Blind Wedding - Kera Jung - E-Book

Blind Wedding E-Book

Kera Jung

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Beschreibung

April Palmer hat ein Problem: Ihr Freund hat sie von heute auf morgen sitzen lassen, und sie damit in den schlimmsten Liebeskummer ihrer bisherigen Existenz gestürzt. Was für ein Glück, dass es Helen gibt, die sie kurzerhand auf einen Vergessenskurztrip nach Atlantic City entführt. Greg McCarthy hat ebenfalls ein Problem: Er soll in wenigen Tagen heiraten und hat so gar keine Meinung zu diesem speziellen Thema. Im Grunde will er nur endlich die Firma seines Vaters übernehmen, und der fordert nun einmal vorher eine Hochzeit, egal mit wem. Anlässlich des Junggesellenabschiedes entführen ihn seine Freunde nach Atlantic City, wo er noch einmal die Sau rauslassen soll, bevor ihm die Ketten der Ehe angelegt werden. Als April und Greg sich treffen, prallen zwei Charaktere aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. April, Krankenschwester aus Brooklyn, die in einem heruntergekommenen Appartement lebt und am liebsten zerrissene Jeans und Boots trägt. Und Greg, der smarte, gut aussehende Erbe des Finanzimperiums, der im Grunde doch nur seine Ruhe will, zu ein paar Stunden mit einer aufregenden Frau aber bestimmt nicht nein sagt. Ein Tanz, ein Kuss, jede Menge Alkohol, zwei epische Kater und etliche Stunden später wissen sie, dass sie nicht nur unvergesslichen Sex miteinander erlebt, sondern nun auch ein gemeinsames Problem haben. Beide finden für sich eine Lösung, die jedoch unterschiedlicher nicht ausfallen könnte, womit das Schicksal erst richtig in Aktion tritt.

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Blind Wedding

Deutsche Erstausgabe Juli 2016

© Kera Jung

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Alle Rechte vorbehalten!

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Satz E-Book: Anke Neuhäußer

Satz Print: Anke Neuhäußer

Erschienen bei der

A.P.P.-Verlags-GmbH

Loch 1305

9428 Walzenhausen

Schweiz

Mobi: 978-3-946484-87-5

E-Pub: 978-3-946484-88-2

Print: 978-3-946484-89-9

Dieser Roman wurde unter Berücksichtigung der neuen deutschen Rechtschreibung verfasst, lektoriert und korrigiert. Fiktiver Roman. Orte, Events, Markennamen und Organisationen werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen und Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer.

Kurzbeschreibung

April Palmer hat ein Problem: Ihr Freund hat sie von heute auf morgen sitzen lassen und sie damit in den schlimmsten Liebeskummer ihrer bisherigen Existenz gestürzt. Was für ein Glück, dass es Helen gibt, die sie kurzerhand auf einen Vergessenskurztrip nach Atlantic City entführt.

Greg McCarthy hat ebenfalls ein Problem: Er soll in wenigen Tagen heiraten und hat so gar keine Meinung zu diesem speziellen Thema. Im Grunde will er nur endlich die Firma seines Vaters übernehmen, und der fordert nun einmal vorher eine Hochzeit, egal mit wem. Anlässlich des Junggesellenabschiedes entführen ihn seine Freunde nach Atlantic City, wo er noch einmal die Sau rauslassen soll, bevor ihm die Ketten der Ehe angelegt werden.

Als April und Greg sich treffen, prallen zwei Charaktere aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. April, Krankenschwester aus Brooklyn, die in einem heruntergekommenen Appartement lebt und am liebsten zerrissene Jeans und Boots trägt. Und Greg, der smarte, gut aussehende Erbe des Finanzimperiums, der im Grunde doch nur seine Ruhe will, zu ein paar Stunden mit einer aufregenden Frau aber bestimmt nicht nein sagt.

Ein Tanz, ein Kuss, jede Menge Alkohol, zwei epische Kater und etliche Stunden später wissen sie, dass sie nicht nur unvergesslichen Sex miteinander erlebt, sondern nun auch ein gemeinsames Problem haben.

Beide finden für sich eine Lösung, die jedoch unterschiedlicher nicht ausfallen könnte, womit das Schicksal erst richtig in Aktion tritt.

1. Kapitel

April

Komme heute später, warte nicht auf mich.

Kuss S.

»Ist aber ziemlich lange unterwegs, oder?«, stellte Helen trocken fest, während sie den Sekt entkorkte. Den zerknüllten Zettel hatte sie zurück auf den Tisch geworfen.

»Könnte man so sagen«, nuschelte April, die den Blick nicht von den flinken Fingern ihrer Freundin nehmen konnte. Das Alupapier abreißen, den Draht lockern – noch immer offenbarte Helen nicht die geringsten Anzeichen von Stress. Die schmale Hand umschloss den Plastikkorken, einmal nach links drehen, einmal nach rechts – spätestens jetzt hätte April den Kopf zwischen die Schultern gezogen –, dann ertönte ein leises ›Plopp!‹ und Helen warf lässig den Plastikkorken auf den Tisch.

»Und was hast du jetzt vor?«

Nach wie vor ließ April sich zu keiner Äußerung hinreißen, sondern beobachtete offenbar restlos fasziniert, wie die sprudelnde Flüssigkeit in zwei Wassergläser gegossen wurde. Dann nahm Helen die Martiniflasche und gab auch davon jeweils einen großen Schwall in die Gläser. Schließlich betrachtete sie ihre Freundin erwartungsvoll, seufzte und schob ein Glas zu ihr hinüber.

»Trink, Mädchen. Das hilft.«

Endlich erwachte April aus ihrer scheinbaren Totenstarre. Sie ließ ein leises Glucksen ertönen, griff nach dem Glas, prostete ihrer Freundin zu und leerte es, ohne einmal abzusetzen. Erstaunt betrachtete Helen ihren Exzess, dann nahm auch sie einen großen Schluck und lehnte sich zurück.

»Du wusstest immer, dass er ein Arschloch ist, eigentlich dürfte sich deine Überraschung in Grenzen halten.«

»Ja, aber nicht so eines!«, widersprach April finster.

Wieder seufzte Helen. »Okay, das kann wohl auch kein vernünftiger Mensch ahnen.«

»Eben!« Verlangend hielt April das nun leere Glas ihrer Freundin entgegen und die verstand ohne Worte. So wie Helen ohnehin immer verstand, was April gerade bewegte, was sie brauchte und was sie ums Verrecken überhaupt nicht gebrauchen konnte. Belehrungen, beispielsweise. Sie goss Nachschub in das Glas und sah dabei zu, wie April auch dieses in einem Zug leerte.

»Wow, der Kater wird episch, so viel steht schon mal fest.«

»Ist mir egal«, erwiderte April, nachdem sie geschluckt hatte. »Mir ist momentan alles egal, kannst du mir glauben.«

»Nein, ist es nicht«, widersprach Helen sofort. »Denn es wäre wirklich echt bescheuert, wenn dir wegen eines Kerls alles egal wäre, Baby.«

»Aber was, wenn er einen Unfall hatte?«

»Dann wären die Cops längst hier gewesen.«

»Was, wenn er seinen Namen nicht sagen kann?«

»Dann wären die Cops auch hier gewesen. Stichwort Führerschein.«

»Okay!« Immer verzweifelter sprudelten die Worte hervor, neben den Tränen, die sich endlich auch wieder eingestellt hatten. Sie waren ja auch für sage und schreibe zwei Stunden glücklich eingedämmt gewesen. »Aber was, wenn er ausgeraubt wurde und man seine Identität nicht feststellen kann? Dann schimmelt er als ›John Doe‹ in der Leichenkammer vor sich hin und niemand wird je erfahren, was mit ihm geschehen ist.«

»Kann ich mir nicht vorstellen, dass er schimmelt. Die Dinger sind doch gut gekühlt, oder?«

Mit einer Handbewegung wischte April diesen Einwand beiseite. »Ja, aber niemand wird jemals erfahren, dass er tot ist. Er wird in einem anonymen Grab beigesetzt. Wahrscheinlich noch in einem von diesen Massengräbern! Da liegt er neben total fremden, stinkenden Leichen. NACKT!«

»Baby«, sagte Helen und wirkte dabei wie eine sehr junge Mutter. Die blonden, langen Haare, das unverbrauchte Gesicht und die fast knabenhaft schlanke Figur erzählten zwar eine ganz andere Geschichte, aber diese graublauen Augen blickten so mütterlich belehrend, dass April sich zum ersten Mal am heutigen Tag ein Kichern verbeißen musste. Es kam nicht verfrüht. »Baby, wir können uns ja stundenlang durch die Krankenhäuser und Leichenhallen von NYC telefonieren, aber ich kann dir eines versichern und das hat sich bisher immer wieder bestätigt.«

»Das wäre?«, erkundigte sich April und hielt ihr verlangend das schon wieder leere Glas entgegen.

»Schlechten Menschen geht es immer gut«, erwiderte Helen auf ihre übliche trockene Art, und schenkte ihrer Freundin währenddessen noch etwas von der Mischung ein, welche ihr über diesen speziellen schlechten Kerl hinweghelfen sollte. Neben dem Fünflitereimer Vanilleeiscreme, der derzeit noch im Kühlschrank auf seinen Einsatz wartete.

»Aber warum meldet er sich denn nicht? Ich meine, okay, er hat sich getrennt, das hab ich ja kapiert, aber weshalb schreibt er dann so einen idiotischen Brief?«

Auch darauf hatte Helen die passende Antwort. »Zwei Worte: Keine. Komplikationen. Als du endlich begriffen hattest, dass er nicht wiederkommt und langsam die Waffen rausholtest, war er schon meilenweit aus der Schusslinie. Außerdem hat er sich auf die Art ein Hintertürchen offengelassen. Hey, das Leben ist hart und unfair. Was, wenn er spontan den Entschluss fasst, zu dir zurückzukehren, wo du es ihm doch immer so kuschelig gemacht hast? Da wäre eine Abfuhr echt Scheiße. So aber kann er sich irgendeine Story ausdenken, wegen der du ihm Absolution erteilst. Vielleicht wurde er von Gangstern überfallen, die ihn wochenlang in Geiselhaft hielten, oder er musste ganz schnell nach Afrika segeln, um die hungernden Kinder zu retten. Wäre auch möglich, dass man ihn total unvorhergesehen zum Astronauten berufen hat und er war in den letzten Monaten auf dem Mond.« Sie zuckte mit den Schultern. »Wäre alles in der Theorie möglich und eine Entschuldigung, die wohl jeder akzeptieren würde. Du auf alle Fälle.«

April, die sich gerade an die Vernichtung ihres aktuellen Glasinhaltes gemacht hatte, nickte enthusiastisch. »Klar, wenn er auf dem Mond gewesen wäre, dann würde ich das sofort glauben. Ist schon blöd, auf die Entfernung eine E-Mail zu verschicken.«

»E-Mail? Du denkst viel zu unromantisch, Baby, das war schon immer dein wahres Problem. Er hat natürlich eine Brieftaube geschickt und die ist eine Weile unterwegs. Bei den ganzen Weiten dort oben.« Wie auf Kommando hoben beide ihren Blick, sahen allerdings nur die Decke von Aprils Wohnzimmer. Und die besaß keine Weiten, hatte nur dringend einen neuen Anstrich nötig.

»Stimmt, der Sauerstoff dürfte auch knapp werden, außerdem kommt sie garantiert nicht mit der Schwerelosigkeit klar.«

Beide musterten sich lange. »Armes Vieh«, sagte Helen irgendwann seufzend. »Hätte er doch bloß einen Brief geschickt.«

»Na ja, ich schätze, der Postbote kommt dort selten vorbei.«

»Er soll ihn abschicken, nicht auf Antwort warten!«

April zuckte mit den Schultern. »Briefkästen gibt es da bestimmt auch nicht.«

»Warum nicht? Ich hab gehört, die Chinesen sollen inzwischen eine geheime Basis dort oben errichtet haben. Die haben garantiert nicht den Briefkasten vergessen.«

»Aha«, sagte April. »Dir ist schon bekannt, dass die verdammten Chinesen nur noch über E-Mails kommunizieren?«

»Echt?« Helens Augen wurden groß. »Okay, aber was, wenn die Japaner dort oben sind? Oder die Inder? Oder …«

»Vergiss es, die haben alle der herkömmlichen Methode abgeschworen. Und …« Sie tippte ein paar Mal auf ihrem Smartphone herum, um dann aufzusehen. »Keine E-Mail da.«

»Hmmm, er könnte auch auf dem Atlantik in Seenot geraten sein. Und jetzt schippert er einsam auf rauer See in seinem Schlauchboot umher und wartet auf Rettung.«

»Womit wir wieder gefragt wären.«

»Nein!« Zum ersten Mal klang Helen schärfer. Sie entleerte den Inhalt der Sektflasche in die beiden Gläser, kippte den Martini nach und hob auffordernd ihres. April folgte der Geste.

»Und nun sprich mir nach: Er ist ein Arschloch.«

»Er ist ein Arschloch.«

»Gut. Er ist weder verletzt noch in Seenot und auch nicht auf dem Mond. Viel wahrscheinlicher wälzt er sich in irgendeinem Bett mit irgendeiner Schlampe herum, die ihm gerade inklusive heißem Nuttenblick einen bläst.«

April verdrehte die verweinten Augen. »Noch mal, bitte, und langsamer. Das hab ich mir nicht gemerkt.«

»Weil du zu schnell trinkst, aber ich nehme an, die Botschaft ist angekommen. Du wirst nicht länger einem Versager wie Scott Healhy nachheulen. Er hat sich auf die Art aus deinem Leben verabschiedet, auf die er daran teilgenommen hat. Wie ein elender Arsch. Seit drei Wochen sitzt du hier, rennst bei jedem Geräusch ans Fenster, wäschst dir nicht die Haare, rasierst dir nicht die Beine und – und das ist das Schlimmste von allem: Du hast fast deinen gesamten Jahresurlaub verbraten. Um deinen Liebeskummer wegen eines Idioten auszuleben, der nicht mal den Dreck unter deinen Fingernägeln wert ist!«

April betrachtete sie nur stumm, doch Helen ließ sich nicht beirren. »Das hört jetzt auf. Wie viel Urlaub hast du noch?«

»Äh …« Stirnrunzelnd überlegte April. »Eine Woche … glaube ich.«

Helen klatschte in die Hände. »Perfekt!« Fit wie ein verdammter Turnschuh sprang sie auf und sah auf die Uhr. »Du hast eine Stunde, um zu packen, ich hol dich dann ab.«

Fassungslos starrte April ihre Freundin an. »Was? Wieso …«

»… weshalb, warum, kenn ich alles.« Helen befand sich bereits auf dem Weg zur Wohnungstür. »Aber diese dämliche Tour ist momentan nicht aktuell. Du sollst nur eines, Schätzchen: tun, was Mommy dir sagt.«

Nachdem sie ihre Beine aus dem Schneidersitz entwirrt und es glücklich vom Sofa geschafft hatte, hetzte April ihr hinterher. Doch bevor sie weiter ihre Fragen an die offenbar durchgeknallte Freundin bringen konnte, war diese leider verschwunden. Benommen starrte April das Holz der Tür an, das Helen, umsichtig wie sie war, vor ihr geschlossen hatte. Schließlich befanden sie sich in New York. Kein zurechnungsfähiger New Yorker würde seine Appartementtür auch nur eine Sekunde länger als erforderlich offen stehen lassen. Und das nicht, weil man hier mit Gemeinschaftsparanoia geschlagen war. Entnervt stöhnte April auf. Leider kannte sie Helen schon zu lange, um nicht zu wissen, dass es kein Entrinnen gab, wenn sie diesen Ton anschlug. Alles, was man in einer solchen Situation tun konnte, war, mitspielen. Grinsend und klaglos. Alles andere wäre ohnehin nur verschenkte Energie und Lebenszeit gewesen, von der man bekanntlich nur ein begrenztes Kontingent zur Verfügung hatte.

Und so machte sie schließlich kehrt und ging mit gesenktem Kopf in ihr Schlafzimmer, wo sie unter dem Bett ihren Trolley hervorzerrte, den sie kurz darauf wahllos mit ihren Klamotten bestückte.

Sie hasste ihr verdammtes Leben!

Und wie!

2. Kapitel

Greg

»Welche Anrufe sind eingegangen?«

Ohne stehen zu bleiben sah Greg seine Assistentin an, die sich inklusive konzentriertem Gesichtsausdruck und ihrer obligatorischen Mappe im Arm an seine Fersen geheftet hatte. Das Spiel kannte er schon. Egal wie schnell oder langsam er lief, sie würde das Tempo parieren. Das war, als würde man einen eigens bezahlten Stalker am Hacken haben.

»Mr. Dumont von der PR-Abteilung bittet um Rückruf, Ihre Mutter ebenfalls, und Miss Evens hat heute schon mehrfach angerufen und verlangt dringend mit Ihnen zu sprechen.«

Inzwischen befanden sie sich in dem Flur, der zu Greg’s Büro führte. Er musterte Agnes – die vierzigjährige, zierliche und immer leicht erschöpft wirkende Assistentin – rasch von der Seite.

»Wie klang sie?«

»Klang, Sir?«

»Ja! Klang sie entnervt oder hysterisch oder wütend?«

Agnes wirkte verwirrt. Ihre Schritte hatten sich verlangsamt, und ohne es zu bemerken, passte Greg sich ihrem Tempo an. »Ich bin mir nicht sicher, Sir.«

Innerlich verdrehte Greg die Augen. »Ich frage nach Ihrer persönlichen Meinung, Agnes. Auf einer Skala von eins bis zehn, wie entnervt klang meine Verlobte?«

Nun dämmerte es, was man sehr anschaulich auf dem blassen Gesicht erkennen konnte. »Oh! Auf welchen der Anrufe beziehen Sie sich?«

»Auf alle.«

»Der Entnervtheitsgrad stieg proportional mit der Zahl der Anrufe, Sir.«

»War sie beim Letzten hysterisch?«

Darüber musste Agnes kurz nachdenken. »Eher nicht.«

»Wann wird dieser Zustand erreicht sein?«

»Da kann ich nur schätzen, Sir.«

»Tun Sie das!«

»Nun …« Mittlerweile standen beide. Sie befanden sich nur noch zwei Meter von jener Tür entfernt, die in Greg’s Büro führte, und neben der in Blickhöhe ein schimmerndes Messingschild angebracht war:

Greg McCarthy

– Vize-Präsident –

»Ich denke, Ihnen bleiben noch ungefähr fünf Anrufe. Wenn sich ihr Ärger weiterhin in dieser Form steigert, heißt das.«

Das war mehr als nichts. Greg nickte. »Gut, das war dann erst einmal alles. Stellen Sie mich in einer halben Stunde zu Mr. Dumont durch. Ansonsten … Wenn Sie das Gefühl haben, dass es keinen Aufschub mehr bis zur Hysterie gibt, nehme ich auch Miss Evens Anruf entgegen.«

Agnes runzelt die Stirn. »Wie soll ich …«

»Sie werden es wissen, versprochen«, erwiderte Greg und machte, dass er in sein Büro kam. Bevor seine Assistentin noch etwas erwidern konnte, hatte er die Tür vor ihrer Nase geschlossen und verharrte für einen Moment reglos auf der Stelle. Dann fuhr er sich mit beiden Händen durch das dichte, dunkle Haar, wandte sich ab und strebte mit weit ausholenden Schritten zu der kleinen Bar, die in der dunklen Möbelwand dekorativ integriert worden war. Nachdem er sich einen gemessenen Scotch eingeschenkt hatte, setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und aktivierte den schlummernden Rechner.

Etliche Termine standen in dem Timer für den heutigen Tag. Und für den morgigen und übermorgigen. Keiner davon störte ihn, einigen davon sah er sogar mit interessierter Spannung entgegen. Bis auf einen, dem, der am Ende der Woche dort stand. Und zwar in Rot.

Fett.

Mit drei Ausrufezeichen dahinter versehen, damit ihm die Brisanz auch ja nicht entfiel.

Hochzeit Miss Keira Evens und Mr. Greg McCarthy!!!

Selbstverständlich war nicht er für diesen dämlichen Eintrag zuständig, sondern Keira, die, als sie eines Tages hier gewesen war, mit einem spitzen Aufschrei bemerkte, dass er diesem Tag noch keinen Eintrag gegönnt hatte. Sie hatte das nachgeholt, ohne auf seine zugegeben recht schwachen Proteste zu hören. So wie sie niemals auf ihn hörte, wenn er überhaupt mal eine eigene Meinung anzumerken hatte. Greg schwante, dass so sein weiteres Leben aussehen würde – zumindest, sobald er sich in sein neues Heim begeben hätte. Dagegen konnte er nichts tun, aber er hatte sich geschworen, solange er noch die Möglichkeit hatte, sich von dieser Frau tunlichst fernzuhalten, die ihn mit ihrer zunehmenden Panik vor dem ›großen Tag‹ in den Wahnsinn treiben wollte.

Dies hatte ihn in den letzten Monaten aufrecht gehalten. Nur leider waren unbemerkt die verbliebenen Tage weggeschrumpft, bis selbst einem Mann wie Greg, der die Ignoranz in persona sein konnte, nicht länger entging, dass sich demnächst einiges ändern würde.

»Fuck«, murmelte er, während er genussvoll seinen Scotch trank.

Früher hatte er um diese Uhrzeit keinen Alkohol zu sich genommen. Aber Keira mochte es nicht, wenn er vor 18 Uhr ›harte Drinks‹ – wie sie es ausdrückte – konsumierte. Deshalb hatte er sich seinen mittäglichen Scotch angewöhnt. Das war nur schwache Gegenwehr, ohne große Konsequenzen. Außer der, dass er vielleicht irgendwann Alkoholiker sein würde. Das hielt Greg für eine durchaus akzeptable Aussicht in Anbetracht des Grauens, das ihn demnächst erwartete, außerdem würde er sich damit nur ans Familiencredo halten.

»Fuck!«, knurrte er erneut und leerte sein Glas. Dass er irgendwann mal zum absoluten Weichei mutieren würde, hätte er bis vor wenigen Wochen auch nicht gedacht.

Dann jedoch besann er sich auf seine Tätigkeit, darauf, welcher Mann er war, und widmete sich in den kommenden sechs Stunden seiner Arbeit, ohne dass er einmal unvorhergesehen gestört wurde. Er absolvierte zwei Termine, die beide im Hause stattfanden, arbeitete dann noch sehr effektiv vom Schreibtisch aus, und hatte das Keira-Problem fast vergessen, als gegen vier Uhr am Nachmittag sein Telefon klingelte. Vielleicht wäre er sonst klüger gewesen und hätte den Anruf erst gar nicht angenommen.

»Sir, nach meinem Dafürhalten ist die Hysteriestufe nun erreicht.«

Irrte er sich oder klang da Belustigung in Agnes’ Stimme mit? »Welche …« Der Satz blieb unbeendet, denn nun fiel Greg wieder ein, welches Damoklesschwert die ganze Zeit über ihm geschwebt war. Kurz überdachte er seine Möglichkeiten, sah ein, dass jeder Versuch der erneuten Flucht zwecklos gewesen wäre, und gab seufzend nach.

»Stellen Sie durch.«

Diesmal meinte er, ein Kichern zu vernehmen, was total unlogisch war, weil Agnes nicht der Typ für solche Laute war. Entweder sie lächelte, sie lachte (was, soweit er wusste, bisher nur einmal anlässlich einer Firmenweihnachtsfeier vorgekommen war) oder aber sie war ernst, was die meiste Zeit zutraf. Erst als er die sehr schrille Stimme am anderen Ende vernahm, ging ihm auf, dass dieses dreckige Lachen wohl aus seinem Kopf stammte, und da lebte seines Wissens nur einer.

Er lachte sich selbst aus!

Nun ja, nicht grundlos. Mit geschlossenen Augen – die Fingerspitzen der linken Hand massierten langsam seine Schläfe –, zwang er sich zum obligatorischen Lächeln.

»Keira, Baby. Schön, dass du …«

»Den Scheiß kannst du dir sparen!«, wurde er sofort unterbrochen. Dem Grad der Schrillheit in Keira’s Stimme nach zu urteilen, hatte Agnes den Absprung nicht vor Eintreffen der Katastrophe geschafft. Die Hysterie war bereits perfekt.

Grandios!

»Ich finde es sehr freundlich, dass du dich endlich dazu herablässt, mit DEINER VERLOBTEN, zu sprechen, die in vier Tagen DEINE EHEFRAU werden soll!«

Greg öffnete die Lider, darunter offenbarten sich dunkle, momentan teils entnervte, teils zornige Augen. »Ich habe zu arbeiten, wie du sehr gut weißt«, erwiderte er knapp und in einem Ton, der eher einem Grollen als einer männlichen Stimme ähnelte. »Mir ist schleierhaft, warum du stets und ständig den Grund bemängelst, aus dem du in der Lage bist, ein mittleres Vermögen für unsere Hochzeit auszugeben. Erwartest du ernsthaft, dass ich meine Tätigkeit einstelle, um dir bei den Vorbereitungen unserer Vermählung tatkräftig unter die Arme zu greifen?«

Ein Schnauben war die erste Antwort, was sich noch verträglich ausmachte, denn wenigstens das fand nicht in den höheren Oktavenbereichen statt. Nur leider sprach Keira dann wieder – schrill, wie sollte es anders sein. »Natüüürlich, er drückt wieder auf die Tränendrüse und zieht die Geldkarte. WÄRE verständlich, wenn du nicht schon genug in deinem verdammten Fond hättest, um über ein paar Winter zu kommen. Ob mit oder ohne ach so kostspielige Vermählung mit deiner ach so verschwenderischen Verlobten, die ja ach so grausam ist …«

»… und sich jetzt ach so freundlich mit ihrem verfluchten Spiegel unterhalten kann. Oder wahlweise mit der Wand«, knurrte Greg, der bereits wieder genug hatte. »Ich schlage vor, du beschäftigst dich weiter mit der ach so tollen Vorbereitung unserer Hochzeit und schwafelst mit der ach so geilen Hochzeitsplanerin, die ich noch nie gesehen habe. Also spar dir jede Eifersuchtsszene, solltest du eine ins Auge gefasst haben. Und ich werde dafür sorgen, dass auch weiterhin genügend Vermögen auf meinem Konto ist, damit du all die vielen so wichtigen Dinge – ich glaube, das eine oder andere Mal war sogar das Wort LEBENSwichtig mit im Spiel – kaufen kannst. Ist das ein Wort?«

Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er bereits aufgelegt und starrte angewidert auf das vorsintflutliche Gabeltelefon, das er anstatt eines der üblichen Mobilgeräte in seinem Büro hatte installieren lassen. Greg McCarthy war mit seinen knapp dreißig Jahren ein eher konservativer Mann. Ganz so wie sein Vater, George McCarthy, der Finanzmogul, in dessen Konzern Greg seit Abschluss seines Studiums an der Yale-University tätig war. Okay, er war ziemlich weit oben in der Führungsetage eingestiegen, so als Sohn des Bosses, aber das hieß nicht, dass ihm alles in den Schoß gefallen war. Niemandem, der an einer Elite-Uni studiert hatte, fiel irgendwas in den Schoß. Außerdem sorgte sein Vater schon dafür, dass er mit beiden Beinen hübsch am Boden blieb. Hierfür bediente er sich oft dieser unglaublich sagenhaften Phrasen, die allesamt so hirnrissig wie nervend waren. Besonders, wenn man mit strammen Schritten auf die Dreißig zuging.

Georges Weisheiten waren ein Teil von Greg‘s Leben, er hatte sich daran gewöhnt. Das tat man zwangsläufig, wenn man einen leicht skurrilen Milliardär zum Vater hatte. Etwas schwieriger war es da schon gewesen, sich an das Gehorchen zu gewöhnen. Oder eher, es beizubehalten. Denn mit zunehmendem Alter machte sich in Greg eine gewisse Müdigkeit breit. Er war es leid, ständig nach der Pfeife seines Vaters zu tanzen, und daher war die Aussicht, dass der Alte sich in den Ruhestand zurückzog, so verdammt verlockend. Endlich nicht mehr ständig auf dem Prüfstand zu stehen – was für ein Traum! Einzige Bedingung war … und so schloss sich der gedankliche Kreis, weshalb Greg leise aufstöhnte, sich erhob und zielstrebig zur Bar schritt, wo er sich den nächsten Scotch einschenkte. Nun ja, die verdammte Hochzeit war die Bedingung gewesen. George McCarthy war nämlich der Ansicht, dass ein lediger Mann zu flatterhaft sei, um einen Konzern zu leiten. Genau das waren seine Worte gewesen.

Greg verzog den Mund, kippte die brennende Flüssigkeit in einem Schwall in seinen Mund und die Kehle hinunter. Ja, der Alkohol war neuerdings sein sehr enger Freund, denn der Preis war verdammt bitter. Jedes Mal, wenn er an Keira dachte, dann auch an deren schrille Stimme, die ihm stets durch Mark und Bein ging. Nein, sie war nicht seine Herzenswahl gewesen. Vielmehr hatte seine Mutter, kaum dass er so etwas wie Heiratsabsichten hatte verlauten lassen, auch schon ihren verdammten Katalog hervorgeholt. Keinen mit dreitausend Bildchen von all den Frauen aus seinen Kreisen im heiratsfähigen Alter. Es war der verdammte Ordner, in dem sie ihre Partys plante und alle Gedanken aufschrieb, Caterer und Zulieferer notierte, Stoffproben abheftete und alles Weitere lagerte, um es schnell zur Hand zu haben, wenn sie endlich mal wieder ein Event planen durfte. Sie war nahezu ausgeflippt vor lauter Freude und hatte innerhalb von zwei Wochen eine legendäre Party ausgerichtet, zu der alle infrage kommenden ungebundenen Töchter nebst ihrer betuchten Eltern geladen worden waren. Greg hatte sich schon deshalb verdammt schlecht gefühlt, weil es seiner Mutter gelungen war, keinen einzigen Mann unter fünfzig anwesend sein zu lassen. Schließlich galt es, für ihren Sohn eine Frau zu finden; die Söhne anderer Eltern interessierten Ginger McCarthy einen Dreck. Sie hatten es nicht gesagt, so geschmacklos waren nicht mal seine Eltern, doch der Zweck der aufgeblasenen Veranstaltung war trotzdem klar gewesen. Zwei Stunden lang war er ziellos durch die weiten Räume seines Elternhauses gepilgert, das für diesen Abend zum Balleventort auserkoren geworden war. Es lag nicht daran, dass er keine Frau gefunden hätte, mit der er ein paar Mal unverbindlich ins Bett gegangen wäre. Die meisten der Mädchen waren nicht nur hübsch, sondern tatsächlich schön. Übrigens waren sie allesamt ausstaffiert worden, als entstammten sie dem ganz blauen Geblüt. Nicht wenige trugen Diademe auf ihren zierlichen Köpfen, die Colliers, welche die schlanken, schneeweißen Hälse zierten, waren in der Summe wohl etliche Millionen wert. Dieser Überfluss an schöner, jugendlicher, makelloser Weiblichkeit überwältigte ihn, stumpfte ihn ab und ließ ihn unempfänglich für feminine Reize werden. Davon abgesehen konnte er sich kein einziges Mädchen als seine Ehefrau vorstellen. Wie auch, er lernte sie ja gar nicht kennen! Mehr als ein paar belanglos gewechselte Worte waren auf einer solchen Veranstaltung weder möglich noch erwünscht. Es war wie Speeddating in der Oberschicht.

Dass er am Ende bei Keira gestrandet war, lag an seinem unersättlichen Durst. Immer wieder war er zur Bar gegangen – oder hatte sich vielmehr durch das Mädchenmeer zu ihr hindurchgekämpft. Immer saß dort diese eine Frau, die scheinbar von der gesamten Veranstaltung total unbeeindruckt war.

Beim fünften oder sechsten Besuch hatte er sie angesprochen.

Beim achten hatten sie sich auf einen Tanz geeinigt.

Beim neunten hatte er sie auch endlich nach ihrem Namen gefragt, und es stellte sich heraus, dass sie die Tochter eines Geschäftsfreundes seines Vaters war. Ein etwas entfernter, schon daran erkennbar, dass sie sich zuvor nie getroffen hatten, aber nichtsdestotrotz gemocht, weshalb seine Eltern mit seiner Wahl sogar umfassend zufrieden waren.

Gefragt, ob sie ihn heiraten wolle, hatte er sie noch am gleichen Abend. Greg fand nicht, dass sie die Dinge noch weiter in die Länge ziehen sollten. Die obligatorischen Dates würden allesamt hervorragend verlaufen, weil sie es so wollten – am Ende lief es immer darauf hinaus, was man selbst geschehen lassen wollte. Dass sie sich unterhalten konnten, hatten sie bereits an der Bar geklärt, wenn der Sex so war, wie die Art, in der sie miteinander tanzten, wäre auch an dieser Stelle alles perfekt, also warum nicht gleich zum Wesentlichen kommen?

Ob sie verblüfft war oder nicht ließ Keira sich nicht anmerken. Am Ende zählte eben nur, dass sie ohne große Probleme ans Ziel gelangt war.

Ja, Greg war auch ganz aufgeregt gewesen.

… Nicht.

Er verbuchte es unter ›erledigt‹ und dachte, nun würde sein Leben weiterhin in den von ihm geordneten Bahnen verlaufen. Bloß eben ohne seinen Vater.

Nur drei Tage später ging ihm auf, dass er einem riesigen Irrtum aufgesessen war, dabei war er sonst weder langsam noch dumm. Denn zu einer Verlobung gehörten Ringe, Zukunftspläne, Arrangements, Eheverträge und – vor allem – eine Braut. Keira machte sich zum ersten Mal am dritten Tag nach Verkündigung der Verlobung durch einen Anruf bemerkbar. Letzterer verlief recht unspektakulär, weshalb Greg noch immer nicht einmal annähernd argwöhnte, was genau auf ihn zukam. Auch das von ihr anberaumte Treffen beschied er nach kurzer Überlegung wohl als zwangsläufig. Und so war er in das Grauen eher sanft hineingezogen worden, ohne die Spur einer Ahnung, dass nichts mehr so war, wie es seiner bescheidenen Ansicht nach zu sein hatte. Das war der Zeitpunkt, an dem er seine Vorliebe für Scotch entdeckt hatte …

* * *

Das Schrillen des Telefons riss Greg aus seiner Trance. Keine Sekunde zu früh – auf seinem Rücken hatte sich bereits diese widerliche Gänsehaut breitgemacht, die ihn immer heimsuchte, wenn er über seine Verlobte nachdachte.

Er riss den Hörer förmlich von der Gabel. »Ja?«

»Mister Blue verlangt Sie zu sprechen, Sir.« Diesmal bildete er sich ein, Agnes würde flöten. Greg nahm sich nicht die Zeit, um das zu überdenken und gegebenenfalls mitarbeiterspezifische Konsequenzen zu ziehen. »Stellen Sie durch!«, befahl er stattdessen, schloss die Augen und massierte sich die Schläfe. In seinem Schädel hämmerte es. Ja, Scotch am frühen Mittag hatte definitiv seine Nachteile.

»Hey, Alter!« Terence, Greg’s ältester und mit Abstand gewissenlosester Freund klang so fröhlich, dass Greg übel wurde. »Wie geht’s?«

»Bestens«, erwiderte er knapp. »Was dachtest du?«

»Oh, ich hatte mit keiner anderen Antwort gerechnet«, parierte Terence fröhlich. »Schließlich wirst du bald ein treu sorgender Ehemann sein. Jedes Mal, wenn ich mir dich mit der süßen Keira vorstelle, geht mir das Herz vor Rührung auf. Ehrlich, da gab es schon die eine oder andere Träne, die ich mir aus dem Augenwinkel wischen musste. Hach, ihr seid aber auch ein süßes Paar.«

»Was willst du?«, knurrte Greg.

»Was? Ach so, ich will dich entführen. Junggesellenabschied, du verstehst?«

Greg öffnete die Augen. »Da hast du was in den falschen Hals gekriegt. Der wird nicht verabredet, sondern findet einfach statt. Denn der Junggeselle soll sich ja nicht wehren können, du verstehst? Mal angenommen, er hätte so was in der Art vor. Außerdem soll die Braut nicht intervenieren können. Ganz ehrlich …« Womit er das kindische Wort seines Freundes mit der gleichen Betonung aufgriff. »Von meinem Trauzeugen hätte ich ein bisschen mehr erwartet!«

»Ach, hättest du das?«, erkundigte Terence sich gemütlich. Als er wieder ertönte, klang er bedeutend geschäftsmäßiger und erbrachte damit die Begründung, weshalb Greg nach all den Jahren noch immer mit diesem Mann so eng befreundet war. Eben weil er zwischenzeitlich zum Mann geworden war, auch wenn er das immer mal wieder vorübergehend vergaß. »Was andere tun oder in irgendwelchen Statuten steht, hat mich noch nie interessiert und deshalb jetzt schon gar nicht. Halt dich bereit, ich hole dich in der nächsten halben Stunde ab, dann geht’s los.«

»Und was?«, erkundigte sich Greg lächelnd. Sein beginnender Kater war wie weggeblasen.

Am anderen Ende lachte Terence laut auf. »Lass dich überraschen. An dieser Stelle halte ich mich wieder an die uralten Gesetze. Eine halbe Stunde und sei verdammt noch mal bereit, wenn ich komme. Wir haben es eilig.«

Bevor Greg antworten konnte, klickte es in der Leitung, was bedeutete, dass Terence ihn abgewürgt hatte. Möglicherweise, um etwaigen Protesten vorzubeugen. Als wenn die je gedroht hätten. Noch immer mit geschlossenen Augen lehnte Greg sich zurück, die Finger nun beidseitig an seinen Schläfen. Ihm war die Lächerlichkeit des gesamten Unterfangens durchaus bewusst. Sowohl die verdammte Hochzeit mit einer Frau, die ihm so fremd wie der fremdeste aller fremden Menschen auf diesem Planeten war, als auch die geplante Junggesellenparty, die nun wohl stattfinden würde. Das alles war nicht er. Nicht der Mann, als den er sich gern sah, und er fragte sich wie bereits so häufig zuvor, weshalb er dies mit sich anstellen ließ. Die Antwort kam ihm sofort, und sie beschrieb das gesamte Paradoxon, das sein Leben momentan ausmachte: eben, um der Mann zu sein, der er war. Dies war der einzige Weg, um langfristig er selbst bleiben zu können. Derzeit hatte er offensichtlich Schwierigkeiten damit, doch Greg kannte sich aus. Er wusste, dass am Ende alles eine Frage der Gewohnheit war.

Selbst die Ehe mit einer Frau, die er weder kannte noch näher kennenlernen wollte.

3. Kapitel

April

»Was …?«

Sie hatte diese Frage nun schon um die dreihundert Mal ausgestoßen. Immer total fassungslos und immer, ohne den begonnenen Satz jemals zu beenden. Helen hatte dichtgehalten, als sie ihre Freundin nur wenige Minuten, nachdem sie das Appartement verlassen hatte, in ihren uralten Chevy bugsierte. »Ich hoffe, du hast in den letzten Tagen ausreichend geschlafen, denn jetzt geht’s rund.«

Okay, rund ging es nicht, denn in ihrem Überschwang hatte Helen die falsche Zeit für den Aufbruch ins Rundgehen ausgesucht. Nach nur wenigen Metern standen sie hoffnungslos im Stau. Rushhour. Natürlich. April war viel zu bestürzt, um sich darüber aufzuregen. Nach wie vor begriff sie nicht, was überhaupt geschehen war und schon gar nicht, was Helen vorhatte.

Doch wann immer sie ihre Freundin mit wachsender Vorsicht nach deren Pläne befragte, kassierte sie nur lautes Fluchen. Nicht auf sie als Person gemünzt, nein, Helens verbale Ausfälle galten dem Stau, der ihre Fahrt aus der riesigen Metropole auf drei Stunden ausdehnte.

»Da will man mal spontan sein, und was passiert? Alle anderen sind auf die gleiche dämliche Idee gekommen! Scheiß Massensuggestion!«, wetterte Helen, und April zog es vor, gar nichts mehr zu sagen. Ihr Kopf dröhnte so grausam, dass sie ihn am liebsten in Watte gepackt hätte. Sie vermutete die Mischung aus vielen Tränen, zu wenig Schlaf und Sekt plus Martini war daran schuld.

Gegen sechs Uhr hatten sie es glücklich auf den Highway geschafft und ab jetzt ging die Fahrt zügig voran. Mit einer Ausnahme, als die beiden an der ersten Raststätte haltmachten, um die Toiletten aufzusuchen und sich jeweils einen riesigen Becher Coffee-to-go zu kaufen. April hatte die Fragerei aufgegeben, denn das Ziel stand bald fest, die Hinweisschilder waren eindeutig. Sie sparte sich auch jegliche Proteste, weil sie wusste, dass diese ohnehin nur auf taube Ohren gestoßen wären. Außerdem war sie sich gar nicht sicher, dass Helens Einfall eine Schnapsidee war. Egal wie, dort, wohin sie gerade entführt wurde, konnte man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen untreuen und verlogenen Ex-Lover vergessen. Mittlerweile war sie von der ewigen Trauer so erschöpft, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dass es endlich aufhörte. Die Mittel waren ihr egal. Sie überdachte kurz die wahllos in den Koffer gehäuften Klamotten und resümierte, dass es für eine Kneipe, eine Bar oder eine nicht allzu gehobene Spielhalle schon genügen würde. Auf dem Konto hatte sie ein paar Hundert Dollar angespart, also warum nicht? Auf Helens Geheiß hatte sie wahllos eine CD aus dem schier unüberschaubaren Bestand ihrer Freundin gewählt. Eine gute Entscheidung: ›Nickelback‹ sorgte dafür, dass sie mitsingen und lachen konnten. Nach einer Weile sah sie ihre Freundin an, die begegnete ihrem Blick und beide prusteten los.

»Warum nicht?«, sagte April und lachte schon wieder.

Das Ganze ließ sich perfekt an, was sollte sie sagen?

* * *

Gegen halb elf an diesem Abend checkten sie in einem soliden Dreisternehotel ein. Das Doppelzimmer war erschwinglich und April hatte immer mehr den Eindruck, genau das Richtige getan zu haben. Wenig später waren sie in ihrem Zimmer. Es war klein, aber sauber, doch tatsächlich nur zum Schlafen vorgesehen. Denn zu zweit konnte man sich in dem 15 Quadratmeter großen Raum kaum drehen. Während Helen auf dem Bett lag und durch die Kanäle des kleinen Fernsehers zappte, stand April vor dem Spiegel und betrachtete erschüttert ihre dunklen Augenringe. Diese waren ihr vorher gar nicht aufgefallen. Verdammte Neonbeleuchtung in diesen Absteigen!

»Was machen wir jetzt? Zum Schlafen ist es definitiv zu früh«, rief Helen von ihrem Bett aus.

»Stimmt!«, gab April zu, die immer noch fassungslos ihr Äußeres begutachtete. Nein, das war wirklich kein Mann wert. Nicht mal Scott Healhy … oder gerade der nicht. Dieser verdammte Wichs… Bevor sie verbal entgleisen konnte – wenn auch nur in ihrem Kopf –, fuhr sie hastig fort. »Dann lass uns ausgehen. Wir müssen ja nicht unbedingt spielen, sondern können noch in eine Bar gehen, ich glaub, die haben hier keine Sperrstunde. Also nicht so früh wie woanders, auf jeden Fall. Oder was meinst du? Machen die überhaupt zu? Ich bin mir nicht …«

»Nein, sie machen nicht zu, Baby.« Helen war im Türrahmen erschienen und musterte sie mit diesem Blick, der April immer ganz kribbelig machte. Kündigte er doch prinzipiell einen Überfall an.

»Und ja, wir werden ausgehen, aber erst, nachdem wir eine gründliche Restauration an dir vorgenommen haben.«

Nein, April widersprach auch diesmal nicht. Aus Erfahrung wusste sie, dass dies ohnehin nichts gebracht hätte. Und außerdem war sie ganz froh darüber, dass ihre Freundin dem Dasein des Jammerlappens, den sie soeben im Spiegel gefunden hatte, ein Ende bereiten wollte.

Ja, es war eine verdammt gute Idee gewesen, nach Atlantic City zu fahren.

4. Kapitel

Greg

Pünktlich – nach Terence’ Maßstäben zumindest – eine Dreiviertelstunde später, wurde Greg von seinem Freund aus dem riesigen Tower gelotst, in dem einzig die McCARTHY FINANCAL GROUP ansässig war.

Sie stiegen in ein Taxi, und als Terence noch immer kein Wort verlor, lachte Greg laut. »Du kannst mir ruhig sagen, wohin die Reise geht. Danke übrigens, dass du die anderen Jungs außen vor gelassen hast. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihre hirnrissigen Songs, die sie besoffen immer vor sich hingrölen, heute ertragen hätte.«

Terence antwortete noch immer nichts, er schien seit ihrem Telefonat stumm geworden zu sein. Doch sein Grinsen, das bisher schon ziemlich dreckig gewesen war, wurde noch etwas breiter … und eindeutig dreckiger.

»Soll das heißen, wir veranstalten hier einen Blindflug?«, erkundigte Greg sich dumpf. Allein die Vorstellung war an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.

»Ich nicht.« Offensichtlich war Terence doch nicht stumm. »DU, Alter, hast keine Ahnung, wohin die Reise geht. Also bleibt es beim guten alten Vertrauen. Lehn dich zurück und genieß die Show.«

Greg dachte nicht im Traum daran, denn obwohl Terence tatsächlich sein bester Freund war und die beiden sich bereits seit gefühlten Ewigkeiten kannten, vertraute er ihm nicht. Es hatte in der Vergangenheit zu viele peinliche Situationen gegeben, in die Terence ihn vorsätzlich gebracht hatte. Allerdings sah er ein, dass ihm für den Moment nur das Mitspielen blieb. Bei diesen Junggesellenevents war selten der gesunde Menschenverstand mit von der Partie. Und außerdem war er so wenigstens vor der schrillen und zur Hysterie neigenden Keira gerettet.

Okay, für den Moment jedenfalls.

Eher, um Terence’ süffisantem Grinsen zu entgehen, als dass ein Entspannen wirklich möglich gewesen wäre, lehnte Greg sich in die Polster zurück und schloss die Augen. Egal, wohin die Reise gehen würde – und er hatte da eine sehr konkrete Vorstellung –, langweilig würde es garantiert nicht werden.

* * *

Nein, Terence hatte keinen Las-Vegas-Kurztrip springen lassen. Stattdessen hoben sie wenig später in Richtung kühles Atlantic City ab. Was Greg furchtbar egal war, denn er beabsichtigte kein Sonnenbad zu nehmen, sondern gedachte stattdessen, seine Zeit in den einschlägigen Kasinos zu verbringen.

Etwas ernüchtert war er, als sie am International Airport Atlantic City von fünf weiteren wild johlenden Männern begrüßt wurden, die Greg allesamt kannte, auch wenn er darauf in diesen Minuten lieber verzichtet hätte. Es handelte sich um John, Jacob, Stan, Sam und Bob – die fünf Jungs, die an der Uni mit Greg und Terence eine feste Clique gebildet hatten. Offenbar hatte man schon mal vorgeglüht, denn sie schienen ziemlich betrunken zu sein. Schlagartig fühlte Greg sich in seine Collegezeit zurückversetzt und verdammt, er machte die Erfahrung, dass es ihn nervte. Offenbar hatte er als Einziger diese Periode der ewigen Partys und Besäufnisse – von den wechselnden Mädchen ganz zu schweigen – erfolgreich hinter sich gelassen. Dementsprechend gequält fiel sein Lächeln aus, als man ihm nacheinander begeistert auf die Schulter schlug. Beim dritten Mal schmerzte es und als auch Sam diese Form der Begrüßung hinter sich gebracht hatte, hätte Greg am liebsten zurückgeschlagen.

Er war zu alt für diesen Scheiß!

Leider kam er nicht dazu, dies kundzutun, denn man schleifte ihn mehr oder weniger gewaltsam aus dem Terminal, während sechs Männer lautstark auf ihn einsprachen, von denen fünf rettungslos betrunken waren.

Unter den Augen der grinsenden Schaulustigen, wurde er kurz darauf in eine überdimensionale Limousine verfrachtet. Sie war mindestens 15 Meter lang, und so gestaltete sich auch das Innere, das eher einer kleinen, perfekt ausgestatteten Bar ähnelte, als einem normalen Wageninterieur. Die hellen Ledersitze waren von gleicher Farbe und Material wie die Verkleidung. Höhepunkt – neben den unzähligen Flaschen Alkohol – bildeten aber mit Sicherheit die drei Mädchen, die in knappen, funkelnden, strassbesetzten, hautengen und tief ausgeschnittenen Kleidern, mit grellrot geschminkten Lippen und kunstvoll hochgesteckten Haaren auf sie warteten. Eine war blond, eine brünett und die Dritte rothaarig.

»Wir dachten, wir gehen auf Nummer sicher, dein Geschmack wechselt ja mit deiner Gemütslage«, erklärte Terence, dessen Grinsen inzwischen alle Grade der Dreckigkeit genommen und den vorläufigen Höchststand erreicht hatte.

Greg zog es vor, überhaupt nichts zu sagen. Nicht, weil die Frauen ihn nicht anmachten, sondern eher aus den gegenteiligen Gründen. Alle drei waren heiß, er wollte sie alle drei vögeln und genau das wäre aber hochgradig unmoralisch gewesen.

Was er seit Neuestem nicht mehr war.

»Trink!« Bob hielt ihm ein mit bernsteinfarbener Flüssigkeit sehr üppig gefülltes Glas unter die Nase, und Greg griff zu, ohne lange darüber nachzudenken. Rockmusik erfüllte den erstaunlich großen, wenn auch niedrigen Raum. Das in der Decke integrierte Schiebefenster war geöffnet – Greg dankte dem lieben Gott, dass es an diesem Tag nicht regnete –, und Sam stand auf, um seinen Kopf hindurchzuschieben. Etwas gedämpft war kurz darauf sein neuerliches Johlen zu hören. »JIHAH!«, brüllte er. »WIR FAHREN GREG, DEN GEILEN SCHWANZ, SPAZIEREN.«

Greg stöhnte. Ja, das war irgendwann mal sein Spitzname gewesen. Am College, damals, als er sich noch einen Dreck um seinen guten Ruf geschert hatte. Das hätte auch in der Versenkung bleiben können, wäre Terence nicht auf die wahnsinnig geile Idee gekommen, genau die Idioten, die ihm damals aufgrund seines exorbitanten Frauenverschleißes diesen Namen verpasst hatten, zu seinem Junggesellenabschied zu laden. Perfekt!

Bevor die Angst in ihm überhandnehmen konnte, konzentrierte Greg sich komplett auf seinen Whisky. Nicht einmal das ewige Kichern der drei Mädchenkonnte ihn aus der Ruhe bringen. Frauen, die in dieser Aufmachung in einer riesigen Limo saßen, kicherten immer. Aus Erfahrung wusste er, dass es ungefähr zwei Gläser dieser Füllmenge bedurfte, bevor er alles viel entspannter sehen würde.

Und richtig.

Sam, der nur darauf gewartet hatte, dass Greg sein Glas leerte, schenkte sofort nach, sobald dies erreicht war. Und Terence grinste Greg an. »Du hattest schon immer deine Anlaufschwierigkeiten. Kein Problem, Alter, wir kennen uns aus.«

Auf einen dritten Drink dieser Größe verzichtete Greg fürs Erste, denn er war bereits bestens abgefüllt. Er lächelte in die Runde, und sein Blick strandete im tiefen Ausschnitt der Blondine, die übrigens riesige Brüste besaß. Sie waren durch den BH künstlich nach oben geschoben und luden dazu ein, seine Lippen auf die zarte Haut zu pressen, sie zu lecken, an ihnen zu saugen, vielleicht auch ein wenig zu beißen. Er fühlte, dass er hart wurde und begrüßte dies mit dem nächsten breiten Grinsen. Auch den Schlag, der auf seiner Schulter landete, empfand er keineswegs noch länger als Provokation, vielmehr als die Anerkennung, als die er gemeint war.

»Sie sind für mich?«, erkundigte er sich beiläufig.

»Alle drei. Du kannst mit ihnen anstellen, was du willst, sie werden es lieben.«

»Das nenne ich auf jeden Fall einen Anfang«, erwiderte Greg, packte die Brünette im Genick, zog sie zu sich heran und küsste sie leidenschaftlich.

Als er sie wieder freigab, war sie etwas atemlos und kicherte – natürlich.

»Jungs«, Terence klang fast feierlich. »Er ist zurück.«

Oh ja, und wie er zurück war!

Greg brauchte einen Moment, bevor er sich auf seinen besten Freund fokussieren konnte. Dann tauchte Terence’ Gesicht in all seiner Schärfe vor ihm auf und Greg grinste. »Hast du es also wieder geschafft.«

»Nur, weil du es wolltest, Baby«, erwiderte Terence, der ebenfalls ein Glas in den Händen hielt. Leer, aber das musste wohl nicht hinzugefügt werden. »Und wohin nun?«

Greg wandte den Blick wieder den drei Mädchen zu, die ihn kichernd betrachteten. »Wie lange hab ich sie?«

»Solange du willst, zur Not zahlen wir nach. Aber denk dran, wir wollen auch noch was von dir haben, bevor du dich auf immer und ewig dieser einen Frau verschreibst.«

Das überhörte Greg geflissentlich. Ein wenig Verstand hatte er sich noch bewahrt, weshalb es bis zum kompletten Kontrollverlust noch ein paar Fragen zu beantworten gab: »Meine Termine?« Seine Zunge war schon schwer und die Worte wollten sich nicht mehr bereitwillig formen lassen.

»Alle abgesagt. Diese Agnes ist zwar uralt, aber ein echter Schatz.«

Greg musterte Terence mit erhobenen Augenbrauen und lachte dann leise. Nun ja, wenn er meinte. »Weiß Keira …?«

»Keira weiß, dass du für die nächsten Tage weg bist, wir aber dafür sorgen werden, dass du pünktlich vor dem Traualtar erscheinst. Sie war nicht begeistert, hat aber versprochen, cool zu bleiben.«

Wieder musste Greg lachen und Terence verzog das Gesicht. »Okay, so cool, wie bei Keira überhaupt möglich, klar?«

Greg nickte. Gott, wenn auch nur einer der Anwesenden wüsste, wie scheißegal ihm war, ob Keira wütend, cool oder tot war. Ehrlich, selten war ihm etwas mehr am Arsch vorbeigegangen. Aber gut. »War’s das?«

»Äh … Du hattest mit dem Verhör angefangen, von uns aus war keine Aufklärung nötig.«

Ungeduldig schwenkte Greg eine Hand. »Wer damit angefangen hat, ist doch scheißegal! Ich will wissen, ob alles geklärt ist!«

Eine schwere Hand traf seine Schulter, doch Greg spürte den Schmerz kaum. Es war Jake, der ihm diese brutale Behandlung zuteilwerden ließ und dabei sichtlich begeistert wirkte. »Alles ist super, ›Geiler Schwanz‹. Du bist zum letzten Mal frei, also nutze es!« Damit angelte er nach einer Champagnerflasche und öffnete sie innerhalb weniger Sekunden – der Korken schoss durch den gesamten Wagen, die Mädchen kreischten. Greg, der sich noch immer einen Funken Restnüchternheit bewahrt hatte, vergewisserte sich besorgt, dass das Schiebefenster, das zum Chauffeur reichte, geschlossen war und der Mann demnach überlebt hatte. Währenddessen ließ Jake sich auf die drei Mädchen fallen, die kreischend auseinanderstoben. Zwei von ihnen landeten auf Greg’s Schoß, die dritte direkt neben ihm, während Jake sich genüsslich in die Polster fläzte und einen Schluck aus der Flasche nahm. »Also ehrlich«, sagte er, nachdem er geschluckt hatte. »So eine Limo hat echt was. Wir sollten so ein Teil öfter mal buchen.« Dann betrachtete er Greg mitleidig. »Okay, du ja weniger …«

Doch Greg war mit seinen Gedanken längst ganz woanders. Denn er fühlte abermals fremde, aber sehr sinnliche und zarte Lippen auf seinen, dann eine Zunge, die seine liebkoste, zudem zärtliche, forschende Hände, die sich über sein Hemd hinab zum Hosenbund stahlen und bald den Knopf und den Reißverschluss überwunden hatten. Als sie – er hatte keine Ahnung, ob es sich nun um die Brünette, Blondine oder Rothaarige handelte, denn an ihm machten sich definitiv mehr als zwei Hände zu schaffen – seine wachsende Erregung ertastete und sanft drückte, stöhnte er in den heißen Mund, der ihn verwöhnte. Es war der Wahnsinn und Greg hatte keine Lust mehr, sich mit der Gegenwart zu beschäftigen. Was der Alkohol nicht erreicht hatte, schafften diese drei Engel, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, ihm das Hirn aus dem Kopf zu küssen und zu streicheln und zu … blasen.

Das Gejohle seiner Freunde kam nicht länger bei ihm an, er stöhnte nur heftiger, als seine Knie sanft auseinandergedrängt wurden, ein schlanker Körper dazwischen glitt und er kurz darauf fühlte, wie sein harter Schwanz in eine samtig weiche, feuchte Höhle gesogen wurde. Sie war gut, so viel besser als alles, was er seit Monaten erfahren hatte. Mit Keira hatte es ja noch keinen Sex gegeben. Sie hatte ihn nicht gefordert, Greg keine Lust darauf gehabt, ihn ihr zu geben, und ihre Eltern hielten sie für so sittsam, dass es ans Lächerliche grenzte, weshalb sie nicht im Traum auf die Idee eines vorehelich stattfindenden Beischlafs gekommen wären.

Er legte den Kopf in den Nacken, das Kussmonster auf seinem Schoß, das mittlerweile über ihm kniete, um es ihrer Freundin leichter zu machen, folgte ohne Schwierigkeiten, während sich schlanke, kundige Hände längst unter sein Hemd gestohlen hatten, und mit seinen aufgerichteten Nippeln spielten. Weiter unten war die Königin des Blasens noch immer mit ihrem Werk beschäftigt. Greg musste sich nicht anstrengen, um nicht wie ein Kleinkind verfrüht zu kommen, denn wann immer die Situation kritisch wurde, mäßigte sie das Tempo, in dem ihre Zunge um seine Eichel wirbelte, und bewegte langsamer ihre Lippen an ihm hinauf und hinab, während sie den Druck verringerte. Es waren Profis, und er genoss es in vollen Zügen. Seine Hände hatten sich fest in den Hinterbacken des Mädchens verkrallt, das über ihm kniete, und seine Hüften bewegten sich in dem Takt, den die Lippen um seinen Schwanz ihm vorgaben. Sein Herz schlug heftig gegen seine Brust, er spürte fast, wie es die Rippen traf, Schweiß trat ihm auf der Stirn aus, er versuchte sich gegen den Orgasmus zu wehren, wollte ihn plötzlich nicht mehr in Gegenwart seiner johlenden Freunde erleben, die er erst jetzt wieder hören konnte. Die Geilheit, die ihn eben noch zu 100 Prozent außer Gefecht gesetzt hatte, trat von einer Sekunde zur anderen in den Hintergrund.

Vielleicht weil er so heftig erregt gewesen war, wünschte er sich jetzt nichts mehr, als dass sie endlich diese Limousine verlassen würden, in der er beinahe seinen verdammten Samen verteilt hätte. Wie einer dieser notgeilen Mittfünfziger, die in Scharen in diese Stadt flohen, um es fern von ihren fett gewordenen Gattinnen noch mal so richtig krachen zu lassen. Er war weder Mitte fünfzig noch notgeil. Und Sex hatte er immer noch am liebsten, ohne dass seine besten Freunde dabei zusahen. Nach einigem tiefen Luftholen gelang es ihm, die schmale Taille des Mädchens über ihm zu umfangen und es schwungvoll neben sich zu setzen. Dann griff er nicht unsanft, aber fest, in die Lockenpracht der Blondine mit den unsagbaren Blowjob-Fähigkeiten und zwang sie, von ihm abzulassen. Als Nächstes streifte er die Hände der Brünetten von sich, die sich noch immer unter seinem fast komplett geöffneten Hemd befanden, und setzte sich auf. Ohne die Miene zu verziehen oder auf die dreckigen Grimassen der sechs übrigen Männer in der geräumigen Limousine zu achten, schloss er seine Hose und sah dann durch die getönten Scheiben hinaus. »Ich nehme an, wir fahren zunächst zum Hotel?«

Die überraschend ruhige, besonnene Stimme schien auch die anderen ein Stück vom Grölkurs herunterzuholen, während die Frauen eilig ihre Kleidung ordneten. Es gab nicht viel zu tun, er hatte sie nicht sonderlich hart angefasst.

Noch nicht.

»Klar«, sagte Sam, der als Erster seine Stimme wiedergefunden hatte. »So war es geplant.«

Er klang jetzt bedeutend nüchterner, wie Greg zufrieden registrierte. Wieder bemerkte er, dass er aus dem Collegejungenalter herausgewachsen war. Aber nicht aus dem Vögelalter – aus dem wuchs ein Mann wohl niemals heraus. Daneben ging ihm auf, wie lange sein letzter Sex zurücklag. Es war nicht so, dass er auf Keira Rücksicht genommen hätte – genau genommen interessierte ihn diese Frau einen Dreck. Eher hatte er sich in den letzten Monaten in der Arbeit vergraben und sich auf den großen Tag vorbereitet, an dem er endlich die verdammte Firma übernehmen würde. Er hatte nicht vor, die vielen Unken-Rufer zu bestätigen, die zunehmend lauter verkündeten, dass er ohne den alten George chancenlos sein würde.

Sein körperliches Wohlbefinden – und er zählte guten Sex definitiv als erforderlich hinzu, um diesen Zustand zu erreichen –, war dabei auf der Strecke geblieben. Es hatte ihm nicht ein Mal gefehlt, die Aussicht, sich mit viel Mühe irgendeine Frau für eine Nacht zu suchen, die dann auch noch in der Folge die Schnauze hielt, war ihm viel zu anstrengend erschienen. Tatsächlich hatte er fast vergessen, dass er ein Mann war. Das wäre nicht halb so schlimm gewesen, hätte es sich nicht um Greg McCarthy gehandelt. Den Womanizer am College, derjenige, der noch jede halbwegs attraktive Frau in sein Bett bekommen hatte.

Du lässt verdammt nach, Alter!, dachte er in seinem alkoholgesättigten Hirn und musste lächeln. Dann betrachtete er die drei Mädchen, die ihre Blicke nicht von ihm genommen hatten. Egal, unter welchen Umständen sie sich auf diesen Abend eingelassen hatten, inzwischen stand wildes Begehren in ihren verschiedenfarbigen Augen. Und es galt ausschließlich ihm, die anderen Männer schienen überhaupt nicht zu existieren. Greg fuhr sich mit beiden Händen durch das volle dunkle Haar und grinste sie an. »Keine Sorge, das war nur ein Vorgeschmack. Ihr könnt gleich weitermachen.«

Sam, Terence und die anderen nahmen diesen Beitrag zum Anlass, um sich in dem nächsten Lachkrampf zu wälzen, was Greg nur zu einem Kopfschütteln brachte. Genau das war nämlich schon an der Uni ihr verdammtes Problem gewesen: Sie lachten, wenn sie besser ernst und vor allem wenigstens annähernd würdevoll gewesen wären. Sie protzten und johlten, wenn sie besser still gewesen wären, und sie stellten sich ständig als die ultimativen Stecher hin, nur um im Zweifelsfall zu versagen, weil es mal wieder ein Joint oder ein Drink zu viel gewesen war. Ein Verhalten, das irgendwann auch das letzte Mädchen in die Flucht schlug, und wenn es noch so hässlich und daher dauernotgeil war.

Als endlich die taghell erleuchtete Silhouette des Nobelhotels in Sicht kam, zählte Greg bereits die Sekunden. Er wollte nur noch in das verdammte Zimmer, wollte jedem der Mädchen einzeln die Kleider von dem gut gebauten Körper reißen – wobei ihn die Brünette zugegebenerweise am meisten anmachte –, und dann wollte er sie vögeln. Nacheinander, die ganze Nacht hindurch. Ohne Skrupel und ohne einen Gedanken an das Danach zu verschwenden.

5. Kapitel

April

Es war gar nicht so einfach, in dieser Stadt eine geeignete Bar zu finden. Nicht, dass es an Alternativen gemangelt hätte, doch an jeder hatte Helen etwas auszusetzen, und auch hier konnte April sich nicht so einfach behaupten. In der einen waren ihr zu viele betrunkene Männer, in der anderen zu viele Paare – April sollte sich schließlich ablenken und nicht anderen dabei zusehen, wie sie das auslebten, was sie nicht mehr hatte. In der nächsten Lokalität war die Musik zu laut und in der übernächsten saßen die wenigen Gäste, die sich überhaupt hineingewagt hatten, vor den Spielautomaten und schienen nur Augen für die verdammten, bunten Displays zu haben.

»Warum nennen sie das Teil Bar, wenn es doch wieder nur eine andere Version von einem Kasino ist?«, fragte April ihre Freundin, die mit jeder Bar, welche sie aus – wie April fand – total an den Haaren herbeigezogenen Gründen abgelehnt hatte, etwas schweigsamer geworden war. »Ich meine, davon gibt es doch hier nun wirklich genug, oder?«

»Ja, kann sein«, grummelte Helen, die ihre Arme fest um den Körper geschlungen hatte.

»Hast du was?« Aufmerksam musterte April die Frau neben sich, die sie um ungefähr zehn Zentimeter überragte. Im Gegensatz zu ihr hatte sie blondes Haar, das sie immer zu einem laxen Knoten hochsteckte. Ihre Füße ruhten in High Heels – oder wurden wohl genau genommen soeben gefoltert –, sie trug eine hautenge Jeans, die eher Leggins als herkömmliche Hose war, und darüber ein flippiges T-Shirt mit unzähligen Pailletten – so sehr April auch protestiert hatte, sie hatte sich nicht davon abbringen lassen, den Fummel anzuziehen. Darüber hatte sie nur einen dünnen und sehr langen Cardigan gezogen. April hatte ihr gleich gesagt, dass sie sich ihren hübschen Hintern abfrieren würde. Es war zwar Ende Mai, doch momentan meinte es das Wetter überhaupt nicht frühlingshaft mit ihnen. Passend zu ihrer Stimmung war der Himmel durch eine dichte Wolkendecke verhangen. Und selbst wenn es derzeit Tag gewesen wäre, hätte sich die Sonne garantiert nicht gezeigt. Es war arschkalt, um genau zu sein. April, die immer eher praktisch dachte, hatte es sich nicht nehmen lassen, über die luftige Bluse, die Helen ihr gegen ihren Willen aufgeschwatzt hatte, ihre gefütterte Lederjacke zu ziehen und diese auch zu schließen. Neben der Jeans – nein, sie war nicht hauteng – trug sie leichte Boots, denen Helen einen besonderen Naserümpfer gewidmet hatte. »Ich dachte, du willst einen Mann abschleppen«, hatte sie gemurrt. »So wird das garantiert nichts.«

»Irrtum, ich will mich ablenken«, hatte April gekontert. »Dazu muss ich die Typen nicht abschleppen, anschauen reicht.«

Und so waren sie schließlich losgezogen, nur um ziemlich bald feststellen zu müssen, dass Helen ein besonders schwerer Fall war. April hätte die erstbeste Bar betreten, sich zwei Gin-Fizz bestellt – das war in diesem Jahr ihr Standardgetränk, wenn sie sich nicht gerade mit Sekt/Martini die Kante gab – und die Atmosphäre, wie auch immer diese nun geartet war, auf sich wirken lassen. Selbst ihre Füße taten mittlerweile weh, trotz der bequemen Schuhe; sie war müde von der Fahrt, erschöpft von den vergangenen Wochen, sie wollte schlafen, wollte vergessen, aber ganz bestimmt niemanden aufreißen.

»Wollen wir nicht zurück ins Hotel gehen und es morgen noch mal versuchen?«, wagte sie einen sanften Vorstoß, der jedoch sofort unwirsch abgeschmettert wurde. Trotz der High Heels, deren Bleistiftabsätze mindestens zehn Zentimeter lang waren.

»Nein! Wir haben nur drei Tage und so wie ich dich kenne, wirst du die auch brauchen, um wieder normal zu werden.«

»Ich war noch nie normal«, entgegnete April finster und vergrub ihre Hände tief in den Taschen ihrer Lederjacke.

»Okay, normaler«, stimmte Helen zu, die unsicher neben ihr hertrippelte. Die Straßen waren nicht sonderlich schadhaft, aber hin und wieder zeigte sich ein feiner Riss im Asphalt – die Überreste des vergangenen Winters, der äußerst kalt und damit Asphalt schädigend gewesen war. Für jemanden in Boots kein Problem; für eine Frau, die sich mit diesen Mörderwaffen von Schuhen aus dem Hotel gewagt hatte, die ultimative Todesfalle, wenn sie nicht aufpasste. Nebenbei keuchte sie ein wenig, auch wenn sie sich Mühe gab, das vor April zu verbergen.

»Wollen wir wirklich nicht in diese da gehen?« April deutete auf die nächste Bar, es handelte sich in diesem Fall wohl eher um einen Pub. Diese Stadt schien nur aus Hotels, Kasinos, Stripbars und Bars zu bestehen. Sie hatten noch kein einziges Wohngebäude im herkömmlichen Sinne gesehen.

»Da rein?« Fassungslos sah Helen sie an. »Eher krepiere ich!«

»Und das wirst du auch, wenn du nicht langsam nachgibst. Sie werden uns schon nicht fressen!« Langsam wurde auch April sauer, denn es war alles andere als angenehm, ziellos durch Sin City zu latschen.

»Okay.« Helen war stehen geblieben. Sie hielt sich an einem Laternenmast fest und zog ihren linken Fuß aus dem Mörderschuh, um ihn zu massieren. Wenn April nicht alles täuschte, entdeckte sie etliche Blasen auf der zarten Haut. Tja, das war ganz bestimmt nicht ihre Schuld. »Ich gebe zu, das Herumgelaufe ist Mist.«

»Oh, jetzt überraschst du mich!«

»Ja, nicht?« Helen grinste. »Diese hier nehmen wir nicht. Selbst du musst einsehen, dass es selbstmörderisch wäre.«

April wollte gerade widersprechen, als die Tür aufgerissen wurde, und ein Mann von einem ungleich größeren am Kragen hinausgeschleift und in hohem Bogen über die Schwelle geworfen wurde. Sprichwörtlich. Er landete mit dem Hintern auf dem Asphalt und gab ein schmerzerfülltes »Ahhh!« von sich. Die beiden Mädchen konnten gerade noch so zurückweichen, sonst hätte er sie unweigerlich getroffen. »Kein Geld, keine Bedienung, merk dir das endlich, Jess!«, dröhnte der riesige Typ, der offensichtlich der Wirt war. Er war ungefähr dreimal so breit wie April, bevor Scott sie verlassen hatte, trug einen wilden, roten Bart, was auf irische Vorfahren schließen ließ, hatte stahlblaue, sehr zornige Augen, eine Lederjuppe über seinem karierten Hemd und eine Lederhose an. Womit er eher einem Rocker ähnelte, als dem Besitzer eines Pubs. Der Säufer, den er hinausgeworfen hatte, ähnelte dafür ganz verdächtig einem Penner.

Mehr nicht.

Der widerliche Gestank von Schweiß, der nicht nur einen Tag alt war, drang ihnen in die Nase. Das Ganze vermischte sich noch mit dem Geruch von billigem Fusel, und außerdem sabberte der unrasierte Typ mit den fettigen, schulterlangen Haaren, der sowohl dreißig als auch sechzig Jahre alt sein konnte.

»Okay, überzeugt!«, quietschte April und zerrte Helen hinter sich her weiter die Straße entlang.

Die protestierte lautstark. »Hey, mein Schuh!«

»Kannst du später anziehen«, knurrte April, die gar nicht schnell genug diesen widerlichen Ort verlassen konnte. Sie spürte den glasigen Blick des Betrunkenen auf ihrem Rücken. Er war nicht nur dreckig im herkömmlichen Sinne, sondern auch verlangend und eindeutig unter der Gürtellinie.

Was hatten sie sich nur dabei gedacht, allein in diese Höllenstadt zu fahren? Sie unterdrückte ein Schluchzen, als sich ihre derzeitige Verzweiflung mit der seit Wochen bekannten vermischte. Denn wäre Scott nicht so ein widerlicher Arsch gewesen, dann hätten sie einen verdammten Beschützer gehabt. Verflucht noch mal, sie wären gar nicht hier!

»Scheißmänner«, grollte sie und hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Helens Geschimpfe und Gekreische beachtete sie dabei gar nicht. Es war nicht die beste Entscheidung gewesen, gerade Helens Plänen zu folgen. Das hatte sie schon früher begriffen, auch wenn Helen häufig einen echt vernünftigen Eindruck machte. Aber in Wahrheit war die Frau total durchgeknallt! Das und daueruntervögelt. Denn im Gegensatz zu April, die immer nach langfristigen Beziehungen suchte – okay, in Wahrheit stolperte sie mehr oder weniger kopfüber in sie hinein – lebte die fünfundzwanzigjährige Helen ausschließlich für den Moment. Sie nahm, was sie kriegen konnte und schoss es bereits am Morgen danach in den allermeisten Fällen in den Wind.

New York war zwar groß, Brooklyn, wo sie wohnten, war es auch, ihr Kiez aber nicht. Helens Ruf als männermordender Vamp eilte ihr mittlerweile voraus, und man sollte es nicht glauben, aber kaum ein Mann fand sich noch, der sie für eine Nacht unverbindlichen Sex nach Hause begleiten wollte. Die Typen standen zwar auf schnellen, billigen Sex, sie lehnten aber sogenannte Schlampen ab. Und schon ganz Frauen, die es wie sie selbst hielten.

Paradox?

Klar, aber seit wann waren Männer und deren Verhalten logisch?

»HALT!« Mit diesem Schrei entriss Helen sich ihrem Griff und blieb stehen, als hätte sie der Blitz getroffen.

Stöhnend wandte April sich zu ihr um. »Was ist denn jetzt wieder?«

Doch Helen schien sie nicht zu hören. Sie hatte den Blick auf einen Punkt gerichtet, der vielleicht dreißig Meter von ihnen entfernt war. Unsicher sah auch April in die Richtung und entdeckte zwischen den Varietés, den Bars, den Spelunken und Kasinos eine bunte, aber nicht aufreizende Leuchtreklame.

B 52’s

»Komm!«, sagte Helen, die wie hypnotisiert zu dem Laden starrte. Nun war sie es, die April am Arm packte und sie hinter sich herschleifte.