Der Ruul-Konflikt 1: Düstere Vorzeichen - Stefan Burban - E-Book

Der Ruul-Konflikt 1: Düstere Vorzeichen E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Im Jahre 2140 hat die Menschheit mehr als sechzig Sonnensysteme kolonisiert und lebt mit dem Großteil ihrer Nachbarn in friedlicher Koexistenz, in der Handel und Diplomatie im Vordergrund stehen. Nur die Ruul, eine rätselhafte und aggressive Nomadenrasse, greifen immer wieder entlegene Kolonien an. Um dieser Bedrohung Herr zu werden, baut die Terranische Flotte mit der TKS Lydia den Prototyp einer völlig neuen Klasse von Kriegsschiffen, die den endlosen ruulanischen Angriffen Einhalt gebieten soll. Doch bereits auf dem Testflug kommt es zu einer Katastrophe, die verheerende Auswirkungen auf die Zukunft aller Völker haben wird …

Die Romane der Reihe:

Prequel 1: Tödliches Kreuzfeuer
Prequel 2: Invasion auf Ursus

1: Düstere Vorzeichen
2: Nahende Finsternis
3: In dunkelster Stunde
4: Verschwörung auf Serena
5: Bedrohlicher Pakt
6: Im Angesicht der Niederlage 7: Brüder im Geiste
8: Zwischen Ehre und Pflicht
9: Sturm auf Serena
10: Die Spitze des Speers
11: Gefährliches Wagnis


Weitere Bände sind in Vorbereitung.

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Inhalt

Prolog

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Epilog

Stefan Burban

Düstere Vorzeichen

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg August 2017 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-533-4 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-531-0 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Das Sonnensystem war so unwichtig, dass es nicht mal einen Namen hatte. Seine offizielle Bezeichnung lautete XX3-8270-Charlie. Unter dieser Kennung war es in sämtlichen Sternenkarten aufgeführt. Das System bestand nur aus einem einzigen, völlig unbewohnbaren Planeten, dessen giftige Atmosphäre jegliche Form von tierischem oder pflanzlichem Leben unmöglich machte. Das Gleiche galt für die drei Monde in dessen Umlaufbahn.

Das einzig wirklich Interessante war seine Lage. Es befand sich knapp außerhalb des von den Menschen beanspruchten Raums. Deshalb eignete es sich hervorragend als Unterschlupf für Piraten und anderes Gesindel.

Grund genug für die terranische Marine, in unregelmäßigen Abständen ein Kriegsschiff vorbeizuschicken, das nach dem Rechten sah. Diese Route war keine beliebte Mission; daher setzte man bevorzugt Schiffe älterer Klassen ein, die für andere Aufgaben nicht mehr zu gebrauchen waren. Diesmal hatte die TKS Manassas, ein Schwerer Kreuzer der alten Hermes-Klasse, den Schwarzen Peter gezogen.

Behäbig und für seine Verhältnisse viel zu langsam durchschnitt der zylinderförmige Rumpf des Kriegsschiffs das System. Hin und wieder blitzten die Schilde in elektrischen Entladungen kurz auf, wenn Raumschrott den Kurs der Manassas kreuzte. Davon gab es hier leider viel zu viel. Aber er war meistens zu klein, um eine Bedrohung für Schiff oder Crew darzustellen. Also wurden die geringfügigen Störungen, die er darstellte, einfach ignoriert. Seit der Kreuzer ins System eingedrungen war, arbeiteten passive und aktive Sensoren mit voller Leistung, damit nichts eine Chance hatte, ihrer Aufmerksamkeit zu entgehen.

Ensign Larry Bradbury setzte die übervolle Kaffeetasse vorsichtig auf der Konsole der Radarstation ab und zwängte seinen für einen Raumoffizier etwas zu beleibten Körper mit einem erleichterten Seufzer zurück in den Sessel. Sein Freund und Kollege, Ensign Thomas Hawkins, musterte ihn von der ComKonsole her mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. Als Bradbury merkte, dass er beobachtet wurde, musste er leise kichern.

»Geh nicht zu hart mit mir ins Gericht«, beantwortete er die unausgesprochene Frage. »Ich bin nun mal ein Koffeinjunkie und die dritte Wache zieht sich immer ewig hin. Ohne das flüssige Gold hier würde ich sie nicht überleben.« Er hob vielsagend die Tasse, um seinem Freund zu zeigen, wie hoch er das Gebräu schätzte.

»Hast du es schon mal mit Tee probiert? Der beruhigt die Nerven und ist nicht so schädlich wie das Zeug, das du da in dich hineinschüttest.«

In gespieltem Ekel verzog Bradbury das Gesicht. Bevor er auf die freundschaftliche Stichelei etwas erwidern konnte, betrat Captain Yuan Chows hochgewachsene Gestalt die Brücke des Schweren Kreuzers. Die beiden Offiziere nahmen unverzüglich Haltung an.

Eine Geste des Kommandanten forderte sie aber auf, wieder Platz zu nehmen und sich ihren Pflichten zu widmen.

Der Captain mit der bronzefarbenen Haut, den grünen Augen und dem zurückweichenden Haaransatz steuerte unverzüglich den Kommandosessel im Zentrum der Brücke an, nahm Platz und begann augenblicklich damit, die Sensordaten auf seinem Bildschirm durchzuarbeiten.

Bradbury wollte gerade einen tiefen Schluck aus seiner Tasse nehmen, als sein Radar sich mit einem tiefen Ton meldete und um seine Aufmerksamkeit buhlte.

»Captain, ich orte ein Raumfahrzeug. Sehr groß. Es tritt in 125 000 Meilen Entfernung ins System ein«, meldete er pflichtbewusst.

»Identifikation?«

»Keine, Captain! Ich lasse die Abmessungen durch die Datenbank bekannter Schiffstypen laufen.«

»Am besten wir gehen kein Risiko ein«, entschied Chow nach kurzem Überlegen. »Mr. Hawkins, gehen Sie auf Abfangkurs und lösen Sie gelben Alarm aus.«

»Gelben Alarm. Aye, aye, Skipper«, bestätigte Hawkins.

Im nächsten Augenblick dröhnten bereits Alarmsirenen durch die Korridore der Manassas. Schlaftrunkene Besatzungsmitglieder torkelten aus ihren Kojen, zogen sich notdürftig an und rannten diszipliniert zu ihren jeweiligen Kampfstationen. Raketenwerfer- und Laserstellungen wurden bemannt, die Krankenstation richtete sich auf die Ankunft Verwundeter ein und die Techniker im Maschinenraum des Kriegsschiffes sicherten die beiden Fusionsgeneratoren und den Interstellarsprung-Antrieb, so gut es ging, vor möglichen Feuern innerhalb des Schiffes.

Commander Eugene MacDouglas, der Erste Offizier der Manassas, schoss keine Minute nach dem ersten Alarmsignal aus dem Aufzug. Seine Frisur war unordentlich und die Knöpfe an seiner Uniform noch nicht ganz geschlossen, aber sein scharfer, unsteter Blick huschte auf der Suche für die Ursache des Alarms über die Brücke. Er eilte, ohne zu zögern, an die Seite seines Captains, um einen Überblick über die Situation zu erhalten.

Sein Vorgesetzter begrüßte den zerzaust wirkenden Offizier mit einem schelmischen Grinsen.

»Tut mir leid, wenn wir Sie aus dem Schlaf gerissen haben, Eugene.«

Dieser lächelte zurück, ehe er antwortete: »Nicht so schlimm, Skipper, ich schlafe sowieso zu viel.« Er betrachtete die Anzeigen der Radarstation und wurde schlagartig wieder ernst.

»Probleme?«

»Wir sind uns noch nicht sicher. Ein unbekanntes Schiff ist ins System eingedrungen und identifiziert sich nicht. Wir sind bereits auf Abfangkurs.«

»Sir, ich glaube, ich habe da etwas«, meldete sich Bradbury wieder zu Wort. »Der Computer identifiziert das Schiff als Til-Nara-Schlachtkreuzer.«

Chow und MacDouglas wechselten einen überraschten Blick.

»Til-Nara? Hier?«, brachte MacDouglas stockend hervor. »Was zum Teufel machen die Kerle hier?«

Chow lehnte sich zurück, während seine Gedanken sich überschlugen. Das wurde immer rätselhafter. Die Til-Nara-Hegemonie war der direkte Nachbar des Terranischen Konglomerats. Wobei Nachbar sich nur auf die Entfernung bezog. Die Til-Nara waren isolationistisch veranlagt und lehnten Kontakt zu anderen Völkern fast gänzlich ab.

Möglicherweise beruhte diese Mentalität auf ihrer insektoiden Abstammung. Sie ähnelten einer Mischung aus aufrecht gehenden Ameisen und Wespen und wurden von einem Triumvirat aus drei Königinnen regiert, das über ein Gebiet von etwa der doppelten Größe des Konglomerats herrschte.

Militärisch waren sie äußerst stark; es war nicht ratsam, sie zu reizen. Trotzdem hatten sie nie imperialistische Züge an den Tag gelegt, nie versucht, in andere Hoheitsbereiche vorzudringen. Ihre Schiffe waren stark bewaffnet, aber nicht sehr manövrierfähig. All diese Dinge gingen Chow durch den Kopf, als er mögliche Schlussfolgerungen aus der Anwesenheit der Til-Nara zog. Sollten die Insektoiden auf Streit aus sein, war er in einer denkbar ungünstigen Position.

Die Manassas ist ein gutes Schiff, dachte er besorgt. Aber mit einem Schlachtkreuzer der Hegemonie können wir es in keinem Fall aufnehmen.

Die Kontakte zwischen den Menschen und den Til-Nara beschränkten sich auf ein oder zwei Gelegenheiten, bei denen sich Schiffe beider Seiten im Tiefenraum begegnet waren. Aber damit hatte es sich dann auch. Die Til-Nara wollten in Ruhe gelassen werden und die Menschen respektierten das. Und jetzt flog ein Schlachtkreuzer von ihnen derart dicht an menschlichem Hoheitsgebiet vorbei, ohne sich zu identifizieren oder seine Absicht zu erklären. Sehr merkwürdig.

»Erhalten wir irgendwelche Anzeigen?«

»Negativ, Skipper«, antwortete Hawkins sofort. »Keine Funksignale, keine Energiesignaturen und nur sehr schwache Anzeichen von Leben an Bord – und wenn ich schwach sage, dann meine ich am untersten Rand der Skala.«

»Wollen Sie damit sagen, es ist ein Geisterschiff?«, fragte Chow niemanden im Besonderen, während sein Blick auf der Suche nach dem fremden Schiff durch das Brückenfenster wanderte. Natürlich war es mit bloßem Auge noch kaum zu erkennen. Nur ein ferner, sich langsam bewegender, Lichtpunkt am Horizont.

Sofort verstummten sämtliche Gespräche auf der Brücke. Matrosen waren von jeher abergläubisch, egal ob sie die Meere eines Planeten oder das All befuhren, und die Aussicht, einem Geisterschiff zu begegnen, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren.

»Mr. MacDouglas, alarmieren Sie die Marines. Wir schicken ein Prisenkommando an Bord und sichern das Schiff«, wies er seinen XO schließlich an. Noch während er sprach, lief ihm ein eisiger Schauder über den Rücken. Die feinen Härchen an seinem Nacken richteten sich auf.

»Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun, Skipper«, erwiderte MacDouglas so leise, dass nur Chow ihn hören konnte.

An diesem Schiff stimmte etwas definitiv nicht. Wenn er nur wüsste, was das war.

»Ich hoffe es auch.«

1

Taradan war ein eher abgelegenes System, das sich im Omicron-Sektor an der äußersten Grenze des Konglomerats befand. Obwohl es erst seit etwa fünfzig Jahren kolonisiert war, konnten die drei bewohnten Planeten des Systems schon eine beachtliche Bevölkerung von acht Millionen Menschen vorweisen, die sich aber zu mehr als siebzig Prozent auf die zwei äußeren Planeten konzentrierte.

Der wichtigste Grund für diese Bevölkerungsexplosion war ohne Zweifel die Flottenbasis und die dazugehörige Raumwerft im Orbit über der schönsten Welt des Systems: Taradan III. Die militärischen Anlagen auf und um den Planeten dienten einer Vielzahl von zivilen Angestellten als Arbeitsplatz.

In den Docks konnten drei Schlachtschiffe oder sechs Schwere Kreuzer gleichzeitig gebaut oder gewartet werden. Aber heute lag nur ein einziges, gewaltiges Schiff auf dem Platz, den für gewöhnlich drei der größten Kriegsschiff-Klassen beanspruchten, die die Menschheit je hervorgebracht hatte.

Captain Vincent DiCarlo starrte durch das dicke Panzerglas der Aussichtslounge der Werft und bewunderte in Gedanken versunken die TKS Lydia, den neuen Schlachtträger der Nemesis-Klasse. Der Stolz der Konglomeratsmarine. Bei der Konstruktion der Lydia war man ganz neue Wege in Design und Aufbau gegangen. Die Abteilung Forschung und Entwicklung hatte gänzlich auf den üblichen zylindrischen Schiffsrumpf verzichtet. Stattdessen wies die Lydia erheblich mehr Ähnlichkeit mit dem Flugzeugträger einer alten Hochseeflotte in der Vergangenheit der Erde auf. Mit einem Unterschied.

Statt einer Start- und Landebahn verfügte die Lydia über zwei übereinander angeordnete Decks, die nur dem einen Zweck dienten: möglichst schnell möglichst viele Jäger starten zu können. Die obere Startbahn wurde dabei als ALPHA und die untere als BETA bezeichnet. Der Flugzeugträger war außerdem vollständig von Panzerung umgeben, was dem Schiff ein eckiges, klobiges Aussehen verlieh.

Start- und Landebahnen ragten aus dem gigantischen Bugaufbau heraus. Jede der Bahnen war so breit, dass jeweils sechs Jäger – also insgesamt zwölf Maschinen – gleichzeitig starten konnten.

Hebebühnen brachten die Jäger entweder aus den Hangars in Startposition oder nach dem erfolgreichen Landemanöver wieder dorthin zurück. Ein riesiger Kommandoturm ragte etwa in der Mitte der Lydia neunzig Meter nach oben und beherbergte die Brücke sowie wichtige Kontroll-, Sensor- und Kommunikationsanlagen.

Direkt unterhalb der Brücke, geschützt von einem zentimeterdicken Metallpanzer, lag der Maschinenraum. Ein Netzwerk von Energieleitungen verband die Fusionsgeneratoren mit dem Antrieb und den Antrieb mit den Aggregaten am Heck der Lydia.

Der Interstellarsprung-Antrieb war ein Wunderwerk der Technik. Er riss buchstäblich ein Loch in den Weltraum und schleuderte das Schiff in den Hyperraum, wo es mit einem Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit fliegen konnte. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger bot er kürzere Flugzeiten bei geringerem Energieverbrauch und wies eine noch geringere Fehlerquote auf.

Der ISS-Antrieb war erst vor etwa zwei Jahren entwickelt worden und nach erfolgreich absolvierten Testläufen hatte man die Flotte sofort in aller Eile umgerüstet. Neuere Schiffsmodelle hatten natürlich den Vorteil, dass sie sofort mit dem leistungsfähigen Antrieb versehen wurden.

Vom Bug bis zum Heck maß der Schlachtträger neunhundert Meter, war übersät mit Torpedorohren, Zwillingslasergeschützen, Impulswaffen, Flak- und Raketentürmen. Aber das war nicht das Besondere an diesem Schiff, das hatten schließlich auch andere Schlachtschiffe.

Die Lydia war ein Hybrid. Man hatte die Vorteile von Schlacht- und Trägerschiffen kombiniert, um ein flexibles, schlagkräftiges und wenn notwendig von anderen Flotteneinheiten autonom operierendes Kriegsschiff zu schaffen. Denn die Lydia verfügte zusätzlich noch über Jägerhangars mit einer Kapazität von sage und schreibe 50 Jägerstaffeln zu je 12 Maschinen. Der Schlachtträger konnte mit einer Welle 600 Jäger ins Gefecht schicken und damit jedes Trägerschiff vor Neid erblassen lassen.

Trägerschiffe brauchten Kreuzer oder Schlachtschiffe als Geleitschutz, denn auf sich gestellt waren sie äußerst verwundbar. Die meisten Schlachtschiffe hatten zwar in geringem Umfang Jägerkapazitäten, aber nur, um sich selbst gegen Jägerangriffe verteidigen zu können, und auf keinen Fall genug, um einen eigenen ernst zu nehmenden Jägerangriff auf ein feindliches Schiff fliegen zu können. Die Lydia hatte diese Mankos nicht.

Mein Schiff!, dachte Vincent stolz.

Na ja, wenn man es genau betrachtete, noch nicht ganz. Vincent hatte nur auf diesem Jungfernflug das Kommando. Er würde die Waffen-, Antriebs- und Sensorentests überwachen. Falls das Schiff als einsatztauglich eingestuft wurde, würde er dauerhaft zum Kommandanten der Lydia ernannt. Falls nicht, hieß das für das Schiff zurück ans Reißbrett und für ihn zurück auf die Barcelona.

Der Träger war ein hervorragendes Schiff mit einer hervorragenden Crew. Das stand außer Frage. Aber das Kommando über einen Prototyp wie die Lydia bedeutete einen gehörigen Schritt nach oben auf der Karriereleiter. Mal davon abgesehen, dass die besten Schiffskommandanten des Konglomerats verbissen um das Kommando über dieses Schiff gekämpft hatten. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, dass sie das immer noch taten, aber die Entscheidung der Admiralität stand felsenfest und würde sich auch nicht mehr ändern. Sofern er nicht Mist baute und die Karre in den Sand setzte.

Vincent schmunzelte, als vor seinem inneren Auge das Bild Gestalt annahm, wie die Lydia an einem Asteroiden klebte und sie auf einen Schlepper warteten, der sie zurück nach Taradan schleppte.

Er seufzte und schaffte es endlich, seine Augen von dem Anblick loszureißen, der sich ihnen bot, um sich dem Mann hinter ihm zu widmen.

»Hast du dich also endlich sattgesehen?«, fragte Commander Hassan Salazzar mit deutlichem Amüsement in der Stimme.

»Du musst zugeben, sie ist eine wirkliche Schönheit«, erwiderte Vincent verträumt. Salazzar war bereits auf der Barcelona sein Erster Offizier gewesen und Vincent hatte es geschafft, die Admiralität davon zu überzeugen, ihn mitnehmen zu dürfen. Hassans Führungskraft und sein organisatorisches Geschick würden auf dem neuen Posten von großem Nutzen sein. Außerdem konnte er die moralische Unterstützung seines alten Freundes gut gebrauchen.

Obwohl sie Untergebener und Vorgesetzter waren, duzten sie sich, sobald sie dienstfrei hatten oder unter sich waren. Das verstieß nicht direkt gegen die Dienstvorschriften, wurde von vorgesetzten Stellen trotzdem nicht gern gesehen. Das kümmerte sie zwar nicht sonderlich, dennoch wollten sie niemanden vor den Kopf stoßen. Schon gar keinen Commodore oder Admiral. Sie kannten sich einfach zu lange, um ganz auf ihren freundschaftlichen Umgangston zu verzichten und an der steifen Vorgehensweise der Marine in solchen Dingen festzuhalten.

Am liebsten hätte er noch mehr von seiner alten Crew mitgenommen, aber da hatten sich die Herren Admiräle quer gestellt und ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zu allem Überfluss bekam er auch noch einen Beobachter vom Militärischen Aufklärungsdienst an Bord, der in den nächsten Stunden eintreffen sollte.

Der Geheimdienst hatte darauf bestanden, dass einer ihrer Offiziere an Bord war, wenn die Lydia auslief. Ungeachtet aller Proteste von Vincents Seite. Er hatte schon des Öfteren Bekanntschaft mit den arroganten, wichtigtuerischen Mitarbeitern des MAD gemacht und verspürte kein Interesse auf eine erneute Begegnung. Nur blieb ihm wohl nichts anderes übrig.

»Hast du den Rest deiner Brückencrew eigentlich schon kennengelernt?«, riss Hassan ihn aus seinen Gedanken.

Vincent ließ sich gegenüber seinem Ersten Offizier in einen der bequemen, flauschigen Sessel fallen, die innerhalb der Lounge zu kleinen Sitzgruppen angeordnet waren und das Bild des Raumes dominierten.

Der frischgebackene Captain der Lydia schmiegte sich an die Rückenlehne und genoss das Gefühl, wie der Sessel sich seiner Körperform anpasste. Bevor er antwortete, musterte er seinen Freund ausgiebig. Die beiden Offiziere waren mit einer Körpergröße von fast einem Meter achtzig annähernd gleich groß. Damit endete aber auch schon jede äußerliche Ähnlichkeit.

Vincents blonde Haare, blaue Augen und helle Haut bildeten einen auffallenden Kontrast zu den dunklen Mandelaugen, dem glatten schwarzen Haar und der gebräunten Haut Hassans.

Vincent grinste in sich hinein. Helle Haut war ein Markenzeichen von Raumfahrern, das daher rührte, dass sie sich nur selten lange genug auf einem Planeten aufhielten, um etwas Farbe abzubekommen. Hassan hingegen war schon durch seine arabische Abstammung von Natur aus mit diesem genetischen Merkmal gesegnet und fiel dadurch auf, wo immer er sich auch blicken ließ.

»Noch nicht«, erwiderte er schließlich auf die Frage. »Aber das dürfte nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Die Letzten müssten mit dem nächsten Schiff eintreffen. Dann werde ich ihnen etwas auf den Zahn fühlen. Mal sehen, wen man mir aufs Auge gedrückt hat.«

Sie wurden kurz abgelenkt, als vor dem Fenster ein Personenshuttle so dicht an der Lounge vorbeiflog, dass das Panzerglas leicht vibrierte, und Kurs auf den Hangar nahm, der für Neuankömmlinge reserviert war.

»Sicher nur die Besten«, probierte ihn sein XO zu beruhigen, als das kleine Schiff außer Sicht verschwunden war. »Schließlich sind eine Menge hoher Tiere an dem Projekt interessiert. Der Schiffstyp soll nach unserem Testflug in Serie gehen, da werden sie bestimmt kein Risiko eingehen.«

»Vermutlich hast du recht, aber ich hätte trotzdem gern Leute um mich, mit denen ich bereits gearbeitet habe. Sollte ein Notfall eintreten, dann habe ich keine Ahnung, wie die Mannschaft reagiert.«

Hassan lachte kurz auf und sah seinen Freund dann kopfschüttelnd an, als könne er nicht fassen, was er gerade gehört hatte.

»Und ich dachte immer, dass Testflüge genau dafür da sind?!«

Vincent sah seinen Freund fragend an und forderte ihn damit wortlos zum Weiterreden auf.

»Na, um festzustellen, wie Schiff und Besatzung zusammenarbeiten«, erläuterte Hassan gelassen.

»Schon, aber es wäre mir trotzdem lieber, ich hätte noch jemanden von der Barcelona mitnehmen können. Den Chefingenieur oder den Waffenoffizier.«

»Eine grandiose Idee«, frotzelte sein XO. »Dann wären unserem alten Schiff neue, unerfahrene Offiziere zugeteilt worden. Damit hättest du ja der Barcelona ein recht undankbares Abschiedsgeschenk gemacht.«

»Hast ja recht«, lenkte Vincent ohne wirkliche Überzeugung ein und warf einen weiteren verstohlenen Blick durch das Fenster auf sein neues Kommando.

»Oh, du unverbesserlicher Pessimist. Wir machen nur ein paar Tests und fliegen dann wieder hierher zurück. Eine kurze Runde um den Block. Was soll da schon groß passieren?!«

Vincent wurde schlagartig ernst. »Sag so etwas nie, Hassan. Niemals!«

»Ist ja schon gut.« Hassan wurde von dem plötzlichen Stimmungswechsel seines Captains regelrecht überrollt und er stutzte ob der ungewohnten Ernsthaftigkeit seines Gegenübers.

»Ich meine es ernst, Hassan. Sag so etwas nie wieder. Das bringt Unglück. Auf so einer Fahrt kann mehr schiefgehen, als wir uns beide im Moment vorstellen können.«

»Vincent«, bemühte sich Hassan, ihn zu beruhigen. »Entspann dich einfach. Denk dran, die meisten Fehler passieren, wenn man verzweifelt versucht, alles richtig zu machen.«

»Da ist was Wahres dran.«

Die Versuche seines XO, das Gespräch wieder in eine angenehmere Richtung zu lenken, trugen keine echten Früchte. Was seinem Freund nicht verborgen blieb. An der ganzen Sache gab es aber etwas, das Hassan nicht verstand. Nicht verstehen konnte. Wenn etwas schiefging und der Testflug nicht den gewünschten Erfolg mit sich brachte, dann würde er nicht nur zurück auf die Barcelona kommen.

Der – aus welchem Grund auch immer – misslungene Testflug würde in seiner Akte als fehlgeschlagene Mission vermerkt werden. Damit würde seine Chance, jemals über den Rang eines Captains hinauszukommen, für immer dahin sein. Diese Mission war vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft sein Sprungbrett in den Rang eines Commodore.

»Und vergiss nicht«, nahm Hassan den Gesprächsfaden wieder auf und riss Vincent damit aus seinen Gedanken. »Ich bin auch noch da. Falls etwas schiefgeht, dann wird der alte Hassan es schon wieder richten. Das ist schließlich mein Job.« Er grinste und Vincent erwiderte es nach kurzem Zögern. Auch wenn er innerlich noch längst nicht so beruhigt war, wie er nach außen hin vorgab.

Die Fähre setzte mit spürbarem Ruck auf und Major David Coltor musste sich festhalten, um nicht von seinem Sitz zu purzeln. Die Türen öffneten sich und die Insassen des Raumfahrzeugs strömten der Öffnung entgegen. Für ihn wirkte es so, als wollten sie eher den nicht vorhandenen Flugkünsten ihres Piloten entkommen, denn die Taradan-Basis endlich betreten. Der Flug war alles andere als angenehm gewesen und mehr als einmal hatte er überlegt, ob er ins Cockpit gehen und dem Piloten seine Hilfe anbieten sollte.

David stieg die Treppe hinunter und betrat zum ersten Mal den Stahlboden der Taradan-III-Flottenbasis. Kaum hatte er die Ausstiegsleiter verlassen, da wurde sie schon wieder eingezogen, das Shuttle hob ab und verließ den Hangar wieder in Richtung des Zerstörers, der ihn von der Erde hergebracht hatte.

Wehmütig sah er dem schnell kleiner werdenden Punkt hinterher. Er wäre nur zu gern mitgeflogen. Zurück zu seiner Kim. Es war unmenschlich, einen Bräutigam zwei Monate nach seiner Hochzeit auf eine Mission zu schicken, aber der Staatsdienst war nun mal eine undankbare Geliebte.

Was beschwere ich mich eigentlich? Ich habe mir den Job schlussendlich ja selbst ausgesucht.

Traurig erinnerte er sich an die Abschiedsszene mit Kim am Raumhafen von San Francisco und an ihre Tränen. Bei dem Gedanken an den anschließenden Kuss und ihr Versprechen, was ihn erwarten würde, sobald er zurückkehrte, wurde ihm allerdings ganz warm ums Herz. Ein genießerisches Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Hoffentlich ist dieser bescheuerte Testflug bald vorbei. Nogujama hätte ruhig jemand anderen mit dieser Routineaufgabe betrauen können.

Der japanische Admiral und Chef des Militärischen Aufklärungsdienstes hatte ihn vor ein paar Tagen zu sich bestellt und über den bevorstehenden Test informiert sowie darüber, dass David sich an Bord befinden würde, um ihm einen umfangreichen Bericht über die taktischen und strategischen Möglichkeiten der neuen Nemesis-Klasse zu liefern.

Fast hätte er sich geweigert. Wenn nicht der kleine Hinweis Nogujamas gewesen wäre, dass der Bericht an den Präsidenten und das Parlament gehen würde und er jemanden an Bord brauchte, dem er bedingungslos vertraute …

Das ist der Nachteil, wenn man seine Arbeit so gut macht, dachte er zynisch. Man wird ständig auf irgendwelche Missionen geschickt.

David sah durch eines der zahlreichen Fenster auf den Planeten hinab. Es war schon eine ganze Weile her, dass er das Heimatsystem verlassen hatte, und so weit draußen war er noch nie gewesen. Trotz der langen Jahre beim MAD und seiner zahlreichen Dienstreisen für den Geheimdienst.

Der Planet sah wunderschön aus. Die Sonne des Systems tauchten Taradan III und seinen Nachbar Taradan II in ein sanftes Leuchten aus Gold-, Blau- und Grüntönen. Die beiden Monde, Taradan Minor und Major, bildeten dazu mit ihren stumpfen Tönen aus Grau und Braun einen auffallenden, aber nicht unattraktiven Kontrast. Kein Wunder, dass dieses System von Touristen so gut besucht war. Aus allen Teilen des von Menschen besiedelten Raums kamen sie, um sich hier in den heißen Quellen zu entspannen oder an den zahlreichen traumhaften, weißen Sandstränden die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen.

Und das, obwohl es hier eine starke militärische Präsenz gab. Das System war der Heimatstützpunkt der 17. Flotte und es befanden sich ständig mindestens vierhundert Kriegsschiffe angedockt an der Basis oder auf einem Parkorbit um einen der Monde.

Außerdem war das Raumdock eine von fünf Anlagen im Konglomerat, in denen Schiffs- und Waffenprototypen für die Flotte entwickelt und gebaut wurden. Zwei weitere befanden sich auf Erde und Venus, eine auf Vega und eine auf Cassandra.

David wandte sich, wenn auch widerwillig, von dem Anblick ab. Schließlich war er nicht zu seinem Privatvergnügen hier, sondern dienstlich. Er steuerte den Ausgang an, vor dem zwei Marines Wache standen, und wortlos reichte er einem von ihnen seinen Ausweis. Er überprüfte ihn kurz und oberflächlich.

Der Marine beäugte seine tiefschwarze Uniform misstrauisch. Das war er bereits gewohnt. MAD-Agenten wurden nur selten mit offenen Armen empfangen. Der misstrauische Blick des Mannes wanderte von seiner Uniform langsam nach oben zu seinem Gesicht. David lächelte im Bestreben, die Bedenken des Soldaten zu zerstreuen.

Der Marine hob langsam eine Augenbraue, um zu zeigen, was er davon hielt. Auch das war David bereits gewohnt. Die meisten Marines konnten sich nicht vorstellen, wie ein nur einen Meter siebzig großer und etwas korpulenter Offizier Karriere beim Militär machten konnte. Er hatte es sich abgewöhnt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Marines waren ohnehin ein Thema für sich.

Die meisten dieser Kerle sahen aus, als kämen sie nur mithilfe eines Schuhlöffels morgens in ihre Uniform. Kein Wunder also, dass sie dazu neigten, auf die Mitglieder anderer Waffengattungen herabzusehen.

»Würden Sie mir bitte kurz folgen, Sir«, sagte der Ranghöhere der beiden. Ein Sergeant mit einem Gesichtsausdruck, als würde er jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen erst mal genüsslich in eine Zitrone beißen. David nickte nur.

»Es wird nur eine Minute dauern«, fuhr der Mann mit dem Enthusiasmus und der Tonlage eines Finanzbeamten fort. David wurde schon allein beim Zuhören müde und unterdrückte mühsam ein Gähnen.

Die Marines führten ihn zu einer Vorrichtung an der Wand. So etwas hatte er bereits einige Male durchlaufen. Ein Augenscanner, um den Retinaabdruck mit seinen Daten in der Zentraldatenbank des Militärs zu vergleichen. Eine neue Sicherheitsvorkehrung, die erst wenige Monate in Kraft war. Diese Methode galt als hundertprozentig sicher.

Er ließ die Prozedur über sich ergehen, und erst als der Computer seine Identität zweifelsfrei bestätigte, entspannten sich die Soldaten und salutierten vor ihm. Jetzt erkannten sie ihn als ranghöheren Offizier an. David erwiderte den Salut und trat durch die Tür.

Eine Ordonnanz erwartete ihn bereits. Der Lieutenant salutierte ebenfalls und stellte sich vor: »Major Coltor?! Ich bin Lieutenant Karpov und Ihnen für die Dauer Ihres Aufenthalts als Assistent zugewiesen. Willkommen auf Taradan.«

David musterte den Offizier aufmerksam. Er konnte kaum älter als zwanzig sein und war so dünn, dass man ihn schon fast schlaksig nennen musste. Sein braunes Haar war in militärischem Schnitt kurz geschoren und ließ sein Gesicht noch farbloser wirken, als es ohnehin schon war.

Das war das erste Mal, dass man es für nötig hielt, ihm einen Assistenten zuzuweisen. Der junge Mann schien etwas nervös zu sein, vermutlich hatte er es nicht oft mit Geheimdienstagenten zu tun und war sich nicht sicher, wie er damit umgehen sollte. Aber ansonsten sah er recht anständig aus.

Vielleicht ein wenig zu steif, aber in dem Alter waren wir wohl alle so.

»Vielen Dank, Lieutenant. Wenn Sie gestatten, wäre es nett, wenn Sie mir als Erstes mein Quartier zeigen, damit ich mich etwas ausruhen kann. Es war ein sehr langer und unbequemer Flug.«

In Erwartung, dass Karpov die Führung übernehmen und ihn zu seinem Quartier führen würde, griff David nach seinem Koffer. Erst als der Lieutenant sich nicht rührte und verlegen hüstelte, wurde er stutzig.

»Bedaure, Sir! Aber der Stützpunktkommandant hat befohlen, Sie sofort nach Ihrer Ankunft zu ihm zu bringen. Er möchte Sie kennenlernen.«

Innerlich ächzend verkniff er sich daraufhin eine beißende Bemerkung und bedeutete Karpov lediglich, voranzugehen. Dieser drehte sich um und eilte los. David hatte alle Mühe, diesem zu folgen, als der durch eine Anzahl identisch wirkender Gänge spurtete, aber irgendwie schaffte er es. Die ganze Zeit über fragte er sich, was so wichtig sein konnte, dass er sich nicht mal umziehen, geschweige denn kurz ein wenig schlafen durfte.

Nach einem schier endlosen Sprint durch die Flottenbasis, bei dem er allerdings nicht viel mitbekommen hatte, da er sich darauf konzentriert hatte, seinen Führer nicht zu verlieren, kamen sie endlich vor einer schmucklosen eisernen Tür an.

David deponierte seinen Koffer bei der Sekretärin des Admirals und strich seine Uniform glatt.

»Wie heißt er eigentlich, Lieutenant?«, fragte er mit einem neugierigen Nicken zur Tür.

»Konteradmiral Ivan Karpov, Sir.«

Karpov?

Davids Verwirrung musste sich auf seiner Miene widergespiegelt haben, denn der Lieutenant wirkte plötzlich sehr verlegen.

»Er ist mein Vater, Sir«, erklärte er.

Noch während David bemüht war, die neugewonnene Information zu verarbeiten, öffnete sich die Tür vor ihm und sie traten in einen großen, wenn auch recht spartanisch eingerichteten Raum. Das Büro war annähernd halbkreisförmig. Eine Seite wurde vollständig von einem großen Fenster eingenommen, durch den man einen ungehinderten Ausblick auf die Raumdocks hatte, in denen gerade etwa zwei Dutzend Schiffe zur Wartung vor Anker lagen.

Mit dem Rücken zum Fenster saß ein glatzköpfiger Mann Ende vierzig. Seine hohen Wangenknochen und sein Knochenbau verrieten eindeutig seine russische Abstammung. Als David und sein Begleiter näher traten, sah er von einem Stapel Akten auf und ein erfreutes Lächeln ließ zwei Reihen weißer Zähne durch seinen dichten Bart blitzen.

»Pjotr, da bist du ja.« Sein Lächeln schwand etwas, als sich sein Blick auf David richtete und er ihn das erste Mal zur Kenntnis nahm.

»Major, willkommen auf Taradan. Bitte nehmen Sie Platz.« David salutierte vor dem Admiral und folgte dann gehorsam der Aufforderung, als sich Karpov wieder seinem Sohn zuwandte.

»Würdest du bitte draußen warten, Pjotr. Der Major und ich haben einiges zu bereden. Es wird aber nicht lange dauern.«

Der Lieutenant zog sich daraufhin diskret zurück. Karpov wartete, bis sich die Tür hinter seinem Sohn geschlossen hatte, bevor er fortfuhr. Er betrachtete David einige Augenblicke ernst, dann kam er hinter seinem Schreibtisch hervor und stellte sich vor das Fenster, um gedankenverloren ins All zu starren.

Der Augenblick dehnte sich ins Endlose und die Situation machte David nervös, aber Geduld wurde beim MAD großgeschrieben und so wartete er darauf, dass der Admiral das Gespräch begann und sein seltsames Benehmen erklärte.

»Warum glauben Sie, sind Sie hier, Major?«, ergriff er endlich das Wort.

»Ich bin hier, um die Tests des neuen Prototyps zu beaufsichtigen und danach einen Bericht für meinen Vorgesetzten anzufertigen.«

Karpov starrte immer noch durch das Fenster und nickte nachdenklich zu Davids ernst gemeinten Worten. Er drehte sich um und fixierte ihn mit einem wütenden Blick, der den MAD-Offizier zutiefst überraschte. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte angenommen, dass der Admiral auf ihn persönlich einen Groll hegte. Die beiden waren sich aber noch nie begegnet, daher war das vollkommen unmöglich.

»Soll ich Ihnen verraten, was ich von Ihrem Hiersein halte?« Die Fragestellung allein verriet schon, dass er es auf jeden Fall tun würde, egal was David davon halten mochte.

»Ich glaube, Sie sind hier, damit ein unsinniges Projekt eine Legitimation erhält«, sprach er weiter, ohne auf eine Antwort Davids zu warten. »Sie sind hier, um einen Bericht zu verfassen, der ein Projekt in den höchsten Tönen loben soll, das nie hätte stattfinden dürfen.«

Karpov war während seiner Ausführungen immer lauter geworden. Er drehte sich wieder in Richtung des Fensters um, die Hände zu wütenden Fäusten geballt. Der Anblick der Raumschiffe und Planeten außerhalb des Zimmers schien ihn aber wieder etwas zu beruhigen.

Das war also der Grund. David wusste, dass die Nemesis-Klasse Gegner hatte. Nicht alle waren überzeugt, dass der Einsatz so vieler Geld- und Rohstoffmittel sinnvoll und zweckmäßig war. Nicht gewusst hatte er, dass ausgerechnet der Admiral, der den Bau beaufsichtigte, zu diesen Gegnern zählte.

Vielen Dank, Nogujama. Wäre es zu viel verlangt gewesen, wenn Sie mir das vorher gesagt hätten? Jetzt muss ich wohl erst mal die Wogen glätten.

»Hören Sie Admiral. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass die neue Klasse eine Bereicherung der Flotte sein wird und keine Belastung. Ihr Bau ist notwendig und ich stehe voll und ganz hinter dem Projekt.«

Karpov wischte den Einwand nur ungeduldig mit einer Hand beiseite. Er war keinesfalls überzeugt. Das hatte David auch nicht erwartet. Hardliner wie Karpov taten sich immer mit Neuerungen schwer. Trotzdem überraschte er David, als er sagte: »Ich habe von Ihnen auch nichts anderes erwartet. Schließlich verdanken wir unter anderem Ihnen diesen ganzen Schlamassel mit diesem überteuerten Schiff. Dem Helden des Mars.«

David schluckte schwer. Aber nicht, weil er verlegen gewesen wäre, sondern um eine wütende Erwiderung herunterzuschlucken, die vermutlich seine Karriere beendet hätte.

Das war also der Grund für Karpovs Abneigung. Der Admiral spielte auf einen Vorfall vor fünf Jahren an, als er zusammen mit einer Kollegin eine Verschwörung auf dem Mars aufgedeckt hatte, in deren Verlauf die Ruul, eine aggressive Nomadenrasse, darauf aus gewesen war, sich hochwertige menschliche Technologie anzueignen. Es war bis heute nicht gelungen zu klären, in welchem Ausmaß ihnen das tatsächlich gelungen war.

Nur eins war sicher: Es war ihnen gelungen. Die Ruul hatten es geschafft, mithilfe terranischer Technik einen Evolutionssprung zu vollziehen, durch den sie von einem Ärgernis zu einer ernsten Bedrohung aufgestiegen waren, wie die anschließende, furchtbare Saturn-Schlacht bewiesen hatte.

In deren Verlauf hatten zwei mit terranischer Technik aufgerüstete ruulanische Kriegsschiffe das Schlachtschiff Berlin und seine zwei Begleitzerstörer angegriffen. Nur durch eine gehörige Portion Glück hatte die Berlin – schwer beschädigt und mit dezimierter Besatzung – die Schlacht gewonnen. Einer der Zerstörer hatte weniger Glück gehabt. Der Ausgang war so knapp gewesen, dass viele Politiker und auch Admiräle furchtbar nervös geworden waren. Das hatte letztendlich dafür gesorgt, dass das Projekt Lydia in die Tat umgesetzt worden war.

Der Vorfall an sich war streng geheim. Nicht zuletzt deshalb, weil der Gouverneur der Mars-Kolonie und sein Sicherheitschef in die Sache involviert gewesen waren. Aber anscheinend hatte der Admiral die nötige Berechtigungsstufe, um über derlei Dinge informiert zu werden.

David atmete einmal tief durch. »Sir, erstens bin ich kein Held, sondern habe einfach nur meinen Job gemacht. Zweitens waren Sie damals nicht dabei. Sie haben nicht erlebt, wie zwei ruulanische Schlachtträger beinahe die Berlin zu Schrott geschossen hätten. Und drittens verwahre ich mich auf das Schärfste gegen die Unterstellung, mein Bericht würde schon feststehen. Ich werde meine Erfahrungen mit der Lydia auf das Genaueste dokumentieren. Egal welcher Art diese Erfahrungen auch sein mögen. Bei allem Respekt, Admiral Karpov, ich verstehe Ihre Abneigung nicht ganz. Diese Klasse bietet uns völlig neue Möglichkeiten, sowohl was die Verteidigung als auch den Angriff betrifft.«

»Und um eines zu bauen, brauchen wir die Ressourcen, die normalerweise für drei Großkampfschiffe reichen. Sehr clever, Major. Wirklich sehr clever«, meinte der Admiral ironisch. »Aber Sie haben natürlich völlig recht. Vielleicht bin ich zu voreingenommen. Deshalb lasse ich einen eigenen Bericht anfertigen.«

Ein beunruhigendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, das auf David absolut siegessicher wirkte. Er hatte schon so eine Ahnung, auf was Karpov hinauswollte.

»Mein Sohn wird Sie begleiten und einen eigenen Bericht schreiben, den ich dem Präsidenten und dem Parlament vorlegen werde. Und dieser Bericht wird mit Sicherheit absolut ehrlich und unvoreingenommen sein, Major. Darauf können Sie Gift nehmen.«

Vincent sah aus dem Bullauge des Shuttles und betrachtete eine Gruppe Techniker, die in Ihren klobigen Raumanzügen schwerfällig auf der Außenhülle der Lydia herumkletterten wie überdimensionierte Insekten. Sie waren gerade dabei, einige abschließende Arbeiten an den Sensoren und den Waffen vorzunehmen. In Gedanken machte er sich eine Notiz, seinen Chefingenieur anzuweisen, seine Leute mehr anzutreiben. Der Stapellauf sollte bereits morgen sein. Es wurde allerhöchste Zeit, dass sie endlich fertig wurden. Es wäre in höchstem Maße peinlich, wenn sein erstes Kommando dieser Art gleich mit einer Verspätung begann.

»Setz dich wieder auf deinen Platz. Du machst mich ganz nervös mit deiner gluckenhaften Art. Die Jungs da draußen wissen schon, was sie tun müssen. Auch ohne dass der neue Captain ihnen auf die Finger schaut«, kam eine entnervte Stimme von links.

»Hassan, das sagst du so einfach«, antwortete er. »Irgendwann wirst du das Kommando über dein eigenes Schiff übernehmen. Dann werde ich zur Stelle sein und dich mit den gleichen Sprüchen traktieren, wie du es jetzt bei mir machst.«

Obwohl ihm nicht danach zumute war, setzte er sich aber wieder und begnügte sich damit, die Wand des Shuttles anzustarren. Der Pilot legte das Gefährt etwas auf die Seite. Der Anflug auf das ALPHA-Startdeck der Lydia hatte begonnen. Sein Erster Offizier lachte aus vollem Hals.

»Wenn ich endlich mal Captain bin, dann werde ich bestimmt nicht wie auf heißen Kohlen herumsitzen. Vergiss nicht, deine Leute sind alles Profis.«

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Vincent ungeduldig. »Aber ich darf mir doch trotzdem Sorgen machen, oder?!«

»Wenn es unbedingt sein muss«, erwiderte sein XO grinsend. »Aber zeig sie nur nicht so deutlich.«

Vincent erwiderte das ehrliche Grinsen. »Ja, Mami.«

Das Shuttle durchbrach das Kraftfeld, das das Vakuum des Alls aussperrte. Der metallische Rumpf knisterte vor statischer Entladung. Dann setzte es mit sanftem Ruck auf und der Pilot öffnete die Ausstiegsluke.

Hassan sah seinen Freund an und wartete darauf, dass er den Anfang machte. Dieser ließ sich nicht lange bitten und betrat sein Schiff zum ersten Mal in der Gewissheit, dass er es erst wieder in drei Monaten verlassen würde. Hassan blieb ihm dicht auf den Fersen und hatte dabei seinen ernsten Ich-hab-euch-alle-im-Blick-Gesichtsausdruck aufgesetzt, wie es sich seiner Meinung nach für einen Ersten Offizier gehörte.

Eine Doppelreihe Marines hatte zu jeder Seite der Luke Stellung bezogen, die Waffen vor der Brust in Habachtstellung. Am Ende der Reihe standen zwei Offiziere, die ebenfalls strammstanden. Einer trug das Weiß der Flotte, der andere die zweckmäßigere Kleidung des Marine Corps.

»Achtung! Captain an Bord!«, hallte es blechern durch den Hangar. Sofern dies überhaupt möglich war, standen die Soldaten der Ehrenwache noch strammer. Vincent schritt die Ehrenwache betont langsam ab und sah abwechselnd nach links und rechts, um die Soldaten zu inspizieren. So verlangte es die Tradition, obwohl ihm tausend andere Dinge durch den Kopf gingen und nicht, ob der dritte Knopf von links an der Uniform von Marine X richtig angenäht und ordnungsgemäß zugeknöpft war. Nach schier endlosen fünf Minuten kam er endlich bei den zwei wartenden Offizieren an.

»Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen«, sagte er formell.

»Erlaubnis erteilt, Sir«, kam die rituelle Antwort des Flottenoffiziers. »Willkommen an Bord. Ich bin Lieutenant Commander Vasili Ivanov, Ihr taktischer Offizier.« Er deutete einmal kurz kopfnickend auf den Mann an seiner Seite. »Dies ist Colonel Wetherby, der Kommandant des Marineregiments an Bord.«

Vincent und Hassan begrüßten beide Männer mit kurzem, aber festem Handschlag. Noch während sie sich die Hände reichten, war Vincent dabei, sich eine Meinung über die Männer zu bilden, mit denen er in Zukunft zusammenarbeiten sollte. Er hatte natürlich die Akten der beiden gründlich gelesen, aber seiner Erfahrung nach ließen irgendwelche Papiertiger im Hauptquartier gern unliebsame Details unter den Tisch fallen. Vor allem, wenn die betreffenden Offiziere einem Captain im Rahmen einer Sondermission, wie zum Beispiel ein Testflug, überstellt wurden, ohne dass dieser dabei ein sonderlich großes Mitspracherecht hatte.

Ivanov hatte eine eher durchschnittliche Figur und ein knochiges Gesicht mit einer hakenförmigen Nase. Er war Vincent sofort unsympathisch. Nach seiner Meinung gab es zwei Arten von Offizieren. Die erste Art waren die strengen Zuchtmeister. Sie versetzten ihre Untergebenen in Angst und Schrecken und auf dieser Grundlage sorgten sie in ihren Abteilungen für Ordnung. Solche Offiziere waren Vincent eher suspekt. Sie hatten sicherlich ihre Vorteile, da es mit ihren Crews kaum Probleme gab. Aber die Nachteile wiegten das bei Weitem wieder auf. Solche Offiziere inspirierten niemanden und niemand würde für sie durchs Feuer gehen. Dieser Ivanov schien genau zu dieser Gruppe zu gehören. Das könnte zu einem Problem werden, das man im Auge behalten musste.

Der Lieutenant Commander wirkte nicht sehr erfreut und trug eine eiserne Miene zur Schau. Vincent wusste, dass er auf der letzten Beförderungsliste gestanden und sich für den Posten des Ersten Offiziers der Lydia beworben hatte.

Ein Admiral war aber wohl eher seiner Meinung gewesen und hatte sowohl die Bewerbung als auch die Beförderung abgelehnt. Das erklärte auch, weshalb er Hassan immer wieder hasserfüllte Blicke zuwarf. Das versprach noch problematisch zu werden. So, wie er seinen Freund aber kannte, würde Hassan mit Sicherheit Wege finden, das Problem aus der Welt zu schaffen.

Wetherby hingegen schien zur zweiten Kategorie zu gehören. Ein Offizier, der sich den Respekt seiner Leute durch harte Arbeit und Hingabe verdient hatte und sie dadurch zu Höchstleistungen anspornte. Er war gut zwei Köpfe kleiner als Ivanov, machte aber den Eindruck, als könne er den anderen Offizier in der Mitte auseinanderbrechen, ohne dabei ins Schwitzen zu geraten. Sein Kopf war, nach Art der Marines, fast kahl geschoren, damit der Kampfhelm besser saß. Zwischen den beiden herrschte eine Eiseskälte, die Bände darüber sprach, wie sie miteinander auskamen.

Einen Marine-Colonel an Bord zu haben war ebenfalls eine Neuerung, auf die er neugierig war. Konglomeratsschiffe hatten normalerweise nicht mehr als eine Kompanie oder ein Bataillon an Bord.

Die Nemesis-Klasse sollte aber eine größere Flexibilität besitzen, weshalb gleich ein ganzes Regiment in ihrem gewaltigen Rumpf untergebracht war. Inklusive Landungsfahrzeugen, Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und genügend Waffen, um einen kleinen Planeten unter ihre Kontrolle zu bringen.

Sein Händedruck war fest und Vincent hatte den Eindruck, der Colonel würde ihn testen und nach der Stärke des Händedrucks beurteilen. Nach zwei oder drei Sekunden ließ er, offenbar zufrieden, los und nahm wieder seine Rührt-euch-Stellung ein, indem er zurücktrat und seine Hände hinter dem Rücken fasste.

»Gentlemen, es freut mich, Sie beide kennenzulernen.«

Vincent steuerte zielstrebig den nächsten Aufzug an und die drei Offiziere folgten ihm. In Ivanovs Fall allerdings mit deutlichem Widerwillen, und erst als ihm Wetherby mit dem Ellbogen verstohlen in die Rippen stieß, schloss er zu seinem Captain auf.

Hassan warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Vincent gab vor, von alledem nichts zu bemerken. Er hatte diese Art Blick bei seinem Ersten Offizier schon oft gesehen und wusste sehr genau, was er zu bedeuten hatte. Ivanov sollte sich lieber vorsehen und weniger Unmut an den Tag legen, ansonsten wäre ihm Hassan sicherlich bei der Korrektur seiner inneren Einstellung behilflich.

»Wie ist der Stand der Dinge, meine Herren?«, verlangte er zu wissen, als wäre nichts passiert. Wetherby ergriff als Erster das Wort und berichtete. »Meine Marines sind, bis auf zwei Kompanien, vollständig an Bord. Wir erwarten ihre Ankunft innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden. Dann dürfte auch die restliche Ausrüstung endlich hier sein. Es fehlen noch zwei Stingrays, drei Null-G-Kampfanzüge, zwei Laser-Gefechtspanzer vom Typen Cherokee und fast eine Tonne an Infanterieausrüstung.«

»Ausgezeichnet, Colonel. Nun Ihr Bericht, Commander.«

Der Offizier antwortete nicht auf die Aufforderung. Wetherby atmete hörbar auf und Hassan warf Ivanov einen weiteren Blick zu, den dieser aber überhaupt nicht wahrnahm, da es schien, als wäre er tief in Gedanken versunken. Erst als Vincent plötzlich stehen blieb und sich umdrehte, wurde er gezwungen, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

»Ihr Bericht, Commander«, forderte Vincent erneut und diesmal nachdrücklicher. Normalerweise war er nur schwer aus der Ruhe zu bringen, aber im Augenblick war ihm sein Ärger deutlich anzumerken. So ein Verhalten war er von einem Kommandooffizier nicht gewohnt.

Der Waffenoffizier der Lydia riss sich sichtlich zusammen. Seine Kiefermuskeln mahlten und er war um Fassung bemüht. Seltsamerweise machte er den Eindruck, eher wütend als peinlich berührt zu sein.

»Lieutenant Commander Ivanov«, flüsterte er ihm ruhig zu. »Ich bin jetzt gerade mal fünf Minuten auf dem Schiff und Sie geben sich bereits alle Mühe, mir einen negativen Eindruck von sich zu vermitteln. Entweder Sie kommen Ihren Pflichten nach oder ich suche mir einen Waffenoffizier, der das kann. Verstehen wir uns?«

Ivanov schluckte mühsam, nickte dann aber.

»Ja, Sir«, bestätigte er.

Zufrieden drehte sich Vincent wieder um und setzte den Weg fort. Die beiden anderen Offiziere hatten sich während des kurzen Wortwechsels diskret zurückgezogen. Wetherby, der mit seiner Meinung über Ivanov nicht hinter dem Berg hielt, feixte schadenfroh. Hassan hingegen trug eine undurchdringliche Miene zur Schau. Für Ivanov war die Angelegenheit noch lange nicht ausgestanden.

Vincent hatte den Mann nicht gern persönlich zur Räson gebracht. Damit hatte er sich in Hassans Zuständigkeit eingemischt, aber die Einstellung des Offiziers war für ihn einfach nicht länger zu ertragen. Morgen war Stapellauf und er tat, als ginge ihn das alles nichts an. Hassan würde sein Eingreifen sicherlich verstehen.

»Nun, Commander? Ich warte auf Ihren Bericht.«

»Aye, Sir«, antwortete Ivanov diesmal sofort. »Unsere Techniker sind gerade dabei, die Sensoren abschließend zu eichen. Im Lauf des Tages werden noch drei Laserbatterien und zwei Raketenwerfer montiert. Unsere Leute arbeiten rund um die Uhr, um das Schiff rechtzeitig fertig zu bekommen. Morgen früh werden unsere Torpedos ins Magazin verladen. Außerdem sollten wir in den nächsten Stunden die letzten Jäger an Bord bekommen. Alles Zerberus. Die Arrow- und Skull-Staffeln sind bereits vollständig an Bord. Die Piloten sind übrigens bereits seit fast drei Tagen in ihren Quartieren und drehen Däumchen. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass unsere Schutzschilde nicht einwandfrei funktionieren. Unsere Techniker versicherten mir aber, dass das Problem bereits eingegrenzt ist.«

Vincent nickte. Dass es mit dem Termin knapp werden würde, war abzusehen gewesen und einkalkuliert worden, aber alles in allem war die Mannschaft weiter, als er es für möglich gehalten hätte. Ein Beweis für die Effizienz seiner Besatzung. Die eigentlichen Probleme würden sich aber erst mit Beginn der Testfahrt herauskristallisieren. Er war recht zufrieden. Wenn man vom Verhalten Ivanovs einmal absah.

Fürs Erste würde er ihn aber vom Haken lassen. Ein Blick zu Hassan zeigte ihm, dass sein Erster Offizier das sicher nicht tun würde. Fast hätte ihm Ivanov leidgetan. Aber nur fast. Die Situation hatte er sich selbst zuzuschreiben.

Lieutenant Sabrina Mendez, Navigationsoffizier der Lydia, unterdrückte den Fluch, der ihr gerade auf den Lippen lag, als die Konsole, unter der sie gerade arbeitete, mit einem leichten Stromschlag ihre Fingerspitzen versengte. Ein Drittel aller Systeme auf dem Schiff arbeitete immer noch nicht korrekt. Inklusive der Kommunikation, an der sie gerade arbeitete, der Jägerkontrolle sowie ihrer Navigation. So etwas hatte sie nicht mehr reparieren müssen, seit sie die Akademie abgeschlossen hatte. Vorgestern hatte sie die Taradan-Basis erreicht und war gleich ins kalte Wasser geworfen worden.

Helfen Sie bei der Instandsetzung der restlichen Brückensysteme, Lieutenant!, äffte sie Ivanov in Gedanken nach. Der hat gut reden. Ich bin Navigationsoffizier, kein Techniker. Wenn es nicht funktioniert, dann gibt er garantiert mir die Schuld und ich kann sehen, wo ich bleibe.

Als sich der Schmerz etwas gelegt hatte, versuchte sie erneut, die beiden Kabel zu verbinden, als jemand über ihre Füße stolperte, die unter der demontierten Konsole hervorlugten. Mit einem weiteren Fluch auf den Lippen arbeitete sie sich aus dem Gewirr aus Gliedmaßen, Werkzeugen und Kabeln hervor, bereit der Person, die sie bei ihrer Arbeit unterbrach, den Kopf abzureißen.

Jeglicher Protest angesichts dieser würdelosen Behandlung erstarb aber auf ihren Lippen, als sie bemerkte, wer da über sie gestolpert war. Sie hatte den Mann noch nie gesehen, aber die Rangabzeichen auf seiner Uniform ließen in dieser Hinsicht keinerlei Zweifel zu.

Ein Offizier, dem Aussehen nach arabischer Herkunft, half dem Captain wieder auf die Beine. Im Hintergrund warteten Ivanov und Wetherby. Der Marine-Colonel schien sich köstlich zu amüsieren. Einen Flotten-Captain auf den Knien, das sah man wirklich nicht alle Tage. Ivanov hingegen schien mit ihm da nicht so ganz einer Meinung zu sein. Sein Gesicht verdüsterte sich zusehends, und das verhieß nichts Gutes. Der Mann war auf dem ganzen Schiff als jähzornig und unberechenbar bekannt.

Zum Glück schienen sowohl der arabische Offizier als auch der Captain nicht der gleichen Gruppe Mensch anzugehören. Der Kommandant der Lydia schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und auch der Commander neben ihm schien Mühe zu haben, sich ein Lächeln zu verkneifen.

»Bitte um Verzeihung, Lieutenant. Ich habe Sie gar nicht gesehen«, sagte er freundlich.

»Sir, das war … also ich meine …« Sie verwünschte im Stillen ihre Unsicherheit. In ihrer bisherigen Laufbahn war der höchste Offizier, mit dem sie es jemals zu tun gehabt hatte, ein Lieutenant Commander gewesen. Jetzt einem Captain gegenüberzustehen, und dazu noch dem Captain eines Prototyps, was an sich ja schon eine Auszeichnung war, ließ ihr sowieso schon recht armseliges Selbstbewusstsein zusammenbrechen wie ein Kartenhaus. Sabrina zählte im Stillen bis drei und setzte neu an.

»Es tut mir leid, Sir. Das war ganz allein meine Schuld, Captain.«

»Entspannen Sie sich, Lieutenant …?!«

»Lieutenant Sabrina Mendez, Sir!«, stellte sie sich vor und salutierte zackig. »Ihr Navigationsoffizier.«

»Sehr erfreut, Lieutenant Mendez.« Er sah sie einen Moment lang prüfend an und sie fragte sich, womit sie jetzt schon wieder negativ aufgefallen war.

»Sie stammen von Alacantor, nicht wahr?«, fragte er schließlich.

Sie zwinkerte überrascht. Dass jemand auf Anhieb ihre Herkunft erriet, geschah eher selten. Sie konnte nur fassungslos nicken. Die meisten hielten sie für eine Erdenbürgerin. Der Planet Alacantor befand sich im Alpha-Centauri-Sektor und war eine äußerst fruchtbare Welt. Sie galt gemeinhin als Kornkammer des Konglomerats. Egal was man dort anpflanzte, man konnte sicher sein, dass es gedieh.

Dies lag vermutlich nicht zuletzt an der hohen Strahlungsintensität der Alacantor-Sonne und der Tatsache, dass der Planet einen Tag von fast achtundvierzig Erdenstunden Dauer hatte. So war es nicht verwunderlich, dass rund siebzig Prozent der Landmasse von Farmen und Äckern bedeckt waren.

»Woher …?«

Vincent strich einige Blütenblätter von ihrer Uniform, die dort haften geblieben waren.

»Ich war dort eine Zeitlang stationiert und die Blüten der Sila-Bäume kriegt man kaum von der Uniform. Sie waren erst vor Kurzem dort, nicht wahr?«

»Ja, Sir«, antwortete sie überrascht. »Vergangene Woche. Auf Urlaub. Um diese Jahreszeit ist es besonders schön.«

Er lächelte sie auf eine Art an, bei der ihre Unsicherheit dahinschmolz und sie sich entspannte, ohne es bewusst wahrzunehmen.

»Ja, daran erinnere ich mich noch gut.« Er betrachtete einen Moment das Chaos aus Kabeln zu ihren Füßen und sah sie dann mitfühlend an. »Aber ich will Sie nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten. Weitermachen!«

»Aye, aye, Sir!«

Der Captain machte sich wieder auf den Weg, die drei Offiziere in seinem Kielwasser. Ivanov warf ihr noch einen düsteren Blick zu, mit dem er ihr sagen wollte, dass der Vorfall noch ein Nachspiel haben würde, und beschleunigte seine Schritte, um DiCarlo einzuholen. Am liebsten hätte sie ihm die Zunge rausgestreckt, wenn so etwas für einen Lieutenant der Flotte nicht unziemlich gewesen wäre.

Und jetzt zurück zu dieser vermaledeiten Konsole.

»Was ist der nächste Punkt auf der Liste, Commander?«, erkundigte sich Vincent, nachdem er sich gründlich auf der Brücke umgesehen und mit verschiedenen Offizieren gesprochen hatte.

Ivanov antwortete nicht sofort, sondern musste erst lautstark sein Klemmbrett konsultieren. Normalerweise wäre das für Vincent kein Grund gewesen, seinen Waffenoffizier schlechter anzusehen, aber nachdem was bereits vorgefallen war, veranlasste ihn Ivanovs Unwissen, missbilligend eine Augenbraue zu heben.

»Ich habe für heute noch eine Inspektion der Jägerhangars angesetzt. Die Piloten dürften bereits angetreten sein. Außerdem habe ich einige Arrows und Skulls vorbereiten lassen, damit Sie sich vom Zustand der Jäger überzeugen können«, sagte er endlich, nachdem er wie wild in seinen Unterlagen geblättert hatte.

Vincent verdrehte innerlich die Augen, als er Ivanovs Zeitplanung hörte. Er wollte schon etwas sagen, als ihm Hassan zuvorkam.

»Soll das heißen, wir haben den Hangar verlassen und das halbe Schiff durchquert, um die Brücke zu inspizieren, und nun können wir den ganzen Weg wieder zurückgehen?! Wäre es nicht vernünftiger und sinnvoller gewesen, die Jägerinspektion zuerst anzusetzen, Commander?« Das letzte Wort betonte er so auffällig und offensichtlich beleidigend gemeint, dass der Waffenoffizier rot anlief. Selbst der Marine-Colonel, normalerweise immer bereit, sich an Ivanovs Problemen zu erfreuen, schwieg und zog sich etwas zurück, um nicht versehentlich in die Schusslinie zu geraten.

Ivanov war merklich gedemütigt von der plötzlichen negativen Aufmerksamkeit, in deren Mittelpunkt er schon wieder stand. Er sah sich hilfesuchend um, aber außer ihnen war niemand in der Nähe und Vincent bezweifelte, dass er jemanden gefunden hätte, der ihm geholfen hätte, selbst wenn die gesamte Besatzung in Hörweite gewesen wäre.

»Commander Salazzar, Captain DiCarlo«, fand er endlich die Sprache wieder. »Ich bedaure diese Unannehmlichkeiten. Das war tatsächlich nicht richtig von mir durchdacht.« Die Worte kamen schleppend und sie auszusprechen fiel ihm schwer. Vincent war sich nicht mehr sicher, ob er ihn überhaupt auf der vor ihnen liegenden Fahrt dabeihaben wollte. Um einen anderen Offizier anzufordern, war es allerdings viel zu spät. Falls sich sein Verhalten nicht schnellstens und grundlegend ändern würde, dann hatte er keine andere Wahl, als ihn nach ihrer Rückkehr ersetzen zu lassen. Auch wenn das das Aus für Ivanovs Karriere bedeuten würde. Aber besser so, als wenn er mit seiner Art früher oder später jemanden das Leben kostete.

Hassan funkelte den Unglücklichen weiterhin wütend an. Sein Geduldsfaden war offensichtlich bereits gerissen. Wenn er die Haltung und den Gesichtsausdruck seines Ersten Offiziers richtig deutete, dann war er kurz davor, dem Waffenoffizier an den Kragen zu gehen.

Besser ich entschärfe die Situation etwas.

»Etwas Bewegung wird uns sicherlich allen nicht schaden, denke ich. Gehen Sie voran, Mr. Ivanov.«

Der Unglücksrabe drückte sich an Hassan vorbei und steuerte den Aufzug an. Dicht gefolgt von Wetherby, dessen Erleichterung ihm deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Die beiden Freunde wechselten einen eindeutigen Blick und folgten ihnen.

Den weiteren Weg zu den Hangars legten sie schweigend zurück. Es hätte sowieso niemand gewusst, was sie hätten sagen sollen. Für Small Talk war die Situation gänzlich unpassend. Die Luft war vor Spannung fast zum Schneiden.

Als sie eine Viertelstunde später den Hangar erreichten, ließ der erste Eindruck ihn fast die vergangenen schlechten Erfahrungen vergessen. Er hatte seine ganze Karriere auf Trägerschiffen verbracht. Aber der Hangar, den sie nun betraten, hätte bequem sämtliche Jäger der Barcelona aufnehmen können und man hätte trotzdem nicht das Gefühl gehabt, dass es eng werden könnte. Und das war nur einer von vier Hangars dieser Art. Je zwei auf der Steuerbord- und Backbordseite.

Der Hangar war aber derzeit fast leer. Statt der Zerberus-Staffeln der Lydia waren in mehreren, ordentlich ausgerichteten Reihen die Piloten angetreten, die in Zukunft unter ihm dienen würden. An der Spitze der Formation stand eine junge Frau mit blonden Haaren, die ihr locker über die Schulter fielen. Sie trug Uniform und Rangabzeichen eines Commanders.

Ohne Zweifel war das Commander Jennifer Hargrove. Die CAG – Commander Air Group – des Schiffes. Sie schien mit ihren 24 Jahren viel zu jung für diese verantwortungsvolle Aufgabe, aber anhand ihrer Akte wusste er, dass sie sich diesen Posten mehr als verdient hatte. Die Liste ihrer Kampfeinsätze las sich wie ein Touristenführer durch alle größeren Gefechte, die das Konglomerat in den letzten drei Jahren erlebt hatte. Und das waren nicht wenige. Die Ruul wurden immer frecher.

In der Nähe der Hangartore konnte er mehrere Silhouetten erkennen. Die schlanken Gestalten von Arrow-Abfangjägern und die klobigen von schweren Skull-Bombern. Sobald die Zerberus-Raumüberlegenheitsjäger an Bord kamen, war sein Kommando endlich vollzählig. Hauptsache sie würden es rechtzeitig zum Stapellauf schaffen.

Vincent übernahm die Führung ihrer Gruppe, nach ihm kam Hassan und zum Schluss Ivanov und Wetherby. Noch während sie sich näherten, holte Hargrove tief Luft. Keine zwei Sekunden später hallte ein langgezogenes »Achtung!« durch die Halle und sechshundert Paar Pilotenstiefel schlugen zeitgleich auf den Boden. Der Knall hallte ohrenbetäubend von den Metallwänden wieder.

Die blonde junge Frau salutierte und senkte die Hand erst wieder, als er die Geste erwiderte. Sie war nur eins sechzig groß und reichte Vincent damit gerade bis zum Brustbein. Ihre blauen Augen blickten wach und intelligent. Außerdem schien sie ihre Piloten fest im Griff zu haben. Ein weiterer Beweis für ihre Fähigkeiten.

Vincent rief sich in Erinnerung, was er über sie wusste. Ihrer Akte hatte er bereits die wichtigsten Fakten ihrer Laufbahn entnehmen können. Sie entstammte einer alten Soldatenfamilie und diente in der vierten Generation beim Militär. War sozusagen in militärische Umgangsformen und Traditionen hineingeboren worden. Ihr Vater war General bei den Marines und dementsprechend oft waren sie umgezogen.

Sie hatte als Jugendliche auch eine recht stürmische Zeit hinter sich. Ein paar aufgebrochene Hover-Cars hier, ein paar Schlägereien da, aber nichts wirklich Ernstes. Sie hatte versucht, aus dem Gefängnis der Regeln und Uniformen auszubrechen. Unnötig zu erklären, dass ihr Vater darüber alles andere als erfreut gewesen war. Ihr älterer Bruder allerdings hatte sich bemüht, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, und war ins Marine-Corps eingetreten. Daraufhin wurde ihr Verhalten noch schlimmer und sie schien tatsächlich unwiderruflich auf die schiefe Bahn abzugleiten.

Dann hatte sich aber alles verändert. Ihr Bruder kam auf Ursus im Kampf gegen eine ruulanische Einheit ums Leben. Das brachte sie zur Vernunft und sie trat den Streitkräften bei.

Ihre zierliche Statur disqualifizierte sie für die Marines, also meldete sie sich zur Flotte und ließ sich als Pilotin für mittelschwere und schwere Jäger ausbilden. Sie absolvierte die Akademie in Rekordzeit. Die Liste ihrer Abschüsse war schlichtweg beeindruckend. So beeindruckend, dass ein Admiral ganz oben der Meinung war, dass sie einen guten CAG abgeben könnte. So war sie nun auf der Lydia gelandet. Ihr erstes Kommando in einer solchen Position.

Vincent reichte ihr die Hand und war überrascht, wie fest ihr Händedruck war. Sie hatte die Art blauer Augen, die einem bis auf den Grund der eigenen Seele zu blicken schienen, und er bemerkte, dass sie ihn genauso abschätzend musterte wie er sie.

»Imponierende Vorstellung, Commander Hargrove«, begrüßte er sie.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, ehe sie antwortete: »Für den neuen Captain der Lydia nur das Beste, Sir. Willkommen an Bord.«

»Danke, Commander«, erwiderte er ehrlich überrascht. Bei den meisten anderen hätte er ihre Bemerkung entweder für Angabe oder geheuchelte Schmeichelei halten können. Bei dieser Frau schien es aber weder noch zu sein. Irgendwie hatte er sogar das komische Gefühl, sie habe sich einen kleinen Scherz erlaubt. Der schalkhafte Ausdruck in ihren Augen verstärkte diesen Eindruck noch.

»Ist alles für morgen bereit?«, fragte Vincent.

»Wie man’s nimmt.« Als er sie fragend ansah, begann sie ihre Worte zu erklären: »Mir fehlen immer noch 240 Jäger vom Typ Zerberus. Die Piloten sind bereits hier, nur die Überführung der Maschinen ist noch im Gange.«

Während sie sprachen, schlenderten sie gemeinsam an den Piloten vorbei, die immer noch in Habachtstellung standen. Er bemerkte, dass sie ihn langsam auf die Jäger zusteuerte, die für die Inspektion hergerichtet worden waren.

»Mir wäre wohler zumute, wenn sie bereits hier wären. Es behagt mir ganz und gar nicht, nur die halbe Schlagkraft auf dem Schiff zu haben.«

Während er ihren Ausführungen zuhörte, betrachtete er gleichzeitig den vor ihm aufragenden Arrow mit seiner charakteristischen, spitzzulaufenden Schnauze und dem flachen Cockpit. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie sich überhaupt jemand in dieses kleine Ding quetschen, geschweige denn damit in eine Schlacht fliegen konnte.

»Soweit ich weiß, ist der Konvoi mit den Jägern unterwegs und wird morgen erwartet. Colonel Wetherby hat wegen seiner Panzer und der fehlenden Ausrüstung bereits ähnliche Bedenken geäußert. Sie beide müssen sich aber keine Sorgen machen. Morgen wird eine vollausgerüstete Lydia auslaufen und dann werden wir dem Konglomerat zeigen, dass sich das Konzept eines Schlachtträgers im Gefecht bewähren wird. Einverstanden, Commander?«

»Aye, aye, Skipper.«

Er strich mit der Hand über den Rumpf eines Skull-Bombers. Diese Maschinen waren offensichtlich nicht für Geschwindigkeit oder Manövrierfähigkeit gebaut worden, sondern für Tragfähigkeit und Schlagkraft. Es war die Aufgabe der Arrows und Zerberusse, die Skulls beim Anflug zu schützen, damit die Bomber ihre Last ins Ziel bringen und es danach zurück zum Träger schaffen konnten.

Schon komisch, aber ich habe noch nie eins dieser Babys in einem wirklichen Einsatz erlebt. Wie denn auch?! Die Ruul kneifen ja fast immer sofort den Schwanz ein, wenn sie uns sehen. Ausgenommen die Saturn-Schlacht, aber die Berlin hatte ja leider keine Skulls an Bord, sonst wäre das Ergebnis vielleicht weniger knapp gewesen.

Hargrove wartete geduldig, während er die Jäger betrachtete. Hassan und Wetherby waren im Hintergrund in eine angeregte Unterhaltung vertieft, während Ivanov wie bestellt und nicht abgeholt etwas im Abseits stand.

Die Jäger sahen wirklich hervorragend aus. Natürlich führte er hier wenig mehr als eine Stippvisite durch, aber alle 600 Maschinen der Lydia zu inspizieren, war zu viel verlangt. Außerdem vertraute er seiner CAG und ihren Fähigkeiten. Und das, obwohl er sie erst einige Minuten persönlich kannte, aber auf seine Menschenkenntnis hatte er sich immer verlassen können.

Als er seine Begutachtung beendet hatte, wandte er sich wieder seinen versammelten Offizieren zu und sagte: »Dann wollen wir mal hoffen, dass morgen alles glattgeht. Nicht, dass wir uns vor den hohen Tieren noch blamieren.«

2

Die Offiziersmesse der Lydia war zum Bersten voll. Jeder Offizier des Kriegsschiffs vom Lieutenant aufwärts war anwesend, um der Übergabezeremonie beizuwohnen.

Eine Atmosphäre gespannter Erwartung lag über dem ganzen Raum. Es wurde kaum gesprochen und wenn doch, dann nur im Flüsterton, sodass vereinzeltes Gewisper immer wieder vor den Hintergrundgeräuschen scharrender Militärstiefel und in Kristallgläsern sprudelnden Sekts aufflackerte.

Im hinteren Teil der Offiziersmesse, direkt gegenüber dem Podium, hatten verschiedene Vertreter von Presse und Fernsehen ihre Zelte aufgeschlagen. Die Kameras liefen, die Fotoapparate waren griffbereit. Hin und wieder blitzte es kurz auf, wenn ein übereifriger Fotograf Bilder des noch leeren Podiums oder der wartenden Offiziere schoss. Die meisten Reporter aber warteten geduldig darauf, dass die Show begann und sie ihre Arbeit tun konnten. Damit dieser Augenblick der Nachwelt erhalten und unvergessen blieb.

Admiral Karpov trat aufs Podium, das Mikrofon sorgfältig unter dem Kragen seiner weißen Ausgehuniform verborgen. Er wartete geduldig, bis auch noch der letzte Anwesende seine Gegenwart bemerkte und die Menge langsam zur Ruhe kam.

Er zog ein Stück Papier aus der Tasche und faltete es langsam und bedächtig auseinander. Die versammelte Menge folgte aufmerksam jeder seiner Bewegungen. Als er fertig war, räusperte er sich kurz und begann vorzulesen:

»An den Oberkommandierenden, 17. Flotte, Taradan-Basis. Sie werden hiermit angewiesen, die TKS Lydia mit sofortiger Wirkung an Captain Vincent DiCarlo, ehemals kommandierender Offizier TKS Barcelona, zu übergeben.

Captain DiCarlo wird fortan als kommandierender Offizier TKS Lydia geführt. Weiter wird die Lydia