DOPPELMORD - EIN FALL FÜR SOLO MALCOLM - John Cassells - E-Book

DOPPELMORD - EIN FALL FÜR SOLO MALCOLM E-Book

John Cassells

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Beschreibung

Die Bürger einer Industriestadt in Nord-England werden von einer Serie von Verbrechen terrorisiert. Sie bitten den jungen Polizeibeamtem John Fletcher, um für Ordnung zu sorgen.

Als der Privatdetektiv Solo Malcolm von den Ereignissen erfährt, ist Fletcher bereits nicht mehr zu retten...

 

Der Roman Doppelmord um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1971; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr (unter dem Titel Ein Wörtchen mit der Polizei).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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JOHN CASSELLS

 

 

Doppelmord

Ein Fall für Solo Malcolm

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

DOPPELMORD 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

Die Bürger einer Industriestadt in Nord-England werden von einer Serie von Verbrechen terrorisiert. Sie bitten den jungen Polizeibeamtem John Fletcher, um für Ordnung zu sorgen.

Als der Privatdetektiv Solo Malcolm von den Ereignissen erfährt, ist Fletcher bereits nicht mehr zu retten...

 

Der Roman Doppelmord um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1971; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr  (unter dem Titel Ein Wörtchen mit der Polizei).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DOPPELMORD

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war natürlich Tom Bridges, der mich in dieses verdammte Nest im Nordosten schickte. Ich wäre nie dabei gewesen, wenn nicht Jane, mein heißgeliebtes Weib, für ein paar Tage verreist wäre, um eine asthmakranke alte Tante in Thatcham zu besuchen. So aber gammelte ich zu Hause herum und hatte keine allzu hohe Meinung von der Arbeit, als Toms Anruf kam.

Tom Bridges ist ein alter Kumpel von mir. Nach unserer Militärdienstzeit waren wir zusammen zur Londoner Polizei gegangen und hatten in Bogardus’ Abteilung gemeinsam unseren Dienst geschoben. Wir hatten um die gleiche Zeit die Polizei verlassen. Ich wurde Privatdetektiv, Tom Bridges ging als Versicherungsdetektiv zur Sovereign-and-Equitable-Versicherung, wo er sich im Laufe der Jahre ganz schön hochgearbeitet hat.

Jedenfalls rief er mich an diesem Morgen in meiner Wohnung an und erwischte mich gerade beim Aufstehen. Es war am zweiten Dienstag im August, London litt unter der einzigen richtigen Hitzewelle der letzten drei Jahre, und ich stand gerade in Shorts und Trikothemd am Waschbecken, als sein Anruf kam.

Mit einem Anruf hatte ich gerechnet, aber nicht von Tom. Ich wischte meine Hände an einem Hemd ab, das in der Nähe lag, lief zum Telefon, nahm den Hörer ab und sagte: »Hier Solo Malcolm.«

»Hier Tom Bridges. Wie kommt es, dass du an einem Werktag um zehn Uhr früh nicht im Büro bist?«

»Freut mich, deine Stimme zu hören, Tom«, erwiderte ich, »ich bin allein. Jane ist für ein, zwei Tage nach Thatcham durchgebrannt. Am Wochenende habe ich gerade einen netten, kleinen Auftrag beendet und dachte mir, bei dieser verrückten Hitze ist es zu Hause doch bequemer. Immerhin, Arbeit habe ich genug: abwaschen, Staub wischen, vierzehn verschiedene Sorten Pflanzen gießen, darunter ein paar afrikanische Veilchen, die gleich blass werden, wenn du sie nur schräg ansiehst.«

Tom seufzte. »Das sind eben die Freuden des Ehelebens, Solo. Wie gefällt’s dir denn?«

»Großartig. Du musst nicht mehr wie bei der Army die Löcher in den Socken zusammenziehen. Du bekommst sie fein säuberlich gestopft. Deine Hemden werden gewaschen und gebügelt. Wenn du abends nach Hause kommst, hast du dein prima Essen. Die Pantoffeln stehen schon am Kamin, der Drink wird dir serviert. Du solltest es auch einmal versuchen, Tom.«

»Zum Teufel damit«, sagte Bridges. »Ich habe schon genügend Ärger, auch ohne Ehekrieg. Aber über zwei Dinge bin ich froh: Erstens hast du gerade einen Auftrag ausgeführt, also hast du Zeit; zweitens, deine Frau ist nicht zu Hause, also bist du frei. Ich habe was für dich.«

»Ich habe hier genug zu tun. Jane hat mir genaue Anweisungen hinterlassen: die Wohnung sauberhalten, brav mein Bett machen, die Blumen gießen, in der Kochnische neues Linoleum verlegen und in den Badezimmer-Wasserhahn eine neue Dichtungsscheibe einbauen. Das ist genug.«

»Alles Zehn-Minuten-Jobs«, wandte Bridges ein. »Ich werde dir mal von dem anderen Job erzählen. Nichts Besonderes dran, aber die Sache muss erledigt werden, und zwar heute.«

»Worum handelt es sich denn?«

»Die Geschichte liegt schon einige Zeit zurück. Sie begann im letzten Jahr. Vielleicht erinnerst du dich noch an den Raubüberfall auf die Juweliere Tullet und Brody in der Kelman Street. Die Beute betrug vierzehntausend Pfund.«

»Ich kann mich nicht daran erinnern, Tom. Solche Sachen passieren doch alle Tage. Was ist denn da Besonderes dran?«

»Die Juweliere waren bei uns versichert und wollten die besagten vierzehntausend Pfund von uns. Das hat unsere Geschäftsleitung nicht so gern.«

»Das wird euch schon nicht ruinieren.«

»Natürlich nicht. Aber so einen Fall muss man verfolgen. Und das haben wir getan. Die Nachforschungen verliefen im Sande, aber gestern haben wir einen Tipp bekommen. Nicht sehr aufregend gerade, aber es könnte immerhin was dran sein, und wir müssen uns darum kümmern. Ich erzähle dir’s mal kurz: Also gestern Nachmittag um zehn vor vier rief uns ein Typ aus einer Stadt oben im Nordosten an und fragte, wieviel wir für einen Tipp in der Tullet-und-Brody-Angelegenheit bezahlen wollten.«

»Erzähl weiter!«

»Ich sagte, es käme ganz darauf an. Wir müssten den Hinweis erst mal überprüfen und sehen, ob was dran ist oder ob nur jemand auf die Schnelle leichtes Geld verdienen wolle.«

»Und was kam dabei heraus?«

»Er sagte, er wolle mich oder einen meiner Leute in einer Kneipe treffen und den Fall bereden. Ich sprach dann mit dem Generaldirektor. Der meinte, wir wären gut beraten, diesem Hinweis nachzugehen. Was auch meine Meinung ist. Zum Teufel noch mal, Solo! Ich habe gerade keinen Mann frei, der sich darum kümmern könnte. Das wäre doch etwas für dich.«

»Du willst mich also in dieses Nest schicken, damit ich ein paar Takte mit dem Burschen rede?«

»Ich sehe, du kapierst die Sache.«

»Zur Hölle damit, Tom. Was geschieht mit meinen Hausarbeiten? Wird sich dieses Stück Linoleum, das gestern angeliefert wurde, etwa in der Küche selbst verlegen? Ich stolpere schon jedes Mal darüber; wenn ich mir nur ein Ei kochen will, muss ich drüber klettern. Wer gießt meine Blumen? Wer kümmert sich um die afrikanischen Veilchen?«

»Sieh mal, Solo«, sagte Tom. »Ich brauche dich. Ich habe keinen, den ich sonst dransetzen könnte. Das ist doch ’ne todsichere Sache, das kannst du nicht mal Arbeit nennen. Du gehst zur King’s Cross Station, nimmst ’nen Zug und fährst dahin. Dann schnappst du dir ein Taxi, fährst zum Goat - so heißt die Pinte - und redest mit dem Typ. Du fährst hier gegen Mittag los, kommst um vier dort an und hast noch eine Stunde Zeit, die Sache zu besprechen. Du kannst um Mitternacht zurück sein und deine Hyazinthen und das übrige Gemüse wässern. Dafür bekommst du alle Auslagen ersetzt, hast ’ne schöne Fahrt in einem der neuen D-Züge mit Speisewagen voller Bier, und dazu noch einen Scheck über zwanzig Pfund. Wenn du feststellst, dass du nachts nicht mehr nach Hause kannst, steigst du auf unsere Kosten im besten Haus am Platze ab. Das ist doch ein faires Angebot.«

»Und was geschieht mit den afrikanischen Veilchen?«

Er sagte mir, was ich mit diesen Veilchen tun könne.

»Dieser Auftrag ist für dich wie geschaffen, Solo. Also, was ist, ja oder nein?«

Tom Bridges ist ein Kumpel, dem ich keinen Wunsch abschlagen kann. Also überlegte ich mir die Sache.

»Hört sich ganz vernünftig an, Tom. Ich mache es.«

»Das wusste ich doch. Nun zu diesem Typ, den du treffen wirst. Er nannte sich Hickman. Pete Hickman.«

»Nie von ihm gehört. Aber ich erinnere mich an einen Marty Hickman.«

»Der hier heißt Pete. Er wusste ganz genau, wovon er sprach. Mehr kann ich dir nicht sagen.«

»Aber er hat doch wohl knallharte Tatsachen zu bieten, oder was meinst du?«

»Es schien so. Aber sicher ist es nicht- Das ist alles schon eine Weile her, und irgendwie muss darüber geredet worden sein. Vielleicht hat er’s in einer Kneipe aufgeschnappt. Er sagte, er wüsste es aus erster Hand. Das wirst du herausfinden müssen. Sprich mit ihm, sieh zu, dass du so viel wie möglich erfährst. Wenn er wirklich etwas weiß, fahre ich morgen selber hin. Wenn ich Fordyce dazu kriege, dass er mich hier vertritt. Aber das mache ich erst, wenn es wirklich nötig ist. Bis dahin lege ich den Fall in deine Hände, Solo.«

»Besprechen wir mal die Einzelheiten!«

Er gab mir die gewünschten Informationen, und ich schrieb sie schnell auf einen Notizblock neben dem Telefon. Als er geendet hatte, sagte er: »Wirklich nicht viel dran, aber wir haben uns schon die Zähne ausgebissen, und ich möchte, dass der Fall vom Tisch kommt. Ich muss dir ja nicht sagen, wie du Vorgehen musst. Du verstehst mehr davon als ich. Wenn du Zeit hast, rufe mich doch nach dem Gespräch mit Hickman noch heute Abend an und gib mir einen Kurzbericht.«

»Im Büro?«

»Ja, im Büro. Ich bin bis neun Uhr abends da und erwarte deinen Anruf. Ich möchte gerne wissen, wie sich die Sache anlässt, damit ich alles vorbereiten kann, wenn ich morgen selbst hinfahren muss. Wie die Dinge stehen, kann ich mich nur schwer loseisen; zu wenig Leute.«

»Warum stellt ihr nicht noch ein paar Leute ein?«

»Hör dir das an! Warum ich keine Leute einstelle? Seit drei Jahren beknie ich deshalb schon den Alten. Zwei neue habe ich in dieser Zeit bekommen, zwei sind in der gleichen Zeit gegangen.«

»Also gehupft wie gesprungen, Tom. Du stehst nicht schlechter da als vorher.«

»Nein, überhaupt nicht. Nur die beiden, die gegangen sind, waren ehemalige Kriminalpolizisten, die ihr Metier verstanden. Die beiden Neuen sind ziemlich unbeleckt; der eine war immerhin ein bisschen mit Sicherungsaufgaben im Luftfahrtministerium befasst gewesen. Der Dumme dabei bin ich. Nur die da oben wollen das nicht begreifen.«

»Vielleicht begreifen die das schon und sind nur gewitzt genug, es nicht zuzugeben.«

»So gewitzt finde ich das nicht«, sagte Bridges säuerlich. »Aber ich habe Wichtigeres zu tun als rumzumeckern. Also, abgemacht. Du rufst mich heute Abend an, wenn du die Sache nicht selbst zum Abschluss bringen kannst. Vielleicht kommst du morgen mal auf einen Sprung vorbei und berichtest mir ausführlich. Mach deine Schwindelrechnung fertig, bevor du reinkommst, damit ich sie gleich an die Kasse weiterreichen kann, während wir uns unterhalten. Spare der Firma eine Briefmarke, sie wird dir ewig dankbar sein.«

»Will mal sehen, Tom.«

»Du hast alle Informationen, die du brauchst?«

»Soweit ich das überblicke, ja.«

»Na, denn viel Glück«, sagte er und legte dann gleich den Hörer auf.

Ich ging ins Bad, ließ lauwarmes Wasser in die Wanne und blieb so lange drin, bis ich mich frisch fühlte. Ich rubbelte mich ab, zog frische Wäsche an und machte mich ein bisschen landfein. Wenn ich heute noch zurück sein wollte, musste ich gleich los. Ich rief am Bahnhof an und hörte, mein Zug ginge um zehn vor eins. Also hatte ich noch eine Menge Zeit. Ich gönnte mir noch eine Flasche Bier. Dann ging ich zur U-Bahn. Eine halbe Stunde später lüftete ich die nächste Flasche auf der King’s Cross Station.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Der erste Teil der Arbeit verlief genauso, wie Tom Bridges es sich gedacht hatte: Die Fahrt nach Norden in einem Speisewagen.

Kurz vor fünf, als das Thermometer gerade seinen höchsten Stand erreichte, kam ich an. Als ich die kühle Bahnhofshalle verließ, fiel die Hitze wie ein Hammer über mich.

Ich wechselte sofort zur Straßenseite, die im Schatten lag, das heißt: Auf die Seite, auf der die meisten Leute gingen. Mädchen im Miniminirock, Männer mit hochgekrempelten Ärmeln in Sandalen, und alles japste nach Luft.

Ich ging zum Rathausplatz. Der Weg war mir vertraut, weil ich im Krieg mal ein, zwei Tage hier gewesen war. An diesen Platz mit den verschiedenen öffentlichen Gebäuden und einer großen Rasenfläche mit ein paar darauf verstreuten hohen Bäumen konnte ich mich gut erinnern.

Es war alles noch wie damals. Ich setzte mich zu einem alten Mann auf eine der Bänke unter den Bäumen. Er hatte ein graugestoppeltes Kinn, zwischen seinen Zähnen steckte eine Pfeife. Er blickte mich an und nickte mir zu. »Heiß heute, was?« Er hatte ein ledernes, faltendurchzogenes Gesicht mit kleinen, grauen Augen und einem borstigen Lippenbärtchen.

Irgendwo läutete eine Glocke; er blickte auf die Uhr, murmelte, er müsse gehen, und verschwand.

Ich sah ihm nach, steckte mir ein Pfeifchen an und blickte mich um. Aber viel zu sehen gab es nicht. Angegraute Häuser aus dem vorigen Jahrhundert, eine Handvoll Mütter mit ihren Kinderwagen, ein bisschen Verkehr. Das letzte Mal war ich dreiundvierzig hier gewesen, im Oktober. Die Buchenblätter verfärbten sich gerade, es war etwas kalt, und jeder von uns fragte sich, was kommen würde. Wir waren damals nur sieben Mann und waren im Starr's Hotel einquartiert. Es war ein kleines Haus mit höchstens einem halben Dutzend Zimmern, aber die Starrs hatten uns gut behandelt. Der Seniorchef hatte im ersten Weltkrieg bei der Navy gedient, und ich erinnere mich noch, wie er von den Falkland-Inseln erzählte. Er war auf der »Glasgow« gewesen und schätzte sich verdammt glücklich, davongekommen zu sein. Vielleicht würde ich nachher noch ein bisschen Zeit haben, ihn auf ein Glas Bier zu besuchen. Aber, verdammt, das war schon sechsundzwanzig Jahre her, und er musste damals schon über fünfzig gewesen sein.

Ich holte meine Notizen heraus und ging sie noch einmal durch. Es war eine Eckkneipe in der Rankin Street namens The Goat. Um sechs sollte ich da sein, der Informant hieß Pete Hickman. Ich rauchte bis dreiviertel sechs und ging dann über den staubigen Rasen zum Taxistand. Der Fahrer, ein kleiner ältlicher Bursche, schlief hinter dem Steuer seines verbeulten Austin; aber er wachte sofort auf, als ich leise an der Tür rüttelte.

»Ich möchte zur Rankin Street, ich treffe da einen Kumpel im Goat.«

Er nickte. »Weiß Bescheid. Am Hennessy Place, gehe da selbst manchmal rein.«

Er lehnte sich zurück, öffnete die Tür und meinte, in fünf Minuten würden wir da sein. Aber da irrte er sich. An der ersten Ecke war die Verkehrsampel defekt, und so kam ich erst kurz nach sechs an. The Goat war eine altmodische, schmuddelige Pinte. Rings um das grün gestrichene Fachwerk bröckelte der Putz ab, auf einer Tafel über der ziemlich vergammelten Tür prangte in Öl gemalt ein Ziegenbock, das Wappentier dieser Kneipe.

Ich trat ein. Als sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, gewahrte ich eine ziemlich lange Bar, dahinter einen feisten Kerl, der gerade den Tresen putzte. An einem der Tische rechts spielten zwei Gäste Domino, links in der Ecke saß ein Mann in meinem Alter und las Zeitung. Aber ich sah, wie seine Augen mich beobachteten. Er zögerte noch ein bisschen, dann nickte er mir kaum merklich zu. Ich schritt zur Theke, bestellte ein Bier und ging dann rüber zu ihm. Er faltete die Zeitung zusammen und musterte mich. »Mr. Hickman?«, fragte ich leise.

»Ja, der bin ich, Pete Hickman. Und Sie sind der Mann von Sovereign and Equitable?«

Ich setzte mich. »So kann man sagen.«

Der Wirt brachte ihm einen Halbliterkrug, den er sich gleich schnappte.

»Sie sind doch kein Polizist, oder?«

»Das war ich mal früher. Aber ich hatte bald die Nase voll von dem Job. Das passiert schon mal. Also, kommen wir zum Geschäft!«

»Wer schickt Sie?«

»Tom Bridges.«

Er nickte. »Okay. Wie, sagten Sie, war Ihr Name? Hamilton?«

»Nein, Malcolm.«

»Wieviel will er bezahlen?«

Ich lachte. »Kommt darauf an, was Sie zu bieten haben.«

»Eine Menge. Aber ich will dafür Geld sehen.« Er streckte die Hand aus und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander.

»Ich sagte Geld, Malcolm, nicht Trinkgeld. Ich habe ihm was Interessantes zu erzählen, und dafür muss er blechen. Warum schickt er Sie? Ich sagte ihm doch, er soll selber kommen.«

Ich genehmigte mir erst mal einen Schluck Bier. »Sieh mal, Kumpel, Tom Bridges ist ein vielbeschäftigter Mann. Der hat genug zu tun in London, da kann er nicht so ohne weiteres weg. Darum schickt er mich. Also, singe mir, was du weißt, kann sein, dass du ein bisschen Geld dafür bekommst. Aber erst musst du singen. Ich entscheide dann. Mach deine Sache gut, dann berichte ich Tom Bridges heute Abend noch. Wenn deine Story gut genug ist, kommt er morgen her. Mach dir darüber keine Sorgen.«

»Und wieviel springt dabei für mich raus?«

»Junge, du verstehst mich falsch. Erst singst du. Wenn mir  dein Tipp gefällt, sage ich es dir. Dann bist du im Geschäft mit uns.« Einen Augenblick lang starrte er mich an. »Und wie soll ich wissen, ob er mit dem Kies rausrückt?«

»Genau so, wie er weiß, ob du mit deiner Geschichte rausrückst.« Ich stopfte meine Pfeife und blickte auf die Uhr. »Hör mal, Bridges ist nicht deine Sorge, sondern ich. Mich musst du überzeugen, und ich habe in meinem Leben schon einer ganzen Menge Leute von deiner Sorte zugehört. Du hast ’ne halbe Stunde Zeit, mich zu bearbeiten. Um sieben interessiert mich das nicht mehr.«

Er sah mich eine ganze Weile an; dann sagte er: »Gut, ich berichte Ihnen, was ich weiß; jedenfalls das meiste.«

Dieser Hickman war ein gewandter Erzähler, und er war im Bilde. Er brauchte wirklich keine halbe Stunde, um mich zu überzeugen, dass er wusste, wovon er sprach. Nach zehn Minuten brach er ab. »So, das wär’s.«

»In Ordnung«, sagte ich, »das gefällt mir. Ich rufe Bridges an und sage ihm, er soll besser selbst herkommen, um alles noch mal durchzusprechen. Ich würde sagen, das hat sich gelohnt. Wann soll er kommen?«

»Nachmittags kommt hier ein Zug aus London an.«

»Kann sein, dass er mit dem kommt. Aber du musst auf Draht sein. Bridges ist ein ungeduldiger Bursche. Er hat sicher keine Lust, viel Zeit zu vertrödeln, wenn du nicht da bist.«

»Ich werde hier sein. Sind Sie sicher, dass er mit dem Zug kommt?«

»Ich werde ihm das Vorschlägen, und er richtet sich danach.«

Ich erhob mich. »Du bleibst besser noch ’ne Weile hier. Trink aus. Du hast ’ne feine Sache spitzgekriegt.«

Davon war ich überzeugt. Was er erzählt hatte, klang vernünftig, und ich war verdammt sicher, Tom Bridges würde zu der gleichen Meinung kommen. Ich ging raus, schlenderte noch ein bisschen durch die Stadt, bis ich zu einer Straße gelangte, die mir vertraut vorkam. Jetzt erinnerte ich mich wieder: Hier war ich vor vielen Jahren schon einmal gewesen.

Aus der Ferne näherte sich ein Bus. Bis zur nächsten Mal Haltestelle waren es nur zwanzig Meter, also ging ich hin. Der Bus war inzwischen nahe genug herangekommen, und ich konnte die Schrift auf dem Fahrtrichtungsschild erkennen: »Cherry Bank». Ich erinnerte mich an diesen Namen. In Cherry Bank hatten die Starrs ihr Hotel. Das war ein Fingerzeig des Schicksals. Ich winkte, der Bus hielt, und ich stieg ein.

Der dunkelhäutige Schaffner stand auf der Plattform und verlangte das Fahrgeld. Ich stand mit einem Fuß auf der ersten Stufe und fragte: »Wissen Sie, wo das Hotel Starr ist?«

»Ja, macht neun Pence.«

»Hören Sie, junger Freund. Als ich das letzte Mal hier war, waren Sie noch nicht geboren. Könnten Sie mir also bitte sagen, wenn wir da sind?«

»Meinetwegen.«

Ich ging hinauf und nahm Platz auf einem jener winzigen Sitze, an denen man sich die Knie schindet, und sah mich um. Wir waren nur zu viert. Ganz vorn ein alter Mann mit einem Kind so um die sechs, ein paar Reihen dahinter eine aufgedonnerte Blondine, die eine Zigarette rauchte, und direkt vor mir ein junges Mädchen. Sie hatte dunkles Haar und trug ein primelfarbenes Kleid. Ich schätzte sie auf neunzehn.

Sie starrte aus dem Fenster auf die kleinen städtischen Siedlungshäuschen, die an uns vorüberhuschten. Nach einigen Minuten stützte sie sich auf die Rücklehne des Vordersitzes und erhob sich. Sie war gerade auf den Beinen, als der Bus um die Ecke bog. Sie taumelte ein bisschen, hielt sich an der Sitzlehne fest und richtete sich wieder auf.

So um die neunzehn, dachte ich, das musste stimmen; und dabei niedlich wie die Kätzchen auf Pralinenschachteln. Sie hatte ein hübsch geformtes, wachsweißes Gesicht und blaue Augen.

Sie fürchtete sich. Irgendetwas hatte ihr einen höllischen Schreck eingejagt. Sie hatte gerade die Treppe erreicht, als ich das Bündel entdeckte. Es war kaum sichtbar zwischen Sitz und Lehne eingeklemmt. Ich beugte mich vor, holte es heraus und winkte ihr damit. »Hier, Miss, Sie haben was vergessen.«

Sie kam auf mich zu, ihr weißes Gesicht bekam einen Anflug von Grau. Wortlos starrte sie mich an, in ihren Augen las ich Hoffnungslosigkeit.

»Ihr Päckchen«, sagte ich und hielt es ihr hin.

Einen Augenblick lang dachte ich, sie würde um jeden Preis bestreiten, dass es ihr gehörte. Doch dann streckte sie ihre weiße, feingliedrige Hand aus. Sie ergriff das Päckchen und stammelte: »Oh, ich - ich habe das gar nicht gemerkt. Danke - schön.«

Ich hatte das Bündel ziemlich fest angefasst und wusste, was drin war; Form und Gewicht verrieten es mir: ein Revolver! Sie sah meinen wissenden Blick und schloss die Augen. Gleich wird sie umkippen, dachte ich schon. Aber sie riss sich zusammen, rang sich ein Totenkopflächeln ab, bedankte sich nochmals und ging dann die Treppe hinunter. Ich folgte ihr. Manchmal hat man solch eine Eingebung, sicher nicht allzu oft, aber sie erweist sich meistens als richtig.

Der Schaffner sah mich überrascht an. »Wir sind noch nicht da, Sir. Bis Starr's Hotel sind es noch ein paar...«

»Ich hab’s mir anders überlegt. Wir steigen hier aus.«

Der Schaffner drückte auf den Klingelknopf, und ich merkte, er hätte gern gewusst, was los war.

Mit quietschenden Bremsen hielt der Bus an. Das Mädchen stieg aus. Ohne sich umzusehen, schritt sie eilends davon. Ich ging ihr nach. Als ich sie eingeholt hatte, merkte ich, dass ich noch immer den Revolver in der Hand hielt.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Wir befanden uns in einer Straße mit ein paar Dutzend terrassenförmig angelegten Häusern. In den hübschen, ordentlichen Gärten standen Rosen und Gladiolen. Vor uns schnitt ein fetter kleiner Bursche mit einem Handmäher den Rasen. Er hielt inne, sei es, um uns zu betrachten, sei es, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und sich eine Ruhepause zu gönnen.

Das Mädchen ging weiter. »Einen Moment, Miss«, sagte ich, »ich bin noch da.« Sie stieß einen Seufzer aus. »Mit Ihrem Päckchen«, erinnerte ich sie. Sie verlangsamte den Schritt.

»Das gehört mir nicht. Ich will es nicht. Ich habe es nie zuvor gesehen, ebenso wenig wie ich Sie gesehen habe. Wenn Sie jetzt nicht gehen, schreie ich um Hilfe.«

»Das bezweifle ich.«

Sie sah mich verzweifelt an. »Ich werde den Mann da bitten, mir zu helfen.«

»Ich glaube nicht, dass er für Sie von großem Nutzen sein wird.«

Sie blieb stehen. »Ich werde ihn bitten, die Polizei zu rufen.«

»Das hört sich schon besser an. Die Polizei, dein Freund und Helfer. Holen wir doch einen Polizisten. Es wird ihn sicher interessieren, was in diesem Päckchen ist.«

Sie erschauerte. »Oh, nein! Nein, bitte nicht!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Sehen Sie, Miss, Sie wissen doch, was Sie hier haben: einen Revolver. Erzählen Sie mir nicht, dass ich mich irre. Da gibt’s nur eins: Bringen Sie den Revolver dorthin zurück, wo Sie ihn herhaben.«

Sie sah mir in die Augen. »Ich sagte Ihnen doch, dass ich ihn nie zuvor gesehen habe.«

»Dann«, gab ich zurück, »überreiche ich ihn einem Polizisten. Ich werde von Ihnen berichten und eine Personenbeschreibung geben. Wenn Sie den Revolver oder die Verpackung nie angefasst haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Ihre Fingerabdrücke darauf sind. Dann wären Sie aus der Geschichte fein raus. Aber ich glaube Ihnen nicht. Ich nehme an, Sie haben ihn liegengelassen, weil Sie ihn loswerden wollten. Jetzt müssen Sie sich entscheiden.«

»Was meinen Sie damit?«

»Sie könnten mir ja davon erzählen. Vielleicht kann ich Ihnen helfen«, sagte ich. »Zwar habe ich nicht viel Zeit; mein Zug geht um dreiundzwanzig Uhr britischer Bahnzeit. Aber ich könnte Ihnen doch behilflich sein. Wenn Sie nicht darüber reden wollen, auch gut. Aber ich muss dann eine Aussage machen, und darin kommen Sie vor.«

Sie schloss die Augen. Ohne sie zu öffnen, fragte sie: »Warum können Sie ihn nicht verschwinden lassen?«

»Ich bin nun mal ein gesetzestreuer Bürger, Miss. Revolver wirken tödlich. Und die Munition dazu ist auch noch in dem Päckchen, das fühle ich. Der erstbeste Trottel, der ihn findet, könnte damit Unfug treiben. Oder er wird zu einem Verbrechen benutzt. Ich kenne mich da aus, ich war mal Polizist.«

Sie warf mir einen merkwürdigen Blick zu, gerade wie ein kleines Kind, das auf frischer Tat ertappt wird und nicht weiß, warum.

»Also, gut. Ich wusste, was darin ist. Ich ließ es liegen, um es loszuwerden. Natürlich ist es ein Revolver.«

»Richtig«, erwiderte ich, »gehen wir doch irgendwohin.«

»Warum sind Sie mir nachgekommen? Warum mussten Sie das Päckchen aufheben? Ich hätte es liegengelassen. Ich wollte es nie wieder sehen. Sie haben alles nur schlimmer gemacht.«

»Was ist passiert?«

Sie antwortete nicht, aber die Anspannung machte sich doch bemerkbar. Solo Malcolm, dachte ich, worauf lässt du dich da wieder ein? Musst du bei jeder Gelegenheit gleich den Polizisten spielen? Eines Tages wirst du vielleicht doch noch klug. Ich blickte zurück und sah hinten in der Straße eine kleine Ladenreihe.

»Anscheinend habe ich Ihnen da was Schönes eingebrockt?«

»Das kann man wohl sagen!«

»Schlage vor, wir unterhalten uns darüber bei einer Tasse Tee. Da hinten ist ein Restaurant. Ich will sowieso etwas essen. Also, ja oder nein?«

Nach kurzem Zögern erklärte sie sich einverstanden. Gemeinsam gingen wir zurück. Das Restaurant The Ivy lag mitten in der Ladenreihe. Wir gingen rein. Es war eine Durchschnittskneipe: lange Theke mit Barhockern davor, dahinter Regale mit Zigaretten, Schokolade und mit sonst was, im Raum ein Dutzend Tische. Ein Mädchen im grünen Minikleid füllte Eiscreme auf einen Teller und brachte ihn an einen Ecktisch zu einer mittelalten Dame. Dann kam sie zu uns. »Guten Abend.«

»Guten Abend, Miss, was gibt’s denn heute Schönes?«

»Ich frag’ mal meinen Vater.«

Sie ging, wir setzten uns.

»Ich habe Hunger, und wie steht’s mit Ihnen?«

»Danke, mir genügt eine Tasse Tee.«

»Haben Sie schon gegessen?«

Sie errötete. »Nein, aber ich - ich...«

»Sie möchten sich so schnell wie möglich verdrücken«, bemerkte ich. »Gut, ich mache Ihnen keine Vorwürfe deswegen. Aber Sie haben ein Problem. Erzählen Sie mir nichts. Das sieht ein Blinder mit dem Krückstock.«

»Und wenn schon, dann ist es mein Problem, und niemand kann mir helfen.«

Ich beugte mich zu ihr hinüber. »Kann sein, Sie haben recht. Aber ich möchte es trotzdem gern wissen. Und wissen Sie, warum? Probleme sind meine Geschäftsgrundlage.«