BLUT AUF DEM GEHSTEIG - John Cassells - E-Book

BLUT AUF DEM GEHSTEIG E-Book

John Cassells

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Beschreibung

Dreißigtausend Pfund war die Beute bei einem raffiniert einfachen Diamantenraub. Erst ein halbes Jahr danach erhält der Privatdetektiv Solo Malcolm den Auftrag, die Steine wieder beizubringen. Solo glaubt, mit Samthandschuhen vorgehen zu müssen. Aber dann wird ihm klar, dass die Gegenseite selbst vor einem Mord nicht zurückschreckt... Der Roman BLUT AUF DEM GEHSTEIG um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte in gleichen Jahr. Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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JOHN CASSELLS

 

 

BLUT AUF DEM GEHSTEIG

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

BLUT AUF DEM GEHSTEIG 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Sechsundzwanzigstes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by William Duncan Murdoch/Signum-Verlag.

Published by arrangement with the Estate of William Duncan Murdoch.

Original-Titel: Blood On The Pavement.

Übersetzung: Hans-Ulrich Nichau.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

 

Das Buch

 

 

Dreißigtausend Pfund war die Beute bei einem raffiniert einfachen Diamantenraub. Erst ein halbes Jahr danach erhält der Privatdetektiv Solo Malcolm den Auftrag, die Steine wieder beizubringen.

Solo glaubt, mit Samthandschuhen vorgehen zu müssen. Aber dann wird ihm klar, dass die Gegenseite selbst vor einem Mord nicht zurückschreckt...

 

Der Roman Blut auf dem Gehsteig um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1970; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte in gleichen Jahr. 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

BLUT AUF DEM GEHSTEIG

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war der erste Mittwoch im Januar; kaltes, ungemütliches Wetter, seit zehn Tagen herrschte ununterbrochen Nebel. Normalerweise hätte ich mich überhaupt nicht ins Büro begeben, aber ich rechnete mit einem Scheck von Barney Manson, für den ich während der verflossenen Wochen einen verhältnismäßig großen Auftrag erledigt hatte. Dieser Scheck würde gerade zur rechten Zeit kommen, denn das Weihnachtsfest mit seinen Ausgaben und das neue Jahr mit den Forderungen des Finanzamtes hatten mich einigermaßen mitgenommen.

Gegen halb drei ging ich zum Adrian Walk und die Treppe hinauf. Wen anders hätte ich auf dem Treppenabsatz einholen können als Solly Steiner, den kleinen, dicken Burschen aus dem Büro über mir. Er hatte dort eine Agentur, die ihn in Trab hielt. Er erkannte mich und streckte mir seine kleine, dicke Hand entgegen.

»Wie geht’s, Solo? Ich wünsche Ihnen ein frohes neues Jahr.«

»Gleichfalls«, sagte ich. »Eben eingetroffen, Solly?«

»Ich? Bewahre. Ich war nur mal kurz im Postamt in der Hart Lane. Ansonsten habe ich den ganzen Tag gearbeitet und gearbeitet. Und Martha ist auch nicht da. Sie hat Grippe. Ich muss allein fertig werden. Sie wissen, was das heißt. Am besten, Sie kommen mit in mein Büro. Ich habe eine Flasche Whisky von einem Kunden bekommen und einen Schluck für Sie aufbewahrt, Solo.«

»Keine schlechte Idee, Solly.«

»Wir Schotten sollten zusammenhalten, Solo. Gilt besonders in dieser Gegend.« Er blinzelte mir zu, zog den Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn ins Schloss und stieß die Tür auf. »Nehmen Sie schon mal Platz. Ich hole die Flasche.«

Ich setzte mich und sagte: »Ich wusste gar nicht, dass wir Landsleute sind.«

Solly blinzelte wieder. »Glasgow. Sie kennen es ja.«

»Ich bin dort geboren.«

»Ich habe noch ein paar Vettern dort. MacGregor, MacGillvray und Cameron. Die haben ein Büro in der Queen Street. Ich habe auch noch Cousins in Edinburgh. MacKelvie, Mackay und Dundas.« Er füllte die Gläser.

Es war ein erstklassiger Whisky; ich hatte selten einen besseren Tropfen getrunken. »Wenn Sie mir von diesem Zeug eine Kiste besorgen können, Solly, dann haben Sie in mir einen Freund fürs Leben.«

»Mal sehen«, sagte er. »Ein Freund von mir - dieser Kunde, von dem ich Ihnen schon erzählte - hat gewisse Verbindungen. Nur für den Export in die Vereinigten Staaten bestimmt; aber wenn ich ein Wort für Sie einlege, wird er sicher ein, zwei Flaschen aussortieren.«

»Würde mich freuen, Solly.« Ich lehnte mich zurück und ließ mein Glas nachfüllen. »Viel zu tun?«

»Und ob! Martha hat Grippe, wie ich bereits sagte. Die Heizung funktionierte zwei Tage lang nicht richtig.«

»Darum bekam Martha die Grippe.«

»Wahrscheinlich. - Ja, richtig, Ihr Telefon klingelte den ganzen Morgen wie wahnsinnig.«

»Mein Telefon?«

»Und wie.«

»Teufel«, sagte ich, »dann habe ich am vergangenen Donnerstag vergessen, auf den Anrufbeantworter umzuschalten. Ich war auch schon ziemlich in Stimmung.«

»Sieht nach einem Auftrag aus, Solo.«

»Schon möglich. Aber ich möchte das neue Jahr behutsam in Angriff nehmen. Warum denn ständig hinter der Arbeit herjagen, nicht wahr? Da bekommt man ja doch nur Magengeschwüre - und eine Zahlungsaufforderung vom Finanzamt.«

»Arbeit muss sein«, erklärte Solly. »Wo kämen wir denn hin, wenn wir nur essen, trinken und herumsitzen würden? Und die Lebenshaltungskosten spielen schließlich auch eine wichtige Rolle.«

In diesem Augenblick begann unten im Büro das Telefon zu klingeln. Ich hörte es, Solly hörte es auch.

»Geht schon wieder los«, sagte er.

»Dann werde ich mal den Hörer abnehmen«, murmelte ich, ging nach unten und meldete mich mit: »Hier Solo Malcolm.«

Ich dachte schon, ich wäre zu spät gekommen, doch nach einigem Zögern sagte eine Stimme:

»Solo? Hier Tommy Havergill.«

Dieser Tommy Havergill war ein Bursche, den ich seit meiner Dienstzeit in der Armee kannte, und wir hatten uns schon immer gut verstanden. Als die Armee keine Verwendung mehr für ihn hatte, war er für vier oder fünf Jahre zur Londoner Polizei gegangen. Anschließend hatte er bei einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet und dann vor knapp zwei Jahren bei der Amalgamated & Continental-Versicherung einen Posten als Versicherungsdetektiv angenommen. Er war tüchtig und ein zuverlässiger Verwaltungsmann. Er hatte mir einige Male einen Auftrag zugeschoben, den übernommen zu haben ich nicht bereute. Die A. & C. zahlte nicht schlecht.

»Freut mich, von dir zu hören, Tommy«, sagte ich. »Was gibt’s?«

»Viel zu tun?«

»Im Augenblick nicht, und ich gedenke diesen Augenblick um eine weitere Woche zu verlängern.«

»Ich hätte was für dich, Solo.«

»Das wäre?«

»Darüber möchte ich am Telefon nicht reden. Am besten, du kommst heute Nachmittag gegen vier Uhr vorbei.«

»Brennt’s?«

»Das kann man wohl sagen, Solo. Wir haben mit der Cooper-Sale-Geschichte zu tun, und fünf von meinen Leuten haben die verdammte Grippe. Wenn du es einrichten könntest...«

»Vier Uhr?«

»Vier Uhr. Ich will versuchen, mir eine halbe Stunde abzuknappen.«

»Ich werde kommen«, sagte ich. »Mal sehen, wie die Sache sich anhört.«

»Gut, wir sehen uns dann.« Tommy legte auf.

Ich folgte seinem Beispiel, leerte meinen Briefkasten an der Tür und nahm die Post mit zum Schreibtisch. Barney Mansons Scheck war dabei, und er hatte die Summe aus Gründen der Dankbarkeit und des Weihnachtsfestes hübsch nach oben abgerundet. Ich steckte den Scheck in meine Brieftasche und schob die restliche Post zur Seite. Sie hatte bis später Zeit. Dann rief ich den Fernsprechauftragsdienst an und bat, bis sieben Uhr umzuschalten.

Als ich wieder oben ankam, saß Solly an seinem Schreibtisch. Er blickte auf. »Haben Sie die Sache mit dem Auftragsdienst erledigt, Solo?«

»Alles klar.«

»Das beruhigt mich. Wenn ich Ihr Telefon klingeln höre, muss ich immer an die Aufträge denken, die Ihnen entgehen.«

»Bis jetzt ist nichts verloren, Solly; es bahnt sich was an.«

Solly schüttelte den Kopf. »Was für eine Branche! Ich sollte wohl selbst ins Detektivgeschäft einsteigen, Solo. Da scheint’s nie eine Flaute zu geben. Das Geschäft floriert ständig, wie? Wegen des Telefongeklingels hätte ich bald vergessen, von der Kundschaft vor Ihrer Tür zu berichten.«

»Und was waren das für Klienten?«

»Ein kleiner, dünner Mann«, sagte Solly. »Er war am Montag hier. Ich sah ihn, als ich Mittagspause machte. Er marschierte gerade auf Ihre Tür zu, als ich die Treppe hinunterging.«

»Am Montag?«

»Montag um zwei Uhr. Und als ich gestern um drei Uhr zurückkehrte, sah ich ihn auf der Straße.«

»Auf dem Adrian Walk?«

»Ja. Er kam mir gleich bekannt vor, und da fiel mir ein, dass ich ihn vorgestern gesehen hatte.«

»Derselbe Bursche?«

»Derselbe, ja.«

»Und wie sah er aus?«

»Ein kleiner, dünner Bursche, wie gesagt, trug einen marineblauen Mantel aus Noppen-Tweed und eine Stoffmütze. Sein Gesicht konnte ich nicht genau erkennen, Solo, aber es war derselbe Mann. Dieselbe Kleidung. Ich habe ihn zweimal gesehen.«

»Sagt mir nicht viel.«

Solly zuckte die Achseln. »Vielleicht nicht. Ich weiß nur, dass ich ihn vor Ihrer Tür gesehen habe und am nächsten Tag auf der Straße. Ich nehme an, dass er wieder oben war.«

»Kann sein«, sagte ich. »Sollten Sie ihm noch einmal begegnen, dann fragen Sie ihn, was er will. Wenn ich nicht da bin, soll er eine schriftliche Nachricht in meinen Briefkasten werfen.«

»Wird gemacht«, sagte Solly. »Weiß ja sowieso nicht, was ich vor lauter Langeweile anfangen soll. Also kümmere ich mich um Ihre Angelegenheiten, wie? Passen Sie mal selbst auf Ihre kleinen Männer mit Stoffmützen auf.«

»Ah, zum Teufel mit dem Kerl«, sagte ich. »Ich habe ohnehin einen großen Auftrag in Aussicht. Wir sehen uns bald wieder.«

Ich ging auf die Straße hinaus und dachte nicht länger darüber nach. In meiner Branche kamen und gingen ständig kleine Burschen mit Stoffmützen und marineblauen Mänteln. Jedenfalls beschäftigte sich mein Geist im Moment mit anderen Dingen; ich war gespannt, was Tommy Havergill mir zu erzählen hatte.

Als er Cooper-Sale erwähnte, wusste ich, was er meinte. Das war ein schwerer Raubüberfall. Die Zeitungen sagten etwas von sechsundvierzigtausend Pfund, und es war kaum anzunehmen, dass sie übertrieben hatten. Cooper-Sale war eine der großen Maschinenfabriken im Norden von London. Der Überfall hatte vier Tage vor Weihnachten stattgefunden. Kein Zweifel, da war jemand überaus reich beschenkt worden.

Dafür musste die Polizei Überstunden machen und hatte das Nachsehen. Das schien auch für Tommy Havergill Gültigkeit zu haben, was so viel bedeutete, dass die A. & C. für den Schaden aufkommen musste. Ich ging zur U-Bahnstation, löste mir eine Fahrkarte - und so begann es dann.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Die A. & C. hatte ihre Büros am Graine Place. Es war ein großes, altmodisches Gebäude aus grauem Mauerwerk mit kunstvoll gearbeiteten Wasserspeiern und Verzierungen an allen Flächen, auf denen Platz war. Auf den Köpfen der meisten Wasserspeier saßen Tauben; ich hörte sie gurren, als ich die vier breiten Stufen zur Haustür hinaufging.

Gleich drinnen neben der Tür war die Pförtnerloge. Der Mann in Uniform betrachtete mich von unten bis oben, nickte und sagte: »Ja, Sir?«

»Mein Name ist Malcolm. Ich möchte mit Mr. Havergill sprechen; er erwartet mich.«

»In Ordnung, Sir.« Trotzdem nahm er den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer. »Mr. Havergill erwartet Sie«, bestätigte er dann. »Kennen Sie den Weg?«

»Kenne ich«, antwortete ich und ging zum Lift.

Tommy Havergills Abteilung befand sich im obersten Stock. Sie hatte vier Räume, von denen keiner allzu groß war. Er saß an seinem Schreibtisch, als ich eintrat, doch als er mich sah, legte er seinen Kugelschreiber weg, kam um den Schreibtisch herum und streckte mir die rechte Hand entgegen.

»Hallo, Solo! Zuverlässig wie immer.«

»So ist es«, erwiderte ich und sah ihn mir an. Ein hagerer, drahtiger Bursche, einsachtzig groß, schmales, scharfgeschnittenes Gesicht, schütteres Haar und dunkelbraune Augen. Für einen Ex-Polizisten sah er ein bisschen nach Fliegengewicht aus, aber seine Erscheinung täuschte, denn er war einer der besten Judokämpfer, die ich kannte.

Er deutete auf einen Sessel. »Setz dich, Solo. Wie wär’s mit einem Gläschen?«

»Nichts dagegen einzuwenden, Tommy«, sagte ich, »mein Neujahrskater ist sowieso noch nicht verschwunden. Du siehst ganz fit aus.«

Er brachte eine Flasche und zwei Gläser zum Vorschein. »Muss auch fit sein, Solo. Ich laufe mir nämlich die Beine ab.« Er goss ein.

Ich lehnte mich zurück und sah ihn an. »Viel zu tun, was?«

Er schloss die Augen. »Würde ich mein Personal verdoppeln, hätte ich immer noch genug zu tun. Auf meiner Liste stehen einundzwanzig Leute. Einer liegt mit geplatztem Blinddarm im Saint-Thomas-Krankenhaus, einer hat in New York zu tun und fünf Leute sind wegen dieser verdammten Grippe arbeitsunfähig. Einundzwanzig minus sieben sind vierzehn, und die Hälfte davon kann ebenfalls die Grippe bekommen.« Er schob mir die Zigaretten zu. Als ich den Kopf schüttelte, zündete er sich selbst eine an.

»Du arbeitest an diesem Raub bei Cooper-Sale?«

»Unter anderem.«

»Na, das war eine runde Sache.«

Er schloss wieder die Augen. »Ich weiß, ich weiß, aber für uns ist sie verdammt eckig. Zweiundfünfzigtausend Pfund!«

»Die Zeitungen schrieben etwas von sechsundvierzigtausend.«

»Die Zeitungen haben nicht immer recht, Solo.«

»Wer war es?«

»Kann jede von vier Banden sein; da ist die Polizei mit mir einer Meinung. Sie gibt sich alle Mühe, wir natürlich auch. So einen Hieb kann die Gesellschaft sich nicht häufig leisten.«

»Besorgt?«

»Nicht zu knapp.«

»Sorgen bringen nichts ein.«

»Ich weiß, ich weiß; aber jemand muss sich Sorgen machen, Solo, und dieser Mann ist gewöhnlich der Chef. Hier bekommt zunächst der Generaldirektor einen Tritt und gibt ihn dann an mich weiter. Und ich muss dann geradestehen.«

»Das ist hart, Tommy, aber wenn die Polizei mitwirkt, solltest du Fortschritte erzielen.«

»Sollte ich. Werde ich vielleicht auch. Nun, du weißt ja, wie das so ist, Solo. Wir sind stets in Zeitdruck - so wie die Kripo. Woran das liegt? Wenn wir einen Fall geklärt haben, wird uns schon ein anderer serviert. Ein anderer Überfall, ein anderer Bankraub. Dann müssen wir alles stehen und liegen lassen und uns mit dem neuen Fall beschäftigen.«

»Also braucht ihr Unterstützung. Warum nicht kaufen? Die A. & C. hat doch Geld.«

Tommy sagte: »Ich weiß. Aber die A. & C. gibt es nicht gern aus. Als ich hier anfing, hatten wir fünfzehn Leute. Ich habe sechs weitere Leute auf die Lohnliste gesetzt und dich, Angus Laird und noch zwei andere Burschen hinzugezogen, wenn ich in Druck war. Der Vorstand hält das für vollkommen ausreichend. Ich versuche, ihm begreiflich zu machen, dass wir nur so viele Leute haben, um die Dinge in Bewegung zu halten, und dass wir, wenn eine größere Sache passiert, auf der Stelle treten.« Er drückte seine Zigarette aus, dachte einen Moment nach und zündete die nächste an. »Unterhalten wir uns nun über deinen Auftrag.«

»Worum handelt es sich?«

»Um Diamanten. Eine Firma namens Green & Hoyt - Hatton Gardens 19, Filmer Building. Hast du das?«

Ich notierte. »Wieviel?«

»Neunundzwanzigtausend.«

Ich starrte ihn an. »Das ist schon eine hübsche Summe, Tommy. Warum stand das nicht in den Zeitungen?«

»Es stand in den Zeitungen«, sagte Havergill finster. »Im August vergangenen Jahres.«

»Ich kann mich nicht erinnern.«

»Aber erinnerst du dich an den großen Zugzusammenstoß gleich hinter Clapham Junction?«

Daran erinnerte ich mich allerdings. Ein aus Schottland kommender D-Zug war auf den letzten Wagen eines Personenzuges aufgeprallt, und es hatte eine Totenliste gegeben, welche die ganze Nation erschütterte.

Tommy sagte: »Beides kam zusammen. Am selben Tag. Zur selben Stunde. Über die Diamantengeschichte wurde nur eine kleine Notiz gebracht. Eine Tragödie stellt immer alles andere in den Schatten. Darum hast du’s nicht gelesen, darum hat es auch kaum ein anderer gelesen. Als sich die Wogen gelegt hatten, da war die Diamantengeschichte ein alter Hut.«

»Dreißigtausend sind eine Menge Kartoffeln.«

»Neunundzwanzig, Solo.«

»Ich bin mehr für runde Ziffern«, sagte ich. »Damit lässt sich’s leichter arbeiten. Wie passierte das?«

Tommy fuhr mit der Hand über sein schütteres Haar. »Ziemlich einfach, sagen wir mal. Green & Hoyt ist eine alte Firma mit dem besten Ruf. Wir betreuen sie jetzt seit vierzig Jahren.«

»Eine große Firma?«

»Nein. Nur zwei Personen: Sam Green und Eli Hoyt. Hoyt ist in den Vierzigern und Greens Neffe. Der Alte muss weit über Siebzig sein. Sie haben in diesem Filmer Building ein kleines Büro. Nur zwei, drei Räume. Groß genug für sie, weil sie dort ohnehin nicht viele Geschäfte abwickeln.«

»Wie meinst du das?«

»Hattest du schon mal was mit Diamanten zu tun, Solo?«

»Ja - aber nicht in diesem Zusammenhang. Nicht in Hatton Gardens. Vielleicht ist das eher ein Auftrag für Spezialisten, Tommy, und ich bin kein Spezialist.«

»Wo sollen wir dann einen auftreiben?«, murmelte Tommy. Er beugte sich vor. »Wie gesagt, es war eine einfache Sache, die kaum einfacher hätte sein können.«

»Erzähle.«

»Diese Diamantenhändler sind ein sonderbares Völkchen. Es gibt nicht viele, und einer kennt den anderen. Mehr noch, sie haben alle Vertrauen zueinander. Es sind Leute von größter Integrität. Das müssen sie auch sein, Solo. Eine Menge dieser schäbig und unordentlich aussehenden alten Käuze schleppt Steine im Wert von zwanzig- bis sechzigtausend Pfund in der Hosentasche mit sich herum.«

»Tatsächlich?«

»Tatsächlich. Natürlich nicht immer, aber von Zeit zu Zeit.«

»Haben die noch nie etwas von Safes gehört?«

»Selbstverständlich hat jeder einen Safe; aber sie können nicht kaufen und verkaufen, wenn sie die Diamanten immer nur im Safe aufbewahren. Die meisten Geschäfte kommen durch persönliche Kontakte zustande. In Cafés, Teestuben und dergleichen. Da sitzen beispielsweise zwei dieser alten Käuze an einem Tisch, trinken Kaffee, und wenn sie sich dann verabschieden, haben sie einen Handel im Wert von dreißig- oder vierzigtausend Pfund abgeschlossen. So ungefähr geht das vor sich.«

»Und was passierte in diesem Fall?«

»Der alte Green und sein Neffe Hoyt wollten ein Päckchen Steine verkaufen. Sie hatten auch einen Käufer - ein Mann namens Sherin. Er wollte zu Annes Küche kommen, das ist ein Restaurant in der Grove Alley, ungefähr fünf Minuten vom Filmer Building entfernt. Hoyt sollte die Verhandlungen führen. Das tat er meistens. Er nahm also um zehn Uhr fünfundvierzig das Diamantenpäckchen aus dem Safe. Sein Onkel, der alte Green, war anwesend. In dem Päckchen waren fünfundvierzig hübsche weiße Steine. Er verteilte sie auf zwei gepolsterte Ledersäckchen. Diese Säckchen waren mittels einer Kette am Gürtel befestigt. So pflegte er die Diamanten stets zu tragen.«

»Kommt mir riskant vor.«

»Keineswegs«, sagte Tommy. »Bis zu diesem Zeitpunkt war ja auch weder ihm noch seinen Diamanten etwas passiert.«

»Nur diesmal passierte etwas?«

»So ist es. Um zehn Uhr fünfzig verließ er das Büro, um sich mit Sherin zu treffen.«

»In Annes Küche?«

»Ja. Er schaffte es nur nicht. Auf der ersten Treppe schlug ihn jemand zusammen. Er wurde dreimal getroffen und hatte drei Verletzungen am Kopf. Mehr kann er dazu nicht sagen. Er hörte nichts und er sah nichts.«

»Wer fand ihn?«

»Eine Frau, die ein Büro in der Etage darüber aufsuchen wollte. Eine Mrs. Joyce Irwin, Witwe mit drei Kindern. Sie wohnt Soleby Street 141 in Acton und hatte bei einer der Firmen etwas zu erledigen. Sie schlug Alarm. Das war um zehn Uhr achtundfünfzig. Die Polizei war um elf Uhr fünf zur Stelle. Von den Diamanten keine Spur mehr. Hoyt wurde ins Krankenhaus gefahren. Er hatte einen bösen Schädelbruch und musste zwei Wochen im Krankenhaus bleiben. Das ist die Geschichte.«

»Und was kannst du mir sonst noch darüber erzählen?«

»Das ist alles.«

»Und was erwartest du von mir?«

»Jemand muss sich mit der Sache beschäftigen, Solo. Die Papiere liegen hier. Du kannst sie studieren. Die Leute, die daran arbeiten, stehen zur Verfügung. Brace und Gulley. Das heißt, Gulley hat Grippe...«

»Und du hast keinen Anhaltspunkt?«

»Keinen, der wichtig ist.«

»Und alles, was du hast, ist kalt.«

»Wie Eis«, sagte Tommy. »Aber wir können die Sache nicht fallenlassen. Wir müssen wissen, ob die Steine noch im Land sind oder nicht. Sind sie schon in Amsterdam, dann ist das Rennen gelaufen.«

»Warum?«, fragte ich.

»Wenn die Steine nicht mehr im Land sind, dann sind sie in den Niederlanden, und wenn sie erst einmal dort sind, werden sie geschliffen. Sind sie geschliffen, so sind es nicht mehr die gleichen Steine, und niemand kann das Gegenteil beweisen.« Er beugte sich vor. »Das ist das Bild. Die A. & C. musste zahlen. Nun wollen wir, wenn irgend möglich, unser Geld zurück.«

»Wird das jemals der Fall sein?«

»Ehrlich gesagt, ich glaube nicht daran. Aber wir möchten gern mehr über diese Geschichte erfahren. Wir haben ja nicht nur mit der Firma Green & Hoyt zu tun. Diese Geschichte kann wieder passieren.«

»Und es gibt nichts, gar nichts als Anhaltspunkt?«

»Praktisch nichts.«

»Du machst es mir verdammt schwer, Tommy«, sagte ich.

»Da ist gutes Geld für dich drin.«

»Glaube ich. Aber Geld ist nicht alles.«

»Eine Menge Geld. Wie dem auch sei, du wirst dafür sorgen, dass die Sache nicht einschläft, bis wir uns wieder alle damit beschäftigen können.« Er klopfte auf die Schreibtischfläche. »Zwanzig pro Tag und fünf Spesen. Wenn du die Steine auftreiben kannst, blättert dir der Vorstand zweitausend auf den Tisch. Daran ist doch nichts verkehrt, Solo.«

Daran war auch nichts verkehrt. Der Auftrag gefiel mir nicht, aber das Geld. »Wie lange verdiene ich, Tommy?«

»Solange wir uns mit dem Cooper-Sale-Überfall beschäftigen müssen. Oder bis wir ein paar Leute abziehen können. Das wird noch zwei, drei Wochen dauern.«

»Du hast seit August vergangenen Jahres daran gearbeitet. Das sind fünf Monate. Du hast nicht viel herausgefunden, wie du sagst. Du weißt nicht viel mehr als ich. Gewiss, ich werde mein Bestes tun, aber viel kannst du in zwei, drei Wochen nicht erwarten.«

»Wenn sich jemand mit der Angelegenheit befasst, dann ist das schon etwas.«

»Okay, ich werde mich damit befassen«, sagte ich.

Tommy seufzte. »Gut. Ich wusste, dass du annehmen würdest. Sicher ist ein neuer Mann gerade richtig. Vielleicht haben wir uns schon zu lange damit befasst und fahren zu eingleisig.« Er lehnte sich zurück. »Ich spreche mit dem Kassierer, er wird dir hundert Pfund Vorschuss geben.«

»Und was ist mit dem Bericht?«

Er stand auf, nahm einen dünnen blauen Schnellhefter aus einem Fach und legte ihn mir vor. »Das ist alles. Praktisch habe ich dir schon erzählt, was wir wissen. Kannst dich ja mal damit befassen und dir Notizen machen. Ich gebe dir noch Braces Adresse und die Telefonnummer. Sicherheitshalber gebe ich dir auch die Adresse von Gulley, aber sie wird dir kaum etwas nützen. Und dann kannst du dich an die Arbeit machen.« Er klopfte mir auf die Schulter und ging hinaus.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Tommy Havergill hatte mit seinem Hinweis, dass er mir praktisch schon alles erzählt hatte, nur allzu recht. Ich las den Bericht, doch was ich las, wusste ich bereits.

Zum Zeitpunkt des Überfalls waren vierzehn Personen im Gebäude gewesen, die sich in den verschiedenen Büros aufgehalten hatten. Ihre Namen und Adressen waren aufgeführt. Ich notierte sie mir.

Der Fall war eine Revierangelegenheit gewesen und von einem Kriminalsergeanten Kirby behandelt worden.

---ENDE DER LESEPROBE---