Blutläufer 3: Exodus - Stefan Burban - E-Book

Blutläufer 3: Exodus E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Der Krieg verläuft schlecht für die Rebellen. Nach der für beide Seiten verheerenden Schlacht um die Erde, verstärkt das Imperium seine Offensive gegen die Freiheitskämpfer. Zahlen- und waffenmäßig weit unterlegen, muss Gareth Finch der Wahrheit ins Auge blicken: Der Aufstand droht zu scheitern. Infolge dessen trifft er eine schwierige Entscheidung. Die Rebellen sammeln all ihre Kräfte und nehmen Kurs auf den Raum jenseits des Imperiums. Ihre Hoffnung besteht darin, einen Planeten abseits des feindlichen Einflussgebiets zu finden, den sie besiedeln können. Cha`acko ist ihnen jedoch dicht auf den Fersen. Als die Rebellen endlich eine abgelegene Welt zwischen den Fronten finden, scheint ihr Plan tatsächlich aufzugehen. Doch die Syall und Sekari entdecken deren Anwesenheit und entsenden starke Verbände, um die Eindringlinge zu vertreiben. Als wäre das noch nicht schlimm genug, erscheinen auch noch die Ashrak auf der Bildfläche. Eingekesselt zwischen drei mächtigen Armeen, sehen die Rebellen der unausweichlichen Vernichtung entgegen …

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Inhalt

Prolog

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Epilog

Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Oktober 2022 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Arndt Drechsler Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-858-8 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-861-8 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Marc Watson, Befehlshaber des Angriffskreuzers Babylon, hielt sich krampfhaft am Geländer seiner Kommandostation fest. Praktisch ununterbrochen prasselten Raketen und Energiestrahlen auf das Rebellenschiff ein.

Watson biss die Zähne zusammen. »Tony, volle Energie auf den Antrieb. Wir brauchen mehr Manövrierfähigkeit.«

Der Navigator des Angriffskreuzers reagierte nicht. Marc runzelte die Stirn. »Tony? Mehr Energie auf den verdammten Antrieb!«

Der Rebellenoffizier wandte sich um und verharrte auf der Stelle. Der Navigator lag regungslos in seiner horizontalen Halterung. Die milchig weißen Augen, in denen man die Pupillen nicht mehr sehen konnte, hätten für gewöhnlich bedeutet, dass sich der Mann im Vortex befand. Ein dünner Blutstrom zog aus beiden Nasenlöchern und den Augenwinkeln seine Bahn über das Kinn. Langsam und beständig tropfte der rote Saft auf den Boden. Der linke Arm des Navigators hatte sich aus der Halterung gelöst und wippte bar jedes Lebens im Takt der Erschütterungen des Kriegsschiffes hin und her.

Der Navigator weilte nicht mehr unter den Lebenden. Noch während sein Geist im Vortex beschäftigt gewesen war, hatte ihn das Schicksal ereilt.

Watson schluckte, trat zu seinem Freund und legte diesem dessen linke Hand auf die Brust. Anschließend drückte er ihm die Augen zu. »Wir sehen uns gleich wieder, Bruder«, sprach er die Unheil verkündenden Worte aus.

Die überlebenden Besatzungsmitglieder seiner Brückencrew warfen ihm schräge Blicke zu. Es lag weder Anklage noch Verzweiflung darin, nur die Akzeptanz des Unausweichlichen.

Watson trat zurück an die Kommandostation. Der Offizier war in früheren Zeiten bekannt gewesen als Templer GX-112587. Das kam ihm inzwischen vor wie ein böser Traum – oder schlichtweg wie ein anderes Leben. Seine Hände schlossen sich um den Rahmen, der die Kommandostation einhüllte. Vor dem zentralen Brückenfenster nahmen die imperialen Schiffe Aufstellung für die letzte Offensive. Und dieses Mal würden sie die Abwehrlinien der Rebellen durchbrechen.

Unter der Babylon befand sich Basis Delta Blue. Man hatte sie auf einem Asteroiden inmitten eines großen Trümmerfeldes im Ipoli-System angelegt. Der Sinn dahinter war offensichtlich. Man hatte gehofft, damit der Aufmerksamkeit der Rod’Or und ihrer Schergen zu entgehen. Watson machte eine verkniffene Miene. »So viel dazu«, murrte er verdrossen. Seine Miene hellte sich sogleich wieder auf. Er bereute nichts. Seine Befreiung durch Gareth Finch und der Kampf, den sie gemeinsam mit so vielen anderen aufgenommen hatten: All das zählte zu den Sternstunden seines Lebens. Es gab überhaupt nichts zu bereuen.

Ihre Chancen standen von Anfang an schlecht gegen einen Feind, der ihnen zahlenmäßig tausendfach überlegen war. Aber der Kampf für die Freiheit war immer lohnenswert. So etwas wie sinnlosen Widerstand gab es nicht, wenn freie Wesen darum rangen, frei zu sein. Er lächelte. Watson würde heute sterben. Dieser Ausgang war unvermeidlich. Aber er starb als freier Mensch. Manchmal konnte man vom Leben nicht mehr verlangen.

Seine Finger verkrampften sich dermaßen fest um den Rahmen, dass die Knöchel weiß hervortraten. Mit einem schnellen Blick verschaffte er sich einen Überblick über die aktuelle Lage.

Das Delta Blue zugeordnete Schutzgeschwader war zu mehr als neunzig Prozent vernichtet. Die noch vorhandenen Schiffe und Jäger würden demnächst von der Masse an feindlichen Kräften überwältigt. Aber noch waren sie nicht tot. Noch konnten sie kämpfen. Noch konnten sie dem Feind die Zähne zeigen.

»Befehl an alle Schiffe«, ordnete er an. »Neu formieren zum Gegenangriff.«

Jessica Mack, seine Nummer zwei, grinste angesichts des Befehls. Sie wusste, was im Kopf ihres Kommandanten vor sich ging. Sie wusste es und billigte es. Wenn sie schon draufgingen, dann würden sie den Ashrak vorher noch eine blutige Nase verpassen. Es blieb ihnen keine andere Option mehr, als den Preis des Feindes für die Einnahme von Delta Blue in die Höhe treiben.

Die Offizierin gab den Befehl weiter. Umgehend formierten sich siebenundzwanzig Schiffe um die Babylon. Jagdgeschwader bezogen Position, um den schweren Kampfeinheiten Deckung zu geben.

Watsons Miene nahm einen entschlossenen Ausdruck an. »Vormarsch einleiten!«, befahl er schlicht.

Achtundzwanzig Rebellenschiffe rückten gegen mehr als zweihundert Ashrakkampfraumer vor. Das All zwischen beiden Verbänden war angefüllt mit den Trümmern und Wracks einer erbitterten Schlacht.

Die Rebellenschiffe eröffneten das Feuer. Die taktischen Offiziere konzentrierten den Beschuss auf einzelne, zumeist bereits beschädigte Einheiten und schalteten sie mit chirurgischer Präzision aus. Die Ashrak verloren innerhalb weniger Minuten sieben Schiffe. Das Schutzgeschwader schlug in seinen letzten Zuckungen noch gefährlich die Krallen in das Fleisch des Feindes.

Die Rebellenjäger stürmten vor, um die feindlichen Jagdgeschwader in Empfang zu nehmen. Es entbrannte eine hitzige Schlacht innerhalb der Schlacht und für einen winzigen Moment unvergleichlichen Ruhms schien es nicht nur, als würden die Rebellen die Stellung behaupten – nein, sie drängten den Feind allein durch die Wucht der Offensive zurück. Und dann konterte ihr Gegner.

Die Ashrak entsandten Verstärkung und die Rebellenjäger wurden mit verächtlicher Leichtigkeit aus dem All gefegt. Währenddessen feuerten Watsons Schiffe mit allem, was sie aufzubieten hatten, auf den Gegner. Sie erzielten Treffer um Treffer und der Beschuss zeitigte sogar bescheidene Erfolge.

Die Babylon allein schaltete einen Träger und einen Kampfkreuzer aus. Andere Schiffe erledigten Zerstörer, Fregatten und mehrere Kreuzer. Es gelang sogar, eines der Schlachtschiffe dermaßen entscheidend zu beschädigen, dass es beidrehen und den Kampf abbrechen musste.

Watson wusste, sie hatten keine Chance. Trotzdem hielt sich hartnäckig eine euphorische Stimme in seinem Hinterkopf, die ihm einflüsterte, dass sie die Stellung unter Umständen lange genug würden halten können, bis die Basis evakuiert werden konnte und all die Blutläufer auf der Oberfläche des Asteroiden entkommen waren. Fall es gelang, den Feind aufzuhalten, würden Hunderte seiner Brüder und Schwestern überleben. Es handelte sich um eine illusorische Hoffnung, aber sie war nichtsdestoweniger vorhanden – dann hörten die Ashrak auf, Spiele zu spielen.

Der Gegenschlag des Feindes brach mit verheerender Gewalt über die kleine Anzahl von Freiheitskämpfern herein. Innerhalb kürzester Zeit verschwanden die Symbole der eigenen Schiffe nach und nach von Watsons Plot.

Der Rebellenoffizier ließ den Kopf hängen. Es war vorbei. Er wusste es und der Ashrakbefehlshaber auf der anderen Seite wusste es mit Bestimmtheit auch.

Eine erste Welle von Sturmtransportern zog an der angeschlagenen Babylon vorbei. Der Gegner begann mit der Kampflandung.

Watson knirschte mit den Zähnen. »Nicht so voreilig, ihr Drecksäcke! Noch sind wir nicht tot.«

Die Babylon stieß aus den unteren Deckgeschützen mehrere kohärente Energiestrahlen aus, die einen Sturmtransporter aufspießten und in einen Feuerball verwandelten.

Zwei Schwere Kreuzer der Ashrak flankierten die Babylon und beharkten sie aus den Breitseitenwaffen. Explosionen überschütteten das zum Untergang verurteilte Schiff. Nach und nach fielen sämtliche Waffen aus. Jessica Mack trat neben ihren Kommandanten und legte diesem mitfühlend die Hand auf die Schulter. Er berührte sie mit der eigenen, ohne sich umzudrehen.

Eine letzte Salve durchbrach die Panzerung oberhalb der Brücke und vernichtete Schiff und Besatzung. Von der Babylon blieb nur ein leeres, ausgebranntes Gerippe zurück. Die Ashrak setzten ihren Angriff auf Delta Blue weiterhin fort, als wären die Leben, die sie gerade vernichtet hatten, nicht das Geringste wert.

* * *

Delta Blue war von der Außenwelt abgeschnitten, eine Evakuierung nicht länger möglich. Doch die Blutläuferrebellen verzagten keineswegs. Sie marschierten aus der Basis, ohne Hoffnung auf einen Sieg. Eine Kapitulation kam allerdings für keinen infrage. Durch ihre Rüstungen vor dem Vakuum geschützt, bemannten sie die Schützengräben, die die Asteroidenbasis umgaben.

Die Männer und Frauen unterschiedlichster Spezies warteten angespannt, die Waffen im Anschlag, auf die Landung feindlicher Truppen. Die Sturmtransporter näherten sich dem Asteroiden. Noch im Anflug öffneten sie ihre Luken und Tausende von Ashraksoldaten strömten ins Freie. Die imperialen Truppen sanken die letzten Meter Richtung Oberfläche. Zeitgleich stoben feindliche Jäger über die Rebellenstellungen hinweg.

Raketen und Laserstrahlen gingen zu Hunderten auf die in ihren Löchern verharrenden Blutläufer hernieder. Die Geschütze der Rebellen antworteten. Mehrere feindliche Jäger wurden abgeschossen. Im Gegenzug verwandelte das Bombardement zahlreiche Geschützbatterien der Verteidiger in qualmenden Schrott.

Die Ashraktruppen gingen in perfekter Gefechtsformation gegen die Rebellenstellungen vor. Die Rebellen leisteten in jedem Augenblick erbitterten Widerstand. Kämpfer beider Seiten fielen unter dem unbarmherzigen Beschuss der jeweils gegnerischen Partei. Zwei Raketen trafen einen im Landeanflug befindlichen Sturmtransporter und rissen die komplette Hecksektion mitsamt Antrieb weg. Das Schiff rollte sich unkontrolliert um die eigene Achse und bohrte sich schließlich mit der Schnauze voran in eine Bergspitze. Die folgende Detonation pulverisierte den Gipfel.

Für wenige Minuten gelang es den Bodentruppen der Rebellen, die Ashrakeinheiten aufzuhalten. Die Schoßhunde der Rod’Or erlitten schwere Ausfälle. Nachrückende Angriffskolonnen füllten die entstandenen Lücken, sodass ein steter Strom feindlicher Soldaten die Verteidiger zu überwältigen drohte. Schon bald gerieten die Blutläufer zunächst ins Hintertreffen und dann in Bedrängnis. Die Ashrak rückten siegessicher vor.

Die schweren Luftabwehrbatterien der Rebellen holten einen Angriffskreuzer vom Himmel, gefolgt von einer Korvette. Das Antwortfeuer löschte nach und nach die Luftabwehrkapazitäten der Blutläuferrebellen restlos aus – bis der Raum oberhalb der Asteroidenbasis für die Ashrak gesichert war. Im Anschluss kamen mehrere Kriegsschiffe näher und begannen damit, sowohl die Basis als auch die Position der Verteidiger außerhalb der Anlage unter kontinuierlichen Beschuss zu nehmen. Von diesem Moment an war der Fall von Delta Blue nur noch eine reine Zeitfrage.

* * *

Marlena Boukari, die Kommandantin von Delta Blue, verfolgte den Kampf um die Basis von einem Bildschirm der Kommandozentrale aus.

Marlena stammte aus Eritrea. Bei der Invasion des Imperiums auf der Erde war sie erst vier Jahre alt gewesen. An die Zeit davor erinnerte sie sich überhaupt nicht mehr. Die Fischköpfe hatten sie als Sklavin genommen, da war sie fünfzehn gewesen. Erst das entbehrungsreiche Dasein als Überlebende, dann der ständige Dienst in den zahlreichen Kriegen der Rod’Or – Marlena kannte nichts anderes als Krieg, Tod und Leid. Sie hatte das Dasein im Imperium länger geführt als das auf der Erde. Daher war sie an Verluste und Opfer gewöhnt. Es war Teil ihres Lebens.

Doch als sie auf dem Bildschirm mit ansehen musste, wie ihre Leute beim heldenhaften Versuch, dieser Basis noch einige wenige kostbare Sekunden zu erkaufen, abgeschlachtet wurden, spürte sie einen Stich von Trauer und Bedauern in ihrer Brust.

Reflexartig griff sie nach der schmerzenden Stelle. Es war ein seltsames Gefühl. In all den Jahren, die sie unter Ashrakkommando für die Rod’Or gekämpft hatte, war ihr eine derartige Emotion nie untergekommen. Sie lächelte grimmig. Marlena hatte zu ihren Gefühlen als Mensch zurückgefunden. Nicht dominiert von den Ashrak, nicht unterdrückt vom Imperium. Das waren ihre Emotionen, die sie für ihre Leute spürte. Schon allein das war die Befreiung wert gewesen, auch wenn der Anlass denkbar tragisch war.

»Carsten«, sprach sie ihren Zweiten Kommandanten Carsten Kuhnold an. Der Mann trat mit ernster Miene näher. »Die Evakuierung abblasen.« Sie deutete auf ein Hologramm, das die neuesten taktischen Daten offenbarte. »Die feindliche Blockade ist zu dicht. Da kommen wir niemals durch.«

Kuhnold seufzte. »Also Kampf bis zum Ende«, kommentierte er. »Schade. Ich hatte mich eigentlich auf ein langes, ereignisloses Leben gefreut.« Er nahm sein Pulsgewehr auf und grinste. »Dann wird es eben ein kurzes und stürmisches.«

»Den Datenkern löschen und eine Hyperraumboje vorbereiten. Gareth muss wissen, was hier passiert ist. Ich nehme eine entsprechende Botschaft auf.« Sie drängte ihn mit einem Blick zur Eile. »Und schnell. Uns bleibt wenig Zeit.«

Der Mann nickte und wandte sich um. Die Basis erzitterte, als unmittelbar über ihnen mehrere Salven aus den Schiffsgeschützen der feindlichen Flotte niedergingen. Staub rieselte von der Decke. Ansonsten hielt sich der entstandene Schaden in Grenzen.

Marlena verzog hämisch das Gesicht. Die Basis war dermaßen tief in den Felsen hineingebaut, dass selbst ein ausgedehntes Orbitalbombardement Stunden brauchen würde, um sie zu erreichen. Das war auch der Grund, weshalb die Ashrak auf Bodentruppen setzten. Ihr missmutiger Blick richtete sich abermals auf die Kampfszenen in den Schützengräben. Der Feind stand kurz davor, die Verteidigungslinien zu überrennen. Sie stieß einen Schwall Luft aus. Die Fischköpfe mussten den Stützpunkt auf die harte Tour ausschalten. Das war ihre einzige Möglichkeit, die Sache schnell zu einem Ende zu bringen.

Einer der Offiziere an einer Waffenstation stöhnte schmerzhaft auf und rutschte von seinem Stuhl. Kaum auf dem Boden, breitete sich eine Blutlache unter dessen Körper auf.

»Paladine!«, schrie einer der Blutläufer.

Marlena hob den Kopf. Aus einer Wartungsluke in der Decke eine Ebene über ihnen strömten die Elitesoldaten des Imperiums. Es waren ein Dutzend. Sie fluchte. Wie nur waren die Kerle hier hereingekommen?

»Carsten«, brüllte sie, »der Datenkern!«

Kuhnold zögerte keine Sekunde. Er hob sein Pulsgewehr und schoss auf den Hauptcomputer. Das verdammte Ding schlug zwar Funken, war jedoch immer noch einsatzfähig. Marlena fluchte erneut. Man mochte über die Ashrak sagen, was man wollte, aber ihre Technologie war erstklassig.

Während ihr Zweiter Kommandant sich abmühte, den Hauptcomputer mit allen relevanten Daten zu zerstören, machte Marlena eine Boje bereit. Es blieb keine Zeit, eine Nachricht aufzunehmen, aber Gareth würde die Botschaft hoffentlich verstehen, wenn eine leere Boje dieser Basis ihn erreichte.

Währenddessen richteten die Paladine unter der Besatzung der Kommandozentrale ein Massaker an. Die Blutläufer waren gute Kämpfer. Es gelang ihnen, sieben Paladine zu erledigen. Aber diese gehörten nicht umsonst zur Elite der Rod’Or. Sie metzelten sich ohne Rücksicht den Weg durch die Rebellen.

Carsten Kuhnold starb durch das Schwert eines Paladins im Rücken. Der Mann feuerte sein Pulsgewehr ab, bis kein Leben mehr in ihm war. Er rutschte am Schwert entlang zu Boden und verblutete an Ort und Stelle. Soweit Marlena das beurteilen konnte, war der Computer zwar irreparabel beschädigt, aber es war durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Ashrak relevante Daten bergen konnten. Aber sich darum zu kümmern, lag nicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Nicht mehr.

Sie arbeitete unter Hochdruck daran, eine Boje abzusetzen. Marlena spürte einen Stich im Rücken. Vor Schmerz rang sie nach Atem. Ihre umfangreiche Ausbildung übernahm die Oberhand. Sie schlug mit dem Ellbogen nach hinten aus und erwischte die Rüstung des Paladins an der Kehle. Dort befand sich eine der wenigen Schwachstellen.

Der Krieger würgte und taumelte zurück. Immer noch das Schwert im Rücken, zog Marlena ihre Seitenwaffe und im Dauerfeuer schoss sie die Pulspistole auf den Kopf des Paladins ab, bis dessen Panzerung brach und die Energieimpulse ins Innere vordrangen. Der Mann stürzte ohne einen Laut.

Sie streckte die Hand aus, um die Boje zu starten. Umgehend waren zwei weitere Paladine über ihr. Deren Schwerter nagelten sie an der Konsole fest. Sie war nicht in der Lage, sich zu rühren. Der Knopf für die Hyperraumboje befand sich knapp außer Reichweite. Sie streckte sich, um ihn noch zu erreichen. Die Klingen in ihrem Körper schnitten tief in ihr Fleisch.

Ein Paladin über ihr streckte die Hand aus und hielt die ihre fest. Sie hob den Kopf, versuchte seinen Blick einzufangen. Der Mann blieb unter dem Helm mit dem vollverspiegelten Visier verborgen. Dieser ausdruckslose Helm, der ein Gesicht bar jedes Mitleids verbarg, war das Letzte, was Marlena sah, bevor sie in die Dunkelheit versank.

* * *

Cha’acko, Agent der Honuh-ton und Befehlshaber des Feldzugs gegen die Rebellen, betrat die Kommandozentrale der Basis, die die Aufständischen Delta Blue nannten.

Bei seinem Auftauchen machten die Paladine respektvoll Platz. Der Raum glich einem Schlachtfeld. Cha’acko trat näher und stieg dabei über die Leichen von Menschen, Dys und auch einer Samirad hinweg. All das kümmerte ihn wenig. Bei der Einnahme der Basis hatte man mehr als dreihundert Rebellen gefangen genommen. Auch das kümmerte ihn wenig. Sie würden nach einem umfangreichen Verhör an die Organverwertung überstellt.

Nein, Cha’acko hatte nur Augen für den Computer an der Nordseite des Kommandozentrums. Er war beschädigt, aber noch intakt. Seine Schuppen verfärbten sich ins Grünliche. Der Honuh-ton-Agent war äußerst erfreut.

»Extrahiert alle Daten, die noch vorhanden sind«, ordnete er an. »In einer Stunde wünsche ich einen vollständigen Bericht.«

Mit diesen Worten wandte sich Cha’acko um und verließ den Raum. Der Gestank toter Sklaven bereitete ihm Übelkeit. Außerdem gab es noch viel zu tun. Gareth Finch, sein Angstgegner, lauerte noch irgendwo in den Weiten des Raumes. Cha’acko hatte vor, ihn endlich zur Strecke zu bringen. Das war aber noch längst nicht alles. Er hatte einen Aufstand niederzuschlagen.

1

Gareth Finch rollte sich von Ris’rils Körper herunter und blieb in wohliger Ermattung neben der Samirad liegen. Der wunderschöne blaue Körper der Kriegerin von der Welt Raktia glänzte vor Schweiß.

Ris’ril streckte die Arme nach oben und lockerte ihre Muskeln, indem sie sich ausgiebig reckte. »Ich muss zugeben, du hast eine Menge Ausdauer«, grinste sie. »Für einen Menschen.«

Gareth schnaubte. »Na herzlichen Dank«, gab er ironisch zurück.

Er atmete mehrmals tief durch. Währenddessen legte er den Arm um Ris’rils Schultern und sie schmiegte sich eng an seine Brust. Er spürte, wie ihr Atem leicht über seine Brusthaare strich. Es war ein seltsames Gefühl, eine Frau, die um einiges größer war als er und die ihn bestimmt problemlos in zwei Teile brechen konnte, im Arm zu halten, nachdem sie sich geliebt hatten. Seltsam, aber nicht unerotisch. Und ganz bestimmt nicht unangenehm.

Nach einer Weile bemerkte er, wie sie zu ihm aufsah. »Alles in Ordnung?«

»Warum fragst du?«

»Deine Gedanken … sie scheinen weit weg zu sein.«

Er beugte sich zu ihr herüber und hauchte einen zärtlichen Kuss auf die Stirn seiner Geliebten. »Mach dir keine Sorgen deswegen. Mir gehen nur einige Dinge im Kopf herum. Aber nichts Wichtiges.«

»Du bist ein grauenvoller Lügner«, schalt sie ihn. »Wir teilen das Bett und die Freude unserer Körper. Wenn du nicht mit mir über deinen Kummer reden kannst, mit wem dann?«

Er zwang sich zu einem schmalen Lächeln. »Bei uns auf der Erde gibt es ein Sprichwort: Das Haupt ist schwer, welches die Krone trägt.«

Ris’ril runzelte die Stirn. »Und was genau soll das bedeuten?«

»Nun ja, dass Anführer immer einsam sind, nehme ich an.«

»Klingt dämlich.«

Er grinste. »Das Sprichwort oder seine Bedeutung?«

»Such dir was aus.«

Gareth seufzte. »Ich mache mir Gedanken über den Krieg. Es vergeht kaum eine Woche ohne Nachrichten über weitere Niederlagen.« Schon allein bei dem Wort spannte sich jeder Muskel in seinem Körper an.

Ris’ril bemerkte es. »Noch sind wir nicht geschlagen.«

»Wir verlieren«, brach es aus ihm heraus. »Und zwar deutlich, Ris’ril. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie man diese Entwicklung aufhalten kann.«

In diesem Moment knackte es in Gareths Ohren. Das bereits bekannte Schwindelgefühl setzte ein und Michaels Stimme dröhnte in seinen Ohren. Der Lieutenant kontaktierte ihn über das implantierte Kommgerät, das jeder Blutläufer besaß.

Gareth bevorzugte es, wenn man ihn über die stützpunktinterne Kommunikation anrief. Jeder wusste das. Michael wusste das. Gareth hatte den Verdacht, dass es sein Lieutenant gerade deshalb nicht machte. Und wie er den düsteren Michael – der gar nicht mehr so düster war – kannte, hatte dieser auch noch diebisches Vergnügen daran.

»Störe ich?«

Schon diese zwei Worte fachten Gareths Zorn an. Michael war klar, mit wem der Anführer der Blutläuferrebellion seine Zeit verbrachte, sobald er dienstfrei hatte.

Gareth hob den Arm und entließ Ris’ril aus seiner Umarmung, erst dann bestätigte er die Verbindung, indem er die Kiefermuskeln anspannte.

»Würde es etwas ändern, wenn ich Ja sage?«

»Nicht wirklich«, gab Michael heiter zurück. Der Tonfall des Mannes wandelte sich allerdings gleich darauf ins genaue Gegenteil. Gareth wurde hellhörig angesichts des Ernstes in der Stimme des Rebellenoffiziers.

»Komm in die Kommandozentrale. Wir müssen reden. Bring Ris’ril mit.«

Michael kappte die Verbindung. Gareth stutzte und forderte seine Gefährtin mit einem Blick wortlos auf, sich anzuziehen. Gemeinsam begaben sich die beiden Blutläufer durch die Korridore des Hauptquartiers der Rebellion zum Kommandozentrum.

Es war kurz nach acht Uhr morgens Stationszeit. Die Gänge der Basis waren bereits äußerst lebendig. Auf dem Weg zur Zentrale machten Gareth und Ris’ril einen kurzen Abstecher in die Andockbucht. Wie erwartet waren neue Schiffe zugegen. Den Kampfspuren nach kamen sie soeben von einer Kaperfahrt zurück. Die erbeuteten Materialien wurden ausgeladen, während die Kexaxa über die Außenhülle eines jeden Kampfraumes krochen, um eine erste Einschätzung der Schäden vorzunehmen.

Untray und sein Assistent Ibitray waren ebenfalls zugegen. Gareth nickte ihnen kurz zu. Die beiden Kexaxa nahmen die Geste zur Kenntnis, kümmerten sich aber sogleich wieder um ihre Pflichten.

Als Gareth und Ris’ril wenige Minuten später das Kommandozentrum erreichten, waren Michael, Fabian Hoffmann sowie Ludwig Kowalski bereits vor Ort und in eine angeregte Unterhaltung vertieft, die jedoch von heftigen Gesten begleitet wurde. Etwas war vorgefallen, etwas verdammt Übles.

Beim Eintreffen des Paares verstummten die Männer und versammelten sich um einen Holotank. Die Blutläufer an den Konsolen und den Bildschirmen ignorierten die Führungsriege. Derlei Besprechungen waren sie bereits zur Genüge gewohnt. Sie bedeuteten selten etwas Gutes.

»Delta Blue meldet sich nicht mehr«, begann Michael ohne Einleitung.

Gareth biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. »Ein technisches Problem? Irgendetwas mit der Kommunikation möglicherweise?«

Michael wechselte einen finsteren Blick mit Fabian und Ludwig. »Dachte ich zuerst auch. Deswegen schickte ich einen Aufklärer hin.«

»Und?«

»Hat sich nicht zurückgemeldet. Außerdem ist er inzwischen überfällig.«

Ein eisiges Gefühl kroch Gareths Nacken hoch. Seine Härchen richteten sich abrupt auf. »Wie lange?«

»Fünf Tage.«

Gareth schloss die Augen. Das war viel zu lange, um als Zufall abgetan zu werden. »Dann wird der Aufklärer nicht zurückkehren. Und Delta Blue können wir ebenfalls abschreiben.« Der Anführer der Rebellion warf einen Blick in die Runde. »Die wievielte verlorene Basis ist das jetzt?«

»Die vierte«, bestätigte Fabian Gareths schlimmste Befürchtungen. »In den letzten sechs Monaten.«

»Sie zerren uns aus allen Löchern, in denen wir uns verstecken«, fügte Ludwig hinzu. »Bald wird dieser Spiralarm der Milchstraße nicht mehr groß genug sein, um angemessene Verstecke zu finden.«

»Das imperiale Militär ist schlichtweg zu schlagkräftig«, bestätigte Michael. »Sie manövrieren uns aus.«

»Gibt es auch positive Meldungen?«, mischte sich Ris’ril ein.

»Mehrere«, antwortete Michael. »Wir haben innerhalb der letzten drei Wochen fünf feindliche Konvois aufgerieben und uns eines Gutteils ihrer Vorräte bemächtigt. Außerdem ist es uns gelungen, zwei Angriffsbasen nahe der Sekarifront zu zerstören.« Michael gab ein paar Befehle in den Holotank ein und dieser erwachte zum Leben. Er projizierte einen Sektor des imperialen Raumes weit hinter der Front in die Luft. Auf eine weitere Anweisung Michaels wurde eines der Systeme farblich hervorgehoben. »Einer unserer Einsatzverbände ist sogar bei Silvana Minor eingedrungen und hat die Hyperraumkatapulte des Systems zerstört.«

»Verluste?«

»Dreiundzwanzig Schiffe und elftausend Blutläufer.«

Gareth verzog die Miene. Michael nickte. »Ich weiß, es ist bitter, aber der Erfolg kann sich dennoch sehen lassen.«

»Silvana Minor.« Gareth sprach den Namen langsam und bedächtig aus. Er musste sich erst einmal ins Gedächtnis rufen, was es mit dieser Welt für eine Bewandtnis hatte. »Das ist ein Ausbildungsplanet der imperialen Armee und Flotte, nicht wahr?«

Michael nickte. »Spezialisiert auf die Ausbildung von Dys und Samirad. Außerdem kommen von dort nicht wenige ihrer Navigatoren. Die Zerstörung der Katapulte wird es ihnen erschweren, von dort Verstärkung an die Front zu schicken. Sie sind nun für einige Zeit auf herkömmliche Hyperraumantriebe angewiesen, um andere Systeme zu erreichen.«

»Gibt es Prognosen für die Instandsetzung?«

»Mindestens neun Monate. Das verschafft den Sekari und Syall unter Umständen ein wenig Luft.«

»Hilft uns aber im Endeffekt nicht weiter«, gab Ris’ril zu bedenken.

»Nun … nein«, stimmte Michael zögernd zu. »Unsere Lage ist weiterhin prekär.«

»Und sie wird schlimmer und schlimmer«, fügte Ludwig hinzu.

Gareth hätte beinahe den Kopf sinken lassen. Nur mit großer Mühe riss er sich zusammen. Er durfte seine Kameraden und Mitverschwörer im Krieg, den sie gemeinsam gegen das Imperium begonnen hatten, nicht wissen lassen, wie niederschmetternd sich die Neuigkeiten auf sein Gemüt auswirkten.

Gareth richtete sich auf. Sein Blick blieb starr auf das Hologramm gerichtet. Seine Gedanken rasten. »Was ist mit den Aufständen, die überall im Imperium nach der Schlacht um die Erde losgebrochen sind? Gibt es darüber etwas Erwähnenswertes zu berichten?«

Wieder wurden bedeutungsvolle Blicke gewechselt. Das verhieß nichts Gutes. »Nun redet schon«, fuhr Ris’ril die anderen Rebellenoffiziere an. »Was wisst ihr?«

Michael räusperte sich. »Die Ashrak sind dabei, ihr Hinterland zu befrieden. Die meisten Aufstände wurden blutig niedergeschlagen. Die Lakaien der Rod’Or erlitten dabei schwere Verluste, nichtsdestotrotz leider nicht so hoch, als dass wir unseren Nutzen daraus ziehen könnten.«

»Sie haben einfach die Ernteraten erhöht«, fügte Ludwig hinzu. »Das Imperium wird seine Verluste über kurz oder lang wieder ausgleichen und unter Umständen am Ende sogar deutlich stärker dastehen als zuvor.«

»Sind denn wirklich alle Widerstandsnester ausgelöscht?«, wollte Gareth wissen, der ein leichtes Zittern seiner Stimme nicht unterdrücken konnte.

»Der überwiegende Teil«, antwortete Michael. »Es gibt noch vier oder fünf Sklavenplaneten, die standhalten. Aber ohne Nachschub, schwere Ausrüstung und Verstärkung werden auch sie über kurz oder lang von den Ashrak überwältigt. Dann richtet sich ihr Augenmerk wieder komplett auf uns und ihre stärksten Kriegsgegner.«

Gareth nickte. »Die Sekari und die Syall.« Er kratzte sich über das Kinn. »Wie sieht es bei denen aus?«

Michael machte eine verkniffene Miene. »Geringfügige Gebietsgewinne während der Sklavenaufstände. Sie haben das Chaos für sich genutzt, sind aber militärisch nicht mehr derart stark vertreten, dass sie eine Großoffensive auf die Beine stellen konnten.«

Gareth schloss die Augen. »War denn alles umsonst, was wir erreicht haben?«

»Natürlich nicht«, versetzte Michael entschlossen. »Wir sind immer noch hier. Wir haben Schiffe. Wir haben Truppen. Wir halten durch. Ganz einfach.«

Ris’ril neigte leicht den Kopf zur Seite. »Ich bezweifle, dass die Ashrak das genauso sehen. Man sagt, Cha’acko hat immer noch den Auftrag, uns zu erledigen.«

Ludwig prustete. »Nach all den Misserfolgen hätte ich angenommen, man würde ihn demnächst an die Wand stellen.«

Ris’ril schüttelte den Kopf dermaßen stark, dass ihre Dreadlocks wild um ihre Schultern flogen. »Unsere Spione meinen, er konnte der Obrigkeit die Schlacht um die Erde als Sieg verkaufen.«

»Ziemlich teuer erkaufter Sieg.«

»Und dennoch ein Sieg.«

Gareth hob die Hand und unterband damit die Diskussion seiner beiden Mitstreiter. »Sie werden uns ausmanövrieren. Früher oder später. Sie haben wesentlich höhere Verluste als wir. Momentan sechs zu eins, würde ich schätzen. Aber das Imperium und insbesondere die Ashrak verfügen über Reserven, durch die sie sich diese Verlustrate leisten können. Wir nicht. Sie zerren uns aus einem Versteck nach dem anderen, bis keines mehr übrig ist.«

Gareth konnte nicht verhindern, dass seine fatalistische Haltung sich in seinem Tonfall niederschlug. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie seine Gegenüber sich besorgte Blick zuwarfen.

»Die Frage ist: Was tun wir dagegen?«, warf Michael in die Runde. »Der Effekt muss sich irgendwie umkehren lassen.«

Gareth presste die Lippen derart fest aufeinander, dass sie für einen Moment erschienen wie ein einzelner blutleerer Strich. »Ich muss darüber nachdenken. Wir kommen später wieder zusammen.«

Gareth wandte sich ab und wollte den Raum verlassen. Ris’rils Stimme hielt ihn zurück. »Brauchst du ein wenig Gesellschaft?«

Er schüttelte den Kopf, ohne sich umzudrehen. »Im Augenblick muss ich alleine sein. Mir geht zu viel im Kopf herum.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, legte er einen Schritt zu und ließ seine Freunde hinter sich zurück.

* * *

Gareth wanderte über eine Stunde lang ziellos durch die kargen, schmucklosen Korridore der ehemaligen Sekaribasis. Die Männer und Frauen verschiedener Spezies, die ihm begegneten, ihn als ihren Anführer grüßten, nahm er kaum wahr. Dass er die Hangars erreichte, bemerkte der Blutläufer erst, als die Geräuschkulisse einer Vielzahl von Technikern, die beschädigte Schiffe reparierten, ihn aus seinen düsteren Gedanken riss.

Gareth setzte sich auf einige Munitionskisten und beobachtete das rege Treiben eine Weile lang schweigend. Er hatte gar nicht gewusst, wie erholsam es sein konnte, einfach nur dazusitzen und dem An- beziehungsweise Abflug von Schiffen zuzusehen oder wie sie entladen, repariert und aufmunitioniert wurden.

Wie lange er so dasaß, wusste Gareth am Ende nicht zu sagen. Nach einer Weile gesellte sich Untray zu ihm. Der kleine Kexaxa mit dem gedrungenen Körper und dem halb watschelnden Gang setzte sich ohne Aufforderung neben ihn auf die Kiste.

Den Menschen verband inzwischen eine tiefe Freundschaft mit dem Knirps. Wenn man die Kexaxa betrachtete, geriet man alsbald in Versuchung, sie zu unterschätzen. Mittlerweile hatte Gareth erkannt, dass dieses Volk jedoch sowohl einzeln wie auch kumulativ über einen enormen Scharfsinn und dank ihres Kollektivgehirns über einen riesigen Schatz an Erfahrung verfügte. Jemand, der die Kexaxa in dringenden Belangen nicht um Rat fragte, war nach Gareths Dafürhalten ein Schwachkopf.

Die beiden saßen eine Weile schweigend nebeneinander. Gareth nutzte die Gelegenheit, seine Gedanken zu ordnen. Untray sah nach einer gefühlten Ewigkeit zu ihm auf. »Harter Tag?«, fragte er.

Gareth schmunzelte schmal. »Hartes Leben.«

Untray stieß ein quietschendes Lachen aus. »Verstehe. Willst du darüber reden?«

Der Anführer der Blutläuferrebellion seufzte. »Wir verlieren«, erklärte er im Anschluss ohne Umschweife. »Mehr gibt es gar nicht zu sagen. Die Ashrak finden und zerstören einen Stützpunkt um den anderen. Wie es scheint, ist inzwischen auch Delta Blue verloren.«

Untray schwieg für einen Moment nickend und betrachtete die im Dock vor Anker liegenden Schiffe. »Das deckt sich mit meinen Beobachtungen.«

Gareth warf ihm einen verwunderten Blick zu. »Wirklich?«

Der Kexaxa nickte. »Wir können die beschädigten Schiffe nur noch sehr rudimentär wieder einsatzfähig machen. Es fehlt uns an allem, angefangen mit Ersatzteilen bis hin zu Treibstoff für die Jäger. Die Versorgungslage der Rebellion ist momentan richtig mies. Wir Kexaxa reden oft davon, wie es weitergeht. Eine gewisse niedergeschlagene Grundhaltung macht sich breit.«

»Was sagen deine Leute?«, wollte Gareth wissen und vermied es absichtlich, seinen Gesprächspartner anzusehen.

»Viele denken, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen ist. Und ihre Zahl wächst. Versteh mich richtig. Sie arbeiten weiterhin für euch und sie tun es gern. Aber viele aus meinem Volk denken, dass sie bald sterben werden.«

»Hast du Kontakt zum Kollektivgehirn auf deinem Heimatplaneten? Können uns die Kexaxa dort vielleicht irgendwie helfen?«

»Ich befürchte nein. Seit der Desertion Tausender meines Volkes haben die Ashrak ein besonderes Augenmerk auf uns. Wir halten die Kriegsmaschinerie des Imperiums am Laufen. Die Rod’Or und ihre Helfershelfer brauchen uns. Man wird nicht erlauben, dass noch mehr von uns fliehen, um den Rebellen zu helfen. Es befinden sich derzeit zwei Schlachtschiffe nebst einer Begleitflotte in der Umlaufbahn von Cias, um unsere Loyalität sicherzustellen. Sollte es weitere Desertionen geben, wird eine Vergeltungsaktion die Folge sein. Mein Volk wird das nicht riskieren.«

Gareth senkte betroffen den Kopf. »Davon hatte ich keine Ahnung.«

»Ich war der Meinung, du hättest schon genug um die Ohren. Ich wollte dich nicht auch noch damit belasten.«

Gareth lächelte wehmütig. »Es wird nicht einfacher, nicht wahr?«

»Nein, wird es nicht«, bestätigte Untray.

»Die Ashrak spielen ein gefährliches Spiel und die Regeln, die sie aufstellen, gefallen mir ganz und gar nicht.«

»Dann gib einen Dreck auf die Regeln«, versetzte Untray ungerührt.

Gareth runzelte die Stirn und warf dem kleinen Kerl einen verwunderten Blick zu. »Wie meinst du das?«

»Möglicherweise ist das Problem, dass du dir von Cha’acko die Regeln aufdrängen lässt, anstatt deine eigenen für dieses Spiel, wie du es nennst, aufzustellen. Mach dir nicht seine Regeln zu eigen. In diesem Fall verlierst du. Zwing ihm deine auf.«

Gareths Augenbrauen wanderten beide in die Höhe, als ihm ein Geistesblitz durch den Kopf schoss. »Untray, du bist genial!« Ohne eine weitere Erklärung rutschte Gareth von der Munitionskiste und sprintete derart schnell davon, dass ihm einige Kexaxa und Blutläufer eilig aus dem Weg hüpfen mussten.

Untray sah ihm ungerührt hinterher. »Sag mir mal was Neues.«

2

Cha’acko beobachtete vom Aussichtsdeck seines Flaggschiffes aus mit nicht geringer Genugtuung die Zerstörung einer weiteren Rebellenbasis. Die Luftabwehr aus unzähligen Geschützen war schon vor gut einer Stunde verstummt. Ashrakkampftruppen stürmten die verbliebenen feindlichen Stellungen.

Die Blutläufer wehrten sich tapfer und kompetent. Das musste man ihnen schon zugestehen. Das war aber auch kein Wunder. Schließlich hatten die Ashrak sie ausgebildet.

Sein Unmut war dermaßen groß, dass seine Haut sich violett verfärbte. Das Imperium hatte sich seine Dämonen selbst erschaffen. Die Dämonen, die es nun nicht mehr loswurde. Das Wasser im Röhrensystem seiner Rüstung gurgelte aufgeregt, als er Luft hineinblies.

Bri’anu, Cha’ackos Adjutant, betrat hinter ihm den Raum. Gehorsam wartete er darauf, dass sein Befehlshaber geruhte, ihn zur Kenntnis zu nehmen.

Cha’ackos Kopf wandte sich minimal zur Seite. »Sprich!«, forderte er den anderen Ashrakoffizier auf.

»Der Stützpunkt ist gefallen«, erwiderte Bri’anu. Der Stolz in seiner Stimme war unüberhörbar. »Die Rebellen nennen ihn Gamma Orange.«

Cha’ackos Kopf neigte sich anerkennend nach vorn. »Eine weitere Basis, ein weiterer Sieg. Alles wie gewohnt«, erwiderte der Honuh-ton-Agent gelangweilt.

»Nicht ganz.« Die Hautfarbe des anderen Ashrak färbte sich vor Freude grün. »Dieses Mal gibt es Gefangene von Wert. Eine sticht dabei ganz besonders heraus.«

Cha’acko wandte sich zu seinem Untergebenen um. Die Bemerkung Bri’anus machte ihn neugierig. Und das geschah nicht oft. Der ranghohe Honuh-ton-Agent nickte auffordernd.

Sein Kommandant trat zur Seite und zwei Ashrak-Blutläufer gingen mit weit ausgreifenden Schritten in die Mitte des Raumes. Sie zerrten einen weiblichen Menschen herein. Die Frau zeigte nur wenig Anzeichen von Leben. Sie hing mit gesenktem Kopf im eisernen Griff ihrer Häscher. Das graue Blut eines Sklaven-Blutläufers lief ihr aus Mund, Nase und mehreren Verletzungen, die ihren Oberkörper überzogen. Der graue Saft bildete eine große Lache auf dem Boden.

Cha’acko gab den Soldaten mit einer knappen Geste zu verstehen, die Gefangene loszulassen. Die beiden Ashrak traten gleichzeitig zurück und die Rebellin sank kraftlos zusammen.

Cha’acko ging auf sie zu, kniete nieder und packte ihren Haarschopf mit einer Hand. Ruckartig zog er ihren Kopf daran in die Höhe. Seine Haut änderte die Farbe ins Grünliche. Er war hocherfreut. Cha’acko war dieser Frau noch nie persönlich begegnet, nichtsdestoweniger hatte er schon von ihr gehört und auch bereits ihre Militärakte studiert.

»Yuma Matsumoto«, sprach er ihren menschlichen Namen aus. »Wie schön, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen. Den Bericht über die Schlacht im O’dandra-System habe ich mit großem Interesse und auch mit Bewunderung gelesen.«

Während Cha’acko mit der Revolte auf der Erde beschäftigt gewesen war, hatten seine Streitkräfte eine Basis der Rebellen ausgemacht und angegriffen. Es war ihnen gelungen, die feindliche Stellung einzukesseln und zu belagern. Bevor sie jedoch den Widerstand niederkämpfen konnten, war Gareth Finch aufgetaucht und hatte mit einer innovativen und brillanten Taktik die belagerten Rebellen rausgehauen.

Es war dem Großteil von ihnen im Anschluss an die Schlacht gelungen zu entkommen. Nach den Kämpfen bei O’dandra hatte sich Gareth ins Solsystem aufgemacht, um auch dort für erheblichen Ärger und schwere Verluste auf Seiten des Imperiums zu sorgen. Der Mann erwies sich zunehmend als Ursprung von Albträumen für die Ashrak.

»Das ist jetzt schon die zweite Basis, die du verlierst, Yuma. Daraus könnte man die Lehre ziehen, dass du einfach keine gute Kommandantin bist.« Cha’ackos Hautfarbe wurde noch ein wenig grüner. »Und dieses Mal wird kein Gareth Finch kommen, um dich und die Deinen zu retten. Es ist vorbei.«

Yuma blickte dem Honuh-ton-Agenten direkt in die Augen. Die Narbe, die ihr Gesicht verunstaltete, glühte rot. Es stand sinnbildlich für den Hass, den die Rebellin für ihr Gegenüber empfand. Sie sagte kein Wort. Tatsächlich presste Yuma Matsumoto ihre Lippen derart fest aufeinander, dass die Wangenmuskeln hervortraten.

»Trotz«, kommentierte Cha’acko. »Gut. Bewahre dir deinen Trotz. Er wird dir helfen, länger durchzuhalten. Am Ende aber wirst du uns dennoch alles sagen, was wir wissen wollen.«

»Niemals!«, presste Yuma hervor. Sie brach ihr Schweigen, nur um ihrem Peiniger dieses eine Wort unerschütterlichen Widerstands entgegenzuschleudern.

Cha’acko lachte leise auf. »Abwarten. Unsere Verhörmeister sind ausgesprochen enthusiastisch, wenn es darum geht, einem Feind seine Geheimnisse zu entreißen.«

Cha’acko erhob sich und gab den Wachen ein Zeichen. Diese packten die Frau abermals und schleppten sie aus dem Raum. Sie besaß nicht einmal mehr die Kraft, um symbolischen Widerstand zu leisten.

Mit einem Blick forderte Cha’acko seinen Adjutanten auf, den Bericht über die Basis fortzuführen. Dieser gehorchte augenblicklich. »Gamma Orange ist so gut wie befriedet. Wir haben die meisten feindlichen höheren Offiziere identifiziert und liquidiert.« Der Ashrakoffizier zögerte. An seiner blassen Hautfarbe erkannte Cha’acko, dass jetzt etwas kam, das ihm nicht gefallen würde.

»Sprich weiter«, fordert er Bri’anu auf.

»Der Hauptcomputer wurde vollständig zerstört. Es gibt keine Daten mehr, die wir extrahieren könnten.«

Cha’acko fluchte. Mit der Einnahme der Basis Delta Blue waren ihnen wertvolle Informationen in die Hand gefallen. Diese bildeten aber nur einen Teil des Puzzles. Mit jedem feindlichen Stützpunkt, der fiel, erhielten sie einen weiteren wichtigen Bestandteil und Cha’ackos Hoffnung war, dass das Bild am Ende einen Gesamteindruck ihres Gegners vermittelte, durch den es ihnen endlich gelang, diesen ein für alle Mal auszuschalten. Aber das war natürlich nur dann möglich, wenn sie weitere Informationen erhielten. Die Löschung eines Computerkerns stand in genauem Gegensatz zu diesem Ziel.

Einige der wichtigsten Daten von Delta Blue waren durch einen extrem komplizierten Code gesichert. Einen Code, den die imperialen Analysten noch nicht hatten knacken können. Es war Cha’ackos Hoffnung gewesen, dass sie hier unter Umständen den Codeschlüssel fanden, um die Daten aus Delta Blue endlich vollständig auswerten zu können. Und nun dieser Rückschlag. Die Rebellen waren wohl entschlossen, ihm den Tag zu versauen.

Es gab aber noch einen anderen Ort, abgesehen vom Computerkern der Rebellenbasis, wo sich der Codeschlüssel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit befand.

»Matsumoto soll gut versorgt werden«, ordnete Cha’acko an. »Man soll ihre Wunden behandeln und ihr etwas zu essen geben. Falls sie versucht, sich zu Tode zu hungern, dann lasst sie intravenös ernähren. Ich will, dass sie stark genug ist, um das Verhör zu überstehen. Ich bin überzeugt, die Informationen, die wir brauchen, befinden sich in ihrem Kopf. Und die will ich haben.«

* * *

Basis Delta Orange war nicht so befriedet, wie die Ashrak dachten – und ganz bestimmt nicht so sehr, wie sie es sich gewünscht hätten.

Die zwei Ashraksoldaten und der Paladin stolzierten durch die Korridore des Stützpunkts mit dem Selbstvertrauen des Siegers. Der Boden war übersät mit den Leichen getöteter Rebellen. Die gefallenen Ashrak hatte man bereits fortgeschafft.

Das Trio bog an einer T-Kreuzung nach links ab. Diesen Augenblick suchten sich die Rebellen zum Zuschlagen aus. Mehrere Luken zur Linken und Rechten der feindlichen Soldaten respektive in deren Rücken öffneten sich und Blutläuferrebellen fielen vor den verdutzten Invasoren zu Boden.

Der Überraschungsmoment war von höchster Wichtigkeit. Aber noch bedeutsamer war geräuschloses Vorgehen. Bajonette blitzten auf. Die Rebellen stachen die beiden Ashrak mitleidlos nieder. Selbst am Boden wurden die feindlichen Soldaten mit den Waffen traktiert. Es durfte nicht das Risiko eingegangen werden, dass einer von ihnen noch die Kraft aufbrachte, einen Hilferuf abzusetzen.

Der Paladin ließ sich allerdings nicht so einfach übertölpeln. Im Augenblick des Hinterhalts wusste der erfahrene Kämpfer, dass seine Gegner bereits zu nah waren, um seine Feuerwaffen einsetzen zu können. Der Elitesoldat ließ sein Pulsgewehr zu Boden fallen und zog das Schwert aus der Scheide auf dem Rücken.

Noch in derselben Bewegung schlug er zu und köpfte einen der Rebellensoldaten mit einem gekonnten, gut berechneten Hieb. Selbst die Rüstung des Mannes vermochte nicht, ihm das Leben zu retten.

Der zweite Hieb erwischte einen weiblichen Blutläufer an der Schulter. Die Soldatin überlebte nur, weil es ihr durch übermenschliche Reflexe gelang auszuweichen. Ihre Rüstung wurde durchbrochen und das Schwert fügte ihr eine hässliche, heftig blutende Wunde zu. Die medizinischen Systeme der Rüstung versorgten sie auf der Stelle mit einem Cocktail aus Schmerzmitteln, Blutgerinnern und Antibiotika.

Aufgrund des erhöhten Stoffwechsels und verschiedener anderer Modifikationen würde die Wunde relativ schnell wieder heilen.

Hinter dem Paladin tauchte ein weiterer Blutläufer auf. Der Paladin wirbelte herum, aber der Rebellensoldat reagierte blitzschnell, entschlossen und mit tödlicher Zielstrebigkeit.

Mit einem Hieb seiner Faust traf er das rechte Handgelenk des Paladins. Die Finger öffneten sich gegen dessen Zutun. Ein Tritt folgte und das Schwert flog in hohem Bogen davon.

Der Paladin war aber noch längst nicht besiegt. Die psychische Konditionierung arbeitete im Prinzip wie ein Computerprogramm. Und daher spulte es eine Reihenfolge einprogrammierter Bewegungen ab. Der Paladin ging wie selbstverständlich zum Nahkampf über.

Der Blutläufer und der Paladin tauschten mehrere Schläge, Hiebe und Tritte ab. Die zwei Männer erwiesen sich als versierte Kämpfer. Sie erzielten Treffer und es gelang beiden, Angriffe des jeweils anderen abzuwehren.

Der Rebellensoldat wusste, er musste eine schnelle Entscheidung herbeiführen, da der Paladin die höhere Ausdauer besaß.

Der Mann wartete geduldig auf seine Chance. Sie kam nur Sekunden später. Der Blutläufer wich einen Schritt zurück. Der Paladin glaubte, seinen Gegner an einen Punkt gebracht zu haben, an dem diesem die Puste ausging. Darauf baute der Rebell. Wenn die Paladine eine Schwäche besaßen, dann war es Arroganz aufgrund ihres Könnens und ihrer Modifikationen.

Der Paladin griff an, doch der Rebellensoldat war vorbereitet. Er wich seitlich aus, packte mit beiden Händen zu und verdrehte den Kopf seines Gegners im Hundertachtzig-Grad-Winkel mitsamt dessen Helm. Das Brechen des Genicks war für kurze Zeit das einzige Geräusch, das durch den Korridor hallte.

Der Rebell ignorierte die Leiche des Paladins und begab sich zu seiner verwundeten Kameradin. »Karen, alles in Ordnung?«

»Wird schon wieder«, gab sie kurz angebunden zur Antwort. Ihrer Stimme war zu entnehmen, dass sie unter dem Einfluss der Vielzahl an verabreichten Drogen stand. Der Anführer des Hinterhalts nickte seinem Team zu.

In aller Eile packten sie die Leichen der zwei Ashrak und stopften sie in die Wartungsröhren, aus denen die Blutläufer gekrochen waren. Je länger sie ihre Anwesenheit vor dem Feind verbergen konnten, desto besser. Bevor dem Paladin dasselbe widerfuhr, ging der Mann vor ihm auf die Knie, zog ein Messer und pulte einen Gegenstand aus der Schläfe des Elitesoldaten. Anschließend wurde auch dieser in einen Wartungszugang verfrachtet.

Nach vollendeter Mission zogen sich die Rebellensoldaten ebenfalls in das Röhrensystem der Basis zurück. Sobald sie verschwunden waren, zeugte kaum noch etwas von der brutalen Aktion, die hier soeben stattgefunden hatte.

Nigel O’Sullivan, Yuma Matsumotos Zweiter Kommandant der Basis Gamma Orange, zog den Helm seiner Rüstung ein. Er rümpfte die Nase, angesichts des Gestanks, der sich im Luftverteilungssystem verbreitete. Fast einhundert seit Tagen ungewaschene Leiber rochen nun einmal nicht nach einem Rosenbeet.

Kurz vor dem Fall der Basis hatten sich die Überlebenden unter seiner Führung hierher zurückgezogen. Es war ihre letzte Möglichkeit, Gefangennahme und Tod zu entgehen. Wenigstens vorübergehend. Über kurz oder lang würde man sie aufstöbern, aber bis dahin hieß die Devise, dem Feind so lange wie möglich ein Schnippchen schlagen.

Eine Blutläuferin kam auf ihn zu. »Hast du es?«, fragte Cornelia Baumgartner mit aufgeregter Stimme.

Nigel hielt grinsend den Gegenstand hoch, den er dem Paladin aus dem Leib geschnitten hatte. »Ein Kommgerät, intakt, und es hat vermutlich sogar noch ein bisschen Saft.«

»Hervorragend!« Cornelia nahm es dem anderen Soldaten ab und betrachtete das blutende Stück imperialer Technologie mit funkelnden Augen. »Damit kann ich mich wahrscheinlich in ihre Funkkanäle hacken. Unter Umständen finden wir heraus, was mit Yuma geschehen ist.«

Nigel zog eine Augenbraue hoch. »Unter Umständen?«

Cornelia zuckte die Achseln. »Wunder dauern etwas länger«, erwiderte sie unbeschwert.

»Tu, was du kannst.« Hinter Cornelia befand sich ein größeres Terminal, mit dem soeben drei Blutläufer hantierten. »Was macht die Kommstation?«

»Ähmmm … wir arbeiten noch dran.« In dem Moment schlug ein Funkenregen aus dem Gerät und überschüttete die daran arbeitenden Personen. Ein Sturm an Flüchen war zu hören.

»Seid still!«, zischte Nigel. Alle Männer und Frauen in Hörweite erstarrten auf der Stelle. Sie lauschten, ob der kurze Wortschwall von jemandem außerhalb der Wartungsröhren aufgefangen worden war. Es geschah nichts. Die Luken wurden nicht aufgerissen und weder Paladine noch Ashraksoldaten stürmten die engen Zugänge.

Nigel entließ den angehaltenen Atem in einem einzigen Atemzug. »Ihr müsst die Kommstation wieder hinkriegen. Wir brauchen Kontakt zu Gareth und den anderen. Dringend!«

Cornelia zog eine Augenbraue hoch. »Das klobige Ding aus der Verankerung zu reißen und hier hochzuhieven, hat ihm nicht unbedingt gutgetan.«

»Wir hatten wohl kaum eine Wahl, sonst wäre es jetzt außer Reichweite. Setz es wieder instand. Wenn es jemand schafft, dann du.«

»Oh, danke für die Blumen«, erwiderte sie sarkastisch, »aber wie ich sagte: Wunder dauern etwas länger.«

Der Klang von unmittelbar über ihnen marschierenden Stiefeln hallte durch die Röhren. Nigel sah angestrengt nach oben, als könne er durch den zentimeterdicken Stahl sehen. Nicht wenige folgten seinem Beispiel. »Ein Wunder könnten wir jetzt durchaus gebrauchen.«

3

Gareth berief zwei Tage nach seinem Gespräch mit Untray die Führungsriege wieder ein, dieses Mal nicht im Kommandozentrum, sondern in einem taktischen Planungsraum.

Dieser war im Prinzip völlig leer, verfügte aber über ein ausgeklügeltes holografisches System, das, falls gewollt, den gesamten Raum mit seinem Hologramm auszufüllen imstande war.

Gareth wartete bereits, als nacheinander Ris’ril, Ludwig, Michael, Fabian und zum Abschluss auch Untray eintrafen. Letzterer schleppte Ibitray mit. Seit den Geschehnissen auf der Erde sah man Michaels ehemaligen Kexaxa-Assistenten immer öfter zusammen mit dem ranghöchsten seiner Artgenossen. Er schien sich einigen Respekt erworben zu haben und auch in der Hierarchie der kleinen Spezies aufgestiegen zu sein.

Der Anführer der Rebellion sah von einem zum anderen, bevor er ein wenig theatralisch Luft holte. »Was ist unser größtes Problem?«

Michael und Fabian wechselten einen amüsierten Blick, bevor Fabian antwortete. »Ich glaube, da haben wir mehr als eines.«

Gareth machte eine verkniffene Miene. »Ich meine momentan.«

»Die Offensive der Ashrak«, antwortete Ris’ril sofort. »Sie treiben uns aus einem Versteck nach dem anderen. Wir verlieren zu viele Schiffe, zu viele Leute, zu viel Material und zu viele Stützpunkte.«

»Wenn das so weitergeht, können wir genauso gut auch gleich einpacken«, stimmte Ludwig zu.

»Genau«, erwiderte Gareth und schritt die Linie seiner Freunde langsam auf und ab. »Deswegen habe ich eine Entscheidung getroffen.«

Ris’ril neigte den Kopf leicht zur Seite. »Hast du? Ich dachte, wir treffen Entscheidungen gemeinsam.«

»Jetzt lässt er wieder den Anführer raushängen«, schmunzelte Michael.

»Ich hasse es, wenn er das tut«, schloss sich Ludwig der Frotzelei an. Lediglich Fabian beteiligte sich nicht am Austausch der Scherze. Gareths engster und langjährigster Freund blieb ungewohnt ernst.

»Ich glaube, dir wird meine Entscheidung gefallen, Ris’ril«, fuhr Gareth fort. »Sie stammt nämlich ursprünglich von dir.«

Die Samirad merkte auf. »Ach ja?«

Gareth nickte. »Kurz bevor die Kämpfe um die Erde ihren Höhepunkt erreichten, machte Ris’ril einen Vorschlag, den ich damals verwarf«, informierte Gareth in ruhigem Tonfall die anderen. »Nun aber, muss ich leider eingestehen, ist es vielleicht die einzige Möglichkeit, die Rebellion am Leben zu erhalten.«

»Und wie lautet nun dein Vorschlag?«, wollte Michael wissen.

Gareth holte tief Luft. »Wir sammeln unsere Kräfte und verlassen den Raum des Imperiums.«

Auf diese unerwartete Ankündigung folgte fassungsloses Schweigen. Und dann, aus heiterem Himmel, plapperten alle wild durcheinander. Sogar die zwei Kexaxa. Gareth verstand kein Wort. Er akzeptierte jedoch, dass seine Freunde und Weggefährten sich angesichts dieser radikalen Neuigkeiten erst einmal Luft verschaffen mussten. Der Redeschwall hielt fast zehn Minuten an. Zehn Minuten, in denen jeder mit jedem und alle auf Gareth einredeten.

Als er zu der Meinung gelangte, es wäre genug, hob Gareth Einhalt gebietend beide Hände. Die anwesenden Rebellenoffiziere kamen langsam zur Ruhe. Wohl eher, weil sie sich verausgabt hatten, und weniger wegen seiner Geste.

Michael war derjenige, der begann: »Mal ehrlich, Gareth. Wie stellst du dir das vor? Eine Truppenbewegung von den Ausmaßen, wie du sie dir vorstellst, das wird dem Imperium nicht entgehen. Sie werden alles auf uns hetzen, was ihnen zu Verfügung steht. Sie werden uns jagen und gnadenlos zur Strecke bringen, bis auch noch der Letzte von uns tot ist.«

Gareth schüttelte den Kopf. »Falls es dir noch nicht klar ist, das geschieht schon. Das Imperium hat gewaltige Reserven. Wir nicht. Über kurz oder lang werden sie uns in die Enge treiben und von diesem Moment an ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie uns endgültig erledigen. Daher ziehen wir die Reißleine und verschwinden, bevor es so weit ist.«

Ris’ril trat einen Schritt vor. Sie schien nicht uninteressiert, war aber immer noch skeptisch. »Und dann? Wohin sollen wir fliegen? Und was sollen wir machen, wenn wir erst mal dort sind?«

Gareths Augen leuchteten. »Darüber habe ich mir bereits Gedanken gemacht.« Über das implantierte Funkgerät in seinem Hals gab er einen Befehl an die holografische Zentraleinheit, die den Raum steuerte. Das Licht wurde um zwei Stufen abgesenkt und ein Sternensystem wurde in einer solchen Größe in den Raum projiziert, dass es ihn fast komplett ausfüllte. Die Anwesenden fanden sich plötzlich zwischen mehreren Welten wieder.

»Das ist das Waryard-System«, erklärte er. »Acht Planeten, die um eine ähnliche Sonne wie im Solsystem kreisen.« Er deutete auf eine der Welten. »Und wie im Solsystem befindet sich der dritte Planet in der grünen Zone. Dort ist es weder zu heiß noch zu kalt, um Leben zu ermöglichen. Die Sauerstoffzusammensetzung ermöglicht es uns, dort ohne Anzüge oder Rüstungen zu überleben. Die Luft ist zwar ein wenig dünn, aber für Blutläufer ist das aufgrund ihrer Modifikationen kein Problem.« Gareth bedachte die beiden Kexaxa mit einem mitfühlenden Blick. »Für euch wird es ein wenig unbequem, aber das sind keine unlösbaren Probleme. Das kriegen wir hin.«

»Und wo befindet er sich?«, fragte Untray.

Gareth zögerte kurz. »Auf halbem Weg zwischen den Raumsektoren, die von den Syall und den Sekari beansprucht werden. Das Gebiet dort ist eine Art Niemandsland.«

»Puh!«, zischte Michael. »Das ist aber verflucht weit weg.«

»Mindestens eine sechsmonatige Reise, wenn man auf konventionelle Antriebe angewiesen ist«, versetzte Fabian.

»Vermutlich eher ein Jahr«, korrigierte Gareth. »Immerhin können wir nicht in einer geraden Linie fliegen, sondern müssen imperialen Basen und Patrouillen ausweichen. Ziel unserer Reise muss es unbedingt sein, das System unentdeckt zu erreichen.«

Fabian trat näher und begutachtete die von Gareth vorgeschlagene Welt von allen Seiten. Mit einem Zeigefinger tippte er das Hologramm leicht an und der Zentralprozessor vergrößerte die Ansicht, sodass nun die Oberfläche des Planeten zu sehen war.

Sie wurde im Süden dominiert von heftigen Sandstürmen und im Norden von regelmäßig auftretenden Blizzards. Auch Flora und Fauna wirkten gefährlich und beides besaß offensichtlich eine Vorliebe für Lebendnahrung. Bei den zwei dominanten Spezies handelte es sich um eine Vogelart, die Ähnlichkeiten mit den Flugsauriern der Erde aufwies, sowie eine Echse von der Größe eines Grizzlys mit einem Krokodilmaul und mehreren Reihen von spitzen, dreieckigen Zähnen, die dafür geeignet waren, große Fleischstücke aus der Beute zu reißen. Das Vieh war allerdings groß genug, um einen durchschnittlichen Menschen mit einem Bissen zu verschlingen.

Fabian machte eine verkniffene Miene. »Die Oberfläche wirkt nicht sehr einladend und die Gesellschaft, die wir dort unten erwarten dürfen, auch nicht.«

Gareth machte eine abwiegelnde Geste. »Damit werden wir schon fertig. Es ist der einzige Planet, der abseits genug liegt, um uns als Versteck zu dienen, der aber auch gleichzeitig die Lebensbedingungen bietet, unter denen wir halbwegs problemlos überleben können. Alle anderen infrage kommenden Systeme liegen entweder zu nah am Imperium oder verfügen über noch restriktivere Lebensbedingungen.«

»Was sollen wir überhaupt dort?«, maulte Ludwig wenig begeistert.

»Überleben«, erklärte Gareth sofort. »Wir können uns dort verstecken, unsere Kräfte wieder aufbauen und uns auf den weiteren Krieg vorbereiten.« Er schüttelte den Kopf. »Eines ist mal klar: So wie die Dinge jetzt laufen, werden uns die Rod’Or und ihre Ashrak-Speichellecker häppchenweise vom Boden aufklauben und uns in Stücke reißen. Der Tod der Rebellion wird langsam und qualvoll sein. Aber am Ende wird er uns alle ausnahmslos ereilen. Waryard III bietet uns die Möglichkeit, wieder zu Kräften zu kommen, zu erstarken. Wir befinden uns dann in einer weitaus besseren Position, um erneut zuzuschlagen.« Gareth betrachtete seine Freunde eingehend. »Manchmal muss man einen Schritt zurückweichen, um anschließend zwei Schritte vorwärtszukommen.«

»Eines macht mir aber noch Sorgen«, meinte Michael. »Diese Welt befindet sich zwischen den Sektoren von Syall und Sekari. Warum wurde sie noch nicht besiedelt? Sie wäre unter Umständen nicht die richtige Wahl für eine Kolonie, aber bestimmt für einen Außenposten oder Stützpunkt. Warum hat sich keine der beiden Seiten für dieses System interessiert?«

Gareth leckte sich über die Lippen. Er berührte zaghaft das Hologramm des Planeten und drehte ihn nach rechts, sodass ein Ausschnitt knapp über dem Äquator in Sichtweite kam. Die Rebellenoffiziere keuchten unisono auf.

»Tatsache ist«, fuhr Gareth fort, »die Sekari hatten ihn kolonisiert.« Die Anwesenden umringten das Abbild des Planeten neugierig. Eine große Stadt war zu sehen. Den Umrissen der Gebäude nach handelte es sich um eine der Sekari. Kaum ein Stein stand noch auf dem anderen.

»Der ganze Sektor, in dem sich Waryard befindet, war vor vier Standardjahren der Schauplatz einer gewaltigen Schlacht. Das Imperium führte eine Großoffensive durch. Die Kämpfe dauerten fast ein ganzes Jahr lang, aber den imperialen Streitkräften gelang es nicht nur nicht, den Sektor einzunehmen. Darüber hinaus standen sie kurz vor einer militärischen Niederlage. Als Reaktion zerstörten sie Waryard III und jede andere bewohnte Welt des Sektors mittels ausgedehnter orbitaler Bombardements. Was das Imperium nicht erobern kann, das macht es auch für den Gegner unbrauchbar. Deswegen wird die Südhalbkugel von Sandstürmen heimgesucht. Ein großer Teil der Vegetation wurde von der Oberfläche gebrannt.«

Ris’ril schlug die Hand vor den Mund. Den Samirad waren Krieg und Zerstörung nicht fremd. Gleichwohl machte dieses Ausmaß sinnloser Vergeltung gegen einen ganzen Sektor sogar die Kriegerin mit der blauen Haut sprachlos.

»Mein Gott!«, flüsterte Fabian, während auch ihm die Tragweite des damaligen Angriffs bewusst wurde.

»Das ist ein weiterer Grund, weshalb Waryard III perfekt ist«, schloss Gareth seine Ausführungen. »Im Umkreis von fast hundertfünfzig Lichtjahren gibt es nichts mehr, was für irgendjemanden von Interesse ist. Weder für das Imperium noch für Syall oder Sekari. Der ganze Sektor ist tot. Dort werden wir ungestört sein und können in Ruhe unsere Wunden lecken.«

Die Rebellenoffiziere wechselten fragende Blicke. Nacheinander nickten sie. Gareth lächelte erfreut. »Dann ist es also entschieden. Wir führen einen Exodus durch und verlassen mit Mann und Maus das Imperium.«

Michael fauchte: »Ganz so einfach, wie du dir das vorstellst, wird das aber nicht laufen.«

»Dessen bin ich mir bewusst. Deswegen müssen wir klug und besonnen vorgehen.« Sein Blick richtete sich auf die beiden Kexaxa. »Ihr setzt euch über das Kollektivgehirn auf eurer Heimatwelt mit euren Leuten in Verbindung. Wir brauchen Sabotageakte. Eine Menge. Das Imperium muss aus dem Gleichgewicht gebracht werden.« Bevor die beiden antworten konnten, fixierte Gareth Michael, Ris’ril und Fabian. »Wir führen mit kleinen Kampfverbänden mehrere Angriffe zur Ablenkung durch. Unsere Ziele werden Horchposten, Versorgungsstützpunkte, Hyperraumkatapulte sowie Kommunikationsbasen sein. Das Imperium muss in seinen Fähigkeiten zumindest vorübergehend massiv eingeschränkt werden, ohne dass sie mitkriegen, worauf es uns tatsächlich ankommt.«

Gareths Augenmerk richtete sich auf Ludwig. Dieser grinste hämisch. »Ich nehme an, du hast auch eine Aufgabe für mich.«

»In der Tat«, nickte der Anführer der Blutläuferrebellion. »Du musst unseren Exodus von hier aus koordinieren. Schick einen Ruf an alle Stützpunkte und alle operativen Verbände raus. Sag ihnen so wenig wie möglich. Wir brauchen mehrere Sammelpunkte, um unsere Kräfte nach und nach zu vereinen.«

Ludwig nickte. »Das kriege ich hin.«

Gareth musterte noch einmal jeden einzelnen seiner Freunde und Kameraden. »Das ist vielleicht die wichtigste Operation, die wir je durchgeführt haben. Das Schicksal all unserer Leute hängt von ihrem Erfolg ab.« Er zwang sich zu einem Grinsen und hoffte, dass es auf seine Freunde aufmunternd wirkte. »Also machen wir was draus.«

* * *

Die Besprechung endete einige Stunden später. Die Rebellenoffiziere verließen den Hologrammraum entweder allein oder in kleinen Gruppen. Ibitray trennte sich von Untray, kurz nachdem sie wieder auf dem Korridor waren.

Ibitray ging etwas auf Abstand, sah sich dann verstohlen um. Untray war ganz in Gedanken versunken und bereits mit dem Lösen unzähliger Probleme beschäftigt. Er bekam gar nicht mit, wie seltsam, ja beinahe verdächtig das Verhalten seines Artgenossen war.

Ibitray beschleunigte seine Schritte, was bei einem Kexaxa einen watschelnden Gang hervorrief. Er begab sich zu einem ungenutzten Vorratsraum. Ibitray sah sich ein weiteres Mal um, bevor er den Türöffner betätigte und durch den entstehenden Spalt schlüpfte.

Im Inneren war es geradezu gespenstisch. Ibitray verzichtete darauf, das Licht einzuschalten. Lediglich durch zwei schmale Bullaugen oberhalb der Eingangstür fielen Lichtkegel in den Raum, die diesen aber nur unzureichend beleuchteten.

Die Kammer lag dunkel und still vor ihm. Aber sie war nicht leer. Die Schatten begannen sich zu regen. Nach und nach traten Kexaxa ins Licht. Die kleinen Wesen wirkten verunsichert, aber irgendwie auch aufgeregt.

Ibitray ging ihnen mit mehr Selbstvertrauen entgegen, als ein Kexaxa je zuvor gefühlt hatte. Er sah sich unter seinen neu rekrutierten Gefolgsleuten um. Nicht wenige schreckten vor der Intensität in seinem Blick zurück. Die Kexaxa waren Arbeitssklaven. Sie hatten schon immer dem Imperium gedient. Einen der Ihren zu sehen, wie er sich über die Masse erhob, Selbstvertrauen entwickelte und eine Bewegung ins Leben rief, das weckte Ehrfurcht in ihnen.

Ja, Ibitray war nicht mehr derselbe, der er vor der Mission im Solsystem gewesen war. Er hatte kämpferische Fähigkeiten entwickelt. Wo diese herkamen und warum sie so plötzlich auftraten, das vermochte er selbst nicht zu sagen. Sie waren einfach mit einem Mal da gewesen. Ibitray wusste nur eines: Das Gefühl, das sie ihm vermittelten, wollte er nie wieder aufgeben. Er fühlte sich mächtig, stark. Eine Emotion, die weder die Rod’Or noch die Ashrak noch irgendeine andere Rasse ihnen jemals hatte zubilligen wollen. Nicht einmal die Rebellen sahen in den Kexaxa mehr als ein Mittel zum Zweck. Tausende ihres Volkes hatten sich sehenden Auges geopfert, um die Rebellion überhaupt erst zu ermöglichen. Ibitray schwor sich zweierlei: Erstens, das Opfer seiner Artgenossen sollte nicht umsonst sein; zweitens wollte er nie wieder zulassen, dass sein Volk als Gebrauchsgegenstand für andere herhalten musste. Die Kexaxa mussten lernen, für sich einzustehen, ohne sich auf Dritte verlassen zu müssen.

Aus diesem Grund war Ibitray auf die Suche nach Gleichgesinnten gegangen, die den Kexaxa ein Stück weit Unabhängigkeit verschaffen wollten. Er hatte einen Kern von ihnen um sich geschart und nun wurde es Zeit, ihnen die kämpferischen Fähigkeiten, die sich ihm offenbart hatten, beizubringen und zu kultivieren.

Ibitray sah sich abermals zufrieden um. Hier waren drei Dutzend Kexaxa versammelt. Es war nicht viel, aber immerhin ein Anfang.

»Nun«, fragte er in die Runde, »wollen wir beginnen?«

4

Das Acris-System befand sich am äußersten Rand des Aquariussektors und damit weit hinter der Front. Bis vor Kurzem diente der dort installierte Horchposten hauptsächlich der Absicherung von Handels- und Nachschubrouten. Ein Großangriff feindlicher Kräfte war bis vor der Rebellion quasi ausgeschlossen.

Doch seitdem Gareths Rebellen ohne Vorwarnung praktisch an jedem beliebigen Ort zuschlugen, wurde dem Horchposten eine weit höhere Bedeutung zugemessen.

Die Garnison war von fünfhundert auf zehntausend Mann aufgestockt worden. Auch das Wachgeschwader hatte man auf achtzig Schiffe verdoppelt. Aber der Horchposten war noch aus einem anderen Grund interessant. Die Sensoren der Basis konnten Schiffsbewegungen bis zu einem Radius von vierzig Lichtjahren rund um Acris ausmachen und zielgerichtet verfolgen. Dadurch wären die hier stationierten Blutläufer in der Lage, einen signifikanten Teil der Rebellenflotte zu orten, sobald diese sich zu ihren Sammelpunkten aufmachten. Aus diesem Grund hatte Ris’ril Acris für ihren Angriff ausgewählt.

Es gab nur ein Problem. Die Garnison bestand aus loyalen Blutläufern der Gattungen Mensch, Dys, Turia und eines halben Dutzends anderer Völker. Den Rebellen war von Anfang an klar gewesen, dass sie es hin und wieder nicht nur mit Fischköpfen zu tun bekommen würden, sondern auch mit ihren eigenen Brüdern und Schwestern, die immer noch unter dem Joch des Loyalitätsimplantats dahinvegetierten.

Ihnen blieb leider kaum eine Wahl, als auch solche Ziele anzugreifen, die nicht von Ashrak verteidigt wurden. Sollte der Feind jemals auf die Idee kommen, dass die Rebellen sich von der Anwesenheit menschlicher oder anderer Blutläufer abschrecken ließen, würden sie nicht zögern, alle sensiblen und gefährdeten Einrichtungen mit entsprechenden Truppen zu besetzen.

Gareth handhabte die Sache eher pragmatisch. Lieber sah er seine versklavten Brüder und Schwestern tot als weiterhin unter der Knute des Imperiums.

Der Schwere Kreuzer Shiva materialisierte im System, dicht gefolgt von fünfzig Rebellenschiffen unterschiedlichster Größen und Typen. Die Aufständischen verfügten über ein buntes Sammelsurium von Einheiten, darunter nicht wenige Kampfschiffe der Sekari und Syall. Für diese Mission hatte Ris’ril jedoch ausschließlich Schiffstypen ausgesucht, die im Imperium gebräuchlich waren, und das aus gutem Grund.

Der kleine Kampfverband näherte sich zielstrebig dem Verteidigungsperimeter der Basis. Sie machten nicht einmal den Versuch, ihre Annäherung zu verschleiern. Ris’rils Plan war relativ simpel. Er baute darauf, dass die Besatzung der Basis annahm, es handele sich um eigene Verstärkungen. Mit etwas Glück wäre es bereits zu spät, sobald dem Feind ein Licht aufging.

»Nico«, sprach sie ihren Navigator an, »was sagt der Funkverkehr?«