen. Beweg dich nicht. Wir beraten uns kurz an der Tür«, raunzte Tiger und ließ mich los. Mit den Händen massierte ich meinen malträtierten Hals und sog tief Luft in die Lunge.

Unwillkürlich musste ich an die Annonce in der Zeitung denken. Sofort wollte ich den Gedanken wieder verwerfen, doch er verharrte in meinem Kopf wie in Beton gegossen. Nun, vielleicht war das wirklich eine Option. Weiter nach Luft schnappend fasste ich den verrückten Entschluss, Mr Unbekannt zu schreiben. Eigentlich wollte ich nur heiraten, wenn ich mich wirklich verliebte. Ein Schwur, den ich mir in Anbetracht der jetzigen Umstände nicht leisten konnte. Ich musste ihn brechen, vergessen, würde es tun. Vorausgesetzt die Anzeige war wirklich kein Fake.

»Also gut. Wir erreichen gerade keinen unserer Auftraggeber. Aber zwei Wochen sollten in Ordnung sein. Dafür nehmen wir uns tausend von den fünftausend Kröten«, erklärte Raven, sobald er und sein Partner wieder neben mir auftauchten.

»Was?«, stieß ich aus.

Tiger beugte sich zu mir herunter. »Maul halten und nicken. Du hast uns also offiziell nur viertausend gegeben, wenn die dich fragen. Kein Ton von dem Schweigegeld.«

Hielt er mich für bescheuert? »Klar!«

Sein Atem roch nach kaltem Rauch. »Betrachte das Geld als Entschädigung für unser Entgegenkommen. Und noch einmal, denke nicht mal dran, die Bullen zu informieren, sonst bist du dran.«

Ich schluckte schwer und nickte.

Endlich zogen sie von dannen wie ein scheußliches Unwetter. Ich hörte sie hinter dem Haus über die Veranda poltern, dann kehrte Ruhe ein. Das Mondlicht, das durchs Fenster fiel, senkte sich auf mich hinab. Tränen schossen mir in die Augen. Ich fühlte mich nackt, wie erschlagen. Mit den Fingern tastete ich meinen Hals genauer ab. Der Schock wich ein wenig. Ich stand auf und schaltete das Licht an. Wie in Trance ließ ich die Szenen von eben Revue passieren und schlug die Hände vor den Mund. Auf was hatte ich mich da nur eingelassen? Es war schlimmer, als ich bisher befürchtet hatte.

Ich dachte darüber nach Thelma anzurufen und ihr doch alles zu erzählen. Aber nein, sie konnte mir auch nicht helfen, würde sich nur Sorgen machen. Ich schämte mich zudem immer mehr, weil ich so dumm gewesen war, mich auf diesen Kreditdeal einzulassen. Mein Mund fühlte sich an wie ausgedörrt. Ich nahm das Handy mit in die Küche, drehte den Wasserhahn auf und trank gierig, als wäre ich kurz vor dem Verdursten. Zwei Wochen! Wie sollte ich das schaffen? Erneut kam mir die Annonce in den Sinn, während auf dem Display des Handys eine Nachricht von Thelma aufblinkte: Hi Süße! Wie geht es dir? Mir ist etwas dazwischengekommen. Bist du böse, wenn ich etwas später komme?

Mit zittrigen Fingern antwortete ich ihr: Ich bin müde! Wir können uns ja morgen sehen oder telefonieren. Hdl.

Wenig später trudelte eine Antwort von Thelma ein: Okay! Ich freue mich auf dich. Hdal.

Aus meiner Erinnerung kam mir wieder das Klirren in den Sinn, das ich gehört hatte, bevor Tiger und Raven bei mir aufgeschlagen waren. Sofort eilte ich durch die Räume. Da entdeckte ich, dass die Terrassentür aufgebrochen war. Ich ließ alle Jalousien herunter, fühlte mich dadurch etwas sicherer. Zuletzt die in der Küche. Dann nahm ich eine Flasche Wodka und trank ein paar Schlucke daraus. Dabei streunte ich wie eine Katze durch die Räume. Im Wohnzimmer schnappte ich mir die zerknüllte Zeitung mit der Annonce, glättete sie, soweit es möglich war, und eilte damit ins Gästezimmer im zweiten Stock. Den Wodka nahm ich mit. Es war zwar unvernünftig nach der Übelkeit, die mich geplagt hatte, Alkohol zu trinken und zudem der falsche Weg, aber ich konnte jetzt nicht anders. Das Gästezimmer war gemütlich eingerichtet – helle Möbel, darunter eine kleine Kommode und zwei Grünpflanzen auf der Fensterbank. Manchmal hatten in dem Zimmer Freunde meiner Eltern übernachtet. Zurück in mein Bett wollte ich nicht. Nicht in dieser Nacht. Ich nahm ein paar weitere Schlucke Wodka. Schon etwas benebelt davon holte ich mir von unten einen Block mit weißem, linienlosem Papier und einen Kugelschreiber, schlüpfte unter die Decke des kleinen Bettes und nahm mir die Annonce von Mr Unbekannt noch einmal zur Brust. Mit Wodka las die sich erst recht wie ein Scherz. Dennoch, ich musste mein Glück versuchen. Noch ein Schluck. Ich wusste, dass ich so viel Alkohol nicht vertrug. Aber in dieser Nacht war mir das egal. Die Zeilen der Annonce verschwammen vor meinen Augen.

»Das ist doch wirklich lächerlich, Meggie. Was sagt dein Verstand?« Definitiv erinnerte er mich nur an die Drohung der Geldeintreiber und schaltete damit auf einen Kurs, der die Vernunft in eine ungewöhnliche Richtung lenkte. Andererseits war da auch das Adrenalin, das die Sache reizbar machte.

»Reizbar? Jetzt spinnst du echt.« Ich legte den Block weg.

Das Display meines Handys blinkte auf. Zuerst dachte ich, es wäre ein eingehender Anruf von Thelma. Ich hätte sogar eine Nachricht von Philip in Kauf genommen, als ich sah, dass die Nummer unterdrückt wurde. Das konnte nur eins bedeuten. Sofort war ich gefühlt wieder nüchtern und die Angst kehrte mit voller Wucht zurück. Wohl oder übel musste ich rangehen. Am Ende würden mir die Haie sonst vielleicht selbst einen Besuch abstatten. Ich atmete tief ein und aus und drückte auf Annehmen.

»Ja?«, fragte ich leise.

Ein, zwei Sekunden Stille, dann die altbekannte Stimme des Hais, mit dem ich bisher am meisten geredet hatte. Oder vielmehr er mit mir. »Den Rest. Und zwar schnell. In drei Tagen«, raunzte er.

Meine Augen weiteten sich. »Drei Tage? Das … geht nicht. Es waren zwei Wochen vereinbart. Tiger und … und … Raven haben mir zugesichert, dass …«

»Drei Tage! Kuvert, Briefkasten East End. Ende der Durchsage.«

Und weg war er. Mein Herz rutschte mir in die Kniekehlen. Das darf doch nicht wahr sein. Nein, definitiv war das alles kein böser Traum gewesen. Das alles war real, genau wie die Kopfschmerzen, die mich plagten. Wenigstens war ich gestern Nacht irgendwann eingeschlafen, wenn auch unruhig. Ich hatte lauter wirres Zeug geträumt, fühlte mich wie erschlagen. Die Zeilen, die ich auf den Block gekritzelt hatte, verschwammen vor meinen Augen. Mein Magen rotierte. Sonnenlicht fiel durch die Lamellen der Jalousie des Gästezimmers, die ich vorhin ein wenig aufgezogen hatte, nachdem ich mir eine Flasche Wasser und eine Kopfschmerztablette aus der Küche geholt hatte. Nun saß ich wieder im Bett. Was hatte ich da gestern geschrieben? Ich rieb mir die Augen und las, sobald ich klarer sehen konnte.

Hallo Mr Unbekannt,

Sie suchen also eine Frau mit Abenteuersinn. Da bin ich absolut die Richtige. Ich liebe Abenteuer, solange sie nicht schmutzig sind. Meine Güte, ich bin so verzweifelt. Wohl genauso wie Sie. Denn warum sonst sollten Sie einen derart verrückten Aufruf in die Zeitung setzen? Aber es reizt mich auch, die Antwort darauf herauszufinden. Daher schreibe ich Ihnen. Aber Moment! Das bedeutet noch kein Ja. Ich wohne unweit von London. Ich lege ein relativ aktuelles Foto bei und bin gespannt auf Ihre Antwort. Falls Sie Interesse haben mich kennenzulernen, können wir gerne erst einmal telefonieren, bevor wir uns am Altar treffen. Ein bisschen mehr möchte ich schon von Ihnen erfahren. Dann erfahren Sie auch mehr über mich. Bitte um kurzfristige Rückantwort. Meggie.

Okay, das klang gar nicht mal so schlecht. Als PS notierte ich ihm meine Handynummer. Dann klopfte ich mir mit den Fingern gegen die Stirn. Dass ich Schweißausbrüche haben konnte, ohne Sport zu treiben, war mir neu. Ich riss das Blockblatt ab und suchte nach einem Kuvert. Sobald ich den Brief verpackt hatte, sprang ich unter die Dusche. Das eiskalte Wasser brachte wieder Leben in meine müden Knochen. Langsam klangen die Kopfschmerzen ab, wenngleich ein flaues Gefühl im Magen blieb, welches nicht nur vom Alkohol herrührte. Nach der Dusche schlüpfte ich in ein rotes knielanges, leichtes Sommerkleid mit weißen Tupfen und öffnete ein paar der Jalousien, damit wieder Licht und Leben ins Haus fließen konnten.

Währenddessen fiel mein Blick hoffnungsvoll auf das Kuvert. Ich drückte mir beide Daumen, dass es die richtige Entscheidung war, Mr Unbekannt zu schreiben. Plötzlich klingelte es an der Tür. Instinktiv kauerte ich mich hinter die Couch. Nein, so viel Anstand besaßen Tiger und Raven nicht, dass sie klingeln würden, dachte ich mir. Ein Blick auf die Uhr über der Tür zeigte mir, dass es kurz nach Mittag war. Langsam erhob ich mich, ging um die Couch herum und warf vorsichtshalber einen Blick aus einem der Fenster, von dem aus man die Einfahrt sehen konnte. Da entdeckte ich Thelmas marineblaues Audi-TT-Cabrio. Rasch eilte ich zur Tür, zog sie auf und fiel ihr wortlos um den Hals, so froh war ich, dass sie hier war.

»Meine Güte, du erdrückst mich gleich, Süße«, keuchte sie und lachte.

Erschrocken wich ich zurück. Meine Überschwänglichkeit kam ihr sicher komisch vor.

Blinzelnd sah sie mich an. »Alles gut? Du tust ja so, als hätten wir uns ewig nicht mehr gesehen.«

»Was tust du hier?«, fragte ich.

Thelma schürzte die Lippen. »Dich besuchen. Ich hab Mittagspause. Das Meeting lief blendend. China war begeistert von meinen Ideen. Diamantenwerbung in der Antarktis. So kühl und unwiderstehlich wie das ewige Eis.« Sie strahlte über das ganze Gesicht, was mich für sie freute, wurde dann aber wieder ernst.

»Du bist bleich um die Nase. Hätte ich meinen beruflichen Erfolg mit China doch besser nicht erwähnt. Ich Idiotin«, bemerkte sie.

Genau dieses Mitleid wollte ich nicht. »Nein. Es ist toll.« Fand ich wirklich.

»Wirklich?«

»Wirklich.«

»Danke. Weshalb ich eigentlich hier bin. Ich möchte dich zum Essen einladen. Zusammen mit Eric. In London.«

Zugegeben, das klang verlockend. Die Abwechslung kam mir sogar recht.

»Das klingt gut.«

Drei Tage, hämmerten sich die Worte des Hais erneut in meinen Kopf.

»Es ist doch was. Ich weiß ja, dass alles nicht leicht ist, zurzeit für dich«, sagte Thelma. Da merkte ich, dass ich gerade an ihr vorbei in die Ferne gestiert hatte. Blinzelnd bat ich sie herein und setzte ein Lächeln auf.

»Wird schon. Magst du einen Tee?«

»Danke, ja. Du, ich habe mich wieder wegen eines Jobs für dich umgehört«, erzählte Thelma, während sie mir in die Küche folgte. Absichtlich brachte ich sie schnell am Wohnzimmer mit der aufgebrochenen Terrassentür vorbei. Ich drehte mich nach ihr um. Sie sah gut aus in ihrem marineblauen Businesshosenanzug, dem weißen Seidenschal, den sie locker um den Hals gelegt hatte, und den ebenso weißen High Heels. Die streifte sie aufstöhnend von den Füßen und stellte sie neben der Garderobe ab.

»Die sind wahnsinnig schön, drücken aber hier und da. Kann ich mich ganz kurz hinlegen? Der Tag hat mich geschlaucht, trotz des Erfolgs.«

»Klar.«

Als sie dazu ins Wohnzimmer gehen wollte, zog ich sie weiter in die Küche. »Nein! Ich … ich hab noch nicht aufgeräumt. Außerdem ist die Luft im Wohnzimmer so schlecht«, sagte ich schnell. »Du kannst dich gern kurz im Gästezimmer ausruhen.«

»Ach, nicht nötig. Geht schon wieder.«

Die Stirn in Falten gelegt, starrte Thelma mich an, als ich in der Küche einen Stuhl zurückzog.

»Dann setz dich«, murmelte ich und machte uns zwei Früchtetee. Dabei beobachtete mich Thelma mit Argusaugen. »Megan«, sprach sie nach einer Weile meinen Namen nahezu mahnend aus.

Ich tänzelte zu ihr und stellte die Tassen mit dem Tee vor ihr ab. Dann lächelte ich, vielleicht ein wenig zu übertrieben.

Ein wenig schwungvoll setzte ich mich neben sie und nippte von meiner Tasse. »Was ist?«, fragte ich.

»Du kannst mir alles sagen. Das weißt du.«

Ich schluckte trocken. »Ja, weiß ich doch. Du wolltest mir etwas sagen.«

»Ja. Also die Sache ist die: Die Agentur stellt sich weiter stur. Leider! Aber du könntest schon morgen in einer Bar anfangen, die einem guten Bekannten meines Juniorchefs gehört.«

»Du hast deinen Chef gefragt?«, staunte ich.

»Jack und ich sind per Du. Ich hätte dich aber viel lieber bei uns in der Firma untergebracht. Sobald was frei wird, sagt er es mir. Das hat er mir hoch und heilig versprochen.«

»Okay. Danke dir.«

»Die Bar«, berichtete sie weiter, »ist hier in Canterbury. Der Besitzer ist in etwa so alt wie wir. Er wollte den Job erst die Tage ausschreiben. Jack hat ihn dann gleich angerufen. Du kannst dich morgen früh um acht vorstellen und dann abends anfangen, wenn es passt. Was sagst du dazu?« Sie kramte in ihrer Tasche und reichte mir eine rabenschwarze Visitenkarte mit silberner Schrift.

Ronald’s Sweets & Bar stand darauf. Das S trug kleine Hörner auf seinem Haupt. Das untere Ende zierte ein Haken. Warum auch immer. Auf der Rückseite waren die Adresse, ein Websitelink sowie eine Telefonund Faxnummer vermerkt. Die Bar kannte ich natürlich. Drinnen war ich allerdings nie gewesen, auch wenn es von außen immer gemütlich aussah.

Die Jobaussicht war zumindest ein kleiner Lichtstreifen am dunklen Horizont.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, stieß ich aus und umarmte Thelma, die mir Mut machend auf den Rücken klopfte. »Danke, Thelma!«

»Kein Ding.«

Dennoch blieben die verdammten drei Tage, die mir schwer im Magen lagen. Für einen Augenblick war ich drauf und dran, Thelma doch davon zu erzählen. Nein! Was, sagte ich mir wieder, sollte das schon bringen, außer, dass sie sich noch mehr Sorgen um mich machen und ich mich zunehmend als Loserin fühlen würde? Also hielt ich den Mund.

Allem voran, um mich abzulenken, hatte ich ausgiebig Zeit damit verbracht, mich für das Date mit Thelma und Eric zurechtzumachen. Davor hatte ich mich bei einer Firma erkundigt, wie teuer die Reparatur der Terrassentür werden würde und dem Chef dort ein Bild des Schadens via Mail geschickt. Zu viel im Moment, wie sich herausstellte. Der ganze Rahmen musste erneuert werden. Der Brief an Mr Unbekannt lag noch immer auf der Couch. Auf was wartete ich denn noch? Die Zeit rann mir durch die Finger. Kurzerhand zog ich mir ein schwarzes knielanges Kleid über, richtete noch einmal mein Haar, das mir lockig und weich über die Schultern fiel, und zog mir eine Jacke über, weil es draußen nieselte. Dann schnappte ich mir einen Schirm und den Brief, den ich ausreichend frankiert hatte, und eilte los.

Am Ende der Straße, die mit weißen Häusern und einem TanteEmma-Laden gesäumt war, gab es einen Briefkasten, der mir schon aus der Ferne entgegenleuchtete. Zwei Kinder standen auf dem Gehweg und streckten ihre Zungen heraus. Wohl, um ein paar Regentropfen aufzufangen. Dabei lachten sie. Fast unbewusst lachte ich leise mit. So unbeschwert war ich als Kind auch oft gewesen. Ich atmete die würzig riechende Luft tief ein und aus und lief weiter, bis ich den Briefkasten erreichte. Sobald meine Finger das Kuvert losgelassen hatten und er ins Innere segelte, überkam mich ein Gefühl der Erleichterung. Ich hatte es getan! Mein Herz pochte wie verrückt.

NEUE HORIZONTE

Das Rooftop-Restaurant bot eine gigantische Aussicht auf London. Von hier aus erinnerten mich die vielen blinkenden Lichter der Stadt an ein Diadem. Eric war ein Gentleman und zog uns die Stühle unseres Tisches zurück, während er wartete, bis wir uns gesetzt hatten, bevor er selbst Platz nahm. Thelma saß direkt neben mir, Eric ihr gegenüber. Er sah gut aus in seinem weißen Hemd, dem grauen Jackett und den schwarzen Jeans. Die Blicke, die er Thelma schenkte, verrieten eindeutig, dass er sie vergötterte. So sollte es ja auch sein.

»Lady in Red«, hauchte er ihr über den Tisch hinweg zu und schob eine Hand Richtung Mitte. Das knöchellange, enge Kleid, das sie trug, stand ihr perfekt.

»Ich freu mich schon, wenn du mich später ausschälst«, flüsterte sie und legte ihre Hand in Erics. Dann zwinkerte sie ihm zu. Eric hob eine Braue und gab ihr einen Kuss.

»Schön, dass du mitgekommen bist«, sagte Thelma danach zu mir. Ich sah sie an und lächelte.

»Du siehst übrigens umwerfend aus, Megan«, meinte Eric. Thelma stimmte ihm zu.

»Danke. Ihr auch«, sagte ich.

Ein Kellner in schwarzem Anzug, weißem Hemd und Fliege brachte uns die Speisekarten.

Hunger verspürte ich kaum, was sicher auch an dem nächtlichen Besuch der dunklen Typen und dem Anruf des Hais lag. Eric und Thelma bestellten sich Wein, ich mir Johannisbeersaft mit Wasser und Eis.

Ich bemerkte sorgenvolle Blicke von Seiten Thelmas, als die Getränke gebracht wurden und wir das Essen bestellten. Ich entschied mich für einen kleinen Salat mit Hähnchenbruststreifen. Das genügte. Etwas musste ich essen. Thelma wäre sonst noch skeptischer geworden. Sie wusste, dass ich schon gerne mal ein kleiner Vielfraß sein konnte.

»Wir laden dich ein. Schon vergessen? Also falls es wegen der Rechnung ist, dass du nur so wenig essen willst …«, flüsterte sie mir zu. Ich runzelte die Stirn. Und auf einmal wurde mir klar: »Oh, nein, nein, daran liegt es nicht.« Sie schürzte die Lippen.

»Ich habe keinen großen Hunger. Das ist alles«, erklärte ich ihr und lächelte. »Alles prima.«.

»Kann nicht jeder so ein Bär sein wie du, Thelma«, bemerkte Eric daraufhin und lachte.

Thelma nahm es sportlich. Sie konnte essen, was sie wollte, ohne zuzunehmen. Ein Phänomen. Dabei trieb sie nicht einmal Sport. Ich hingegen ging oft joggen. Auch um mein jetziges Normalgewicht zu halten, vor allem aber, um den Kopf wieder freizubekommen, wenn er mit Gedanken zu vollgepackt war.

»Oder schlagen dir die Sorgen inzwischen auf den Magen?«, fragte Thelma mich.

Ihr Blick ging mir durch und durch.

»Ich möchte jetzt nicht darüber reden, Thelma.« Sie atmete durch. »Okay.«

»Wir sind immer für dich da«, sagte Eric und nickte mir zu.

»Das ist lieb von euch. Ihr seid die besten Freunde, die man haben kann«, erwiderte ich ehrlich. Aber nun wollte ich lieber das Thema wechseln.

Am gegenüberstehenden Tisch nahm eine Gruppe junger Männer Platz, die allesamt in feinen dunklen Anzügen steckten. Zwei von ihnen hatten Laptops bei sich. Höchstwahrscheinlich ein Geschäftsessen. Unwillkürlich dachte ich an Mr Unbekannt. Morgen müsste er meinen Brief erhalten. Ich fragte mich, ob er einem der Männer an dem Tisch ähnlich sah, die außer den Laptops und den Anzügen noch eine Gemeinsamkeit hatten: Sie waren durch die Bank weg adrett. Thelma riss mich aus meinen Gedanken.

»Das ist ja Wahnsinn, Eric«, sagte sie.

»Um was geht es?«, fragte ich. »Ich habe einen Moment nicht zugehört.«

»Ich will Thelma entführen. Ich habe in den letzten Monaten immer mal wieder etwas zur Seite gelegt. Und jetzt reicht es für einen Tauchurlaub in der Karibik. Zwei Wochen Sonnenschein und Meer. Das Angebot ist ein wahres Schnäppchen, ich musste zugreifen. Ich finde einfach, die Zeit ist reif für eine Auszeit. Außerdem liebe ich es, Thelma eine Freude zu machen«, erzählte Eric und machte ein seliges Gesicht.

»Aber vielleicht hättest du das nicht hier sagen sollen«, murmelte Thelma.

Eric sah perplex drein. Genau wie ich.

»Wieso? Wegen mir?«, fragte ich. Thelma biss sich auf die Unterlippe.

Ich lachte beklommen. »Jetzt hör aber auf. Ist doch schön. Ich freue mich für euch. Schickt mir viele Fotos. Darauf bestehe ich.«

»Machen wir«, versprach Thelma, wirkte aber weiter angespannt.

»Wisst ihr was, ich gehe eine rauchen. Dann könnt ihr ein bisschen in Ruhe quatschen«, sagte Eric. Bevor er sich auf den Weg nach draußen machte, gab er Thelma noch einen kurzen, aber zärtlichen Kuss, der nicht nur sie dahinschmelzen ließ. »Eric ist ein Schatz«, bemerkte ich, als er weg war.

Thelma nickte. »Ja, ist er.« Sie streckte einen Arm aus. »Sieh dir das an. Ich hab schon wieder Gänsehaut. Das ist oft so, wenn er mich küsst. Ich glaube, ich verliebe mich jeden Tag ein bisschen mehr in ihn.«

»Und er sich offensichtlich in dich.« Thelma nahm ihr Weinglas und stieß es gegen meine Schorle. »Und nun raus damit. Was hast du auf dem Herzen? Ist es wegen morgen? Ja, der Job ist nicht optimal, aber ein Neuanfang. Du kannst ja trotzdem weitersuchen«, sagte sie dann.

»Habe ich auch vor. Aber darum geht es nicht«, erwiderte ich.

»Also wenn es nicht um den Job geht, um was dann, Meggie?«

Ich holte einmal tief Luft, dann spuckte ich es aus: »Ich habe ihm geschrieben.«

Stirnrunzelnd sah Thelma mich an. Ich konnte das Rattern ihrer Gedanken nahezu hören. Fünf Sekunden später riss sie den Mund auf.

»Meinst du gerade mit ihm den Typ, der die Annonce aufgegeben hat?« Ich nickte schnell. Endlich war es raus. Ich musste ihre Meinung dazu wissen. Sie hatte mir ja sogar vorgeschlagen, ihm zu schreiben. Also war ich eigentlich sicher, dass sie meine Entscheidung gutheißen würde.

»Ich dachte du hättest verstanden, dass ich nicht ernst meinte, als ich sagte, du kannst ihn ja mal anschreiben. Da kann doch nur ein Verrückter dahinterstecken oder jemand, der sich einen Scherz erlaubt.« Ich deutete auf ihr Weinglas. »Ich jedenfalls mache keinen Scherz.

Darf ich einen Schluck von deinem Rotwein haben?«

Thelma schüttelte den Kopf und winkte nach dem Kellner. »Bringen Sie uns bitte noch ein Glas von diesem Rotwein«, bat sie ihn. Als er weg war, nickte sie in Richtung der Männer mit den Anzügen und Laptops. »Wie wäre einer von denen? Der Blonde sieht doch ganz schnuckelig aus«

»Er trägt einen Ring an besagtem Finger, Thelma. Genau wie die anderen.«

Thelma schnaubte leise. »Mist. Stimmt.«

»Ich glaube langsam, die besten Männer sind schon alle vergeben«, sagte ich.

»Nicht alle, Süße. Dein Mister Right kommt noch. Du hast dem Annoncen-Typ aber keine Adresse gegeben, oder?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin doch nicht verrückt.«