Blutläufer 4: Vor den Toren der Hölle - Stefan Burban - E-Book

Blutläufer 4: Vor den Toren der Hölle E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Ungebrochen ist der Wille der Blutläufer-Rebellen, ihre Freiheit von ihren Unterdrückern zurückzufordern. Unter Gareths Führung und mit der Unterstützung ihrer frisch gewonnenen Verbündeten, ändern die Widerstandskämpfer ihre Strategie. Sie befreien zehntausende Sklaven, noch bevor diese mit dem Loyalitätsimplantat versehen werden. Dies ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Obwohl sie sich mit aller Kraft gegen die Kriegsmaschinerie des Rod`Or-Imperiums stemmen, sind dessen Armeen schier ohne Zahl; ihr militärisches Potenzial haushoch überlegen. Wenn die Rebellen nicht größere Risiken eingehen, ist ihr Kampf für die Freiheit früher oder später zum Scheitern verurteilt. Aus diesem Grund richten sich ihre Augen auf das Juwel des Feindes: die Ashrak-Heimatwelt Tyrashina VII. Es gibt aber kaum einen Ort im gesamten Imperium, an dem die Söldner der Rod`Or stärker wären. Dennoch startet die neu gegründete Allianz einen vernichtenden Großangriff. Während der erbitterten Kämpfe offenbart sich jedoch, dass in den Tiefen der Meere der Ashrak-Heimatwelt noch etwas anderes lauert. Eine Bedrohung, die seit Jahrtausenden darauf wartet, aus dem Dunkel zu treten …

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Prolog

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Epilog

Weitere Atlantis-Titel

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Dezember 2025 Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-963-9 Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Der Planet Vukartjall war ein streng gehütetes Geheimnis innerhalb des Rod’Or-Imperiums. Seine bloße Existenz war lediglich einem verschwindend geringen Personenkreis bekannt. Die exakten Koordinaten kannten sogar noch weniger.

Vukartjall war eine von drei Welten, auf denen Paladine konditioniert, ausgebildet und akribisch auf ihren Dienst am Imperium vorbereitet wurden. Die Unglücklichen, die es hierhin verschlug, verloren im Lauf der Prozedur jeglichen Individualismus. Sobald ihre Ashrakausbilder mit ihnen fertig waren und sie entlassen wurden, in ein Universum der Gewalt, war ihre persönliche Existenz gleichbedeutend mit der des Imperiums und ihrer Rod’Or-Herren.

Das Reich stahl bei den Blutläufern Leben. Bei den Paladinen stahl es Seelen.

Es gab allerdings einen Krieger, der dies nicht länger hinnehmen wollte.

Das Ashrak-Transportschiff senkte sich auf dem für diesen Anflug festgelegten Landekorridor geschmeidig der Oberfläche von Vukartjall entgegen. Weder die Besatzung an Bord noch die Bodenkontrolle bemerkte den blinden Passagier, der sich in einer Nische in der Außenhülle verbarg und nur auf den passenden Moment wartete, um sich abzusetzen.

Der Krieger befand sich in tiefer Trance. Sein selbst auferlegter Schlaf wich sogleich, als die innere Uhr des Mannes Alarm schlug.

Der Mann öffnete die Augen und betrachtete die von dichten Dschungeln überwucherte Welt. Sie glitt unter dem Transportschiff mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahin. Noch während er zusah, verringerte der Transporter seine Geschwindigkeit. Die Landeplattform war nicht mehr fern. Zeit, sich zu verabschieden.

Der blinde Passagier hatte einst viele Jahre auf dieser Welt zugebracht. Seine Kiefermuskeln verkrampften sich, als er an jene Epoche zurückdachte. Die Erinnerungen überfluteten sein Gehirn.

Nur einer von fünfzehn auserwählten Rekruten überlebte die brutale Ausbildung, die grausamen Aufseher und die tödlichen Gefahren des Dschungels. Wer am Ende die Abschlussprüfung überstand, der galt zu Recht als Elite des Imperiums.

Bilder zuckten durch seinen Geist. Momentaufnahmen von Gesichtern, deren Namen er schon lange nicht mehr wusste. Aber er erinnerte sich daran, wie diese Paladine gemeinsam mit ihm hierhergekommen waren. Wie sie gemeinsam mit ihm den Gefahren von Vukartjall getrotzt hatten. Und wie die meisten von ihnen auf dieser Welt gestorben waren. Männer und Frauen, die er Leidensgenossen, Kameraden und, ja, auch Freunde genannt hatte.

Ein weiteres Mal meldete sich die unterdrückte Paladinkonditionierung zu Wort. Obwohl er wieder zu sich selbst gefunden hatte, lauerte sie ständig im Hintergrund, wartete auf einen Moment der Schwäche, um ihn erneut unter ihre Knute zu zwingen, vergleichbar mit einem Raubtier, das versessen darauf aus war, Beute zu machen und seine Kiefer in das Fleisch des Opfers zu schlagen.

Der ehemalige Paladin schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch. »Ich bin Takashi«, sagte er langsam zu sich selbst wie ein Mantra. »Takashi …« Er zögerte. »Takashi … Noguma.«

Es fiel ihm zuweilen äußerst schwer, sich an seinen Familiennamen zu erinnern. Das war der Preis, den man bezahlte, wenn man von den Ashrak auserwählt wurde. Seit seiner Befreiung aus dem Joch des Imperiums durch Gareth waren mehrere Standardjahre vergangen. Zeit, die er genutzt hatte, um sich an den Mann zu erinnern, der er vor der Gefangennahme durch die Fischköpfe gewesen war. Trotzdem fühlte sich die Persönlichkeit von Takashi Noguma zuweilen irgendwie seltsam an. Wie ein Mantel, den er sich überstreifte, um zu verbergen, wer er wirklich war. Ein Mantel mindestens zwei Nummern zu groß.

Nun war das Stadium erreicht, zurückzukehren, um Rache an seinen Peinigern zu nehmen. Und welcher Ort wäre passender als die Welt, auf der alles seinen Anfang genommen hatte.

Der Pilot des Transporters senkte ein weiteres Mal seine Geschwindigkeit. Die finale Phase des Landeanflugs hatte begonnen. Zeit, die Sache durchzuziehen.

Takashi löste seine Verankerung aus der Schiffshülle und platzierte einen Sprengsatz. Der Zeitzünder war auf zwanzig Minuten eingestellt. Der Transporter brachte neue Rekruten nach Vukartjall. Takashi ging diesen Schritt nicht gern. Aber aus Erfahrung wusste er, dass der Tod dem Schicksal, das ihnen blühte, vorzuziehen war.

Takashis Hände lösten sich von der Strebe, an der er sich festhielt, und mit einem beherzten Sprung entfernte sich der Krieger von dem Transportschiff. Die Oberfläche raste auf ihn zu. Der ehemalige Paladin löste die Absprungkapsel aus. Augenblicklich wurde er von einem flüssigen Polymer eingehüllt, das sich innerhalb eines Wimpernschlages zu einer Hülse verfestigte. Sie war dermaßen stabil, dass er den Aufprall auf dem Boden gar nicht spürte. Die Kapsel brach auf und entließ ihren Insassen ins Freie.

Takashi kniete sich hin und lauschte erst einmal. Keine Alarmsirenen waren zu hören. Auch keine schwer bewaffneten Patrouillen durchstreiften den Dschungel. Niemand nahm Notiz von seiner Anwesenheit. Perfekt.

Mit den Instinkten und der Ausbildung des vollendeten Kriegers bewegte sich Takashi durch den dichten Blättervorhang. Ashrak und Rod’Or hatten ihn zu dem gemacht, was er war. Sie hatten ihn geformt, bis er dem entsprach, was sich diese Monster unter dem Ebenbild eines Soldaten, vor allem aber eines willfährigen Befehlsempfängers vorstellten. Nun kehrte er zurück, um Vergeltung zu üben. Ihnen vor Augen zu führen, wie falsch ihre Sicht war auf das Universum und die Vielzahl an Wesen, die es beherbergte. Er kam, um sie für ihre Taten zu bestrafen.

Vukartjall war lediglich sein erstes Ziel, eines von vielen. Die Produktion und Ausbildung zukünftiger Paladine zu sabotieren, würde das Imperium in einem Ausmaß schwächen, das sich die Rebellen nicht einmal ansatzweise vorstellen konnten.

Im Verlauf der letzten Jahre hatte das Imperium die Anzahl seiner Paladine immer weiter erhöht. Bald schon würden ihre Streitkräfte in signifikantem Ausmaß durch deren Kampfkraft verstärkt werden. Die Auswirkungen steigender Rekrutierungszahlen waren bereits jetzt zu spüren.

Voraus erhob sich ein hässliches, graues Gebäude. Es bot einen seltsamen Kontrast zu der grünbraunen Umgebung. Bilder zuckten durch seinen Geist. Grauenvolle, albtraumhafte Bilder von Operationen, Experimenten und anderen Eingriffen, die an ihm und seinen Leidensgenossen vorgenommen worden waren, um sie auf ihren Dienst bei den Paladinen vorzubereiten.

Vorsichtig schlich er näher. Vier Ashrak standen an einem der Eingänge auf Posten und hielten Wache. Die Soldaten waren allerdings nicht sehr aufmerksam. Warum sollten sie auch? In der gesamten Tausende von Jahren zurückreichenden Geschichte des Imperiums hatte es niemals einen Angriff auf einen Ausbildungsplaneten der Elitekrieger gegeben.

Die vier Ashrak wurden von drei Paladinen in voller Kampfmontur unterstützt. Im Gegensatz zu ihren Herren und Meistern waren diese überaus wachsam und bereit, jederzeit auf eine Bedrohung zu reagieren. Selbst wenn sie gewollt hätten, wäre ein anderes Handeln gar nicht möglich gewesen. Sie waren darauf konditioniert. Unter Umständen erklärte das auch die Nachlässigkeit der Ashrak. Sie verließen sich auf ihre versklavten Begleiter.

Takashi lauschte einigen Minuten den Gesprächen der Fischköpfe. Er grinste. Sie diskutierten über die Rebellen und deren Kampf für die Freiheit. Ihre Verachtung war offensichtlich. Keiner von ihnen räumte den Freiheitskämpfern Chancen auf einen Sieg ein.

Takashi wäre am liebsten vorgetreten und hätte den arroganten Dreckskerlen erklärt, welchem Irrtum sie unterlagen. Der Kampf für die Freiheit war eine nicht zu unterschätzende Motivation. Und wenn er die Wahl hätte, sein Geld entweder auf einen Mann zu setzen, der für die Freiheit kämpfte, oder auf einen bezahlten Söldner oder sogar einen Sklaven, er würde jederzeit auf Ersteren wetten.

Takashi nahm sich einen Augenblick Zeit und seine Gedanken wanderten zu Gareth zurück. Sein alter Freund hatte ihn aus dem Joch der Unterdrückung befreit. Ihm war es zu verdanken, dass er die Konditionierung hatte abschütteln können. Dies war zum selben Zeitpunkt geschehen, als sich die geschlagenen Rebellen aus dem umkämpften Solsystem hatten zurückziehen müssen. Seither war ihm viel Gutes über die Rebellion zu Ohren gekommen. Sie machten dem Imperium allerhand Ärger und verfügten mittlerweile sogar über eine eigene Heimatwelt jenseits der imperialen Grenzen.

Seit der Schlacht um das Solsystem war eine Menge Zeit vergangen, fast drei Standardjahre. Oft hatte Takashi darüber nachgedacht, zu Gareth zurückzukehren. Aber noch war er nicht so weit. Es gab viel zu tun, bevor er sich erneut unter die Augen des Anführers der Rebellion traute. Vor allem musste er sich selbst beweisen, dass er wieder ein Mensch war. Denn insgeheim fühlte er sich nicht wie einer.

Takashi hatte sich auf einen einsamen Mond begeben und dort eine geraume Weile ein Eremitendasein gefristet. Er hatte die Zeit genutzt, um wieder zu sich selbst zu finden. Jetzt war er der Meinung, sich halbwegs gut genug im Griff zu haben, um seine einstmaligen Peiniger aufzusuchen und ihnen seine Aufwartung zu machen.

In der Ferne erklang das unverwechselbare Grollen einer Explosion. Der Transporter war in die Luft geflogen – genau nach Zeitplan.

Die Ashrak schreckten aus ihrer Unterhaltung auf. Sie diskutierten kurz, dann machten sich zwei von ihnen in Begleitung zweier Paladine auf den Weg, die Ursache des Lärms herauszufinden. Ein Ashraksoldat und ein Elitekrieger blieben zurück.

Takashi wartete, bis die kleine Gruppe außer Sichtweite war – dann verharrte er noch zwei Minuten länger. Mit einer langsamen, wohlkalkulierten Bewegung zog er das Schwert aus der Scheide auf dem Rücken.

Takashi atmete mehrmals tief durch, reicherte sein Blut mit Sauerstoff an. Die zusätzliche Energie würde er gleich benötigen. Der ehemalige Paladin versank tief in sich selbst. Die Kexaxa der Rebellen hatten das Loyalitätsimplantat entfernt, aber die Kampfkonditionierung war immer noch Bestandteil seines Wesens. Sie dominierte jede Zelle von Takashis Körpers.

Wie ein Computerprogramm übernahm sie die Oberhand.

In einer wundervoll geschmeidigen Bewegung, einem Tänzer gleich, erhob sich der Krieger aus dem Unterholz. Die Klinge blitzte auf im Sonnenlicht. Er benötigte nur wenige Schritte, um die Entfernung zu seinen Gegnern zu überbrücken. Der Paladin reagierte als Erster. In der einen Hand eine Pulspistole, in der anderen ein Schwert, stellte dieser sich dem unbekannten Angreifer.

Der Ashrak aktivierte sein Kommgerät. Takashi wählte seine Ziele mit Bedacht. Der Fischkopf sollte als Erster dran glauben. Der Paladin-Wachposten griff an. Takashi wich seitlich aus, das gegnerische Schwert glitt dort durch die Luft, wo er soeben noch gestanden hatte.

Die Glupschaugen des Ashrak wurden groß. Bevor er in der Lage war, etwas zu sagen, schlitzte Takashi ihn der Länge nach auf. Der feindliche Soldat stürzte hintenüber. Er wollte noch etwas sagen, aber kein Laut kam über seine Lippen.

Takashi wirbelte herum, parierte die Klinge des anderen Paladins mit der eigenen. Der Krieger war gut, keine Frage, aber auch jung. Vermutlich hatte er seine Ausbildung erst vor Kurzem beendet. Gut möglich, dass er noch niemals einen echten Kampfeinsatz durchgestanden hatte. Takashi im Gegenzug hatte für das Imperium bereits Blut vergossen.

Die Kontrahenten trennten sich. Der Paladin griff erneut an, war in seinem Tatendrang vielleicht ein wenig zu übereifrig. Takashi wartete lange genug, dass sein Gegner glaubte, er hätte die Oberhand – dann wich er seitlich aus. Das Schwert kam in einer bogenförmigen Bewegung nach oben und köpfte den Krieger.

Takashi verschwendete keine Sekunde mit Gefühlen wie Reue oder Schuld. Dieser Paladin war ein Feind gewesen. Und aufgrund seines Implantats hatte er nicht einmal gewusst, dass er dem Bösen diente. Um zu verhindern, dass noch mehr derart arme Kerle dasselbe Schicksal erlitten, war er hier. Nur diesem Zweck diente seine Mission.

Takashi packte die Hand des gefällten Ashrak und führte sie in ein Rohr neben der Tür. Feine Nadeln fuhren aus und nahmen eine Gewebeprobe. Der Computer bestimmte die DNS und erkannte die Zugangsberechtigung des Soldaten. Die Tür schwang gehorsam auf.

Takashi spürte schon beim Eintreten, wie ihm ein Schauder über den Rücken lief. Er war seit langer, langer Zeit nicht mehr hier gewesen. Betreten hatte er diese Einrichtung noch als Mensch. Aber verlassen … nun … verlassen hatte er sie als etwas anderes. Als etwas, von dem ihm selbst nicht richtig klar war, um was es sich handelte.

Die Korridore lagen verlassen vor ihm. Vermutlich kümmerten sich die meisten Ashrak um den abgestürzten Transporter. Und die Wissenschaftler waren mit den unfreiwilligen Insassen der Anlage beschäftigt. Sie umzuformen im Sinn ihrer Rod’Or-Herren, war praktisch ihr einziger Lebensinhalt.

Voraus hörte er gedämpfte Stimmen. Takashi presste sich flach gegen die Wand, verschmolz mit seiner Umgebung. Einige Fischköpfe passierten die T-Kreuzung unmittelbar vor ihm. Bei vieren von ihnen handelte es sich um Wissenschaftler. Ein hoher Offizier begleitete sie. Sie plapperten unentwegt auf diesen ein. Dessen Schuppenfarbe änderte sich kontinuierlich, was überdeutlich zeigte, dass ihm die Akademiker gehörig auf die Nerven fielen.

Takashi dachte darüber nach, alle vier zu töten, entschied sich allerdings dagegen. Tarnung schien die beste der verfügbaren Optionen zu sein. Je länger er unentdeckt blieb, desto besser. Niemand konnte vorhersagen, wann das Fehlen der Ashrak bemerkt werden würde.

Takashi ließ sie ziehen. Er wartete noch ein wenig länger, nachdem ihre Stimmen bereits verklungen waren. Erst dann setzte er sich erneut in Bewegung. Der ehemalige Paladin erreichte eine breite Tür. Die Hand des Kriegers näherte sich dem Öffnungspaneel an der Seite. Er zögerte. Weitere Bilder erschütterten seinen ansonst ruhigen Verstand. Projektionen der Vergangenheit. Als die Wissenschaftler des Imperiums ihm nicht nur Persönlichkeit und Leben nahmen, sondern auch jede Würde.

Takashi fasste sich ein Herz und drückte auf den Öffner. Die Türflügel schoben sich gehorsam zur Seite. Er betrat eine weite Halle mit hoher Decke. Sie war unterteilt in mehrere Ebenen. Auf jeder von ihnen befanden sich Tausende von Tanks. In der milchig weißen Flüssigkeit schwebten zukünftige Paladine. An diesem Ort wurden sie mit dem Loyalitätscocktail imprägniert. Sobald der Vorgang abgeschlossen war, würde buchstäblich jede Zelle davon durchsetzt sein.

Im Gegenzug zu gewöhnlichen Blutläufern war das Loyalitätsimplantat bei den Paladinen nicht technischer, sondern chemischer Natur. Ihre Zellen wurden damit gesättigt. Es generierte absolute und unverbrüchliche Ergebenheit zu Rod’Or und Imperium. Außerdem sicherte es die Gehorsamkeit gegenüber den Ashrak.

Takashi trat an einen der Tanks und legte seine Hand auf das Gefäß. Mit traurigen Augen betrachtete er die Frau im Inneren. Sie war maximal achtzehn Jahre alt und stammte von der Erde. Der weibliche Mensch hatte die Augen geöffnet, aber aus Erfahrung wusste Takashi, dass sie nichts um sich herum wahrnahm. Ihre Empfindungsfähigkeit wurde erst wieder aktiviert, sobald man sie aus diesem Behälter entließ. Ihre Pupillen waren so nach oben verdreht, dass man nur das Weiß ihrer Augen erkennen konnte.

Eine Vielzahl von Schläuchen führte in und aus ihrer schlanken Gestalt. Sie regelten das absolute Minimum ihrer Körperfunktionen. Takashi schüttelte überwältigt von Mitgefühl den Kopf. Sobald diese Sklaven aus den Tanks geholt wurden, waren sie bereit für die kräftezehrende Zeit, die das Imperium euphemistisch als Ausbildung bezeichnete.

Anschließend zogen diese Männer und Frauen hinaus zu den Sternen, um für ihre Herren zu töten. Bedingungslos. Ohne Reue. Ohne Kompromisse. Ohne Fragen zu stellen. Die perfekten, eiskalten Killer.

In gewisser Weise beneidete Takashi seine ehemaligen Kameraden. Sie wurden nicht länger von etwas so Profanem wie einem Gewissen traktiert. Seit er einen Teil seiner ursprünglichen Persönlichkeit zurückerlangt hatte, konnte er kaum eine Nacht durchschlafen. Seine Opfer drängten sich in den Vordergrund, sobald er die Augen schloss. Takashi fragte sich, ob das jemals aufhören würde. Möglicherweise war es die gerechte Strafe für all seine Taten. Er hatte keine Wahl gehabt. Niemand hatte danach gefragt, ob er tun wollte, was er tat.

Aber spielte das für die Toten jemals eine Rolle? Takashi bezweifelte es. Tot war tot. Für seine Opfer war es ohne Belang, warum sein Schwert sie gefällt und in die Finsternis geschickt hatte. Seine Mimik nahm einen grimmigen Ausdruck an. Zumindest diese Einrichtung würde bald ihre Pforten schließen.

Takashi griff in seine Tasche und befestigte einen Sprengsatz an dem Tank. Er sah in die ausdruckslosen Augen der jungen Frau und seine Hand tastete ein letztes Mal über den Behälter. »Es tut mir leid«, wisperte er der Frau zu. Er wusste, sie war nicht in der Lage, ihn zu hören. Und dennoch, ein Teil seines Wesens akzeptierte das nicht. Er hoffte, sie verstand und billigte, was er hier tat. Mit dieser Aktion ersparte er ihr eine Welt des Leidens.

Takashi riss sich von dem Anblick los. In unregelmäßigen Abständen verteilte er weitere Sprengsätze in der Halle. Es würden einige notwendig sein, um die komplette Anlage in Schutt und Asche zu legen. Diese Halle befand sich im Zentrum der Einrichtung. Sie war hervorragend geeignet, um den Tod über Vukartjall zu bringen und den Rod’Or vor Augen zu führen, dass es ab sofort nirgendwo mehr geschützte Zufluchtsorte für ihre Handlanger gab.

Takashi brachte soeben die fünfte Bombe an einem Tank an, als er erkannte, dass er nicht länger allein war. Seine antrainierten Sinne meldeten sich zu Wort. Der bestens ausgebildete Krieger ließ seine Tasche fallen und sprang zur Seite. Ein Schwert sauste durch die Luft und prallte Funken sprühend vom Boden ab.

Takashi ging in Angriffshaltung. Sich auf den Kampf vorbereiten fiel ihm so leicht wie atmen. Vor ihm stand ein hochgewachsener Mann in tiefschwarzer Rüstung. Der Helm war geschlossen, das Schwert zum Kampf erhoben. Der Paladin war beileibe kein Anfänger. Wenn er seinen Gegner richtig einschätzte, dann stand ihm hier ein erfahrener Kämpfer gegenüber. Ein Veteran unzähliger Missionen und Schlachten. Er würde nicht leicht zu überwältigen sein.

Mit unendlicher Ruhe griff der Paladin in einen Beutel an seiner Hüfte und förderte eine Anzahl Sprengladungen zutage. Takashis Kiefer mahlten. Alles umsonst. Der Mistkerl hatte all seine Sprengladungen entschärft. Wie lange folgte er ihm schon? Vermutlich schon eine Weile. Und das, ohne bemerkt worden zu sein. Beeindruckend!

Der Paladin griff an. Takashi zog seine eigene Klinge in einer formvollendeten, fließenden Bewegung. Die Schwerter trafen aufeinander. Die Kontrahenten maßen für eine Sekunde ihre Kräfte – dann trennten sie sich wieder voneinander.

Die geübten Krieger umkreisten sich, lauernd, abwartend, auf eine Schwäche des Gegners hoffend. Sie prallten erneut mit brachialer Gewalt aufeinander. Die Wut, mit der die Klinge des Paladins auf die seine traf, erschütterte jedes Atom seines Körpers.

»Verräter!«, presste der Krieger hervor. Die Worte klangen dumpf, wie sie unter dem Helm ausgestoßen wurden. Takashi spürte Hass und Verachtung, der ihnen innewohnte.

Die Kontrahenten prallten mehrmals aufeinander, ohne dass einer von ihnen einen bedeutenden Vorteil erringen konnte. Beim vierten Schlagabtausch änderte der Paladin seine Taktik. Der Krieger verlagerte beinahe unmerklich sein Gewicht zur Seite. Es genügte aber, um Takashis Klinge abzulenken und ihn ganz kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Die Handkante des Paladins kam hoch und hätte Takashi um ein Haar an der Schläfe erwischt. Dieser wehrte den Schlag gekonnt ab, konnte aber nicht verhindern, dass ein Tritt sein rechtes Knie traf. Es wurde von einer Sekunde zur nächsten taub und er stürzte.

Ein weiterer Tritt traf ihn unter dem Kinn. In seinen Ohren klingelte es. Trotzdem war es ihm möglich, einen Gegenangriff zu starten. Sein unversehrtes Bein kam hoch und erwischte den Paladin unter dem Helm. Überraschtes Grunzen belohnte seine Bemühungen. Sein Gegner taumelte zwei Schritte rückwärts. Bevor Takashi sich aufrappeln konnte, spürte er die Klinge des Angreifers unter dem Kinn, bereit zum tödlichen Stoß. Der Mann bewegte sich unfassbar schnell.

»Das genügt!«, fuhr eine befehlsgewohnte Stimme dazwischen. Der Paladin erstarrte.

Plötzlich waren sie von einer Horde Ashraksoldaten mit angelegten Pulsgewehren umzingelt. Ein hoher Offizier trat in ihre Mitte. Seine Männer machten ihm respektvoll Platz, ließen den Eindringling aber zu keinem Zeitpunkt aus den Augen.

Die Augen Takashis verengten sich gefährlich. Er kannte den Ashrak. Der Name des Offiziers war Tar’raka. Er leitete diese Einrichtung. Unter seiner Aufsicht war ihm die Menschlichkeit genommen worden. Takashi wäre beinahe aufgesprungen und hätte sein Gegenüber angegriffen. Ein Ashrak zog einen Stunner und sandte eine Ladung Strom durch Takashis Eingeweide. Zuckend und vor Elend aufstöhnend, krümmte er sich auf dem Boden. Und als wäre das noch nicht genug, gab Takashi alles von sich, was er in den letzten zwei Tagen gegessen hatte.

Tar’raka wartete seelenruhig, bis sich Takashi wieder etwas gefangen hatte. Dann schüttelte er den Kopf. »Dachtest du wirklich, es würde so einfach werden? Wir haben dich beobachtet, seit du die Wachen am Nebeneingang ausgeschaltet hast.« Tar’raka musterte den am Boden liegenden Mann nachdenklich. Seine Schuppenfarbe hellte sich ein wenig auf. »Ich vergesse nie einen Paladin, der diese Einrichtung verlässt. Einsfünf, nicht wahr?«

Takashi richtete sich halb auf. Er hasste sich selbst für die Schwäche, die ihn immer noch am Boden hielt. »Mein Name ist Takashi«, entgegnete er trotzig.

»Er gehört mir, Herr«, ging der Paladin dazwischen. »Ihr habt mir das Leben des Verräters versprochen.«

»In der Tat«, stimmte Tar’raka zu. »Das habe ich. Aber Pläne kann man ändern. Ich habe mit diesem faszinierenden Individuum Besseres im Sinn.« Seine Schuppen nahmen eine leicht grünliche Farbe an. Der Ashrak war amüsiert. »Und etwas sehr Unterhaltsames«, fügte er hinzu. »Ja, Einsfünf wird für die Obrigkeit eine willkommene Abwechslung darstellen.«

1

Die drei Ernteschiffe näherten sich der Umwandlungsanlage fünf-vier-sieben-eins, ohne Schwierigkeiten zu machen. Sie wurden von drei Angriffskreuzern eskortiert – ein formidabler Geleitschutz für so wenige Ernter. Die Erfordernisse des Krieges stellten aber das gesamte Imperium vor Herausforderungen. Und den Ashrak war klar, sollte der Druck auf die Feinde des Reiches aufrechterhalten werden, so war es unumgänglich, die zukünftigen Blutläufer zu schützen, bis diese eine der zahlreichen Umwandlungsanlagen erreichten.

An Orten wie diesem wurden sie mit dem Loyalitätsimplantat versehen und die körperlichen Modifikationen durchgeführt, damit sie im Anschluss an einen Ausbildungsplaneten überstellt werden konnten.

Eigentlich führte auf diesem entlegenen Posten ein Ashrakkrieger namens Teinir’wur das Kommando. Aber hier geschah so gut wie nie etwas, das die unbedingte Aufmerksamkeit des Befehlshabers erforderte. Daher verbrachte er die meiste Zeit in seinem Harem. Er überließ die alltäglichen Aufgaben dieser Anlage dem Offizier, der in der Hackordnung unter ihm rangierte. Sehr zu dessen Vergnügen, denn der zuständige Krieger war jung, hungrig und verspürte keinerlei Lust, in dieser Einrichtung zu versauern. Ihn dürstete es nach mehr.

Samir’kar, Zweiter Offizier der Raumkontrolle von Einrichtung 5471 überprüfte das übermittelte Inventarverzeichnis. Seine Schuppenfarbe verkündete seine Zufriedenheit. Er wandte sich um. »Sagt den Ladungsmeistern Bescheid. Es kommt eine neue Fuhre herein. Sechzigtausend frische Sklaven.« Sein Untergebener nickte knapp und steif, auf die für Ashrak typische Art und Weise.

»Sind die Codes des Konvois in Ordnung?«, fragte Samir’kar einen Offizier der Anflugkontrolle.

»Code wurde verifiziert«, bestätigte dieser.

»Ausgezeichnet!«, kommentierte Samir’kar. »Weisen Sie ihnen einen Anflugkorridor und eine Andockbucht zu.«

Der Konvoi passierte den äußeren Verteidigungsperimeter der Basis. Die Angriffskreuzer grüßten die Wachschiffe und diese erwiderten die freundliche Geste.

Die Ernteschiffe bereiten das Andockmanöver vor, als es geschah. Alarmsirenen heulten durch die Basis. Samir’kar war auf der Stelle alarmiert. »Womit haben wir es zu tun?«

»Zwölf nicht identifizierte Schiffe im äußeren System.«

»Möglicherweise ein nicht angekündigter Konvoi«, mutmaßte Samir’kar. Er suchte vergeblich den Silberstreif am Horizont.

»Negativ«, bestätigte der Offizier an den Sensoren seine schlimmsten Befürchtungen. »Sie senden kein Erkennungssignal. Außerdem gelten einige der Schiffe als vermisst.«

»Rebellen!«, presste Samir’kar hervor.

»Der Konvoi soll sich in den inneren Sicherheitsbereich begeben. Wir werden ihn schützen.« Samir’kar überlegte kurz. »Und fragen Sie bei ihrer Eskorte nach, ob sie bereit sind, uns zu unterstützen.« Der für die Kommunikation zuständige Offizier warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Wir würden auch ohne sie mit den Rebellen fertig«, sah sich Samir’kar zu einer Erklärung gedrängt. »Aber sicher ist sicher.«

Die Rebellenschiffe schlossen schnell auf. Bevor sie jedoch in die Gefechtszone des Verteidigungsperimeters eindrangen, verringerten sie merklich die Geschwindigkeit. Samir’kar pustete gluckernd Luft durch die Rohre seiner Rüstung. »Feiglinge!« Er stieß dieses eine Wort triumphierend aus. Die Laune der Kommandooffiziere hob sich beträchtlich.

Die Ernteschiffe dockten derweil an, während ihre Eskorte abdrehte, um sich der Verteidigung anzuschließen. Samir’kar war ein wenig verstimmt. Weder bestätigten die drei Angriffskreuzer die Bitte des Zweiten Offiziers noch eröffneten sie auch nur die Kommunikation. Unter Ashrak war das extrem unhöflich und beinahe schon ein Affront. Aber zumindest beteiligten sie sich an dem Kampf gegen die Aufständischen und allein das genügte schon, ihn seinen Unmut vorübergehend vergessen zu lassen.

Der äußere Verteidigungsperimeter von Einrichtung 5471 bestand aus sieben schweren doppelläufigen Energiegeschützen. Man hatte eigens hierfür dieselbe Anzahl Asteroiden ins System geschleppt und die Abwehrwaffen dort installiert. Früher war ein solcher Aufwand nicht notwendig gewesen. Doch die Erfordernisse des Blutläuferaufstands ließen dem Imperium keine andere Wahl, als die Sicherheit auch tief im Inneren des Reiches drastisch zu erhöhen.

In den vorigen Konflikten wäre niemand auf die Idee gekommen, einen solchen Angriff durchzuführen, nicht einmal Syall oder Sekari. Dieser Rebellenabschaum wusste einfach nicht, was sich gehörte. Man konnte doch nicht so mir nichts, dir nichts die etablierten Regeln eines Krieges übergehen.

Die Rebellenflotte drang in den äußeren Abwehrbereich ein und überschritt damit die imaginäre Linie, die die Kampfdistanz der sieben Hochleistungsbatterien darstellte.

Diese eröffneten umgehend mit einer gebündelten Salve das Feuer. Die Energiestrahlen fraßen sich in die Panzerung der führenden zwei Schweren Kreuzer, ohne ins Innere vorzudringen.

Nur Geduld, ermahnte Samir’kar sich selbst. Das wird schon.

Die Rebellen erwiderten den Beschuss nicht, sondern kamen beständig näher. Der Zweite Offizier von Einrichtung 5471 fragte sich, was die wohl vorhatten. In diesem Moment erwachten die Geschütze der drei Eskortschiffe des Konvois zum Leben. Samir’kar stürzte vor. Seine fleischigen Finger mit den langen Gliedern umklammerten das Geländer vor ihm, während die Katastrophe ihren Lauf nahm.

Die Angriffskreuzer feuerten nicht auf die Geschütze selbst, sondern auf den hinteren Teil der Asteroiden, auf denen sie installiert waren. Dort befand sich die Energieversorgung, an einem Punkt, den die Konstrukteure für außer Reichweite eines Angreifers gehalten hatten.

Innerhalb kürzester Zeit waren die Asteroiden so gut wie abgetragen und ihr Innenleben der Wut des Gegners ausgeliefert. Die Geschützbatterien verstummten und die Rebellenflotte drang ungehindert in den inneren Sicherheitsbereich ein. Sie hatten kaum Schäden und keine Verluste erlitten.

»Zweiter Offizier?«, wagte einer seiner Untergebenen zu sagen. »Zweiter Offizier?«

Samir’kar ignorierte ihn. »Schickt die Jäger raus. Und sendet ein Notsignal an jede Basis, jeden Außenposten und jedes Schiff in Reichweite. Schwerer Rebellenangriff. Benötigen umgehend Unterstützung.« Seine Schuppen nahmen eine tiefrote Farbe an. »Und könnte bitte jemand den Kommandanten aus dem Harem holen. Seine Anwesenheit wird dringend auf der Kommandoebene benötigt.«

»Zweiter Offizier!«, drängelte der Mann erneut.

»Was ist denn?«, begehrte Samir’kar auf.

»Wir werden geentert. Die Ernteschiffe …«

* * *

Die Luken öffneten sich und aus den Eingeweiden der drei Ernteschiffe ergoss sich eine Flut von Rebellensoldaten in Einrichtung 5471, angeführt von Fabian Hoffmann, einem respektierten Lieutenant der Aufständischen.

Die wenigen Wachen eröffneten das Feuer, sobald die ersten Kämpfer der Rebellen auf der Bildfläche erschienen. Vier von Fabians Leuten fielen. Die Aufständischen wurden nur kurz aufgehalten. Die Antwort der Freiheitskämpfer löschte den spärlichen Widerstand aus.

Die Sicherheitsschotten schlossen und verriegelten sich lautstark. Fabian gab zwei Paar Turia-Kampfingenieuren ein wortloses Zeichen mit der Hand. Die vier rothäutigen Nichtmenschen machten sich sogleich an die Arbeit. Es wurde einem schier schwindlig, wenn man die technisch hochbegabten Nichtmenschen mit ihren vier Armen herumwuseln sah. Der Vorgang dauerte nicht lange und die Ingenieure hatten sich in die Systeme der Einrichtung gehackt. Die Schotten sprangen zischend auf.

Auf der anderen Seite wurden sie von Ashrak erwartet. Fabian zögerte nicht lange. Er zupfte eine Granate vom Gürtel, drückte den Auslöser und fing an zu zählen. Bei drei warf er den Sprengkörper durch das erste halb geöffnete Schott. Die Rebellen gingen in Deckung.

Eine Explosion erschütterte den Korridor. Qualm und der Gestank nach gegrilltem Fisch drangen durch die Öffnung. Das Schott glitt zur Gänze auf. Die Rebellen stürmten den angrenzenden Korridor.

Fabian stapfte über die leblosen Körper feindlicher Soldaten hinweg. Martha blieb mit angelegtem Gewehr dicht an seiner Seite. Er deutete auf eine Tür am anderen Ende des Ganges. Die Frau nickte grimmig und führte einen Kampftrupp in die angegebene Richtung.

Fabian war ungemein stolz auf das Erreichte. Es erinnerte nichts mehr an die unsichere, von Angst gepeinigte Liebessklavin, die sie vor einigen Standardjahren aus imperialer Gefangenschaft befreit hatten. Sie mauserte sich immer mehr zu einer guten Soldatin. Fast die Hälfte ihrer Truppen bestand inzwischen aus befreiten und anschließend ausgebildeten Liebes- und Arbeitssklaven. Wenn das so weiterging, dann würden richtige Blutläufer bald die Minderheit in der Rebellion stellen. Fabian war das nur recht. Es bedeutete im Umkehrschluss, dass weniger Menschen, Samirad, Dys, Turia, Ierie und einer Vielzahl anderer Spezies die Qualen des Umwandlungprozesses erdulden mussten.

Die Turia arbeiteten unter Hochdruck daran, die nächsten Sicherheitsschotten zu öffnen. Die Besatzung der Basis war nicht stark genug, den Angreifern effektiven Widerstand entgegenzusetzen. Nicht auf Dauer. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, die Rebellen möglichst lange auf Abstand zu halten und auf das Eintreffen von Verstärkung zu warten.

Martha drehte sich um und nickte ihm einmal kurz zu. Fabian packte sein Pulsgewehr mit fester Hand. Das Schott öffnete sich zischend. Dahinter kam ein Korridor zum Vorschein, an dessen Ende Ashraksoldaten Stellung hinter einer Barrikade bezogen hatten. Sobald das gepanzerte Tor den Weg freigab, eröffneten sie das Feuer. Einer der Turia wurde getroffen. Sein Partner stieß einen schrillen Schrei aus, als hätte er die tödliche Verletzung selbst erlitten.

Fabian führte seine Kampftruppe in den Korridor hinein. Ein wilder, unerbittlicher Schusswechsel war die Folge. Ashrak und Rebellen schenkten einander weder Mitleid noch Zurückhaltung. Fabian verlor innerhalb weniger Minuten mehr als dreißig seiner Leute, die Verteidiger der Basis doppelt so viele.

Einige der Fischköpfe schleppten einen schweren, stationär montierbaren Pulswerfer heran und begannen, diesen aufzubauen. Unter seinem Helm fletschte Fabian die Zähne. Er wusste, sobald das verdammte Ding bereit war, würde der Korridor zur Todesfalle. Er gab Martha ein Signal. Sie verstand und führte ihren Trupp unablässig feuernd nach vorn. Unter ihrer Deckung arbeitete sich Fabian mit einigen Rebellensoldaten den Korridor entlang. Hinter ihm wurde einer seiner Männer von feindlichem Beschuss niedergestreckt. Die Rüstung des Kämpfers qualmte vor Einschusslöchern.

Der Rebellenoffizier zog den Kopf ein, als unmittelbar über ihm Pulsentladungen durch die Luft zischten. Er aktivierte die Wurfhilfe der Rüstung. Auf dem HUD seines Helms wurde die Flugrichtung einprojiziert, die nötig war, um eine Granate über die Barrikade hinwegzubefördern.

Fabian nahm einen Sprengkörper zur Hand, drückte den Auslöser und warf ihn in hohem Bogen den Ashrak entgegen. Die Granate folgte der Projektion beinahe haargenau. Sie landete vor dem Offizier, der den Aufbau der schweren Waffe beaufsichtigte. Der Kopf des Ashrak zuckte nach unten. Er hatte gerade genug Zeit, um zu erkennen, dass ihm keine Zeit mehr blieb.

Die Granate detonierte und verwandelte den Bereich jenseits der Barrikade in ein Inferno. Batterien für Impulswaffen lösten Sekundär- und Tertiärexplosionen aus. Fabian und seine Gefolgsleute hielten den Kopf unten. Eine Druckwelle heißer als die Hölle fegte über sie hinweg. Der Bordcomputer seiner Rüstung informierte ihn, dass Teile des Rückenschutzes wegschmolzen. Die Explosionswelle ebbte ab, bevor der Schaden kritisch werden konnte.

Fabian erhob sich langsam. Kaum einer seiner Leute stand noch aufrecht. Sie alle rappelten sich mühsam in die Höhe. Martha war eine der Ersten, die wieder standen. Gemeinsam arbeiteten sie sich den Gang entlang, unendlich vorsichtig, auf einen feindlichen Hinterhalt wartend. Ein Hinterhalt, der nicht erfolgte. Die Ashrak, die den Korridor verteidigt hatten, waren vollständig ausgeschaltet.

Mehr noch, die Explosionen hatten das Sicherheitsschott in deren Rücken aufgesprengt. Das Metall war von der Wucht der Detonationen verdreht, zerschmolzen und nach innen gebogen.

Die Rebellen rückten in die Kommandozentrale der Einrichtung 5471 vor. Auch hier herrschte Chaos. Die meisten Ashrak lagen zusammengekrümmt über ihren Stationen. Einige wenige bewegten sich.

Einzelne Schüsse fielen. Ashrak, die Widerstand leisteten, wurden schnell, gründlich und endgültig ausgeschaltet.

Fabian ignorierte die Schießerei. Sein Weg führte zur Kommandoplattform, wo ein Ashrak mit den Insignien eines Zweiten Offiziers darum kämpfte, wieder auf die Beine zu kommen. Sein Ziel – in einem letzten trotzigen Aufbäumen – war die Notfallentriegelung der Sklavenquartiere. Mit diesem Schalter, über den alle imperialen Anlagen verfügten, wurde die Atmosphäre aus den entsprechenden Abschnitten abgelassen und die Sklaven erstickten qualvoll. Das Imperium war der Meinung, wenn man eine Schlacht nicht gewinnen konnte, dann sollten die Rebellen auch keine Beute erringen.

Die Bewegungen des Zweiten Offiziers wirkten ungelenk und unkoordiniert. Seine Rüstung war stellenweise verbrannt, die schuppige Haut am Hinterkopf verkohlt. Fabian ließ den Helm in seine Rüstung einfahren und ragte über dem gegnerischen Offizier auf. Diesem wurde bewusst, dass er nicht länger allein war. Der Kopf des gegnerischen Offiziers neigte sich zur Seite, damit eines der Glupschaugen den Rebellen begutachten konnte, der seine Kommandozentrale eingenommen hatte.

Die beiden Männer harrten für einen Augenblick unbeweglich aus, musterten einander ohne jegliche Gefühlsregung. Die Hand des Ashrak zuckte in Richtung der Notfallentriegelung. Seine Finger hätten den Knopf um ein Haar erreicht. Fabian war schneller. Seine Hände schlossen sich um Hals und Nacken des Ashrak. Mit einer brutalen Drehung brach er diesem das Genick. Die Muskeln des Offiziers erschlafften. Fabians Finger öffneten sich und der Körper des Kriegers glitt zu Boden. Der Rebellenoffizier schloss die Abdeckung über dem Schalter. Niemand sollte ihn aus Versehen auslösen.

Er begutachtete die verschiedenen Hologramme, die der Ashrak bei ihrem Eintreffen betrachtet hatte. Sie zeigten Kämpfe aus der gesamten Einrichtung. Die Rebellen waren überall auf dem Vormarsch.

Fabian nickte zufrieden und aktivierte das implantierte Kommgerät. »Adler eins an Falke eins.« Es dauerte keine zwei Sekunden, da vernahm er die beruhigend zuversichtliche Stimme von Gareth Finch, dem Anführer der Rebellion.

»Ich höre, Adler eins.«

»Kommandozentrale ist gefallen.« Sein Blick streifte die verschiedenen holografischen Übertragungen erneut. »Ich schätze, die Basis wird in weniger als einer Stunde in unserer Hand sein.«

* * *

Das Schlachtschiff Herakleia glitt gefährlich und tödlich wie ein Hai durch die äußere Verteidigungslinie von Einrichtung 5471. Die Abwehrbatterien blieben stumm und ließen das feindliche Schiff ohne Störung passieren.

Gareth war äußerst zufrieden. Durch das Brückenfenster voraus beobachtete er, wie der Angriffskreuzer Shiva unter dem Kommando von Ris’ril die letzten Ashrakjäger mit wenigen gezielten Salven aus dem All fegte.

Gareth war äußerst stolz auf sein Flaggschiff. Es handelte sich um denselben Kampfraumer, den die Rebellen während der Schlacht um Waryard III dem Honuh-ton-Agenten Cha’acko abgenommen und wieder instand gesetzt hatten. Der Anführer der Rebellion schüttelte verständnislos den Kopf. Meine Güte, war das schon drei Standardjahre her?

Seit das Bündnis zwischen Syall, Sekari und den Rebellen geschlossen worden war, hatten die Kriegsgegner der Rod’Or ihre Taktik geändert. Sie griffen seit einiger Zeit verstärkt Umwandlungseinrichtungen und Erntekonvois an, um auf diese Weise Sklaven zu befreien, bevor sie mit dem Loyalitätsimplantat versehen wurden. Mit dieser Vorgehensweise hoffte man, dem imperialen Militär langsam, aber sicher das Wasser abzugraben. Es diente der Vorbereitung einer größeren Operation. Der momentane Zustand, in dem sich das Bündnis befand, nannte man Phase eins.

Hinter einem der Asteroiden kam ein Schwerer Kreuzer zum Vorschein. Er war beschädigt. Multiple Brüche zierten seine Außenhülle. Dennoch eröffnete die Besatzung das Feuer auf Gareths Flaggschiff. Die Energiestrahlen liefen nicht unter voller Energie. Sie verursachten kaum Spuren auf der Außenhülle des Schlachtschiffes. Gareths Kommandoschiff erwiderte den Beschuss und löschte den angeschlagenen Kreuzer mühelos aus.

Die Herakleia gehörte zu den modernsten Kriegsschiffen des bekannten Universums. Die Besatzung des Feindkreuzers hatte keinerlei Chance gehabt. Gareth setzte ein Lächeln auf. Irgendein Spaßvogel hatte dies zum Anlass genommen, auf den hammerhaikopfähnlichen Bug das Abbild eines Totenschädels mit zwei gekreuzten Knochen zu malen. Er hatte nichts dagegen. In einem Buch hatte er gelesen, das wäre auf der Erde das Symbol für Piraten gewesen. Und im Prinzip waren sie genau das. Außerdem hob der Anblick die Moral der Rebellen, wo auch immer die Herakleia auftauchte.

Gareths Blick streifte die Liege, die unweit seiner Position stand. Dort lag sein neuer Navigator David, eingestöpselt in den Vortex. »Bring uns näher ran«, bat er den Mann mit den kybernetischen Implantaten.

Irgendwann, erinnerte er sich in Gedanken. Irgendwann werden wir die Navigatoren nicht mehr brauchen und dann können sie endlich von ihren Gerätschaften befreit werden.

Gareth wandte den Blick ab. Man konnte einen Navigator nicht betrachten, ohne von Mitgefühl überwältigt zu werden. Er hatte immer gedacht, den Blutläufern wäre ein schweres Schicksal beschieden – bis zu dem Moment, an dem er seinen ersten Navigator traf.

Die geöffneten Augen Davids glitzerten in milchigem Weiß. Man hätte meinen können, der Mann sei vollständig weggetreten. Der Navigator verstand aber jedes Wort. Solange er sich mit dem Vortex verband, war er praktisch das Schiff. Der Navigator war überall und nirgends zugleich. Ein gespenstischer Gedanke.

Die Herakleia glitt näher an die Umwandlungsanlage. Es kamen beständig Kampfberichte herein. Der Widerstand war längst noch nicht vollständig gebrochen. Die meisten Nachrichten waren aber durchweg positiv.

»Gareth?«, hörte er Davids Stimme in seinem Kopf. »Die Basis konnte einen Notruf mit der Bitte um Beistand absetzen.«

Gareth verzog die Miene. »Wann müssen wir mit ungebetenem Besuch rechnen?«

»Der nächste Stützpunkt mit einer ausreichend starken Kampftruppe befindet sich meines Wissens um die sechzig Lichtjahre entfernt. Aber sie verfügen über ausreichend Hyperraumkatapulte. Damit könnten sie zeitnah das nächste bewohnte imperiale System ansteuern. Im Anschluss bräuchten sie weniger als vierundzwanzig Stunden, um uns zu erreichen.«

Gareth seufzte auf. Er war dankbar, dass das Imperium Einrichtung 5471 nicht mit Hyperraumkatapulten ausgestattet hatte. Ansonsten säßen sie nun wirklich in der Patsche.

»Reicht die Zeit, um alle Sklaven zu evakuieren?«

David benötigte ein paar Sekunden, um die erforderlichen Berechnungen durchzuführen. »Gerade so«, meinte er schließlich. »Aber es wird verdammt knapp.«

»Dann sollten wir keine Zeit verlieren. Gib Fabian Bescheid, er soll auf der Stelle die Sklavenquartiere öffnen und die Gefangenen zu den Ernteschiffen führen.«

»Die Kämpfe sind aber noch nicht beendet«, protestierte der Navigator. »In einigen Sektoren wird das gefährlich werden.«

Dessen war sich Gareth nur allzu bewusst. Ihm blieb aber keine Wahl, wollten sie ein Gefecht mit der anrückenden Entsatzstreitmacht vermeiden. Und niemand vermochte vorherzusagen, wie umfangreich sie sein würde.

»Sag es ihm einfach«, erklärte Gareth mit emotionsloser Stimme.

»Wie du wünschst«, gab David sich geschlagen.

»Und lass mein Beiboot klarmachen«, ordnete er an. »Ich will runter und mir das selbst ansehen.«

* * *

Als Gareth die Basis erreichte und im Hangar sein Beiboot verließ, war der Kampf um Einrichtung 5471 beendet. Er wurde von Fabian und Martha erwartet, als er seinen Fuß ins Innere der Basis setzte.

Die drei Ernteschiffe, die als trojanisches Pferd gedient und die Truppen ins Zielgebiet gebracht hatten, wurden nun ihrem alten Zweck zugeführt. An Gareth vorbei zogen sich endlos erscheinende Massen befreiter Sklaven. Die meisten schienen verwirrt und noch nicht bereit zu glauben, dass sie tatsächlich in die Freiheit geführt wurden. Es gab Vertreter jedweder durch das Imperium eroberter und unterdrückter Spezies unter ihnen, auch eine große Anzahl Menschen.

Sobald er auf der Bildfläche erschien, wandten sich dem Anführer der Rebellion Augenpaare zu. Die Sklaven tuschelten verhalten oder zeigten unverhohlen mit dem Finger auf ihn.

Er hörte Wortfetzen wie: »Das ist er«, oder: »Der Befreier Gareth Finch.«

Desgleichen war ihm schon früher passiert und er hasste es. Sein Ruf hatte sich über das Imperium hinaus verbreitet. Und wo immer er unter den ehemaligen Sklaven erschien, da wurde er praktisch verehrt, als wäre er eine Ikone oder religiöse Figur. Es gab sogar Bewegungen innerhalb des Imperiums selbst, die keine Verbindung zu der von ihm angeführten Rebellion aufwiesen und das Reich der Rod’Or eigenständig bekämpften und dabei auf seine Anhängerschaft verwiesen. Das war nicht nur unangenehm, er hielt es auch für waghalsig. Diese unabhängigen Gruppen erinnerten mehr an Fanatiker denn an wirkliche Freiheitskämpfer. Mit solchen Leuten wollte er keinesfalls in einen Topf geworfen werden – auch wenn er zugeben musste, dass deren Aktionen das Imperium oftmals ablenkten, wenn er eigene Angriffe startete.

Gareth begrüßte Fabian mit festem Händedruck, bevor sich die alten Freunde in die Arme fielen. Für Martha hatte der Anführer der Rebellion einen Kuss auf die Wange übrig. Sobald sie sich voneinander lösten, zwinkerte er ihr zu, bevor er sich abermals Fabian zuwandte.

»Nun? Wo stehen wir?«

Der Lieutenant zuckte die Achseln. »Wir sind noch mit der Bestandsaufnahme beschäftigt, aber so wie die Dinge aussehen, haben wir dreißig- bis vierzigtausend Sklaven befreit. Etwa zwanzig Prozent davon Menschen.«

»Nicht schlecht für ein paar Stunden Arbeit«, honorierte Gareth. »Verluste?«

»Ungefähr fünfhundert«, erklärte Fabian bedrückt.

»Es hätte schlimmer kommen können.«

»Das schon, aber trotzdem sind es mehr, als notwendig gewesen wäre.«

Gareth runzelte die Stirn. »Wovon sprichst du?«

»Die 12. Kolonne … sie tanzte mal wieder aus der Reihe.«

Gareth seufzte genervt auf. »Natürlich«, meinte er sarkastisch. Die 12. Kolonne gehörte zu den Einheiten, die Michael Anderson aufgestellt und persönlich ausgebildet hatte. Die Truppen des düsteren Michael zeichneten sich durch besonders hohe Verluste aus, da sie vor allem durch ihre Sturmangriffe auf befestigte Stellungen auf sich aufmerksam machten. Ohne Rücksicht auf das eigene Überleben oder Kollateralschäden.

»Ich rede mit ihm, wenn wir zurück sind.«

»Unsere Verluste hätten halbiert werden können«, beharrte Fabian.

Gareth hob Einhalt gebietend eine Hand. »Ich sagte doch, ich rede mit ihm.«

Der Lieutenant machte den Anschein, noch etwas sagen zu wollen, ersparte es dann allerdings allen Anwesenden.

»Es gibt noch mehr zu berichten«, mischte sich Martha ein.

»Ja, was denn?«

Die befreite Liebessklavin und Fabian wechselten einen bedeutsamen Blick. Martha nickte auffordernd. »Sag es ihm.«

Der Anführer der Rebellion merkte auf. »Mir was sagen?«

Fabian holte tief Luft. »Die Basisbesatzung bestand ausschließlich aus Ashrak. Keine Dys, keine Samirad und ganz bestimmt keine Menschen.«

Gareth dachte über das Gesagte nach, dann nickte er verstehend. »Sie trauen den Blutläufern nicht länger. Hochgefährdete Anlagen werden jetzt ausschließlich von eigenen, hundertprozentig loyalen Truppen bemannt. Das war abzusehen.«

»Es stellt uns aber auch vor Probleme.«

»Welcher Art?«

»In den Archiven der Kommandozentrale stießen wir auf ein Kommuniqué. Man hat verfügt, die Quoten zu erhöhen. Um dreißig Prozent. Das sind eine Menge neuer potenzieller Soldaten für den Fleischwolf, der gemeinhin das imperiale Militär genannt wird. Wenn die so weitermachen …«

»Dann werden die Rod’Or an der Front bald wieder in die Offensive gehen. Und mit solch umfangreichem Nachschub zwingen sie uns über kurz oder lang in die Knie.«

»So ist es«, bestätigte Fabian. »Und weißt du, was das darüber hinaus bedeutet?«

Gareth nickte. »Wir gehen früher zu Phase zwei über als ursprünglich geplant. Uns rennt ansonsten die Zeit davon.«

2

Cha’acko, ehemals Agent der Honuh-ton, schwamm entblößt von seiner Rüstung durch einen Tank mit einem Fassungsvermögen von gerade mal dreißig Kubiklitern. Ein lächerlich kleiner Raum, den man ihm zugestanden hatte. Darüber hinaus war das Wasser mindestens vier Grad zu kalt. Für die fischähnlichen Ashrak ein entwürdigender und zudem auch schmerzhafter Zustand. Es war Teil seiner Bestrafung. Cha’acko war versucht, es Folter zu nennen.

Über einen kleinen separaten Zugang wurde ihm das Essen gereicht. Es handelte sich im Großen und Ganzen um eine Zusammensetzung verschiedener Algen. Sie beinhalteten alles, was ein durchschnittlicher erwachsener Ashrak an Nährstoffen benötigte, aber nahrhaft ließ sich das Zeug nun wirklich nicht nennen.

Wenn die Wachen in guter Stimmung waren, ließen sie ihm kleine Meeresbewohner von seiner Heimatwelt zukommen, um den Speiseplan ein wenig aufzubessern. Es kam nicht sehr oft vor. Die Aufseher erlaubten sich hin und wieder einen Scherz, indem sie ihm in Aussicht stellten, ihm ein paar der Tierchen zu schicken, nur um am Ende das gegebene Versprechen zu brechen.

Cha’acko schlief nicht besonders gut. Die meiste Zeit über grübelte er darüber nach, wie er seine Feinde bestrafen könnte. Zu jenen zählte mittlerweile auch der Chefaufseher der Gefängnisanlage, ein besonders perverser und sadistischer Mistkerl mit Namen Tri’acko. Obwohl sie demselben Clan angehörten, hatte der Anführer der Wachmannschaft von Anfang an keinerlei Zweifel zugelassen, dass Cha’acko nicht mit irgendwelchen Vergünstigungen rechnen durfte.

Wie auf Kommando ging die Tür zu seinem Zellentrakt auf und Tri’acko stapfte herein. Cha’acko reckte den starren Hals. Obwohl er den Chefaufseher zutiefst verachtete, liebte er die wenigen Momente, wenn ihn jemand aufsuchte. Das Gefängnis befand sich auf einem Asteroiden außerhalb des Schwerkraftfeldes des Tyrashina-Systems. Seine Zelle lag im äußeren Sicherheitsbereich. Sobald die Tür sich öffnete, war er in der Lage, durch ein Fenster im Korridor die Sterne zu betrachten. Es war ein verschwindend kurzer Moment, doch Cha’acko genoss ihn, kostete ihn aus, als handele es sich um eine besonders erlesene Speise. Es erinnerte ihn an die Zeit in Freiheit und schürte die Hoffnung, dass er irgendwann ihren Duft wieder würde genießen dürfen.

Die Tür schloss sich zischend und sperrte die Sterne und das Universum aus, zu dem sie gehörten. Cha’acko wurde ein weiteres Mal mit der brutalen Realität seiner Existenz konfrontiert.

Tri’acko musterte ihn einen langen Moment eingehend. Dann stieß er gurgelnd Luft durch die Röhrchen seiner Rüstung. Cha’acko spürte dessen Verachtung – und den tiefer liegenden Hass dahinter. Der ehemalige Honuh-ton-Agent gehörte einer adligen Familie an. Sein Gegenüber hatte sich aus der Gosse in die jetzige Position hochgearbeitet. Einen Hochwohlgeborenen unter seinen Schützlingen zu wissen, bereitete dem Chefaufseher geradezu diebisches Vergnügen.

»Womit willst du mich heute quälen, Tri?«, fragte Cha’acko und ließ absichtlich den Clan weg, als er seinen Wächter ansprach. So etwas war in der Kultur der Meeresbewohner von Tyrashina nur zwischen Vertrauten, Gleichrangigen oder wenn derjenige, der sprach, den höheren Rang innehatte, gestattet. In der jetzigen Konstellation stellte es eine schwere Beleidigung dar. Zu Cha’ackos Überraschung ließ sich der Offizier seinen Unmut nicht anmerken.

»Du hast Besuch«, erwiderte der Chefaufseher. Ohne weiteren Kommentar trat er zur Seite. Die Tür ging abermals auf. Cha’acko hatte Mühe, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Sein ehemaliger Adjutant Bri’anu stand vor ihm. Sofort fielen dem Gefangenen die neuen Rangabzeichen auf, die stolz die Rüstung des Kriegers zierten.

»Erster Kommandant«, kommentierte Cha’acko. »Damit wurde dir das Kommando über ein komplettes Angriffsgeschwader übertragen. Ich gratuliere herzlichst.«

Bri’anu starrte ihn eine Weile lediglich an. »Es bereitet mir keine Freude, dich auf diese Weise inhaftiert und gedemütigt zu sehen.« Auf die spöttisch vorgebrachten Glückwünsche seines ehemaligen Befehlshabers ging er gar nicht erst ein.

»Wirklich nicht?«, meinte Cha’acko. »Meine Entmachtung war ein erstes Sprungbrett auf deinem erfolgreichen Weg seither.«

Die Schuppen des Offiziers färbten sich dunkelorange vor Zorn. »Deine eigenen Handlungen haben dich in diese Lage gebracht. Denkst du, es war einfach, sich gegen meinen Befehlshaber zu stellen? Ich habe es nicht gern getan. Aber du warst dabei, eine ganze Flotte aufzureiben, nur aus persönlichem Stolz und Ehrgeiz. Der Rückzug war die einzige Alternative. Der Rat stimmte mit mir darin überein.«

Aus Cha’ackos Kiemen strömten mehrere Luftblasen in den Tank. Er wusste, diesen Zwist konnte er nicht gewinnen. Wer war auch in der Lage, nachzuvollziehen, was für ein Affront die bloße Existenz von Templer HT-843715 für ihn darstellte. Ein Mann, den er unter seine Fittiche genommen und über alle anderen Blutläufer erhoben hatte. Und nun führte ebenjenes niedriggeborene Subjekt den Aufstand an. Jeder Sieg, den die Rebellen errangen, jeder tote Ashrak, der ihren Weg pflasterte, war das direkte und unmittelbare Ergebnis von Cha’ackos Versagen. Ein Scheitern, mit dem der ehemalige Honuh-ton-Agent nicht leben konnte. Eine Schmach, die nur mit dem Tod des Gareth Finch und der Niederschlagung der Rebellion ausgelöscht werden konnte. Vorher würde er keinen Frieden finden. Und nun saß er hier, eingepfercht wie ein Tier, darauf wartend, dass man sich irgendwann wieder an ihn erinnerte – auf welche Weise auch immer.

»Was willst du?«, wechselte er das Thema.

»Du wirst demnächst zurück nach Tyrashina gebracht. Der Clanrat hat entschieden, was mit dir zu geschehen hat.«

Cha’acko merkte auf. »Entschieden? Ich hatte noch nicht einmal eine Verhandlung.«

»Die wird es auch nicht geben. Aufgrund deines Bekanntheitsgrades wurde beschlossen, auf ein Tribunal zu verzichten und stattdessen auf der Stelle zur Bestrafung überzugehen.«

»Das ist nicht rechtens!«, wütete Cha’acko. »Unser Gesetz …«

»Spielt im Moment keinerlei Rolle«, unterbrach Bri’anu ihn.

»Und solche Worte aus dem Mund eines Mannes, der sich gegen mich gewandt hat, weil ich seiner Meinung nach unehrenhaft handelte«, höhnte der Gefangene. »Wie passt das jetzt zu deiner Vorstellung von Ehre?«

»Damals hatte ich die Möglichkeit einzugreifen.« Der Offizier zögerte. »Heute nicht.« Die Schuppen Bri’anus verfärbten sich beige, ein Anzeichen der Resignation. »Man bat mich, dir dies mitzuteilen, weil man hoffte, es würde aus meinem Mund … nun ja … besser aufgenommen.«

Cha’acko wusste nicht, ob er lachen oder mit einem weiteren Wutausbruch reagieren sollte. »Der Clanrat versteht unsereins wirklich nicht, oder?«

»Nein«, gab der Erste Kommandant überraschend freimütig zu. »Das tun sie nicht. Dennoch bin ich ihnen zur Loyalität verpflichtet. So wie du auch.«

»Aber zufrieden bist du nicht.«

Bri’anu antwortete nichts darauf. Das war auch unnötig. Cha’acko verstand ihn auch so.

»Ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass deine Beförderung als Bestechung zu verstehen ist? Damit du genau das tust, was der Rat von dir verlangt, und ansonsten schön den Mund hältst?«

Bri’anu musterte den Gefangenen einen Moment lang eingehend, dann wandte er steif den Kopf in Tri’ackos Richtung. Der Chefaufseher verharrte einen Moment nachdenklich, dann verließ er stillschweigend den Raum.

Als der Wachmann verschwunden war, trat der Erste Kommandant näher an den Tank des Gefangenen. »Ja«, erwiderte er. »Der Gedanke ist mir bereits gekommen. Und ich habe für mich persönlich festgelegt, ihn zu ignorieren. Als Offizier kann ich dort draußen viel Gutes tun. Ich kann dort helfen, wo Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb des imperialen Militärs unsere Handlungen bestimmen und lähmen.«

»Verläuft der Krieg so schlecht?«

Bri’anu stutzte, als wäre ihm klar geworden, zu viel preisgegeben zu haben. Er ging auf Abstand. »Die Rebellen haben einige Erfolge erzielt«, erklärte er etwas schwammig.

»Du besitzt einen sehr dehnbaren Begriff von Moral«, hielt Cha’acko ihm vor. Bevor der andere darauf reagieren konnte, winkte der ehemalige Honuh-ton-Agent aber ab. »Sei’s drum. Was geschehen ist, ist geschehen. Und was geschehen wird, kann durch diese leidige Diskussion nicht geändert werden.«

Bri’anu wirkte erleichtert, auch wenn seine Schuppenfarbe eher auf Scham hindeutete. Cha’ackos ehemaliger Untergebener wusste genau um seine eigene Schuld. Einst hatte er seinen Vorgesetzten seines Postens enthoben, weil er der Meinung war, dass dieser seine Streitmacht sehenden Auges in den Untergang führte. Nun hatte er sich bestechen lassen, damit die Öffentlichkeit nichts von diesem Vorfall erfuhr.

Cha’acko war der Gefangene, doch Bri’anu machte den Anschein, sich unwohl zu fühlen. Eine Konstellation, die Potenzial zur Belustigung aufwies.

»Was wird jetzt mit mir geschehen?«, stellte Cha’acko die einzige Frage, die ihn momentan wirklich bewegte.

»Man bringt dich nach Paro’kajan.«

Dieses eine Wort hing bedeutungsschwanger zwischen den zwei Männern. Bri’anu musste gar nicht mehr sagen. Cha’acko wusste nur zu gut, für was die Stadt Paro’kajan im gesamten Imperium bekannt war. Es handelte sich nicht direkt um ein Todesurteil, stellte aber eine nur geringe Lebenserwartung in Aussicht.

»Es tut mir leid«, raunte Bri’anu in die Stille hinein.

»Wenn du gewusst hättest, welches Schicksal mit blüht, hättest du damals anders gehandelt?«, wollte Cha’acko wissen.

»Nein«, entgegnete der Offizier ohne Zögern.

Cha’acko konnte nicht anders. Er war ein klein wenig stolz auf seinen ehemaligen Untergebenen. »Das hatte ich auch nicht angenommen.«

»Leb wohl, Cha’acko!« Mit diesem Gruß drehte sich der Erste Kommandant um. Er wollte den Raum verlassen, der Gefangene hielt ihn zurück.

»Unter wem dienst du jetzt?«

Bri’anu verharrte auf der Stelle. »Feldherr Pesar’rise.«

»Ein Idiot also«, versetzte Cha’acko mit einer Spur Häme. »Unter seinem Befehl, wirst du wirklich viele Fehler auszuwetzen haben. Vielleicht kommt der Tag, an dem du dich zurückwünscht zu der Zeit, als du mir dientest.«

Er glaubte schon, sein Gegenüber würde gar nicht mehr antworten. Doch dann stieß Bri’anu die Worte »Stirb ehrenvoll« aus und verließ den Zellentrakt. Er überließ den Gefangenen der Einsamkeit, der Dunkelheit und den Gedanken über seinen bevorstehenden Tod. Die Lebenserwartung für Sklaven in Paro’kajan betrug durchschnittlich zwei Wochen. Cha’acko hatte vor, diese Statistik Lügen zu strafen.

3

Der Kampfverband unter Führung der Herakleia materialisierte am Sprungpunkt des Waryard-Systems und wurde augenblicklich von einem gemischten Wachgeschwader, bestehend aus Einheiten der Rebellen, der Syall sowie der Sekari aufs Korn genommen.

Bevor es zu einem verhängnisvollen Missverständnis kommen konnte, reagierte David. Der Navigator sandte per Richtstrahl einen Gruß an die Verbündeten und komplettierte die Nachricht mit dem derzeit gültigen Berechtigungscode.

Die Kampfschiffe erwiderten die Begrüßung und drehten anschließend ab. Einige Jäger gingen in Formation mit der Herakleia und eskortierten den Kampfverband in die Sicherheitszone des Systems.

Gareth blieb den gesamten Vorgang über auf der Kommandobrücke des Schlachtschiffes. Während David die Herakleia tiefer ins Schwerkraftfeld steuerte, begutachtete der Anführer der Rebellion die Fortschritte.

Die Veränderungen waren unübersehbar, seit die Rebellen sich hier vor drei Standardjahren angesiedelt hatten. Der dritte Planet galt nun als ihre Heimat und sie würden eher sterben, als sich von hier wieder vertreiben zu lassen.

Das Rebellenflaggschiff schwenkte in einen hohen Orbit um Waryard III ein, während die übrigen Einheiten ihre Parkpositionen ansteuerten. Sobald dies erledigt war, schwenkten die Jäger ab, um zu ihren jeweiligen Aufgaben zurückzukehren.

Gareth betrachtete den Planeten, der unter der Herakleia seine Bahn zog, nicht ohne Stolz. Sie alle hatten einen weiten Weg zurückgelegt, seit sie dem Imperium entkommen waren.

Die drei Ernteschiffe, die er zurückgeführt hatte, legten an einer großen Raumstation an. Über diese Transfereinrichtung würden die Befreiten erst registriert und dann ihren neuen Aufgaben zugeführt. Es gab viel zu tun und jeder musste mit anpacken, damit das Experiment Waryard III ein Erfolg wurde.

Selbst vom Orbit aus konnte man die fünf größeren Städte erkennen, die es mittlerweile gab. Dazwischen existierten unzählige kleine Ortschaften. Und sie alle fügten sich nahtlos in den Wirtschaftskreislauf ein, der den Planeten dominierte.

Auf Waryard III lebten inzwischen fast eine Milliarde ehemaliger Sklaven, fast ein Drittel davon Menschen. Gareth hob den Kopf. Ein zweiter Konvoi erreichte soeben den Planeten. Weitere befreite Sklaven warteten darauf, den Boden ihrer neuen Heimat zu betreten.

Weite Teile der Oberfläche waren vom Eis befreit worden und beherbergten nun zum Teil äußerst ausgedehnte Regionen, die ausschließlich der Ausbildung neuer Rekruten dienten. Die Armee der Rebellen war stetig im Wachsen, und bevor all das zu Ende gebracht wurde, würde sie sich noch weiter entwickeln müssen.

Das war nicht der einzige Fortschritt, den sie gemacht hatten. Unweit der Transferstation befanden sich vier weitere Konstruktionen. Zwei waren bereits fertig und arbeiteten tadellos, zwei weitere befanden sich im Bau. Es handelte sich um Werften, die Schiffe für den Kampf gegen diesen unnachgiebigen Gegner produzieren sollten.

Während er die Werften beobachtete, verließen mehrere Schiffe deren Konstruktionsbuchten. Die Aufständischen konzentrierten sich momentan noch eher auf den Bau kleinerer Kampfeinheiten wie Kanonenboote, Korvetten und Leichte Kreuzer. Aber schwerere würden folgen. Es brauchte lediglich Zeit und Ressourcen.

Gareths mitfühlender Blick streifte Davids wie tot daliegende Gestalt. Der Sinn hinter den Eigenbauten der Aufständischen lag darin, dass man mittel- bis langfristig keine imperialen Schiffe mehr nutzen wollte. Keine Imperiumsschiffe bedeutete keine Navigatoren mehr. Dann konnte man endlich damit beginnen, diese armen Teufel in ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Erst dann war es ihnen möglich, ihren Platz in dieser neuen Gesellschaft einzunehmen. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Er seufzte. Manchmal fragte sich Gareth, ob er das Ende dieses Weges überhaupt miterleben würde. Sie waren so wenige und der Feind schien übermächtig.