Blut geleckt - Leo Walde - E-Book

Blut geleckt E-Book

Leo Walde

0,0

Beschreibung

Wer ist der Tote, neben dem Laya aufwachte? Warum wollte der Bankdi-rektor die Leiche seiner Geliebten entsorgen? Und vor allem: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Zwei Fälle – eine Lösung? Die zu finden dürfte selbst dem gewieften Ermittlerteam der Detektei "Tooth Stone Investigations" schwerfallen. Aber in Ausnahmesituationen wachsen Men-schen bekanntlich über sich hinaus. Und wer sagt denn, dass die Frankfurter Detektive das nicht auch könnten? Um es vorwegzunehmen: Sie lösen die Fälle, natürlich tun sie das. Doch das ist noch lange nicht alles… Wenn Andrea und Zahnstein nun als frisch gebackene Privatdetektive in Aktion treten, und dabei durch Laya und Janine, zwei nicht minder begabte Ermittlerinnen, unterstützt werden, dann stehen wie immer Überheblichkeit, Intriganz und Vorteilsnahme ganz oben auf ihrem Erfolgsrezept. Und doch geht es um mehr: Endlich einmal nicht aus puren Zufällen heraus über Leichen stolpern und in dunkle Abgründe blicken, sondern von zahlender Kundschaft dazu aufgefordert werden – das war der Plan! Nur… das mit den Plänen ist bekanntlich so eine Sache: mal gehen sie auf, mal nicht. Aber mal ehrlich: Anders wäre es doch langweilig, oder?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 395

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



_Toc156666035

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

ZWANZIG

EINUNDZWANZIG

ZWEIUNDZWANZIG

DREIUNDZWANZIG

VIERUNDZWANZIG

FÜNFUNDZWANZIG

SECHSUNDZWANZIG

SIEBENUNDZWANZIG

ACHTUNDZWANZIG

Leo Walde

Blut geleckt

Kriminalroman

Impressum:

Leo Walde, c/o Hans-Jürgen Waldmann, Comeniusstr. 38, 60389 Frankfurt am [email protected]

Copyright © 2024ISBN: 978-3-758462-41-2 Umschlaggestaltung: Leo Walde

Druck und Vertrieb: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, BerlinDas Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

EINS

Die Frau, die vor dem Fenster stand, war nackt und hielt ein Handy in der rechten Hand. Sie richtete es auf den um diese Zeit fast menschenleeren Strand, das glitzernde Meer und den blassblauen Himmel. In zwei Stunden würde das Meer immer noch glitzern, aber der Strand würde beginnen, sich mit Menschen zu füllen und der Himmel würde eine strahlende Sonne zeigen. So war es jedenfalls gestern gewesen, und wahrscheinlich würde es auch an den restlichen Tagen in diesem März so weitergehen.

Ihre linke Hand hatte die Frau auf die Hüfte gestemmt, womit sie keine besondere Absicht verband, irgendwo musste sie die Hand ja ablegen. Ihre schwarzen, mit einem leichten Rotstich versetzten Haare hingen über ihre Schultern und in ihrem strengen Gesicht glänzten ihre ruhigen Augen. Als sie den Aufnahmebutton berührte und das Display sich kurz verdunkelte, fing sie auch einen Teil der Brüstung des Balkons ein, der sich vor dem Fenster befand. Sie kontrollierte das Ergebnis der Aufnahme und war damit zufrieden. Um diese Tageszeit war das Meer einfach am schönsten und das Balkongeländer passte hervorragend dazu.

»Was machst du da?« Die schläfrige Stimme kam aus dem hinteren Teil des Raums. Die Frau, der diese Stimme gehörte, lag in dem Bett, das an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand stand und das dominierende Möbelstück in dem Zimmer darstellte. Sie hatte vor einer Minute noch geschlafen und war durch ein Geräusch aufgewacht, das entweder von der Frau am Fenster oder von irgendjemand anderem im Hotel verursacht worden war.

»Schlaf weiter, Süße«, sagte die Frau am Fenster. »Ich fotografiere das Meer. Damit ich zu Hause noch weiß, wie schön das hier war.« Sie drehte sich um und richtete das Handy auf die Frau im Bett. »Bitte rescht freundlisch!«, sagte sie.

»Hör auf! Ich will nicht nach Insta!«

»Warum ned? Sei ned so prüde!«

»Lass das! Komm lieber her und mach ein Bild von uns beiden.« Die Frau im Bett war an die Rückenlehne gerutscht und schlug ein paarmal mit der Handfläche auf das Bettlaken neben ihr.

Die Frau mit dem Handy legte ich zu ihr, streckte ihren Arm aus und richtete das Display so aus, dass die Frauen auf dem kleinen Bildschirm zu sehen waren. Sie strahlen beide das Handy an. Klick!

»Laya und Janine«, sagte sie, »das Traumpaar des Jahres!«

»Des Jahrzehnts!«, lachte die andere Frau, die ihren Kopf auf die Schulter der Fotografin gelegt hatte. »Mindestens.«

Die Frau legte das Handy auf die kleine Ablage neben dem Bett. Sie war es, die Laya hieß, und sie gab ihrer Freundin einen Kuss auf den Mund. »War ´ne verdammt gute Idee, hier her zu fliegen!« Sie streckte sich. »Ich hab´s verdammt echt gebraucht!«

»Malle ist immer gut.«

»Warst du schon mal hier?«

»In Malle? Na klar!«

»Nee, ich meine in diesem Kaff. Cala Dingsbums… wie heißt das hier noch?«

»Cala Ratjada.«

»Genau. Ist zwar nicht Palma, aber die Party geht hier auch ab!«

»Und wie!«, sagte die Frau, die Janine war. »Der kleine Schwarzhaarige im Unterhemd hat dich ja ganz schön angemacht…«

»Das war ein Muscleshirt, Schätzchen.«

»Komischer Name eigentlich… Ein Hemd mit Muskeln…«

»Der Typ hatte auch welche! Hab´s genau gesehen!«

»So so, hat dir wohl gefallen?«

»Die Muckis waren schon gut, aber warum musste mir der Typ nur so ´ne Frikadelle ans Ohr quatschen?«

»´Ne Frikadelle ans Ohr quatschen? Sagt man das in Indien so?«

»In Deutschland etwa nicht?« Laya grinste. »Du konntest dich aber auch nicht über zu wenig Anmache beklagen, Süße!«

»Du meinst die verrückten Weiber aus Wuppertal?«

»Wuppertal? Waren die da her?«

»Zumindest die eine.«

»Und die andere?«

»Keine Ahnung. Aber jedenfalls wollten die die Nacht wohl nicht unbedingt nur zu zweit verbringen.«

»Na bei dir sind sie ja genau an der richtigen Adresse gelandet!«

»Wie kommst du denn darauf? Du warst doch dabei!«

»Ach so ist das also! Nur weil ich da war, bist du nicht…«

»Quatsch!«, lachte Janine. »Die waren eh nicht mein Beuteschema.«

»Na dann…«

»Du bist mein Beuteschema.« Janine grinste Laya an.

»Da hab ich ja noch mal Glück gehabt«, meinte die trocken.

Janine atmete aus. »Aber diese ganze Partyszene hier… ich kann dir sagen, ey, ich bin momentan gar nicht so scharf drauf…«

»Ich auch nicht. Aber zwischendurch mal abzutanzen, ist doch auch nicht schlecht, oder?«

»Zwischen was?« fragte Janine mit Unschuldsmiene.

»Dreimal darfst du raten!« Laya drehte sie auf den Rücken und setzte sich rittlings auf ihren Bauch.

»Hey«, lachte Janine, »wir haben noch nicht getanzt!«

Eine halbe Stunde später sagte Laya: »Eigentlich wollte ich mal meine Ruhe haben, ich schwöre!«

»Selbst schuld.«

»Stimmt.« Sie lag auf dem Bauch, hatte ihren Kopf auf einem ausgestreckten Arm abgelegt und grinste Janine an. Ihre schwarzen Haare lagen über ihrem Gesicht und sie versuchte, sie von den Augen wegzupusten. Janine lag auf dem Rücken und starrte an die Zimmerdecke. Sie hatte braune Haare, kurz geschnitten, zum Wegpusten war da nichts. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und lächelte ebenfalls.

»Aber immer nur Ruhe…«

»Ist ja schon ok. Aber ich sage dir: Ich war verdammt fertig, wie wir aus Frankfurt weg sind! Ich hab echt nur Scheiße in der Hand gehabt! Sogar in der U-Bahn ham sie misch drangekriegt!«

»Wie, ›drangekriegt‹?«

»Na ja, ich hatte kein Fahrschein dabei…«

»Ach so, du bist schwarz gefahren! Na, wie du aussiehst!«

»So schwarz bin isch gar nicht!«

»Ich meine die Haare!«

»Ach so.«

Dass Janine die Haare von Laya meinte, war allerdings so etwas wie eine ›halbe Lüge‹. Denn auch ihr Teint war, wenn schon nicht schwarz, so doch, nun ja, dunkel. So wie der Teint einer Inderin nun mal ist – da ändern auch zehn Jahre ›Verwestlichung‹ nicht sonderlich viel dran.

»Jedenfalls steht da plötzlich so ´ne Boygroup vor mir…«, fuhr sie fort.

»Boygroup?«

»Jungs halt! Männer. Fett. Gitarre spielen konnten die wahrscheinlich nicht.«

»Wer weiß?«

»Nee, nee. Die konnten nur reden. ›Ihren Fahrtausweis, aber dalli!‹«

»Das haben sie gesagt? Dalli?«

»Nicht wortwörtlich. Aber sinngemäß.«

»Und was hast du gesagt?«

»›Das wollen viele.‹«

»Echt?«

»Ich schwöre! Obwohl… das stimmte ja gar nicht! So viele wollen meinen Fahrtausweis gar nicht sehen! Aber ich hab trotzdem…«

»Hätt ich auch gemacht!«

»War aber vielleicht keine so gute Idee… Der Typ wurde nämlich gleich pampig.«

»Typisch!«

»Vielleicht hätte ich den Mittelfinger nicht ausstrecken sollen…«

»Wusste gar nicht, dass die Bullen wissen, was das bedeutet…«

»Das waren keine Bullen! Das waren so… Schaffner, oder wie das heißt.«

»Kontrolleure.«

»Oder so. Ich jedenfalls: ›Wieviel wollt ihr, ihr Arschgeigen?‹, da sagt doch so´n Typ neben mir: ›Die Frau gehört zu mir‹.«

»Was für´n Typ denn?«

»Na, so´n anderer Fahrgast halt. Sitzt auf der anderen Seite vom Gang und sagt…«

»Hab schon verstanden! Hatte der so ´ne Monatskarte, oder was?«

»Genau! Woher weißt du?«

»Na, mit der kannst du doch…«

»Genau! Umsonst mitfahren und so. Der Schaffner sagt dann noch: ›Diese Dame ist also ihre Begleitung?‹ Und der Typ nickt bloß. Ich meine, der hat kein Wort geglaubt, der Schaffner, guckt nur blöd, und schon war er weg.«

»Das war aber nett von ihm!«

»Er konnte eh nix machen!«

»Ich meine den Typen!«

»Ach so. Na ja, ich weiß nicht… Jedenfalls, ich guck also den Typ so an und sag: ›schönen Dank auch‹, und dann sagt der doch: ›Im Leben ist nichts umsonst, Süße‹.«

»Hä?«

»Pass auf! Ich also ›ich bin nicht deine Süße‹ und so. Da sagt der: ›Du bist doch die Laya!‹ Der Arsch kannte mich! Irgendwoher, keine Ahnung. Und ich dann: »Was willst du?« Und er: ›Einmal umsonst!‹«

»Das gibt’s doch nicht!«

»Doch! Pass auf! Ich schnell gerechnet. Ich mein, was hab ich denn durch das Mitfahren gespart? Fuffzig Euro? Ich sach also: ›Das ist höchstens ´nen BJ wert‹«

»BJ?«

»Na, Blowjob halt.«

Janine rief: »Das hättest du gemacht?«

Laya sah sie träge an. »Na ja, wär nicht das erste Mal…«

Janine nickte. »Klar. Sorry.«

»Was heißt hier sorry? Ich meine… Irgendwie hatte der Typ ja schon Recht gehabt. Er hat mir ja aus der Patsche geholfen! Kann verstehen, wenn er dafür was haben will. Ich jedenfalls: ›Komm vorbei, wenn du Zeit hast, aber ruf vorher an‹ Und dann hab ich ihm ´ne Visitenkarte gegeben…«

»Von unserer Firma?« Janine tat entsetzt.

»Nee, natürlich nicht! Von einem meiner Stammkunden. Da hab ich dann den Namen durchgestrichen und meine Nummer draufgeschrieben. Hatte ja sonst nichts dabei, wo ich was draufscheiben konnte.«

Man konnte über Laya sagen, was man wollte. Sie war vielleicht kein Ausbund an Tugendhaftigkeit und solche Dinge wie Ehrlichkeit und Offenheit gehörten ebenfalls nicht zu ihren starken Seiten. Als Prostituierte im Frankfurter Bahnhofsviertel wäre sie überdies nur schwerlich als leuchtendes Beispiel für die Frauenemanzipation durchgegangen. Aber eins musste man ihr lassen: Sie wusste, was sich gehört!

Wenn ihr jemand aus der Patsche half, dann war ihr klar, dass sie sich erkenntlich zeigen musste. Und wenn das mal nicht hundertprozentig dem üblichen Moralkodex entsprach – mein Gott! Man musste manchmal halt Prioritäten setzen! Und ihre Priorität bestand daran, keine Schulden zu machen, so einfach war das.

Einen Moment war es ruhig. Dann sagte Janine: »Du bist ganz schön großzügig!«

»Ach, weißt du« Laya machte mit der Hand eine wegwerfende Bewegung. »Das ist ne Sache von höchstens… fünf Minuten?« Sie schien nachzudenken. »Wenn´s hochkommt!«

Wieder entstand eine kurze Pause. Dann prusteten beide Frauen los.

Als sie sich wieder beruhigt hatten, sagte Janine: »Du hattest sicher ´nen spannenden Job!«

Laya verzog ihren Mundwinkel. »Deshalb mach ich jetzt ja auch was anderes.«

»Ich weiß. War bestimmt kein Zuckerschlecken…«

»Nee. Zucker ganz bestimmt nicht«, grinste Laya gequält.

»Okay, ich nehm´s zurück.«

»Brauchst du nicht. Manchmal war es das ja auch.«

»Was?«

»Spannend.« Laya dachte nach, »Aber verdammt selten. Ich bin echt froh, dass Andrea mich gefragt hat.«

»Ich auch«, lächelte Janine.

Laya sah sie an. »Das mit dir kommt noch dazu. Aber ich meine den Job.«

»Aber deine Stammkunden hast du noch, oder?«, meine Janine.

»Ein paar«, gab Laya zu. »Aber nur wenige. Für die wär ´ne Welt zusammengebrochen, wenn sie nicht mehr…«

»Das kannst du natürlich nicht machen!«

»Eben! Aber das sind nur absolute Ausnahmen.«

»War das denn einer von denen?«

»Der Typ aus der U-Bahn? Nee, das muss einer von früher gewesen sein.«

»Wie sah er denn aus?«

Laya überlegte. »Ich würde sagen… so wie alle. Allerweltsgesicht. Schon ein bisschen älter…«

»Hieß nicht zufällig Richard?«

Laya lachte laut auf. »Nein! Der hat doch kein Allerweltsgesicht!«

»Stimmt! Das kann man ihm nun wirklich nicht nachsagen. Aber hätte mich nicht gewundert, wenn er das gewesen wär…«

»Jetzt hör mal! Spricht man so über seinen Chef?«

»Nur, wenn er nicht dabei ist.« Janine grinste ihre Freundin an.

»Auch dann nicht!«, sagte Laya kategorisch. »Ich bin jedenfalls froh, dass er und Andrea mich da rausgeholt haben.«

Layas Leben auf dem Strich gehörte also inzwischen der Vergangen-heit an. Aber nicht, weil eine Frauenrechtlerin ihr ins Gewissen geredet hatte! Dass sie aufgehört hatte – mehr oder weniger jedenfalls -, das hatte andere Gründe. Solche wie die, aus denen man nach einem Strohhalm greift, den man noch gar nicht auf seine Reißfestigkeit hin untersucht hatte.

»Ist schon was anderes als früher, was?«, meinte Janine

»Völlig! Für dich doch auch, oder?«

»Klar. Aber bei mir wars genau umgekehrt. Der alte Job was seriöser.«

Laya lachte. »Seit wann sind Anwälte seriös? Die sind doch sowas von durchtrieben! Aber ich sag dir was: Damals konnte ich da locker mithalten!«

»Können wir immer noch«, behauptete Janine.

»Meinst du? Dann weiß ich ja gar nicht, wofür es gut war!«

»Was?«

»Mein… ähhh… wie heißt das? Stellenwechsel?«

Janine lachte. »Du meinst Stellungswechsel!«

»Wenn du das sagst…« Laya schaute ihre Freundin lasziv an. Dann aber wurde sie ernst und sagte bestimmt: »Aber nicht jetzt!«

»Was?«

»Die Stellung wechseln.«

»Ich hatte das sowieso nicht…«

»Ich weiß. War ein Scherz. Ich weiß eh was Besseres.«

»Und was?«

Laya formte mit ihren Händen einen Trichter vor ihrem Mund und rief laut: »Früh! Stück!«

»Au ja!«, lachte Janine.

ZWEI

Eintausendzweihundert Kilometer weiter nördlich stand Richard Zahnstein am Fenster seines Büros im siebzehnten Stockwerk des ›City Gate‹ am Nibelungenplatz. Im Gegensatz zu Laya war er nicht nackt, sondern trug einen hellgrauen Anzug und ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schaute missmutig auf die Hochhäuser der Frankfurter City, die von Westen her von der Sonne schwach beschienen wurden.

»Es sieht nicht gut aus«, sagte er mit monotoner Stimme.

»Wird schon wieder! Einen Durchhänger gibt´s immer mal.«

Die Stimme der Frau kam aus der Mitte des Raums von einem der Besuchersessel, die vor Zahnsteins Schreibtisch platziert waren. Andrea hatte ihn so weit nach vorne geschoben, dass sie ihre Beine - ausgestreckt und die Knöchel gekreuzt - auf die Kante der Schreibtischplatte ablegen konnte. Die Beine steckten in einer schwarzen Jeans und die Füße in rot-blauen Ringelsocken. Die Schuhe, die sie sich abgestreift hatte, waren keine Cowboystiefel, auch wenn das angesichts der Art, wie sie in ihrem Sessel lümmelte, keineswegs verwundert hätte, sondern schwarze Pumps mit breiten Absätzen.

Zahnstein drehte sich um und sah seine Schwester an. »Dein Wort in Gottes Gehörgang! Aber trotzdem wäre mir lieber, wenn wir ein bisschen mehr Leben in der Bude hätten.«

»Und was willst du da machen?«

»Proaktive Akquise!«

Andrea lachte auf. »Wie stellst du dir das vor? Willst du vielleicht selbst jemandem die Frau ausspannen und dann den Gehörnten zu uns schicken, damit wir ihm die Beweise liefern?«

Zahnstein tat so, als dächte er nach. »Vielleicht gar keine so schlechte Idee«, meinte er. »Kommt natürlich drauf an, wie die Frau aussieht.«

»Auch noch wählerisch!«, grinste Andrea.

»Das ist nicht witzig, Schwesterchen!«

»Ach komm! Was willst du eigentlich? Wir hatten doch fast immer genug zu tun! Und wenn jetzt das Geschäft mal ein bisschen ruhiger ist, geht die Welt auch nicht gleich von unter.«

»Wir haben auch so was wie ´ne Verantwortung, wenn ich dich mal daran erinnern darf!«

»Haben wir das?«

»Ja. Wir haben Laya und Janine immerhin von ihren Jobs losgeeist, damit sie bei uns mitmachen. Schon vergessen?«

»Na und? So wahnsinnig tolle Karrieren hätten die beiden ja eh nicht erwartet. Ich glaube, die waren ganz froh, dass sie aus ihren alten Jobs raus konnten.«

»Das heißt aber nicht, dass wir sie jetzt fallen lassen könnten wie heiße Kartoffeln.«

»Sag mal, wovon redest du eigentlich?« Andrea nahm ihre Füße von Zahnsteins Schreibtisch und beugte sich vor, um das halbvolle Glas mit dem Milchkaffee erreichen zu können, das auf dem kleinen Couchtisch stand. Sie nippte daran und sah ihren Bruder von unten an. »Wir sind noch immer weit im grünen Bereich! Finanziell meine ich. Das Geschäft mit den Optionen… Wie lange ist das jetzt her? Anderthalb Jahre? Jedenfalls haben wir uns damit derart gesundgestoßen, dass wir die Flaute jetzt locker noch ´ne ganze Weile aushalten können.«

»Okay, die Optionen, gut, das war mal was. Aber was kam danach? Ich meine… Die Optionen waren vor der Firmengründung. Da waren wir noch keine Verbrechenskapitalisten.«

»Verbrechenskapitalisten!«; sagte Andrea empört. »So nennst du das, was wir machen?«

»Wie würdest du uns denn bezeichnen?«

»Ich würde sagen, wir sind eher so was wie ´ne Genossenschaft!

»So was wie Raiffeisen, meinst du?« Zahnstein lachte auf, ohne dass es lustig klang. »Das sind übrigens auch Kapitalisten!«

»Nenn es, wie du willst! Jedenfalls sind wir alle vier gleichermaßen Eigentümer unserer Firma. Jeder ist zu fünfundzwanzig Prozent beteiligt. Zeig mir mal ein Unternehmen, bei dem das so ist!«

»Dann sind wir halt eine Ausnahme. Von mir aus.« Zahnstein ging hinter seinen Schreibtisch und ließ sich in seinen Sessel fallen. »Aber ich will, dass diese Ausnahme auch weiterhin funktioniert! Und da kann ich nicht einfach zugucken, wenn alles langsam den Bach runter geht.«

Andrea schüttelte den Kopf. »Du übertreibst maßlos, Ritchie.«

»Ich übertreibe nicht, Andrea.«

»Doch!«

»Nein!«

»Doch!«

»Nein!«

So war das immer, wenn Zahnstein und Andrea in Streit gerieten. Irgendwann gingen ihnen die Argumente aus und sie beharrten einfach auf ihrem jeweiligen Standpunkt. Das war zwar für beide Seiten mehr als frustrierend, aber andererseits nicht so frustrierend, als wenn sie dem Anderen Berechnung, Verlogenheit oder gar Dummheit vorgeworfen hätten. Ihr Streit war eher… ermüdend. Und genauso, wie Müdigkeit mit einem kleinen Nickerchen beseitigt werden konnte, waren ihre Meinungsverschiedenheiten nach einer Phase angestrengten Schweigens… nein, sie waren keineswegs beseitigt, aber irgendwie unter Kontrolle – sagen wir mal so.

»Vielleicht hast du ja ein bisschen recht«, fing Andrea nach der Schweigephase wieder an. »Ein winziges bisschen, zumindest.«

»Ein wenziges Schlöckchen sozusagen«, grinste ihr Bruder.

»Das wäre auch eine gute Idee. Normalerweise! Aber weißt du, wieviel Uhr wir haben?«

»Wenn du glaubst, dass ich dich zu Alkohol am frühen Morgen überrede, vergiss es!«

»Na gut, bleiben wir halt bei Kaffee. Hast du noch was?« Andrea hielt ihr mit Milchschaumresten verunziertes Glas hoch.

»Nochmal das Gleiche?«

»Natürlich!«

Zahnstein stand wieder auf und ging zu dem Sideboard vor der den Fenstern gegenüberliegenden Wand, auf dem die Kaffeemaschine stand. Diese Maschine war ein Monstrum, das außer diversen Arten der Kaffeezubereitung wahrscheinlich auch eine Methode zur Kernspaltung beherrschte. Natürlich italienisch und natürlich High-End. Zahnstein hätte für seinen Filterkaffee auch ein Philips- oder Melitta-Gerät ausgereicht, aber Andrea hatte bei Einzug in diese Räume auf diesem Ding bestanden.

»Du kannst unseren Kunden nicht mit so ´ner Aldi-Maschine kommen«, hatte sie gesagt, als sie über die Büroausstattung sprachen. Und Zahnstein hatte mit den Achseln gezuckt und die Miene verzogen. Wie man es tut um zu sagen, dass es eh nicht mehr drauf ankommt.

Natürlich hatte Andrea Recht gehabt, als sie Zahnstein ermahnte, bei der Ausstattung der Büroräume der ›Tooth Stone Investigations‹ nicht plötzlich mit dem Sparen anfangen zu wollen. Wie oft gründet man im Leben denn ein Detektivbüro? »Manche machen das laufend«, hatte Zahnstein grinsend gemeint. »Aber wir nicht«, hatte Andrea ernst entgegnet.

Das war vor etwa einem Jahr, im März anno Zweitausenddreiundzwanzig. Es war Zahnstein gewesen, der mit der Idee um die Ecke kam – und es war Andrea, die sofort Feuer und Flamme war. Zahnstein freute das natürlich; mit so viel Begeisterung hatte er gar nicht gerechnet. Er war davon ausgegangen, dass er all seine Überredungskünste anwenden und seinen ganzen Charme ausspielen musste, um seine Schwester für das ›Projekt‹, wie er es nannte, zu gewinnen. Aber es war nicht nötig – zu seinem Glück, denn das Letzte, was seine Schwester getan hätte, wäre, sich von ihrem Bruder zu dubiosen Maßnahmen verleiten zu lassen, die sie nicht selbst auch wollte. Aber offene Türen einrennen – das konnte man bei ihr durchaus. Und als Zahnstein sie fragte, warum diese Tür so sperrangelweit aufstand, sagte sie nur: »Den ganzen Tag formale Logik hat zwar auch was, aber auf Dauer ist es nicht das Gelbe vom Ei.«

Für eine langjährige Mathematikprofessorin und eine in ihrem Fach sogar erfolgreiche Bestsellerautorin war dies eine bemerkenswerte Aussage, denn vor noch nicht allzu langer Zeit war ›formale Logik‹ nicht nur eine alles andere als anrüchige Angelegenheit, sondern geradezu so etwas wie ein Lebenselixier. Zweifel an dieser Begründung schienen also durchaus angebracht.

Wesentlich wahrscheinlicher war deshalb, dass für sie ein gänzlich anderer Anlass den Ausschlag gegeben hatte, und zwar der gleiche wie für Zahnstein. Genau genommen waren es gleich mehrere Anlässe, welche jedoch die gleiche Konsequenz bewirkten, nämlich sozusagen Blut zu lecken. Denn genauso wie zwei verzweifelte Vampire auf eine unschuldige Jungfrau hatten sich die Beiden auf die neue berufliche Perspektive gestürzt. Hatten sie doch gerade zwei Abenteuer gemeinsam durchgestanden, in denen sie nicht nur sozusagen als treibende Kräfte bei der Aufklärung finsterer Machenschaften fungiert hatten, sondern darüber hinaus finanzielle Erfolge verbuchen konnten, die selbst die Einnahmen ihrer gutsituierten bürgerlichen Berufe weit in den Schatten stellten. Das war schon für eine Mathe-Professorin mit Zusatzverdienst eine durchaus reife Leistung, aber noch bemerkenswerter für einen ehemaligen Schönheitschirurgen, wie Zahnstein es war, der es dank der Sorgen seiner Patienten um die Außenwirkung ihrer zusehends verfallenden Körper geschafft hatte, sich selbst einen - zumindest finanziell – sorgenfreien Lebensstil auch im Ruhestand zu verschaffen.

Kaum hat man mit etwas mal Erfolg, will man mehr davon. Es gibt bestimmt irgendeinen klugen Philosophen oder salbungsvollen Moraltheologen, der aus diesem Zusammenhang einen unsterblichen Aphorismus herausgeleiert hat – aber selbst wenn nicht, so traf diese Kausalität auf Zahnstein und Andrea doch voll und ganz zu. Aber es war nicht nur der Erfolg, es war auch der Teamgeist, der die beiden so beflügelte.

Sie hatten doch gut zusammengearbeitet, oder? Immerhin so gut, dass sie nach ihrem ersten Coup auch an einem Ort zusammenkamen, der in all den vielen Jahren, in denen sie sich nun schon kannten, völlig tabu war: Im Bett! Vielleicht lag ihre jahrzehntelange Zurückhaltung daran, dass sie ja Geschwister waren, und als Brüderchen und Schwesterchen tut man bestimmte Sachen nun mal nicht – auch dann nicht, wenn dieses Verwandtschaftsverhältnis eines war, dass sich dem Adoptionsfanatismus ihrer Eltern verdankte, und man weder gesellschaftliche Ächtung noch biologische Fehlentwicklungen befürchten musste, sollte es nicht nur zu einem regen Meinungs-, sondern auch zu einem angeregten Flüssigkeitsaustausch kommen.

»Warum denn eigentlich nicht?«, sagten sich die beiden also – und ab ging die Luzi! Sie hängten es nicht an die große Glocke, das nicht, aber sie hüteten es auch nicht wie ein Staatsgeheimnis. Sie hatten eh nicht vor, demnächst zusammen Gardinen auszusuchen.

Andrea war nach ihrer Scheidung von ihrem Architektengatten von Kronberg nach Frankfurt gezogen, aber keineswegs in das Penthouse ihres Bruders am Westhafen, sondern in eine Drei-Zimmer-Wohnung im Nordend, die eine gehörige Distanz zum brüderlichen Domizil gewährleistete. Und das war gut so, denn von der Kronberger Zweisamkeit im Neubaugebiet hatte sie erst mal die Nase voll. Und zwar gestrichen.

Es war also eine Eskalation der ›Verpartnerung‹, die die beiden vollzogen: Wenn man die Geschwister als ›Familienpartner‹ bezeichnen wollte, dann folgte darauf die nächste Stufe als Sexualpartner und darauf dann der weitere Schritt zu Geschäftspartnern. Sie hatten zwar schon mal davon gehört, dass man von einer beruflichen Verbindung besser die Finger lässt, wenn man auf eine harmonische Verwandtschaft oder heißen Sex Wert legt, aber natürlich galten für sie diese Gesetze nicht. Klar, sonst hätten sie es ja nicht gemacht, oder?

Dabei befanden sie sich im Gegensatz zu den beiden Turteltauben, die gerade auf Malle weilten, bereits in einem gesetzteren Alter. Zahnstein schoss dabei mit seinen neunundsechzig Lenzen den Vogel ab, aber auch Andrea konnte sich mit ihren zwölf Lebensjahren weniger nicht unbedingt als ›Küken‹ bezeichnen. Na gut, die ›kleine Schwester‹ bleibt man auf Lebenszeit – und die ›junge Geliebte‹ immerhin auf ›Lebensabschnittszeit‹.

»Und was hast du nun wirklich gemeint?«, fragte die vielleicht nicht mehr ganz so junge, aber umso jünger gebliebene Geliebte, nachdem ihr vielleicht nicht mehr ganz so taufrischer, aber noch nicht völlig ergrauter Sexual- und Geschäftspartner einen neuen Latte Macchiato auf den kleinen Bürotisch gestellt hatte.

»Womit?«

»Na mit dieser aktiven Kiste, von der du gesprochen hast.«

»Proaktive Akquise, meinst du.«

»Oder so.«

Zahnstein verdrehte die Augen. »Ich meine, dass wir uns bei den Leuten ins Gespräch bringen sollten, die unsere Dienste am nötigsten haben.«

»Leute, die kriminalistische Ermittlungen brauchen? Bei denen willst du Werbung machen? Die musst du aber erst mal finden! Oder willst du im Werbefernsehen auftreten?« Andrea nippte an ihrem Kaffeeglas. Dann leckte sie sich den Schaum von den Lippen und nickte Zahnstein anerkennend zu. Der aber sagte:

»Quatsch! Ich rede von gezielter Ansprache. Allgemeine Werbung machen wir ja schon. Gelbe Seiten, Internet.«

»Aber nicht im Fernsehen.«

»Fernsehen? Das bringt eh nix! Wer guckt sich denn noch Werbung im Fernsehen an?«

»Sag das nicht! Du brauchst nur mal um fünf vor sieben das ZDF anzuschalten! Rheumasalben, Abführmittel, Höschenwindeln – was meinst du, was da los ist!«

»Ich weiß. Aber Dienstleistungen von Detektiven kommen da nicht vor.«

»Dann wären wir immerhin die ersten, die so was anbieten! Alleinstellungsmerkmal und so.«

»Nee, nee. Das wäre, wie wenn du im Swinger-Club eine keusche Ehefrau anpreisen würdest. Die Nachfrage wäre gleich null.«

»Na gut, dann halt kein Werbefernsehen. Aber was dann?«

Zahnstein hatte sich wieder zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch bewegt und setzte sich jetzt. »Wir müssen dahin, wo sich unsere potentiellen Kunden befinden!«

»Also zur Heilsarmee!«

»Was willst du denn bei der Heilsarmee?«

»Na wegen der keuschen Ehefrauen. Die soll es da geben!«

»Das bezweifle ich… Ist aber auch egal! Was ich meine…«

»Ja?«

»… sind Rechtsanwälte.«

»Hä?«

»Also nicht, dass Rechtsanwälte unsere potentiellen Kunden wären…«

»Kriminell genug wären sie aber…«

»Schon… Nein…« Es gelang ihm das Kunststück, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln. »Ich meine, da gehen unsere Kunden doch hin, zu Rechtsanwälten! Oder etwa nicht? Ich meine, die sitzen doch alle irgendwie in der Scheiße und brauchen jemanden, der ihnen raushilft. Aber meistens braucht so jemand doch nicht den rechtlichen Beistand, sondern jemanden, der ein paar praktische Dinge für sie unternimmt. Also Zeugen auftreibt, Anschuldigungen überprüft, Erpresser stellt, und so weiter.«

»Hm.«

»Kannst du dich an ›Ein Fall für zwei‹ erinnern?«

»Klaro! Der dicke Anwalt und Matula. Wie hieß der Schauspieler noch mal?«

»Die Serie hat übrigens in diesem Haus hier gespielt! Doktor Renz hatte hier sein Büro.«

»Genau, Doktor Renz! Alias Günter Strack! Und der andere hieß… äh…«

»Ist doch egal. Ich will nur sagen: Hier haben auch schon mal ein Rechtsanwalt und ein Detektiv zusammengearbeitet.«

»Du willst also in die Fußstapfen von Matula treten! Und wo willst du einen Doktor Renz herzaubern?«

»Nicht einen! Mehrere!« Zahnstein machte mit seinen Armen eine Bewegung, als befände sich eine Ansammlung von Anwälten im Raum. »Wir müssen mit den Rechtsanwälten reden, damit die uns die Fälle zuschustern!«

»Mit Rechtsanwälten willst du reden?«

»Warum nicht? Wir gehen zu den Rechtsverdrehern hin und sagen ihnen, dass wir diejenigen sind, die die praktischen Dinge erledigen würden.« Zahnstein kratzte sich am Kopf. »Sofern es praktische Dinge gibt, natürlich nur. Aber ich bin sicher, dass es hier und da einen solchen Bedarf geben wird. Vielleicht nicht immer… aber immer öfter!«, grinste er.

Eine Pause entstand. Andrea dachte nach. Blöd war die Überlegung ihres Bruders ja nicht, aber brachte sie auch wirklich etwas? Wo war der Haken? Für eine gelernte Mathematikerin musste er doch zu finden sein! Und sie fand ihn auch:

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir die ersten und einzigen sind, die damit ankommen. Wieso sollte so ein Anwalt denn ausgerechnet uns empfehlen? Die Jungs gehen doch bestimmt nach Renommee und so, und wenn wir eins nicht haben…«

»Ich weiß, was du meinst.« Zahnstein hob seine linke Hand und zeigte Andrea seine Handfläche. ›Mach mal halblang‹, sollte das heißen. »Ist mir alles klar! Das wird natürlich nicht einfach, aber es ist lösbar. Was wir brauchen, ist ein Alleinstellungsmerkmal!«

»Sag mal, Ritschie.« Andrea verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Hab ich das nicht gerade gesagt? Und jetzt tust du plötzlich so, als hättest du das Wort ›Marketingstrategie‹ persönlich erfunden.«

»Sorry, aber ich wollte dir doch nur zustimmen.«

»Hört sich aber nicht so an. Und was soll dein Alleinstellungsmerkmal sein?«

»Ganz einfach. Wir arbeiten auf Erfolgsbasis!«

»Wie bitte?«

»Also nicht auf Honorarbasis, sondern auf Erfolgsbasis! Wir kassieren nur, wenn unsere Ermittlungen zu einem Erfolg führen!«

»Du meinst…«

»Also, wenn wir die verschwundene Tochter tatsächlich auftreiben. Wenn wir den Ehebruch tatsächlich nachweisen können. Wenn wir die unterschlagenen Millionen tatsächlich unterm Kopfkissen vom Buchhalter finden. Wenn wir…«

»Hab´s verstanden.« Andrea winkte ab. »Und wenn wir das nicht schaffen? Dann gehen wir leer aus?«

»Genau! Dann braucht der Kunde keinen Cent zu blechen. Dann haben wir Pech gehabt. Aber wie oft kommt das vor?«

»Na ja, das ist leicht mal passiert…«

»Das ist dann halt unser Risiko! Aber ich kann mir vorstellen, dass ´ne Menge Leute so ein Modell interessant finden. Wer zahlt schon gern für Dinge, die dann im Sande verlaufen? Oder auch nur vielleicht im Sande verlaufen? Und dann Angst haben zu müssen, dass man das viele Geld einfach so zum Fenster rausgeschmissen hat. Bei uns müssten die Leute diese Angst nicht haben. Wenn wir nichts rausfinden, müssen sie auch nix zahlen!«

»Du meinst also, ohne finanzielles Risiko…«

»… rennen uns die Leutchen die Bude ein! Genau!«

»Und die Anwälte sollen sie uns vermitteln…«

»So denke ich mir das. Die Leute gehen mit ihren Problemen immer erst zu einem Anwalt. Aber mit Paragraphenreiterei allein lassen sich ihre Probleme auch nicht lösen. Also fragen sie den Anwalt, ob der jemanden kennt... Und dann sind wir im Spiel!«

»Nur, dass so ein Anwalt überhaupt kein Interesse an einer Aufklärung der Fälle hat! Er verdient doch prima an dem juristischen Hin und Her.«

»Es sei denn, er kann ´ne Provision einstreichen.«

»Die wir ihm zahlen?«

»M-hm.« Zahnstein nickte. »Die muss unsere Honorarforderung eben auch einkalkulieren.«

»Für den Erfolgsfall.«

»Die Provision für den Anwalt müssten wir wahrscheinlich in jedem Fall zahlen. Kann mir nicht vorstellen, dass diese Burschen sich auf sowas einlassen. Obwohl…«

»Was?«

»Ich muss dir was gestehen.«

»Gestehe! Sofort!«

»Ich bin auf das Modell mit dem Erfolgshonorar nur gekommen, weil ich in einem Buch davon gelesen hab. Und da war es ein Anwalt, der so vorgegangen ist.«

»War wohl Science-Fiction, was?«

»Nee, das nicht«, lachte Zahnstein. »Aber ein Roman war es schon. Also nicht gerade eine Tatschen-Dokumentation.«

»Da haben wir´s! Und von so was lässt du dich inspirieren!«

Zahnstein schaute seine Schwester nachdenklich an. »Vielleicht ist das alles ja nur wirres Zeug und wird ums Verrecken nicht funktionieren. Nur…«

»Ja?«

»Wenn wir´s nicht versuchen… tja, dann werden wir´s nie rausfinden.«

Andrea nickte ernst und schob ihre Unterlippe nach oben. »Es wäre nicht das erste Mal, dass wir so verrückt sind.«

Dann setzte sie zu einem weiteren Schluck von ihrem italienischen Kaffeegetränk an. ›Vielleicht klappt es ja wirklich‹, dachte sie, ›immerhin hat er es ja auch geschafft, einen guten Latte Macchiato hinzukriegen.‹

DREI

Eine Woche später spazierte Laya über die Leipziger Straße in Bockenheim. Der März war inzwischen fast vorüber, aber der Winter schien nicht im Traum daran zu denken, es ihm gleich tun zu wollen. Die acht Tage in Cala Ratjada waren eine willkommene Unterbrechung der Kälte gewesen, doch eine Wende zum Besseren waren sie – mal rein wettertechnisch gesehen - definitiv nicht. Man würde sich noch gedulden müssen, dachte Laya missmutig, jetzt wurde erst mal weitergebibbert. An Hot Pants und ein bauchfreies Top, ihre Standardgarderobe in Malle, war bei diesen Temperaturen nicht zu denken.

Dabei war es noch gar nicht so lange her, dass sie in einer derartigen Kluft auch im deutschen Winterwetter über die Straße stolziert war. Klar, in diesem Aufzug war ihr auch damals schon zu kalt gewesen, aber dass er ein No-Go sein könnte, war ihr nicht im Entferntesten in den Sinn gekommen. Immerhin hatte sie ja warme Stiefel dazu getragen.

Die trug sie auch jetzt, doch außerdem trug sie ihren langen schwarzen Mantel. Den mit dem Pelzbesatz am Kragen, an der Knopfleiste und am unteren Saum. Dazu einen dunkelblauen Schal, dessen lockerer Knoten aus dem Revers herausschaute, und eine Umhängetasche aus schwarzem Wildleder. Auf dem Kopf saß ein ebenfalls schwarzer Hut, der sie älter aussehen ließ, als sie war. Vor allem aber ließ er sie irgendwie elegant aussehen, so wie man sich eine ›vornehme Dame‹ vorstellte, und obwohl sie nicht genau wusste, weshalb, war ihr das heute wichtig.

Vielleicht lag es daran, dass sie bei ihrer Verabredung, zu der sie unterwegs war, keinerlei Notwendigkeit verspürte, irgendjemanden mit aufreizenden Klamotten beeindrucken zu müssen. Natürlich will man sich immer von seiner besten Seite zeigen, klar, man schminkt sich und macht sich die Haare schön und alles, auch wenn man gerade mal nicht auf dem Sprung zur nächsten Miss-Universum-Ausscheidung war. Aber es ist doch gleich was ganz anderes, wenn mal absolut nichts davon abhängt, wie man sich präsentiert! Wenn man nur seine Schulden bezahlen muss und vielleicht noch einen kleinen Bonus ergattern kann.

Natürlich hatte sich der Idiot aus der U-Bahn bei ihr gemeldet, kurz nachdem sie aus dem Urlaub zurück war. »Ich möchte meine Außenstände bei dir eintreiben«, hatte er am Telefon gesagt und dann meckernd gelacht. Laya hatte nicht gelacht, sondern nur nach Zeitpunkt und Ort gefragt, und er hatte ihr beides genannt, sowie außerdem einen Namen auf einem Klingelschild.

Dann hatte er gesagt, er müsse sich entschuldigen, dass er nur eine Stunde Zeit hätte, und Laya musste schmunzeln und hatte erwidert, dass sie so lange nicht brauchen würden.

»Vielleicht können wir ja ein bisschen überziehen«, hatte er denn gemeint.

»Kostet aber extra«, hatte Laya gesagt, »und was überziehen musst du dir dann sowieso.«

Der Idiot hatte daraufhin wieder gelacht und so etwas wie »von mir aus« genuschelt, wobei Laya nicht ganz klar war, ob er die Kohle oder den Pariser meinte.

Aber sie hatte nicht nachgefragt, sondern das Gespräch beendet und anschließend mit den Schultern gezuckt. Es kam ihr nicht darauf an, sich bei diesem Penner die Portokasse aufzubessern, aber wenn der gute Mann sein Geld unbedingt auf diese Weise an die Frau bringen wollte, dann sollte ihr das recht sein - und hätte immerhin den schönen Nebeneffekt, dass die Auffassung von manchen Leuten, schwarzfahren zahle sich nicht aus, endlich mal widerlegt werden konnte.

Sie bog in die Falkstraße ein und checkte die Hausnummern. Das Haus mit der Nummer, die Mister Arschloch ihr gegeben hatte, war ein moderner Kasten mit einem großzügigen Eingang und einer Klingelanlage mit mindestens dreißig Knöpfen – und jeweils daneben ebenso vielen Namensschildern, ordentlich geprägt, gleichartig und nobel. Natürlich war ›Arschloch‹ nicht der Name, der auf dem Klingelschild stehen sollte, sondern ›Küppersbusch‹. Laya fand die entsprechende Klingel und drückte drauf.

Küppersbusch stand in der offenen Wohnungstür, als Laya im zweiten Stockwerk aus dem Aufzug stieg. Er trug eine dunkelblaue Jeans und eine graue Strickjacke, die Füße steckten in schwarzen Lederslipper. Fast hätte sie ihn nicht wiedererkannt, denn seine Kleidung verlieh ihm ein äußerst konservatives, ja biederes Aussehen, das zu der fast schon schäbigen Montur aus der U-Bahn in starkem Kontrast stand. Aber das Gesicht war das Gleiche, die Backen immer noch genauso hängend und seine Fresse immer noch genauso abstoßend.

Jetzt erkannte sie immerhin, woran es eigentlich lag, dass sie dieses Gesicht so grausam unsympathisch fand. Es war der Mund, der in der U-Bahn und auch jetzt an der Wohnungstür nicht etwa einen mürrischen und zugleich arroganten Ausdruck angenommen hatte, nein, diese beiden Eigenschaften schienen sein wahrer Charakter zu sein. Ohne mürrisch und arrogant zu wirken, ließ sich dieser Mund nicht vorstellen. Und sie konnte sich ebenso wenig vorstellen, dass der Mensch hinter diesem Mund aus einem völlig anderen Holz geschnitzt sein sollte. Weichem Weidenholz etwa. So wie man ja manchmal von harten Kernen und weichen Schalen sprach. Nein, dieser Mensch war genauso wie sein Mund, mürrisch und arrogant, völlig klar.

»Da bist du ja«, sagte der Mund zur Begrüßung, »immer rein in die gute Stube!«

Laya ging langsam an ihm vorbei in die Wohnung. Weder fiel ihr eine originelle Entgegnung auf seine plumpe Vertrautheit ein, noch machte ihr das etwas aus. Dass er wie selbstverständlich das ›Du‹ verwendete, obwohl sie sich außer in der U-Bahn höchstens ein einziges Mal begegnet sein mussten, ließ sie unkommentiert. Manche Leute hielten das offenbar bei Frauen, bei denen man Sex kaufen konnte, für eine angemessene Umgangsform. Und früher hatte ihr das auch nicht das Geringste ausgemacht, ja, es war ihr nicht einmal aufgefallen. Aber manche Dinge ändern sich – und dass sie inzwischen selbst auf dieser Klaviatur verlogener Vertrautheit zu spielen verstand, änderte nichts an ihrem Hass auf diesen Umgangston.

»Kann ich deinen Mantel haben?« Sie stand im Wohnungsflur und schaute zu der einzigen der vier davon abgehenden Türen, die offenstand. Sie legte ihren Hut und die Umhängetasche auf die schmale Ablage, die sich unter der Garderobe befand, löste den Gürtel, der mit einem lockeren Knoten den Mantel verschlossen hatte, und streifte ihn gerade so über die Schultern, um Küppersbusch verstehen zu geben, dass er ihn ihr abnehmen konnte. »Wenn ich ihn wiederkriege«, sagte sie.

Unter dem Mantel trug Laya eine enge schwarze Hose und einen blauen Wollpullover, der den gleichen Farbton wie ihr Schal hatte und unter dessen runden Ausschnitt das Band einer silberglänzenden Kette hervorlugte. Küppersbusch nahm den Mantel und sagte: »Nur, wenn ich keinen Grund zur Klage habe.«

Laya nahm ihre Tasche wieder an sich, ging auf die offene Tür zu und betrag das Wohnzimmer. Es war ein großer Raum, mit einer Fensterfront an einer Seite und ihr gegenüber einem großen Aquarium. Sowohl die Fensterfront als auch das Aquarium nahmen die gesamte Breite des Raumes ein, und vor den Fenstern konnte man eine ebenfalls über die gesamte Breite verlaufende Terrasse erkennen. Wahrscheinlich ließen diese Fenster den Raum lichtdurchflutet wirken, wenn es draußen hell war, aber jetzt, kurz nach sechs Uhr am Abend, war es bereits dunkel, und der Raum war nur gedämpft beleuchtet.

Trotzdem war der Anblick überwältigend. Es befanden sich nicht viel Möbel in diesem bestimmt fünfzig Quadratmeter großen Zimmer, aber die wenigen Objekte, die es ausstatteten, waren exquisite Designerstücke. Jedenfalls waren sie das Layas bescheidener Meinung nach, doch völlig daneben liegen konnte sie nicht, denn vor noch gar nicht allzu langer Zeit war sie selbst in den Möbelhäusern dieser Stadt unterwegs gewesen und hatte dabei gelernt, die Preisschilder schöner Möbel auch dann zu erkennen, wenn sie gar nicht aufgeklebt waren.

Die höchste Zahl auf diesen unsichtbaren Preisschildern wiesen vermutlich die drei Sofas auf, die um einen niedrigen quadratischen Tisch aus Holz und Glas arrangiert waren. Sie waren breit, tief und niedrig und der Bezug bestand aus weißem Leder. Sie standen an drei Seiten des Couchtisches und ließen die Seite zu dem raumhohen Bücherregal offen, das sich zwischen Fensterreihe und Aquarium befand. Es sah aus, als diene die offene Seite dazu, die Blicke der dort Sitzenden auf die Bücher zu lenken, die dichtgedrängt auf den Regalbrettern standen, aber dann bemerkte Laya eine schmale leistenförmige Wölbung in der Decke vor dem Regal, und es war ihr klar, dass sich darunter eine ausfahrbare Leinwand verbarg. Ein Blick an die andere Seite der Decke, ziemlich genau dort, wo sie gerade stand, verriet ihr, dass sie richtig lag, denn die dort in Form eines Rechtecks angeordneten Schlitze konnten nur die Umrisse einer Vorrichtung für einen absenkbaren Beamer sein.

Sie bliebt einen Moment stehen und sagte: »Nicht schlecht, Herr Specht.« Dann ging sie zu dem Aquarium.

Gut, es gab in manchen Restaurants, vorzugsweise in solchen, in denen chinesisches Essen serviert wurde, durchaus große Aquarien. Riesengeräte, mit sehr viel Wasser gefüllt, und einer Menge kleiner Fische drin. Aber einen derart großen Fischkäfig, wie er in dieser Wohnung aufgebaut war, hatte Laya noch nicht gesehen. Vielleicht verfügte man in einem Zoo über ähnlich große Wasserbehälter, aber da Laya noch nie in ihrem Leben in einem Zoo war, konnte sie hier nicht wirklich mitreden.

Das Aquarium in diesem Raum jedenfalls erstreckte sich über die gesamte Breite des Raums, und das waren bestimmt sechs, sieben Meter, und es war etwa zwei Meter hoch. Die Tiefe ließ sich nur schwer abschätzen, aber Laya schien es, dass in dieser Wasserwelt die Fische auch genügend Platz hatten, um auch zur Rückwand eine Weile unterwegs sein zu können, ohne vorne anzustoßen. Von diesen Tierchen waren eine Menge Exemplare unterwegs. Die meisten waren bunt und bizarr geformt und trieben mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch das Wasser, wobei sie es schafften, jedem Beinahe-Zusammenstoß gerade noch auszuweichen und sich nie auch nur zu touchieren. Sie schienen sich zu vertragen, die kleinen Gesellen, wenigsten taten sie so, solange Laya sie betrachtete.

»Ist ja irre«, sagte sie fasziniert und tippte auf das Glas, wo ein grün-blauer Fisch sie mit offenem Maul anglotzte. »Kostet bestimmt ein Schweinegeld, das ganze Futter, oder?«

Küppersbusch, der sich inzwischen neben sie gestellt hatte, sagte: «Ich… äh…. es geht. Aber ein billiges Hobby ist es nicht, das stimmt.«

»Das ist also ihr Hobby?«

»Ich denke… also, was sollte es sonst sein?«

»Na Show halt! Für die Gäste und so!«

»Ach so!« Küppersbusch lachte, wie es Laya schien, unsicher. »Nein, es ist mein Hobby!«

Laya hatte den Eindruck, dass dieser Mensch nicht gern über seine Fische redete. Was sie ein wenig wunderte, denn wer sich ein solches Bassin ins Wohnzimmer stellte, würde doch auch gern damit angeben wollen, oder? Sie jedenfalls hätte das getan. Aber Küppersbusch schien das Thema eher unangenehm zu sein. Also drehte sie ihren Kopf zu ihm hin und sagte: »Also?«

»Also was?«

»Wie wollen wir es machen?«

»Ach so! Ja…« Er wirkte etwas verdattert, gerade so, wie Laya das schon von anderen Kunden her kannte. ›Angst vor der eigenen Courage‹ nannte man das wohl im Deutschen, und dieser Satz war einer der ersten Redewendungen gewesen, die sie von dieser Sprache gelernt hatte. Sie hatte nur in einer Zeitschrift davon gelesen, dass man das so sagte, denn den Satz auszusprechen, das tat man wohl nie.

»Wollen wir nicht erst mal eine Kleinigkeit trinken?«, fuhr Küppersbusch fort. ›Alles klar‹, dachte Laya, und sie sagte: »Gerne.«

»Okay, nimm Platz!« Er zeigte vage auf die Sitzgruppe in der Mitte des Raums, und Laya löste sich von den Fischen und ging langsam zu der Couch, von der sie das Aquarium am besten im Blick hatte. Sich irgendwo anders hinzusetzen, erschien ihr unheimlich. Wer hatte schon gern ein Aquarium im Rücken, mit hunderten von kleinen Fischen, die einen von hinten anstarrten?

Küppersbusch ging an den Sofas vorbei zu einem Rollwagen, auf dem eine Ansammlung von Spirituosen stand. Laya bemerkte den Rollwagen erst jetzt. Er stand zwischen der Couch, auf der sie saß, und der Fensterfront, und beherbergte außer Flaschen offenbar auch Gläser, denn sie hörte es klirren und sie vernahm auch all die anderen Geräusche, die beim Hantieren mit Getränken nun mal entstehen.

»Ist Martini mit Eis ok?«, wollte Küppersbusch wissen, und Laya sagte »Ist es.« Es klang so cool, wie es klingen sollte.

»Ganz schön mieses Wetter, was?«, meinte der Mann am Barwagen.

›Gut. Dann halt erst mal Smalltalk‹, dachte Laya. Das war nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung und normalerweise wollte sie den eigentlichen Anlass ihrer Treffen mit geilen Männern lieber so schnell wie möglich hinter sich bringen, aber der Kunde ist natürlich König – und einer, der mit einem solchen Wohnzimmer aufwarten konnte, sowieso. Sie kalkulierte schnell, wie hoch sie den Preis wohl treiben konnte, und sagte dann:

»Ja, ein richtiges Dreckswetter. Wird Zeit, dass der Winter bald mal vorbei ist, oder?«

»Das stimmt! Aber für die nächsten zwei Wochen haben sie noch keine Veränderung angekündigt. Wahrscheinlich müssen wir noch ein bisschen durchhalten.«

»Echt jetzt? Ich finde, wir halten schon lange genug durch.«

Hinter Layas Rücken klapperte es weiter und Küppersbusch lachte. »So ist das nun mal in Deutschland. Wie ist das Wetter eigentlich in Indien?«

»Keine Ahnung«, sagte Laya und zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich Monsun. Oder Überschwemmungen. Irgendeine Katastrophe werden sie da schon haben.«

Küppersbusch lachte noch einmal. »Bist wohl schon länger nicht mehr da gewesen?«

»Zehn Jahre?«

»So lange bist du schon hier?«

»Jep«, sagte Laya. »So lange. Und immer noch kein Heimweh.«

»Tja. Irgendwann hört das wohl auf.«

»Was?«

»Das mit dem Heimweh.«

»Bei mir gab´s nichts, was aufhören konnte. War ganz praktisch.«

Küppersbusch lachte schon wieder, aber diesmal kam sein Lachen direkt von der Seite ihrer Couch, denn Küppersbusch stand dort mit einem kleinen silbernen Tablett in der Hand, auf dem sich zwei dickwandige Gläser mit einer roten Flüssigkeit und Eiswürfeln befanden. Eines von ihnen hatte einen Strohhalm, das andere hatte keinen.

Er stellte das Tablett auf dem quadratischen Tischchen so ab, dass das Glas mit dem Strohhalm direkt vor Laya stand, und setzte sich selbst auf die Ecke des im rechten Winkel zu Layas Couch stehende Sofa. Er hob sein Glas hoch und schaute sie an. »Auf das Wetter«, sagte er und grinste.

Laya nahm den Strohhalm aus ihrem Glas und legte ihn auf das Tablett. Dann erhob sie ebenfalls ihr Glas und sagte: »Aber nicht auf dieses! Lieber auf besseres.«

»Ok. Dann auf besseres Wetter!« Küppersbusch trank von seinem Martini und schaute dabei Laya intensiv an. Laya trank ebenfalls. Eigentlich ist es ja eher was für den Sommer, dachte sie, aber andererseits geht Martini immer.

»Gut?«, wollte Küppersbusch wissen.

»M-hm«, sagte Laya, »wie im Urlaub. Ich glaube, ich könnte schon wieder wegfahren.«

»Wieso, warst du denn weg?«

Laya hatte eigentlich nicht vorgehabt, von ihrem Urlaub zu erzählen, aber die Bemerkung war ihr leider doch rausgerutscht. Aber was soll´s? War ja schließlich kein Staatsgeheimnis. »Ja, auf Malle«, sagte sie, und fast gleichzeitig ärgerte sie sich, dass sie das gesagt hatte. Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Martini.

»Da war das Wetter sicher besser«, fing Küppersbusch schon wieder vom Wetter an. Er starrte Laya dabei ins Gesicht und grinste.

Layas Mund fühlte sich trocken an und sie trank noch etwas Martini. Sie dachte, was für ein hässlicher Mensch dieser Küppersbusch doch war. So feist, wie er sie angrinste. Und wie wenig er doch zu diesem Apartment passte! Ja, jetzt war ihr plötzlich klar, woher dieses merkwürdige Gefühl, dass sie die ganze Zeit, in der sie in diesem Apartment war, begleitet hatte, eigentlich kann. Es war der Widerspruch zwischen diesem Mann und diesem Raum. Sie passten einfach nicht zusammen. Der Mann passte nicht zu dem Raum und der Raum passte nicht zu dem Mann. Der Raum war Luxus und der Mann war – derb. Genau! Ein derber Mann! So derb, dass auch seine Strickjacke und seine polierten Lederschuhe nicht darüber hinwegtäuschen konnten. Laya fühlte sich jetzt etwas benommen.

»Geht´s dir gut?«, sagte Küppersbusch.

»Mir geht´s prima«, sagte Laya und reckte ihren Kopf nach hinten. Dann stand sie auf, und sie merkte, dass ihr schwindelig war. Sie musste sich mit ihrem rechten Fuß seitlich abstützen, um das Gleichgewicht zu halten. Sie sagte langsam:

»Wir müssen jetzt… zu Sache kommen…«

Küppersbusch saß weiterhin auf seiner Couch, hielt sein Glas in der Hand und grinste sie von unten an. »Dann komm mal zur Sache! Schätzchen.«

Laya blickte träge auf ihn hinunter und sagte: »Ich bin nicht dein…« Sie hielt inne und starrte ihn an. Das tat sie bestimmt drei Sekunden lang. Dann aber schlossen sich ihre Augen und sie sackte in sich zusammen. Glücklicherweise kippte sie nach hinten auf das Sofa, und nicht auf den quadratischen Tisch aus Holz und Glas, auch wenn sie nichts davon mitbekommen hätte.

Die Fische sahen sich das Schauspiel in aller Seelenruhe an.

VIER

Zwei Tage vorher, es war ein Montag, saß Zahnstein in einem Sofa, das vor einem Schreibtisch stand, und schaute den Mann hinter diesem Schreibtisch erwartungsvoll an. Der Mann lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und bildete mit seinen Händen eine kleine Pyramide, indem er nur die Fingerkuppen sich berühren ließ. »Tatsächlich habe ich jemanden«, sagte er, »der dafür in Frage käme.«

»Was hat er denn ausgefressen?«, sagte Zahnstein.

»Er selbst sagt, nichts«, erwiderte der Mann. »Aber die Polizei ist anderer Meinung.«

»Das kommt schon mal vor.«

»Das stimmt.« Der Mann zuckte mit den Schultern. »Aber bei ihm geht es nicht darum, wieviel er zu schnell gefahren ist.«

»Sondern?«

»Er hat eine Frau erschlagen.«

»Seine Frau?«

»Schlimmer! Seine Geliebte!«