"Blood op de Suderlande" - Michael Wolf - E-Book

"Blood op de Suderlande" E-Book

Michael Wolf

0,0

Beschreibung

Özlem Bärenfang und Maximilian Glück ermitteln nach ihrem ersten gemeinsamen Fall "Loupius" weiter und geraten direkt zu Beginn des Romans aufgrund ihrer Ermittlungsarbeit in eine lebensbedrohliche Situation, aus der sie allerdings befreit werden können. Keinesfalls abgeschreckt, wie ihre Gegenspieler möglicherweise gehofft hatten, ermitteln die beiden Kommissare unermüdlich in mehreren sich in der Region ereignenden Todesfällen, deren Zusammenhänge sich zunächst nicht erklären lassen. Auch Özlem selbst gerät in das Visier der Ermittlungen, da zwei der Opfer ihr wohl bekannt sind, nämlich ihr Noch-Ehemann und ihr Geliebter, von dem sie schwanger ist. Der neu eingesetzte Profiler Julius Meier scheint recht schnell einen Zusammenhang der Fälle gefunden zu haben und versucht, die Ermittler zu beeinflussen. Özlem traut diesem allerdings nicht und kommt im Rahmen ihrer Ermittlungen der Wahrheit lebensgefährlich nah. Sie vermutet einen riesigen "Gülleskandal" als Hintergrund für die Motive und je weiter sie in diese Richtung ermittelt, desto gefährlicher wird es für sich und ihren Kollegen Max. Dieser spannende Krimi hat wie "Loupius" wieder regionalen Bezug zum Märkischen Kreis, dem Ennepe-Ruhr-Kreis, Hagen und dem Münsterland.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 652

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


MICHAEL WOLF

***

"BLOOD OP DE SUDERLANDE"

Bärenfang und Glück ermitteln weiter

© 2019 Michael Wolf

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7497-1497-1

Illustration Cover: Pixabay, überarbeitet von Julia Wolf

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Blood op de Suderlande“

Vorwort

Ist es Ihnen auch schon einmal so gegangen, dass es Ihnen gewaltig stinkt? Ich meine jetzt nicht im wohl gebräuchlichen übertragenen Sinne, in dem man auch die Bilder von der vollen Nase wählt, um seine Gemütsverfassung zu beschreiben. Nein, ich meine im tatsächlichen und reinen Wortsinn, weil es einfach übel riecht. So ging es jedenfalls dem Verfasser in dem Sommer, als er auf die Idee zu diesem Buch kam. Der Verfasser liebt das Land, das Landleben und auch die dazugehörige, durchaus ab und an mit einem gewissen Hautgout angereicherte Landluft. Er hat nichts gegen den Geruch tierischer Nutztierhinterlassenschaften, die die Bauern als natürlichen Dünger ökologisch wertvoll verwenden. Aber er hat etwas gegen agrarindustriellen Gestank, den man noch vor kurzer Zeit nur auszuhalten hatte, wenn man beispielsweise die A 2 befuhr, der sich jedoch mittlerweile überall im Land, insbesondere eben auch im Sauerlande, infolge von Gülletourismus breitmacht.

Der Inhalt des Buches ist natürlich frei erfunden und dasselbe gilt auch für die Akteure der Geschichte. Sollten dennoch Übereinstimmungen mit realen Personen auftauchen, sind diese rein zufällig und, wie stets nicht beabsichtigt.

Kurzbeschreibung

Özlem Bärenfang und Maximilian Glück ermitteln nach ihrem ersten gemeinsamen Fall „Loupius“ weiter und geraten direkt zu Beginn des Romans aufgrund ihrer Ermittlungsarbeit in eine lebensbedrohliche Situation, aus der sie allerdings befreit werden können.

Keinesfalls abgeschreckt, wie ihre Gegenspieler möglicherweise gehofft hatten, ermitteln die beiden Kommissare unermüdlich in mehreren sich in der Region ereignenden Todesfällen, deren Zusammenhänge sich zunächst nicht erklären lassen. Auch Özlem selbst gerät in das Visier der Ermittlungen, da zwei der Opfer ihr wohl bekannt sind, nämlich ihr Noch-Ehemann und ihr Geliebter, von dem sie schwanger ist.

Der neu eingesetzte Profiler Julius Meier scheint recht schnell einen Zusammenhang der Fälle gefunden zu haben und versucht, die Ermittler zu beeinflussen. Özlem traut diesem allerdings nicht und kommt im Rahmen ihrer Ermittlungen der Wahrheit lebensgefährlich nah. Sie vermutet einen riesigen „Gülleskandal“ als Hintergrund für die Motive und je weiter sie in diese Richtung ermittelt, desto gefährlicher wird es für sich und ihren Kollegen Max.

Dieser spannende Krimi hat wie „Loupius“ wieder regionalen Bezug zum Märkischen Kreis, dem Ennepe-Ruhr-Kreis, Hagen und dem Münsterland.

Prolog

Es klopfte mit vorsichtig leisen Tönen an die dicke von innen mit grünem, gestepptem Leder gepolsterte Türe des Büros von Professor Hoffmeister. Eine solche Tür gab zuvor nicht in den Institutsräumen der Universität in Siegen, aber Hoffmeister hatte so eine gewollt und auch so eine bekommen. Er reagierte auf das Klopfen an seiner Texas-Tür, wie er diese zu nennen pflegte, mit seiner üblichen Bitte, die er mit betontem Kommando an den Anklopfenden adressierte, doch bitte hereinzutreten. Die Tür öffnete sich sodann und vor dem Chemieprofessor mit Nobelpreisaussichten stand dessen Assistent und vertrauter Jungwissenschaftler, den alle nur Faraday nannten, weil er, wie sein berühmter Fachkollege auch Michael mit Vornamen hieß. Eigentlich hieß er mit Nachnamen Lorenz. Es war der Primus des Professors und das bereits seit geschätzt unzähligen Jahren, während derer er seine nicht enden wollende Doktorarbeit verfasste, auch dessen rechte Hand, sowie dessen faktischer Institutsleiter. Die beiden Herren kannten sich gut und genau genommen kannten sie beide auch keinen anderen an der Universität so richtig. Aber diesen Umstand empfanden sie keinesfalls etwa als unbefriedigend. Nein, sie genügten sich und widmeten ihr gesamtes Leben ihrer Königin, der Chemie.

Wie gewohnt nahm Faraday auf einem der vor dem Schreibtisch von Hoffmeister stehenden, in dunkelbraunem Nussbaumholz gehaltenen Besucherstühle Platz. Wie immer lief im Hintergrund Musik aus der sogenannten Neuen Deutschen Welle, verursacht durch einen alten Schallplattenspieler und die sich darauf drehende schwarze Scheibe. Der Musikgeschmack des Professors hatte sich in den Achtziger-Jahren nicht mehr weiterentwickelt. Ihm reichten diese nicht gerade am musikalischen Hochreck befindlichen eigenartige Klänge aus der Zeit seiner jugendlichen Heimat. Damals, so war seine Meinung, hatte Hagen für die Musik fast die Rolle eines Liverpools. Zahlreiche sehr erfolgreiche deutsche Künstler stammten aus der Stadt des Karl Ernst Osthaus-, des Kurt Schuhmachers- und des Folkwang Museums. Der Hagener Impuls, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts von Hagen aus fast weltweit Bekanntheitsgrad gewinnen und fortan in keinem Buch über Kunsthistorik mehr fehlen sollte, hatte, so sah es Hoffmeister, durch die Neue Deutsche Welle in Hagen seine musikalische Renaissance erfahren. Und diese Musik gab ihm offenbar die nötige Muße, um geradezu geniale, weit über die Grenzen von Europa hinaus die Welt der Wissenschaft begeisternde richtungsweisende Gedanken zu entwickeln. Ein wenig grotesk mutete es für die Mitarbeiter schon an, wenn sie beobachteten, wie ihr Professor zu musikalischen Texten von Nena, Grobschnitt, Extrabreit oder auch den Humpe-Schwestern zu geistigen Höhenflügen aufstieg. Aber so war es. Wenn in den Liedern die 99 Luftballons flogen, die Schule brannte, die Interpreten „Wir wollen sterben“ sangen, die blauen Augen sentimental machen sollten, beziehungsweise die Schwester dieser Ikone im Sauseschritt düste, dann gab es für das Gehirn des Professors keine Grenzen mehr. Dann funktionierte er.

„Was kann ich für Sie tun, Herr Professor?“, fragte Faraday seinen Chef, wie üblich und erwartete genauso, wie üblich, einen Arbeitsauftrag. Aber heute war alles anders. Bereits das Bild des Professors vermittelte den Eindruck, dass er an diesem Tage ein geradezu ganz anderer Mensch sei. Sein Antlitz war erschreckend grau. Er schien nicht so fröhlich und lebensbejahend wie sonst. Auch stand kein Glas mit Eierlikör aus Bonn, wir immer eigentlich, auf dem Tisch, sondern völlig entgegen seiner Gewohnheiten eine eher schäbig aussehende hellgrüne Thermoskanne mit einem danebenstehenden braunen Plastikbecher, in den sich Hoffmeister, der gar keinen Kaffee mochte, eben solchen eingegossen hatte.

„Sie sollen zuhören, mein lieber Junge, Sie sollen mir einfach nur zuhören!“ erhob er seine Stimme in einer verzweifelten Tonlage. „Ich möchte Ihnen von meiner Jugend erzählen. Ich war ein guter Schüler. Aber das war auch schon fast alles, was es Positives zu berichten gibt. Ich hatte mal wieder im Deutschunterricht bei meiner Lieblingslehrerin die beste Klassenarbeit verfasst und sie lobte mich dafür. „Sehr gute Arbeit Thadeus-Maria. Deine Mitschüler sollten sich ein Beispiel an Dir nehmen. So fleißig, wie Du, ist keiner in der Klasse. Mach bitte weiter so und ich sage Dir eine ganz große Karriere als erfolgreicher Schriftsteller voraus.“ Unsere sogenannt junge Lehrerin, Frau Kleine Pottmeier hatte es bestimmt gut gemeint, als sie mich, wie so oft zuvor, im Beisein der ganzen Klasse mit ihrer zuckersüßen, etwas heiser klingenden Stimme über den grünen Klee lobte und es schadete auch bestimmt meiner Seele als Schüler nicht, Huldigungen durch den Lehrkörper, wie insbesondere Frau Kleine Pottmann, zu erfahren.“ Es machte sich die Andeutung eines erinnernden Lächelns auf dem Gesicht des Professors breit, welches aber sofort wieder erlosch als er nahezu traurig weiter fortfuhr „aber genau diese durchaus nicht ganz unübertriebenen Belobigungen waren anschließend jedoch auch regelmäßig die üppig sprudelnde Quelle für teilweise sehr schmerzhafte Begegnungen mit den meist männlichen Klassenkameraden vor der Schwimmhalle unserer Realschule in kirchlicher Trägerschaft oder am Schulbushalteplatz der Stadt Breckerfeld. Diese Orte der Schmerzen waren nicht nur nach schulischen Lobpreisungen mein fast schon schicksalhaftes Fegefeuer gewesen.“

Der Professor redete sich, für ihn gänzlich atypisch, in Rage.

„Nein, hier lauerten sie mir ständig auf, wenn sie einmal mehr einen suchten, an dem sie ihre Komplexe abarbeiten konnten. Sie, das waren die meist geistig vollweisen Typen unserer Real- und der daneben befindlichen Hauptschule, die schwimmen konnten, gut aussahen und auf die Geburtstagspartys der weiblichen Teilnehmerinnen unserer Lehranstalt eingeladen wurden. Ich wurde da nie eingeladen und das allein schon wegen der Schuhe. Wir waren Bauern und die Schuhe kaufte man daher bei der bäuerlichen Genossenschaft, was wohl daran lag, dass man nicht zu bezahlen brauchte, sondern man konnte mit der nächsten Getreidelieferung verrechnen. Aber genauso sahen die Schuhe auch aus.“ Gedankenverloren schaute der Professor hinab auf seine Schuhe, so als trüge er heute noch ein derartiges Genossenschaftsmodell. „Die geschlossenen Modelle waren rötlich braun und hießen Mokassins und die Sandalen, waren das Modell „Onkel Heinrich Hosenträger“. Mit solchen Schuhen hätte ich mich am liebsten selbst nicht zum Geburtstag eingeladen. Aber was blieb mir übrig. Es war der einzige Geburtstag, auf dem ich wenigstens halbwegs willkommen war. Meine Brüder und die Kinder von den Nachbarhöfen trugen auch solche Schuhe, aber die waren größer als ich und verfügten im Gegensatz zu mir über gewaltige körperliche Fähigkeiten, mit denen sie die Meinungsbilder über die Schuhe auf dem Schulhof zu ihren Gunsten zu korrigieren vermochten. Mir war dies nie vergönnt. Ich war zu klein, zu schüchtern und mir fehlte wahrscheinlich auch jegliche soziale Kompetenz. Ich hoffte damals, dass ich während der Pubertät gegebenenfalls mit weniger Akne als die sich allmählich in den Gesichtern meine grausamen Peiniger Verbreitenden, hätte punkten können. Aber auch diesbezüglich gab es eine Fehlanzeige. Ich hätte Clerasil, wie das Mainstreamgesichtswasser damals firmierte, intravenös spritzen können. Es hätte nicht geholfen. Wenn ich süß und essbar gewesen wäre, dann hätte man mich, so glaube ich, als heimischen Streuselkuchen zum Beerdigungskaffee eingeladen und dort verspeist.“

Faraday musste sich Mühe geben, nicht laut loszulachen aufgrund der Lebensbeichte des Professors. Auch wusste er noch nicht, wo das ganze hinführen sollte. Er riss sich zusammen und folgte aufmerksam den weiteren Schilderungen seines Gegenübers, obwohl er noch nicht einzuschätzen vermochte, wohin diese Schilderungen führen sollten und vor allem, was der Grund dafür war.

„Ich stammte aus einem kleinen Dorf im Märkischen Kreis. Es war eine dieser winzigen Bauernschaften, die mit dem Anhang „scheid“ endeten. Von denen gab es unzählige um uns herum, genauso wie die Siedlungen, die mit den Bezeichnungen Kamp, Hagen oder Hausen angereichert wurden. Eigentlich hätte ich in unserer Kreisstadt Lüdenscheid, Sie sehen schon wieder so ein „scheid“, zur Schule gehen sollen oder müssen. Aber meine Mutter befand es dann doch für richtiger, mich mein schulisches Schicksal in Breckerfeld erleben zu lassen. Sie selbst war auf diese Schule gegangen und vor allem arbeitete sie jetzt bei der Stadtverwaltung dort und so fand sie zudem praktisch, mich morgens gleich mit zur Schule nehmen zu können. Meine Mutter fand im Übrigen vieles, was sie im Leben tat, praktisch. Das war so ein Wort, welches sie als Synonym für alles Mögliche in ihrer beschränkten Welt nutzte. Und je nachdem, wie sie es einsetzte, erklärte es teils sogar komplexe Sachverhalte, Aufgaben oder Phänomene. Wenn sie zum Beispiel ihr Gefallen an etwas zum Ausdruck bringen wollte, dann pflegte sie zu sagen: “Oh, das ist aber mal praktisch.“ Oder, wenn sie gute Miene zum bösen Spiel durch Worte zum Ausdruck bringen wollte, dann sprach sie: „Naja, es ist wenigstens praktisch.“ Großes Missfallen drückte sie aus, wenn sie sagte: „Das ist doch überhaupt gar nicht praktisch“ oder „Das ist doch völlig unpraktisch.“ Es gab eine ganze Zahl an solchen Wörtern meiner Mutter, die die Welt erklärten. Eines meiner Lieblingsausdrücke ihrer war die Formulierung „flott“. Sie glauben nicht, was man alles mit dem Wort flott in diversen Wortverbindungen gepaart mit den dazugehörigen Betonungen und Gesten, beziehungsweise der dazugehörigen Mimik zum Ausdruck bringen kann. Damit vermag man fast soviel zu sagen, wie mit der Benutzung des zur dieser Zeit gerade unter Frauen weit verbreiteten Wortes „Dingens“.

Ja, und, da meine Mutter es eben als praktisch beurteilt hatte, mich morgens mit zur Schule zu nehmen, ging ich auf die Anstalt des Heiligen Jakobus. Nach der Schule konnte mich meine Mutter jedoch nicht mit direkt mit nach Hause nehmen, da sie zu lang arbeiten musste. Ich hätte auf sie warten können. Sogar hätte ich bei ihr in ihrem Dienstzimmer schon einmal meine Hausaufgaben fertigen und mit ihr gemeinsam zu Mittag essen können. Aber das wollte ich nicht. Mit der Mutter von der Schule aus nach Hause zu fahren empfand ich als fast so peinlich, wie meine Schuhe von der Genossenschaft. Nein, ich bevorzugte es dann doch lieber mit dem Schulbus zu fahren, wie alle andern Schüler, die etwas zu bedeuten hatten. Ich wusste natürlich, dass diese Fahrten für mich regelmäßig etwas mit Schmerzen zu tun haben würden, gerade, wenn ich mal wieder einer der, oder gar die beste Klassenarbeit geschrieben hatte. Aber das nahm ich in Kauf. Lieber ließ ich mich verhauen und quälen, als mit der Mutter im Auto zu fahren. Das wäre mein völliger gesellschaftlicher Anerkennungsruin gewesen. Nein, dann, schon lieber Schmerzen ertragen. Besonders gemein waren diese schlimmen Kopfnüsse oder auch diese übel schmerzenden Kniffe in die Brustwarzen. Sehr schmerzhaft waren auch die fürchterlichen Stöße meines Kopfes gegen die Scheibe unseres Schulbusses, gefolgt von geradezu unerträglichen länger andauernden Kneifereien in die Innenseite meines Oberschenkels.“ Der Professor fasste sich an den Oberschenkel, so als würde er sich vergewissern müssen, dass alles in Ordnung ist, fuhr dann jedoch weiter fort.

„Ich sage Ihnen, das ist kaum auszuhalten. Aber ich tat es. Ich hielt es aus. Denn es gab auch schöne Momente.“ Der Professor neigte leicht den Kopf von rechts nach links, so als wägte er die Worte ab.

„Nicht viele, aber es gab sie. Einmal zum Beispiel, lächelte mich eine unserer Klassenschönheiten an. Es war eine von diesen vielen Simones, Bettinas oder Silkes dieser Zeit, deren Modellkarriere meistens bereits im Alter von 21 Jahren in irgendeinem Kreissaal ein jähes Ende finden sollte. Jedenfalls die, die mich anlächelte war ein wahres Prachtexemplar dieser austauschbaren jungen Damen. Sie sah wirklich ausgesprochen gut aus, wobei sich die Natur aber auch auf die Bildung ihrer Äußerlichkeit beschränkt hatte. Innen war tatsächlich nichts, rein gar nichts, also insbesondere im Kopfe, nichts zu finden. Unsere Deutschlehrerin, war im Gegensatz zu ihrem ebenfalls an unserer Schule tätigem Mann, nicht nur der Überzeugung, dass diese Schülerin nicht so ganz helle sei. Nein, sie war zu der Gewissheit gelangt, dass in deren Kopf tief dunkle Nacht herrsche, und diese Schönheit hier auf unserer Schule nur die Zeit abwarte, bis man ihr empfehlen würde, doch besser eine Gesamtschule in Hagen zu besuchen. Die Gesamtschule in Hagen war eine der üblichen Degradierungsstellen für Kinder unserer Schule, die nicht zurechtkamen. Viele, deren Leistungsvermögen, oder in manchen Fällen deren Leistungsbereitschaft nicht ausreichte, gingen einfach zur Hauptschule nebenan oder auf die sehr gut geführte nach Hagen-Dahl. Aber diejenigen Eltern, welche wegen gesellschaftlicher Komplexe mit der Vokabel Hauptschule nicht umzugehen vermochten, wählten für ihre überschätzten Zöglinge halt die Gesamtschule. Das hatte für sie wohl einen besseren Klang. Sei es drum. Ihr, also das Lächeln unserer Klassenschönheit jedenfalls hatte mich über den Tag gebracht. Von diesen Momenten gab es jedoch nicht so viele. Genau genommen, war es der Einzige.“ Der Professor hielt kurz inne, aber Faraday kannte ihn inzwischen gut genug, um zu erkennen, dass die Erzählungen weitergehen würden und darüber hinaus wohl auch noch etwas Zeit in Anspruch nehmen würden, daher lehnte er sich gemütlich zurück und entspannte.

„Kurz gesagt, die ersten sechzehn Jahre meines Lebens waren gesellschaftlich eine einzige Katastrophe. Besserung erfuhr ich insoweit, als mich meine schulischen Leistungen den Weg in die gymnasiale Oberstufe finden ließen und ich zudem noch den Führerschein für meinen ersten motorisierten fahrbaren Untersatz machen konnte. Das war ein Leichtkraftrad der Fima Kreidler, eine sogenannte Enduro. Meine Eltern schenkten es mir zum Geburtstag und zur bestandenen Führerscheinprüfung. Mein Leben schien sich in einen paradiesischen Traum verwandelt zu haben.“

Die Miene des Professors verfinsterte sich und sein Antlitz schien noch grauer zu werden als er fortfuhr.

„Nur leider hielt dieser Traum auch nicht allzu lange an. Bereits nach wenigen Wochen wurde er jäh beendet, als die Menschen von der örtlichen Bank, bei der alle Bauern ihr Konto hatten, beschloss, sich unseren Bauernhof mit allem, was dazu gehört einzuverleiben. Sie hatten meinen Vater schlicht über den Tisch gezogen. Unser Hof lag am Kopf eines wunderschön aufsteigenden Tales und zwar auf der Südseite desselben. Die Honoratioren der Stadt hatten es gemeinsam mit dem Vorstand der Bank geschafft, aus unserem landwirtschaftlichen Idyll Bauland werden zu lassen und das war dann sozusagen der Anfang vom schrecklichen Ende. Die Nordseite des Tales hatte die völkische Bank bereits vollständig den dortigen Bauer abgeluchst und Stück für Stück während der wenigen sonnigen Stunden auf dieser Seite überteuert an bauwillige Himmelsrichtungslegasteniker vermarktet, deren Zukunft in den Blumenmärkten von der Nachfrage nach Schattengewächsen geprägt sein würde. Und nunmehr sollte mein Vater dran glauben. Ihn galt es jetzt fertig zu machen, um gewinnträchtig an die sonnendurchfluteten Sahnegrundstücke des Tales zu gelangen.

Man überschüttete ihn geradezu mit Geld. Er bekam ein Darlehen nach dem anderen, für einen neuen Traktor, für ein neues Auto, sogar für den Bau eines neuen Kuhstalles, bis der Zeitpunkt erreicht war, an dem er nicht mehr sogenannt kapitaldienstfähig war und seine Raten nicht mehr pünktlich bedienen konnte. Und genau das hatten diese niederen Menschen von der Bank geplant. Wenn man ihm auch zuvor unter der Millionärsperspektive eines Baulandverkäufers jeden Kredit zugesprochen hatte, so gab man nunmehr vor, nicht mehr länger auf die Raten warten zu können. Schließlich werde noch einige Zeit vergehen, bis die Erschließungsmaßnahmen begönnen, sagten man ihm und trieb ihn so in die Enge. Die Bankleute hatten zuvor genau gewusst, dass es soweit kommen werde und jetzt hatten sie ihr Ziel erreicht.“ Theatralisch schlug der Professor einer Mausefalle gleichend, die Hände zusammen.

„Die Geldfalle schlug zu. Zu allem Überfluss verließ uns dann auch noch unsere Mutter und ließ sich nach allen Regeln niedrigster Begierden mit dem Vorstand der Völkischen Bank, dessen Frau sie dann auch später werden sollte, ein. Wahrscheinlich war auch das geplant gewesen, denn sie hatte meinem Vater immer wieder zugesprochen, wenn es um die Aufnahme von Darlehen gegangen war. Mein Vater ging daran zugrunde und nahm sich schließlich das Leben. Ich war zu der Zeit gerade achtzehn Jahre alt und hatte soeben die Reifeprüfung bestanden. Mein Vater hatte so lange gewartet, bis er sich für diesen, seinen letzten endgültigen Schritt entschied. Er, so las ich in seinem an mich adressierten Abschiedsbrief, wollte mit Stolz auf seinen Sohn wegen künftig bestandenem Abitur seinem Leben ein Ende setzen und vor allem mir nicht die letzten Schuljahre bis zur Reifeprüfung verpfuschen, wie er sich in dem Brief auszudrücken pflegte. Nach der Beerdigung verließ ich unser Tal und habe es seither nie wieder betreten. Nur eines tat ich noch in der alten Heimat, bevor ich ging. Ich gelobte öffentlich vor der gesamten Trauergesellschaft, dass ich meiner Mutter und ihren Gesellen von der Bank eines Tages den verdienten Tod bringen würde.“

Faraday schluckte, die Geschichte berührte ihn und er wandte sich an sein Gegenüber: „Herr Professor, warum erzählen Sie mir das Alles? Ich meine, natürlich interessiert mich Ihre Jugend und Ihr Weg bis hierher. Aber es erscheint mir dennoch etwas ungewöhnlich.“

Nahezu väterlich antwortete der Professor: „Ich möchte, dass Du verstehst. Ich möchte, dass Du verstehst, wenn ich geholt werde. Wenn sie mich in Handschellen binden werden, um mich ihrer, wie sie es nennen, gerechten Strafe zuzuführen. Ich habe den Tod nicht verdient. Jedoch werden sie es behaupten.“

Hoffmeister warf seinem Assistenten eine Zeitungsausgabe des Allgemeinen Anzeigers aus dem märkischen Kreis über den Schreibtisch zu. Faraday schaute etwas konsterniert und nahm das Blatt auf, um es zu lesen. Auf der Titelseite klaffte ein Foto eines fast vollständig abgebrannten Hauses und darüber war die Überschrift zu lesen „Der Säuremann hat wieder zugeschlagen - Ehemaliger Bankdirektor und seine Frau feige ermordet“.

Geschockt wandte sich Faraday an sein Gegenüber: „Aber, bitte Herr Professor, was haben Sie denn damit zu tun. Das ist doch bloß ein Zufall, oder?“

„Nichts, mein Lieber, nichts habe ich damit zu tun. Genauso wenig, wie mit all` den anderen Morden. Aber sie werden es behaupten und mich holen. Sie waren schon einmal da, diese Leute von der Ordnungsmacht. Jetzt werden sie wiederkommen und ich werde sie nicht überzeugen können, wieder zu gehen, wie die Male zuvor. Nein, dieses Mal werden sie mich mitnehmen. Aber mach Du Dir keine Sorgen. Ich habe für alles gesorgt. Deine Doktorarbeit wird ein guter Freund weiter betreuen. Er ist eingeweiht und wird sich unmittelbar nach meiner Verhaftung bei Dir melden. Und jetzt, lass mich bitte allein, mein Junge. Ich möchte die letzte, mir in Freiheit verbleibende Zeit, gern in absoluter Stille verbringen. Führe das Institut einfach weiter, wie bisher. Für Dich und Deine Karriere ist gesorgt. Verlass` Dich auf mich.“

Faraday fehlten die Worte, er wusste auch nicht, was er hätte sagen können. „Natürlich, Herr Professor, natürlich, ganz, wie Sie wünschen. Und ich kann wirklich nichts mehr für Sie….?“ Barsch unterbrach Hoffmeister seinen Assistenten. „Nein, das kannst Du nicht. Das kann keiner. Sie sind mir auf den Fersen. Sie werden kommen und ich kann nichts dagegen tun.“

Plötzlich blitzte in den Augen von Faraday ein Hauch der Begeisterung auf. „Aber Herr Professor, mir fällt da noch etwas ein. Sie führen doch Tagebuch. Sie hatten mir jedenfalls davon erzählt. Kann uns das denn nicht helfen. Dort halten Sie doch mit Akribie jeden Tagesverlauf fest, sagten Sie und damit müsste doch gegebenenfalls Ihr Alibi für die Tatzeit feststehen. Natürlich, die werden sagen, Sie hätten das Buch kreativ in Richtung eines möglichen Alibis gestaltet. Jedoch müssten sie erstmal einen Richter oder Staatsanwalt überzeugen. Denn noch gilt doch in Deutschland die Unschuldsvermutung. Kommen Sie, geben Sie mir den Schlüssel fürs Haus. Ich fahre schnell hin und hole es. Es liegt doch noch im Safe ihres Arbeitszimmers, richtig?“

Verwundert über den Geistesblitz seines Assistenten wandte sich der Professor an diesen. „Komisch mein Lieber Faraday, dass Sie darauf kommen. Dasselbe hatte ich auch vor, als die aus Hagen vor Monaten bei mir waren und mir einen Mord in Werdohl in die Schuhe schieben wollten. Ich wollte der ermittelnden Kommissarin damals direkt das Buch geben. Aber es war weg. Der Safe war nicht etwa aufgebrochen. Es gab auch keinerlei Einbruchsspuren und ich stand, wie ein hoffnungsloser Verteidiger da. Meine Glaubwürdigkeit hat das jedenfalls nicht gerade gestärkt und deshalb haben die mich im Auge. Es hat noch weitere Morde gegeben und die werden alle mit mir in Verbindung gebracht. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich kannte all` diese armen Menschen, denen man das Leben genommen hatte.“

Der Assistent zog die Augenbraue nach oben: „Ja, aber an den Safe kommt doch außer uns beiden niemand heran. Nur wir zwei kennen die Kombination.“

„Eben Faraday, nur wir zwei, sonst niemand.“

„Aber, Herr Professor, Sie glauben doch nicht etwa, dass ich..…“

„Nein, natürlich nicht. Warum sollten Sie auch? Was hätten Sie denn davon?“

„Und Ihre Frau, ist die denn informiert über die Lage? Weiß sie, in welchen Schwierigkeiten Sie stecken. Hat sie vielleicht das Tagebuch?“

„Ja, meine Frau weiß es. Jedoch will sie es nicht wissen. Es interessiert sie nicht, sagt sie. Ich glaube, sie hat mich verlassen. Mir schwant, eine ihrer zahlreichen Affären scheint etwas Ernstes geworden zu sein. Sie wird mich, so denke ich, bald verlassen. Sie hat ihn in Hongkong während einer Städtereise vom Golfclub kennengelernt und sich als Souvenir dann gleich auch mit nach Deutschland gebracht. Aber das Tagebuch hat sie nicht. Wie sollte sie auch? Sie kennt die Kombination überhaupt nicht. Natürlich habe ich sie gefragt. Und sie hat mich dafür geohrfeigt, so, wie sie es immer wieder tut. Sie haben das ja auch schon einmal erlebt. Wissen Sie noch, anlässlich meines fünfzigsten Geburtstages, Sie waren damals noch wissenschaftliche Hilfskraft in unserem Institut und ich hatte gerade ein Jahr zuvor den Ruf hier nach Siegen bekommen, als meine Frau mir vor dem gesamten Team während der Feier ins Gesicht geschlagen hatte, weil sie meinte, ich sei nicht richtig gekleidet für diesen Anlass? Wissen Sie das noch?“ schrie der Professor mit aufgeregter Stimme, bevor er sich wieder besann und ruhig fortfuhr „sie kann das Tagebuch nicht genommen haben. Sie kommt an den Safe in meinem Arbeitszimmer nicht heran. Ich glaube, sie weiß noch nicht einmal, dass ich dort einen solchen Safe besitze. Für meine Arbeit hat sie sich eigentlich noch nie so richtig interessiert. Sie wollte in erster Linie Frau Professor werden und mich zum Nobelpreis treiben. Mir war das egal. Ich wollte einfach nur nicht mehr alleine sein. Ich weiß natürlich, dass sie mich nie geliebt hat, warum auch? Ich bin halt nicht so ein richtiger Mann, so ein ganzer Kerl, wie die Leute zu sagen pflegen. Und jetzt gehen Sie bitte Faraday. Ich muss jetzt einfach alleine sein“ schloss Hoffmeister das Gespräch, senkte seinen Kopf und verdeutlichte so, dass eine weitere Anwesenheit von Faraday nicht erwünscht war. Dieser erhob sich langsam aus dem Sessel, musste seine vom Sitzen steif gewordenen Glieder strecken und verließ ohne ein weiteres Wort des Grußes das Zimmer.

Dunkelhaft

Es gibt im Sauerland, so könnte man gewiss behaupten, eine große Anzahl kalter dunkler natürlich in Felsen entstandener urzeitlicher Höhlen. Sie reichen von der Attahöhle über die Balverhöhle bis zur Volkringhauser Höhle und so weiter und so weiter. Die Liste dieser mehr oder minder großen Felsenlöcher ist lang, sehr lang. Und eine davon ist die sogenannte Dechenhöhle zwischen Letmathe und Iserlohn, ein im Jahre 1868 entdecktes Tropfsteingewölbe mit zahlreichen verschiedensten beeindruckten kleinen Kammern, sowie aber auch faszinierenden großen Säulen, und genau in dieser imponierenden Laune der Natur saßen, oder vielmehr lagen die Hauptermittler unserer Kriminalfälle, nämlich die Mitarbeiter der ständigen Mordkommission von Hagen, Özlem Bärenfang und Maximilian Glück, auf kaltem, nassen, sowie schmutzigem Boden in Fesseln gefangen. Die zwei waren, wie sie es als Po-lizisten natürlich stets zu tun pflegten, mal wieder einer dieser angeblich heißen Spuren gefolgt und hatten sich mit einem vermeintlichen Informanten, der über das Internet zu ihnen Kontakt aufgenommen hatte, ausgerechnet in dieser Höhle, die nunmehr ihr Verließ sein sollte, verabredet. Sie hatten nicht verstanden, oder gar gewusst, weshalb dieser Treffpunkt gewählt worden war, aber das hatte sie auch nicht wirklich interessiert. In diesen Tagen wären sie überall hingegangen, wenn es sie nur ein Stück weiter gebracht hätte bei der Lösung ihrer mittlerweile schon zahlreichen ungeklärten Tötungsdelikte.

„Özlem?“

„Max?“

„Meinst Du, wir kommen hier jemals wieder heraus?“

„Garantiert, mein Lieber. Die Frage ist nur, in welchem Zustand und vor allem wann? Werden wir nur halb verwest sein, oder wird man gegebenenfalls lediglich unsere Skelette finden? Das ist hier die Frage!“ Mit einer für Max völlig unverständlichen Begeisterung fuhr sie fort. „Max, denk doch mal, dann werden wir noch berühmt, wie der Ötzi oder die Neandertaler und wir werden zu einem Touristenmagneten, wir, die Polizisten der Blätterhöhle in Hagen. Man wird uns ein Denkmal errichten.“ Özlem geriet nahezu ins Schwärmen: „Özlem und Max, die Mord-Ermittler bis in den Tod“ wird es heißen. Die Gazetten und das Netz und alle Fernsehsender werden wochenlang über uns berichten. Das wäre doch toll, oder Maxi?“

Max schüttelte nur den Kopf.

„Ja, Du denkst an Ruhm und Ehre, aber ich könnte mich vor lauter Ärger, wenn ich es mit meinen Fesseln nur könnte, in den Allerwertesten beißen. Wie konnte uns das nur geschehen? Wie konnten wir uns nur von so einem Kind überlisten lassen? Der hat uns komplett verar…., naja. Du weißt schon, was ich sagen wollte und wir fallen natürlich wie die blutigsten Anfänger darauf rein!“

Özlem schüttelte leicht abfällig den Kopf. „Wir? Du mein lieber Max, Du! Ich höre Deine Worte noch, ganz heiße Spur, Özlem, ganz heiß - das einzige, was hier heiß ist, das ist das kochende Blut in meinen Adern. Weißt Du eigentlich, dass ich unter Platzangst leide, und jetzt sitze ich in dieser gottverlassenen Höhle an Ketten gefesselt. Ich denke nicht, dass ich das hier überleben werde. Und, wenn doch, mein liebster Max, dann wird Dich unser Aufenthalt eine Kleinigkeit kosten. Und glaube bloß nicht, dass es diesmal mit einem Besuch beim Dönermann getan ist. Nein, für diesen Schlamassel hier wirst Du mal so richtig tief in die Tasche greifen müssen. Ich freue mich jetzt schon und ich verspreche dir, ich werde großen Hunger und einen Wüstendurchquererdurst haben.“

Max nickte resigniert. „Ja, ja, ist ja schon gut Özlem. Es war natürlich wieder mal meine Schuld. Wahrscheinlich genauso, wie damals in dem blöden Weinkeller in Halver. Aber, wer hat uns da wieder herausgeholt? Na, sag schon! Genau, ich und ich werde es auch sein, der uns hier herausholen wird. Kannst Dich ganz auf Deinen genialen Kollegen Maximilian Glück verlassen.“

Özlem winkte mit einer herabwürdigenden Geste ab. „Genau, die letzten Worte Deines Satzes drücken es aus, vom Glück verlassen, genau das sind wir. Ich denke, dass hier in den nächsten Tagen kein Mensch auftauchen wird, um uns zu befreien. Wahrscheinlich ist hier nur am Wochenende Betrieb und heute ist Montag. Ich schwöre dir bei dem Propheten, wir werden in dieser steinernen Gruft verwesen. Und was heißt hier überhaupt, Du hast uns aus dem Weinkeller befreit. Wer ist denn auf die Idee gekommen im Keller von Loupius dieses schwere Regal wegzuräumen, meine Lieber?“

„Ja, das stimmt. Das muss ich zugeben. Ohne diesen Tipp säßen wir heute wahrscheinlich noch in dem Keller, aber man muss auch berücksichtigen, dass Du auf das Regal nur aufmerksam geworden bist, weil ich dort ständig hingegangen bin, um Nachschub zu holen. Und eins sag ich Dir auch noch. Wenn ich nicht so viel von dem Wein getrunken und damit das Regal erheblich erleichtert hätte, dann hätten wir es überhaupt nicht wegschieben können. Also sei mir mal dankbar. Nur eines würde mich immer noch interessieren, das geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Wo ist nur dieser Loupius geblieben? Überall Blut, zuvor der Gewehrschuss, aber keine Leiche. Ich wüste nur zu gern, ob er noch lebt. Vielleicht werden wir das nie erfahren. Sag mal, Özlem, gehört die Höhle eigentlich zu Iserlohn oder Letmathe?“

„Das weiß ich doch nicht und vor allem, wofür soll das jetzt wichtig sein?“

„Ach, das weiß ich auch nicht, war nur so eine Frage, irgendwie muss man sich ja die Zeit vertreiben.“

Die beiden durch den Fall Loupius populär gewordenen Ermittler aus Hagen saßen also mal wieder ganz ordentlich in der Klemme. Ihre natürliche Gruft befand sich in einer für Besucher nicht zugänglichen Nebenkammer der sogenannten Kaiserhalle. Man hatte sie fast schon übermäßig an Armen und Beinen mit Ketten gefesselt, wie ein versandfertiges Päckchen und es blieb ihnen nichts anders übrig, als auf ihre Befreiung zu warten. Aus eigener Kraft würden sie sich aus dieser ausweglosen Lage nie selbst befreien können. Zu fest hatte man sie gebunden und sie in diesem Zustand hilflos auf den nassen, kalten und arg verschmutzten Boden der Grotte gelegt. Es herrschte eine Temperatur von ungefähr zehn Grad und die Zwei, die zunächst sogar noch, jedenfalls angesichts ihrer Lage, ganz gut gelaunt gewesen waren, drohten jetzt aber allmählich zu unterkühlen. Hinzu kam, dass sich die Befürchtungen von Kriminalhauptkommissarin Özlem Bärenfang sich bewahrheiten sollten. Zu dieser Jahreszeit, es war Februar und das hatte offenbar ihr Kerkermeister, der sie in die Tropfsteinhöhle mit den beeindruckenden Gebilden und Form von Stalaktiten und Stalagmiten gelockt, überlistet und gefangen hatte, sehr genau gewusst, öffneten die Betreiber des Höhlenmuseums ihre Pforten nur kurz an den Sonntagen, sodass im Übrigen kein Betrieb herrschte. Die zwei Kommissare der Mordkommission mussten also auf den Zufall hoffen, der ihnen zur Hilfe kommen würde oder tatsächlich eine Woche in Dunkelhaft verharren.

Es waren bereits zwei lange Tage und Nächte vergangen. Özlem und Max hatten seit ihrer Gefangennahme weder getrunken noch etwas essen können. Sie waren beide stark unterkühlt, sodass sie die Kälte beinahe schon gar nicht mehr spürten. Ihre Körper hatten sich bereits auf das Äußerste eingestellt und vermittelten ein unerträgliches Hitzegefühl. Beiden kam es geradezu unerträglich heiß vor. Am liebsten hätten sie sich ihre Kleider vom Leibe gerissen, so warm schien es ihnen. Ihre letzten Kraftreserven drohten zu Neige zu gehen. Das Leben hatte sich bereits darauf vorbereitet, ihre Körper zu verlassen und die armen Seelen an die Ewigkeit zu übergeben. Hatten sie anfangs auch noch gezittert und mit gefröstelt, so war ihr Puls jetzt bereits extrem verlangsamt und der Blutdruck völlig im Keller. Sie litten unter Muskelstarre und die langsam eintretende Bewusstlosigkeit schien unweigerlich ihr Ziel in einem Herzkreislaufstillstand zu finden. Die Welt stand in Gefahr, zwei ihrer begabten Mordermittler zu verlieren, wobei die Ermittlungen in ihrem jüngsten Fall bisher noch keinen Anlass gaben, auf die zuständige Kommission für Tötungsdelikte im Hagener Polizeipräsidium stolz zu sein. Es gab genau genommen, trotz bereits drei Monate anhaltender bemühter und teils sogar eifriger Ermittlungstätigkeit, keine nennenswerten Ergebnisse und die Kritik von den Dienstvorgesetzen, sowie natürlich auch der Medien beziehungsweise, wie heutzutage geradezu selbstverständlich der breiten Öffentlichkeit, die ihr Missfallen über die sozialen Netzwerk unter Einsatz sehr deutlicher, zum Teil gar menschenverachtende Sprache in das weltweite Netz herausposaunten, hatte auch nicht lange auf sich warten lassen. Özlem Bärenfang und Max Glück waren geradezu in Hassfiguren der Wutbürgerschaft des Landes verwandelt worden.

Es hatte bereits acht Morde gegeben und ein Ende der Serie war nicht gewiss. Es gab gleich zwei Tötungen in Breckerfeld. Dabei handelte es sich jeweils um sogenannte Landfrauen, von denen eine im Güllebehälter des schwiegerelterlichen landwirtschaftlichen Betriebes ertränkt und gefunden worden war und die andere, selbst eine gestandene Landwirtschaftsmeisterin, qualvoll in der soeben erst von ihr neu erworbenen Großballenpresse ihres Betriebes, welche in der Hofscheune den Winter über stand, den Tod gefunden hatte. Direkt hatten die Verlage ihren Zeitungsabsatz versprechenden Serienmörder gefunden und titulierten die Gazetten mit „Der Landfrauenmörder“. Das war jedoch dann wohl letztlich eine etwas zu kurz gedachte Theorie zur Charakterisierung der noch jungen Tötungsserie gewesen, da sich das dritte Opfer aus der Nachbarstadt Halver als Bankiersgattin herausstellen sollte und das vierte Opfer, ein chinesischer Student aus Siegen war. Als jetzt dann noch zwei weitere Tötungen in der Stadt Werdohl hinzukamen und dabei gar ein Ehepaar ums Leben gekommen war, sollte noch nicht einmal der Frauenmörder als Überschrift der Journaille genügen. Schließlich hatte es dann noch einen Leichenfund in der dem auf dem Kahlen Asten entspringenden Flüsschen Lenne auf der Höhe von Plettenberg gegeben, wo der leblose Körper eines achtzehnjährigen Schülers von den todbringenden Gewässern freigegeben wurde und sich einwandfrei ebenfalls als Tötungsdelikt herausstellen sollte, sowie eine weitere mortale Verabschiedung eines Oberarztes des Großklinikums für Sportmedizin in Lüdenscheid. Während der Achtzehnjährige von hinten mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen und dann offensichtlich von seinem Mörder bewusstlos ins Wasser geworfen worden war, hatte man den Oberarzt mit einem Kissen erstickt. Es schien also kein Gesetz der Serie zu geben und die Ermittler sollten auf Anweisung der Staatsanwaltschaft in Hagen von jeweiligen Einzeltaten ausgehen. Serie lässt sich auf Pressekonferenzen halt immer schwerlich verkaufen und schafft für die Bediensteten regelmäßig nur schwer erträglichen Ermittlungsdruck. Und man hätte auch bestimmt mit Fug und Recht von Einzeltaten ausgehen können, ja vielleicht sogar müssen, wenn da nicht dieses Gefühl, diese berühmte Bauchgefühl gewesen wäre. Kriminalhauptkommissarin Özlem Bärenfang, ihres Zeichens selbstbewusste Leiterin der Hagener Mordkommission wollte einfach nicht an Einzeltaten glauben. Eine solche plötzlich auftretende Fülle von Tötungen in einem Kommissariats Bezirk konnte kein Zufall sein. Da musste es einen Zusammenhang geben. Davon war sie überzeugt und der einzige, der ihr Glauben schenken wollte, war ihr getreuer Freund und Kollege Max Glück.

Und mit diesem Max Glück sollte sie, so wie es jedenfalls momentan aussah, wohl untergehen. Aber plötzlich gab es dort ein Licht. Es war zunächst nur ein ganz winziger Schein, aber der Schein wurde sodann zunehmend heller. Özlem und Max schafften es kaum noch, dieses Licht wahrzunehmen. Die schwindenden Kräfte hatten ihnen beinahe jegliche Sinne genommen. Aber dann sahen sie es doch.

„Sieh doch, Max, sieh doch. Da ist ein Licht und es wird heller. Das ist unsere Rettung. Max, wir werden gerettet.“

Özlem schöpfte mit einem Male wieder ganz neue Kraft. Woher sie diese Reserven noch zu nehmen vermochte, war ihr selbst schleierhaft. Sie hatte sich bereits darauf eingestellt, dieses dunkle kalte nasse Tropfsteinverlies nie mehr zu verlassen. Sie war bereit, zu sterben. Aber dann durch das Licht hauchte ihr, wie durch ein Wunder eine übermenschliche Macht, so schien es ihr, neues Leben ein. Ihr menschlicher Mechanismus begann wieder zu funktionieren und so wurde auch ihre Stimme jetzt lauter. Sie konnte ihr Glück letztlich kaum fassen und rief jetzt in Richtung ihres noch regungslos am Boden legenden Kollegen:

„Max, wir sind gerettet. Bei Allah wir werden leben, wir sind erlöst.“

Im Normalfall bemühte Özlem nicht so voller Inbrunst die Aufmerksamkeit des Propheten. Aber in dieser extremen Situation schoss es geradezu aus ihr heraus und sie war ihrem Gott dankbar. Überdankbar, dass er sie noch gerettet und vor dem scheinbar sicheren Ende bewahrt hatte.

Jetzt bewegte sich auch Max, und Özlem konnte ihn durch das aufhellende Licht zum ersten Male, seitdem sie in dieses steinerne Gefängnis einkerkert worden waren, sehen. Er sah zum Fürchten aus. Sein Gesicht war aufgedunsen und schien in einem gespenstischen blassen Blau. Die Augen waren schwarz, wie tot und auffällig von Blut unterlaufen.

„Oh mein lieber Max, wie siehst Du denn aus? Keine Wasserleiche könnte schöner sein.“

Langsam machte sich auch in Max eine aufkeimende Euphorie breit und verlieh ihm ungeahnte Kraftreserven.

„Danke, aber das Kompliment kann ich zurückgeben. Und, was heißt hier überhaupt Allah. Hier bei uns im Sauerland sind immer noch der Liebe Gott, sein Sohn und der Heilige Geist zuständig, ist das klar? Aber sei es drum, irgendeiner wird es schon gewesen sein. Hauptsache wir kommen hier raus.“

„Keiner von all` denen, die Özlem und Max soeben noch als Erlöser vermutet hatten, sollte es sein, vernahmen die beiden doch just in diesem Moment eine von Kommandoton getragene Stimme, die aus der Richtung des weiter herannahenden Lichtes schallte.

„Keiner von denen und noch nicht einmal die Jungfrau Maria, sondern allein wir! Wir sind es gewesen, die euch hier hereingebracht haben und wir werden es auch sein, die euch, jedoch nur, wenn es uns beliebt, hier herausholen, werden. Jetzt kommt es ganz auf euch an. Wenn ihr kooperiert, dann geben wir eurem Leben noch eine Chance. Aber, wenn nicht, dann garantiere ich für nichts.“

„Wir, wer sind denn Wir?“

„Wir, das sind die Kinder der Deutschen, liebe Frau Hauptkommissarin Bärenfang.“

Die Stimme kam näher und jetzt konnten die beiden gefangenen Ermittler auch ein Gesicht dazu erkennen. Vor ihnen stand ein wahrscheinlich noch keine zwanzig Jahre alter junger Mann, der neben einem auffälligen Seitenscheitel, einen für das Alter beachtlichen rabenschwarzen Vollbart trug.

Die Vorgesetzte

„Guten Tag oder auch guten Abend! Ich weiß nicht, zu welcher Tageszeit ich Sie bei der Literatur unserer Kriminalgeschichte erreiche, aber ich darf mich Ihnen an dieser Stelle kurz vorstellen. Ich bin die Dienstvorgesetzte unserer Protagonistin, der Kriminalhauptkommissarin Özlem Bärenfang und ihres treuen Kollegen Max Glück. Mein Name ist Nadine Kittmann und ich stamme gebürtig aus Oberbrügge. Nach meiner Polizeiausbildung habe ich das Jurastudium in Münster mit Prädikatsexamen absolviert und dann mein Referendariat in Hagen gemacht. Ich wollte eigentlich nach Hamburg gehen, so wie zwei meiner besten Freunde. Aber Sie wissen ja vielleicht, wie das ist. Die Familie veranlasste mich dann doch, in der Heimat zu bleiben. Und so wurde ich die Nachfolgerin von Konstantin Opfel als Kriminalrätin in Hagen. Ich hatte Glück, denn eigentlich war Opfel noch gar nicht so alt gewesen, als dass er hätte seine aktive Dienstzeit beenden müssen. Aber es gab da Anweisungen von Oben, dass alle, die auch nur im entferntesten Verdacht standen, vor meiner Zeit von diesem Loupius korrumpiert worden zu sein, den Dienst in Hagen quittieren sollten. Ja und so konnte ich hier anfangen. Von hier aus konnte ich mich auch einfach besser um meine Eltern kümmern und meine alten Freunde behalten. Nebenbei war ich auch Vorsitzende vom TuS Oberbrügge und so etwas gibt man nicht so leichtfertig auf.

Özlem Bärenfang lag mir bereits seit Wochen mit der Bitte in den Ohren, doch wegen der nunmehr zahlreichen Morde endlich eine Sonderkommission einzurichten, doch ich bekam einfach kein grünes Licht von der Behördenleitung. Es ging natürlich wieder um Personalmangel und damit letztlich, wie so oft, um Geld. Die Polizeipräsidien im Rheinland und dem Ruhrgebiet waren vollkommen unterbesetzt und insbesondere neben der Routinekriminalität mit der Bekämpfung unzähliger organisierter krimineller Banden aus den verschiedensten Nationen unserer Erde beschäftigt. Von Seiten des Ministeriums hielt man natürlich schön den Deckel auf diesen Missständen. Man wollte die Bevölkerung nicht verunsichern. Aber uns Eingeweihten war allen klar, dass unsere Polizei so langsam im Begriff war, zu kollabieren. Aber schließlich gelang es mir, doch genügend Kräfte im Polizeipräsidium Hagen bündeln und so eine Sonderkommission, die SOKO S unter Leitung von meiner Özlem Bärenfang gründen zu können. Zu groß war dann doch wohl der Druck aus der Bevölkerung und den Landtagsabgeordneten aus der Region geworden, als dass man sich den lebendigen Tatsachen über tote Menschen aus dem Sauer- und Siegerland noch hätte verschließen können. Und so gab es schließlich genügend Mittel für uns, jedenfalls für unsere Kommission. Nachdem die Mittel bereitgestellt wurden hatten die Kollegen aus Dortmund den Fall an sich ziehen wollen. Der Präsident von da war als medienaffin bekannt und hatte wohl gesteigerte Aufmerksamkeit, vielleicht sogar einen Auftritt im Fernsehen gewittert. Aber der Fall blieb dann letztlich auf Wunsch von sogenannt ganz oben bei uns in Hagen. Naja, vielleicht hätte ich den Fall doch besser abgegeben, denn wir waren bisher eigentlich noch keinen Schritt weitergekommen und so wuchs der Druck auf unsere Behörde schon ganz schön stark. Unsere einzige Entschuldigung lag bisher nur darin, dass wir die Fälle bisher ganz allein mit unserer nur schwach besetzten Mordkommission hatten lösen sollen. Zwei Kommissare und eine Assistentin waren einfach zu wenig für den Bereich Hagen, Ennepe-Ruhr, Märkischer Kreis, Olpe und Siegen-Wittgenstein. Das war kaum zu schaffen. Aber nunmehr zählte dieser Entlastungsgrund nicht mehr. Wir hatten eine SOKO mit jetzt immerhin sechs Beamten und mussten natürlich jetzt Resultate liefern.

Die Kommission war seit mittlerweile einer Woche eingesetzt und die Kollegen hatten sich schon gründlich in die Materie hineingefressen, als das Unfassbare geschah. Nein, nicht, wie sie jetzt vielleicht denken werden, ein weiterer Mord, denn das wäre ja schon fast Routine gewesen. Es kam viel schlimmer. Unsere Hauptermittler waren plötzlich verschwunden. Wie sich später herausstellen sollte, hatte man sie entführt und zunächst bei Iserlohn in der Dechenhöhle gefangen gehalten, bevor man sie dann in eine private Klinik für Frauenheilkunde im Märkischen Kreis verbrachte, wo sie unter der Tarnung eines in freudiger Erwartung lebenden Ehepaares den weiteren Teil ihrer Gefangenschaft verbringen sollten.

Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als es uns gelingen konnte, die zwei Kollegen zu befreien. Wir hatten einen Tipp bekommen, dass im Märkischen Kreis eine Jugendgang im Wachsen begriffen war, die sich „Kinder der Deutschen“ nannte und sich den vermeintlichen Idealen von Law and Order verschrieben hatte. Die Gruppe war von verschiedensten Quellen sehr komfortabel mit Geldmitteln versorgt, verfügte über eine sehr gut definierte Struktur und über eine eben solches Geflecht von Beziehungen bis hinauf in die höchsten politischen Ebenen des Landes.

Warum die es gerade auf die Leiterin der Mordkommission Hagen abgesehen hatten, erschließt sich mir bis heute nicht. Offenbar war der Fall Loupius für viele immer noch nicht abgeschlossen und Özlem beziehungsweise Max schienen so manchen Personen aus der Politik einfach zu viel zu wissen. Immer wieder waren den Beiden recht unsichtbare aber dennoch wohl spürbare Steine in den Weg gelegt worden. Es gab sogar einmal die Theorie, dass die ganze nicht enden wollende Mordserie der jüngsten Zeit keinen anderen Sinn haben sollte, die beiden Ermittler zu ruinieren. Aber diesen Gedanken habe auch ich schnell wieder verworfen. So gefährlich konnten die beiden nun wirklich Niemandem werden, als, dass man zu solch` grausamen Mitteln greifen würde, um ihnen empfindlich wehzutun. Denn, dann wäre es doch viel leichter gewesen, statt stellvertretend diese vielen Menschen, einfach die beiden Kommissare zu eliminieren oder vielleicht nicht? Natürlich, jeder weiß, dass der Tod eines Polizisten immer schärfer verfolgt wird, als der eines einfachen Sterblichen aus dem gemeinen Volk. Gegebenenfalls wollte man das nicht riskieren, so fragten wir uns zumindest damals.

Nun, sei es drum, jedenfalls konnten wir Özlem und Max mit Hilfe unseres Sondereinsatzkommandos zwar gewaltsam aber immerhin befreien. Das war vielleicht eine skurrile Situation, kann ich Ihnen sagen und leider gab es auch Tote und einen Verletzte. Wie gesagt, wir hatten einen Tipp bekommen. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, woher genau. Die einen sagen, der sei vom LKA gekommen. Andere behaupten die Staatsanwaltschaft Dortmund stecke dahinter und wiederum Einige sind der Meinung, der Hinweis stamme von einer konkurrierenden Gang, die mittlerweile vom Innenminister verboten worden sei. Jedenfalls entfachte die Kunde vom Aufenthaltsort unserer entführten Kollegen derart blitzschnell eine solche Eigendynamik, dass Keiner mehr daran zweifeln wollte, dass sie der Wahrheit entsprach und das tat sie dann ja auch.

Ich befahl also den Einsatz des SEK. Wie schlichen uns in drei Gruppen an das besagte Klinikum heran. Die eine Gruppe kam aus Richtung von Schloss Neuenhof, die andere Truppe kämpfte sich durch eine Zahl von Schrebergärten an die Frauenklinik heran und die dritte Mannschaft bewegte sich von Oben aus Richtung Lüdenscheid Süd zum Objekt. Das dritte Team bestand im Gegensatz zu den anderen Kommandos tatsächlich ausschließlich aus männlichen Kollegen. Daher ist das Wort Mannschaft zu gebrauchen, insoweit auch politisch korrekt, wenn Sie verstehen was ich meine. Als die wir nunmehr das Gebäude eingekreist hatten, blieben wir zunächst in Deckung und ich selbst bewegte mich so unauffällig, wie jeder andere Patient auch, auf die Eingangspforte zu. Ich wollte mir so Zugang verschaffen, um die Lage im Inneren der Klinik zu checken und hoffte, dass man uns bisher noch nicht bemerkt hatte. Es waren nur noch wenige Schritte bis zum Empfang und mein Blut begann zu kochen. Mein Herz raste und ich hatte Schluckbeschwerden vor lauter Aufregung. Angst verspürte ich bei solchen Einsätzen nie. Aber der Respekt vor der Situation führte schon zu übergebührlichen Ausschüttungen von Körperstoffen, wie Adrenalin oder so etwas. Schritt für Schritt tastete ich mich heran und erreichte schließlich den Eingang. Die Automatiktür öffnete sich und ich ging hinein. Ich hatte schon viel Gutes über diese Klinik gehört, aber ich war bisher noch nie hier gewesen. Kinder wollte ich früher schon einmal haben, habe jedoch nie den richtigen Partner gefunden, der mit mir ein solches hätte produzieren und großziehen wollen und mein üblicher Frauenarzt war in Hagen. Warum sollte ich also schon einmal hier gewesen sein. Jetzt halten Sie mich bitte nicht für verrückt. Aber, als ich die Klinik betrat, schoss mir plötzlich und tatsächlich wieder der anerzogene Wunsch nach einem eigenen Kind in den Kopf –verrückte Welt - nun sei es drum. In der Klinik jedenfalls schien alles normal zu verlaufen. Ich wendete mich an die freundliche Dame an der Rezeption und gab an, meine Verwandten besuchen zu wollen. Ich nannte ihren Namen und die Dame schaute routinegeschwängert auf den Bildschirm ihres Rechners. „Nein, da müssen Sie sich in der Klinik geirrt haben. Eine Frau Bärenfang oder einen Herrn Glück habe ich beide nicht hier“, informierte sie mich dann. „Gut“, sagte ich und bestätigte die Annahme der Dame, mich in der Klinik geirrt zu haben. Dann zeigte ich ihr vorsichtig meinen Polizeiausweis und lüftete meine Jacke, sodass die Dame meine kugelsichere Polizeiweste sehen konnte. Die Dame erschrak und ich fragte sie nach den Neuaufnahmen der vergangenen Tage. Sie nannte mir mit zitternder Stimme die Namen. Bei den Eheleuten Özlem und Max Sondermann stoppte ich sie. Das mussten sie sein. „Wo liegen die Beiden?“, fragte ich die Dame und bekam die Antwort:“ Zimmer 12, von Ihnen aus gesehen rechts und dann links bis an das Ende des Ganges, auf der rechten Seite das letzte Zimmer.“ Ich befahl der Dame sich jetzt ruhig auf den Boden zu legen und sich nicht mehr zu rühren. Sodann bewegte ich mich behutsam in die geheißene Richtung. Vor dem genannten Zimmer saß eine Person auf einem Stuhl. Die Person war männlich und trug eine Polizeiuniform. Damit war klar. Da mussten sie sein. Es hätte natürlich sein können, dass die Kollegen aus Lüdenscheid hier schwangere Kundschaft untergebracht hätten. Aber das wäre uns von denen bestimmt mitgeteilt worden, als wir mit ihnen den Einsatz abgesprochen hatten. Es gab also keinen Zweifel. Der Polizist war nicht echt und in dem Zimmer, vor dem der falsche Kollege saß, mussten sich unsere gefangenen Kollegen befinden.

Ich ging auf den Mann zu und sprach ihn an, ob er mir sagen könnte, wo das Zimmer 12 sei. Ich sei Verwandtschaft und wolle einen Besuch machen. Daraufhin bekam ich nur die recht rüde Antwort: „Die hier haben keine Verwandten und bekommen auch keinen Besuch. Sie müssen sich irren, Gnädigste!“ Jetzt wusste ich genau, wo sich der Aufenthaltsort meiner Kollegen befand. Ich bedankte mich freundlich für die Information, drehte mich um und ging wieder in Richtung des Ausganges. Dort befahl ich der Dame an der Rezeption, den Feueralarm auszulösen und informierte per Funk die Kollegen über den Aufenthaltsort von Özlem und Max. Der Einsatzleiter ordnete nach kurzem Lagecheck dann auch direkt den Zugriff an. Durch den ausgelösten Feueralarm strömte aus allen Zimmern Frauen in Nachthemden, bunten, wattierten Bademänteln teils mit dickem Bauch, teils Babywagen aus Plexiglas samt rosafarbenem Inhalt vor sich herschiebend, Klinikpersonal lief aufgeschreckt, aber professionell agierend umher und so verließen die Allermeisten das Gebäude, bevor unsrer Kräfte stürmten. Das Ganze ging ganz schnell. Die Leute vom SEK waren von außen durch die verschlossenen Fenster in das Zimmer eingedrungen und hatten die zwei dort befindlichen mit Maschinenpistolen Bewaffneten gezielt exekutiert, bevor die auch nur das Geringste bemerken konnten, da sie durch den Feueralarm abgelenkt waren. Ich war zurück in die Richtung des Zimmers gelaufen und hatte mich dort an der Ecke zum Flur verschanzt, sodass ich die Person vor dem Zimmer unter Beobachtung halten konnte. Als dann der Tumult im fraglichen Zimmer losging und dort die ersten Schüsse fielen, stand die Person auf und ich konnte sie mit einem gezielten Schuss kampfunfähig machen. Der Einsatz war gelungen. Kein Unbeteiligter war zu Schaden gekommen. Die beiden Zielpersonen im Zimmer waren tot und der Bewacher vor dem Zimmer war schwer verletzt, konnte aber überleben. Unsere Kollegen jedenfalls, die betäubt in dem Zimmer lagen, waren befreit und darum ging es schließlich. Natürlich wäre es uns auch aus politischen Gründen lieber gewesen, wenn es keinen Toten gegeben hätte. Aber, so ist da nun einmal. Das muss jedem bewusst sein, der Menschen entführt. Man kann dabei sterben. Die Polizei ist darauf vorbereitet. Die Entführer und Geiselnehmer oftmals nicht. Schade war nur, dass wir jetzt lediglich einen Zeugen hatten, der uns über den Hintergrund der Entführung Auskunft geben konnte und der zudem als Quelle alles andere, als ergiebig war. Er war nur eines von diesen bekannten ganz kleinen Rädchen im Getriebe der Organisation. Wie erfuhren daher fast nichts von ihm. Er war erst kurz zuvor über das Internet angeworben worden und sein erster Auftrag war die Zimmerwache im Klinikum. Na immerhin erfuhren wir so etwas mehr über das sogenannte Darknet, über welches sich die fortschreitend bildenden Gangs, Klans und Banden mit Personal versorgten. Über den Hintergrund der Entführung konnten wir so schnell jedenfalls hingegen nichts Verwertbares in Erfahrung bringen.

Die Fortbildung

„Ich nehme auch von den Königsbergern.“

„Ach, der Kollege aus Hagen. Schön, dass wir uns hier wieder treffen. Essen wir zusammen? Und, sagen Sie, wie gefällt Ihnen der Vortrag? Ist ja nicht jedermanns Sache. Sie scheint das Thema aber doch sehr zu interessieren. Das wievielte Seminar ist das jetzt zum Thema Profiling, das Dritte, richtig, Herr Kollege?“

„Das Vierte, Herr Kollege Meier. Und, ja, wir können zusammen essen. Ich hätte da sowieso noch ein paar Fragen an Sie in eigener Sache. Ich will das nicht vor dem gesamten Publikum tun und bin daher ganz froh, dass ich sie hier treffe. Wie haben da im Moment so einen Fall, also ich muss schon sagen, naja erzähl ich ihnen gleich. Suchen sie doch schon einmal einen schönen Tisch für uns aus. Ich folge ihnen dann, wenn ich ein Essen habe.“

„Sehr schön, Kollege Glück, bis gleich. Ach sagen Sie, ist ihre reizende Kollegin auch hier? Sie beiden gibt es doch nur im Doppelpack, wie man hört und die war doch die letzten beiden Male auch dabei? Aber holen Sie sich jetzt erst einmal etwas zu Essen. Wir sprechen dann gleich bei Tisch.“

Max Glück hasste es, wenn ständig nach Özlem gefragt wurde. Als ob er ohne sie überhaupt nichts gelte. Dabei war er doch genauso Hauptkommissar, wie sie. Ihm war natürlich auch bewusst, dass es darum natürlich nicht ging, wenn die männlichen Kollegen nach Özlem fragten. Nein, sie war einfach äußerst liebreizend und wirkte auf Männer, wie die wohlduftende Blüte einer wunderschönen, farbenprächtigen Blume auf die Biene. Auf ihn hatte Özlem dieselbe Wirkung, wobei sich Max Figur bedingt wohl eher als Hummel, denn als Honigbiene bezeichnet hätte. Özlem wusste das und ließ ihrem Max, wie sie ihn stets bezeichnete, den entsprechenden Freiraum, ließ ihn jedoch auch gleichzeitig die nötigen Grenzen spüren, sodass er nicht auf weitergehende Gedanken kommen sollte. Sie amüsierte sich über die ihren gemeinsamen Arbeitstag begleitende Verbalerotik. Auch kuschelte sie mit ihm, wenn sie sich an manchen Tagen sehr gern hatten. Aber mehr ließ sie nicht zu, obwohl ihr sehr wohl schon das eine oder andere Mal der Gedanke daran erschienen war, aber die Tatsache, dass sie zusammenarbeiten mussten und nicht zuletzt auch der Umstand, dass sie zwar getrennt lebend, aber eben noch nicht von ihrem Ehemann, Heinrich Bärenfang, aus gut bürgerlichem Hause geschieden war, veranlasste sie, ihrem Max nicht das zu geben, was er so gern gehabt hätte. Dabei trieb sie jedoch, und das hatte Max schon seit Beginn an gewusst, ein doppeltes Spiel. Das nämlich, was sie ihrem Max, unter falschem Vorwand, so war dessen feste Meinung, verwehrte, das gab sie seit geraumer Zeit einem anderen Kollegen. Der kam auch aus Hagen und war Erbe eines verstorbenen bäuerlichen Baulandmillionärs, unendlich reich, gutaussehend und überdies beeindruckend charmant. Diese Sache trieb Max, der sich das nie anmerken ließ, jedoch fast in den Wahnsinn. Seine Eifersucht stieg von Tag zu Tag mehr und er tat alles, um die Aufmerksamkeit seiner geliebten Kollegin wieder voll auf sich zu lenken. Aber es sollte ihm nicht gelingen. Je mehr er sich anstrengte, um so schlimmer und ungeschickter benahm er sich. Es schien ihm mitunter sogar aussichtslos zu werden, mit seiner geliebten Özlem für immer zusammenzukommen. Die Hoffnung gab er jedoch nicht auf. Er würde alles tun, damit Özlem zu ihm, zu ihm ganz allein zurückfände. Selbst, als diese ihm während der Gefangenschaft in der Dechenhöhle mitgeteilt hatte, dass sie glaube, schwanger zu sein und Angst habe, jetzt das Kind zu verlieren, brach er nicht mit ihr. Nein, seine Zuneigung wuchs eher daran und er entwickelte nunmehr, da sich die Vermutung von Özlem auch noch bestätigen sollte einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Er stellte sich vor, dass es sein Kind sei, welches da im Bauch seiner Freundin heranwuchs. Nach einer Weile entwickelte sich seine Vorstellung gar zu einer unumstößlichen Tatsache und war nunmehr für ihn eine Realität geworden, zu der es keine Alternative gab, jedenfalls nicht geben durfte. Ab diesem Moment hätte Max Glück für seine Favoritin sogar getötet.

„So, da sind sie ja, Herr Kollege. Ich habe schon mal angefangen. Die Königsberger sind aber auch wirklich gut. Sie werden ihre Wahl nicht bereuen. Und jetzt erzählen Sie. Sie wollten mich doch etwas fragen. Was haben Sie denn auf dem Herzen, der Seele oder im Auftragsrucksack ihrer Chefin?“

“Ja von jedem etwas, so wie es ausschaut. Wir haben da einen Fall oder besser gesagt mehrere Fälle und da kommen wir einfach nicht so Recht voran. Seit Monaten wird ermittelt, jedoch ohne Erfolg. Wir haben jetzt sogar eine Soko. Aber auch die hat bisher noch nichts Nennenswertes zustande gebracht.“

Max Gegenüber beugte sich über den Teller und steckte sich eine Gabel Nahrungsmittel in den Mund, so dass er undeutlich einwendete.

„Nun, man hörte davon, dass zurzeit in ihrem Zuständigkeitsbereich die Leichen wie am Fleißband produziert werden. Sie haben es ja sogar in die Nachrichtensendungen aus Hamburg geschafft. Hut ab, Herr Kollege. Sie sind bereits eine Berühmtheit, jedoch eine Traurige, wie es scheint.“

Max regte diese überhebliche Arroganz auf, riss sich aber dennoch zusammen.

„Ah ja, Sie wissen also schon Bescheid. Die Tagesschau ist aber mit uns noch vergleichsweise human ins Gericht gegangen. Ganz schlimm ist die selbst ernannte Inquisitorin Isabelle BergmannSteffenhagen vom lokalen Radio und Fernsehen. Die verbreitet überall und jetzt sogar auch noch durch unverschämte Kommentare in allen Zeitungen, was sie von uns Ermittlern hält. Unsere Adelige, wie wir sie nennen, war vom ersten Mord an dabei und begleitet unsere Arbeit auf Schritt und Tritt. Manchmal hat man sogar das Gefühl, dass sie uns bereits einen Schritt voraus zu sein scheint und heute bereits Dinge weiß, die erst morgen geschehen. Diese unsympathische Person macht uns so richtig das Leben schwer und muss über hellseherische Fähigkeiten verfügen. Wenn Sie Herr Kollege die Tagesschau verfolgt haben, dann wissen Sie ja auch wahrscheinlich schon von der Entführung, richtig?“

Jetzt wurde Max Gegenüber ein wenig kleinlauter.

„Nein, davon, äh, davon weiß ich jetzt noch nichts. Welche Entführung? Bitte, Herr Kollege Glück, setzen Sie mich ins Bild. Sie wissen, ich bin viel im Ausland unterwegs und da bekommt man nicht immer Alles mit.“

Jetzt entspannte Max ein wenig und begann, die ihm bekannten Informationen zu berichten.

„Na schön, also mal der Reihe nach. Unsere erste Leiche fanden wir in der Hansestadt Breckerfeld.“

Überrascht fuhr Meier dazwischen

„Ach, in Breckerfeld. Das ist ja witzig. Da bin ich zur Schule gegangen. Ich erinnere mich noch genau an die Zeit. Meine Eltern wohnten in Dahlerbrück und ich hätte eigentlich in Schalksmühle zur Schule gehen sollen. Aber mein Vater meinte, dass die Realschule in Breckerfeld besser sei und ich anschließend bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben würde. Naja fürs LKA hat es immerhin gereicht. Aber bitte, ich unterbreche Sie, fahren Sie doch fort.“

Max schluckte die hastig in den Mund geschobene Nahrung herunter, bevor er neu ansetzte.

„Ja also, wie gesagt, die erste Leiche fanden wir auf einem Bauernhof in Breckerfeld und zwar außerhalb der Stadtmauern. Mir ist gesagt worden, das sei wichtig. Denn nur, wer eine eigene Hausnummer außerhalb der Stadtmauern von Breckerfeld hat, kann auch Bauernschütze werden und darf beim alljährlichen Bauernvogelschießen teilnehmen. Aber, Scherz bei Seite. Der Jungbauer hatte uns angerufen und den Fund seiner Frau gemeldet. Man hatte sie geschlagen und anschließend Kopf über in das Güllefass getaucht. Das war vielleicht ein Bild. Da es sehr trocken war, versank die Leiche nicht vollständig in diesem riesigen Fass voller Kuhmist. Nein die Unterschenkel schauten noch heraus. Es gibt da so ein Bild in diesem Film „Name der Rose“, vielleicht kennen Sie den. Da finden Sie auch einen Mönch der Kopfüber in ein Fass gesteckt wurde und die Füße noch herausragten. Genauso sah das auch in Breckerfeld aus. Die Gerichtsmediziner fanden dann heraus, dass die Frau zunächst betäubt worden war und ebenfalls einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen haben musste. Auch fand man am ganzen Körper Hämatome. Der Tod trat jedoch durch Ersticken ein. Man fand Gülle in ihrer Lunge. Sie muss also noch gelebt haben, als man sie in das Fass geworfen hat.“

„Auf welchen Hof war das. Vielleicht kenne ich die Leute ja?“

„Auf dem Hof von Familie Püttmann, sagt Ihnen das was?“

Bestätigend nickte Meier. „Ja, allerdings. Mit dem Püttmann bin ich zur Schule gegangen. Der war in meiner Parallelklasse. Das war vielleicht ein Rabauke. Der hat so ungefähr jeden Mitschüler tyrannisiert, der nicht schnell genug auf die Bäume kam. Dem würde ich sogar so einen Mord zutrauen.“

„Ach interessant. Ich denke dann einmal, Sie meinen Püttmann Senior. Der Junior, war zu der Zeit erst ca. 25 Jahre alt. Das war vielleicht ein kalter Knochen. Wie der die Leiche seiner eigenen Frau mit dem Frontlader seines riesigen Traktors aus dem Güllepott gezogen hat, das war schon etwas makaber. Und dann fragt uns dieser Bursche noch, ob er die Kosten für die Bergung vom Staat ersetzt bekomme, da er ja immerhin im Auftrag der Polizei gehandelt habe. So, wie ich den einschätze, hat er bestimmt später auch noch eine Rechnung nach Düsseldorf geschickt. Diese Bauern sind echt manchmal kaum zu fassen.“