Blutdämmerung - Rainer Löffler - E-Book
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Blutdämmerung E-Book

Rainer Löffler

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Beschreibung

In einem Kölner See stoßen Hobbytaucher auf eine Frauenleiche - gekleidet in ein Hochzeitskleid, fest mit Folie umwickelt und auf makabre Weise verstümmelt. Und das Grauen nimmt kein Ende: Die Polizei entdeckt vier weitere tote Bräute in dem See.

Martin Abel, der beste Fallanalytiker des Stuttgarter LKA, und seine Kollegin Hannah Christ werden an den Rhein beordert. Sie sollen den Kölner Kollegen bei der Suche nach dem Serienmörder helfen. Schon bald ergibt sich ein derart verstörendes Bild der Taten, dass deren Details niemals an die Öffentlichkeit dringen dürfen. Zugleich läuft Abel und Christ die Zeit davon: Ein weiteres Opfer befindet sich in der Gewalt des Killers ...

"Blutdämmerung" ist der zweite Fall für Martin Abel und Hannah Christ. Ein Thriller, der dir das Blut in den Adern gefrieren lässt! Spannung von der ersten bis zur letzten Seite.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Zitat

Prolog

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

Fünfter Tag

Sechster Tag

Siebter Tag

Achter Tag

Neunter Tag

Letzter Tag

Nachwort des Autors

Danksagung

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

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Über dieses Buch

 

In einem Kölner See stoßen Hobbytaucher auf eine Frauenleiche – gekleidet in ein Hochzeitskleid, fest mit Folie umwickelt und auf makabere Weise verstümmelt. Und das Grauen nimmt kein Ende: Die Polizei entdeckt vier weitere tote Bräute in dem See.

Martin Abel, der beste Fallanalytiker des Stuttgarter LKA, und seine Kollegin Hannah Christ werden an den Rhein beordert. Sie sollen den Kölner Kollegen bei der Suche nach dem perversen Serienkiller helfen. Schon bald ergibt sich ein derart verstörendes Bild der Taten, dass deren Details niemals an die Öffentlichkeit dringen dürfen. Zugleich läuft Abel und Christ die Zeit davon: Ein weiteres Opfer befindet sich in der Gewalt des Killers …

»Blutdämmerung« ist der zweite Fall für Martin Abel und Hannah Christ. Ein Thriller, der dir das Blut in den Adern gefrieren lässt! Spannung von der ersten bis zur letzten Seite.

RAINER LÖFFLER

BLUTDÄMMERUNG

THRILLER

 

Als sie ertrunken war und hinunterschwamm,von den Bächen in die größeren Flüsse,schien der Opal des Himmels sehr wundersam,als ob er die Leiche begütigen müsse.Tang und Algen hielten sich an ihr ein,sodass sie langsam viel schwerer ward.Kühl die Fische schwammen an ihrem Bein.Pflanzen und Tiere beschwerten noch ihre letzte Fahrt.Und der Himmel ward abends dunkel wie Rauchund hielt nachts mit den Sternen das Licht in der Schwebe.Aber früh ward es hell, dass es auchnoch für sie Morgen und Abend gebe.Als ihr bleicher Leib im Wasser verfaulet war,geschah es (sehr langsam), dass Gott sie allmählich vergaß.Erst ihr Gesicht, dann die Hände und zuletzt erst ihr Haar.Dann ward sie Aas in den Flüssen mit vielem Aas.

Bertolt Brecht –

Vom ertrunkenen Mädchen (1920)

Prolog

Sechs Minuten noch. Sechs Minuten!

Du presst die Lippen zusammen, als du daran denkst, wie lange du noch warten musst. Du hast sie vor ein paar Wochen entdeckt, als dich deine wachsende innere Unruhe wieder hierhergetrieben hat. Für einen Moment hast du tatsächlich versucht, nicht hinzuschauen, ja, du hast es wirklich versucht!

Aber als du es dann doch getan hast, bist du zusammengezuckt. Mein Gott, ist sie das tatsächlich? Deine nächste Braut, nach der du schon so lange suchst?

Sie ist nicht so groß wie deine Jeanny, und ihre Frisur stimmt ganz und gar nicht. Aber abgesehen davon ist sie so nah dran wie noch keine vor ihr.

Das Lachen. Die hervorstehenden Rippen. Und vor allem die Füße.

Nahe am Ideal. Allein schon der Gedanke an die Dinge, die du mit ihr tun wirst, lässt dich schwindeln.

Während du dich mit der Seilbahn in gemächlichem Tempo der optimalen Position näherst, holst du dein Zoom-Fernglas aus dem Rucksack. Das Nikon hat eine bis zu 22-fache Vergrößerung. Das Sichtfeld ist zwar recht klein, aber es hat dir bereits unschätzbare Dienste erwiesen. Du nimmst die Schutzkappen ab, verbirgst das Fernglas unter der linken Achsel und wartest, bis das Mädchen ins Blickfeld kommt.

Die Aussicht rüber nach Deutz interessiert dich dabei nicht. Weder der Dom noch die Hohenzollernbrücke und auch nicht der Rheinpark.

Du bist heute hier, um eine Entscheidung zu treffen.

Die folgenden Minuten kommen dir vor wie eine Ewigkeit. Aber wenn es sein muss, dann kannst du warten. Trotz der Gier, die in dir tobt.

Dann endlich ist es so weit. Gleich wirst du sie sehen. Du bist sicher, dass sie da ist. Immer montags und immer zwischen drei und vier Uhr nachmittags ist sie bisher gekommen. Also wird sie dich auch heute nicht enttäuschen. Es muss so sein!

Vorsichtig schaust du dich noch einmal um, dann setzt du das Fernglas an die Augen. Du hast nur ein paar Sekunden, in denen du sie beobachten kannst, du musst also schnell und präzise arbeiten. Wenn du patzt, ist der kostbare Moment für immer vorbei.

Sorgfältig beginnst du, das Gelände abzusuchen. Dein Blick rast über das Gelände, verschwommenes Grün, wertlose Details, nicht das, was du suchst. Du musst dich konzentrieren. 

Du presst die Okulargummis so fest gegen deine Augen, dass es schmerzt. Du brauchst einen Fixpunkt. Etwas, woran du dich orientieren kannst …

Da ist sie! Sie schaut direkt hinauf zu dir, gerade so, als hätte sie auf dich gewartet! Ihr Gesicht füllt das ganze Blickfeld aus. Herrlich. Und sie ist Jeanny wirklich ähnlich, obwohl das am Ende doch gar keine so große Rolle spielt.

Geht doch nichts über pünktliche Frauen, denkst du zufrieden, lässt den Blick an dem göttlichen Körper hoch und runter wandern. Aufmerksam beobachtest du die Szene, die sich unter dir abspielt. Du hast nur wenige Augenblicke und musst dir deiner Sache absolut sicher sein. Deine Hände zittern, während du das Mädchen fokussierst. 

Doch. Das Miststück hat es tatsächlich getan. Etwas, das auch Jeanny in ihrer Schamlosigkeit getan hätte! Hättest du das nicht verdammt noch mal voraussehen müssen? Bei einem Mädchen, dass sich hier fast nackt herumtreibt? Wahrscheinlich kommst du nicht daran vorbei, deine Strategie komplett zu überdenken. Solange du deine Liebchen an so einem Ort suchst, ist es kein Wunder, dass du es mit verluderten Biestern zu tun bekommst.

Ärgerlich willst du das Fernglas wieder zurück in den Rucksack packen, als du plötzlich zögerst.

Sie sieht Jeanny tatsächlich ausgesprochen ähnlich. Und die Beine sind unglaublich. Und du hast ja deine Spiegel. Wenn du es richtig anstellst, würdest du es so hinkriegen, dass es alles Bisherige übertrifft. Willst du dir das wirklich entgehen lassen?

Du setzt das Glas wieder an, aber der Moment ist vorbei, sie ist verschwunden. Trotzdem spürst du, dass die Entscheidung gefallen ist.

Du wirst sie dir nehmen und ihr diese Schweinereien austreiben. Ein für alle Mal.

*

Die Ausrüstung im Kofferraum des Toyota RAV4 polterte gegeneinander, als Benjamin Matthes den Wagen ruckartig runter von der Hauptstraße auf den schmalen Feldweg lenkte.

»Gute Idee«, meinte Sabrina Mahler und hielt sich am Handgriff über dem Beifahrerfenster fest. »Alles noch mal schön durchmischen, damit auch ganz bestimmt nichts heil bleibt.«

»Ach, mein Sonnenschein hat Angst?«, stichelte er. »Du musst einfach in meiner Nähe bleiben, dann kann dir nichts passieren. Und die Ausrüstung kontrolliere ich sowieso vor jedem Tauchgang.«

»Na, wenn du das sagst!« Sabrina sah zum Fenster hinaus. Im nächsten Moment runzelte sie die Stirn. »Hey, war das nicht ein Betreten-Verboten-Schild? Wo zum Teufel bringst du mich hin, Bennie?«

»Ins Paradies, das hab ich doch gesagt. Mach dir keine Sorgen. Ist bloß ein kleines Naturschutzgebiet. Schön einsam. Und solange wir nicht auf einen Molch treten, passiert niemandem irgendwas«, fügte er hinzu, als er ihren skeptischen Gesichtsausdruck sah. Er kannte sie aus der Biologie-Vorlesung und wusste, dass sie eigentlich ziemlich taff war. Trotzdem wollte er auf keinen Fall riskieren, dass sie jetzt noch kalte Füße bekam. Gerade jetzt, wo die Sache anfing, spannend zu werden.

»Na gut, solange du mir versprichst, dass du nichts Illegales mit mir vorhast.« Sabrina sah ihn so übertrieben naiv an, dass Matthes lachen musste.

Er ließ den Wagen langsam im zweiten Gang den Weg entlangrollen, um möglichst wenig Lärm zu verursachen. Bis zur Siedlung waren es zwar zweihundert Meter, und ein bisschen Wald war auch dazwischen. Aber man konnte ja nie wissen, wer in Weidenpesch auf der Lauer lag. Militante Tierschützer gab es inzwischen fast überall.

Eine Minute später erreichten sie das Ufer des größten Teichs am Ginsterpfad, der durch einen schmalen Deich in zwei fast gleich große Hälften geteilt wurde. Die beiden Wasserflächen schimmerten so intensiv türkis, dass man sich fast wie in der Karibik vorkam.

»Mein Gott, das ist ja unglaublich hier«, rief Sabrina und sprang aus dem Wagen. Verträumt breitete sie die Arme aus und hielt das Gesicht in die heiße Nachmittagssonne. »Jetzt weiß ich, was du mit Paradies gemeint hast!«

»Alles nur für dich.« Er lächelte zufrieden. Offenbar hatte er den richtigen Ausflugsort ausgesucht. Das konnte ja noch ein richtig netter Abend werden.

»Ich fahre den Wagen ans Wasser, dann müssen wir die Flaschen nicht so weit tragen.« Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr bis kurz vor den Kiesstrand des tieferen der beiden Seen, zwischen zwei Büsche. Falls doch jemand vom Ordnungsamt Patrouille lief, blieben sie so vielleicht verborgen. Und wenn nicht, war ihm der Spaß mit Sabrina das Bußgeld allemal wert.

Er stieg aus, öffnete die Heckklappe des SUV und begann mit dem Ausladen. Die Taschen mit der Tauchausrüstung stellte er auf den Boden, aber die schweren Sauerstoffflaschen ließ er im Wagen. So konnten sie sie leichter aufsetzen und umschnallen, wenn sie in den Anzügen steckten.

Sabrina kam zum Wagen und schaute interessiert zu, wie er die Sachen aus den Taschen holte und damit zwei getrennte Stapel bildete. Dabei blieb ihr sein muskulöser Körper ebenso wenig verborgen wie sein neugieriger Blick auf ihre braungebrannten Beine. Sie war mit ihm zwar erst zweimal abends aus gewesen, beide Male in einer Gruppe. Aber offenbar hatte sie einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen. Er allerdings auch bei ihr …

»Schau mal, ich bin schon auf alles vorbereitet«, sagte sie und begann das Kleid langsam aufzuknöpfen. Matthes richtete sich auf und schaute lächelnd zu, wie sie einen Knopf nach dem anderem öffnete. Als sie damit fertig war, ließ sie das Kleid einfach fallen. Der Bikini darunter war der knappste, den sie besaß.

»Ups! Es ist aber auch so was von heiß hier«, sagte sie, wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht und kicherte.

»Das kannst du laut sagen!« Fasziniert betrachtete er ihre Figur. Er hatte sich ja viel ausgemalt, als er die vergangenen Tage an sie gedacht hatte, aber so perfekt hatte er sie sich nicht vorgestellt. Was für eine unglaubliche Figur. Er machte einen schnellen Schritt auf sie zu und nahm sie fordernd in die Arme. Als er sah, dass sie leicht ihre Lippen öffnete, zog er sie an sich und küsste sie. Oh Mann, wie lange hatte er darauf warten müssen! Und wie gut sie schmeckte!

Schließlich löste sich Sabrina aus seinem Griff und schob ihn kokett weg. »Ich glaube, du brauchst dringend eine Abkühlung, sonst wird das nichts mehr mit dem Tauchen. Du weißt doch, dass es erst mein zweites Mal ist, und wolltest mir ein bisschen was beibringen.«

Matthes lachte. »Na dann los!«

Er reichte ihr nacheinander ihren Overall mit Kapuze, die Tarierweste mit den Bleigewichten, die Maske und das Tauchermesser. Obwohl es ihm schwerfiel, sich nicht von ihrem Körper ablenken zu lassen, überwachte er jeden ihrer Schritte genau. Er hatte seinen Rescue Diver schon vor drei Jahren gemacht, aber Sabrina war im Prinzip tatsächlich eine komplette Anfängerin. Er war also für sie verantwortlich. Matthes kontrollierte deshalb sorgsam den Sitz ihres Overalls und half ihr beim Anlegen der Sauerstoffflasche. Auch den Tauchcomputer überprüfte er, ebenso die Funktion des Inflators. Zum Schluss reichte er ihr eine Taucherlampe zum Einhängen an ihrer Weste.

»Muss ich die Kapuze wirklich anziehen«, fragte sie und zog einen Schmollmund. »Das ist doch Gift für meine Frisur.« Sie griff in ihre vollen blonden Locken und schien darüber nachzudenken, was diesen mit dem engen Überzug alles angetan würde.

»Ja, zieh sie lieber über. Ich habe keine Ahnung, ob es in dem See eine Sprungschicht gibt, unter der es plötzlich kalt wird. Und um deine Frisur mach dir mal keine Sorgen. Die kommt heute vermutlich ohnehin noch durcheinander.«

»Ach ja?« Sie zog die Kapuze über den Kopf, konnte ein Grinsen aber nicht ganz unterdrücken.

Anschließend legte Matthes seinen Anzug an. Während die Sachen von Sabrina ausgeliehen waren, hatte er mittlerweile sein eigenes Equipment. In den Sommermonaten war er inzwischen fast jede Woche im Fühlinger See auf Tauchgang, die Anschaffung hatte sich also längst gelohnt.

Als er fertig war, schlüpfte er in seine Weste, die mit der Flasche im Kofferraum des Wagens stand. »So, jetzt wird’s kurz lustig«, sagte er und begann, mit den Tauchflossen in der Hand in den See hineinzulaufen. »Sieht zwar ein bisschen komisch aus, wenn man mit dem schweren Zeug gehen muss, aber dafür können wir gleich schweben.«

Sabrina folgte ihm nach vorne gebeugt, um das Gewicht der Sauerstoffflaschen auszugleichen. Da der Boden recht steil abfiel, konnten sie sich schon nach wenigen Metern hinsetzen, sodass ihnen das Wasser bis zu den Schultern stand. Lachend zogen sie ihre Taucherflossen an.

»Okay, du weißt noch, wie der Tauchcomputer und das mit der Tarierung funktioniert?«

»Das bekomme ich gerade noch hin. Mein Resortkurs in Thailand ist zwar schon ein Jahr her, aber so was vergisst man nicht.«

»Na, dann komm. Der See ist nur zehn oder zwölf Meter tief, da reicht die Luft locker eine Stunde. Du brauchst hier beim Auftauchen auch nicht zu dekomprimieren, mach einfach langsam, und halte auf keinen Fall die Luft an, sonst reißt deine Lunge. Okay, wir gehen jetzt also erst mal auf zwei Meter, damit du dich wieder an die Ausrüstung gewöhnen kannst. Dann geht’s langsam abwärts, und wir drehen ein paar Runden. Das hier ist eine alte Kiesgrube, außer Kröten und Wasserpflanzen wird’s also vermutlich nicht viel zu sehen geben. Aber vielleicht haben wir auch Glück und finden einen verschollenen Piratenschatz?« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

Sabrina war sofort von der Stille unter Wasser gefangen. Von einer Sekunde zur anderen gab es keine zwitschernden Vögel und kein Bäumerauschen mehr, sondern nur noch das Blubbern der ausgeatmeten Luft. Schon als Kind im Freibad hatte es sie fasziniert, wie still es unter Wasser war. Aber da hatte es immer noch das dumpfe Planschen und Schreien anderer Kinder gegeben.

Hier in diesem See jedoch gab es fast nichts.

Das Wasser war überraschend klar, sodass sie dicht unter der Wasseroberfläche sehr deutlich sehen konnte. Auch Matthes, der sich zwei Meter neben ihr befand und die Tarierung seiner Taucherweste einstellte, konnte sie gut erkennen. Sie schwamm ein kleines Stück in den See hinaus und drehte sich dabei spielerisch um die eigene Achse, sodass sie Matthes abwechselnd den Rücken und das Gesicht zudrehte. Als sie langsam tiefer sank und der Druckschmerz im Kopf zunahm, presste sie ihre Nase zu und blies ihre Ohren frei. Sofort war der Schmerz verschwunden.

Matthes hatte sie dabei beobachtet und formte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zu einem Kreis – alles in Ordnung. Dann zeigte er mit dem Daumen nach unten. Sie signalisierte ebenfalls ein Okay und tauchte tiefer.

Mit jedem Meter, den sie hinabsanken, wurde die Sicht schlechter. Als sie auf acht Metern waren, konnte sie gerade noch eine Körperlänge weit sehen, und das Wasser wurde plötzlich deutlich kälter. Als sie zur Seite schaute, bewegte Matthes den rechten Arm vor und zurück: Sie sollte die Tiefe halten. Sabrina signalisierte erneut ein Okay und schwamm dann vorsichtig weiter. Solange sie keinen Druck auf den Ohren bekam, konnte sie davon ausgehen, dass sie nicht tiefer sank. Sie beachtete ihren Tauchcomputer daher vorerst nicht mehr, sondern paddelte mit langsamen und fließenden Bewegungen voran.

Wenige Meter weiter – sie vermutete, dass sie ungefähr die Mitte des Sees erreicht hatten – schälte sich plötzlich eine schräg im Wasser stehende Kontur aus dem Halbdunkel. Matthes und sie verharrten kurz, dann schwammen sie neugierig darauf zu. Zunächst hielt Sabrina das unbekannte Ding für einen Baumstamm, doch als sie näher kamen, erkannte sie, was es war: das vollkommen mit Algen überwachsene Stahlgerippe eines alten Kiesbaggerauslegers.

Matthes wusste, dass die Teiche und Seen am Ginsterpfad ehemalige Kiesgruben waren, die man überall in der Gegend für Bauzwecke ausgehoben hatte. In diesem See hatte man offenbar nicht einmal schnell genug das Gerät wegräumen können, bevor alles voll Grundwasser lief. Er mochte diese Zufallsfunde, denn nichts war unter Wasser interessanter als Dinge, die da nicht hingehörten.

Langsam schwammen sie das letzte Stück zum Bagger hinüber. Matthes hielt sich an der Metallkonstruktion fest und spähte weiter nach unten. Was sich da wohl noch verbergen mochte? Er hatte durchaus Lust, es herauszufinden. Und genug Sauerstoff blieb ihnen definitiv, schließlich waren sie erst knapp zwanzig Minuten unterwegs.

Er signalisierte Sabrina, weiter runter zu gehen. Ihr Okay kam etwas zögerlich, aber das war vermutlich nur die Aufregung. Also begann er, sich langsam weiter nach unten vorzuarbeiten, immer dem Ausleger folgend. Weit konnte es bis zum Seegrund ja nicht mehr sein.

Sabrina musste noch drei Mal anhalten und den Druckausgleich machen, bis sie ganz unten waren. Hier war es bereits so dunkel, dass sie ihren Tauchpartner nur noch als Schemen ausmachen konnte, obwohl er kaum eine Armlänge entfernt war. Sie sah auf ihren Tauchcomputer und las fünfzehn Meter ab – der See war also tiefer als angenommen. Obwohl sie wusste, dass sie sich in einem völlig harmlosen Baggerloch befand, beunruhigte sie das Gefühl, praktisch nichts von ihrer direkten Umgebung sehen zu können. Wenn sie ehrlich war, wäre sie gern wieder aufgetaucht, so unheimlich war ihr zumute. Aber sie wollte sich auf keinen Fall vor Benjamin eine Blöße geben. Nicht heute.

Der Baggerarm ragte aus einer großen Plattform hervor, die zum Teil im Grund verborgen war. Benjamin merkte offenbar, dass sie sich nicht wohl fühlte, und signalisierte ihr, am Ausleger zu bleiben, während er sich die Plattform kurz näher anschaute. Dankbar blieb sie, wo sie war, und hielt sich an dem Metallteil fest. Benjamin gab ein Okay und verschwand dann langsam in der Dunkelheit.

Da war sie nun. Auf dem Grund eines ihr unbekannten Sees. Allein mit den wenigen Geräuschen der kalten und dunklen Unterwasserwelt. Allein mit ihren Gedanken. Ihren Ängsten.

Allein.

Sabrina schaute sich um. Außer dem rostigen, mit Algen überwucherten Bagger war nichts zu erkennen. Benjamin war von ihr aus gesehen nach links verschwunden und nicht mehr zu sehen. Rechts von sich konnte sie ein kleines Stück weit den Umriss der Plattform ausmachen, doch dahinter – absolute Dunkelheit. Sabrina rückte noch näher an den Ausleger heran, weil ihr das ein Gefühl von Sicherheit vermittelte. Verdammt, wo blieb Benjamin? Wenn sie doch nur etwas sehen könnte oder ihm ein Zeichen geben …

Plötzlich fiel ihr die Taschenlampe ein, die er ihr gegeben hatte. Ihre rechte Hand tastete danach und fand sie sofort. Erleichtert schaltete sie sie ein. Als der helle Lichtstrahl durch das finstere Wasser fuhr, fühlte sie sich augenblicklich besser. Sie leuchtete nach links, dorthin, wo Benjamin verschwunden war. Vielleicht konnte sie ihn ja dadurch auf sich aufmerksam machen. Nachdem sie eine Weile mit der Taschenlampe herumgefuchtelt hatte, hielt sie sie zur anderen Seite. Auch hier bewegte sich nichts, und sie wollte sich schon wieder abwenden, als der Lichtstrahl auf einen merkwürdig geformten Umriss traf.

Irgendetwas ragte dort hinten über den Rand der Plattform hinaus. Irgendetwas Großes und Dunkles.

Sabrina drehte sich einmal um ihre Längsachse: von Benjamin immer noch keine Spur. Sie überlegte kurz. Wenn sie zu dem Objekt tauchte und nachsah, worum es sich handelte, könnte er den Schein ihrer Lampe mit Sicherheit sehen, wenn er in der Zwischenzeit zurückkam. Außerdem würde sie nur ein paar Sekunden weg sein – was sprach also dagegen?

Sie warf einen letzten Blick nach links und tauchte dann in die andere Richtung zum Rand der Plattform. Ein paar Flossenschläge genügten, und sie hatte die Distanz überwunden. Sabrina hielt ihre Lampe nach unten und strahlte das unförmige Ding an.

Was zur Hölle ist das? Der Gegenstand war etwa zwei Meter lang, schmal und komplett mit Algen überwuchert. Mit seinem oberen Ende hing er an der rostigen Kante der Plattform fest, der größere Teil ragte zum Seegrund hinunter.

Sie stutzte. Es sah fast so aus, als ob das Ding hier versenkt worden wäre und sich im Baggergestell verfangen hätte. Als sie sich genauer umsah, bemerkte sie unterhalb davon weitere, identische Gegenstände.

Vorsichtig entfernte sie die Algenschicht mit der linken Hand und stieß auf eine dicke Plastikplane. Als sie diese näher betastete, spürte sie darunter etwas Hartes. Jemand hatte etwas eingewickelt und in dem See versenkt. Bauschrott vielleicht? Sperrmüll?

Sabrina leuchtete die Plane über die ganze Länge ab und sah, dass eine Schnur darumgewickelt war. Sie war durch kräftige Metallösen am Rand der Plane gezogen und gut verzurrt worden.

Unschlüssig spähte sie in die Richtung, wo sie Benjamin vermutete, aber der ließ sich immer noch nicht blicken. Egal, dachte sie, obwohl sich ihr Puls angesichts des geheimnisvollen Fundes deutlich beschleunigt hatte. Jetzt will ich es doch genau wissen! Sie nahm die Taschenlampe in die linke Hand und tastete nach dem Tauchermesser, das an ihrer Wade befestigt war. Sie zog es heraus und zerschnitt die Schnur mit einem kräftigen Ruck.

Obwohl durch das Wasser gebremst, schnellte die Plane förmlich auseinander. Gleichzeitig stiegen ein paar große Luftblasen daraus hervor und schwebten nach oben. Der Gegenstand darunter blieb noch verborgen, ein paar Handgriffe genügten jedoch, um ihn endgültig freizulegen.

Im ersten Moment dachte Sabrina, sie hätte eine riesige Glasflasche ausgepackt. Obwohl es hier unten fast kein Licht gab, schien die Oberfläche des Gegenstands zu glänzen. Sie strich mit ihrer Hand darüber. Das Objekt war tatsächlich vollkommen glatt.

Neugierig richtete sie die Taschenlampe darauf und erkannte, dass die glänzende Schicht nur eine Art Folie war, die das eigentliche Ding verbarg. Sie ging näher heran und sah darunter zu ihrer Verwunderung die Struktur einer hellen Textilie.

Merkwürdig. Ihr wollte beim besten Willen nichts aus Stoff einfallen, was jemand in einem See hätte versenken sollen. Kurzentschlossen zog sie erneut ihr Tauchermesser und stieß es in der Mitte des länglichen Dings durch die gespannte Folie. Sofort bildete sich ein Spalt, durch den Luftblasen hervorquollen. Ermutigt zog sie das Messer nach oben, wodurch sich der Spalt vergrößerte und tatsächlich etwas zum Vorschein kam, das wie ein dünnes, weißes Textilgewebe aussah. Sie schnitt weiter bis zum oberen Ende des Gegenstands und an seiner Rückseite noch ein Stück herunter. Dann steckte sie ihr Messer wieder weg und zog den Spalt in dem Plastik, so weit es ging, auseinander.

Im nächsten Moment hörte ihr Herz für Sekunden auf zu schlagen.

Befreit von der Umklammerung dauerte es nur wenige Sekunden, bis sich der Schleier auf dem Kopf der Toten im Wasser ausbreitete. Mit langsamen, anmutigen Bewegungen schwebte das Spitzengewebe um das bleiche Gesicht der Frau. Das künstliche Licht der Taschenlampe unterstrich die Blässe der Leiche noch, sodass sie in ihrem weißen Brautkleid aussah wie eine wunderschön drapierte Wachspuppe. Ihr weit aufgerissener Mund war wie zu einem letzten Schrei geöffnet.

Sabrina brauchte einige Augenblicke, bis sie begriff, was sie da anstarrte.

Mit einem Schrei stieß sie die Leiche von sich und begann wie wild zu strampeln, Luftblasen brodelten an ihrem Gesicht vorbei, während sie mit hektischen Flossenschlägen nach oben strebte.

Rauf, bloß rauf zum Licht! Ihre Arme ruderten wie rasend. Noch während sie mit erlahmenden Beinen Wasser trat, spürte sie plötzlich ein furchtbares Brennen in den Lungen. Trotzdem strampelte sie weiter, weg von der toten Frau in diesem Teufelssee und der rettenden Helligkeit über ihr entgegen.

Doch im selben Moment, als sie endlich die Wasseroberfläche durchstieß, zuckte ein furchtbarer Schmerz durch ihre Lunge. Für einen kurzen Moment sah sie in greifbarer Nähe das Ufer vor sich, verzweifelt streckte sie ihre Arme danach aus – dann schoss ein Schwall Blut aus ihrem Mund, und die Welt wurde schwarz.

*

18.50 Uhr, Polizeipräsidium Köln-Kalk, Walter-Pauli-Ring

Manchmal, an Tagen wie diesen, an denen er vor lauter Telefonaten und Besprechungen keine einzige Sekunde zum Nachdenken kam, konnte Konrad Greiner glauben, dass mit seinem Leben alles in Ordnung war.

Er erfüllte seine Aufgaben mit der von ihm erwarteten Präzision. Er stellte seine eigenen Bedürfnisse hinten denen anderer Menschen zurück, um Verbrecher zu jagen, die ihnen etwas angetan hatten. Und natürlich war er für jeden seiner Mitarbeiter rund um die Uhr ansprechbar.

Er funktionierte perfekt.

Oh ja, er funktionierte – aber glücklich war er nicht.

Niemand im KK11 wusste das, und das sollte auch so bleiben. Trotzdem war es eine Tatsache, die ihn in jedem freien Augenblick beschäftigte.

Greiner saß in seinem schweren Ledersessel, die Hände über seinem mächtigen Bauch gefaltet. Die letzte Fallakte, die er heute durchgearbeitet hatte, lag vor ihm auf dem Schreibtisch, der ansonsten blitzblank aufgeräumt war. Greiner liebte Ordnung. Sie machte vieles so einfach. Und sie war ein mächtiges Instrument. Sein Talent für Ordnung hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass er werden konnte, was er heute war: der von allen Seiten respektierte Erste Hauptkommissar mit einer beeindruckenden Aufklärungsquote.

Aber das war nur die eine Hälfte der Geschichte, die eine Hälfte seines Lebens. In der anderen herrschte Chaos statt Ordnung. In dieser Hälfte war er ein Versager, der es nicht fertigbrachte, der Frau, die er liebte, den einzigen Wunsch zu erfüllen, den sie ihm gegenüber formulierte.

Greiner öffnete die oberste Schreibtischschublade und griff hinein. Er wusste blind, wo die Schokoriegel lagen. Rechts die mit Nüssen, links die mit Karamellcreme. Die mit Nüssen schmeckten ihm besser, aber Karamellcreme war effektiver: Die betäubende Wirkung des Zuckers setzte schneller ein. Und das war schließlich der Sinn dieser ungesunden Übung. Greiner nahm einen Riegel aus der linken Ecke, riss die Verpackung auf und verschlang ihn mit kaum zwei Bissen. Erleichtert lehnte er sich wieder zurück und genoss das süße Gefühl der Entspannung, das sich in seinem Körper ausbreitete. Im selben Augenblick wurde er jedoch zornig auf sich selbst, weil er zu dieser Ersatzbefriedigung wieder nicht hatte nein sagen können und dem wahren Grund für seine Frustration ausgewichen war.

Eine Sekunde lang überlegte er, ob er nicht ins Vorzimmer hinausgehen und mit Judith reden sollte, um das Problem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Dann fiel ihm ein, wie sein letzter Versuch ausgegangen war, und er sackte in sich zusammen.

Im nächsten Moment kam Judith mit einem Zettel in der Hand in sein Büro. Sie sah ihn ernst an.

Greiner sprang auf. »Judith! Ich …«

Seine Assistentin unterbrach ihn kühl. »Egal, was du sagen willst: Lass es!«

»Können wir nicht wie zwei normale Menschen …?«

»Sei still, lies das!« Judith Hofmann reichte ihm den Zettel und verschränkte die Arme. Ihrem Gesicht war nicht anzusehen, was sie dachte.

Greiner nahm widerwillig das Papier. Verzweifelt überlegte er, was er tun konnte. Als er ihrem Blick nicht länger standhielt, sah er auf den Zettel.

Er las den Text, einmal und gleich danach ungläubig ein zweites Mal. Als er die Bedeutung des Inhalts endlich akzeptiert hatte, ließ er sich langsam in seinen Sessel zurückfallen und starrte Judith fassungslos an.

»Großer Gott«, stieß er dann hervor. »Sag, dass das nicht wahr ist!«

Erster Tag

Na, nervös?« Hannah tätschelte mit der Rechten Abels Oberschenkel, während sie mit der Linken ihren Wagen auf der holprigen A5 in der Spur hielt. Die Strecke von Freiburg nach Karlsruhe würde zweifellos ein Musterstück der Autobahnbaukunst werden. Wenn irgendwann mal die tausend Baustellen weg waren.

Martin Abel löste den Blick von der tristen Aussicht aus dem Beifahrerfenster und schaute Hannah an. Ihr sinnlicher Mund ließen ihn an den letzten Abend denken.

»Warum nervös? Ist doch nur ein ganz normaler Besuch bei meiner Ex-Frau in meinem Ex-Haus, wo wir darüber reden wollen, wie oft ich meine Ex-Kinder sehen darf.«

Hannah lächelte ihm aufmunternd zu. »Red keinen Stuss. Emilia und Phillip sind und bleiben deine Kinder. Das wird schon gutgehen. Seit du aus dem Krankenhaus raus bist, war Lisa doch kooperativ, oder?«

Abel antwortete nicht. Sie hatten sich zwar versprochen, immer offen über dieses Thema zu reden. Aber das hieß nicht, dass er gerne daran erinnert wurde, was der Serientäter in Köln letztes Jahr mit ihm angestellt hatte. Gerade heute nicht. Da hatte er genügend andere Probleme.

»Fahr einfach weiter, immer der Hölle entgegen«, sagte er schließlich. »Ich esse jetzt erst mal einen Apfel, damit ich nachher Georgs Gesicht besser ertrage. Auf leeren Magen packe ich das nicht.«

Das Haus lag in Steinenbronn, nicht weit von der Böblinger Panzerkaserne. Eine ältere Doppelhaushälfte, die Abel – als es noch sein Haus gewesen war – mit großem Aufwand hatte renovieren lassen. Obwohl es an sich nichts Besonderes darstellte, war es doch der Ort, wo sich wichtige Abschnitte seines Lebens abgespielt hatten. Als Hannah vorfuhr, signalisierte ihm ein leichtes Ziehen in der Magengegend, dass noch nicht alles vergessen war. Sie gaben sich einen letzten Kuss und stiegen aus.

»Martin, Hannah«, rief Lisa, als sie lachend die Tür öffnete. »Ihr seid ja überpünktlich. Jetzt muss ich ganz schnell die Nudeln in den Topf werfen, damit es keine Beschwerden gibt. Hey, du siehst gut aus, Martin. Der Anzug steht dir, macht dich richtig schlank.«

»Du meinst sicher, er betont meine ohnehin vorhandene, natürliche Schlankheit.«

Sie lachte und drückte ihn herzlich, was ihm wegen Hannah ein wenig unangenehm war. Den spitzbübischen Blick, den sich die beiden zuwarfen, zeigte ihm aber, dass seine Sorgen überflüssig waren. Sie hatten sich während der letzten Monate angefreundet und telefonierten sogar regelmäßig. Abel wusste nicht, worüber sie dabei redeten, aber wahrscheinlich drehte sich alles, wie bei Frauen üblich, um die neueste Handtaschenmode und natürlich seine Sünden.

Abel warf einen beiläufigen Blick auf Georg, der hinter Lisa stand. Mitte vierzig, durchtrainiert und im Solarium zu gesunder Bräune geröstet. Seinen Tag verbrachte der Zahnarzt entweder in seiner Privatpraxis oder auf dem Golfplatz. Beides Orte, zu denen es Abel definitiv nicht hinzog.

Der Mann aus einer anderen Welt würdigte ihn wie immer bei ihren Besuchen keines Blickes. Abel begrüßte das. Innerhalb kürzester Zeit waren sie nämlich zu der stillen Übereinkunft gekommen, dass sie am besten miteinander klarkamen, wenn sie sich ignorierten. Abel war für Georg ein Schandfleck im Leben seiner neuen Partnerin, über den man kein Wort verlor. Umgekehrt stellte Georg für Abel das dar, was er definitiv nicht sein konnte und auch nicht sein wollte.

Ein makelloser Lackaffe.

Dabei hatte sich Abel wirklich alle Mühe gegeben. Na ja, zumindest für seine Verhältnisse. So sah er darüber hinweg, dass Georg bei jedem ihrer Treffen von seinen neuesten Kochkursen nach Jamie Oliver schwärmte. Ebenso ignorierte er die blumigen Geschichten von seiner Aquarell-Phase und der nachfolgenden Hinwendung zur Ölmalerei. Auch die heroischen Beschreibungen der Tauchgänge am Roten Meer samt Begegnungen mit Hammerhaien konnten Abel nicht ernsthaft ärgern.

Unangenehm wurde es für ihn erst, als dieser Supermann begann, eine elektrische Gitarre samt Verstärker im Wohnzimmer aufzubauen und Stairway to Heaven zu spielen. Abels Hymne und das Lied, mit dem er sich selbst das Gitarrespielen beigebracht hatte, besudelt von einem miesen kleinen Angeber. Noch auf der Heimfahrt hatte Abel seine selbstgebrannte Rock-CD aus dem Fenster geworfen.

Aber selbst das hätte er zur Not noch ertragen. Hannah, Lisa und den Kindern zuliebe hätte er das geschafft. Richtig ernsthaft störte ihn an Georgs Verhalten nur eines: Dass er sich gegenüber Phillip und Emilia wie ein Ersatzvater aufspielte, der mehr zu sagen hatte als Abel.

Phillip stand neben Lisa und drückte seinem Vater freundschaftlich die Hand. Seine dunklen Haare waren verstrubbelt, wobei Abel nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob er einfach ungekämmt war oder neumodisch gestylt. Mit seinen elf Jahren war Phillip schon über eins fünfzig, es konnte also nicht mehr lange dauern, bis er seiner Mutter über den Kopf wuchs. Als Abel ihn in den Arm nehmen wollte, wich sein Sohn aus.

»Hey, das ist voll out!«

Abel strich ihm durchs Haar und lächelte. »Okay, Großer. Ich will dich natürlich auf keinen Fall blamieren. Nicht dass deine Kumpels das mitbekommen.«

Emilia stand hinter ihrem Bruder und damit direkt vor Georg. Sie war jetzt neun und ein sehr schmales Mädchen geblieben. Ihre goldenen Locken umrahmten ihr Gesicht wie das eines Engels. Abel bekam einen trockenen Mund, als er sah, wie ihre großen blauen Augen ihn traurig anblickten. Gleichzeitig stockte sein Herz, als er wie jedes Mal die frappierende Ähnlichkeit mit Sarah, ihrer toten Schwester, feststellte. Mein Gott, wie schön sie ist!

Abel beugte sich zu ihr hinunter. »Na, mein Schatz«, sagte er vorsichtig. »Willst du deinen Papa nicht in den Arm nehmen?«

Emilia sah zu Georg hoch, der ihr eine Hand fest auf die Schulter gelegt hatte, und rührte sich nicht von der Stelle. Abel versteifte sich.

»Hallo, Papa.«

»Wie geht es dir?«

Emilia zuckte mit den Achseln. »Gut.«

»Und was hast du heute schon so gemacht?«

Ein weiterer Blick zu Georg. »Gechillt.«

Abel ließ seinen Arm sinken. Irgendetwas stimmt hier nicht. Er sah Georg an, der unbeeindruckt zurückstarrte. Dann blickte er wieder zu Emilia, die die Lippen zusammenpresste und schwieg.

Bevor er der Sache nachgehen konnte, unterbrach Lisa seine Gedanken. »Jetzt kommt doch rein«, sagte sie und zog ihn ins Haus. »Wo die Garderobe ist, weißt du ja sicher noch.«

Der restliche Nachmittag verlief so angenehm, wie das unter den gegebenen Umständen möglich war. Während Georg kochte, erzählte Lisa alte Geschichten, über die alle, außer Abel manchmal, lachten. Hannah hörte fasziniert zu und fragte nach weiteren Details aus seiner Vergangenheit. Georg lächelte währenddessen so jovial, als ob er der alleinige Grund dafür sei, dass Lisa mit dieser Zeit abgeschlossen hatte und nun endlich ein glückliches Leben führen konnte.

Martin Abel ertrug dies alles in dem Wissen, dass dieser Besuch wichtig war, wenn er die Kinder öfter sehen wollte als bisher. Er hatte sich jetzt schon so lange zusammengerissen und gezeigt, dass er absolut zuverlässig war, da würde er sich doch heute keine Blöße geben. Er musste nur die richtige Gelegenheit für seinen Vorstoß abwarten.

Die ganze Zeit über spürte er jedoch auch, dass irgendetwas in der Luft lag. Etwas Furchtbares, das er genau dann erfahren würde, wenn es ihm am meisten weh tat. Er sah es an den verschwörerischen Blicken, die Lisa und Georg sich ständig zuwarfen, und an den ernsten Gesichtern seiner Kinder Emilia und Phillip.

Irgendwann, nachdem sie gegessen und Georgs Kochkünste angemessen bewundert hatten, fing Lisa an, den Tisch abzuräumen.

»Kommt, lasst uns ein bisschen auf dem Sofa rumlümmeln und ein Glas Wein trinken. Wollt ihr nicht eine Flasche für uns aussuchen, Jungs?«, sagte sie an Georg und Martin gewandt. »Und ihr macht euch fertig fürs Bett, Kinder.«

Während Emilia und Phillip sich trollten, ging Georg zu der großen offenen Küche, als ob es seine wäre. Abel folgte ihm unwillig. Er wusste noch genau, wie viele Küchenstudios er mit Lisa hatte besuchen müssen, bis sie sich endlich für diese wunderschöne, lackweiße Oberfläche entscheiden konnte. Mindestens genauso gut erinnerte er sich an den horrenden Preis, der ein tiefes Loch in ihre Kasse gerissen hatte. Umso weniger hatte er Lust, gerade hier jemandem hinterherzulaufen, den er nicht mochte.

Georg öffnete den Weinkühlschrank. »Weiß oder rot? Ist ja beides perfekt temperiert. Schon eine tolle Sache mit diesen getrennten Kühlzonen.«

»Ich weiß. Ich habe das Gerät gekauft.«

»Ach, stimmt, du hast ja früher mal hier gewohnt. Aber das ist ja zum Glück schon lange her.« Georg schaute nicht auf, als er sprach. Stattdessen zog er eine Flasche Rotwein aus dem Kühlschrank und las das Etikett. »Ah, ein Château Poujeaux. Hey, der Jahrgang eurer Scheidung! Na, das ist doch mal ein guter Tropfen.«

»Stimmt, den haben Lisa und ich immer getrunken, wenn wir uns einen gemütlichen Abend zu zweit machen wollten. Du weißt schon«, erklärte Abel. »Kostet dreißig Euro die Flasche, aber das ist er wert.«

Georg sah ihn nun doch an. Dann ging er mit dem Wein zur Küchentheke und holte den Korkenzieher aus einer Schublade. Als er den Korken aus dem Flaschenhals gezogen hatte, schnupperte er an der Unterseite. Unvermittelt hielt er ihn Abel hin. »Und?«

Abel roch an dem Korken. »Wunderbar, ich hole die Gläser.«

Georg rümpfte die Nase. »Sag mal, riechst du das nicht? Der Wein korkt.«

»Der Wein korkt nicht. Der ist nur ordentlich trocken, aber das muss bei dem so sein.«

Georg schüttelte mitleidig den Kopf. »Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken, das hat schon Goethe gesagt.« Dann ging er zur Spüle und schüttete die Flasche weg. Martin Abel ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen.

»Spinnst du?«, fragte Abel. »Der Wein kann nichts dafür, dass du keine Ahnung von einem guten Tropfen hast. Und was meine Kinder betrifft …«

»Deine Kinder?« Georg runzelte die Stirn. »Sparen wir uns doch diese Mätzchen und reden wie erwachsene Menschen. Dir gehört hier nichts mehr, du bist ein ganz normaler Gast. Also sei froh, dass du das Haus noch betreten und ab und zu die Kinder sehen darfst.«

Er roch an der leeren Flasche und verzog das Gesicht. »Tja, dann hole ich mal etwas Ordentliches«, sagte er dann. »Mit verkorksten Sachen werde ich einfach nicht warm.« Er ging zurück zum Weinkühlschrank und zog die nächstbeste Flasche heraus. Ohne Abel weiter zu beachten, öffnete er sie und schlenderte zum Sofa, wo die anderen saßen.

Abel folgte mit ein paar Gläsern in der Hand und einer unglaublichen Wut im Bauch.

Als einige Minuten später die Kinder zum Gutenachtsagen kamen, hatte er sich wieder beruhigt. Phillip wollte sich immer noch nicht in den Arm nehmen lassen, aber Abel schaffte es, ihn trotzdem an sich zu ziehen. »Vergiss nicht«, sagte er leise, »dass du jetzt der Mann hier im Haus bist. Pass also immer gut auf unsere beiden Frauen auf. Klar?« Phillips Kinn hob sich ein wenig, und er nickte bestimmt. Georg trank derweil einen Schluck Wein und schien sich köstlich zu amüsieren.

Als Emilia zu Abel ans Sofa trat, nahm er sie dankbar in den Arm. Sie erwiderte seine Umarmung nicht so fest wie er, aber er spürte, wie sie sich leicht an ihn presste. Eine kleine Katze, die Schutz sucht.

Arme, zerbrechliche Emilia. Abel streichelte ihren Kopf und schnupperte an ihrem Haar, das so duftete, wie nur Kinderhaar es konnte.

»Versprich mir, dass du mich anrufst, wenn du mich brauchst?«, flüsterte er ihr so leise ins Ohr, dass es noch nicht mal Hannah hören konnte. »Okay, mein Schatz?«

Einige Sekunden nichts, dann ein winziges Nicken. Abel atmete erleichtert aus. Das Band zwischen ihnen war also noch da, und er wusste wieder, wie er den weiten Weg aus der Klinik in Köln und der langen Rehabilitation danach überhaupt hatte gehen können. Die Liebe zu Hannah und seinen Kindern hatte ungeahnte Kräfte in ihm freigesetzt.

»Zerdrück sie nicht«, riss ihn Lisa aus seinen Gedanken. »Sie wird noch gebraucht.«

Abel gab Emilia einen Klaps und löste sich unwillig von ihr. Nacheinander ging sie zu den anderen und wünschte ihnen eine gute Nacht. Dabei entging ihm nicht, dass Georg sie besonders innig und lange in die Arme nahm. Beim Hinausgehen blickte sie Abel ernst an und verschwand schließlich zusammen mit Phillip nach oben zu ihren Zimmern.

Abel spürte, dass es nun höchste Zeit war, Lisa sein Anliegen vorzubringen. Er lehnte sich zurück und überlegte, wie er es am besten formulieren sollte – da schlug Lisa mit einem kleinen Löffel ein paar Mal gegen ihr Weinglas.

Von einem Moment zum anderen waren alle Blicke auf sie gerichtet.

»Tja, nun, da die Kinder im Bett sind, können wir endlich zu den Erwachsenenthemen übergehen.« Sie lächelte Georg zu, der zufrieden die Lippen schürzte. »Wie ihr alle wisst, sind wir inzwischen ein paar Jährchen zusammen. Wir leben miteinander, wir machen gemeinsam Urlaub und haben sogar schon mal denselben Kochkurs besucht. Das funktioniert auch alles wirklich prima, es gibt absolut nichts, worüber ich mich beschweren könnte. Aber irgendwie«, sie sah Georg ernst an, »ist es doch nicht perfekt.«

Wieso bin ich nicht überrascht?, dachte Abel.

»Klar, in jeder Beziehung knirscht es mal, das brauche ich keinem der Anwesenden zu erzählen«, fuhr Lisa mit Blick auf Abel fort. »Aber mit zunehmendem Alter steigen die Ansprüche. Und wenn man wie wir schon eine Ehe hinter sich hat, dann ist der Wunsch, beim nächsten Mal alles perfekt zu machen, noch größer. Also muss man sich gut überlegen, was man tut.«

Sie legte ihre Hand auf Georgs Oberschenkel und schien die nächsten Worte genau abzuwägen.

Abel ahnte jedoch bereits, was jetzt kam. Lisa und Georg würden zusammenziehen. In Georgs Bungalow in Stuttgart-Degerloch. Sündhaft teure Hanglage mit Blick über das Lichtermeer der Stadt. Und vor allem natürlich weit weg von allen sozialen Kontakten, die Lisa und seine Kinder bisher hatten. Georg fädelte das wirklich sehr geschickt ein.

Umso mehr hoffte Abel, dadurch eine Vorlage für sein eigenes Anliegen zu bekommen.

»Wir haben lange überlegt und diskutiert, was wir tun können. Was noch fehlt. Fast wären wir sogar zu einer Partnerschaftsberatung gegangen. Letztes Weihnachten sind wir dann aber zum Glück selbst dahintergekommen, wo das Problem liegt. Georg hat mir eine unglaubliche Halskette geschenkt, ich war wirklich überwältigt. Aber als ich sie anlegte, merkte ich plötzlich, dass ich lieber etwas ganz anderes von ihm bekommen hätte.«

Lisa lächelte nochmals in Georgs Richtung und hob dann ihr Glas in die Runde. »Ja, Freunde, ihr wisst, worauf ich hinauswill. Ich wünsche mir von Georg einen Ring.«

*

Abel erstarrte. Seine Hände umklammerten die Armlehnen seines Stuhls so fest, dass seine Sehnen hervortraten.

»Was hast du da eben gesagt?«

Lisa strahlte in die Runde. »Wir werden heiraten! Ist das nicht wundervoll?« Sie hob ihr Glas und hielt es in Georgs Richtung.

Dieser lächelte sein schönstes Zahnarztlächeln und stieß mit ihr an. »Wer könnte dieser unglaublichen Frau schon widerstehen? Ich habe sie gesehen und gewusst, dass sie nur mir gehören darf.« Sein Blick streifte Abel beiläufig, und dieser verstand gut, wie das gemeint war.

»Na, wenn das mal keine Überraschung ist«, rief Hannah begeistert. »Gratuliere! Wann soll es denn so weit sein?«

»So genau haben wir uns das noch gar nicht überlegt.« Lisa schaute zu Georg. »Er hat in nächster Zeit ein paar Kongresse. Und die Praxis kann man ja auch nicht von heute auf morgen einfach dichtmachen, um in die Flitterwochen zu verschwinden. Aber ich denke, dass wir vielleicht im kommenden Frühjahr …« Ihr Blick fiel auf Abel. »Martin, was sagst du dazu? Findest du nicht auch, das war endlich fällig?«

Martin Abel rührte sich nicht. Ihm wurde klar, dass dieser Tag keineswegs so positiv ausgehen musste, wie er sich das erhofft hatte.

»Schön für euch«, presste er schließlich hervor. »Auf Dauer war es vermutlich unvermeidlich.«

»Oh ja, das war es!« Die Spitze schien Georg zu entgehen oder nicht zu beeindrucken. »Und für die Kinder sind klare Verhältnisse natürlich auch wichtig. So werde ich mich noch besser um sie kümmern können.«

Er legte einen Arm um Lisas Schulter und begann diese zu massieren. Natürlich saß er dabei so, dass Abel ausreichend Gelegenheit hatte, seinen Nachfolger in Lisas Gunst bei seinen Zuwendungen zu beobachten.

Abel schloss für einen Moment die Augen. Er versetzte sich gedanklich ein paar Stunden zurück und versuchte denselben emotionalen Zustand wiederherzustellen, den er vor dem Betreten dieses Hauses gehabt hatte. Als die Welt noch in Ordnung war und es Hoffnung auf bessere Zeiten gab. Es wollte ihm nicht gelingen. Ein paar Minuten hatten genügt, um seine Träume zu zerstören.

Abel öffnete die Augen und betrachtete die Wirklichkeit. In der nächsten Sekunde stand er auf.

»Komm, Hannah, wir gehen.« Ohne abzuwarten ging er in Richtung Garderobe und zog sein Jackett an.

»Was ist denn in dich gefahren?«, rief ihm Hannah hinterher. »Gerade jetzt, wo es interessant wird, willst du wieder nach Hause?« Zusammen mit Lisa und Georg eilte sie ihm nach, um ihn aufzuhalten.

»Du scheinst dich ja wirklich mächtig für uns zu freuen«, rief Lisa verärgert. »Wir erzählen dir von unseren Zukunftsplänen, und du hast nichts Besseres zu tun, als abzuhauen? Wo liegt dein Problem?«

Abel durchsuchte seine Taschen nach dem Autoschlüssel, bis ihm einfiel, dass Hannah gefahren war. Er griff nach ihrer Handtasche, die auf der Kommode stand, und begann darin herumzuwühlen, bis er ihn fand.

»Würdest du uns bitte erklären, was los ist?« Hannah sah ihn ernst an. »Wir wollten doch über Nacht bleiben und morgen einen Ausflug mit den Kindern machen.«

»Ja, bleib doch noch ein bisschen«, sagte Georg, der zu ihnen getreten war. »Ich möchte dir unbedingt noch etwas auf der Gitarre vorspielen.«

Abel starrte ihn an. Unwillkürlich stellte er sich die Erleichterung vor, die es ihm verschaffen würde, diesem Großkotz das Maul zu stopfen. Okay, sein Ansehen bei Lisa und Hannah könnte darunter leiden, aber der süße Schmerz auf seiner Faust konnte das allemal wettmachen.

Schmerzen hatte er in den letzten Jahren so viele ertragen müssen, dass er sie inzwischen als Teil seines Lebens betrachtete. Es gab also keinen Grund, sich gerade in diesem Fall zurückzuhalten.

Abel steckte langsam den Autoschlüssel in die Jackentasche und spannte die Muskeln an.

Dann machte er einen Schritt nach vorn.

Zweiter Tag

Wenn Hannah Christ eines wusste, dann, dass die ersten Minuten nach dem Aufwachen oft über den ganzen restlichen Tag entschieden. Wenn morgens die Weichen in die richtige Richtung gestellt wurden, war die Wahrscheinlichkeit für einen angenehmen Tag recht groß. Umgekehrt bedeutete ein flaues Gefühl nach dem Klingeln des Weckers meist ein dichtes Herunterprasseln von Katastrophen.

An diesem Tag war eindeutig Zweites der Fall. Martin saß ihr gegenüber und starrte in seine Kaffeetasse. Seine Laune war seit dem Aufstehen gleichbleibend mies, was sie, so gut es ging, zu ignorieren versuchte. Natürlich hatte er auch nicht geschlafen. Weder auf der wortkargen Heimfahrt im Auto, noch als er regungslos neben ihr im Bett gelegen hatte.

Sie wusste das, weil sie ebenfalls wach gewesen war und ihn nur deshalb nicht angesprochen hatte, da er sie spüren ließ, dass er in Ruhe gelassen werden wollte.

Aber jetzt … irgendwann musste Schluss sein mit diesem schmerzhaften Schweigen.

»Was wollen wir heute machen?« Hannah versuchte, entspannt zu klingen. »Wir könnten nach Basel fahren, unsere Schokoladenvorräte auffrischen. Oder nach Colmar auf einen Flammkuchen.« Sie betastete ihren Bauch. »Oder am besten beides. Mir knurrt schon der Magen, wenn ich nur daran denke.«

Erst nach ein paar Sekunden schienen ihre Worte bei ihm anzukommen. »Keinen Hunger«, sagte er dann und nippte gedankenverloren an seinem Kaffee. Als sie enttäuscht ausatmete, merkte er wohl, dass das zu dürftig war. »Und keine Zeit«, fügte er hinzu. »Ich schau mir nachher noch mal den Bericht aus Lörrach an. Die wollen, dass ich die Auffinde-Situation dieses Mannes begutachte, da sollte ich morgen …« Er verstummte, und seine Blicke kehrten zurück zu seiner Tasse.

»Das war gestern verdammt knapp mit Georg«, sagte sie ernst.

Abel stellte seinen Kaffee weg und rieb sich die Nasenspitze.

»Hättest du ihn geschlagen, wenn ich nicht dazwischengegangen wäre? Hättest du es wirklich getan?«

Er sah sie an und presste dann die Lippen zusammen. »Irgendetwas hätte ich getan. Tun müssen! Einfach nur, damit es mir besser geht.«

»Besser?« Hannah schüttelte den Kopf. »Du hast Lisa gehört: So wirst du die Kinder niemals länger bekommen als jetzt. Mein Gott, in manchen Dingen seid ihr Männer in eurer Evolution wirklich stehen geblieben. Auge um Auge, Zahn um Zahn, das ist doch tiefste Steinzeit!«

Abel richtete sich auf. »Manche Dinge ändern sich eben nie. Und Georg hat gezielt eine Grenze überschritten. Er wollte mich provozieren, und das ist ihm gelungen.«

»Er hat dich provoziert? Gut, Bescheidenheit gehört sicher nicht zu seinen Stärken. Aber was hat er dir konkret getan?« Sie überlegte einen Moment, ob sie ihre Vermutung aussprechen sollte. »Ist es wegen Lisa?«, fragte sie dann.

Abel sah sie perplex an. »Wie bitte?«

Hannah biss sich auf die Unterlippe. »Martin, ich bin nicht blind«, sagte sie dann ruhig, aber bestimmt. »Jedes Mal, wenn du sie siehst, bewegst du dich wie auf Samtpfoten. Wenn man genau hinhört, könnte man dich vermutlich sogar schnurren hören.«

Abel schüttelte ungläubig den Kopf. »Schon mal darüber nachgedacht, dass das mit den Kindern zusammenhängen könnte? Sobald ich mir auch nur den kleinsten Fehler erlaube, macht sie sich Sorgen, ich könnte ihnen schaden. Ich versuche ihr zu zeigen, dass ich mich zusammenreißen kann. Weshalb sind wir denn sonst nach Böblingen gefahren?«

»Das frage ich mich inzwischen auch«, antwortete Hannah ärgerlicher als beabsichtigt. Ihr war durchaus klar, dass sich Martins Gedanken größtenteils um Emilia und Phillip drehten, schließlich redete er fast ständig von ihnen. Aber sie war sich nicht sicher, ob das alles war, was ihn bewegte.

Hannah wollte schon nachsetzen, als sie den wütenden Blick bemerkte, mit dem Abel sie bedachte. Sofort sprang sie auf und lief zu ihm rüber auf die andere Seite des kleinen Tisches. Zärtlich griff sie ihm von hinten über die Schultern und schloss ihn in die Arme.

»Es tut mir leid, Schatz! Ich wollte dich nicht verletzen. Ich weiß doch, was dir die Kinder bedeuten.«

Abel atmete tief ein und hielt für einen Moment die Luft an. Als er sich wieder entspannte, tätschelte er ihre Hände, die auf seiner Brust lagen.

»Ich halte dieses Hin und Her einfach nicht mehr aus. Ich brauche endlich Klarheit. Und wenn Lisa die nicht schaffen will, dann …« Er ballte eine Faust und schien nach den richtigen Worten zu suchen.

»… dann schaffst du selbst Klarheit, indem du Dummheiten machst«, vervollständigte Hannah seinen Satz. »Ich weiß nicht, ob das eine besonders vielversprechende Strategie ist.«

»Immer noch besser als tatenlos herumzusitzen.«

Abel wollte noch etwas hinzufügen, als Hannahs Handy klingelte. Sie schaute auf das Display und verzog den Mund. »Vater! Der hat gerade noch gefehlt.« Unwillig nahm sie das Gespräch an.

»Wer stört da beim Frühstück?« Sie hoffte, dass ihre Stimme abweisend genug klang.

»Hallo, Rotkäppchen! Wie geht es euch?« Frank Kessler schien sich nicht beeindrucken lassen zu wollen.

Hannah schnaufte. »Lernst du meinen Namen irgendwann noch, oder kann ich diesen Wunsch begraben?«

»Ist ja schon gut, ich kann es eben einfach nicht lassen«, antwortete ihr Vater entschuldigend. »Was macht ihr gerade? Wie wäre es mit einem Besuch? Ist ja schon eine ganze Weile her seit dem letzten Mal.«

Hannah musste schlucken. Seit sie mit Martin zusammen war, hatten sich die Spannungen zwischen ihr und ihrem Vater deutlich reduziert. Das hieß aber noch lange nicht, dass sie ihn ständig um sich haben wollte.

»Eigentlich wollten wir heute ein bisschen was unternehmen«, sagte sie und hoffte, dass er verstand, wie sie das meinte. Abel, der nun begriff, dass ihr Vater sich einladen wollte, verzog lustlos den Mund.

»Ach, kommt schon! Nur auf ein Stündchen!«

Hannah runzelte die Stirn. Von Stuttgart bis Freiburg war es ein ganz schönes Stück. »Das lohnt sich doch gar nicht für dich, Papa. Und ich habe keine Lust, hier noch zwei Stunden untätig rumzusitzen. In der Zeit können wir längst in Basel oder sonst wo sein.«

»Ach so. Das ist natürlich ein Problem«, sagte ihr Vater freundlich.

Hannah stutzte. Normalerweise hätte er jetzt angefangen, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen, um seinen Wunsch durchzusetzen. Irgendetwas stimmte nicht.

»Papa.«

»Ja, mein Sonnenschein?«

»Wo bist du?«

Ihr Vater lachte auf. »Du kennst mich wirklich in- und auswendig.« Hannah hörte, wie er an einer Zigarillo zog. »Schau mal zum Fenster raus. Ich stehe direkt vor eurer Tür, mein Schatz.«

*

Frank Kessler betrat die Wohnung, seine Aktenmappe unterm Arm, ein Pappteller mit drei Stück Kuchen in der Rechten. Die verdutzten Gesichter von Hannah und Abel, die ihn an der Tür empfingen, ignorierte er geflissentlich. Er ging einfach bis zur Küche durch und stellte seine Sachen dort ab.

»Ich hab uns etwas Gutes mitgebracht. Nur für den Fall, dass ihr mich tatsächlich reinlasst.« Er lachte und umarmte nacheinander seine Tochter und Abel, die das für seinen Geschmack ein wenig halbherzig erwiderten.

Hannah schaute auf die Küchenuhr. »Es ist halb zehn, und du bist schon zweihundert Kilometer gefahren. Wann zum Teufel bist du auf die Schnapsidee gekommen, uns zu besuchen? Und warum hast du dich nicht angemeldet? Du konntest doch gar nicht wissen, ob wir da sind.«

Ihr Vater lachte. »Ich wollte euch einfach vor vollendete Tatsachen stellen. Ich weiß doch, wie dir mein Vater-Getue auf den Keks geht. Da habe ich besser gar nicht erst gefragt.«

Hannah schaute ihn skeptisch an, war aber für den Moment offenbar zufrieden. »Na gut«, sagte sie. »Der Kuchen kommt mir ehrlich gesagt ziemlich gelegen. Sieht lecker aus. Hast du den selbst aufgetaut?«

»Nein, das war der Sonntagsbäcker, mein Prinzesschen.« Kessler ließ sich auf einen der Stühle sinken. Die Aktenmappe legte er wie beiläufig vor sich auf den Tisch. Als Hannah ihm einen Kaffee einschenkte, sog er genüsslich den Geruch ein. »Was für ein köstlicher Duft. Allein dafür hat sich der weite Weg gelohnt.«

Abel setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, wodurch er Gelegenheit hatte, ihn zu beobachten. Was er sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Er blickte auf seine Tasche und hatte Mühe, sein schlechtes Gewissen beiseitezuschieben.

Als er wieder aufsah, merkte er, dass Abel ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte. Er presste die Lippen zusammen und versuchte, gleichgültig zu wirken. Aber Abel hatte ihn durchschaut.

»Sparen wir uns das Vorspiel. Was ist da drin?«

»Ich verstehe nicht …?«

»Du verstehst mich sehr gut. Ich will wissen, was da drin ist.« Abel zeigte auf die Mappe.

»Ach, ich habe nur ein paar Unterlagen zu einem aktuellen Fall mitgebracht. Wenn du Lust hast, kannst du sie dir ja nachher ansehen. Ist aber nicht wichtig, ich kann dir das Ganze nächste Woche auch mailen.« Er hoffte inbrünstig, dass er einigermaßen überzeugend klang.

Abel sah ihn ausdruckslos an. »Und was ist das für ein Fall?«

»Es geht um die Leichen von fünf jungen Frauen, die in einem Baggersee versenkt wurden«, sagte Kessler schließlich. »Ich sag’s gleich, die Umstände sind wirklich makaber. Alle hatten ein Brautkleid an samt Schleier. Außerdem fehlten die Füße, und sie wurden so eingepackt und im See versenkt, dass normalerweise die nächsten hundert Jahre keiner darüber gestolpert wäre. Zum Glück wollte ein junger Sporttaucher seiner Angebeteten ein paar Privatstunden geben. Die Frau hat sich allerdings beim Auftauchen einen Lungenriss zugezogen und wäre daran fast …«

»Wann wurden die Leichen gefunden?«, unterbrach ihn Abel.

»Vor drei Tagen.«

»Und weiß man schon, wie lange sie da unten lagen?«

Kessler zuckte mit den Schultern. »Vermutlich sehr unterschiedlich, aber die Untersuchungen laufen noch. Die derzeitigen Schätzungen bewegen sich zwischen ein paar Monaten und wenigen Jahren. Professor Kleinwinkel meint …«

Abel und Hannah starrten ihn entgeistert an.

Scheiße, Scheiße, Scheiße!!!

»Ich glaube, ich habe etwas mit den Ohren«, sagte seine Tochter. »Hast du tatsächlich gerade Professor Kleinwinkel gesagt?«

Kessler hob beschwichtigend die Hände. »Ja, ich gestehe, es gibt wieder ein Problem in Köln. Und da es sich ganz offensichtlich um eine Mordserie handelt, hat Konrad Greiner darauf bestanden, dass ich dich um deine Meinung bitte.« Er hob entschuldigend die Schultern. »Na ja, er hat dich wohl in guter Erinnerung behalten, da ist doch nichts dabei.«

Während Abel schwieg, schüttelte Hannah ungläubig den Kopf. »Nach allem, was letztes Jahr in Köln passiert ist, wagst du es, hierherzukommen und ihn um Rat zu bitten? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

»Es war nur eine Frage!«

»Klar. Nur eine Frage.« Sie funkelte ihn wütend an. »Und bestimmt hast du auch nicht vorgehabt, ihn bei diesem Fall einzusetzen.«

Kessler wich ihrem Blick aus und schwieg.

»Sag, dass das nicht wahr ist!« Hannah stemmte die Hände in die Hüften. »Du willst doch nicht allen Ernstes, dass Martin …? Mein Gott, was bist du nur für ein niederträchtiger Mensch!«

Kessler verzog missmutig das Gesicht. Er hätte Greiner seine Bitte gleich abschlagen sollen. Sie hätten wissen müssen, dass Abel noch nicht so weit war. Er hätte es wissen müssen.

»Es tut mir leid«, sagte er. »Und ja, es war dumm, deswegen herzukommen. Aber manchmal macht man eben dumme Sachen, wenn man nicht mehr weiterweiß. Und ich bin eben nicht nur Martins Freund, sondern auch Polizist und habe Verpflichtungen gegenüber den mir anvertrauten Fällen. Du kannst mir ruhig glauben, es kotzt mich selbst am meisten an, dass das nicht immer zusammenpasst.«

Er nahm seine Mappe und erhob sich ächzend. »Tja, dann werde ich mich wohl besser wieder vom Acker machen, damit ihr euren Sonntag noch genießen könnt.« Hannah erwiderte nichts, sondern wies ihm mit einer Hand den Weg aus der Wohnung. Mit zusammengebissenen Zähnen stapfte er an seiner Tochter vorbei zur Tür.

»Moment, Frank.« Abels Stimme klang fast beängstigend ruhig.

Kessler drehte sich um.

»Was denn noch? Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut. Soll ich mich vor dir in den Staub werfen?«

Abels Gesicht blieb ausdruckslos, als er mit einer Hand auf Kesslers Mappe deutete. »Der Bericht. Lass ihn da.«

Es kam nicht oft vor, dass ihn etwas verblüffte, aber in diesem Moment war es so. Auch Hannah wirkte perplex und rührte sich nicht vom Fleck, als Kessler zurückging und die dicke, rote Mappe auf den Tisch legte.

»Danke. Das werde ich dir nie vergessen.«

»Ich tue das ganz bestimmt nicht für dich, nur damit das klar ist. Also halt den Mund und verschwinde.«

Normalerweise hätte sich Abel es nicht erlaubt, so mit ihm zu reden. Aber in diesem Fall … Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ging Frank Kessler zur Tür, den vorwurfsvollen Blick seiner Tochter spürte er dabei in seinem Nacken.

*

Es wirkte so, als blätterte Abel wahllos in der Mappe, die Kessler dagelassen hatte. In Wirklichkeit konzentrierte er sich auf die darin enthaltenen Fotos. Er fing immer mit den Bildern an, weil er sich sofort der vollen Grausamkeit eines Falles stellen wollte. Dies war seine persönliche Strategie, dem Entsetzen so wenig Chance wie möglich zu geben, nachträglich noch weiter zu wachsen.

Die Grausamkeit der blutigen Rituale, mit denen bei den Frauen vorgegangen worden war, traf ihn wie ein Faustschlag. Und natürlich die Brautkleider. Es brauchte nicht viel Phantasie, um zu erkennen, dass hier ein Schlüssel zur Motivation des Mörders lag. Wenn er wusste, warum die Leichen so angezogen waren, hatte er ihn vielleicht schon verstanden. Bedeutsam schien für ihn in jedem Fall zu sein, dass die Frauen die Kleider noch trugen, als er sie im See versenkt hatte. Warum auch immer.

Aber es gab noch mehr Bilder. Abels Puls beschleunigte sich, als er die Beinstümpfe betrachtete. Ein paar Fotos weiter hielt er den Atem an, als er sah, mit welcher Sorgfalt die Leichen in mehrere Lagen Plastikfolie eingepackt worden waren. Hier hatte sich jemand wirklich Mühe gegeben, um sein spezielles Hobby weiter unentdeckt bleiben zu lassen.

Abel wusste, was das bedeutete.

Es würde weitere Morde geben. So jemand hörte nicht einfach auf, es sei denn, der Täter war aus anderen Gründen im Knast gelandet oder inzwischen gestorben. Aber so viel Glück hatte die Polizei selten.

»Du weißt, dass ich fahren muss.« Er legte die Mappe auf seinen Nachttisch und verschränkte die Arme.

Hannah nickte. Ihr war klar, dass das Unglück nicht mehr aufzuhalten war.

»Ich komme mit. Ich habe Angst, dass du etwas Unüberlegtes tust.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß zwar nicht, was du damit meinst, aber ich fände es schön, dich dabeizuhaben. Das verbessert die Laune von Greiner hoffentlich ein wenig. Und meine auch.«

Hannah lächelte matt und schmiegte sich an seine Schulter. Auch wenn dieser Augenblick sich längst nicht so perfekt anfühlte, wie sie sich das wünschte: Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie in dieser Sekunde die Uhr angehalten.

Dritter Tag

Rheinpark Köln, Claudius Therme

Julia Peters und Lara Henning lagen auf ihren Stammplätzen im Außenbereich der Therme und genossen die warme Frühjahrssonne. Das Dröhnen des Straßenverkehrs auf der nahen Zoobrücke störte sie ebenso wenig wie die Rheinseilbahn, deren Gondeln regelmäßig Schatten auf sie warfen. Obwohl der Sommer noch nicht mal richtig angefangen hatte, fühlten sie sich durch ihre Saunagänge erhitzt wie am Mittelmeer.

Die siebzehnjährigen Abiturientinnen hatten ihre Bademäntel weit geöffnet, damit sie ein bisschen Farbe bekamen. Zwar besaßen beide keinen festen Freund, aber ein schönes Dekolleté konnte bei der Suche danach sicher nicht schaden. Lachend diskutierten sie, wer von ihnen wohl zuerst Erfolg haben würde. Julia war ziemlich dünn und auf natürliche Art hübsch, jedoch auch ein bisschen schüchtern. Lara war etwas mollig, aber dafür alles andere als auf den Mund gefallen. Wie immer wurden sie sich nicht einig, aber eines wussten sie ganz genau, nämlich, wie ihre Herzensbrecher aussehen sollten: einfach nur verdammt gut!

Julia lehnte sich zurück und beobachtete das Flugzeug, das über ihnen seine Bahn zog. Wohin die Leute darin wohl flogen? Sicher in den Süden, dachte sie ein wenig neidisch, nach Mallorca oder Kreta. Aber Lara und sie hatten sich fest vorgenommen, direkt nach den letzten Prüfungen in die Sonne abzuhauen. Costa del Sol vielleicht, oder Ibiza. Ein bisschen Party hatten sie sich echt verdient nach dem ganzen Stress.