Blutdeal II - Anni Temp - E-Book

Blutdeal II E-Book

Anni Temp

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Beschreibung

Keiner hatte eine Ahnung, wie das mit der Blutfirma funktionieren soll. Als Leonhard die Bombe platzen lässt und sein Experiment weiterhin geheim halten will, müssen Entscheidungen getroffen werden. Entscheidungen, die schwerwiegende Folgen haben. Lang gehütete Geheimnisse werden offenbart und treiben die Vampire zu grausamen Taten. Als sie dann erfahren, dass ihnen ein Urvampir auf der Spur ist, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Leonhard und Adriana leiden unter all dem - ihre Beziehung bröckelt. Keiner der beiden will wirklich aufgeben. Doch Mensch und Vampir funktioniert nun mal nicht. Auch "Blutdeal-Vampire schlafen nicht" beginnt im südlichen Sachsen-Anhalt. Nur dieses Mal kommt keiner zurück!

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Schön und jung und immer gleich. Für immer gleich. Für immer!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

Epilog

Prolog

Elisabeth hockte oben auf einem Baum und beobachtete das Kriegsgeschehen. Im Winter des Jahres 1745 hatten Sachsen und Österreich eigentlich die Eroberung von Berlin und die Vernichtung der preußischen Armee geplant. Aber der preußische König Friedrich II. erfuhr davon und beschloss seinerseits den Einmarsch in Sachsen. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau (der alte Dessauer) marschierte Ende November von Halle über Leipzig, Torgau und Meißen in Sachsen ein und hatte in Meißen noch einmal Verstärkung erhalten. Die sächsische Armee bezog bereits unter Führung von Graf Rutowski zwischen Ockerwitz und Zöllm und weiter bis Kesselsdorf Stellung. Österreichische Einheiten sicherten am Zschoner Grund den Zugang nach Dresden. Die Sachsen schlugen die Preußen zweimal erfolgreich zurück. Dann verfolgten die Sachsen den Gegner und wurden nie mehr gesehen.

Das Kriegsgeschehen interessierte Elisabeth momentan wenig. Ihr bot sich hier die Möglichkeit sich zu ernähren ohne die lästige Entsorgung von blutleeren Leichen. Sie nahm sich fliehende Soldaten und saugte sie eben nicht ganz aus.

Elisabeth beobachtete einen kleinen Trupp leicht verletzter Soldaten. Ein junger Mann humpelte hinter ihnen her. Er hatte eine Verletzung am rechten Fuß. Lautlos landete Elisabeth hinter ihm und zog ihn mit einer Hand auf dem Mund nach unten. Als sich die Vampirfrau neben den Soldaten kniete und die Kapuze vom Gesicht zog, hörte der Soldat auf sich zu wehren. Seine Augen weiteten sich vor Staunen, denn Elisabeth sah mit ihren schwarzen Locken und den schwarzen Augen exotisch schön aus. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und streichelte ihn sanft. Fasziniert beobachtete sie, wie das Staunen des Soldaten in Entsetzen umschlug, als sich ihre Augen rot färbten und ihre Eckzähne hervortraten. Doch bevor der Mann schreien konnte, vergrub Elisabeth ihre Zähne in seiner Hauptschlagader und trank das köstliche warme Blut. Sie achtete darauf, nicht zu viel zu trinken. Dann zog sie ihr Messer aus dem Gürtel und setzte gekonnt einen Schnitt genau über die Einstichwunden ihrer Zähne, so dass es auf den ersten Blick nach einer Kriegsverletzung aussah. Der Soldat war bewusstlos und bekam sowieso nichts mehr mit. Sie ließ ihn los und stand auf. Sorgsam zog sie die Kapuze über den Kopf.

„Was haben wir denn da?“, erklang plötzlich die Stimme eines Mannes hinter ihr. Im gleichen Augenblick spürte sie ein Messer an ihrem Hals. Sie hätte ohne Probleme dieser für sie ungefährlichen Situation entkommen können. Doch sie beschloss abzuwarten. Der Angreifer zog ihr die Kapuze vom Kopf. Seine Wut über den Mord an seinem Kameraden wich Unglauben. Der Unglauben wich rachsüchtiger Gier. Er steckte das Messer weg, packte Elisabeth und hielt ihr den Mund zu. Elisabeth spielte mit und wehrte sich zum Schein. So schleifte er die zappelnde Frau hinter ein größeres Felsgestein und ließ keinen Zweifel an seinen Absichten. Als er jedoch versuchte, seiner Beute die Kleider vom Leib zu reißen, warf Elisabeth den Mann ab und stürzte sich auf ihn. Befriedigt sah sie noch kurz das Entsetzen in seinem Gesicht bevor sie ihm ihre Zähne an den Hals setzte und sein Blut trank. Auch ihn trank sie nicht leer und verpasste ihm einige Kriegsverletzungen mit seinen eigenen Waffen.

Ein schlechtes Gewissen hatte die Vampirfrau nicht. Zunächst wollte dieser böse Mensch ihr etwas antun und dann war sie nun einmal was sie war. Tiere fressen Pflanzen, Menschen essen Tiere und Vampire brauchen eben das Blut der Menschen. Sie hatte zwar von Vampiren gehört, die sich von Tierblut ernährten, aber das war nichts für sie. Tierblut hat so eine strenge bittere Note und das Fell stört.

Elisabeth war gesättigt und ging langsam in Richtung Dresden. Sie hielt sich abseits und passte auf, dass sie nicht gesehen wurde. In Dresden hatte sie das Vampirpaar Anna und Paul kennengelernt, bei dem sie nun schon lange Zeit lebte. Die beiden behandelten sie wie eine Schwester und sie hatte große Zuneigung zu ihnen gefasst. Nach ewiger Einsamkeit war sie innerlich tot und stellte nun fest, dass sie doch noch so etwas wie ein Herz hatte. Dasselbe Herz, das ihr vor langer Zeit von dem Mann gebrochen worden war, dem sie bedingungslos vertraute und der ihr mehr als nur ein Freund war. Eine sehr lange Zeit hatte sie geglaubt, nie wieder jemandem trauen oder gar lieben zu können.

Elisabeth erreichte den Ort Kesselsdorf. Der aufkommende Lärm des Krieges riss sie aus ihren Gedanken. Schnell kletterte sie auf einen großen Baum nahe der St. Katharinenkirche und beobachtete das Geschehen. Die Uniformen der heranstürmenden Soldaten sahen jetzt anders aus und bald entbrannte vor und in dem Ort eine fürchterliche Schlacht, welche die Sachsen verloren.

Elisabeth kehrte in Windeseile in die sächsische Metropole zurück. Sie betrat das Haus und wollte ihre Familie - denn als solche sah sie das ihr lieb gewordene Paar an - vor dem bevorstehenden Angriff auf Dresden warnen. Sie stürmte in das Wohnzimmer und schrie vor Entsetzen. Ihr bot sich ein grauenvoller Anblick. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Auf dem Boden des Wohnzimmers lagen zwei schräg zerteilte Leichen - die fürchterlich zugerichteten Körperteile von Anna und Paul. Ihr Schrei ging in stumme Verzweiflung über. Die junge Frau fiel auf die Knie. Der entsetzliche Verlust bereitete ihr Schmerzen. Sie konnte keine körperlichen Schmerzen fühlen, aber das lähmende Gefühl über den Verlust ihrer Freunde tat genauso weh.

Elisabeths Schmerz saß tief. Die gerade wiedergefundene Herzenswärme schien nun vollständig erkaltet zu sein. Sie wusste nicht, wie lange sie da kniete und wie viel Zeit verstrich, in der sie zuerst nur Verzweiflung spürte und sich dann in Erinnerungen flüchtete, um den seelischen Schmerz zu mildern. Schließlich blieb nur noch ein tiefes Gefühl des Verlusts, welches sich allmählich in Zorn und Rachegelüste verwandelte.

Die Schlacht vor Dresden war vorbei. Die preußischen Truppen rückten auf die Stadt vor. Dresden kapitulierte am 17. Dezember. An diesem Tag verließ Elisabeth die sächsische Stadt für immer.

Zuerst hatte sie Schreie gehört. Schreie von entsetzten und verzweifelten Menschen, die sie völlig kalt ließen. Ihr eigener Schmerz saß zu tief und machte sie unzugänglich für das Leid anderer. Erst als sie hörte, wie die Haustür aufgestoßen wurde, löste sich ihre körperliche Starre und der Selbsterhaltungstrieb erwachte. Langsam stand sie auf und drehte sich um. Jetzt erst sah sie sich genauer um und merkte, dass das Haus total verwüstet war. Sogar Wandverkleidungen waren abgerissen und lagen überall herum. Bevor sie näher darüber nachdenken konnte, stürmte eine völlig verängstigte Frau an ihr vorbei. Instinktiv ließ sie sie laufen. Sie hörte nicht, was die Frau völlig hysterisch schrie. Aber sie stieß sie beiseite, schnappte sich den hinter ihr eintretenden Soldaten und drehte ihm kurzerhand den Hals um. Ein weiterer Soldat, welcher das beobachtet hatte, stieß mit seinem Gewehr nach ihr. Ihm riss sie die Waffe aus den Händen und schlug ihm mit dem Kolben den Schädel ein. Zwei Soldaten folgten. Sie konnten einfach nicht begreifen, dass eine so schöne Frau solche Kräfte hatte und griffen sie an. Einer warf sein Gewehr weg und schlug nach Elisabeth. Sie griff sich seinen Arm und drehte ihn ruckartig um. Der Mann schrie vor Schmerz. Sein Arm war ausgekugelt. Sie ließ ihn aber nicht gleich los, sondern stieß ihn mit voller Wucht gegen den zweiten Soldaten. Der konnte noch ausweichen und rannte wütend mit gesenktem Kopf auf Elisabeth zu, um sie zu Boden zu stoßen. Blitzschnell ließ die Vampirfrau den Arm des anderen los und drehte dem Angreifer den Hals um. Voller Entsetzen sah der Soldat mit dem ausgekugelten Arm Elisabeth auf sich zukommen. Die ganze Zeit war keine Regung in Elisabeths eisiger Miene zu sehen. Nun beobachtete er jedoch ungläubig ihre Verwandlung zum Vampir und schrie noch ein letztes Mal auf als er spürte, wie Elisabeth ihre Zähne in seinen Hals schlug. Sie kannte kein Erbarmen. Der Mann verstummte für immer. Einen kurzen Augenblick drehte sie sich zu der panischen Frau um, welche mit weit aufgerissenen Augen das Geschehen beobachtete. Elisabeth verzog auch jetzt keine Miene und war im nächsten Augenblick verschwunden. Was die Frau erzählen würde, war ihr egal. Man würde ihr sowieso nicht glauben. Und wenn sie auf ihrer Geschichte bestand, würde man sie bestenfalls wegsperren.

Sie zog sich die Kapuze ihres Mantels über den Kopf und verließ die Stadt. Nichts und niemand konnte sie aufhalten. Einen Vampir vermutete sie in Dresden nicht mehr. Wenn der Mörder ihrer innig geliebten Freunde noch hier gewesen wäre, hätte er sie in ihrer Trauerstarre erledigen können.

Die Sterblichen konnten es mit ihrer Schnelligkeit nicht aufnehmen. Deshalb wäre sie nie auf den Gedanken gekommen, dass sie verfolgt werden könnte.

So entging ihr der Schatten, der ihr auf der Reise bis Luzern folgte. Und in ihrer Verzweiflung hatte sie alles vergessen, was ihr die einzige Familie, die sie je hatte, anvertraute.

1.

Würde es nachlassen, je länger ihr Herz tot war? Adriana hockte allein im Schatten ihrer Hecke oder dem was davon noch übrig war. Sie betrachtete die Trümmer ihres Hauses. In ihren Gedanken lief ihr Sohn Tony über die kleine Wiese und setzte zum Sprung in den Pool an, in welchem Leonhard schon planschte. Die beiden tobten gemeinsam im Wasser. Sich selbst sah sie in einem der bequemen Korbstühle sitzen und lächelnd dem Spiel der beiden vor einer tief stehenden Sonne zusehen. Und dann holte sie die Wirklichkeit ein. Sie sah die rußgeschwärzten Grundmauern ihres Hauses mit den bizarren verkohlten Spitzen des Daches, den völlig verdreckten Pool und die mit Trümmern und Unrat übersäte Umgebung der Ruine. Nur zu deutlich spürte sie jetzt das Fehlen des übermütigen Kinderlachens und Leonhards halbherziges Ermahnen. Das lange Zeit verdrängte Bild ihres verunglückten Sohnes schlich sich quälend in ihre Gedanken. Der dunkle, trübe und schneelose Februar tat sein Übriges dazu, dass Adriana sich sämtlicher Verluste mit aller hereinbrechender Macht bewusst wurde. Zuerst der Verlust ihres Sohnes, woran sie fast zerbrochen wäre. Dann die Zerstörung ihres Hauses und nun sollte sie auch noch Leonhards Liebe verlieren. Sie war nicht einmal mehr wirklich lebendig! Der Kontrast der Wirklichkeit zu ihren innersten Wunschgedanken zwang sie in die Knie. Ihr nun angeblich hartes Innerstes zog sich schmerzhaft zusammen.

Adriana weinte.

Sie ließ jetzt alles zu, was sie bisher unterdrückt hatte. Nun holten sie alle Schicksalsschläge der vergangenen Jahre ein. Sie kniete vor den Trümmern ihrer Vergangenheit. Ihre Hände wühlten sich in den kalten, aufgeweichten Boden und versuchten sich verzweifelt an irgendetwas festzuhalten. Tränen tropften auf ihre Hände und hinterließen verschmierte Linien auf ihrer Haut, bevor sie dunkel vor Dreck zu Boden rollten und in der Erde versanken.

Adriana weinte um ihre verlorene Zukunft, um die Zukunft mit Tony, um die Zukunft einer Familie, die sie nie haben würde. Bis in alle Ewigkeit würde sie nun allein sein, ohne Kind, ohne Mann, ohne Liebe. Sie hob den Kopf. Ohne Liebe?

Die Vampirfrau betrachtete ihre schmutzig verschmierten Hände. Da erst wurde ihr bewusst, dass sie weinte, richtig weinte. Wenn sie eine so tiefe Trauer empfand, warum sollte sie dann keine Liebe mehr empfinden? Davon hatte auch niemand etwas gesagt. Ihre Gefühle blieben! Es ging ja nur um die körperlichen Dinge, die mit einem Menschen nun nicht mehr möglich waren. Waren die so wichtig? Waren sie Leonhard wichtig?

Traurig erinnerte sie sich an seine Reaktion bei ihrer Verwandlung in dem Zimmer in Williams Versteck. Seitdem hatte er sie nicht mehr berührt. Sie hatten miteinander gesprochen, aber seine Augen blieben kalt und leer. Sie vermisste schmerzlich das Leuchten in seinen Augen, wenn sie zusammen waren. Ja, Adriana liebte Leonhard noch und wollte ihn nicht verlieren. Sie bedauerte sehr, dass er sich gegen ein Vampirdasein entschied, doch sie respektierte seine Entscheidung.

Etwas wehmütig dachte Adriana an ihr erstes Wiedersehen mit Leonhard in Burjatien. Anfangs hatte sie Hoffnung, dass eine innige Freundschaft ihre Liebe ersetzen könnte. Aber Leonhard hatte sich immer weiter zurückgezogen und letztlich nur noch wie ein Geschäftspartner mit ihr gesprochen. Zugegeben wie ein guter langjähriger Geschäftspartner, aber eben nicht wie ein Freund. Was war schief gegangen?

Adriana zermarterte sich den Kopf darüber. War er so abweisend wegen Markus? Aber Adriana hatte Markus nie wirklich Hoffnung gemacht. Hätte sie vielleicht klar und deutlich ein NEIN verlauten lassen müssen? Sie hatte bemerkt, dass Markus an ihr interessiert war, wollte ihn aber nicht vor den Kopf stoßen. Sie war froh, dass er ihr viele Dinge über das Vampirdasein verriet, wenn sie sich unsicher fühlte. War es das, was Leonhard störte?

Adriana hatte Leonhard erklärt, dass ihr Markus Annäherungsversuche egal waren. Sie hatte ihn daran erinnert, dass sie sich geschworen hatten immer ehrlich zueinander zu sein und keine Geheimnisse zu haben.

Doch plötzlich überkam sie Scham. Adriana hatte ein Geheimnis. Sie hatte Steffi damals noch nicht so lange gekannt und gewusst, dass Leonhard einen Generalcode des gemeinsamen Tresors ablehnen würde. Sie hätte es ihm erzählen müssen. Aber Adriana schämte sich zu sehr für diese Tat und tastete verstohlen nach ihrer Tasche, deren Inhalt sie in den Tresor zurückbringen wollte. Das durfte er niemals erfahren. Sie wusste, dass dieser Vertrauensbruch einen noch viel größeren Keil zwischen sie treiben würde. Nur eine Person wusste davon: Sylvia! Doch Sylvia war zurzeit nur mit sich, ihren Launen und ihrer Trauer beschäftigt. Sie musste Thomas ganz schön geliebt haben, wenn sie nach so vielen Wochen immer noch so zerstreut, launisch und oftmals desinteressiert war. Diese Vampirfrau war das beste Beispiel, dass ein Vampir sehr starke Gefühle entwickeln konnte.

Adriana dachte an das Gespräch mit ihr, bevor sie hierher zu ihrem zerstörten Haus ging. Sylvia hatte versprochen, niemandem etwas über den Generalcode des Tresors zu sagen und Adriana hoffte, dass sie dieses Versprechen ernst nahm.

Die Vampirfrau seufzte tief und begann mühselig ihre Grübeleien beiseite zu schieben. Schließlich erhob sie sich langsam und machte sich auf, das zu tun, weswegen sie hergekommen war.

2.

Von der Neuenburg, die hoch über der Stadt Freyburg thronte, hatte man einen wunderbaren Blick in das Unstruttal. Bald würde die Sonne aufgehen. Noch hatte sie nicht die Kraft, die wabernden Nebelfelder zu zerstreuen. Im Zwielicht sah das Tal wie eine Schwarz-Weiß-Zeichnung aus, die schwarze Inseln in grau bis weiß schimmernde Watte taucht. Hinter dem schwarzen Horizont war ein klarer, dunkelblauer Himmel, welcher langsam heller wurde und an welchem die Sterne bald verblassen würden.

Es war ein bezauberndes Naturschauspiel, doch Sylvia nahm es gar nicht wahr. Sie saß auf einer Mauer und war tief in Gedanken versunken. Im Geiste stand sie im Schatten eines Baumes hoch oben auf dem Bürgenberg, dem heutigen Bürgenstock in der Schweiz, und beobachtete eine junge Frau, welche schon längere Zeit in die weit unten liegende Landschaft starrte. Der Ausblick war atemberaubend. Sylvia vermutete, dass die schwarzhaarige Frau den Ausblick nicht wirklich genoss. Schließlich sah sie den Zeitpunkt gekommen, sich zu offenbaren. Die andere Frau schien sie bemerkt zu haben und zischte: „Hau ab! Das ist besser so!“

Doch Sylvia kam näher und flüsterte: „Nein! Ich geh nicht!“ Die Frau zuckte mit den Schultern und stieß zwischen den Zähnen hervor: „Ich habe dich gewarnt!“.

Sylvia blieb, wo sie war und die schwarzhaarige Vampirfrau fuhr fauchend herum und sah in das völlig ungerührte Gesicht von Sylvia. Das irritierte sie, denn meistens erschraken sich die Menschen, wenn sie sie in verwandelter Form sahen. Doch Sylvia sagte nur ruhig: „Ich bin wie du.“

Sie hatte das Gefühl, dass die andere Frau eine patzige Antwort geben und Sylvia verscheuchen wollte, doch plötzlich verschwanden die spitzen Zähne und die roten Augen. Sie drehte sich wieder um und sah den Berg hinunter: „Was willst du?“

Sylvia trat neben sie und schwieg eine Weile. Sie überlegte, wie sie anfangen sollte. Schließlich meinte sie: „Ich beobachte dich schon eine Weile. Du scheinst allein und unendlich traurig zu sein. Ich bin ebenfalls allein, doch ich bin es nicht gern.“

Hier auf der Burgmauer der Neuenburg erinnerte sich Sylvia erneut daran, wie Elisabeth ihr einige Zeit nach dem Zusammentreffen auf dem Bürgenstock von ihren ermordeten Freunden und der tiefen Verzweiflung erzählte. Als Elisabeth den Namen William aussprach, fiel Sylvias Verdacht sofort auf ihren Vater. Doch behielt sie diesen Verdacht für sich.

Die beiden wurden gute Freundinnen. Viele Jahre reisten sie gemeinsam in der ganzen Welt umher. Fast ein ganzes Jahrhundert verbrachten sie gemeinsam in Amerika. Zuerst waren sie im Norden des Kontinents und reisten dann in den Süden bis zur südlichsten Spitze Chiles. Schließlich entschieden sie sich für Argentinien und verbrachten viele Jahre bei eingeborenen Stämmen, nahe der heutigen Stadt Rio Grande. Dort erhielt Sylvia schließlich eine Nachricht von ihrem Vater. Sie hatte nie herausgefunden, wie er sie an diesem Ort am Ende der Welt finden konnte. Dennoch beschloss sie für eine kurze Zeit nach Sibirien zu reisen und versprach Elisabeth bald wiederzukommen.

Elisabeth wollte Sylvia anfangs begleiten. Doch Sylvia hatte Angst, dass Elisabeth herausfand, dass William ihr Vater war, denn sie wollte ihre geliebte Freundin nicht verlieren. Wenn William sie hier finden konnte, dann wusste er vielleicht auch von Elisabeth. Damals glaubte Sylvia noch, dass er Elisabeth töten wollte und beschrieb ihren Vater in den dunkelsten Farben. Sie überzeugte ihre Freundin, dass es besser wäre, wenn sie getrennte Wege gingen und darauf achteten, dass ihnen niemand folgte.

Gemeinsam arbeiteten sie eine spurenverwischende Reise für Elisabeth aus und verabredeten sich in Barcelona. Auf ihren vergangenen Reisen hatten sie dort einen guten Freund kennengelernt. Sylvia würde nach Barcelona kommen, sobald sie sich von ihrem Vater wieder freimachen konnte.

So trennten sie sich und Sylvia reiste auf dem schnellsten Weg nach Sibirien, während Elisabeth zurück nach Chile ging und einige Zeit in der Wildnis verbrachte, um eventuelle Verfolger abzuschütteln. Erst über ein Jahr später trafen sie sich in Barcelona wieder und führten fortan ein unstetes Leben um Williams Nachforschungen zu entgehen. Anfang des 21. Jahrhunderts bereisten sie die Schweiz und gönnten sich in der schönen Stadt Luzern für ein paar Jahre eine Auszeit. Dort verschwand Elisabeth spurlos, kurz nachdem Sylvia Thomas Wind getroffen hatte.

Elisabeth hatte nur einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, dass sie mit der Tochter eines Mörders nichts mehr zu tun haben wolle. Bis heute hatte Sylvia dieser Nachricht geglaubt. Die Zeit in der Sylvia Elisabeth kennenlernte war die Zeit gewesen, in der William – wie Sylvia glaubte - seine Macht ausbaute und Clans abschlachtete. Es wäre also gut möglich gewesen, dass William auch Anna und Paul getötet hatte. Für die Trennung von Elisabeth machte sie ihren Vater verantwortlich und hasste ihn noch mehr. Nachdem sie sich eine Zeit lang ihrer Verzweiflung hingegeben hatte, beschloss sie, den einzigen Menschen aufzusuchen, der sie aufrichtig liebte. Thomas.

Wiederholt betrachtete Sylvia die letzte Seite der Urkunde, auf welcher ihr Vater den Kauf des schottischen Schlosses besiegelte. Das Datum war der 16.12.1745. Der Ort war Inverness, in Schottland.

Nie hatte sie den Schmerz vergessen als ihre Freundin, mit der sie mehr als ein Menschenleben zusammen war, sie verlassen hatte. Nur Thomas konnte ihr damals über diesen Verlust hinweghelfen.

Elisabeth hatte ihr erzählt, dass sie sich an dem Mörder grausam rächen wollte. Wahrscheinlich hatte sie nur ihre lange Freundschaft davon abgehalten, Sylvia in Luzern aufzulauern und ihr etwas anzutun. Nun hatte sie den Beweis in den Händen, dass ihr Vater diese Leute nicht ermordet haben konnte. Wer aber hatte Elisabeth erzählt, dass William ihr Vater war?

Sylvia sehnte sich so sehr nach ihrer Freundin, dass sie verzweifelt überlegte, wie sie sie wiederfinden könnte. Sie musste ihr sagen, dass ihr Vater nicht der Mörder war. Die Sehnsucht war zu groß und Thomas Liebe nicht mehr da. Sie beschloss jeden Ort, den sie mit Elisabeth geteilt hatte, zu bereisen und nach ihr zu suchen. Beginnen würde sie in Barcelona.

Als die Sonne ihre ersten Strahlen über die Berge schickte, erwachte Sylvia aus ihrem tranceartigen Zustand. Sie erhob sich. Ihr Entschluss stand fest. Sie würde diese Sache mit der Blutfirma soweit regeln bis alle wichtigen Entscheidungen getroffen waren und sie die weiteren Geschäfte in Edgars Hände legen konnte. Dann würde sie nach Barcelona reisen und wenn dort kein Zeichen von Elisabeth war, nach Luzern zurückkehren, um die Suche nach ihr aufzunehmen.

Sie griff nach dem Handy, welches ihr Georg beim Abschied zugesteckt hatte und wählte die einzige eingespeicherte Nummer. Sie hörte ein leises „Ja“ und sagte nur: „Such diesen Glenn und sage ihm, dass Williams Tochter verkauft. Die Sache mit der Felsenburg steht.“ Ohne einen weiteren Kommentar wurde auf der anderen Seite aufgelegt und Sylvia steckte das Handy wieder ein.

3.

Leonhard saß mit Frank auf Steffis Sofa. Steffi musste das Gehörte erst noch verarbeiten und ließ sich in der Küche zum Aufbrühen von frischem Kaffee Zeit.

Leonhard hatte geahnt, dass Steffi sogleich Misstrauen hegen und Adriana verdächtigen würde, von vorn herein geplant zu haben, ein Vampir zu werden. Er erzählte ihr die ganze Geschichte von der Begegnung mit Thomas in Labrador bis zu seinem Wiedersehen mit Adriana in Williams Versteck. Dann erzählte er ihr, was er von Adriana wusste und deren Verwandlung in einen Vampir. Diese Geschichten konnten das unterschwellige Misstrauen nicht zerstören, denn alles was Leonhard über Adriana erzählen konnte, hatte er auch nur gehört – und zwar von Adriana. Die Herstellung von Blut und der Glaube an Vampire war aber auch zu verdächtig.

In fünf Stunden, kurz vor Einbruch der Dunkelheit wollte Adriana die drei Menschen holen. Gemeinsam mit den Vampiren war eine Reise in Richtung Ostsachsen, die Oberlausitz, geplant. Dort hatte Adriana für eine Woche eine Villa gemietet. In dieser Villa sollte dann die Zukunft der Firma mit allem Drum und Dran geplant werden.

Steffi seufzte. Sie fand die Gegend um Freyburg toll und hatte absolut keine Lust nach Schottland zu ziehen und Deutschland zu verlassen. Hier begann damals die gemeinsame Zeit mit Leonhard und Adriana. Musste nicht auch die Laborgerätefirma erhalten bleiben? Und was war mit Erika und ihrem Mann. Was sollte aus Adrianas Grundstück werden? War die viele schwere Arbeit am und im Bunker umsonst?

Das waren die Fragen, die Steffi im Kopf herum gingen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dauerhaft mit Vampiren zusammenzuleben. In Steffis Kopf reifte ein Plan. Und je mehr sie darüber nachdachte, desto fester stand ihr Entschluss. Adriana musste zustimmen und Adriana würde zustimmen, wenn ihr das Haus und Erika noch etwas bedeuteten.

Steffi schnappte sich den Kaffee und trug ihn in ihr Wohnzimmer, wo die beiden Männer saßen und sich unterhielten. Steffi beschloss, ihre Entscheidung erst dann mitzuteilen, wenn sie mehr wusste.

Am späten Nachmittag hielten zwei Limousinen vor Steffis Haus. Die eine Limousine fuhr Adriana. Dort stiegen Leonhard, Steffi und Frank ein. Die andere Limousine fuhr Markus, in welcher Edgar und Sylvia saßen.

Adriana hatte Markus die Anschrift der Villa gegeben. Sie hatten verabredet, dass Markus bereits losfahren sollte, während Adriana mit ihren Insassen noch zu ihrem zerstörten Grundstück wollte. Sie gab ihm ein Zeichen und Markus gab Gas.

Adriana hielt vor ihrem zerstörten Haus. Sie, Steffi und Leonhard stiegen aus. Gemeinsam öffneten sie den Tresor und entleerten ihn. Danach fuhren auch sie zu dieser Luxusvilla in der Oberlausitz.

4.

Elisabeth stand am Fenster der Villa, welche etwas außerhalb der chilenischen Stadt Puerto Natales lag und sah auf das Wasser des Almirante Montt Golf. Diese Villa gehörte Esteban Franco Pedro Basaldao, jenem Mann, der Elisabeth vor mehr als drei Jahren in der Schweiz gefunden hatte und ihr die Geschichte über Sylvias Vater erzählte. Anfangs wollte sie ihm nicht glauben, doch Pedro war sehr überzeugend. Elisabeth wollte daraufhin Sylvia ihren Zorn spüren lassen. Aber Pedro riet ihr, lieber zu verschwinden.

Mit der Zeit hatte sich ihre Wut gelegt. Sie erinnerte sich, dass Sylvia ihren Vater hasste und als Scheusal beschrieben hatte. Auch war die lange Zeit mit Sylvia schön gewesen.

Der Mörder ihrer Freunde, Anna und Paul aus Dresden, war nicht William. Das wusste sie seit heute.

Wehmütig erinnerte sie sich an die gemeinsame glückliche Zeit mit Sylvia. Nun bereute sie bitterlich, dass sie Pedro geglaubt hatte. Zwar war er gut zu ihr und behandelte sie wie eine Tochter, doch immer öfter wurde ihr Pedro unheimlich. Sie wusste nicht, was er trieb und vor allem wusste sie nicht, woher er das stets frische und rein schmeckende Blut holte. Anfangs war ihr das egal. Sie musste nicht mehr weglaufen und sie genoss das Gefühl von Freiheit und Sicherheit. Doch als sie anfing Fragen zu stellen, schränkte Pedro ihre Freiheiten immer weiter ein.

Pedro war schon lange ein Vampir, wahrscheinlich sogar noch viel länger als sie. Elisabeth hatte ihn heimlich dabei beobachtet, wie er kurzen Prozess mit einem Gefangenen machte, dabei seine eigenen Regeln missachtete und ihn aussaugte. Pedro veränderte sich dabei nicht. Während der Blutdurst die anderen Vampire in schreckliche Monster verwandelte, verfärbten sich nur Pedros Augen. Seine sonst hellblauen Augen bekamen dann einen unheimlichen violetten Farbton. Da sie sich selbst auch nur so wenig verwandelte, glaubte sie, dass alle Vampire so werden würden, je länger sie untot waren.

Bei einem ihrer Streifzüge durch die Kellergewölbe der Villa hatte sie Stöhn- und Kreischgeräusche gehört. Als sie Pedro danach fragte, verbot er ihr den Zugang zu den Kellergewölben.

Jetzt war Elisabeths Neugier geweckt und sie fing an, herumzuschnüffeln. Sie musste sehr vorsichtig vorgehen. Lange Zeit fand sie nichts. Bis gestern: Da beobachtete sie den Mord an einem Vampir.

Pedro hatte einen Mann empfangen. Dieser hatte irgendetwas verloren. Elisabeth war jedoch zu spät um zu hören, worum es ging. Die Tür zur Pedros Büro war nur angelehnt und sie konnte durch den Türspalt sehen, wie Pedro diesen Mann mit einem langen Schwert zerteilte. Der Schwerthieb war so geführt, dass der Kopf und der linke Arm des Mannes vom Rest des Körpers abgetrennt wurden. Elisabeth musste sich zwingen, nicht laut aufzuschreien. Sie schleppte sich so schnell es ging auf ihr Zimmer zurück.

Auf dieselbe Weise sind die Dresdner ermordet worden!

Elisabeth versuchte in ihrem Zimmer ihre Gedanken zu ordnen. ER WAR ES!! Er hat sie ermordet! Warum? Sie wollte schreien, sie wollte toben, sie wollte Rache. Doch sie konnte nicht. Er war zu stark. Sie musste ruhig bleiben, auch wenn es sie innerlich zerriss. Nur zwei Stunden hatte sie Zeit, sich zu sammeln. Es würde auffallen, wenn sie den Gepflogenheiten fernblieb und den Abendkelch nicht mit ihm einnahm. Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken, an etwas Schönes, an ihre Zeit mit Sylvia. Die Erinnerung an Sylvia dämpfte ihren Zorn. So gelang es ihr, äußerlich ruhig zu bleiben.

Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie noch vor der üblichen Zeit in den Abendsalon gehen sollte. Sie verließ ihr Zimmer. Auf dem Gang zu Pedros Gemächern hörte sie Stimmen. Als sie sich näherte, konnte sie die Worte vernehmen: „Finde endlich diese Frau wieder und beschatte sie. Sie muss etwas wissen. Sie könnte auch etwas über das Buch wissen. Zwar bestreitet Elisabeth alles, doch die beiden waren lang genug zusammen. Ich muss jeder Spur folgen.“

Leise schlich Elisabeth wieder ein Stück zurück. Sie drückte sich in eine Nische und starrte mit weit aufgerissenen Augen die gegenüberliegende Wand an. Vor ihrem geistigen Auge erschien Paul, der ihr eindringlich riet, niemanden etwas von dem goldenen Buch zu erzählen. Pedro sucht also dieses Buch. Sie hatte es völlig vergessen. Langsam wurde ihr klar, warum er sie immer wieder nach Familienerbstücken der beiden Dresdner gefragt hatte. Mit keiner Silbe hatte sie an dieses Buch gedacht.

Doch nun erinnerte sie sich wieder an den geheimnisvollen Schatz ihrer Freunde in Dresden. Sie selbst hatte es nie gesehen. Paul beschrieb ihr dieses Buch, dessen dicker goldener Einband mit roten Edelsteinen verziert war. Die Seiten des Buches bestanden aus wenigen dünnen Goldplatten, in welche Schriftzeichen eingestanzt waren. Anna und Paul konnten diese lesen. Sie erzählten Elisabeth die geheimnisvolle Geschichte über den ersten Unsterblichen. Es stand geschrieben, dass der Vater der Vampire und seine direkten Nachkommen keine Verwandlung durchmachten und auch das Sonnenlicht keinen Einfluss auf sie hatte. Der erste Unsterbliche, der Urvater der Vampire, wurde Huaros genannt und stammte aus Cusco in Peru. Seine Mutter wurde nach der Geburt mit aufgerissenem Leib und völlig ohne Blut aufgefunden. Das wimmernde Baby wurde von einem mitleidigen Paar aufgenommen, die selbst keine Kinder hatten. Innerhalb von nur einer Woche wurde Huaros zu einem Jungen, der dem Wachstum nach ein 6-jähriger hätte sein können. Er tötete seine Zieheltern und verschwand. Dieser erste Unsterbliche hatte zwei Söhne. Einer dieser Söhne, der Erschaffer des Buches, nannte sich Sandro und war laut dem Dresdner Vampirpaar verschollen.

In dem Buch stand beschrieben, wie Huaros getötet wurde.

Elisabeth wurde eingeschärft, dieses Wissen und auch die Existenz des Buches niemandem zu verraten. Es war gefährlich, denn während der eine Sohn dieses Buch erschuf, um die Geschichte des Huaros am Leben zu erhalten, versuchte der andere Sohn es zu vernichten. Den anderen Sohn hatten sie Pedro genannt, den Bösen, den Gnadenlosen. Elisabeth musste schwören, niemals darüber zu sprechen. Sie tat es auch nie und verdrängte es. Bis jetzt.

Pedro! Jetzt erst, in diesem Moment, wurde ihr klar, dass dieser Pedro, bei dem sie jetzt schon einige Zeit lebte, einer der Söhne des Huaros war. Er suchte dieses Buch. Und er suchte nach Sylvia.

Elisabeth spürte plötzlich, dass sie sich in höchster Gefahr befand. Was, wenn Pedro merkt, dass sie von den heutigen Geschehnissen Wind bekommen hatte?

Elisabeth musste sich konzentrieren. Sie überlegte kurz, wie sie sich sonst benahm. Es fiel ihr unglaublich schwer sich zu sammeln und so zu tun, als wäre nichts vorgefallen. Schließlich ging sie zu Pedro in den Abendsalon und schaffte es tatsächlich, äußerlich ruhig zu bleiben. Sie konnte ihr Glück gar nicht fassen, als er ihr sagte, dass er in ein paar Tagen nach London reisen würde. Sie tat so, als würde sie das unendlich traurig machen. Erfreut über ihre Reaktion erzählte er, dass er nicht länger als zwei Wochen weg wäre. Also wusste sie, dass sie keine Zeit verlieren durfte.

So wiegte sie Pedro in Sicherheit. Heimlich packte sie ihren Koffer und schmiedete einen Plan, wie sie den Wachmännern in der Villa entkommen könnte.

Schließlich kam der Tag der Abreise. Elisabeth verströmte sogar einige Tränen zum Abschied. Mit einem Kuss auf ihre Stirn und der Ermahnung schön brav zu sein, verabschiedete sich Pedro von ihr und fuhr mit seinem Jeep davon.

Kaum war sie allein, zog sie ihren Koffer aus dem Versteck. Der Koffer, den sie damals von Sylvia geschenkt bekam, war gefüllt mit Blut und Geld und einer blonden Perücke. Sie hatte ihn als Werkzeugkoffer getarnt. Er sah aus, wie einer der Koffer, den die ständig um das Haus herumwuselnden Handwerker trugen. Sie wusste, dass heute ein Handwerker die selten benutzten Abflussleitungen im Haus überprüfen und notfalls reparieren sollte. Ihr Badezimmer sollte zuletzt drankommen. Das passte gut.

In geschäftigem, aber nicht zu schnellem Schritt verließ Elisabeth am späten Nachmittag die Villa und stieg in das Fahrzeug der Handwerkerfirma. Ihr schwarzes Haar war sorgfältig unter dem Helm versteckt und in ihrem Gesicht trug sie eine ungewohnte Behaarung. Erst als die Villa eine ganze Weile außer Sicht war, parkte sie das Auto am Straßenrand ab und verschwand schnell in einem Gebüsch. Sie zog die Handwerkerkluft aus, unter der sie ihre normalen Sachen gut versteckt hatte und entfernte die Hautstücken mit der Gesichtsbehaarung des Handwerkers. Sie vergrub alles, reinigte sich so gut es ging und setzte die blonde Perücke auf. Sie musste sich beeilen, denn sicher blieb ihr Verschwinden und der Tote mit dem blutigen Gesicht in ihrer Dusche nicht lange unentdeckt. Sie rannte noch ein gutes Stück durch den Wald, bevor sie sich wieder der Straße näherte.

Schon bald hörte sie ein Auto näherkommen. Der Fahrer hielt an und fragte, ob er sie mitnehmen könne. Als Frau so allein die Straße entlang zu laufen, wäre wohl keine gute Idee. Elisabeth stieg ein und fuhr in Richtung Norden mit. Dem Fahrer erzählte sie, dass sie zu dem kleinen Flughafen Aeropuerto Teniente Julio Gallardo wollte und von dort weiter in Richtung Santiago. Der freundliche Fahrer ließ sie am Flughafen raus. Sie wartete bis er außer Sicht war und wandte sich dann nach Osten.

5.

Die Villa war genauso wie Adriana sie auf den Bildern gesehen hatte. Es gab nur zwei Schlafzimmer und Adriana übernahm freiwillig eines der Arbeitszimmer. Das Chaiselongue darin reichte ihr zum Ruhen. Die Vampire hatten den Menschen die Schlafzimmer überlassen, denn Vampire schlafen nicht.

Die Villa war ein Anwesen aus dem 19. Jahrhundert und in diesem Stil luxuriös eingerichtet. Sehr schön war der Raum mit der großen Tafel, an welcher die Beratungen zur Gründung der Firma stattfinden konnten. Ein gemeinsames Essen würde wohl nur unter den menschlichen Mitbegründern abgehalten werden. Adriana wollte trotzdem anwesend sein. Sie hatte ein Catering mit der Bewirtung von drei Personen beauftragt.

Das Essen verlief schweigend. Jeder schien irgendwie seinen Gedanken nachzuhängen. Nur Frank ließ ein paar Bemerkungen zum Essen fallen. Er war auch als Erster fertig und sah Adriana lange an. Als Steffi und Leo sich zum Schlafen verabschiedeten, blieb er sitzen. Er bemerkte Adrianas Unbehagen. Also brachte er sie auf ihr Zimmer. Doch statt selbst schlafen zu gehen betrat er hinter ihr den Raum. Ohne ein Wort und für ihn völlig untypisch nahm er Adriana in die Arme. Endlich merkte sie, dass Frank ein wahrer Freund war. Sie fing an zu schluchzen und ließ schließlich ihren Tränen freien Lauf. Als sie sich etwas beruhigt hatte, setzten sie sich gemeinsam auf das Chaiselongue und Frank sagte nur: „Du liebst ihn noch, das spüre ich ganz deutlich“. Er sah ihr in die Augen und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „Du sollst wissen, dass ich dir immer ein Freund sein werde, egal was du jetzt bist, solange du im Herzen die Adriana bleibst, die ich kenne.“

Endlich konnte sie jemandem ihr Herz ausschütten. Bis nach Mitternacht redeten sie und als Frank sich dann für die Nacht verabschiedete, ließ er eine Adriana mit Hoffnung zurück. Frank jedoch wusste jetzt, was er wissen wollte und legte sich müde ins Bett. Als er merkte, dass Leonhard, mit dem er ein Zimmer teilte, immer noch nicht schlief, sagte er leise: „Sie liebt dich immer noch, Leo, mehr als du glaubst.“

Doch Leonhard seufzte nur und murmelte: „Gute Nacht, Frank.“

Am Morgen sah der Garten der Villa wie eingezuckert aus. Über Nacht hatte es leicht geschneit und alles mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckt. Ein paar Spatzen hüpften umher und hinterließen auf ihrer Suche nach Futter lustige Muster im Schnee. Adriana wandte sich vom Fenster ab. Sie verließ ihr Zimmer, schaltete das Licht im Flur ein und wandelte langsam durch den Gang. Die Wände waren voll mit Bildern, welche meistens Landschaften und Stillleben zeigten. Einige hatten kunstvolle Rahmen. Einige waren einfach gerahmt. Eines hatte gar keinen Rahmen. Überall standen Möbel und Utensilien aus dem 19. Jahrhundert. Es sah aus, als wäre hier die Zeit stehen geblieben. Langsam ging Adriana die Treppe hinunter. Unten war Edgar dabei, den Kamin anzuheizen. Er stellte Gläser für die Vampire auf den Kaminsims, um sie ein wenig vorzuwärmen. Adriana setzte sich in einen Sessel im Wintergarten und beobachtete weiter die Spatzen im Garten. Sylvia kam nach unten und leistete Adriana schweigend Gesellschaft.

Sylvia akzeptierte Adriana und vertraute ihr. Vielleicht hätte sich diese beginnende Freundschaft vertiefen können, wenn sich Sylvias Gedanken nicht ständig um Elisabeth und deren rätselhaftes Verschwinden drehen würden. Sylvia wollte Adriana von ihren zukünftigen Reisen und von Elisabeth erzählen, aber sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte. Deshalb schwieg sie weiter.

Als auch Markus den Wintergarten betrat, folgte ihm Edgar. Er trug ein Tablett mit vollgefüllten Gläsern. Schweigend nahmen die Vampire ihr Frühstück ein.

Nachdem Markus sein Glas geleert hatte, sah er Adriana an. „Schöne Villa“, meinte er und grinste. Adriana grinste zurück, sagte aber nichts. Kurz darauf hörten sie ein Auto die Auffahrt heraufkommen und Edgar ließ die Cateringfirma mit dem Frühstück herein. Die anderen Vampire verhielten sich im Wintergarten ruhig. Adriana wollte nicht, dass die Cateringfirma Fragen stellte. Schließlich lieferten sie ja nur für drei, obwohl sich sieben Personen im Haus aufhielten.

An der Tafel saßen Steffi, Leonhard und Frank gemeinsam auf der einen Seite. Gegenüber nahmen Sylvia, Markus und Edgar Platz. Adriana saß an der Stirnseite und eröffnete die Gesprächsrunde. Sylvia wirkte – wie so oft in letzter Zeit – zerstreut. Markus war zu wenig eingeweiht, Edgar war es nicht gewohnt als Erster zu sprechen und Steffi wollte erst einmal hören, was beschlossen wurde. Erst dann würde sie ihr Anliegen vortragen wollen. Leonhard schüttelte den Kopf als Adriana ihn ansah. Der Einzige, der Adriana aufmunternd zunickte, war Frank. Adriana war nicht der Typ, der eine Sitzung moderieren konnte. Irgendwie musste ein Anfang gefunden werden, also sagte sie: „Jeder von uns musste in letzter Zeit Verluste einstecken, die einen mehr, die anderen weniger. Wir müssen uns jetzt zusammenreißen und beginnen, positiv in die Zukunft zu schauen. Die ersten Ansätze hatten wir bereits in Burjatien besprochen. Seither ruht die Planung unserer Zukunft. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns die Vergangenheit weiter belastet. Ich schlage vor, dass wir zuerst auflisten, welche Punkte geklärt werden müssen. Das beginnt bereits damit, dass Leonhard und ich beispielsweise kein Zuhause mehr haben. Des Weiteren müssen wir besprechen, ob und wie viel jeder unter welchen Voraussetzungen einbringen möchte, um die weitere Zukunft in welcher Form auch immer planen zu können. Erst danach können wir beschließen, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen Leonhards Erfindung im Rahmen einer Firma vorangetrieben werden kann.“

Adriana schwieg und sah zu Frank, welcher ihr zuzwinkerte und als Nächster das Wort ergriff. Er bot an, sich um die rechtlichen und steuerlichen Dinge zu kümmern und wenn notwendig, weitere Juristen zu beauftragen und deren Kosten zu übernehmen. Er erbat sich dafür eine dauerhafte Bleibe am oder im Firmensitz und ein angemessenes finanzielles Auskommen.

Franks kraftvolle und beruhigende Stimme veranlasste die anderen, nun auch ihre Vorstellungen und Wünsche zu äußern. Sylvia war jetzt geistig wieder anwesend und brachte sich mit ein. Nun waren Leonhard und Steffi an der Reihe. Steffi schüttelte den Kopf und ließ Leonhard den Vortritt.

„Ich denke“, begann er, „dass das Grundrecht an der Erfindung in den Händen von Steffi, Adriana und mir bleiben sollte. Ich muss betonen, dass das ursprüngliche Experiment erfolgreich war. In diesem Zusammenhang habe ich die Möglichkeit gesehen, Blut synthetisch herzustellen. Synthetisches Blut hat viele Vorteile, besonders bezüglich Lagerung und Reinheit. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ihr äh… na ja, Adriana und so… ähm…“, Leonhard wollte das Wort Vampire nicht aussprechen, „… ob das ausreichend für euch ist und so…“

Markus fing schon an zu grinsen, also brach Leonhard das Thema ab und sagte: „Man hört Gerüchte, dass es so etwas schon geben soll, aber so richtig ist da nichts rauszukriegen. Gestern habe ich mit Frank darüber bereits gesprochen. Es wird unter Umständen besser sein, keine offizielle Firma zu gründen. Wir brauchen eher ein Unternehmen, das die Blutproduktion abdeckt. Meine Bedingung ist, dass ich neben einer angemessenen Unterkunft weiterhin finanziell abgesichert bin und dass die Blutherstellung in meinen Händen bleibt.“

Er machte eine kurze Pause und sah in die Runde. „Das wirft jetzt sicher alles durcheinander. Ich habe mir aber Gedanken gemacht und fand das Konzept, was Steffi, Adriana und ich bisher praktizierten, nicht schlecht war. Bevor hier also von Beteiligungen gesprochen wird, müssen wir die ganze Sache neu überdenken. Und noch einen Wunsch habe ich: Ich möchte, dass kein Blut mehr gestohlen wird und werde daran arbeiten, dass stets genug davon… ähm… da ist. Ich habe mich auch schon mit dem Gedanken befasst, wie ich das Blut aufbewahren, konservieren und im Notfall auch versenden kann. Wie ich mitbekommen habe, soll Burjatien ja weiter existieren. Könnte also notwendig werden.“

Frank grinste nun auch in sich hinein.

Sylvia sagte jedoch: „Ich habe kein gesteigertes Interesse an Firmenbeteiligungen. Für uns Vampire ist das Vorhandensein des Ergebnisses ausschlaggebend.“

Sylvia stand auf und ging langsam zur anderen Stirnseite des Tisches gegenüber von Adriana. Dabei sagte sie: „Auch ich habe mir im Vorfeld Gedanken gemacht und die von Leonhard angesprochenen Bedenken kann ich nur teilen. Ich selbst werde oft und lange auf Reisen sein. Das Schloss, was mein Vater mir vererbt hat, wird demnächst verkauft.“

Sylvia hielt inne und beobachtete die Menschen, die sie überrascht ansahen. Ihr entging aber Edgars wissender Blick. Dann sprach sie weiter: „Ich werde aber eine für unsere Zwecke passende Burg erwerben. Der Kauf wird in Kürze stattfinden. Diese Burg befindet sich an der Westküste Schottlands auf einem Felsen mitten im Wasser und ist nur über eine Brücke erreichbar. Die Burg sieht zwar äußerlich nicht so einladend aus, ist aber innen schön und teilweise modern eingerichtet. Zurzeit wohnt dort eine Menschenfamilie, die von einem alten schottischen Adelshaus abstammt. Zugegeben: Die Burg ist nicht so luxuriös, wie das Schloss, aber ich habe mich dort längere Zeit aufgehalten und kenne jeden Schlupfwinkel. In dem Felsen, auf welchem die Burg steht, befindet sich ein Labyrinth von Gängen und Höhlen. Diese kennen nicht einmal die jetzigen Besitzer richtig. Sie sind aber perfekt, um Leonhards Arbeit geheim zu halten. Diese Burg soll unser Anteil sein, der Anteil der Vampire. Edgar soll sich um diese Burg kümmern. Er wird sozusagen Verwalter und regelt den ganzen Papierkram. Sibirien soll ein geheimer Rückzugsort bleiben, für alle Fälle. Über diesen Ort darf nicht oder nur in Notfällen gesprochen werden, auf keinen Fall in Gegenwart von Fremden.“ Sie machte kurz Pause und zuckte dann mit den Schultern.

„Da Frank bereits sehr viel Arbeit übernehmen will und Leonhard sich auf seine Arbeit konzentrieren soll, muss sich Steffi um die alltäglichen Dinge der Menschen kümmern.“

Adriana sah Steffi an und diese meldete sich nun erstmals zu Wort. „Für diese Position komme ich nicht in Frage. Ich habe mich dafür entschieden in Deutschland zu bleiben. Zumindest was den dauerhaften Wohnsitz betrifft. Ansonsten stimme ich Leonhards Ausführungen zu. Ich frage jedoch dich, Adriana, was mit deinem Grundstück in Roßbach werden soll und mit der Laborgerätefirma? Was wird aus der vielen Arbeit im Bunker? War das alles umsonst?“

Steffi sah Adriana mit gerunzelter Stirn an. Adriana musste sich eingestehen, dass sie bereits eher schweren Herzens an einen Verkauf gedacht hatte. Die Laborgeräte hatte sie völlig vergessen. Sollte sie das Haus wieder aufbauen? Wäre es nicht schön, einmal wieder Urlaub in der Heimat machen zu können? Ihre Gedanken überschlugen sich. Franks kräftige Stimme ließ sie aufhorchen.

„Dein Haus ist hoch versichert“, meinte er, „Die Polizei wird die Sache bald ad acta legen. Wenn Steffi sowieso in Deutschland bleiben will, warum dann nicht in diesem Haus?“

Er grinste Steffi schelmisch an und fuhr fort: „Ich bin für einen Wiederaufbau, wenn du uns jederzeit ein Gästezimmer freihältst!“

Steffi grinste zurück und sagte auf ihre lockere Art: „Klaro, immer!“

Adrianas Herz machte gerade einen Freudensprung, denn zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr aus Sibirien grinste Steffi sie an, so wie sie es früher getan hatte. In diesem Moment verspürte sie Erleichterung, denn nun musste sie das Haus doch nicht verkaufen. Eine weitere Sache konnte sie ebenfalls klären, die ihr am Herzen lag.

„Das Haus soll wiederaufgebaut werden unter drei Bedingungen.“

Sie lächelte über Steffis sichtlichen Unmut über diese Bemerkung, fuhr aber fort: „Die erste Bedingung ist, dass du dich allein um die Planung kümmerst und das Haus nach deinen Wünschen errichtest mit einer Einschränkung.“

Hier schmunzelte sie und schielte zu Frank. „Es soll mindestens drei Gästezimmer geben. Die zweite Bedingung ist, dass du dich um die Laborgerätefirma kümmerst und sie als Geschäftsführer übernimmst. Die dritte Bedingung ist, dass Erika und ihr Mann zu den gleichen Bedingungen wie früher wieder eingestellt werden.“

Adriana sah, dass Steffi schwer schluckte. Steffi stand auf und kam zu ihr herüber. Ergriffen drückte sie die Vampirfrau herzlich an sich und flüsterte: „Jetzt weiß ich, dass du immer noch die Adriana bist, die ich kenne!“

Adriana sah zu Leonhard. Er schenkte ihr jedoch nur ein gequältes Lächeln. Zu gut erinnerte er sich an Franks Worte vor dem Einschlafen und wusste, dass sie wahr waren. Leider.

6.

Glenn konnte seine Wurzeln bis zu altem schottischem Adel zurückverfolgen. Zwar war kein Vermögen mehr vorhanden, aber er hatte noch gute Kontakte zu den verbliebenen alteingesessenen Familien und konnte sich ein kleines aber besonderes Immobiliengeschäft aufbauen. Nach dem Studium des Rechts war er gleichzeitig als Rechtsanwalt für seine eigenen Immobilienangelegenheiten tätig. Nie hatte er mehr als zwei oder drei exklusive Objekte. Doch jetzt sollte ihm der größte Coup in seinem Leben gelingen.

Der Immobilienmakler lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Er betrachtete die ihm überlassenen Unterlagen und dachte über den Gast nach, der vor zehn Minuten gegangen war. Er musste russische Wurzeln haben, zumindest seinem Nachnamen nach, den er kaum aussprechen konnte. Seine Aussprache allerdings hatte eine leicht norwegische Note. Da kannte sich Glenn aus.

Was ihn aber am meisten verblüffte, war die kühle und distanzierte Art. Diese Art erinnerte ihn an die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Sie mussten Geschwister sein, denn auch dieser Georg Kurdi-irgendwas war ein außerordentlich schöner Mann.

Die Frau hieß Sylvia. Ihre Bekanntschaft hatte Glenn auf High Rock Castle gemacht. Sie war zu einem kurzen Besuch bei Glenns Cousin gewesen. Damals hatte er erfahren, dass sie die Tochter von eben jenem William sei, der das Schloss nördlich von Loch Garry besaß und nun verstorben war. Es handelte sich um ein riesiges Anwesen, welches der ehemalige Familienbesitz der Frau seines Cousins war. Im Zuge der Jakobineraufstände hatten es ihre Vorfahren verkaufen müssen und waren weit in den Norden geflohen.

Nun aber hatte der Cousin genügend Geld, um den Familienbesitz seiner Frau zurückkaufen zu können. Sie erfuhren, dass das Schloss Jahrhunderte lang im Besitz der Familie Komarow war und drängten diesen William zum Verkauf. Doch dieser wollte das Anwesen nicht verkaufen.

Wie sehr musste seine Tochter ihn hassen, wenn sie kurz nach seinem Tod so emotionslos und kalt die Immobilie zum Verkauf anbot. Soweit er wusste, hatte sie sie nicht einmal besichtigt. Aber vielleicht brauchte sie einfach nur das Geld. Offenbar reichte ihr die kleine hässliche Burg High Rock Castle an der Westküste.

Auf dieser Burg war er nicht gern. Bei jedem seiner Besuche war es regnerisch und windig gewesen. Die Burg war zwar robust, aber ein sehr altes Gemäuer ohne jedweden Schnickschnack. Allerdings hatte diese Burg natürliche Barrieren und war nur über eine Brücke erreichbar.

Glenn wusste, welchen Wert das Schloss hatte, das sein Cousin zurückkaufen wollte. Die gepflegten Anlagen, die schönen Wiesen und kleinen Wäldchen und die von William errichteten Sicherheitseinrichtungen hatten den Wert noch erhöht. Mit der Provision und den Gebühren aus den bevorstehenden Verkäufen konnte er sich getrost zur Ruhe setzen.

Er rieb sich die Hände und griff nach dem Telefon. Es gab jetzt viel Arbeit, da beide Parteien sich von ihm vertreten ließen. Das war äußerst verwunderlich und noch nie vorgekommen aber durchaus möglich.

7.

Elisabeth war bewusst, dass sie mit ihrer Taktik Pedro nicht lange irreführen konnte. Daher versuchte sie auf dem schnellsten Weg über die Grenze nach Argentinien zu gelangen. In einem kleinen Ort fand sie einen Fahrer, der sie die 300 Kilometer nach Rio Gallegos zur Ostküste mitnahm. Dort suchte sie einen alten Bekannten auf, welcher ihr half, eine neue Identität anzunehmen. Unter dem Namen Juana Martinez buchte sie zunächst einen Flug nach Posadas und von dort ging es weiter nach Johannesburg.

In Johannesburg tauchte sie erneut unter und reiste mit wieder anderem Namen weiter nach Ägypten. So konnte sie ihre Spur verwischen und erreichte schließlich Europa. Ihr Ziel war Madrid.

Elisabeth wusste sehr gut, wie mögliche Verfolger abgeschüttelt werden konnten. Das hatte ihr Sylvia auf den vielen gemeinsamen Reisen beigebracht. Auf die beiden Toten, die sie zurücklassen musste, war sie nicht stolz. Aber sie waren ihr zu verdächtig. Und ihre Angst, an Pedro verraten zu werden, war zu groß.

Ihr endgültiges Ziel war nicht Madrid, sondern die kleine Wohnung in Barcelona. Jene Wohnung, in der sie sich mit Sylvia damals nach ihrer Reise zu ihrem Vater wieder traf. In Madrid nahm sie Kontakt zu der Familie des verstorbenen Freundes auf, um nachzufragen, ob die kleine Wohnung noch zu haben war. Erfreut stellte sie fest, dass seine Nachkommen die Wohnung gepflegt und für eine Rückkehr instandgehalten hatten. Offenbar hielt Sylvia dieses Arrangement immer noch aufrecht. Dies war der Ort an dem Sylvia damals sagte. „Wer weiß, was uns noch passiert und wer uns begegnet. Sollten wir einmal getrennt werden, oder müssen wir uns einmal trennen, so soll dies der geheime Ort sein, an dem wir uns wiedersehen können.“

Daran klammerte sich Elisabeth. Sie blieb den ganzen Winter über in Barcelona und gab sich den Namen Anna im Andenken an ihre Dresdner Freundin. Die langen schwarzen Haare hatte sie sich abschneiden lassen. Stattdessen schmückte nun eine fesche Kurzhaarfrisur ihr Haupt. Ohne ihre große Sonnenbrille ließ sie sich nie auf der Straße sehen. Sie kaufte sich Klamotten, wie sie hier alle trugen, bewegte sich wie sich alle bewegten und wurde unsichtbar in der Menge. Sie blieb ständig wachsam. Die Angst vor Pedro war stets allgegenwärtig und sie wusste, dass er weltweit Kontaktleute unterhielt. Einige hatte sie damals auf ihrer Reise mit ihm nach Chile kennengelernt und bewusst diese Orte auf ihrer Flucht gemieden oder so schnell wie möglich wieder verlassen. Durch Barcelona war sie mit Pedro nicht gekommen. Aber Anna war dennoch vorsichtig.

Doch da es kein Zeichen von Sylvia gab beschloss sie, eine Reise nach Luzern zu unternehmen. Sie wollte diese Möglichkeit nicht unversucht lassen. Sie wusste, dass es nicht ungefährlich war. Deshalb entschied sie sich für einen der neuen Pässe, der sie als blonde Holländerin auswies. Zuvor kaufte sie sich noch ein Handy mit einer Prepaid-Karte und hinterließ die Telefonnummer in der Wohnung mit der Notiz „William war es nicht, bitte verzeih mir“.

Anna hatte Pedro nie gefragt, warum Sylvia weiterleben durfte. Sie glaubte nicht, dass sie eine Antwort darauf bekommen hätte.

Wusste Sylvia etwas von dem Buch oder von Pedro? Hatte sie auch Angst vor ihm? Hatte sie deshalb die vielen Identitäten? Es waren so viele Fragen, die auf eine Antwort drängten. Sylvia sagte einmal, dass sie die Identitäten brauche, um sich vor ihrem Vater zu verstecken und damit keiner merkt, dass sie nicht altert. War das die ganze Wahrheit?

Anna reiste per Anhalter nach Frankreich und erreichte schließlich Montpellier.

Als sie diese Stadt einen Tag später nachmittags verließ, traf sie einen Franzosen, der sie mit seinem schwarzen Peugeot mitnahm. Nach einer Weile stellte sie fest, dass er in die falsche Richtung fuhr. Sie hatte ihm gesagt, dass sie nach Genf wolle. Nizza war aber eindeutig die falsche Richtung. Ruhig fragte sie daher in schlechtem Französisch: „Warum fahren wir in diese Richtung?“

Der Mann sagte aber nur so etwas wie: „Ich fahre auf den nächsten Parkplatz.“

Und das tat er auch. Dann stellte er Fragen, die sie nicht richtig verstand. Allerdings waren seine Gesten eindeutig. Offenbar wollte er als Bezahlung fürs Mitnehmen mit ihr schlafen. Als sie ihm das Geld zeigte, schüttelte er nur lachend den Kopf und streichelte anzüglich ihr linkes Bein. Dann startete er das Auto wieder und fuhr zum nächsten Motel.

Anna blieb ruhig, lächelte und signalisierte Einverständnis. Sie wunderte sich jetzt nur, dass ihr das nicht schon früher passierte.

Brav folgte sie dem Franzosen in das Zimmer, welches er für eine Nacht gebucht hatte. Er schloss hinter ihr die Tür und wollte gleich zur Sache gehen. Anna war zum gegenüberliegenden Fenster gegangen und schloss die Vorhänge. Eiskalt lächelnd drehte sie sich zu ihm um. Ihr Gesicht hatte bereits die Verwandlung zum Vampir vollzogen. Bevor der Mann schreien konnte, warf sie ihn zu Boden, hielt ihm den Mund zu und versenkte ihre Zähne in seiner Halsschlagader.

Anna verspürte keine Schuld und auch keine Scham, diesen Menschen zu beißen. Hätte er sich anständig benommen, würde er noch leben. Nun war sie gestärkt, konnte ihre Blutvorräte schonen und hatte zudem seine volle Brieftasche. Auch sein Auto verschmähte sie nicht.

Ganz in Ruhe wusch sie ihre Sachen, steckte sie in den Trockner und wartete bis sie fertig waren.

Dann fuhr Anna das Auto zu einem Hintereingang. Es ging bereits auf Mitternacht zu und in den dunklen Gängen brannten nur ein paar Notlichter. Schnell und fast lautlos brachte sie den Toten zum Auto und ließ ihn in den Kofferraum gleiten. Dann setzte sie sich ans Steuer, gab im Navigationssystem Genf ein und fuhr los.

Anfangs war das Fahren noch etwas ungewohnt. Einen Führerschein besaß sie nicht, aber das Autofahren nebst ein paar grundlegenden allgemeinen Regeln hatte ihr Sylvia beigebracht. Die meiste Zeit fuhr sie auf der Autobahn. Erst kurz vor der Schweizer Grenze nahm sie eine Ausfahrt.

Es war noch dunkel und Anna suchte einen abgelegenen Ort. Schließlich fand sie einen Feldweg, schaltete das Licht aus und fuhr weiter bis zu einer Baumgruppe. Dort setzte sie den Franzosen hinter das Lenkrad, zündete seine Sachen und den Papierkram auf dem Rücksitz an, schnappte sich ihren Koffer und entfernte sich rasch.

Der helle Schein sagte ihr, dass das ganze Auto jetzt lichterloh brannte und das Feuer bereits auf einen Baum übergriff. Als sie die Feuerwehr hörte drehte sie sich noch einmal kurz um, zuckte mit den Schultern und lief weiter. Als Anna schließlich die Grenze zur Schweiz überquerte und den Genfer Bahnhof suchte, kündigte sich im Osten der Sonnenaufgang mit einem blutroten Himmel an.

In Mitteleuropa hielt der Frühling Einzug. Die Sonne schien schon mit ungewohnter Kraft. Deshalb hatte sie beschlossen, erst am späten Nachmittag in einen Zug nach Luzern zu steigen. Die Tage wurden langsam wieder länger, aber um diese Jahreszeit war es dennoch abends zeitig dunkel.

Anna stand etwas außerhalb der Stadt Luzern am Ufer des Vierwaldstätter Sees. Fasziniert sah sie, wie sich die Lichter der Stadt im Wasser spiegelten, leicht kräuselten, anfingen zu schaukeln und schließlich zu einem orangegelben Meer wurden als die leichte Brise sich in einen böigen Wind verwandelte, der dann in den Bäumen und zwischen den Häusern der Stadt verschwand.

Sie wollte die Dunkelheit nutzen, um den Ort zu beobachten, an dem sie sich damals von Sylvia trennte. Ob die kleine Pension gegenüber der Wohnung noch existierte? Falls sie dort Quartier nahm, musste Anna sehr vorsichtig sein. Wenn Pedro bereits nach ihr suchen würde, dann wohl zuerst hier. Sie war sich sicher, dass die Jagd nach ihr bereits begonnen hatte.

Langsam näherte sie sich der Straße, in welcher sie mit Sylvia einst wohnte. Lange blieb sie regungslos in einer dunklen Toreinfahrt stehen, während sie die Pension ihrer Wahl beobachtete. Sie blieb die ganze Nacht dort stehen. Nichts entging ihr. An den Lichtern konnte sie erkennen, welche Zimmer bewohnt waren. Noch aufmerksamer beobachtete sie die Zimmer, in denen kein Licht brannte. Nichts passierte. Kein wackelnder Vorhang, keine ums Haus schleichenden Personen. Als die Sonne aufging, setzte sie sich in ein kleines Frühstückscafé gegenüber der Pension und wartete, bis die Sonne hoch am Himmel stand. Dann setzte sie ihre Sonnenbrille auf und ging hinüber zu der Pension.

Sie versuchte so gut sie konnte, ihrem Deutsch eine holländische Note zu geben und fragte, ob ein Doppelzimmer frei wäre.

„Ja, selbstverständlich. Ich gebe Ihnen Nummer 11 im zweiten Stock. Wie lange möchten Sie denn bleiben?“

„Eine Woche“, antwortete Anna, „Ich erwarte hier meinen Bräutigam. Er wusste noch nicht, wann genau er hier sein kann. Oder ist er vielleicht schon angekommen?“

„Ich glaube nicht“, sagte die Inhaberin der Pension, „Bis jetzt hat’s nur zwei Männer, die ihrer Arbeit in der Stadt nachgehen, aber das sind Dauergäste. Dann gibt´s noch ein junges Paar, welches seine Flitterwochen hier verbringt und eine ältere Dame.“

Das passte gut zu ihrer nächtlichen Beobachtung.

„Nein“, sagte sie, „dann wird er wohl noch nicht da sein.“

In verschwörerischem Ton fügte sie noch hinzu. „Sagen Sie ihm nichts, wenn er kommt und nach mir fragt. Aber rufen Sie mich an. Ich will ihn überraschen.“

Lächelnd versprach die Inhaberin ihr, zu tun, was sie verlangte und übergab ihr den Schlüssel. Anna hoffte, dass ihre kleine Finte sie vor Pedro warnen würde. Sie musste jetzt in dieser Hinsicht auf ihr Glück vertrauen. Schließlich war sie hier, um Sylvia zu finden.

Doch die Woche verging und nichts tat sich. Sylvia war nicht da. Diese kleine Hoffnung war nun ebenfalls zerstört. Die traurige Miene, mit der sie der Pensionsinhaberin die Geschichte von den Arbeitgebern auftischte, die dem geliebten Bräutigam den Urlaub gestrichen hatten, bereitete ihr daher keine große Mühe. Anna verließ die Pension.

Eine letzte Chance wollte Anna nicht ungenutzt lassen. Sylvia hatte diesen Lehrer kennen gelernt und ihr die Schule gezeigt.

8.

Glenn ließ sich eigens für diesen Termin einen Anzug anfertigen und hatte kurz vor der Ankunft seiner außergewöhnlichen Kunden noch einen Frisör besucht. Für den Transfer zur Burg mietete er einen luxuriösen Kleinbus mit Fahrer an und parkte pünktlich eine halbe Stunde vor der Landung des Flugzeuges am Flughafen.

Aufgeregt hatte Glenn auf seine Klienten gewartet. Er wurde nicht enttäuscht. Bald sah er Sylvia in Begleitung einer weiteren schönen Frau und ein paar Männern. Einer der Männer erinnerte Glenn an den Besucher vor ein paar Monaten. Er hatte zwar etwas längere blonde Haare, aber den gleichen Bekleidungsstil und ähnlich feine Gesichtszüge wie seine Angebetete. Der, der sich um das ganze Gepäck kümmerte, stach mit seiner kühlen, wachsamen und irgendwie umwerfenden Persönlichkeit hervor. Die anderen zwei Männer waren eher unauffällig.

Überglücklich begrüßte er zuerst die Damen, die er mit Komplimenten überhäufte. Sylvia reagierte darauf eher genervt als geschmeichelt, was Adriana ziemlich amüsierte. Die Männer begrüßte er mit einer Unterwürfigkeit, die schon fast lächerlich wirkte.

Die Reisenden wünschten eine schnelle Weiterfahrt. So überspielte Glenn seine Enttäuschung und hoffte auf ein Gespräch mit Sylvia im Bus. Doch auch hier wurde er enttäuscht, denn nach dem Einsteigen wurde er vor allem von dem wachsamen Gepäckträger namens Edgar mit Fragen über die Burg überhäuft. Seine schmachtenden Blicke wurden von Sylvia ignoriert und von Markus, welcher neben Sylvia saß, mit spöttischen Blicken quittiert.

Also konzentrierte sich Glenn auf seine Arbeit. Schließlich waren hier potenzielle Klienten, welche vielleicht an weiteren Grundstücken interessiert waren. Glenn wollte sich zwar zur Ruhe setzen, aber einträglichen Geschäften, die hohe Provisionen versprachen, würde er sich natürlich nicht verschließen. Wenn er schon die Frau nicht haben konnte, dann wenigstens einen großen Batzen ihres Geldes.

Von weitem sah die Burg nicht nach einem bewohnbaren Domizil aus. Doch Glenn versprach den Anwesenden im Bus, dass ein großzügiges Heim mit gemütlichen Räumen auf sie wartete.

Während sie sich der Brücke, dem einzigen Zufahrtsweg zur Burganlage näherten, beschrieb Glenn in leuchtenden Farben die Vorzüge des Anwesens. Es regnete heute ausnahmsweise nicht und ab und an sah sogar die Sonne hinter den schnell ziehenden Wolken hervor. Die Burganlage wirkte düster und ehrwürdig. Ihre hohe und dicke Ringmauer wurde durch zwei wuchtige und wachsam wirkende Batterietürme unterbrochen, zwischen denen man in das Innere der Mauern gelangte. Die Türme wurden ebenso wie die Wehranlagen der Mauern mit dem typischen, wie große Zähne wirkenden, Aufbau gekrönt. Zwischen den Türmen spannte sich hoch oben eine Brücke, die die Wehrgänge miteinander verband und neueren Datums zu sein schien. Von Glenn erfuhren sie, dass vor langer Zeit der Raum zwischen den beiden Türmen bebaut und mit einem Gießerker und einem Fallgatter ausgestattet war. Jetzt wurde die Zufahrt mit einem schmiedeeisernen zweiflügeligen Tor verschlossen.

Der Bus hatte die Brücke passiert und fuhr nun die kurze steil ansteigende Straße hinauf. Glenn erzählte den Ankommenden, die angeblich wahre Geschichte, dass in einem Clankrieg das Falltor durch den gewaltigen und riesenhaften Clanführer mit solcher Wucht angegriffen wurde, dass er das darüber befindliche Bauwerk beschädigte. Er hatte die Burg dennoch nicht einnehmen können und zog sich wieder zurück. Der darauffolgende Freudentanz der Verteidiger brachte die Toranlage zum Einsturz und den Feiernden den Tod.

Glenn stieg aus und öffnete das Tor, damit der Kleinbus durchfahren konnte.